Goldstück
Roman
Maike glaubt, vom Pech verfolgt zu sein. Denn gerade hat sie ihr Freund verlassen. Und als sie sich an einem Sonnenstudio beteiligt, bricht ausgerechnet ein Jahrhundertsommer an. Prima. Doch manchmal muss man einfach ganz fest an etwas glauben, damit sich Wünsche erfüllen.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Goldstück “
Maike glaubt, vom Pech verfolgt zu sein. Denn gerade hat sie ihr Freund verlassen. Und als sie sich an einem Sonnenstudio beteiligt, bricht ausgerechnet ein Jahrhundertsommer an. Prima. Doch manchmal muss man einfach ganz fest an etwas glauben, damit sich Wünsche erfüllen.
Klappentext zu „Goldstück “
"Wusstest du, dass der Schmetterling ein Sinnbild der Verwandlung ist?", fragt er."Die Raupe stirbt nicht, sie verwandelt sich in einen wunderschönen Schmetterling. Verstehst du? Es geht immer weiter. Das Leben ist nicht einfach zu Ende, es verändert sich."
Maike wäre gern glücklich verliebt, berufl ich erfolgreich und rundherum zufrieden. Leider ist sie das genaue Gegenteil, und zwar in allen Punkten. Ihre Cousine Kiki ist trotzdem der festen Überzeugung, dass Maikes Leben ein echtes Wunschkonzert sein könnte - sie müsste es nur wirklich wollen. Aber Wünsche können nicht nur ungeahnte Kräfte freisetzen, sondern auch erstaunliche Folgen haben ...
Gefühlvoll und turbulent: Der neue Roman der Autorin der Bestseller Sternschnuppen und Trostpflaster!
"Wusstest du, dass der Schmetterling ein Sinnbild der Verwandlung ist?", fragt er.
"Die Raupe stirbt nicht, sie verwandelt sich in einen wunderschönen Schmetterling. Verstehst du? Es geht immer weiter. Das Leben ist nicht einfach zu Ende, es verändert sich."
Maike wäre gern glücklich verliebt, berufl ich erfolgreich und rundherum zufrieden. Leider ist sie das genaue Gegenteil, und zwar in allen Punkten. Ihre Cousine Kiki ist trotzdem der festen Überzeugung, dass Maikes Leben ein echtes Wunschkonzert sein könnte - sie müsste es nur wirklich wollen. Aber Wünsche können nicht nur ungeahnte Kräfte freisetzen, sondern auch erstaunliche Folgen haben ...
Gefühlvoll und turbulent: Der neue Roman der Autorin der Bestseller Sternschnuppen und Trostpflaster!
"Die Raupe stirbt nicht, sie verwandelt sich in einen wunderschönen Schmetterling. Verstehst du? Es geht immer weiter. Das Leben ist nicht einfach zu Ende, es verändert sich."
Maike wäre gern glücklich verliebt, berufl ich erfolgreich und rundherum zufrieden. Leider ist sie das genaue Gegenteil, und zwar in allen Punkten. Ihre Cousine Kiki ist trotzdem der festen Überzeugung, dass Maikes Leben ein echtes Wunschkonzert sein könnte - sie müsste es nur wirklich wollen. Aber Wünsche können nicht nur ungeahnte Kräfte freisetzen, sondern auch erstaunliche Folgen haben ...
Gefühlvoll und turbulent: Der neue Roman der Autorin der Bestseller Sternschnuppen und Trostpflaster!
Lese-Probe zu „Goldstück “
Goldstück von Anne HertzProlog
Genau einen Monat ist es jetzt her, dass mich mein Freund Gunnar von heute auf morgen verlassen hat. Mit den Worten »Bitte melde dich nicht mehr bei mir« marschierte er aus meiner Wohnung und ließ mich zurück in meiner Bettwäsche, die noch nach ihm roch, mit einer von ihm halb ausgetrunkenen Tasse Kaffee auf dem Küchentisch und einem E-Mail-Fach, vollgestopft mit herzerwärmenden Liebesbekundungen, die er mir im Verlauf unserer zweijährigen Beziehung geschrieben hatte. Das alles traf mich in einem ohnehin schon sehr krisengebeutelten Zustand. Denn drei Wochen zuvor war ich zum zweiten Mal mit Pauken und Trompeten durch mein Erstes Juristisches Staatsexamen gefallen und musste nun der deprimierenden Tatsache ins Auge blicken, dass die vergangenen zehn Jahre Studium für nichts und wieder nichts waren und ich vermutlich den Rest meines Lebens in dem Sonnenstudio, in dem ich seit Urzeiten jobbte, versauern würde. Gunnar störte es nicht, dass es mir gerade so schlechtging.
Er verließ mich trotzdem. Denn das eine hatte mit dem anderen ja nicht das Geringste zu tun. So sah er das. Nach Gunnars plötzlichem Entschwinden setzte ich mich auf mein Bett und dachte nach. Darüber, warum er mich verlassen hatte. Als auch das nichts brachte, ging ich zu einer Psychiaterin und ließ mir ein paar Tranquilizer verschreiben. Zwar musste ich dann immer noch nachdenken, allerdings nicht mehr ganz so schnell wie vorher. So saß ich also rum, in meinem Hamburger WG-Zimmer, und versuchte, für mich die Frage zu klären, wie aus »Ich liebe dich, und du bist meine Traumfrau« innerhalb weniger Tage ein »Bitte melde dich nicht mehr bei mir« hatte werden können. Sicher, wir hatten uns hin und wieder gestritten. Nichts Dramatisches.
Jedenfalls nichts so Dramatisches, dass man dafür eine
... mehr
Beziehung hätte beenden müssen. Der übliche Quatsch eben, mal war er verspätet, mal fühlte er sich eingeengt oder bevormundet, mal bekam ich schlicht und ergreifend meine Tage. Und klar, seit meiner fulminanten Pleite im Staatsexamen war ich natürlich hin und wieder auch etwas empfindlicher und ungerechter als sonst aber jeder, der über die Sensibilität eines Teebeutels verfügt, müsste für so etwas doch Verständnis haben. Oder? Oder nicht? Wie dem auch sei, eine Antwort auf die Frage, warum er gegangen war, fand ich jedenfalls nicht, und so zog ich kurzfristig in Erwägung, mir mit weiteren bewusstseinserweiternden Drogen auf die Sprünge zu helfen.
Von dieser Idee nahm ich nach reiflicher Überlegung aber wieder Abstand und beschloss stattdessen, den einzigen Menschen um eine Antwort zu bitten, der sie mir hätte geben können. Und so schrieb ich als erwachsene, fast dreißigjährige Frau eine SMS an Gunnar. Ein an sich vollkommen unwürdiger Akt, aber die Tranquilizer sorgten dafür, dass mir auch das nichts mehr ausmachte: Liebster, ich kann Dich nicht vergessen und verstehe nicht, warum wir keine Chance mehr haben. Ich liebe und vermisse Dich und hoffe, dass Du zu mir zurückkommst. Maike. Seine Antwort erhielt ich innerhalb von dreißig Sekunden: Maike, es geht nicht mehr, und es ist vorbei. Es tut mir leid. Damit war ich dann in etwa so schlau wie zuvor, so dass ich noch einmal über die bewusstseinserweiternden Drogen nachdachte. Da ich mich aber in der Hamburger Szene bezüglich illegaler Rauschmittel furchtbar schlecht auskenne, hielt ich es dann doch für keine so gute Sache, irgendwo im Schanzenpark einem
Schwarzafrikaner aufzulauern, um am Ende vielleicht das unbescholtene Mitglied einer selbstreferentiellen Trommelgruppe anzufallen.
Was mir noch blieb, war der Rat meiner Cousine und Mitbewohnerin Kiki. Kiki arbeitet als Coach. Kiki weiß alles, Kiki kann alles und vor allem verfügt Kiki über ein LenormandKartenset, in das sie hineingucken kann, falls sie doch mal nicht alles weiß. »Also«, teilte sie mir mit, als wir abends zusammen am Küchentisch saßen. Ich hatte die Karten gemischt, und Kiki hatte sie nach einem für mich unverständlichen System vor sich ausgebreitet. »Es sieht mir ganz danach aus, als sei alles möglich.« »Was soll das bedeuten?«, wollte ich wissen. »Wird Gunnar zu mir zurückkehren oder nicht?« Kiki zuckte mit den Achseln. Dann schnappte sie sich ein Blatt Papier und einen Stift und schrieb in großen Lettern darauf: Wenn es sein soll, dann wird es auch wieder sein. Und wenn es nicht sein soll dann bleibt halt alles so scheiße, wie es ist.
Dieser Spruch hängt nun seit über einem Monat über meinem Bett. Das heißt: Er hing dort. Denn heute früh habe ich ihn runtergerissen und weggeworfen. Stattdessen pinnt nun etwas anderes an der Wand: Es kommt ja wohl überhaupt nicht in Frage, dass alles so scheiße bleibt, wie es ist!
1. Kapitel
Okay. Fassen wir zusammen: Ich werde nächste Woche dreißig Jahre alt, bin 1,72 Meter groß und sechzig Kilo schwer, habe halblange dunkelblonde Haare und blaue Augen. So weit, so gut. Leider geht es nicht so schön weiter. Darüber hinaus bin ich nämlich ein Loser, der sein Studium vergeigt hat. Ich wohne zusammen mit meiner achtundzwanzigjährigen Cousine in einer Wohngemeinschaft in Hamburg-Eimsbüttel, während andere Frauen in meinem Alter bereits Familie und ein abbezahltes Eigenheim vorweisen können. Ach ja, Stichwort Familie: Single bin ich dank Gunnar ja nun auch wieder. In einer Großstadt. Wir alle kennen die Theorie, wie wahrscheinlich es für Frauen ab dreißig ist, noch den Mann fürs Leben zu finden oder eher einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen.
Ohne übertrieben pathetisch klingen zu wollen, möchte ich feststellen, dass die Tatsache, dass ich quasi zeitgleich meinen Freund verloren und mein Examen vermasselt habe, in gewisser Art und Weise einem Terroranschlag nahekommt. Das Worst-Case-Szenario ist also bereits eingetreten was soll ich mir da noch Sorgen machen?
Beschwingt von dem Wissen, dass es schlimmer ohnehin nicht mehr kommen kann, fahre ich an einem Donnerstagabend meinen Computer hoch, starte das E-Mail-Programm und schreibe eine Nachricht an Gunnar. Wenn schon, denn schon. Und denn schon richtig.
Lieber Gunnar, nachdem Du Dich nun über einen Monat nicht mehr bei mir gemeldet hast und ich Zeit hatte nachzudenken, bin ich zu einer Erkenntnis gekommen (manche Dinge brauchen bekanntlich eine Weile, bis sie wirklich bei einem einrasten): Mit einem Mann, der mich mitten in meiner größten Krise Knall auf Fall und eiskalt abserviert, möchte ich genau genommen nicht mal meine Treppe feucht wischen. Von anderen Aktivitäten ganz zu schweigen. Ich wünsche Dir nun also noch ein schönes Leben. Hoffentlich fallen Dir alle Sackhaare einzeln aus.
Liebe Grüße, Maike
So. Damit wäre diese Tür jetzt endgültig und mit einem nicht zu überhörenden Knall zugeschlagen. Kein Zurück mehr zu Gunnar. Keine verzweifelten Abende mehr, keine sinnlosen Diskussionen mit Kiki, ob er denn nicht doch, vielleicht und unter Umständen ... Nein, das ist vorbei. Ab sofort wird Maike Schäfer diesem Penner keine einzige Träne mehr nachweinen. Ich werde mein Leben selbst in die Hand nehmen und mutig voranschreiten.
Denn niemand sonst ist für mein Schicksal verantwortlich. Und ich werde dem Schicksal schon zeigen, was 'ne Harke ist! »Warum habe ich bloß diese idiotische E-Mail geschrieben?« Na gut, die Sache mit dem »Leben selbst in die Hand nehmen« und »dem Penner keine Träne mehr nachweinen« klappt auf Anhieb noch nicht ganz so perfekt. Zwei Stunden später sitze ich in Kikis und meinem Wohnzimmer auf dem Sofa und ergehe mich in mitleidiger Selbstkasteiung.
»Weil er ein Arschloch ist und es nicht anders verdient hat«, stellt Kiki lapidar fest und zündet sich eine Zigarette an. »Aber damit habe ich meine letzte Chance bei ihm verspielt«, erwidere ich in weinerlichem Tonfall. »Jetzt ist es mit Sicherheit endgültig vorbei!«
»Gut so«, kommt es von Kiki zurück, sie lächelt mich sogar an.
»Gut so?«, frage ich sie aufgebracht. »Warum sollte das gut sein?«
»Weil er ein Arschloch ist und es nicht anders verdient hat«, wiederholt Kiki, als würde sie ein tibetanisches Mantra vor sich hin beten. »Aber ich liebe ihn doch!«
»Warum?«
»Weil ich ihn eben liebe!«, gebe ich trotzig zurück. Kiki seufzt und nimmt einen weiteren Zug von ihrer Zigarette.
»Maike«, stellt sie dann in nahezu mütterlichem Tonfall fest, obwohl sie jünger ist als ich, »es tut mir leid, dir das so sagen zu müssen, aber es spielt in diesem Fall überhaupt keine Rolle, ob du ihn noch liebst. Er liebt dich nicht mehr. Darauf kommt es an, also finde dich damit ab.«
»Woher willst du wissen, dass er mich nicht mehr liebt?«
»Was hat er auf deine letzte Mail noch mal geantwortet?«, stellt Kiki die Gegenfrage. Achselzuckend greife ich nach dem schon etwas zerknitterten Computerausdruck, der vor uns auf dem Couchtisch liegt.
Maike, vielen Dank für Deine lieben Wünsche bezüglich meiner Sackhaare. Mir war schon klar, dass Du meine Entscheidung, mich von Dir zu trennen, nicht verstehen würdest darum ist sie auch genau richtig. Wir passen nicht zusammen und verstehen uns nicht, es hat keinen Sinn mehr, und deshalb ist es aus. Wenn Du ehrlich bist, bist Du doch auch schon eine ganze Zeit lang unzufrieden gewesen. Die Sache mit Deinem Studium tut mir natürlich leid. Aber das hat überhaupt nichts mit uns beiden zu tun. Irgendwann wirst Du das vielleicht auch verstehen. Mach's gut und lass mich jetzt bitte endlich in Ruhe.
Gunnar
Verzweifelt starre ich auf Gunnars Zeilen, sie verschwimmen im Tränenschleier vor meinen Augen. »Und?«, will Kiki wissen. »Lässt das noch irgendwelchen Freiraum für Interpretationen?«
»Nein«, muss ich ihr recht geben, »das tut es wohl nicht.«
»Eben«, meint meine Cousine resolut, »darum ist es jetzt auch höchste Zeit, dass du den Typen abhakst und dich den wirklich wichtigen Dingen des Lebens zuwendest.«
»Was ist denn wichtiger als die Liebe?«, gebe ich in einem Anfall von Theatralik zurück.
»Dass du jobmäßig endlich mal auf die Beine kommst, zum Beispiel?«, schlägt sie vor. »Deine Freunde? Deine Familie? Deine Gesundheit?« Mit diesen Worten deutet sie auf das Glas Rotwein in meiner Hand.
»Du trinkst in letzter Zeit viel zu viel, und Alkohol ist jetzt wirklich überhaupt keine Lösung. Im Gegenteil, der hindert dich nur daran, dein Leben in Angriff zu nehmen.«
»Dafür rauchst du wie ein Schlot«, gebe ich zurück, schnappe ihr die Zigarette aus der Hand und drücke sie mit einer energischen Bewegung im Aschenbecher aus. Einen kurzen Moment lang sieht Kiki mich überrascht an dann muss sie lachen.
»Eins zu null für dich«, meint sie, »die Qualmerei ist wirklich ein furchtbares Laster.«
»Ja, das ist sie, du verpestest damit unsere ganze Wohnung«, sage ich und stelle mein Weinglas weg. »Und für jemanden wie dich, der meint, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, ist sie auch noch absolut dumm!«
»He!«, beschwert Kiki sich. »Ich habe nie behauptet, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben!« »Dafür spielst du dich mir gegenüber aber immer ziemlich allwissend auf.« Kiki zieht die Augenbrauen hoch, was ziemlich lustig aussieht, weil sie als typische Rothaarige mit sehr vielen Sommersprossen gesegnet ist, die sich dabei automatisch auch ein Stockwerk nach oben bewegen.
»Entschuldige, aber wer sitzt denn hier andauernd auf dem Sofa rum und fragt: >Kiki, was soll ich denn tun? Kiki, mein Leben ist so sinnlos! Kiki, ich weiß gar nicht, wie es weitergehen soll<?«
»Okay«, gebe ich zu, »ich hatte in letzter Zeit eben ziemlich viel Pech. Aber mit altklugen Belehrungen ist mir dabei nicht geholfen.«
»Mit neuklugen ja leider auch nicht«, meint Kiki und streicht sich in gespielter Verzweiflung durch ihre kurzen Haare.
»Könnten wir«, will ich mit Kleinmädchenstimme wissen, »nicht vielleicht noch einmal in die Karten gucken?« Kiki schüttelt den Kopf.
»Nein, das können wir nicht.«
»Bitte!«
»Nein.«
»Biiiieeeette!«
»Ach, mein Goldstück«, seufzt Kiki. Oha, wenn sie mich so nennt, hat sie mich entweder gerade besonders lieb oder ist besonders genervt von mir. In diesem Augenblick tippe ich eher auf genervt. »Wir haben in den letzten Wochen so gut wie jeden Tag in die Karten geguckt«, fährt sie in einem Tonfall fort, der meine Vermutung bestätigt.
»Das bringt überhaupt nichts. Sieh es endlich mal als das, was es ist: Entertainment. Zeitvertreib. Ein lustiges Gedankenspielchen, das hier und da ein paar Hinweise liefern kann.«
»Ja, aber nach genau den Hinweisen können wir doch noch einmal suchen!«, insistiere ich.
»Nein«, wiederholt Kiki, »weil es egal ist, was die Karten sagen. Es wird sich an deiner jetzigen Situation nichts ändern, wenn du dich nicht änderst. Es geht um dich, du allein hast es in der Hand.« »Na prima«, stelle ich etwas beleidigt fest. »Ich bin schließlich nicht absichtlich durch die Prüfung gefallen und habe auch nicht meinen Freund abserviert!«
»Nein, das hast du nicht«, gibt sie mir recht. »Aber darüber kannst du jetzt entweder noch monatelang jammern oder endlich deinen Hintern hochkriegen. So wie es jeder normale Mensch auch tut!«
»Du hast gut reden! Du bist ja zufrieden in deinem Job, bei dir läuft alles wie am Schnürchen, und Stefan trägt dich auf Händen!«
»Also, erstens bin ich als Coach selbständig und muss jeden Tag meinen Hintern hochkriegen«, stellt Kiki in strengem Tonfall fest. »Im Gegensatz dazu hast du die letzten fünf Jahre permanent darüber gemault, wie sehr dich dein Job im Sonnenstudio anödet, dass er beschissen bezahlt wird und du endlich mit der Uni fertig werden willst.« Sie wirft mir einen missbilligenden Blick zu.
»Na ja«, mache ich einen sarkastischen Scherz, »mit der Uni bin ich ja jetzt in jedem Fall fertig. Zwangsexmatrikulation dank Komplettversagen.« Kiki holt tief Luft.
»Ich sage das nicht gern, Maike«, sie unterbricht sich, als würde sie noch nach den richtigen Worten suchen. Dann spricht sie weiter: »Aber du musst ehrlicherweise zugeben, dass du für die Prüfung auch nicht sonderlich viel gelernt hast.«
»Hab ich wohl!«, gebe ich bockig zurück. Das fehlte mir jetzt noch, dass mir meine kleine, besserwisserische Cousine mangelnden Einsatz vorwirft. Allerdings spüre ich gleichzeitig einen Anflug von schlechtem Gewissen in mir aufsteigen.
Denn wenn ich ehrlich bin: Ich war nicht gerade das, was man sich unter einer Musterstudentin vorstellt. Nein, nicht wirklich, ich habe es da immer eher mit dem Motto »Ein gutes Pferd springt nie zu hoch« gehalten. Aber ist das auch ein Wunder? Jeder, der sich schon mal mit Jura beschäftigt hat, wird wissen, dass der Spaßfaktor sich dabei in extrem überschaubaren Grenzen hält.
»Ich habe mich ziemlich gewissenhaft darauf vorbereitet«, stelle ich trotzdem noch fest. So gewissenhaft jedenfalls, wie ich es konnte, denke ich gleichzeitig.
»Na? Machst du dir da nicht gerade etwas vor?«, hakt Kiki nach, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Das soll kein Vorwurf sein«, fügt sie sofort in einem etwas versöhnlicheren Tonfall hinzu, »aber du solltest zu dir selbst schon ehrlich sein.«
»Pffff«, entfährt es mir, »du hast gut reden! Dir ist ja immer alles in den Schoß gefallen, du hast dein Abi und das Studium doch mit links durchgezogen.« Das ist jetzt wahrlich nicht übertrieben, denn gegen Kiki anzustinken war schon immer alles andere als einfach.
»Nimm dir mal ein Beispiel an deiner Cousine!« wie oft hatte ich diesen Satz seit frühester Jugend von meinen Eltern gehört, wenn ich mal wieder mit einem katastrophalen Zeugnis nach Hause gekommen war? Von den zwei Ehrenrunden, die ich bis zum Abitur drehen durfte, mal ganz zu schweigen. Als Kiki und ich nach meinem zweiten Sitzenbleiben die letzten drei Jahre dann auch noch in die gleiche Stufe gingen, war der Vergleich natürlich noch krasser.
»Neben dir kann man ja nur blass aussehen«, bringe ich trotzig hervor.
»Maike«, jetzt klingt Kiki wieder ganz liebevoll, »hör endlich auf, dich immer mit mir zu vergleichen!« »Wenn das so einfach wäre«, schmolle ich weiter. »Du hast alles, was ich gern hätte. Einen netten Freund, eine schöne Wohnung ...«
»Wir wohnen doch beide hier!«
»Ja!« Ich gebe ein ironisches Lachen von mir. »Nur zahlst du den Löwenanteil der Miete, ohne dich könnte ich mir höchstens eine Zwanzig-Quadratmeter-Butze am Arsch der Heide leisten! Mit Klo auf dem Flur!«
»Ich nutze ja auch viel mehr Platz als du«, gibt Kiki zu bedenken.
Das stimmt natürlich, denn im vorderen Teil unserer Erdgeschosswohnung hat Kiki zwei Büroräume, in denen sie ihre Coachings veranstaltet. Bevor wir vor drei Jahren hier einzogen, war in den Räumen eine Kinderboutique, deren Inhaber pleitegingen. Pech für die Besitzer, Glück für uns, denn es war genau das, wonach wir gesucht hatten: Vorne, in den zwei Zimmern des Ladengeschäfts, konnte Kiki ihre Firma »Coaching Schäfer« einrichten, im hinteren Teil gibt es fünf weitere Räume, jeweils ein Schlafzimmer für Kiki und mich, ein gemütliches Wohnzimmer, eine Küche, in die immerhin ein Tisch für sechs Personen passt, und sogar ein Bad mit Badewanne. Und dass Kiki mir monatlich nur zweihundertfünfzig Euro warm abknöpft ... na ja, natürlich kann ich mir eh nicht viel mehr leisten. Trotzdem fühle ich mich häufig schlecht dabei, komme mir vor wie ein Parasit, der von Kiki durchgeschleppt wird. Bei dem Gedanken habe ich sofort wieder Gunnar vor Augen. Vor einem halben Jahr sprach er noch davon, dass wir bald zusammenziehen sollten. Nach meinem Uni-Abschluss hätte ich mit meinem Referendariat angefangen, und mit Gunnars Verdienst als Ingenieur bei Airbus hätten wir uns sicher etwas Nettes leisten können. Venedig, fällt es mir prompt ein. Da hatten wir zusammen hinfliegen wollen, ebenfalls nach meinem Abschluss.
»Wenn du das alles hinter dir hast, machen wir eine Liebesreise nach Venedig«, hatte Gunnar Anfang des Jahres zu mir gesagt. Er hatte mir Flugtickets geschenkt und sogar schon ein Hotelzimmer organisiert, das sollte meine Belohnung fürs Staatsexamen sein, ganze fünf Tage in der romantischsten Stadt der Welt. Ich hatte mich tierisch darauf gefreut, schließlich wollte ich schon immer mal in die Stadt am Canal Grande.
»Gehst du dann auch auf dem Markusplatz vor mir auf die Knie und hältst um meine Hand an?«, hatte ich einen Witz gemacht. Na gut, es war ein Scherz, in dem vielleicht ein kleines bisschen Ernst steckte, welches Mädchen würde nicht von so einem Moment träumen? Tja, und auf Gunnars »Schatz, du weißt doch, dass ich immer solche Rückenprobleme habe« haben wir uns dann prompt wieder gestritten.
Rückblickend kann ich gar nicht mehr sagen, woran es in diesem Moment gelegen hat, aber irgendwie war ich sauer, wie Gunnar reagiert hatte, und fühlte mich ... zurückgewiesen, das trifft es wohl am ehesten. Ja, ein bisschen empfindlich vielleicht, jedenfalls endete es damit, dass ich ihm vorwarf, dass er mich ja sowieso wahrscheinlich nie heiraten würde. Woraufhin er meinte:
»Wenn du dich so aufführst wie jetzt und es schaffst, mir sogar aus meiner lieb gemeinten Venedig-Überraschung einen Strick zu drehen nein, dann sicher nicht.« Was soll ich sagen? Sieht so aus, als hätte Gunnar recht behalten, von Heiraten kann momentan nun wirklich keine Rede sein. Es wird also nichts mit Venedig, die Flugtickets hatte ich ihm bei unserem letzten großen Streit vor der Trennung mit einem »Da kannst du von mir aus allein hinfliegen!« vor die Füße gedonnert. Und es wird auch nichts mit einer gemeinsamen Wohnung, genauso wenig wie mit dem Abschluss. Das Einzige, was mir noch bleibt, ist mein mistiger Aushilfsjob im Sonnenstudio.
Hätte ich damals doch bloß meine Klappe gehalten!!! Ich seufze tief.
»Woran denkst du gerade?«, will Kiki wissen.
»Woran schon? Daran, dass in meinem Leben einfach alles schiefläuft. Und an Gunnar. Er fehlt mir so!«
»Vermisst du tatsächlich Gunnar, oder ist es etwas anderes?« Ich blicke sie verständnislos an.
»Wie meinst du denn das jetzt schon wieder?«
Copyright © 2009 by Knaur Taschenbuch.
Von dieser Idee nahm ich nach reiflicher Überlegung aber wieder Abstand und beschloss stattdessen, den einzigen Menschen um eine Antwort zu bitten, der sie mir hätte geben können. Und so schrieb ich als erwachsene, fast dreißigjährige Frau eine SMS an Gunnar. Ein an sich vollkommen unwürdiger Akt, aber die Tranquilizer sorgten dafür, dass mir auch das nichts mehr ausmachte: Liebster, ich kann Dich nicht vergessen und verstehe nicht, warum wir keine Chance mehr haben. Ich liebe und vermisse Dich und hoffe, dass Du zu mir zurückkommst. Maike. Seine Antwort erhielt ich innerhalb von dreißig Sekunden: Maike, es geht nicht mehr, und es ist vorbei. Es tut mir leid. Damit war ich dann in etwa so schlau wie zuvor, so dass ich noch einmal über die bewusstseinserweiternden Drogen nachdachte. Da ich mich aber in der Hamburger Szene bezüglich illegaler Rauschmittel furchtbar schlecht auskenne, hielt ich es dann doch für keine so gute Sache, irgendwo im Schanzenpark einem
Schwarzafrikaner aufzulauern, um am Ende vielleicht das unbescholtene Mitglied einer selbstreferentiellen Trommelgruppe anzufallen.
Was mir noch blieb, war der Rat meiner Cousine und Mitbewohnerin Kiki. Kiki arbeitet als Coach. Kiki weiß alles, Kiki kann alles und vor allem verfügt Kiki über ein LenormandKartenset, in das sie hineingucken kann, falls sie doch mal nicht alles weiß. »Also«, teilte sie mir mit, als wir abends zusammen am Küchentisch saßen. Ich hatte die Karten gemischt, und Kiki hatte sie nach einem für mich unverständlichen System vor sich ausgebreitet. »Es sieht mir ganz danach aus, als sei alles möglich.« »Was soll das bedeuten?«, wollte ich wissen. »Wird Gunnar zu mir zurückkehren oder nicht?« Kiki zuckte mit den Achseln. Dann schnappte sie sich ein Blatt Papier und einen Stift und schrieb in großen Lettern darauf: Wenn es sein soll, dann wird es auch wieder sein. Und wenn es nicht sein soll dann bleibt halt alles so scheiße, wie es ist.
Dieser Spruch hängt nun seit über einem Monat über meinem Bett. Das heißt: Er hing dort. Denn heute früh habe ich ihn runtergerissen und weggeworfen. Stattdessen pinnt nun etwas anderes an der Wand: Es kommt ja wohl überhaupt nicht in Frage, dass alles so scheiße bleibt, wie es ist!
1. Kapitel
Okay. Fassen wir zusammen: Ich werde nächste Woche dreißig Jahre alt, bin 1,72 Meter groß und sechzig Kilo schwer, habe halblange dunkelblonde Haare und blaue Augen. So weit, so gut. Leider geht es nicht so schön weiter. Darüber hinaus bin ich nämlich ein Loser, der sein Studium vergeigt hat. Ich wohne zusammen mit meiner achtundzwanzigjährigen Cousine in einer Wohngemeinschaft in Hamburg-Eimsbüttel, während andere Frauen in meinem Alter bereits Familie und ein abbezahltes Eigenheim vorweisen können. Ach ja, Stichwort Familie: Single bin ich dank Gunnar ja nun auch wieder. In einer Großstadt. Wir alle kennen die Theorie, wie wahrscheinlich es für Frauen ab dreißig ist, noch den Mann fürs Leben zu finden oder eher einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen.
Ohne übertrieben pathetisch klingen zu wollen, möchte ich feststellen, dass die Tatsache, dass ich quasi zeitgleich meinen Freund verloren und mein Examen vermasselt habe, in gewisser Art und Weise einem Terroranschlag nahekommt. Das Worst-Case-Szenario ist also bereits eingetreten was soll ich mir da noch Sorgen machen?
Beschwingt von dem Wissen, dass es schlimmer ohnehin nicht mehr kommen kann, fahre ich an einem Donnerstagabend meinen Computer hoch, starte das E-Mail-Programm und schreibe eine Nachricht an Gunnar. Wenn schon, denn schon. Und denn schon richtig.
Lieber Gunnar, nachdem Du Dich nun über einen Monat nicht mehr bei mir gemeldet hast und ich Zeit hatte nachzudenken, bin ich zu einer Erkenntnis gekommen (manche Dinge brauchen bekanntlich eine Weile, bis sie wirklich bei einem einrasten): Mit einem Mann, der mich mitten in meiner größten Krise Knall auf Fall und eiskalt abserviert, möchte ich genau genommen nicht mal meine Treppe feucht wischen. Von anderen Aktivitäten ganz zu schweigen. Ich wünsche Dir nun also noch ein schönes Leben. Hoffentlich fallen Dir alle Sackhaare einzeln aus.
Liebe Grüße, Maike
So. Damit wäre diese Tür jetzt endgültig und mit einem nicht zu überhörenden Knall zugeschlagen. Kein Zurück mehr zu Gunnar. Keine verzweifelten Abende mehr, keine sinnlosen Diskussionen mit Kiki, ob er denn nicht doch, vielleicht und unter Umständen ... Nein, das ist vorbei. Ab sofort wird Maike Schäfer diesem Penner keine einzige Träne mehr nachweinen. Ich werde mein Leben selbst in die Hand nehmen und mutig voranschreiten.
Denn niemand sonst ist für mein Schicksal verantwortlich. Und ich werde dem Schicksal schon zeigen, was 'ne Harke ist! »Warum habe ich bloß diese idiotische E-Mail geschrieben?« Na gut, die Sache mit dem »Leben selbst in die Hand nehmen« und »dem Penner keine Träne mehr nachweinen« klappt auf Anhieb noch nicht ganz so perfekt. Zwei Stunden später sitze ich in Kikis und meinem Wohnzimmer auf dem Sofa und ergehe mich in mitleidiger Selbstkasteiung.
»Weil er ein Arschloch ist und es nicht anders verdient hat«, stellt Kiki lapidar fest und zündet sich eine Zigarette an. »Aber damit habe ich meine letzte Chance bei ihm verspielt«, erwidere ich in weinerlichem Tonfall. »Jetzt ist es mit Sicherheit endgültig vorbei!«
»Gut so«, kommt es von Kiki zurück, sie lächelt mich sogar an.
»Gut so?«, frage ich sie aufgebracht. »Warum sollte das gut sein?«
»Weil er ein Arschloch ist und es nicht anders verdient hat«, wiederholt Kiki, als würde sie ein tibetanisches Mantra vor sich hin beten. »Aber ich liebe ihn doch!«
»Warum?«
»Weil ich ihn eben liebe!«, gebe ich trotzig zurück. Kiki seufzt und nimmt einen weiteren Zug von ihrer Zigarette.
»Maike«, stellt sie dann in nahezu mütterlichem Tonfall fest, obwohl sie jünger ist als ich, »es tut mir leid, dir das so sagen zu müssen, aber es spielt in diesem Fall überhaupt keine Rolle, ob du ihn noch liebst. Er liebt dich nicht mehr. Darauf kommt es an, also finde dich damit ab.«
»Woher willst du wissen, dass er mich nicht mehr liebt?«
»Was hat er auf deine letzte Mail noch mal geantwortet?«, stellt Kiki die Gegenfrage. Achselzuckend greife ich nach dem schon etwas zerknitterten Computerausdruck, der vor uns auf dem Couchtisch liegt.
Maike, vielen Dank für Deine lieben Wünsche bezüglich meiner Sackhaare. Mir war schon klar, dass Du meine Entscheidung, mich von Dir zu trennen, nicht verstehen würdest darum ist sie auch genau richtig. Wir passen nicht zusammen und verstehen uns nicht, es hat keinen Sinn mehr, und deshalb ist es aus. Wenn Du ehrlich bist, bist Du doch auch schon eine ganze Zeit lang unzufrieden gewesen. Die Sache mit Deinem Studium tut mir natürlich leid. Aber das hat überhaupt nichts mit uns beiden zu tun. Irgendwann wirst Du das vielleicht auch verstehen. Mach's gut und lass mich jetzt bitte endlich in Ruhe.
Gunnar
Verzweifelt starre ich auf Gunnars Zeilen, sie verschwimmen im Tränenschleier vor meinen Augen. »Und?«, will Kiki wissen. »Lässt das noch irgendwelchen Freiraum für Interpretationen?«
»Nein«, muss ich ihr recht geben, »das tut es wohl nicht.«
»Eben«, meint meine Cousine resolut, »darum ist es jetzt auch höchste Zeit, dass du den Typen abhakst und dich den wirklich wichtigen Dingen des Lebens zuwendest.«
»Was ist denn wichtiger als die Liebe?«, gebe ich in einem Anfall von Theatralik zurück.
»Dass du jobmäßig endlich mal auf die Beine kommst, zum Beispiel?«, schlägt sie vor. »Deine Freunde? Deine Familie? Deine Gesundheit?« Mit diesen Worten deutet sie auf das Glas Rotwein in meiner Hand.
»Du trinkst in letzter Zeit viel zu viel, und Alkohol ist jetzt wirklich überhaupt keine Lösung. Im Gegenteil, der hindert dich nur daran, dein Leben in Angriff zu nehmen.«
»Dafür rauchst du wie ein Schlot«, gebe ich zurück, schnappe ihr die Zigarette aus der Hand und drücke sie mit einer energischen Bewegung im Aschenbecher aus. Einen kurzen Moment lang sieht Kiki mich überrascht an dann muss sie lachen.
»Eins zu null für dich«, meint sie, »die Qualmerei ist wirklich ein furchtbares Laster.«
»Ja, das ist sie, du verpestest damit unsere ganze Wohnung«, sage ich und stelle mein Weinglas weg. »Und für jemanden wie dich, der meint, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, ist sie auch noch absolut dumm!«
»He!«, beschwert Kiki sich. »Ich habe nie behauptet, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben!« »Dafür spielst du dich mir gegenüber aber immer ziemlich allwissend auf.« Kiki zieht die Augenbrauen hoch, was ziemlich lustig aussieht, weil sie als typische Rothaarige mit sehr vielen Sommersprossen gesegnet ist, die sich dabei automatisch auch ein Stockwerk nach oben bewegen.
»Entschuldige, aber wer sitzt denn hier andauernd auf dem Sofa rum und fragt: >Kiki, was soll ich denn tun? Kiki, mein Leben ist so sinnlos! Kiki, ich weiß gar nicht, wie es weitergehen soll<?«
»Okay«, gebe ich zu, »ich hatte in letzter Zeit eben ziemlich viel Pech. Aber mit altklugen Belehrungen ist mir dabei nicht geholfen.«
»Mit neuklugen ja leider auch nicht«, meint Kiki und streicht sich in gespielter Verzweiflung durch ihre kurzen Haare.
»Könnten wir«, will ich mit Kleinmädchenstimme wissen, »nicht vielleicht noch einmal in die Karten gucken?« Kiki schüttelt den Kopf.
»Nein, das können wir nicht.«
»Bitte!«
»Nein.«
»Biiiieeeette!«
»Ach, mein Goldstück«, seufzt Kiki. Oha, wenn sie mich so nennt, hat sie mich entweder gerade besonders lieb oder ist besonders genervt von mir. In diesem Augenblick tippe ich eher auf genervt. »Wir haben in den letzten Wochen so gut wie jeden Tag in die Karten geguckt«, fährt sie in einem Tonfall fort, der meine Vermutung bestätigt.
»Das bringt überhaupt nichts. Sieh es endlich mal als das, was es ist: Entertainment. Zeitvertreib. Ein lustiges Gedankenspielchen, das hier und da ein paar Hinweise liefern kann.«
»Ja, aber nach genau den Hinweisen können wir doch noch einmal suchen!«, insistiere ich.
»Nein«, wiederholt Kiki, »weil es egal ist, was die Karten sagen. Es wird sich an deiner jetzigen Situation nichts ändern, wenn du dich nicht änderst. Es geht um dich, du allein hast es in der Hand.« »Na prima«, stelle ich etwas beleidigt fest. »Ich bin schließlich nicht absichtlich durch die Prüfung gefallen und habe auch nicht meinen Freund abserviert!«
»Nein, das hast du nicht«, gibt sie mir recht. »Aber darüber kannst du jetzt entweder noch monatelang jammern oder endlich deinen Hintern hochkriegen. So wie es jeder normale Mensch auch tut!«
»Du hast gut reden! Du bist ja zufrieden in deinem Job, bei dir läuft alles wie am Schnürchen, und Stefan trägt dich auf Händen!«
»Also, erstens bin ich als Coach selbständig und muss jeden Tag meinen Hintern hochkriegen«, stellt Kiki in strengem Tonfall fest. »Im Gegensatz dazu hast du die letzten fünf Jahre permanent darüber gemault, wie sehr dich dein Job im Sonnenstudio anödet, dass er beschissen bezahlt wird und du endlich mit der Uni fertig werden willst.« Sie wirft mir einen missbilligenden Blick zu.
»Na ja«, mache ich einen sarkastischen Scherz, »mit der Uni bin ich ja jetzt in jedem Fall fertig. Zwangsexmatrikulation dank Komplettversagen.« Kiki holt tief Luft.
»Ich sage das nicht gern, Maike«, sie unterbricht sich, als würde sie noch nach den richtigen Worten suchen. Dann spricht sie weiter: »Aber du musst ehrlicherweise zugeben, dass du für die Prüfung auch nicht sonderlich viel gelernt hast.«
»Hab ich wohl!«, gebe ich bockig zurück. Das fehlte mir jetzt noch, dass mir meine kleine, besserwisserische Cousine mangelnden Einsatz vorwirft. Allerdings spüre ich gleichzeitig einen Anflug von schlechtem Gewissen in mir aufsteigen.
Denn wenn ich ehrlich bin: Ich war nicht gerade das, was man sich unter einer Musterstudentin vorstellt. Nein, nicht wirklich, ich habe es da immer eher mit dem Motto »Ein gutes Pferd springt nie zu hoch« gehalten. Aber ist das auch ein Wunder? Jeder, der sich schon mal mit Jura beschäftigt hat, wird wissen, dass der Spaßfaktor sich dabei in extrem überschaubaren Grenzen hält.
»Ich habe mich ziemlich gewissenhaft darauf vorbereitet«, stelle ich trotzdem noch fest. So gewissenhaft jedenfalls, wie ich es konnte, denke ich gleichzeitig.
»Na? Machst du dir da nicht gerade etwas vor?«, hakt Kiki nach, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Das soll kein Vorwurf sein«, fügt sie sofort in einem etwas versöhnlicheren Tonfall hinzu, »aber du solltest zu dir selbst schon ehrlich sein.«
»Pffff«, entfährt es mir, »du hast gut reden! Dir ist ja immer alles in den Schoß gefallen, du hast dein Abi und das Studium doch mit links durchgezogen.« Das ist jetzt wahrlich nicht übertrieben, denn gegen Kiki anzustinken war schon immer alles andere als einfach.
»Nimm dir mal ein Beispiel an deiner Cousine!« wie oft hatte ich diesen Satz seit frühester Jugend von meinen Eltern gehört, wenn ich mal wieder mit einem katastrophalen Zeugnis nach Hause gekommen war? Von den zwei Ehrenrunden, die ich bis zum Abitur drehen durfte, mal ganz zu schweigen. Als Kiki und ich nach meinem zweiten Sitzenbleiben die letzten drei Jahre dann auch noch in die gleiche Stufe gingen, war der Vergleich natürlich noch krasser.
»Neben dir kann man ja nur blass aussehen«, bringe ich trotzig hervor.
»Maike«, jetzt klingt Kiki wieder ganz liebevoll, »hör endlich auf, dich immer mit mir zu vergleichen!« »Wenn das so einfach wäre«, schmolle ich weiter. »Du hast alles, was ich gern hätte. Einen netten Freund, eine schöne Wohnung ...«
»Wir wohnen doch beide hier!«
»Ja!« Ich gebe ein ironisches Lachen von mir. »Nur zahlst du den Löwenanteil der Miete, ohne dich könnte ich mir höchstens eine Zwanzig-Quadratmeter-Butze am Arsch der Heide leisten! Mit Klo auf dem Flur!«
»Ich nutze ja auch viel mehr Platz als du«, gibt Kiki zu bedenken.
Das stimmt natürlich, denn im vorderen Teil unserer Erdgeschosswohnung hat Kiki zwei Büroräume, in denen sie ihre Coachings veranstaltet. Bevor wir vor drei Jahren hier einzogen, war in den Räumen eine Kinderboutique, deren Inhaber pleitegingen. Pech für die Besitzer, Glück für uns, denn es war genau das, wonach wir gesucht hatten: Vorne, in den zwei Zimmern des Ladengeschäfts, konnte Kiki ihre Firma »Coaching Schäfer« einrichten, im hinteren Teil gibt es fünf weitere Räume, jeweils ein Schlafzimmer für Kiki und mich, ein gemütliches Wohnzimmer, eine Küche, in die immerhin ein Tisch für sechs Personen passt, und sogar ein Bad mit Badewanne. Und dass Kiki mir monatlich nur zweihundertfünfzig Euro warm abknöpft ... na ja, natürlich kann ich mir eh nicht viel mehr leisten. Trotzdem fühle ich mich häufig schlecht dabei, komme mir vor wie ein Parasit, der von Kiki durchgeschleppt wird. Bei dem Gedanken habe ich sofort wieder Gunnar vor Augen. Vor einem halben Jahr sprach er noch davon, dass wir bald zusammenziehen sollten. Nach meinem Uni-Abschluss hätte ich mit meinem Referendariat angefangen, und mit Gunnars Verdienst als Ingenieur bei Airbus hätten wir uns sicher etwas Nettes leisten können. Venedig, fällt es mir prompt ein. Da hatten wir zusammen hinfliegen wollen, ebenfalls nach meinem Abschluss.
»Wenn du das alles hinter dir hast, machen wir eine Liebesreise nach Venedig«, hatte Gunnar Anfang des Jahres zu mir gesagt. Er hatte mir Flugtickets geschenkt und sogar schon ein Hotelzimmer organisiert, das sollte meine Belohnung fürs Staatsexamen sein, ganze fünf Tage in der romantischsten Stadt der Welt. Ich hatte mich tierisch darauf gefreut, schließlich wollte ich schon immer mal in die Stadt am Canal Grande.
»Gehst du dann auch auf dem Markusplatz vor mir auf die Knie und hältst um meine Hand an?«, hatte ich einen Witz gemacht. Na gut, es war ein Scherz, in dem vielleicht ein kleines bisschen Ernst steckte, welches Mädchen würde nicht von so einem Moment träumen? Tja, und auf Gunnars »Schatz, du weißt doch, dass ich immer solche Rückenprobleme habe« haben wir uns dann prompt wieder gestritten.
Rückblickend kann ich gar nicht mehr sagen, woran es in diesem Moment gelegen hat, aber irgendwie war ich sauer, wie Gunnar reagiert hatte, und fühlte mich ... zurückgewiesen, das trifft es wohl am ehesten. Ja, ein bisschen empfindlich vielleicht, jedenfalls endete es damit, dass ich ihm vorwarf, dass er mich ja sowieso wahrscheinlich nie heiraten würde. Woraufhin er meinte:
»Wenn du dich so aufführst wie jetzt und es schaffst, mir sogar aus meiner lieb gemeinten Venedig-Überraschung einen Strick zu drehen nein, dann sicher nicht.« Was soll ich sagen? Sieht so aus, als hätte Gunnar recht behalten, von Heiraten kann momentan nun wirklich keine Rede sein. Es wird also nichts mit Venedig, die Flugtickets hatte ich ihm bei unserem letzten großen Streit vor der Trennung mit einem »Da kannst du von mir aus allein hinfliegen!« vor die Füße gedonnert. Und es wird auch nichts mit einer gemeinsamen Wohnung, genauso wenig wie mit dem Abschluss. Das Einzige, was mir noch bleibt, ist mein mistiger Aushilfsjob im Sonnenstudio.
Hätte ich damals doch bloß meine Klappe gehalten!!! Ich seufze tief.
»Woran denkst du gerade?«, will Kiki wissen.
»Woran schon? Daran, dass in meinem Leben einfach alles schiefläuft. Und an Gunnar. Er fehlt mir so!«
»Vermisst du tatsächlich Gunnar, oder ist es etwas anderes?« Ich blicke sie verständnislos an.
»Wie meinst du denn das jetzt schon wieder?«
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Autoren-Porträt von Anne Hertz
Hertz, AnneAnne Hertz ist das Pseudonym der Hamburger Autorinnen Frauke Scheunemann und Wiebke Lorenz, die nicht nur gemeinsam schreiben, sondern als Schwestern auch einen Großteil ihres Lebens miteinander verbringen. Bevor Anne Hertz 2006 in Hamburg zur Welt kam, wurde sie 1969 und 1972 in Düsseldorf geboren. 50 Prozent von ihr studierten Jura, während die andere Hälfte sich der Anglistik widmete. Anschließend arbeiteten 100 Prozent als Journalistin. Anne Hertz hat im Schnitt 2,5 Kinder und mindestens 0,5 Männer. Mehr Informationen unter: www.anne-hertz.de
Bibliographische Angaben
- Autor: Anne Hertz
- 2010, 2. Aufl., 354 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Herausgegeben: Angela Troni
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426638703
- ISBN-13: 9783426638705
- Erscheinungsdatum: 05.02.2010
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