Geheimnis um Mitternacht
Endlich im Taschenbuch: der zweite Band aus der Matchmaker-Serie von New York Times-Autorin Candace Camp.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Geheimnis um Mitternacht “
Endlich im Taschenbuch: der zweite Band aus der Matchmaker-Serie von New York Times-Autorin Candace Camp.
Klappentext zu „Geheimnis um Mitternacht “
Heiraten? Niemals! Das hat Lady Irene Wyngate sich geschworen. Erfolgreich hält sie sich dank ihrer scharfen Zunge die Verehrer vom Leib. Nur einen scheint ihr freches Mundwerk nicht zu schrecken, sondern zu bezaubern: Gideon, der lang verschollene Earl of Radbourne, der als Kind entführt wurde und in den Straßen Londons aufgewachsen ist. Beharrlich wirbt er um sie, doch ebenso beharrlich sagt Irene Nein. Auch wenn sie im Stillen zugeben muss, dass sie sich gegen ihren Willen immer stärker zu diesem ungewöhnlichen Mann hingezogen fühlt. Doch gerade als sie beginnt, ihm ihr Herz zu öffnen, kommt ein unglaubliches Geheimnis ans Licht
Heiraten? Niemals! Das hat Lady Irene Wyngate sich geschworen. Erfolgreich hält sie sich dank ihrer scharfen Zunge die Verehrer vom Leib. Nur einen scheint ihr freches Mundwerk nicht zu schrecken, sondern zu bezaubern: Gideon, der lang verschollene Earl of Radbourne, der als Kind entführt wurde und in den Straßen Londons aufgewachsen ist. Beharrlich wirbt er um sie, doch ebenso beharrlich sagt Irene Nein. Auch wenn sie im Stillen zugeben muss, dass sie sich gegen ihren Willen immer stärker zu diesem ungewöhnlichen Mann hingezogen fühlt. Doch gerade als sie beginnt, ihm ihr Herz zu öffnen, kommt ein unglaubliches Geheimnis ans Licht ...
Lese-Probe zu „Geheimnis um Mitternacht “
Geheimnis um Mitternacht von Candace CampPROLOG
London, 1807
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Die Vordertür fiel mit einem Krachen ins Schloss. In der Bibliothek im oberen Geschoss drehte sich Lady Irene Wyngate überrascht um, und das Buch, das sie in der Hand hielt, fiel zu Boden. Es war schon weit nach Mitternacht, und alle im Haus außer ihr selbst schliefen bereits tief und fest. Tatsächlich war auch sie vor einer Stunde ins Bett gegangen. Aber weil sie nicht einschlafen konnte, war sie wieder aufgestanden, um in die Bibliothek zu huschen und ein Buch zum Lesen zu suchen. Eigentlich sollte niemand mehr auf sein - schon gar keiner, der die Tür ins Schloss warf.
Während sie noch lauschend dastand, wurde die Stille der Nacht von einem weiteren Krachen unterbrochen, diesmal gefolgt von einem Fluch. Irene entspannte sich und verzog das Gesicht. Auch wenn ihr die Erkenntnis keine Freude bereitete, wusste sie nun wenigstens, wer den Lärm im unteren Geschoss verursachte. Ohne Zweifel war ihr Vater, Lord Wyngate, nach Hause gekommen und stolperte nun in seinem üblichen betrunkenen Zustand herum.
Schnell beugte sie sich hinunter und hob das heruntergefallene Buch vom Boden auf. Dann nahm sie ihren Kerzenhalter und schlich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer. Auch wenn sie erst sechzehn Jahre alt war, war sie doch die Einzige, die sich ihrem tyrannischen Vater entgegenzustellen wagte. Schon häufig war sie dazwischen gegangen, wenn er sich wieder gegen ihre Mutter oder ihren Bruder wandte, die Menschen, an denen er am häufigsten seine Wut ausließ. Aber Irene war nicht dumm. Wie alle anderen versuchte sie, ihrem Vater aus dem Weg zu gehen, vor allem, wenn er sturzbetrunken nach Hause kam.
Leise eilte sie durch den Korridor und hoffte, dass sie es in den Schutz ihres Schlafzimmers schaffen würde, bevor ihr Vater in den ersten Stock hinaufkam. Von unten hörte sie eine wütende Stimme, laut und tief, gefolgt von der unverständlichen Antwort ihres Vaters. Irene blieb abrupt stehen. Sie runzelte die Stirn, während sie sich fragte, wer dort wohl mit ihrem Vater sprach. Dann hörte sie das laute Klatschen von Fleisch auf Fleisch und ein weiteres Krachen.
Irene eilte zu der Brüstung am oberen Ende der Treppe und spähte hinab in die Eingangshalle. Ihre Sicht wurde vom unteren Teil der gewundenen Treppe behindert, aber sie konnte ihren Vater ausgestreckt auf dem Rücken liegen sehen, die zersplitterten Reste einer Vase um ihn herum auf dem Perserteppich verteilt. Die gepuderte Perücke, die er immer noch trug, auch wenn sie unterdessen aus der Mode gekommen war, hing schief auf einer Seite seines kahlen Schädels wie ein kleines pelziges Tierchen. Blut lief aus seiner Nase.
Während Irene ihn noch fassungslos anstarrte, kam ein Mann in ihr Sichtfeld und ging mit langen Schritten zu Lord Wyngate hinüber. Der Fremde wandte ihr den Rücken zu, sodass sie nur sehen konnte, dass er groß war und wie ihr Vater einen schwarzen Abendanzug trug. Sein Haar trug er jedoch offen, da er auf eine altmodische Perücke verzichtet hatte.
Während Irene gebannt dastand, packte der Fremde ihren Vater bei den Rockaufschlägen und zog ihn unsanft auf die Füße. Lord Wyngate legte beide Hände gegen die Brust des Mannes und stieß ihn weg, allerdings ohne große Wirkung. "Verdammter Grünschnabel", knurrte er mit undeutlicher Stimme. "Wie können Sie es wagen."
"Ich wage noch verdammt viel mehr!", antwortete der andere Mann heftig und hob seine geballte Faust. Noch bevor der Schlag fiel, wirbelte Irene herum und lief in das Arbeitszimmer ihres Vaters. Sie eilte durch den Raum und öffnete eine der Glasvitrinen. Vorsichtig nahm sie einen Kasten von einem der Regale, stellte ihn auf den Schreibtisch und klappte ihn auf.
Vor ihr lagen, gebettet auf roten Samt, ein Paar Duellpistolen. Sie wusste, dass ihr Vater sie immer fertig geladen aufbewahrte, aber sie überprüfte es sicherheitshalber noch einmal, bevor sie aus dem Zimmer eilte, in jeder Hand eine Pistole. Je näher sie der Treppe kam, desto lauter wurden die Geräusche. Sie konnte die Männer nicht mehr sehen - ihre Position hatte sich leicht verändert -, aber der Lärm ließ keinen Zweifel daran, dass der Kampf noch immer andauerte.
Irene lief die Stufen bis zum ersten Absatz hinunter. Als sie um die Ecke kam, konnte sie sehen, dass die Männer miteinander rangen. In diesem Moment machte der Jüngere der beiden sich frei und rammte seine Faust in Lord Wyngates Magen. Als ihr Vater sich zusammenkrümmte, ließ der andere Mann die Faust hart nach oben schnellen und landete einen Volltreffer gegen das Kinn seines Gegners. Wyngate stolperte einige Schritte zurück und brach zusammen.
"Aufhören!", rief Irene. "Sofort aufhören!"
Keiner der Männer schenkte ihr jedoch Beachtung. Sie wandten sich ihr nicht einmal zu. Der Fremde ließ nicht von ihrem Vater ab, sondern streckte sogar wieder die Hand aus, um ihn ein weiteres Mal auf die Füße zu ziehen. "Aufhören!", schrie Irene noch einmal. Als sie sah, dass sie weiter ignoriert wurde, hob sie eine Pistole und feuerte in die Luft. Sie hörte das leichte Klirren, als die Kugel den Kronleuchter über ihr traf und einige der Kristalle zu Boden fielen.
Beide Männer erstarrten. Der Fremde richtete sich auf und drehte den Kopf in ihre Richtung, und auch ihr Vater lenkte seinen Blick zu ihr. Irene bemerkte ihren Vater kaum. Ihre Augen waren wie gebannt auf den anderen Mann gerichtet.
Er war groß, und seine breiten Schultern füllten seinen Anzug erstaunlich gut aus. Es war offensichtlich, dass sein Schneider es nicht nötig hatte, seinen Gehrock auszupolstern, um ihm die gewünschte Form zu geben. Sein Haar war schwarz wie die Nacht, und er trug es ein wenig länger, als die Mode es diktierte. Sein Gesicht schien nur aus scharfen Linien zu bestehen - attraktiv, aber doch hart und undurchdringlich. Die einzig sichtbaren Zeichen seiner Wut waren eine leichte Färbung auf seinen Wangenknochen und das unmissverständlich zornige Glitzern in seinen Augen.
Sie hatte schon attraktivere Männer als ihn gesehen. Es war etwas Raues, beinahe Rohes an ihm, das ihn eindeutig von den anderen, eleganteren Gentlemen der Gesellschaft unterschied, an die sie gewöhnt war. Und doch hatte er eine größere Wirkung auf sie als jeder Gentleman, den sie je getroffen hatte. Als sie ihn ansah, fühlte sie ein seltsames Ziehen in ihrem Körper, eine Art Aufruhr tief in ihrem Innersten, und sie hatte Mühe, den Blick von ihm abzuwenden. "Irene?", keuchte Lord Wyngate und kam mühsam auf die Beine.
"Natürlich bin ich es", antwortete sie, nicht sicher, ob sie sich mehr über ihren Vater ärgerte, der so ein Chaos in ihr Haus brachte, oder über den unbekannten Mann, der solch seltsame und beunruhigende Gefühle in ihr weckte. "Wer sollte es wohl sonst sein?"
"Gutes Mädchen", nuschelte Wyngate, der leicht hin und her schwankte. "Wusste, ich kann mich auf dich verlassen."
Irene presste die Lippen zusammen. Es verdross sie, dass sie ihrem Vater helfen musste.
Seit sie denken konnte, war ihr Vater die Hauptursache für Unglück und Sorge im Leben jeder Person um ihn herum gewesen. Die Dienerschaft, ihre Mutter, ihr Bruder und sie selbst lebten in ständiger Furcht vor ihm. Er hatte ein unberechenbares Temperament, ein unstillbares Verlangen nach Alkohol und geriet immer wieder in Scherereien. Als Kind hatte sie nur gewusst, dass er ihre Mutter zum Weinen und die Dienerschaft zum Zittern brachte. Sie hatte gelernt, ihm aus dem Weg zu gehen, vor allem, wenn er betrunken war. Mit zunehmendem Alter durchschaute sie seine vielen Sünden immer besser - das Spielen und das Huren, das mit seiner Trunksucht Hand in Hand ging, seine vielen Exzesse, sowohl die finanziellen als auch die des Fleisches. Lord Wyngate war ein Wüstling, und noch schlimmer, häufig auch ein grausamer Mann, der die Angst, die die Menschen um ihn herum fühlten, genoss. Irene war trotzdem beigebracht worden, dass sie ihn lieben solle und dass er Respekt verdiene, weil er ihr Vater war. Diese Lektion hatte sie nie wirklich verinnerlicht. Sie wusste, dass sie kein so guter Mensch war, ihm einfach zu vergeben oder ihn trotz all seiner Fehler zu lieben, so wie ihre Mutter es anscheinend konnte. Anders als ihr Bruder Humphrey machte sie auch nicht immer das, was von ihr erwartet wurde, und fühlte sich nicht verpflichtet, ihm Loyalität und Respekt entgegenzubringen, nur weil die Tradition es verlangte.
Wenn jemand Vater angreift, dachte Irene, hat er es vermutlich verdient. Trotzdem war er ihr Vater, und sie konnte diesem Fremden nicht einfach erlauben, ihn zu töten.
"Denkst du nicht, dass es ein bisschen spät ist, um sich in der Eingangshalle zu prügeln?", fragte sie in dem kalten Kommandoton, der bei ihrem Vater immer noch die größte Wirkung zeigte, wie sie inzwischen wusste. Lord Wyngate zog seinen Gehrock glatt und klopfte ihn in der ungeschickten, vorsichtigen Art der Betrunkenen ab. Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und blickte dann mit offensichtlicher Überraschung auf das Blut in seiner Handfläche.
"Verdammt! Ich glaube, Sie haben mir die Nase gebrochen, Sie betrügerischer Parvenü!" Lord Wyngate sah den anderen Mann finster an. Doch sein Gegner gönnte ihm nicht einen einzigen kurzen Blick. Seine Augen blieben auf Irene gerichtet.
Erst jetzt ging ihr auf, wie sie aussehen musste. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, einen Morgenmantel über ihr Nachthemd zu ziehen. Ihre Füße waren nackt, und ihr dickes blondes Haar ergoss sich in wilder Unordnung über Schultern und Rücken.
Ihr wurde bewusst, dass die Wandleuchter vom oberen Stockwerk Licht von hinten auf sie warfen und dem Mann die Silhouette ihres unter dem Baumwollnachthemd nackten Körpers enthüllten. Sie errötete von Kopf bis Fuß. Warum konnte er nicht wegsehen? Ganz offensichtlich war der Mann ein schrecklicher Grobian ohne jegliche Manieren.
Leicht hob sie das Kinn und erwiderte seinen Blick. Dieser Flegel sollte auf keinen Fall merken, wie verlegen sie war. Aus dem Augenwinkel sah sie jedoch, wie ihr Vater rückwärts schlich und seine Hand um eine kleine Statue legte, die auf einem Sockel an der Wand stand. Er hob sie hoch und bewegte sich auf den anderen Mann zu.
"Nein!", stieß Irene heftig aus und richtete die geladene Pistole in ihrer linken Hand auf ihren Vater. "Stell das sofort wieder hin!" Lord Wyngate bedachte seine Tochter mit einem beleidigten Blick, stellte die Statue aber zurück an ihren Platz.
Der andere Mann sah kurz zu Lord Wyngate hinüber, während sein Mund sich verächtlich verzog. Dann wandte er sich von ihm ab und deutete eine Verbeugung an. "Danke, Mylady." Seine Stimme war tief und rau, sein Akzent nicht der eines Gentlemans.
"Ich ziehe es vor, dass nicht noch mehr Blut auf dem Perserteppich verteilt wird", antwortete Irene scharf. "Er ist viel zu schwierig zu reinigen."
Ihr Vater lehnte, offensichtlich immer noch beleidigt, an der Wand und weigerte sich, sie anzusehen. Zu ihrer Überraschung lachte der andere Mann auf, und sein amüsierter Blick ließ sein Gesicht weicher erscheinen. Sie konnte sich ein Lächeln gerade noch verkneifen.
"Kaum zu glauben, dass dieser alte Bock eine so schöne Tochter hat", sagte der Mann. Irene verzog das Gesicht, genauso verärgert über sich selbst wie über ihn. Der Mann besaß ein gehöriges Maß Frechheit, sie so anzugrinsen. Und wie hatte sie nur versucht sein können, das Lächeln des Halunken zu erwidern? "Ich denke, Sie sollten jetzt gehen", beschied sie. "Sonst wäre ich gezwungen, die Dienerschaft zu rufen und Sie hinauswerfen zu lassen." Er hob eine Augenbraue, um ihr zu zeigen, wie wenig ihn ihre Drohung beeindruckte. "Natürlich. Ich will auf keinen Fall weiter Ihre Ruhe stören." Er trat zu Lord Wyngate, der nervös ein wenig zurückwich, packte ihn am Hemdkragen und beugte sich drohend vor.
"Wenn mir je zu Ohren kommt, dass Sie Dora wieder belästigt haben, komme ich zurück und breche Ihnen jeden einzelnen Knochen im Leib. Haben wir uns verstanden?" Das Gesicht ihres Vaters färbte sich rot vor Wut, aber er nickte.
"Und kommen Sie niemals wieder in mein Etablissement. Niemals." Der Fremde sah ihren Vater wieder eindringlich an, ließ ihn dann los und ging mit langen Schritten auf die Haustür zu. Er öffnete sie, drehte sich noch einmal um und blickte zurück die Treppe hoch zu Irene.
Ein leicht sarkastisches Lächeln spielte um seine Lippen. "Gute Nacht, Mylady. Es war mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen." Dann verbeugte er sich und verschwand. Irene atmete auf. Erst jetzt bemerkte sie, wie angespannt sie gewesen war. Ihre Knie fühlten sich weich an, und sie ließ die Hand fallen. "Wer war das?", fragte sie.
"Niemand", antwortete ihr Vater und wandte sich zur Treppe. Seine Schritte waren unsicher, und er musste nach dem Geländer greifen, um nicht zu stolpern. "Dreckiger Rüpel ... denkt, er kann so mit mir reden ... ich sollte es ihm zeigen." Er blickte hoch zu Irene, sein Ausdruck berechnend und voller Tücke. "Gib mir die Pistole, Mädchen."
"Ach, sei still", sagte sie und fühlte sich plötzlich sehr müde. "Sorge lieber dafür, dass ich nicht bedauern muss, ihn daran gehindert zu haben, dich zu töten."
Sie drehte sich um und ging langsam die Treppe hinauf. Zur Sicherheit würde sie die Pistolen mit in ihr Schlafzimmer nehmen, wo ihr Vater nicht an sie herankommen könnte.
"So spricht man nicht mit seinem Vater", bellte ihr Lord Wyngate hinterher. "Du solltest mir Respekt erweisen." Abrupt drehte Irene sich um. "Das werde ich, wenn du es verdienst", sagte sie hart.
"Du bist wirklich die schlechteste Tochter, die ein Vater nur haben kann", erwiderte er, und seine Augen wurden schmal. "Kein Mann wird dich heiraten, so wie du dich aufspielst. Und was wirst du dann machen, hm?"
"Froh und glücklich sein", kam Irenes knappe Antwort. "Nach allem, was ich hier erlebe, muss ein Leben ohne Ehemann wirklich angenehm sein. Ich werde niemals heiraten." Erfreut darüber, dass ihre Worte ihn wenigstens für den Moment mundtot gemacht hatten, drehte Irene sich um und stolzierte die Treppe hinauf..
Übersetzung: Birte Lilienthal
MIRA Taschenbuch Band 25602 © 2008 by Candace Camp Originaltitel: The Bridal Quest
Die Vordertür fiel mit einem Krachen ins Schloss. In der Bibliothek im oberen Geschoss drehte sich Lady Irene Wyngate überrascht um, und das Buch, das sie in der Hand hielt, fiel zu Boden. Es war schon weit nach Mitternacht, und alle im Haus außer ihr selbst schliefen bereits tief und fest. Tatsächlich war auch sie vor einer Stunde ins Bett gegangen. Aber weil sie nicht einschlafen konnte, war sie wieder aufgestanden, um in die Bibliothek zu huschen und ein Buch zum Lesen zu suchen. Eigentlich sollte niemand mehr auf sein - schon gar keiner, der die Tür ins Schloss warf.
Während sie noch lauschend dastand, wurde die Stille der Nacht von einem weiteren Krachen unterbrochen, diesmal gefolgt von einem Fluch. Irene entspannte sich und verzog das Gesicht. Auch wenn ihr die Erkenntnis keine Freude bereitete, wusste sie nun wenigstens, wer den Lärm im unteren Geschoss verursachte. Ohne Zweifel war ihr Vater, Lord Wyngate, nach Hause gekommen und stolperte nun in seinem üblichen betrunkenen Zustand herum.
Schnell beugte sie sich hinunter und hob das heruntergefallene Buch vom Boden auf. Dann nahm sie ihren Kerzenhalter und schlich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer. Auch wenn sie erst sechzehn Jahre alt war, war sie doch die Einzige, die sich ihrem tyrannischen Vater entgegenzustellen wagte. Schon häufig war sie dazwischen gegangen, wenn er sich wieder gegen ihre Mutter oder ihren Bruder wandte, die Menschen, an denen er am häufigsten seine Wut ausließ. Aber Irene war nicht dumm. Wie alle anderen versuchte sie, ihrem Vater aus dem Weg zu gehen, vor allem, wenn er sturzbetrunken nach Hause kam.
Leise eilte sie durch den Korridor und hoffte, dass sie es in den Schutz ihres Schlafzimmers schaffen würde, bevor ihr Vater in den ersten Stock hinaufkam. Von unten hörte sie eine wütende Stimme, laut und tief, gefolgt von der unverständlichen Antwort ihres Vaters. Irene blieb abrupt stehen. Sie runzelte die Stirn, während sie sich fragte, wer dort wohl mit ihrem Vater sprach. Dann hörte sie das laute Klatschen von Fleisch auf Fleisch und ein weiteres Krachen.
Irene eilte zu der Brüstung am oberen Ende der Treppe und spähte hinab in die Eingangshalle. Ihre Sicht wurde vom unteren Teil der gewundenen Treppe behindert, aber sie konnte ihren Vater ausgestreckt auf dem Rücken liegen sehen, die zersplitterten Reste einer Vase um ihn herum auf dem Perserteppich verteilt. Die gepuderte Perücke, die er immer noch trug, auch wenn sie unterdessen aus der Mode gekommen war, hing schief auf einer Seite seines kahlen Schädels wie ein kleines pelziges Tierchen. Blut lief aus seiner Nase.
Während Irene ihn noch fassungslos anstarrte, kam ein Mann in ihr Sichtfeld und ging mit langen Schritten zu Lord Wyngate hinüber. Der Fremde wandte ihr den Rücken zu, sodass sie nur sehen konnte, dass er groß war und wie ihr Vater einen schwarzen Abendanzug trug. Sein Haar trug er jedoch offen, da er auf eine altmodische Perücke verzichtet hatte.
Während Irene gebannt dastand, packte der Fremde ihren Vater bei den Rockaufschlägen und zog ihn unsanft auf die Füße. Lord Wyngate legte beide Hände gegen die Brust des Mannes und stieß ihn weg, allerdings ohne große Wirkung. "Verdammter Grünschnabel", knurrte er mit undeutlicher Stimme. "Wie können Sie es wagen."
"Ich wage noch verdammt viel mehr!", antwortete der andere Mann heftig und hob seine geballte Faust. Noch bevor der Schlag fiel, wirbelte Irene herum und lief in das Arbeitszimmer ihres Vaters. Sie eilte durch den Raum und öffnete eine der Glasvitrinen. Vorsichtig nahm sie einen Kasten von einem der Regale, stellte ihn auf den Schreibtisch und klappte ihn auf.
Vor ihr lagen, gebettet auf roten Samt, ein Paar Duellpistolen. Sie wusste, dass ihr Vater sie immer fertig geladen aufbewahrte, aber sie überprüfte es sicherheitshalber noch einmal, bevor sie aus dem Zimmer eilte, in jeder Hand eine Pistole. Je näher sie der Treppe kam, desto lauter wurden die Geräusche. Sie konnte die Männer nicht mehr sehen - ihre Position hatte sich leicht verändert -, aber der Lärm ließ keinen Zweifel daran, dass der Kampf noch immer andauerte.
Irene lief die Stufen bis zum ersten Absatz hinunter. Als sie um die Ecke kam, konnte sie sehen, dass die Männer miteinander rangen. In diesem Moment machte der Jüngere der beiden sich frei und rammte seine Faust in Lord Wyngates Magen. Als ihr Vater sich zusammenkrümmte, ließ der andere Mann die Faust hart nach oben schnellen und landete einen Volltreffer gegen das Kinn seines Gegners. Wyngate stolperte einige Schritte zurück und brach zusammen.
"Aufhören!", rief Irene. "Sofort aufhören!"
Keiner der Männer schenkte ihr jedoch Beachtung. Sie wandten sich ihr nicht einmal zu. Der Fremde ließ nicht von ihrem Vater ab, sondern streckte sogar wieder die Hand aus, um ihn ein weiteres Mal auf die Füße zu ziehen. "Aufhören!", schrie Irene noch einmal. Als sie sah, dass sie weiter ignoriert wurde, hob sie eine Pistole und feuerte in die Luft. Sie hörte das leichte Klirren, als die Kugel den Kronleuchter über ihr traf und einige der Kristalle zu Boden fielen.
Beide Männer erstarrten. Der Fremde richtete sich auf und drehte den Kopf in ihre Richtung, und auch ihr Vater lenkte seinen Blick zu ihr. Irene bemerkte ihren Vater kaum. Ihre Augen waren wie gebannt auf den anderen Mann gerichtet.
Er war groß, und seine breiten Schultern füllten seinen Anzug erstaunlich gut aus. Es war offensichtlich, dass sein Schneider es nicht nötig hatte, seinen Gehrock auszupolstern, um ihm die gewünschte Form zu geben. Sein Haar war schwarz wie die Nacht, und er trug es ein wenig länger, als die Mode es diktierte. Sein Gesicht schien nur aus scharfen Linien zu bestehen - attraktiv, aber doch hart und undurchdringlich. Die einzig sichtbaren Zeichen seiner Wut waren eine leichte Färbung auf seinen Wangenknochen und das unmissverständlich zornige Glitzern in seinen Augen.
Sie hatte schon attraktivere Männer als ihn gesehen. Es war etwas Raues, beinahe Rohes an ihm, das ihn eindeutig von den anderen, eleganteren Gentlemen der Gesellschaft unterschied, an die sie gewöhnt war. Und doch hatte er eine größere Wirkung auf sie als jeder Gentleman, den sie je getroffen hatte. Als sie ihn ansah, fühlte sie ein seltsames Ziehen in ihrem Körper, eine Art Aufruhr tief in ihrem Innersten, und sie hatte Mühe, den Blick von ihm abzuwenden. "Irene?", keuchte Lord Wyngate und kam mühsam auf die Beine.
"Natürlich bin ich es", antwortete sie, nicht sicher, ob sie sich mehr über ihren Vater ärgerte, der so ein Chaos in ihr Haus brachte, oder über den unbekannten Mann, der solch seltsame und beunruhigende Gefühle in ihr weckte. "Wer sollte es wohl sonst sein?"
"Gutes Mädchen", nuschelte Wyngate, der leicht hin und her schwankte. "Wusste, ich kann mich auf dich verlassen."
Irene presste die Lippen zusammen. Es verdross sie, dass sie ihrem Vater helfen musste.
Seit sie denken konnte, war ihr Vater die Hauptursache für Unglück und Sorge im Leben jeder Person um ihn herum gewesen. Die Dienerschaft, ihre Mutter, ihr Bruder und sie selbst lebten in ständiger Furcht vor ihm. Er hatte ein unberechenbares Temperament, ein unstillbares Verlangen nach Alkohol und geriet immer wieder in Scherereien. Als Kind hatte sie nur gewusst, dass er ihre Mutter zum Weinen und die Dienerschaft zum Zittern brachte. Sie hatte gelernt, ihm aus dem Weg zu gehen, vor allem, wenn er betrunken war. Mit zunehmendem Alter durchschaute sie seine vielen Sünden immer besser - das Spielen und das Huren, das mit seiner Trunksucht Hand in Hand ging, seine vielen Exzesse, sowohl die finanziellen als auch die des Fleisches. Lord Wyngate war ein Wüstling, und noch schlimmer, häufig auch ein grausamer Mann, der die Angst, die die Menschen um ihn herum fühlten, genoss. Irene war trotzdem beigebracht worden, dass sie ihn lieben solle und dass er Respekt verdiene, weil er ihr Vater war. Diese Lektion hatte sie nie wirklich verinnerlicht. Sie wusste, dass sie kein so guter Mensch war, ihm einfach zu vergeben oder ihn trotz all seiner Fehler zu lieben, so wie ihre Mutter es anscheinend konnte. Anders als ihr Bruder Humphrey machte sie auch nicht immer das, was von ihr erwartet wurde, und fühlte sich nicht verpflichtet, ihm Loyalität und Respekt entgegenzubringen, nur weil die Tradition es verlangte.
Wenn jemand Vater angreift, dachte Irene, hat er es vermutlich verdient. Trotzdem war er ihr Vater, und sie konnte diesem Fremden nicht einfach erlauben, ihn zu töten.
"Denkst du nicht, dass es ein bisschen spät ist, um sich in der Eingangshalle zu prügeln?", fragte sie in dem kalten Kommandoton, der bei ihrem Vater immer noch die größte Wirkung zeigte, wie sie inzwischen wusste. Lord Wyngate zog seinen Gehrock glatt und klopfte ihn in der ungeschickten, vorsichtigen Art der Betrunkenen ab. Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und blickte dann mit offensichtlicher Überraschung auf das Blut in seiner Handfläche.
"Verdammt! Ich glaube, Sie haben mir die Nase gebrochen, Sie betrügerischer Parvenü!" Lord Wyngate sah den anderen Mann finster an. Doch sein Gegner gönnte ihm nicht einen einzigen kurzen Blick. Seine Augen blieben auf Irene gerichtet.
Erst jetzt ging ihr auf, wie sie aussehen musste. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, einen Morgenmantel über ihr Nachthemd zu ziehen. Ihre Füße waren nackt, und ihr dickes blondes Haar ergoss sich in wilder Unordnung über Schultern und Rücken.
Ihr wurde bewusst, dass die Wandleuchter vom oberen Stockwerk Licht von hinten auf sie warfen und dem Mann die Silhouette ihres unter dem Baumwollnachthemd nackten Körpers enthüllten. Sie errötete von Kopf bis Fuß. Warum konnte er nicht wegsehen? Ganz offensichtlich war der Mann ein schrecklicher Grobian ohne jegliche Manieren.
Leicht hob sie das Kinn und erwiderte seinen Blick. Dieser Flegel sollte auf keinen Fall merken, wie verlegen sie war. Aus dem Augenwinkel sah sie jedoch, wie ihr Vater rückwärts schlich und seine Hand um eine kleine Statue legte, die auf einem Sockel an der Wand stand. Er hob sie hoch und bewegte sich auf den anderen Mann zu.
"Nein!", stieß Irene heftig aus und richtete die geladene Pistole in ihrer linken Hand auf ihren Vater. "Stell das sofort wieder hin!" Lord Wyngate bedachte seine Tochter mit einem beleidigten Blick, stellte die Statue aber zurück an ihren Platz.
Der andere Mann sah kurz zu Lord Wyngate hinüber, während sein Mund sich verächtlich verzog. Dann wandte er sich von ihm ab und deutete eine Verbeugung an. "Danke, Mylady." Seine Stimme war tief und rau, sein Akzent nicht der eines Gentlemans.
"Ich ziehe es vor, dass nicht noch mehr Blut auf dem Perserteppich verteilt wird", antwortete Irene scharf. "Er ist viel zu schwierig zu reinigen."
Ihr Vater lehnte, offensichtlich immer noch beleidigt, an der Wand und weigerte sich, sie anzusehen. Zu ihrer Überraschung lachte der andere Mann auf, und sein amüsierter Blick ließ sein Gesicht weicher erscheinen. Sie konnte sich ein Lächeln gerade noch verkneifen.
"Kaum zu glauben, dass dieser alte Bock eine so schöne Tochter hat", sagte der Mann. Irene verzog das Gesicht, genauso verärgert über sich selbst wie über ihn. Der Mann besaß ein gehöriges Maß Frechheit, sie so anzugrinsen. Und wie hatte sie nur versucht sein können, das Lächeln des Halunken zu erwidern? "Ich denke, Sie sollten jetzt gehen", beschied sie. "Sonst wäre ich gezwungen, die Dienerschaft zu rufen und Sie hinauswerfen zu lassen." Er hob eine Augenbraue, um ihr zu zeigen, wie wenig ihn ihre Drohung beeindruckte. "Natürlich. Ich will auf keinen Fall weiter Ihre Ruhe stören." Er trat zu Lord Wyngate, der nervös ein wenig zurückwich, packte ihn am Hemdkragen und beugte sich drohend vor.
"Wenn mir je zu Ohren kommt, dass Sie Dora wieder belästigt haben, komme ich zurück und breche Ihnen jeden einzelnen Knochen im Leib. Haben wir uns verstanden?" Das Gesicht ihres Vaters färbte sich rot vor Wut, aber er nickte.
"Und kommen Sie niemals wieder in mein Etablissement. Niemals." Der Fremde sah ihren Vater wieder eindringlich an, ließ ihn dann los und ging mit langen Schritten auf die Haustür zu. Er öffnete sie, drehte sich noch einmal um und blickte zurück die Treppe hoch zu Irene.
Ein leicht sarkastisches Lächeln spielte um seine Lippen. "Gute Nacht, Mylady. Es war mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen." Dann verbeugte er sich und verschwand. Irene atmete auf. Erst jetzt bemerkte sie, wie angespannt sie gewesen war. Ihre Knie fühlten sich weich an, und sie ließ die Hand fallen. "Wer war das?", fragte sie.
"Niemand", antwortete ihr Vater und wandte sich zur Treppe. Seine Schritte waren unsicher, und er musste nach dem Geländer greifen, um nicht zu stolpern. "Dreckiger Rüpel ... denkt, er kann so mit mir reden ... ich sollte es ihm zeigen." Er blickte hoch zu Irene, sein Ausdruck berechnend und voller Tücke. "Gib mir die Pistole, Mädchen."
"Ach, sei still", sagte sie und fühlte sich plötzlich sehr müde. "Sorge lieber dafür, dass ich nicht bedauern muss, ihn daran gehindert zu haben, dich zu töten."
Sie drehte sich um und ging langsam die Treppe hinauf. Zur Sicherheit würde sie die Pistolen mit in ihr Schlafzimmer nehmen, wo ihr Vater nicht an sie herankommen könnte.
"So spricht man nicht mit seinem Vater", bellte ihr Lord Wyngate hinterher. "Du solltest mir Respekt erweisen." Abrupt drehte Irene sich um. "Das werde ich, wenn du es verdienst", sagte sie hart.
"Du bist wirklich die schlechteste Tochter, die ein Vater nur haben kann", erwiderte er, und seine Augen wurden schmal. "Kein Mann wird dich heiraten, so wie du dich aufspielst. Und was wirst du dann machen, hm?"
"Froh und glücklich sein", kam Irenes knappe Antwort. "Nach allem, was ich hier erlebe, muss ein Leben ohne Ehemann wirklich angenehm sein. Ich werde niemals heiraten." Erfreut darüber, dass ihre Worte ihn wenigstens für den Moment mundtot gemacht hatten, drehte Irene sich um und stolzierte die Treppe hinauf..
Übersetzung: Birte Lilienthal
MIRA Taschenbuch Band 25602 © 2008 by Candace Camp Originaltitel: The Bridal Quest
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Autoren-Porträt von Candace Camp
Candace Camp wollte schon immer Autorin werden: Seit sie zehn Jahre alt ist, schreibt sie ihre Geschichten auf. Für ihre über 60 Romane hat sie inzwischen viele Auszeichnungen erhalten, doch die sind ihr nicht wichtig. Die Bestseller-Autorin möchte mit ihren leidenschaftlichen Erzählungen vor allem die Herzen ihrer Leser berühren und das gelingt ihr immer wieder!
Bibliographische Angaben
- Autor: Candace Camp
- 2012, 348 Seiten, Maße: 12,5 x 18,9 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Birte Lilienthal
- Verlag: MIRA Taschenbuch
- ISBN-10: 3862783332
- ISBN-13: 9783862783335
- Erscheinungsdatum: 12.06.2012
Rezension zu „Geheimnis um Mitternacht “
"Ein wunderbarer Roman, der den Leser bis zum Ende in Atem hält - einem Ende übrigens, auf dass es sich unbedingt zu warten lohnt." - Publishers Weekly
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