Gute-Nacht-Geschichten für Männer, die nicht einschlafen wollen
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Gute-Nacht-Geschichtenfür Männer herausgegeben von IngridKahl
LESEPROBE
BRIGITTE KRONAUER
Ehepaar Brommen
EinesTages, als er schon dreifacher Großvater und die verschleierte Skepsis undschlitzäugig lächelnde Besserwisserei seines Blicks, mit dem er früher seineKinder sehr zu ärgern verstanden hatte, durch das Erschlaffen der Lider und eindamit verbundenes Kleinerwerden der Augenspalten zur physiologischen Gewohnheitgeworden war, gelang es Herrn Brommen, mehr, als er noch zu hoffen gewagthatte, seine Frau durch bloßen Zuruf aus der Fassung zu bringen, und zwar aufder Schwelle zwischen Diele und Küchentür.
Bis zudiesem Moment, um 11.55 Uhr nämlich, hatte es im Laufe des Vormittags drei sichsacht steigernde und auch, meinte Herr Brommen nachträglich, behielt es aber inder Tiefe seines Herzens verschlossen, hinweisend vorwegnehmende Wortwechselgegeben. Nachträglich fiel ihm - einem immerhin noch nicht allzulangepensionierten Polizeibeamten! - auch die Konstanz gewisser Schauplatzfaktorenauf.
Punkt 1: Seiner Frau war beim Blumengießen Wasser von derFensterbank auf den Teppichboden getropft. Sie kniete gerade und versuchte, miteinem Tuch die Nässe aufzunehmen. Hinzutretend teilte er ihr einen Gedankenmit, einen ihm selbst ganz neuen und in seiner Unumstößlichkeit fast schonwieder entschwindenden, halbwegs zurückzuführen auf einen beim Frühstückgelesenen, in ihm weiterrumorenden Zeitungsartikel über ein Treffensogenannter >Mehrlinge< in Frankfurt: »Nur wer die Schönheit vonGeheimnissen kennt, erkennt die Geheimnisse der Natur, vielleicht auchumgekehrt.« Seine Frau hatte nicht von ihrem Tupfen und Reiben aufgesehen, aberdoch nach einer wie im Nachdenken verbrachten Pause geantwortet: »Das machwohl sein.« Statt »mag« sagte sie immer »mach«.
Punkt 2:Etwa zehn Minuten später, als sie an seinen Tisch kam, um die Decke von denBrotkrumen zu säubern, offenbar in Eile, da die Freitagmorgenarbeit für sie involler Vehemenz angelaufen war, suchte er sie mit dem Satz: »Ich habe eben eineverirrte Hummel gerettet« zu beruhigen. Ihre Antwort lautete diesmal: »Aha!«.
Punkt 3:Verständlich, daß sie ihm davonlief! Aber bei dem, was er dann entdeckte,handelte es sich um ein kleines Wunder, und sie sollte daran teilhaben. Er konntees nicht zu ihr hintragen. Sie mußte wohl oder übel zu ihm. Deshalb stellte erihr, da sie ihn nicht hörte, den Staubsauger ab und winkte sie dann dringlichherbei zu dem Ereignis auf dem von ihr bereits gereinigten Fußboden. »Sieh esdir bitte aufmerksam an, so etwas kommt nicht so schnell wieder vor, vielleichtniemals mehr bis in alle Ewigkeit!« sagte er und wies auf ein weißes, von einemHeizungsrohr abgeblättertes Lackstückchen: »Na? Na? Haargenau die Form des englischenPfundsymbols.« Sie hatte sich gebückt und es im Aufheben natürlich zerstört,dabei einen vieldeutigen, fast kränkenden Seufzer von sich gegeben, der ausganzer Seele zu kommen schien.
Er wünschtesich, ihm wäre wenigstens ihr: »Erstaunlich, mötti ma meinen« zugestandenworden.
Statt derkorrekten Artikulation »Möchte ich mal meinen«, wuselte sie, besonders, wennsie beschäftigt war, schlampig darüber hin: »Mötti meinen. « Es klang wie etwaszärtlich Skandinavisches, fand Herr Brommen, wie ein finnischer Kosename:»Mötti Meinen.« Heute wurde nichts daraus. Daß sie sich so abrackerte! Manchesentging ihr dadurch. Sogar die Sterne, gegen Mitternacht, wollte sie nie so rechtbetrachten. Er jedoch tat das nur zu gern. Ihr gefiel es nicht. Kürzlich, alssie ihn am offenen Fenster bei einer seiner Milchstraßeneuphorien ertappthatte, war ihm aber gelungen, sie stante pede zu versöhnen: »Der Orion willdein Nachthemd sehen.« Was für eine galante Ablenkung von seinerUniversumsschwärmerei! Wider Willen mußte sie kichern über den »Quatsch«.Allen Ernstes, bedachte man ihre 66 Jahre, so konnten ihre Beine, und zwar bisobenhin, schon sensationell schön genannt werden. Ihre Füße, die waren ihr leidervöllig wurscht, wie merkwürdig!
Für dasWeltall interessierte er sich und heimlich auch für Gott. »0 Gott«, sagte ersich, »laß nichts Schreckliches passieren, damit ich noch lange an dichglauben kann.« Was hatte er im Juli 43 während der Bombenangriffe auf Hamburg,»Operation Gomorrha«, gedacht? »0 Gott«? Und dann? Er wußte es nicht mehr. Die>wüste Gottheit< war jedenfalls bei ihm nie gemeint. Sogar zu Gelübdenhätte er sich im Notfall bereitgefunden.
Es gabeigenartige Momente, wo Versprechungen zum Zwecke seiner Glaubenserhaltung inder Luft lagen und über ihm schwebten als fastenmäßige Auferlegungen, die er keinesfallsabschlagen durfte. Er hoffte nur, ihm würde nicht die Idee kommen, für eineWoche das Rauchen zu lassen. Folge zu leisten gälte es allerdings unter allenUmständen, ohne zu fackeln. Auf der Autobahn passierte es, daß er sichplötzlich fragte: Sind wir nicht am »Kamener Kreuz« vorbei? Wie will Gott,selbst wenn er wollte, das rückgängig machen, wie das bewerkstelligen? Aberhieß das nicht, den Allerhöchsten versuchen? Er fing dann schnell ein Gesprächmit seiner Frau an, die nichts wußte von solchen Anfechtungen. Sie glaubteüberhaupt nichts, und er verbarg vor ihr, daß er bisweilen in der Bibel nachherzzerreißenden Sprüchen für seinen Totenzettel forschte. War es nämlichnicht das Alter, das sich meldete, wenn er in letzter Zeit einen scharfen,welterklärenden Gedanken wie stillstehend vor sich sah, der, als er zupackenwollte, verlosch ohne Spur und Anhaltspunkt?
Es ginginzwischen auf Mittag zu. Er hörte durch die Wand, wie seiner Frau soeben inder Küche etwas zerbrach. Nun mußte er noch rasch die Zeitung überfliegen, nachder Politik die Annoncenseite. Schließlich hatte er eine Zeitlang bei derSittenpolizei gearbeitet. »Strapsmaus, 20, französisch, griechisch, Tel. 89 5314 41 « las er. Andere Angebote gaben selbst ihm, dem >alten Hasen von derSitte<, Rätsel auf. Er pflegte aber bei allen Anzeigen zu lächeln und leise pfiffigden Kopf zu schütteln, jedoch stets mit einem Nicken - im Grunde machte ihmniemand, machte ihm keine was vor, er durchschaute den Zinnober wie eh und je -zu endigen. Seiner Frau hinter der Wand mußte jetzt obendrein ein schwererTopf abgestürzt sein. Herr Brommen tippte auf die Annoncenseite, vergnüglichschmunzelnd: Zeit für ihn, dort drüben einzuschreiten ! Er wußte Rat undöffnete die Küchentür.
»MeineLiebe«, er lachte in seiner Vorfreude hell auf, »Mötti Meinen!« AlsÜberraschung und nagelneuen Kosenamen rief er ihr das zu und ließ sich nichterschüttern von dem Unfall auf dem Fußboden. Er, Brommen, würde sie schonaufheitern und entzücken: »Mötti Meinen, Mötti Meinen, du - - - finnischeStrapsmaus !
Da packte>Mötti Meinen< das große Brotmesser, hielt es über ihren Kopf, die Spitzegegen ihren Mann gerichtet - eins, zwei, zählte Brommen ungläubig bange mit -, stießes, weiß und wortlos, in den Tisch, wo es zitternd aufrecht stehenblieb.»Du--finnische Strapsmaus«, bettelte Brommen heroisch, und erlitt, denTürrahmen umklammernd, ohne sein schlitzohriges Lächeln abstellen zu können,einen beinahe tödlichen Schwächeanfall, dem ein halbes Jahr später der zweiteund letzte, seine Niederlage besiegelnd und abschließend, folgte.
© 1996 Piper Verlag GmbH, München
- Autor: Ingrid Kahl
- 2007, 6. Aufl., 159 Seiten, Maße: 11,5 x 16 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Hrsg. v. Ingrid Kahl
- Herausgegeben: Ingrid Kahl
- Verlag: Piper Taschenbuch
- ISBN-10: 3492243835
- ISBN-13: 9783492243834
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