Handbuch der Wolkenputzerei
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Handbuch der Wolkenputzerei vonRaoul Schrott
LESEPROBE
Zur afghanischen Grenze
1. Teheran – Shiraz
Nach einer Woche im Iran blieben eher fast unübersehbarviele Gedankensplitter, kaum Eindrücke, die einem nahegingen, eingingen. Manhat einen anderen Blick, wenn man die ganze Zeit untereinander Positionenverhandelt und damit beschäftigt ist, alle vorgefaßten Meinungen wieder zuvergessen und dieses Andere zu begreifen; das Fremde bleibt fremd, seltsamuneigentlich, es hielt einen in der Rolle des Beobachters, nicht des Betrachters.Wir waren als Intellektuelle gefragt, weniger als Schriftsteller, wurden voneiner Diskussion zur anderen geführt und redeten, redeten bis in die Nacht miteinem stündlich wechselnden Gegenüber, wandernde Akteure auf einerpolitisierten Bühne, ebensooft aber auch Publikum; wir antworteten aufStichworte und suchten hinter den Kulissen nach einem Plot, einer Einheit derHandlung und der Zeit. Oder selbst noch nach der eines Ortes.
Nein, Teheran war weder Damaskus noch Bagdad; es erinnerte weit mehr an Athen,ebenso zersiedelt, der Verkehr chaotisch und Dreck in der Luft, die Straßenjedoch ungleich sauberer und die Schilder überall wie selbstverständlichzweisprachig, Englisch unter den arabischen Schriftzeichen. Sie ließen einenleicht übersehen, daß das Persische der Zoroaster selbst eine uralteindoeuropäische Sprache war und das Arabische historisch ebenso aufgezwungenwar wie auch der Islam. Den Iran mit ihnen gleichzusetzen hieß, ihnmißzuverstehen und der typisch westlichen Legasthenie zu verfallen, diezwischen Iran und Irak keinen Unterschied herauslas; dagegen wehrte man sichhier um so berechtigter, als die Vergleiche mit Europa weit näher lagen. DieAtmosphäre in der Stadt glich vielmehr der eines Griechenlands Anfang der 70erJahre, das sich noch abzufinden hatte mit der Diktatur, doch im Bewußtsein, daßdas Ende bereits irgendwie absehbar sein mußte.
Die Menschen begegneten uns mit einer zuvorkommenden Zurückhaltung und warenuns gegenüber dennoch offen; das war ein erstes Paradoxon. Das zweite aber, daßjeder humorlose Konformismus und vorauseilende Gehorsam, wie sie sich intotalitären Regimes ausbreiten, völlig fehlte; dazu waren sie zu abgeklärt undzugleich doch aufgeklärt. Noch die Frauen suchten diesen Individualismus unterihrem Russari zu bewahren, und sie zeigten ihn mit jedem einzelnen Zentimeter,mit dem sie das schwarze Kopftuch zurückrückten über den dunklen Haaren. Sichdie Nase von einem Schönheitschirurgen klassisch gerade richten zu lassen wargerade in Mode; wer sich das nicht leisten konnte, klebte eben ein Pflasterdrauf, als ob. Es mochte eine allgemein spürbare Faszination für allesWestliche verraten, andererseits aber blieb ihnen auch nur etwas Make-up undsorgfältig manikürte Finger, um sich einer Öffentlichkeit zu zeigen, in derMusik und Tanzdarbietungen offiziell verboten sind und es unstatthaft ist,einer Frau offen in die Augen zu sehen oder ihr gar die Hand zu reichen.
Der Rückzug in die Illegalität des Privaten war offensichtlich. Armenier undTürken, denen er zum Eigengebrauch erlaubt war, lieferten selbstgebrauten Weinfrei Haus; in großem Kreis wurden Partys gefeiert; der Schwarzmarkt führte vonunzensierten Videos bis zu Medikamenten alles, und im Untergrund gab esbilliges Opium, Prostituiertenviertel und Schwulenparks. Das Regime reagiertdarauf, indem es Exempel statuiert, drakonisch, einzeln und willkürlich. Sichauf offene Konfrontationen einzulassen, dazu schien sein Rückhalt in derBevölkerung längst zu gering; ein gewonnenes oder verlorenes Fußballspiel botAnlaß genug, um diesen Anschein einer Ordnung für ein paar Stunden auf derStraße außer Kraft zu setzen. Wenn darin ein offenes Aufbegehren lag, dann nuraus einem Bedürfnis nach Normalität; von Revolutionen hatte man genug. Worinaber diese Normalität bestehen könnte, blieb fraglich.
Man versteht ein Land entweder in sieben Tagen oder insieben Jahren; dennoch aber blieben die Bilder des Iran, die wir bekamen, sounterschiedlich wie widersprüchlich, und es gab so viele davon, wie es in einerGasse des Teheraner Bazars Spiegel gab. Der Westen kannte nur zwei davon.Persien, das war der alte Orient der Touristen, die Teppiche, Wasserpfeifen,Rosen, Nachtigallen und Lustgärten; der Iran jedoch Turban und Tschador,Fanatiker und Terroristen: moderne mediale Illustrationen für jene hicdracones, ibi sirenes, die man immer schon an den Rand der uns bekannten Weltgesetzt hatte und die nur Stereotype der Ignoranz darstellten. Auch was wir vonihnen wußten, war wenig; sie von uns aber genug, um dies zu begreifen. Dafüraber hatte Kultur, abseits von den üblichen Stehempfängen und irgendwelchenSchriftstellerkolloquien, hier für einmal auch eine unzweifelhafte Funktion,nämlich die Klischees auf beiden Seiten offenzulegen, bloßzustellen undauszuräumen, um die Grundlagen eines Dialogs zu schaffen, den die Politik dannvielleicht aufzugreifen imstande wäre.
Das war Adolf Muschgs Idee zu verdanken und den Initiativen des SchweizerBotschafters Tim Guldimann und seiner Frau, die uns seit langem verschlosseneTüren öffneten zu Ministern, Mitgliedern des Zensurbüros, Rechtsgelehrten desIslamischen Instituts, Übersetzern und Schriftstellern. Das Interesse, auf daswir stießen, lag im Bemühen, uns ihre Denkweisen nahezubringen; das unseredarin, sie in ihrer Differenziertheit zu begreifen. Ein Blatt vor den Mund zunehmen war dabei unnötig, als es keinen Anlaß zur Provokation gab; und daswenige, was unausgesprochen blieb, lag dadurch nur um so deutlicher auf demTisch. Aber gleich ob wir über Hafiz und Goethe sprachen, mit scholastischemVokabular über Religion und Sprache disputierten oder über die Rolle derLiteratur in der Gesellschaft debattierten, die Gespräche kreisten stets um denKonflikt zwischen Tradition und Modernismus – womit sie den westlichenWertepluralismus, seine inflationäre Globalisierung und Medien meinten. Wasdiese Schlagworte herausstellten, war aber letztlich wieder nur die Frage nacheiner Einheit der Zeit; ihrer Zeitrechnung nach befanden sie sich im 14.Jahrhundert nach der Hedschra.
Tradition bedeutet für sie, in der Welt verortet zu sein, die existentielleSicherheit von Glaubensgrundsätzen, die Demut des Koran. Nichtsversinnbildlichte dies besser als die Gebetsnische in der Moschee; in ihr lagder Prediger nicht nur seinem Gott zu Füßen, sondern auch den Betenden ringsum.Wenn ihnen der Koran aber Gott erklärte, so lehrte Firdausis Epos Shah-namehsie dagegen den Nationalstolz auf ihre Geschichte und Hafiz’ Diwan dieSelbstbehauptung des Menschen gegen jede Obrigkeit. Und mit derselben Verehrungknieten sie auch an seinem Grab in Shiraz und sprachen abends unter denZypressen seine Verse im Chor mit; kaum einer, der nicht ein abgegriffenesExemplar besaß, ihn als Orakel gebrauchte und bei jeder Gelegenheit eine dervieldeutigen Maximen dieses Freigeistes einflocht. Daß sich noch Khamenei aufihn berief, verriet bloß die merkwürdig widersprüchliche Geschlossenheit dieserKultur. Doch gemessen an unseren Maßstäben war das so, als hätten dasNibelungenlied und Oswald von Wolkenstein heute noch tagespolitischeAussagekraft und als kulturelle Münze ihre Gültigkeit bewahrt. Wie sie aber nunan einen modernen Tauschwert anpassen, ohne sie zu entwerten? Für unsere Augenlag darin ein unüberwindlich scheinender Bruch: und zugleich war doch auch derAnspruch, überlieferte Wertvorstellungen ungebrochen weiter bestehen lassen zuwollen, verständlich.
Dort in Shiraz machte der schnauzbärtige Romancier Mahmoud Doulatabadi ausseinem Pathos keinen Hehl, und der Schriftsteller Shariar Mandanipour erzählteoffen, wie er in seinem Idealismus freiwillig in den Irak-Krieg gezogen war: eswaren nackte Geschichten, grobe, blutige. Und einen Moment lang wurde einemauch die Anmaßung bewußt, mit der wir ihnen gegenübersaßen, belehrend und ohnedas Bewußtsein verleugnen zu können, daß die Weltliteratur immer die unseregewesen war. Dabei beneideten wir sie insgeheim um das Ansehen, die ihreDichter genossen, die epische Fülle der Stoffe, die Bedeutung ihrer Rolle, dieein minutenlang stehender Applaus quittierte, wenn sie auf die Bühne schritten,während es umgekehrt ihnen schwer begreiflich zu machen war, welchgesellschaftlich marginalen Rang die Literatur heute bei uns spielte und daßsie sich gegenwärtig hauptsächlich mit einer Generation Golf im Faserlandbeschäftigte.
Wir waren angekommen, als die ersten Angriffe aufAfghanistan geflogen wurden, und waren doch weiter weg von aller Kriegshysterieals in Europa, wo man bestenfalls kopfschüttelnd auf diese Reise reagierthatte. Niemand zeigte mit Fingern auf uns. Spürbar aber war
die Betroffenheit, über den 11. September und die Bombardements. Wenn wir nachdem Plenum dann in der Residenz des Schweizer Botschafters, der dieamerikanischen Interessen vertrat, noch mit Journalisten, Dissidenten undIntellektuellen zusammensaßen, war es aber jedesmal unmöglich, die Ambivalenzender gegenwärtigen Situation auch nur ansatzweise schlüssig werden zu lassen.Wir suchten nach Konzepten und Modellen: Adolf Muschg mit seinem moralischenGewissen und einem Glauben an das Gute, im Wissen darum, daß es letztlichvergeblich war; seine Frau Atsuko mit ihrer beherrschten Wut, die ihreGerechtigkeit einforderte; Hans Magnus Enzensberger, dessen sokratischerIntelligenz es um reale Proportionen ging und der an jeder Ideologie nur derenutilitaristischen Gebrauchswert zu akzeptieren bereit war; und ich, der ichwahrscheinlich die Poesie behauptete, aus einem eher anthropologischenInteresse daran, was die Menschen unabhängig von Zeiten und Orten antrieb. Undwurden jedesmal konfrontiert mit Argumenten, die alles erneut ins Gegenteilverkehrten. Es war, als gäbe es keine Einheit der Handlung, nur beschränkteHandlungsfreiheiten.
Doch das, was wir als instabilen und kritischen Zustand sahen, schien hiergerade die Dinge im Gleichgewicht zu halten. So wie sie seit jeher jederOkkupation zu widerstehen vermocht hatten, wußten sie längst, daß man wenn,dann nur auf dem rein Vorläufigen aufbauen konnte. Allen religiösen undpolitischen Scharaden dabei setzten sie ihr eigenes Maskenspiel entgegen; unddie Figur, dessen Schirmherrschaft man dafür reklamierte, war die desorientalischen Till Eulenspiegels, Nasredin Hodscha. Er hielt zumindest unsseine Spiegel vor; ob wir dabei wirklich ihre Gesichter sahen oder sie sichdarin überhaupt selbst je erkannten, war nicht zu sagen. Aber es gab für das,was sich unter der Maske verbarg, einen Namen: das Wort rend, das in seinen 365eingebürgerten Auslegungen das Paradoxale ihrer unheilvollen Heiligen ebenso zuumfassen verstand wie das von heiligen Narren und schelmischen Weisen. Sieverkörperten eine Tragikomik, die die Perser nur allzugut verstanden. Und wennman nicht mehr weiterwußte und nach einer Regieanweisung suchte, schlug maneben wieder bei Hafiz nach und ließ sich von ihm soufflieren, daß es genügte,Wein zu bringen, denn an diesem Hof göttlicher Gleichgültigkeit sind sich Königund Sklave, Säufer und Nüchterner gleich. Wenn es Zeit wird, von dieser unserenBühne mit ihren zwei Türen abzugehen, ist es dann noch von Bedeutung, ob eseine Pforte oder eine Säulenhalle ist und der Applaus groß oder klein?
© Hanser Verlag
- Autor: Raoul Schrott
- 2005, 304 Seiten, Maße: 14,9 x 21,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: HANSER
- ISBN-10: 3446205764
- ISBN-13: 9783446205765
- Erscheinungsdatum: 28.02.2005
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