Götterdämmerung
Dabei stößt er immer wieder auf den Pharmakonzern Livion - und schließlich mitten in ein Wespennest von politischen und wissenschaftlichen Verstrickungen.
Die...
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Dabei stößt er immer wieder auf den Pharmakonzern Livion - und schließlich mitten in ein Wespennest von politischen und wissenschaftlichen Verstrickungen.
Die Suche nach der Wahrheit führt ihn zu Beatrice, die in einem Sicherheitslabor mit Unvorstellbarem experimentiert.
Wissensdurst und Machtgier sind zentrale Themen des neuen Romans der Bestsellerautorin Tanja Kinkel. Götterdämmerung ist ein brisanter Thriller über die Gefahren der Gentechnik und skrupellose Wissenschaftler - packend, bedrohlich und von erschreckender Aktualität!
Götterdämmerungvon Tanja Kinkel
LESEPROBE
Er war wach. Spürte einen fremden Geschmack auf seinenLippen. Es hatte etwas Verstörendes: Das waren nicht die Zigaretten; er rauchteseit ein paar Monaten nicht mehr, aber es wunderte ihn nie wirklich, wenn erdoch manchmal der Versuchung nachgab. Leichter wäre es für ihn, nicht zu
rauchen,wenn nicht überall diese lächerlichen Verbotsschilder hingen. Von seineminneren Anarchisten war über die Jahre vielleicht nicht mehr viel geblieben,Verbote aber lockten ihn wieder hervor.
Es warkein Zitroneneis, auch nicht der billige Fusel, den Ginny ihren Gästenservierte. Anders als mit den Zigaretten hatte er mit Alkohol nie ein Problemgehabt, und er fand es auf seine eigene Weise amüsant zu beobachten, wie derRest einer Gesellschaft sich durch ständig steigernde
Lustigkeitgegenseitig übertreffen wollte, während ihn Alkohol eher ruhig machte. »Das istder Snob in dir«, hatte Matt einmal bemerkt und natürlich Recht gehabt.
Er fühltesich benommen und desorientiert, doch wieder einzuschlafen war keine Lösung.Nicht nach seinem Traum. Wieder fuhr er mit der Zunge über Zähne und Lippen,seine Verwirrung wuchs. Parfüm und Schweiß, eine Mischung, die ihm neu war. Einunbekannter Geschmack in seinem Mund, ein fremder Geruch auf seiner Haut. Einteures Parfüm, so wie man es verwendet, wenn man den eigenen Körpergeruchverbergen will. Der Name, er versuchte sich an ihren Namen zu erinnern. EinBild schob sich stattdessen in sein Gedächtnis, der schönste Po, den er seitlangem gesehen hatte. Nur das Tattoo darauf hatte ihn gestört; chinesischeSchriftzeichen, die ihn unweigerlich an die Speisekarte eines chinesischenRestaurants denken ließen. Aber es waren hinreißende Formen, die er ganz seinemTastsinn überlassen hatte. Und dennoch wusste er: Es war wieder eine Nachtgewesen, die er bereuen würde.
DieErkenntnis kam, wie üblich, zu spät. Verstört setzte er sich auf. Im grauen,kühlen Licht, das
durch dasDachlukenfenster in sein Schlafzimmer fiel, sah er, dass er allein war. Erversuchte nicht allzu erleichtert zu sein. Ihre blonden Haare hatten ihn einwenig an Deirdre erinnert. Er hatte sie bei Ginny getroffen, aber ihr Name fielihm immer noch nicht ein. Ihr Verschwinden ersparte ihm zumindest diePeinlichkeit einer morgendlichen Unterhaltung. Auf dem Boden, nicht unweitseiner zerknüllten Jeans, lag ein dünnes ledernes Etwas. Erst beim zweitenHinschauen erkannte er sein Portemonnaie. Was ihm das Erkennen erschwerte, warder Umfang. Neil stand auf und fischte das dünne Lederding vom Boden auf. Leer.Nicht nur die Scheine, nein, auch die Kreditkarten. Er stutzte einen Momentlang, dann musste er lachen.
Sie warwirklich hungrig gewesen.
Das Lachenpackte und schüttelte ihn und ließ ihn mit einem Gefühl der Erleichterungzurück. Eigene Dummheit. Im Grunde hätte er wütend sein müssen. Aber wie jedesandere intensive Gefühl seit Jahren ließ sich auch sein Ärger nicht einfachhervorkitzeln. Immerhin fiel ihm ein, dass er zumindest die Kreditkartensperren lassen sollte. Er versuchte sich zu erinnern, wo er die Nummer der Bankgelassen hatte. Irgendwo in seinem Arbeitszimmer, in dem Haufen, der seinen Schreibtischdekorierte, aber wo? Die Uhr neben seinem Bett zeigte ihm, dass es kurz nachneun war. Zu früh für irgendwelche Studenten, um unangemeldet bei ihmaufzutauchen, denn er hatte heute keine Termine vereinbart. Ohne sichanzuziehen, ging er in sein Büro hinüber, das wie sein Schlafzimmer direktunter dem Dach lag. Matt hatte ihn für verrückt erklärt. Sich für viel Geld indiesem alten Haus einzumieten, das noch nicht einmal über eine vernünftigeKlimaanlage verfügte, um dann im Sommer halb zu ersticken, erschien ihm sounlogisch wie das meiste, was Neil in der letzten Zeit tat. »Du vergisst, woich herkomme«, hatte Neil erwidert, und in dem übertriebensten Cajun-Akzent, zudem er in der Lage war, hinzugefügt: »Für uns Jungs aus dem Süden wird es beieuch Eskimos nie richtig heiß, Mister.« Ganz im Gegenteil, dachte er jetzt,während er den Container unter seinem Schreibtisch hervorzog und in denSchubladen wühlte. Es war Februar, und in Neuengland lief das auf Schneehinaus. Abdichtungen hin, Abdichtungen her, er bildete sich ein, den frostigenWind sogar hier zu spüren. Die Schubladen waren eindeutig durchsucht worden,und nicht von ihm. Er fragte sich, warum er nichts, aber auch gar nichts gehörthatte, bis auf das leise Schnappen des Türschlosses, falls das nicht auch zuseinem Traum gehört hatte. So arbeiteten Profis. Sein Briefbeschwerer fiel ihm ein,und er schaute hastig auf die Tischplatte. Kein silberner Pelikan zwischen denZetteln. Er unterdrückte einen Fluch, und langsam meldete sich der Ärger, aufden er die ganze Zeit gewartet hatte. Das war nicht irgendein Briefbeschwerergewesen, sondern ein Geschenk zum Collegeabschluss.
SeinNotebook, das er immer auf Reisen mitnahm, stand auch nicht neben demSchreibtisch; wahrscheinlich würde er das Gerät auch sonst nirgendwo entdecken.Wenigstens war der reguläre Computer zu sperrig für das Miststück gewesen. Erüberlegte, ob er irgendwelche Dateien auf dem Notebook hatte, die nicht auf demFestgerät oder Disketten gesichert waren. Vorerst fiel ihm zu seinerErleichterung nichts ein, aber bei seinem Glück würde sich das schnell ändern.
Wenigstensfand er sein Adressbuch. Es enthielt zwar die Nummern fast aller Antiquariatevon Cambridge, aber nicht die seiner Bank. Da ihm eindeutig die Lust fehlteweiterzusuchen, entschied er sich für den einfachsten Weg und rief Deirdre an.Ihre Nummern, die private, die ihres Büros und die ihres Handys, waren alle inseinem Telefon gespeichert; er brauchte sie nur abzurufen. Sie selbst hattejede einzelne Nummer eingegeben, als sie die Kinder das erste Mal bei ihmallein ließ.
»Ich kennedich«, hatte sie gesagt. »Falls etwas passiert, will ich nicht, dass du mirspäter erzählst, du hättest dich in der Aufregung nicht mehr an all die Zahlenerinnern können. Du rufst mich auf der Stelle an.«
Um dieseUhrzeit arbeitete sie natürlich schon. Als sie sich mit »Büro von SenatorCunningham« meldete, die Stimme geübt in freundlichem Optimismus, spürte er diealte Versuchung, sie zu verletzen und zu fragen, ob alle Senatoren ihreAngestellten zum Training zu Ansagediensten schickten, damit sie auch wirklichunpersönlich klängen.
Erschluckte die Worte hinunter, was ihm nicht weiter schwer fiel. Die Scheidunglag nun schon fast zwei Jahre zurück, und die Bitterkeit darüber kostete wiejedes andere heftige Gefühl dieser Tage Mühe.
»Deirdre«,sagte er ohne jede weitere Einleitung, »mir sind meine Kreditkarten abhandengekommen. Frag mich bitte nicht, wie. Ich weiß, dass ich mir die Nummernirgendwo notiert habe, aber ich finde sie nicht. Ganz zu schweigen von derDurchwahl meiner Bank. Kannst du mir aushelfen?«
Um dasSchweigen am anderen Ende zu füllen, fügte er hinzu: »Sonst bleibt mir nächstenMonat wirklich nur noch die Ausrede mit dem Scheck, der irgendwo bei der Postliegen muss, was den Unterhalt für die Kinder angeht.«
Sieseufzte. »Neil«, sagte sie, »es sind jetzt bald zwei Jahre.«
»Ichweiß«, erwiderte er und stellte fest, dass seine Stimme unerwartet heiserklang.
»Dasbezweifle ich. Es kommt mir eher so vor, als ob du den Eindruck hast,geschieden sein bedeutet, nur noch die Vorteile einer Ehe zu haben und keineder Verpflichtungen. Ich bin nicht länger dein Mädchen für alles. Dir deinLeben bequemer zu machen, ist nicht mehr mein Job.«
»Glaubmir«, gab er zurück, schärfer, als er beabsichtigt hatte, »ich weiß sehr gut,was dein Job ist. Und wo deine Prioritäten liegen.«
Er hörte,wie sie rasch Luft holte. Die Anschuldigung, die er nicht aussprach, dieungesagten Worte, die als kleine elektronische Funken irgendwo zwischenCambridge und Washington durch ein Gewirr von Kabeln tanzten, kleine grüneFunken, weil Grün für ihn die Farbe der Enttäuschung war. Nein, er würdeDeirdre nicht um Verzeihung bitten.
»Also gut,ich erledige die Sache mit den Kreditkarten«, sagte sie nach einem kurzenZögern, spröde und sachlich, als erteile sie einem unerwünschten ReporterAuskunft über den Terminplan ihres Senators. Nun, er war so etwas wie einunerwünschter Reporter. Mit immer noch gültigem Presseausweis, dankgelegentlicher Artikel für die UPI. »Ich wusste, dass du die Nummern nochhast«, sagte er.
»Danke.«
»Dieseseine Mal noch. Aber wenn du mich das nächste Mal anrufst, dann bitte nur nochwegen der Kinder.«
»Nichteinmal ein Dankesanruf, wenn meine neuen Karten kommen?«, fragte er, aber sieweigerte sich, auf seinen spöttischen Tonfall einzugehen.
»Neil«,entgegnete sie, und er wusste, dass sie sich immer noch auf die Worte bezog,die nicht zwischen ihnen gefallen waren, »es war deine Schuld. Du bistderjenige, der den Karren in den Dreck gefahren hat, aus reiner Sturheit. Undwenn du glaubst, du bringst mich dazu, ein schlechtes Gewissen zu haben, nurweil ich rechtzeitig mit den Kindern abgesprungen bin, dann täuschst du dich.«
Sie legteauf. Das Freizeichen hallte unerwartet laut in seinen Ohren. Das Schlimmstewar, dass er sie verstand. Er wünschte sich, sie und ihre Meinungen könnten ihmgleichgültig sein. Nicht Hass war der Tod der Liebe, dachte Neil,Gleichgültigkeit war es. Vielleicht würde es ihm leichter fallen, sämtlicheGefühle ihr gegenüber endgültig zu verlieren, wenn sie sich so weit veränderthätte, dass er an ihr nur noch den Namen erkannte. Doch ihre Ansichten, ihreReaktionen, all das war ihm so vertraut wie der Körper, der auch nach zweiKindern und fünfzehn Jahren Ehe immer noch der jener jungen Frau war, die ihnund Matt kurz vor dem Vietnam Memorial beim Joggen überholt hatte. Wenn erwollte, konnte er sich ihre Leggins ins Gedächtnis zurückrufen und die Art, wieihr zu einem Pferdeschwanz gebundenes Haar auf den Schultern wippte, seineeigene Verblüffung, dass eine Frau schneller war. An jenem Tag hatte er keinenBlick auf ihr Gesicht werfen können; sie war einfach zu schnell. Er hatte sichdamit getröstet, dass sie trotz der aufregenden Figur wahrscheinlichdurchschnittlich und langweilig aussehen würde, verbissen, und mit Sicherheit
eineunangenehme Stimme hatte, dass es besser wäre, nur die kurze Vision einergriechischen Göttin, die in einem etwas zu engem T-Shirt und grauen Legginsdurch das Grün der Mall lief, im Gedächtnis zu behalten, als von derWirklichkeit enttäuscht zu werden.
Aber inder darauf folgenden Woche holte sie ihn wieder ein, obwohl er durchaus in Formwar und sein altes College-Training wieder etwas aufpoliert hatte. In derdritten Woche blickte er ständig über die Schulter, immer in der Hoffnung, siewürde auftauchen. Matt machte sich so lange über ihn lustig, bis Neil stehen bliebund alles um sich vergaß, als er Deirdre das erste Mal wirklich zu Gesicht bekam.Es war das Versprechen einer wunderbaren Zukunft, das ihn an diesem Taganblickte, und nach all den Jahren war er sich immer noch nicht sicher, ob eroder sie dieses Versprechen zuerst gebrochen hatte.
Neilzuckte mit den Achseln. Die Kälte des Bostoner Morgens vertrieb die Erinnerungan die sonnendurchwärmten Tage in Washington. Er kehrte in sein Schlafzimmerzurück, schnappte sich Boxershorts und eine frische Jeans und ging in dasBadezimmer, um zu duschen. Im Vorbeigehen sah er aus den Augenwinkeln seinSpiegelbild und blieb einen Moment stehen. Er war für einen Mann von Anfangvierzig noch gut in Form; das war es nicht, was ihn erschreckte. Was ihnverstörte, war, dass der Kerl dort im Spiegel, der dunkelhaarige Mann mit denangegrauten Schläfen, der dringend einen Haarschnitt brauchte und dessen leichtvornübergebeugte Schultern verrieten, dass er den überwiegenden Teil seinesLebens sitzend verbrachte, ihm so bekannt vorkam. Es war sein Vater, der ihm daentgegenschaute, sein verachteter und verabscheuter Vater, der seine TräumeStück für Stück verkauft hatte und alle Welt dafür verantwortlich machte, nurnicht sich selbst.
Er musstesein Leben ändern.
© Verlagsgruppe Droemer Knaur
- Autor: Tanja Kinkel
- 2005, 544 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426628163
- ISBN-13: 9783426628164
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