Grimsels Zeit

"Onkel, ick bin verstümmelt." Das kleine Mädchen aus Berlin hält einen verbundenen Finger hoch: sie kommt aus dem Land der Toten, der Versehrten und der Obdachlosen. Gisela, die Kusine, das Kriegskind aus Berlin, trägt an den Füßen Grimsels alte Schuhe: die Mutter hatte das abgetragene Paar zu den Verwandten geschickt. So kommt nach dem Krieg der Krieg in das verschonte Land, in die Stadt am Rheinknie, an jenes Dreiländereck, an dem man für die deutschen Nachbarn wenig übrig hat.Grimsel erfährt die Engnis der Familie, der er - fernwehkrank, doch wenig wagemutig, ein Träumer - den Rückzug in die noch kleinere Welt seiner Mansarde entgegensetzt. Dann lernt er schwimmen und erlebt Momente des Glücks, im Wasser aufgehoben. Grimsel wird Drogerieausläufer und erfährt die Wonnen der Warenwelt. Für die Sehnsüchte nach dem Land Afrika gibt es das alljährliche Zooabonnement - und den Elefanten, der eine heftige Liebe stiftet mit einem Rüssel voll Dreck: Birgitta im Blümchenkleid. Jazz Ti me, die späten fünfziger Jahre: Grimsel hockt jetzt in den Jazzlokalen und wackelt mit dem Kopf. Dabei kommt ihm endlich die Mutter abhanden. In einer federnden, kraftvoll vorwärts drängenden Sprache erzählt Dieter Bachmann die Entwicklungsgeschichte eines Heranwachsenden, der sich einsam und verirrt glaubt; "der Elefant", weiß Grimsel, "ist eigentlich ein Meeresbewohner, aus riesigen Ozeanen gekommen, auf staubigen Ebenen stehen gelassen". Wie selbstverständlich wechselt Bachmann die Ebenen, mischt Fiktives und Faktisches zu einem großen mehrdimensionalen Puzzle und schreibt in Grimsels Zeit auch die Geschichte eines Landes, das sich unberührt fühlte.