Gulag und Genossen
Nüchtern berichtet Günther Rehbein von jenem Teil seines Lebens (1952 bis 1972), in dem er gleich zweimal zum Opfer totalitärer Systeme wird. Als angeblich antisowjetischer Aktivist verurteilen ihn die russischen Behörden zu 25 Jahren...
Nüchtern berichtet Günther Rehbein von jenem Teil seines Lebens (1952 bis 1972), in dem er gleich zweimal zum Opfer totalitärer Systeme wird. Als angeblich antisowjetischer Aktivist verurteilen ihn die russischen Behörden zu 25 Jahren Zwangsarbeit.
Nach seiner Freilassung aus dem Gulag wird er in er DDR denunziert und in Bauzen eingesperrt.
Gulag und Genossen von Günther Rehbein
Der 6. August 1952 – ein sonniger Tag. Meine Schicht im Modedruck würde in drei Stunden zu Ende sein. Ich freute mich schon darauf, wieder bei meiner Frau und meinem Kind zu sein.
Ich hatte sehr jung geheiratet, denn wir liebten uns und wollten nicht, dass das Kind unehelich geboren wird, wir wollten einer glücklichen Zukunft entgegengehen.
Er verließ den Raum mit den Worten: »Du hier ruhig sitzen, wie Huhn auf Stange.« Mir war heiß, mir brannte das Gesicht von der auf mich gerichteten Lampe. Ich rückte mit meinem Hocker etwas nach hinten, um weiteren Abstand zu gewinnen, da bekam ich in den Rücken einen Stoß mit einem Gegenstand, so dass es mir die Luft nahm. Nur mit großer Mühe konnte ich mich noch auf dem Hocker halten – alle Glieder schmerzten mir. Es war schon spät in der Nacht, als wieder ein Offizier kam und in gutem Deutsch meinte: »Wenn Sie die Wahrheit sagen, dann kleine Strafe, wenn lügen – große Strafe!« Ich antwortete, ich hätte nichts getan, was strafbar sei. Langes Schweigen, dann plötzlich stand er vom Schreibtisch auf, kam auf mich zu und schrie: »Sie sind ein Spion, Sie wollten die Kommandantur sprengen, Sie sind in einer antisowjetischen Gruppe tätig und wenn Sie nicht die Wahrheit sagen, werden wir Sie erschießen, nach Ihnen kräht kein Hahn!« Er setzte sich wieder an den Schreibtisch und schrieb, es muss schon fast Morgen gewesen sein, mein ganzer Körper schmerzte vom stundenlangen Sitzen auf dem Hocker, die Helligkeit und Hitze der Lampe hatten mich erschöpft. Nur mit großer Anstrengung konnte ich mich auf dem Hocker halten, mein Kopf schmerzte, mir wurde schwarz vor den Augen.
Was dann geschah, weiß ich nicht. Ich wurde im Keller der Kommandantur wach, zwei Soldaten packten mich und brachten mich wieder in den Raum in der ersten Etage. Der Offizier war diesmal sehr freundlich. Ich wusste nicht, wie spät es war, aber der Sonne nach zu urteilen, die durch das offne Fenster schien, musste es später Vormittag sein. Alles tat mir weh, nur die Gedanken an Frau und Kind gaben mir die Kraft durchzuhalten. Der Offizier sagte: »Heute unterschreiben Sie.« Er legte mir acht handschriftliche Blätter vor, die ich nicht lesen konnte, da sie in Russisch geschrieben waren. Mir wurde gedroht, wenn ich nicht unterschriebe, würden meine Frau und die Angehörigen verhaftet. Ich habe nicht unterschrieben. Er gab mir eine Stunde Bedenkzeit. Da ich danach nochmals die Unterschrift verweigerte mit der Bemerkung: »Ich kann nichts unterschreiben, was ich nicht lesen kann«, kam er auf mich zu und schlug mir mit der Faust in Gesicht und Magen. Ich stürzte vom Hocker und mit dem Kopf gegen ein Heizungsrohr. Mir wurde schwarz vor Augen. In einem dunklen Keller wachte ich auf, es war warm und stank nach Fäkalien und Verwesung. Mein Magen schmerzte, denn ich hatte zwei Tage nichts gegessen und getrunken. Die Schmerzen und die Angst davor, dass meine Angehörigen verhaftet werden würden, all das ging mir durch den Kopf. Ich wollte überleben und entschloss mich, die Unterschriften zu leisten. Ich kauerte noch lange in dem dunklen Raum, der Gestank brannte mir in der Kehle und im Rachen. Ich hörte Schritte und Stimmen, tastete mich an der Wand entlang, bis ich die Tür fand und klopfte, die Tür wurde geöffnet. Zwei Offiziere standen da: Einer fragte mich auf Deutsch, was ich wolle. Ich sagte: »Die Protokolle unterschreiben.« Die Tür wurde wieder verschlossen, aber es dauerte nicht lange, da holte man mich zur Unterschrift. Ich unterzeichnete das gesamte Protokoll, in der Hoffnung, dass ich die Unterschrift bei einer Gerichtsverhandlung widerrufen könnte, da es nicht in deutscher Schrift verfasst war. Es blieb nicht bei der bloßen Androhung von Gewalt. Erst nach drei Tagen bekam ich zirka zweihundert Gramm hartes Schwarzbrot und einen Becher Wasser. Weil mein Mund und Rachen entzündet und geschwollen waren, konnte ich erst essen, als ich mir das Brot im Wasser aufgeweicht hatte. Da ich es gierig verschlang, bekam ich große Magenschmerzen.
Es war dunkel, als ich auf den Hof geführt wurde, wo ein PKW mit drei deutschen Stasi-Leuten stand. Sie brachten mich in das Stasi-Gefängnis >Gera-Amthorstraße<, in die erste Etage in eine Zelle, in der nur eine Holzpritsche stand. Trotz der Schmerzen schlief ich sehr schnell ein. Am Morgen wurde ich wieder in die Kommandantur gebracht. Man band mir ein schwarzes Tuch um die Augen, legte mir Handschellen an und schob mich wieder in einen PKW. Während der Fahrt gelang es mir, das Tuch zu verschieben. Wir waren auf der Autobahn und ich musste Wasser lassen. Nach längerem Bitten hielten sie endlich an. Hinter uns hielt noch ein Auto. Sie führten mich in ein Waldstück und ich sah, dass sieben Russen mit im Anschlag auf mich gerichteten Maschinenpistolen um mich standen. Einer öffnete mir an einem Handgelenk die Handschelle, so dass ich meine Notdurft verrichten konnte. Die Handschelle machten sie mir so fest an, dass es schmerzte. Die Russen genossen sichtlich, dass ich litt und riefen: »Du Faschist, kaputt, erschießen!« Die Fahrt ging weiter Richtung Berlin. Mein rechter Arm schmerzte und meine Hand war schon ganz blau.
Wir hielten an einem Schlagbaum – es war Berlin-Karlshorst, im Volksmund >Klein-Moskau< genannt, eines der schlimmsten NKWD-Gefängnisse. Ich musste aussteigen und wurde in einen Keller geführt und von Handschellen und Augenbinde befreit. Ich sah ein Labyrinth von Gängen, überall liefen Soldaten in Filzlatschen herum und blickten in die Türspione der Zellen. Eine Zellentür schloss sich hinter mir. Mein Handgelenk schmerzte derart, dass ich die Finger kaum noch bewegen konnte. Ich klopfte an die Tür, um tim Wasser zu bitten, damit ich meine Hand kühlen konnte. Ein Aufseher öffnete und sagte in gutem Deutsch, dass ich in eine andere Zelle käme. Es ging einen Seitengang entlang in die nächste Zelle. Sie war drei Meter lang, zwei Meter breit und enthielt eine Holzpritsche, einen Eimer mit stinkendem Wasser, einen Blechkübel mit verfaultem Holzdeckel, der nicht dicht abschloss, so dass ein beißender Geruch von Chlor im Raum war. Die Wände waren verschmiert mit Daten, Buchstaben und Blutspritzern. Inzwischen hatte ich meine Hand im Wasser gekühlt, was Linderung brachte. Die Tür ging auf und mir wurden eine Blechschüssel mit Krautsuppe und ein Stück schwarzes, hartes Brot gereicht. Die Suppe war so salzig, dass ich sie kurz danach wieder erbrach. Es war mir ganz elend im Magen.
Meine Gedanken waren zu Hause bei meiner Frau und meinem Kind: Hoffentlich würden sie in Ruhe gelassen. Je mehr ich nachdachte über die Ungerechtigkeit, die mir widerfahren war, desto zuversichtlicher wurde ich, dass es hier in Berlin-Karlshorst mehr Gerechtigkeit bei den Untersuchungsrichtern geben würde als in Gera und ich meine Unschuld beweisen könnte.
Ein Wachposten holte mich zur ersten Vernehmung, wo mich eine Dolmetscherin begrüßte. Ich musste wieder auf einem Hocker sitzen, die Hände auf den Knien. Am Schreibtisch saß ein Offizier, der die Protokolle von Gera vor sich liegen hatte und sie intensiv las. Er schüttelte immer wieder mit dem Kopf, sah mich hin und wieder freundlich an. Die Dolmetscherin sagte zu mir: »So ein junger Mensch! Warum wollten Sie die Kommandantur sprengen? Zu wem haben Sie Verbindung, zu welchem Geheimdienst, welcher Spionagezentrale im Westen? Sagen Sie die Wahrheit, sonst wird es Ihnen schlecht ergehen.« Das hatte ich nicht erwartet – alles hatte so hoffnungsvoll ausgesehen und nun diese Drohungen. Ich war geschockt, denn ich hatte gedacht, die Vernehmungen würden einen fairen und gerechten Verlauf nehmen. Ich gab zu verstehen, dass ich nur noch Protokolle zu unterschreiben bereit war, die in Deutsch verfasst wären. Die Dolmetscherin ging auf mich zu und schrie mich an: »Sie glauben mir nicht, dass ich die Wahrheit übersetze!«, worauf ich ihr entgegenschrie: »Ich glaube, bei Ihnen oder den Vernehmern sind die Deutschen nur Faschisten, die Menschen umgebracht haben. Die Russen haben auch viele Unschuldige getötet und Frauen vergewaltigt. Jetzt, sieben Jahre danach, werden wir von ihnen verhaftet, gefoltert und zu hohen Haftstrafen oder Todesstrafen verurteilt. Ich wollte keine Kommandantur sprengen und ich war und bin kein Spion. Alles Lüge!« Als ich mir lautstark Luft gemacht hatte, kam die Dolmetscherin auf mich zu und gab mir mit der Faust einen Schlag aufs Gesicht. Mir spritzte gleich das Blut aus Nase und Mund.
Zwei Soldaten holten mich ab und brachten mich in den Keller. Vor einer Eisentür musste ich mich nackt ausziehen. Dahinter lag ein kleiner Raum von ein mal einem Meter, der anstelle des Fußbodens ein scharfes Eisengitter hatte.
© Verlag Neue Literatur
- Autor: Günther Rehbein
- 2009, Nachdruck, 224 Seiten, Maße: 12,1 x 19,7 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Verlag Neue Literatur
- ISBN-10: 3938157879
- ISBN-13: 9783938157879
- Erscheinungsdatum: 19.12.2009
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