Gelassen stieg die Nacht ans Land
Gelassenstieg die Nacht ins Land von Eduard Mörike
LESEPROBE
INHALT
Erzählungen
Lucie Gelmeroth
Der Schatz
Der Bauer und sein Sohn
Die Hand der Jezerte
Das Stuttgarter Hutzelmännlein
Anhang
Mozart auf der Reise nach Prag
Geschichte von der silbernen Kugel
Gedichte
Idylle vom Bodensee
Anmerkungen
Wispeliaden
Sommersprossen
Wispel auf Reisen
SELBSTGESTÄNDNIS
Ich bin meiner Mutter einzig Kind,
Und weil die andern ausgebliebensind,
Was weiß ich wieviel, die sechs odersieben,
Ist eben alles an mir hängenblieben;
Ich hab müssen die Liebe, die Treue,die Güte
Für ein ganz halb Dutzend alleinaufessen,
Ich wills mein Lebtag nichtvergessen.
Es hätte mir aber noch wohl mögenfrommen,
Hätt ich nur auch Schläg für sechsebekommen.
RESTAURATION
nachDurchlesung eines Manuskripts mit Gedichten
Das süße Zeug ohne Saft und Kraft!
Es hat mir all mein Gedärmerschlafft.
Es roch, ich will des Henkers sein,
Wie lauter welke Rosen undKamilleblümlein.
Mir ward ganz übel, mauserig, dumm,
Ich sah mich schnell nach wasTüchtigem um,
Lief in den Garten hinterm Haus,
Zog einen herzhaften Rettich aus,
Fraß ihn auch auf bis auf denSchwanz,
Da war ich wieder frisch und genesenganz.
ZUR WARNUNG
Einmal nach einer lustigen Nacht
War ich am Morgen seltsam aufgewacht:
Durst,Wasserscheu, ungleich Geblüt;
Dabei gerührt und weichlich imGemüt,
Beinah poetisch, ja, ich bat dieMuse um ein Lied.
Sie, mit verstelltem Pathos,spottet mein,
Gab mir den schnöden Bafel ein:
»Es schlagt eine Nachtigall
Am Wasserfall;
Und ein Vogel ebenfalls,
Der schreibt sich Wendehals,
Johann Jakob Wendehals;
Der tut tanzen
Bei den Pflanzen
Obbemeldten Wasserfalls - «
So ging es fort; mir wurde immerbänger.
Jetzt sprang ich auf: zum Wein! Derwar denn auch mein Retter.
- Merkt s euch, ihr tränenreichenSänger,
Im Katzenjammer ruft man keineGötter!
ALLES MIT MASS
Mancherlei sind es der Gaben, diegütige Götter den Menschen
Zum Genusse verliehn, sowie für dietägliche Notdurft.
Aber vor jeglichem Ding begehr ichgebratenen Schweinsfuß.
Meine Frau Wirtin, die merkt s, nunhab ich alle Tag
Schweinsfüß.
Öfters im Geist ahnt mir: jetzt istkein einziger Schweinsfuß
Mehr in der Stadt zu erspähn: washab ich am Abende?
Schweinsfüß!
Spräche der König nun gleich zumHofkoch: Schaffe mir
Schweinsfüß!
Gnade der Himmel dem Mann, dennnirgend mehr wandelt ein
Schweinsfuß.
Und ich sagte zur Wirtin zuletzt:»Nun laßt mir die
Schweinsfüß!
Denn er schmeckt mir nicht mehr wiesonst, der bräunliche
Schweinsfuß.«
Aber sie denkt, aus Zartgefühl nurverbät ich die Schweinsfüß,
Lächelnd bringet sie mir auch heutegebratenen Schweinsfuß -
Ei so hole der Teufel auf ewig diehöllischen Schweinsfüß!
DER SCHATZ
Novelle
Im ersten Gasthofe des Bades zu K* verweilte eines Abendseine kleine Gesellschaft von Damen und Herrn im großen Speisesaale, der nurnoch sparsam erleuchtet war. Der Hofrat Arbogast, ein munterer, kurzweiliger,obgleich etwas eigener Mann von imposanter Gestalt, schon in den Fünfzigen,schickte sich an, eine Geschichte zu erzählen. Er war, durch rätselhafteUmstände begünstigt, vom Goldschmied aus sehr schnelle zur Bedienung des damalssogenannten königlichen Schatzmeisteramtes in Achfurth gelangt, und eineZeitlang gingen im höhern Publikum seltsame Sagen darüber, indem man nichtumhin konnte, die Sache mit einer, auf keinen Fall ganz grundlosenGespenstergeschichte, welche den Hof zunächst anging, in Verbindung zu bringen.
Nun wurde man auch gegenwärtig wieder durch eine lustige Wendung,die das Gespräch genommen hatte, von selbst auf diesen Gegenstand geführt, undda man dem Hofrat mit allerlei Späßen und Anspielungen stets näher auf den Leibrückte, versprach er der Gesellschaft auf die Gefahr hin Genüge zu tun, daß manUnglaubliches zu hören bekommen und sich am Ende ganz gewiß bitter beklagenwürde, als wenn er sie mit einem bloßen Kindermärchen hätte abspeisen wollen.»Es ist einerseits schade«, fügte er bei, »daß meine Frau sich heute so frühzurückgezogen hat. Da das, was Sie vernehmen sollen, ein Stück aus ihrem, wieaus meinem Leben ist, so könnten wir uns beide füglich in die Erzählung teilen,Sie hätten jedenfalls sogleich die sicherste Kontrolle für meine Darstellung anihr. Auf der andern Seite gewinnt aber diese vielleicht an Unbefangenheit undhistorischer Treue - « »Nur zu! nur angefangen!« riefen einige Damen: »Wir sindnicht allzu skrupulös, und die Kritik, wer Lust zu zweifeln hat, steht nachherjedem frei.«
Wohlan! In Egloffsbronn, einer der ältesten Städte desKönig- reichs, lebte mein Vater, ein wackerer Goldschmied. Ich, als der einzigeSohn, sollte dieselbe Kunst dereinst bei ihm erlernen, allein er starbfrühzeitig, und für das größte Glück war es daher zu halten, daß mich HerrVetter Christoph Orlt, der erste Goldarbeiter in der Hauptstadt, umsonst in dieLehre aufnahm. Ich hatte große Lust an dem Geschäft und war so fleißig, daß ichnach fünf Jahren als zweiter Gesell in der Werkstatt saß. Mein gutes Mütterleinwar indes auch gestorben. Wie gern gedacht ich ihrer, wenn ich in Feierstundenoft an meinem Eckfenster allein zu Hause blieb, mit welcher Ehrfurcht zog ichdann zuweilen ein gewisses Angebinde hervor, welches ich einst aus ihrer Handempfing! Es war am Tag der Konfirmation. Ich hatte nach der Abendkirche mit denandern Knaben und Mädchen einen Spaziergang gemacht - wie das so Sitte bei unsist, daß die festliche Schar mit großen Blumensträußen an der Brust zusammen vordas Tor spaziert - und war nun eben wieder heimgekommen, da holte meine Mutteraus dem Schrank ganz hinten ein kleines wohlversiegeltes Paket hervor, woraufgeschrieben stand: »Franz Arbogast am Tage seiner Einsegnung treulich zu übergeben.«Die Mutter versicherte mir, sie wisse nicht, woher es eigentlich komme, ich seinoch ein kleiner Bube gewesen, als sie es eines Morgens auf dem Herd in derKüche gefunden. Mir klopfte das Herz vor Erwartung; ich durfte den Umschlag miteigenen Händen erbrechen, und was kam heraus? Ein Büchlein, schwarz in Korduangebunden, mit grünem Schnitt, die Blätter schneeweiß Pergament, mit allerleiSprüchen und Verslein, von einer kleinen, gar niedlichen Hand fast wie gedrucktbeschrieben. Der Titel aber hieß:
Schatzkästlein,zu Nutz und Frommeneines Jünglingen, so als ein Osterkind geboren ward, in 100 Reguln allgemeinerLehr, nebst einer Zugab für sondere Fäll in Handel und Wandel; wahrhaftigabgefasset von Dorothea Sophia von R.
© Artemisund Winkler Verlag
- Autor: Eduard Mörike
- 2004, 2, 588 Seiten, Maße: 12,2 x 19,4 cm, Gebunden, Deutsch
- Hrsg. u. Nachw. v. Helmut Koopmann
- Verlag: Artemis & Winkler
- ISBN-10: 3538069794
- ISBN-13: 9783538069794
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