Happy Family
Roman
David Safiers neuer Roman - alles andere als unglücklich! Sondern höchst vergnüglich und sehr amüsant. Und wir wissen ja alle: Lachen macht happy!
Bei Familie Wünschemann könnte es mit Verlaub besser...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Happy Family “
David Safiers neuer Roman - alles andere als unglücklich! Sondern höchst vergnüglich und sehr amüsant. Und wir wissen ja alle: Lachen macht happy!
Bei Familie Wünschemann könnte es mit Verlaub besser laufen. Im Prinzip wollen sie aber nur eins: happy sein. Aber dann werden sie nach einem Kostümfest unnötigerweise von einer Hexe verzaubert und müssen nun als Vampir, Frankensteins Monster, Mumie und Werwolf herumlaufen. Nun jagen sie die blöde Hexe um die halbe Welt, um den Fluch wieder rückgängig zu machen. Und dabei treffen sie auf so ziemlich alles. Nebenbei auch auf echte Ungeheuer wie Vampire. Oder schwäbische Pauschaltouristen.
Tja, das Glück zu finden ist eben keine leichte Sache.
SPIEGEL Bestseller!
Klappentext zu „Happy Family “
Eine verflucht nette FamilieFamilie Wünschmann ist nicht happy. Mama Emmas Buchladen geht pleite, Papa Frank ist völlig überarbeitet, die pubertierende Fee bleibt sitzen, und Sohnemann Max wird von dem Mädchen, das er liebt, ins Schulklo getunkt. Zu allem Überfluss werden die Wünschmanns nach einem Kostümfest auch noch von einer Hexe verzaubert: Plötzlich sind sie Vampir, Frankensteins Monster, Mumie und Werwolf.
Gemeinsam jagen die frischgebackenen Monster um den halben Erdball, der Hexe hinterher, damit diese den Fluch wieder rückgängig macht. Dabei treffen sie auf jede Menge echte Ungeheuer: Vampire, Riesenechsen und schwäbische Pauschaltouristen. Sogar auf Dracula höchstpersönlich, der mit seinem unwiderstehlichen Charme Mama Emma verführen will. Tja, niemand hat behauptet, dass es einfach ist, als Familie das Glück zu finden.
Mit Lesebändchen
Lese-Probe zu „Happy Family “
Happy Family von David SafierEmma
... mehr
« Ein indianisches Sprichwort sagt: Je mehr man jemanden liebt, desto mehr möchte man ihn umbringen », erklärte meine Angestellte. Und ich dachte mir: Mann, muss ich meine Familie lieben. Schon zum x-ten Male klingelte während der Arbeit in meinem kleinen Kinderbuchladen das Handy. Zuerst hatte meine Teenagertochter Fee angerufen, um mich seelisch darauf vorzubereiten, dass sie sitzenbleibt (sie besaß nun mal leider die Mathe-Begabung eines Labradors). Danach rief ihr kleiner Bruder Max an, um mir zu sagen, dass er nicht in die Wohnung reinkäme, weil er wieder einmal den Schlüssel vergessen hätte (ob es eigentlich so etwas wie Kinder- Alzheimer gab ?). Und diesmal war es laut Handy-Display mein Ehemann Frank. Höchstwahrscheinlich, um mir mitzuteilen, dass er - wie fast jeden Tag - später aus dem Büro nach Hause kommen würde. (Was nicht nur bedeutete, dass ich mich erst mal ganz allein mit Fee wegen ihrer geradezu olympischen schulischen Faulheit herumstreiten dürfte, sondern auch, dass ich wieder mal ohne jegliche Hilfe gegen das Chaos in unserer Wohnung ankämpfen müsste. Die sah an einigen Tagen so aus, als ob plündernde Hunnen durch sie gewandert waren. Begleitet von Elefanten. Und von Ogern. Und von Britney Spears.) Ich beschloss, nicht ans Handy zu gehen, um mir ein Gespräch zu ersparen, bei dem ich mich nur wahnsinnig aufregen würde und an dessen Ende ich mich noch mehr darüber aufregen würde, dass ich mich so aufgeregt hatte. Stattdessen starrte ich stumpf aus dem Fenster meines Buchladens namens Lemmi und die Schmöker. Dabei dachte ich traurig daran, dass es mal eine Zeit gegeben hatte, in der ich meine Familie ohne negative Gedanken geliebt hatte. Das war, bevor wir von diesen gemeinen Monstern heimgesucht worden waren, die da hießen: Berufsstress, Midlife-Crisis und Pubertät. Ja, wir Wünschmanns waren mal eine glückliche Familie gewesen. Aber irgendetwas war uns in den letzten Jahren verloren gegangen. Bedauerlicherweise hatte ich keine Ahnung, um was genau es sich dabei handelte, und dementsprechend noch viel weniger Ahnung, wie ich dieses Etwas je wiederfinden konnte. Dabei wünschte ich es mir so sehr. Während ich mich nach den alten Zeiten zurücksehnte, ging am Fenster meines Buchladens ein junger Mann mit einem faszinierenden Hintern vorbei. Ich rückte meine Brille zurecht und betrachtete ihn mir genauer. « Knackiger Po, was ? », bemerkte meine alte Angestellte Cheyenne, die eigentlich Renate hieß, aber auf diesen Namen nicht hörte und mit ihren Blumen im Haar und ihren wallenden Kleidern wohl die älteste Hippiefrau des uns bekannten Universums war. « Ähem, ich hab keinen Po gesehen », flunkerte ich nicht sonderlich überzeugend. Cheyenne lächelte nur verschmitzt. Daher fügte ich schnell hinzu: « Abgesehen davon, war der ein bisschen zu knochig. » « Du hast ihn also doch gesehen, Emma », grinste die alte Dame. Und während ich ertappt dreinblickte, stellte sie fest: « Der Junge könnte dein Sohn sein. » Mein Gott, Cheyenne hatte recht. Ich war Ende dreißig, der Typ höchstens Anfang zwanzig. Und ich gaffte so einem jungen Mann hinterher. Wie beschämend. « Wann hattest du eigentlich das letzte Mal Sex, Emma ? », fragte Cheyenne und nippte an ihrem Yogi-Tee, der roch, als hätte ein sehr alter Yogi seine Füße darin gebadet. « Ähem ...», zögerte ich mit der Antwort, weil ich Schwierigkeiten hatte, mich daran zu erinnern. « Hab ich mir gedacht », grinste sie nun sehr breit. Tatsächlich war bei all dem Stress, den Frank und ich mit unseren Berufen und Kindern hatten, regelmäßiger Sex für uns beide Science-Fiction. « Ich hatte gestern das letzte Mal », teilte Cheyenne freudig mit. Noch bevor ich sie darum bitten konnte, nicht ins Detail zu gehen, redete sie weiter: « Ich sag dir, Werner ist zwar etwas klapprig, aber er hat ein riesiges Dingeling ...» « Moment mal », fragte ich etwas irritiert, « du nennst sein Ding ... ‹ Dingeling › ? » « ‹ Dingeling › oder ‹ Pipimann ›. » « Dann lieber Dingeling », befand ich. « Das findet Werner auch. » Sie nippte noch mal an dem Tee und fuhr genüsslich fort: « Werner ist fast so ein guter Liebhaber wie Carlos, damals im heißen Herbst. » Cheyenne erzählte immer wieder gerne von all ihren verflossenen Liebhabern, die sie im Laufe der Jahrzehnte vernascht hatte, von Yussuf, Mumbato oder Mao ... Und ich liebte es, ihren Geschichten aus all den fernen Ländern zu lauschen. Länder, die ich wohl nie sehen würde, obwohl ich als junges Mädchen immer davon geträumt hatte, die ganze Welt zu bereisen. « Ich muss nach Hause, meinen Sohnemann in die Wohnung lassen ...», erklärte ich seufzend und nahm meine abgewetzte Lederjacke von der Garderobe. « Geh nur, Emma, wir haben ja eh kaum Kunden », lächelte die alte Hippiebraut. « Oh, wir haben viele Kunden ! », protestierte ich. Aber das stimmte nicht. Auch an diesem Vormittag waren es nur wenige gewesen: die Ärztin, die sich einmal die Woche stundenlang von mir beraten ließ und sich dann die Bücher immer auf Amazon bestellte. Eine Familie, deren Kinder sich einen Band vom Magischen Baumhaus kauften, dafür aber mit ihren Softeishänden zwölf teure Hardcoverbücher beim Durchblättern ruinierten. Und Cheyennes Lover Werner, der, nur um seine Liebste zu sehen, sich das Pixi-Buch Conny schläft im Kindergarten anschaffte. « Wir sollten Erotikromane verkaufen », schlug Cheyenne vor. « Wir sind ein Kinderbuchladen ! » « Es gibt da aber ganz viele interessante Titel im Erotikbereich », ließ sie nicht locker, « zum Beispiel Die Kosakensklavin ...» Ich verzog das Gesicht. « Oder Bettenwechsel in Dänemark ...» Ich verzog noch mehr das Gesicht. « Oder Drei Nüsse für Aschenbrödel ...» « Das ist eine Kindergeschichte », widersprach ich. « Nicht in dieser Variante », grinste Cheyenne. « Ich will nicht solche Bücher verkaufen ! », protestierte ich und fügte noch schnell hinzu: « Und auch nicht genauer darüber nachdenken, warum es drei Nüsse sind. » « Aber der Laden geht sonst den Bach runter ! », insistierte Cheyenne. « Unser Lesesofa ist durchgesessen, die Spielecke für die Kinder fast so alt wie ich, und als ich neulich im Lager die Regale entstaubt habe, sah mich plötzlich eine Kakerlake an. » Cheyenne sprach lauter ungeliebte Wahrheiten über meine Buchhandlung aus. Wahrheiten, die ich nicht hören wollte, weil ich sie selbst zu verantworten hatte. Wenn ich mehr Energie und Zeit für den Laden hätte, würde es hier besser aussehen und auch um den Umsatz besser stehen. Aber wer hatte schon Zeit und Energie, wenn er so eine kraftraubende Familie besaß wie ich ? Cheyenne sprach gleich noch eine weitere Wahrheit aus, eine sehr bittere: « Du hast nur eine Möglichkeit, den Gewinn zu steigern: Du musst mich entlassen. » « Das kommt nicht in die Tüte », erwiderte ich. « Du brauchst mich aber nicht », seufzte Cheyenne traurig und wirkte mit einem Male wirklich alt, « die paar Bücher kannst du auch selbst verkaufen. » Das stimmt, dachte ich. « Und ich verrechne mich andauernd », klagte sie leise. « Das stimmt », sprach ich nun laut aus. « Und ich hab letzte Woche das Klo verstopft. » « Du warst das ? ! ? », rief ich empört aus, denn das verstopfte Klo hatte eine extrem hohe Klempnerrechnung nach sich gezogen. « Wie hast du denn das hingekriegt ? » « Mir ist mein Hämorrhoidenpflaster reingefallen », gestand sie kleinlaut. Cheyenne hatte mit allem recht: Wenn ich sie entlassen würde, wäre es besser für mein Konto und wohl auch für meinen Laden. Aber ohne Lohn würde sie in ihrem VW-Bus übernachten müssen, bezog sie doch kaum Rente, weil sie, anstatt zu arbeiten, ihr Leben lang durch die Welt gezogen war. Dabei hatte sie - wie ich immer wehmütig dachte - mehr erlebt und gelebt, als ich es in meinem kleinen, langweiligen Leben je tun würde. « Ich werde dich nie entlassen », erklärte ich bestimmt. Cheyenne ächelte mich zutiefst dankbar an und sagte: « Du bist eine Gute. » Ich musste zurücklächeln. Aber mir war klar, dass ich mir irgendetwas einfallen lassen musste, wenn ich wollte, dass mein Laden überlebte. Denn ohne ihn würde ich nur noch Hausfrau und Mutter sein. Und das war mir viel zu wenig. Vor allem in dem Zustand, in dem sich diese Familie gerade befand. Ich schickte einen Wunsch ins Universum, dass es eine Rettung für meinen Laden geben möge, nur um gleich darauf festzustellen: Das Universum besaß einen recht merkwürdigen Sinn für Humor. * Ich wollte gerade aus der Tür gehen, da betrat sie meinen Laden: Lena. Ausgerechnet Lena ! Ich hatte sie seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen, und sie sah fast noch genauso aus wie damals: schlank und umwerfend. Nur hatte sie jetzt auch noch schicke, teure Klamotten an, die ich außerhalb von Lifestylemagazinen noch nie gesehen hatte. Lena und ich hatten in grauer Vorzeit gemeinsam als junge motivierte Lektorinnen in der deutschen Filiale des Penguin- Buch-Verlags gearbeitet. Lena war ehrgeizig und neigte zu Ellenbogeneinsatz. Dennoch hatte ich die Nase immer leicht vorn. Schließlich bekam ich sogar eine Stelle in London angeboten, bei der es sich um einen absoluten Traumjob handelte, von dem aus ich - so wie ich es mir schon als Mädchen erträumt hatte - die Welt hätte erobern können. Als Lena von dem Angebot hörte, wurde sie grün vor Neid. Allerdings hatte ich wenige Wochen zuvor Frank in einem Beach-Club an der Spree kennengelernt. Ich spielte mit Freunden Volleyball, er kam hinzu, erklärte, dass er als Jura-Student neu in der Stadt wäre, und fragte, ob er mitspielen könnte. Ich sah in seine tiefen blauen Augen, und mein Gehirn machte winke, winke. Es überließ meinen Hormonen die Schlüssel zu meinem Körper und verabschiedete sich in den Urlaub, um an irgendeinem Karibikstrand Caipirinhas zu trinken und sich beim Limbo-Tanz zu vergnügen. Parallel dazu verabschiedete sich auch Franks Gehirn. Und wenn zwei Gehirne sich so verabschieden, dann kommt es schon mal nach einiger Zeit zu Situationen, in denen man liebestoll übereinander herfällt und sich vor lauter Leidenschaft nicht sonderlich dafür interessiert, dass das Kondom verrutscht ist. Mit der Folge, dass man ein paar Wochen später über Morgenübelkeit staunt. Als wir den positiven Schwangerschaftstest in den Händen hielten, freuten wir uns unheimlich. Dabei war mir schon klar, dass ich mit Kind den Traumjob in London nicht annehmen konnte. Aber ich liebte Frank, wie ich noch nie jemanden zuvor geliebt hatte. Und das Kind wegzumachen ... allein bei dem Gedanken wurde mir gleich noch morgenübler. Als ich dann beim Arzt das erste Mal auf dem Ultraschall das kleine schwimmende Etwas sah, das in mir heranwuchs, wurde mir ganz wohl ums Herz. Zutiefst beseelt, deutete ich auf das Ultraschallbild und flüsterte leise: « Es ist wunderschön. » Und es machte mir auch kaum etwas aus, als der Arzt anmerkte: « Das ist Ihre Blase. » Ich entschied mich gegen London, für das Kind und für Frank. Lena konnte mich nicht verstehen, sie hätte sich für eine Abtreibung entschieden, erklärte sie mir. Aber sie freute sich, konnte sie doch statt meiner die Stelle in London antreten, was sie mit dem Satz kommentierte: « Dein verrutschtes Kondom ist mein Glück. » Später hörte ich dann gelegentlich, dass Lena in London richtig Karriere gemacht hatte. Ich wollte aber nichts Genaueres über das Leben erfahren, das ich nicht gelebt hatte. Anfangs, weil ich mit meinem Familienleben so happy war, in den letzten Jahren hingegen eher, weil ich mich immer mal wieder bei Waswäre- wenn-Gedanken ertappte, denen ich keinen Raum geben wollte. Doch jetzt stand dieses Leben direkt vor mir. In meiner kleinen Buchhandlung. « Lena ...? », fragte ich ungläubig. « Wie ich leib und lebe », strahlte sie. Was wollte sie hier ? Nach all den Jahren ? « Du ...», stammelte ich, « du siehst unglaublich aus, wie früher. » « Du aber auch, Emma Wünschmann ! », erwiderte sie, und wir wussten beide, dass das gelogen war. Ich besaß bereits so viele graue Haare, dass ich schon öfters unsicher im Bad vor dem roten Haarfärbemittel meiner Tochter stand. Außerdem, und eigentlich noch viel schlimmer, besaß ich einen von den Schwangerschaften mitgenommenen dicken Bauch (Cheyenne hatte mir sogar mal ein T-Shirt geschenkt mit der Aufschrift Ich habe meine Magersucht überwunden). « Und du bist auch wieder schwanger ! », freute sich Lena und deutete auf meinen Bauch. Ich wurde hochrot. Und Cheyenne musste vor sich hin prusten. Lena sah in mein peinlich berührtes Gesicht und verstand: « Oh, tut mir leid ...» « Was ... was führt dich hierher ? », fragte ich, um von meinem Bauch abzulenken. « Ich bin beruflich in Berlin. Und als ich von den Leuten aus unserer alten Abteilung erfahren habe, dass du eine kleine Buchhandlung hast, dachte ich mir, ich komm mal vorbei », strahlte sie. « Und ... wie läuft es so in London ? », fragte ich und bereute die Frage schon, kaum hatte ich die Worte ausgesprochen. « Sehr gut. Ich leite jetzt die Abteilung Internationale Bestseller und betreue Dan Brown, John Grisham oder Cornelia Funke ...», schilderte sie in einem möglichst bescheidenen Tonfall, der ihre Lust am Angeben nur unzulänglich kaschierte. Jetzt war es klar, warum sie hier war: Sie wollte mir unter die Nase reiben, was für ein tolles Leben sie führte. Kleingeistig. Wirklich kleingeistig. Aber leider von Erfolg gekrönt. Ich hatte echt Mühe, vor Neid nicht grün anzulaufen. « Man kommt viel in der Welt herum », erklärte Lena nonchalant lächelnd. « Erst letzte Woche war ich bei einem Literaturfestival auf Mauritius. » Nun lief ich doch grün an und dachte: Wenn sie das noch steigert, dann schreie ich ! « Ich hab da Hugh Grant betreut. » « AHHHH ! ! ! », schrie ich nun laut. « Alles in Ordnung ? », fragte Lena besorgt. « Ähem, ja, ja ...», flunkerte ich hastig, « mich ... mich hat nur eine Kakerlake gebissen. » « Du hast Kakerlaken in deinem Laden ? », fragte sie angewidert. « Nur eine ...», gab ich zurück und wollte am liebsten vor Scham im Boden versinken. Aber ich riss mich nach ein paar Sekunden wieder zusammen und versuchte mir einzureden, dass ich nicht neidisch auf Lena sein musste. Karrierefrauen hatten in der Regel keine funktionierenden Beziehungen und auch keine Kinder und waren daher - so kennt man es ja aus Filmen und Frauenzeitungen - hinter ihrer strahlenden Fassade unglücklich und leer. « Und hast du eine Familie ? », fragte ich daher. « Nein », erwiderte sie, und ich freute mich in Gedanken: Wusste ich's doch, unglücklich ! « Ich habe erst mal so richtig gelebt », erklärte Lena. « Und ich hatte richtig viele Liebhaber. Du weißt ja, wie das ist. » « Nein, das weiß sie nicht », grinste Cheyenne breit, und ich hätte ihr gerne ein Buch an den Kopf geworfen. Oder zwanzig. « Oh ja », korrigierte sich Lena, « du hast ja das große Glück, schon seit fünfzehn Jahren den gleichen Mann im Bett zu haben. » Großes Glück, seufzte ich innerlich und dachte daran, dass Frank seit einiger Zeit nachts unter stressbedingten Blähungen litt. « Jedenfalls bin ich jetzt mit Liam zusammen », strahlte Lena und wirkte dabei leider kein bisschen unglücklich und leer. « Er ist Investmentbanker, und wir wohnen in einem sehr schnuckeligen Landhäuschen in der Nähe von London. » Sie ließ diesem Bild vom idyllischen Landleben etwas Zeit, sich vor meinem geistigen Auge zu formen, dann stellte sie die Frage, vor der ich am meisten Angst hatte: « Und, Emma, wie geht es bei dir so ? » Ich wollte mir keine Blöße geben und Lena demonstrieren, dass ich in meinem Leben auch alles richtig gemacht hatte. Daher erklärte ich: « Ich hab zwei ganz, ganz tolle Kinder ! » Cheyenne kicherte. « Sag mal », fragte ich meine alte Angestellte, « hast du nicht ein paar Bücher, die du einsortieren musst ? » « Nö, hab ich nicht », grinste sie. Die Hippiedame wollte sich das Schauspiel nicht entgehen lassen. Ich wandte mich wieder an Lena und erklärte mit gespieltem Lächeln: « Und Frank und ich führen schon seit fünfzehn Jahren eine richtig gute Ehe. » Cheyenne kicherte erneut, und ich hätte sie am liebsten gefragt: Sag mal, hast du keine Wand, gegen die du laufen musst ? « Und », wollte Lena nun wissen, « wie läuft deine Buchhandlung so? » « Ziemlich gut », erwiderte ich. Cheyenne gackerte jetzt laut auf. Ich warf ihr einen bösen Blick zu. Sie verstand und erklärte: « Ich muss mal für kleine Mädchen », und verschwand. Lena blickte der alten Dame irritiert nach und flüsterte: « So eine schräge Angestellte würde ich sofort entlassen. » « Das würde ich nie tun », erklärte ich bestimmt. Lena war davon sichtlich verblüfft. Sie wechselte jedoch schnell das Thema: « Ich hoffe, ich werde irgendwann genauso eine glückliche Familie haben wie du. » Man hörte lautes Gelächter vom Klo. « Was hat die Frau die ganze Zeit ? », wollte Lena wissen. « Ach, ihre Inkontinenz-Tabletten haben Nebenwirkungen », sagte ich. « Das habe ich gehört ! », protestierte Cheyenne hinter der Toilettentür. « Ich habe eine Idee für deinen Laden », erklärte Lena unvermittelt. Sie begriff ganz genau, dass das Geschäft nicht gut lief, und genoss es nun offensichtlich, mir gegenüber die Gönnerhafte zu geben. « Stephenie Meyer stellt heute Abend hier im Ritz-Carlton ihr neues Buch Biss zum Ende vor. Und dreimal darfst du raten, wer sie betreut ? » Ich brauchte nicht ein einziges Mal zu raten. « Ich kann sie dir bei der Buchpremiere vorstellen, und vielleicht können wir dafür sorgen, dass sie in deinem Laden eine Lesung macht ...» Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. So eine Veranstaltung würde meinen Laden stadtbekannt machen ! Am liebsten wäre ich Lena in diesem Augenblick vor Dankbarkeit um den Hals gefallen, obwohl mir klar war, dass sie mich nur einlud, damit ich aus nächster Nähe sehen konnte, was für eine traumhafte Karriere sie gemacht hatte. « Die Buchpremiere wird ein ganz großes Event », erklärte Lena begeistert. « Mit tollem Essen. Und wilden Monster-Kostümen. Weißt du was, bring doch deine Familie mit ! Dann kann ich sie mal kennenlernen. » « Das mache ich ! », antwortete ich lachend. Zum einen freute ich mich wegen der großen Chance. Zum anderen dachte ich mir: Wenn Lena meine Familie sieht, würde sie vielleicht neidisch auf mich werden. Schließlich war eine Familie das Einzige, was ich hatte und sie nicht ! Und wenn Lena neidisch war ... na ja, dann müsste ich nicht mehr so neidisch auf sie sein. Lena verabschiedete sich mit zwei angedeuteten Wangenküsschen und rauschte aus meinem Laden raus. Kaum war sie draußen, hörte ich die Spülung. Cheyenne kehrte von der Toilette zurück und stellte fest: « Vergiss es, die Tussi ist glücklicher als du. » Doch ich erwiderte entschlossen: « Das wollen wir doch mal sehen ! » FEE Ich wäre so gerne ein Hohltier gewesen. Seit Wochen langweilte unser bescheuerter Biolehrer uns mit Meeresquallen und anderen Hohltieren und versuchte dabei verzweifelt, die Illusion aufrechtzuerhalten, dass es irgendwie wichtig wäre, über diese Lebewesen Bescheid zu wissen. Was für eine verschwendete Zeit für uns alle ! Denn selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass man mal in ferner Zukunft als Erwachsene in einem Sessel sitzt und tatsächlich denken sollte: Mann, ich würde jetzt aber wirklich zu gerne wissen, wie diese blöden Hohltiere sich vermehren !, könnte man dann ja immer noch bei Wikipedia nachschlagen oder auf irgendeiner hundertmal besseren Internetnachschlageseite, die es bis dahin garantiert gab. Heute aber dachte ich das erste Mal richtig über die Hohltiere nach. Die hatten es eigentlich tierisch gut. So ein Hohltier hatte keine nölende Mutter, keinen gestressten Vater, keinen abnervenden Bruder und keinen Unterricht, in dem es mit Hohltieren angeödet wird. Vor allen Dingen aber konnte so ein Hohltier nicht sitzenbleiben, nur weil es keine Ahnung von Hohltieren hatte. Papa würde auf meine Ehrenrunde wohl eher desinteressiert reagieren, er war ja in seinem Bankjob so überarbeitet, dass er vermutlich noch nicht mal wusste, in welcher Klasse ich war. Mama aber würde sicherlich zur « Psycho-Mum » mutieren. Ständig hing sie mir in den Ohren damit, dass ich an meine Zukunft denken solle. Natürlich meinte sie es damit nur gut, das war mir schon klar, ich war ja nicht völlig verblödet. Aber je mehr sie die Dinge in ihrem Nölton vortrug, desto weniger Bock hatte ich, auf sie zu hören. Wenn man bei Wiki den Begriff « kontraproduktiv » eingeben würde, käme als Ergebnis bestimmt ein Foto meiner Mutter. Und überhaupt, wie sollte ich an meine Zukunft denken, wenn ich kaum die Gegenwart geregelt bekam ? Die Gegenwart saß zwei Reihen vor mir, hieß Jannis, war ein ziemlich guter Gitarrist und sah aus wie Pete Doherty, nur deutlich gesünder. Mit Jannis hatte ich gestern nicht nur gekifft, sondern auch in seinem Übungsraum auf dem Sofa herumgeknutscht. Allerdings bin ich nicht die volle Distanz mit ihm gegangen. Zum einen, weil ich noch nie mit einem Typen geschlafen hatte, und zum anderen, weil ich nicht wusste, wie ernst es Jannis mit mir überhaupt meinte. Dabei wäre es ziemlich schön gewesen, wenn er was von mir gewollt hätte, denn er war echt zärtlich, besonders in dem Augenblick, als er sanft meine beiden Schmetterlings-Tattoos auf den Schultern geküsst hatte. (Die Jungs, die ich davor hatte, waren nicht ansatzweise so geschickt gewesen wie Jannis. Die einen hatten sich nicht getraut, mich anzufassen, andere wieder um hatten meine Brüste mit Knetgummi verwechselt.) Leider war Jannis dafür berühmt, es mit Frauen so ernst zu meinen wie Dracula. Und selbst wenn er jemals eine aufrichtig lieben sollte, dann war das bestimmt nicht ich. Die Kerle, in die ich mich verknallte, ließen mich gerne mal sitzen. Mit dieser Jannis-Geschichte war ich also auf dem besten Wege, unglücklich zu werden. Aber obwohl ich das wusste, konnte ich nicht gegen meine Gefühle ankämpfen. Die Hohltiere hatten es auch in einer anderen Hinsicht gut: Sie hatten keine Hormone. Hormone sind doof. Man sollte sie abschaffen. Oder ins Gefängnis sperren. Da gehören sie hin, diese beknackten Hormone. Wären sie hinter Gitter, müsste ich mich nicht andauernd mit der Gegenwart rumschlagen, sondern könnte mich tatsächlich, wie von Mama gewünscht, mal um meine Zukunft kümmern. Meine ebenso dicke wie gute Freundin Jenny merkte, dass ich Jannis anstarrte, und flüsterte mir zu: « Bist du scharf auf ihn, Fee ? » « Red keinen Schwachsinn », zischelte ich zurück. « Das heißt also ‹ ja ›. » « Nein, das heißt ‹ Red keinen Schwachsinn › ! » « Und das heißt: ‹ Au Mann, fühl ich mich ertappt › », grinste Jenny. Sie war immer total selbstsicher. Dabei war sie so dick, dass sie in jeder High-School-Komödie das Mädchen spielen konnte, das bei der Jungensmannschaft der Ringer mitmacht. Aber Jenny hatte die Einstellung: Ich werde nie einen perfekten Körper haben, also ist es besser, sich jetzt damit abzufinden, als die nächsten siebzig Jahre unglücklich auf dem Erdball herumzulaufen. Ich selber war schlank und haderte dennoch ständig mit meinem flachbusigen Körper, mit dem ich die nächsten siebzig Jahre auf dem Erdball her umlaufen würde. Denn wenn der Körper meiner Mutter ein Indikator für meine Gene sein sollte, war klar, dass bei mir vornerum nichts mehr wachsen würde. Endlich klingelte es zur Pause, der Biolehrer beendete den Hohltiermonolog, bei dem er selber fast eingepennt wäre. Wir standen auf, und Jenny sagte: « Ich verzieh mich dann mal, Fee. » « Wieso ? », fragte ich. « Weil Jannis sich nähert. » Jannis kam wirklich auf uns zu ! Meine Knie begannen zu zittern. « Hi, Fee », sagte er bemüht lässig. Jetzt steckten meine Knie mit dem Zittern auch noch meine Unterlippe an, und ich antwortete: « Hhhhh. » Mein Gott, so hatte ich mich ja noch bei keinem Jungen benommen. Ich kam mir vor, als sei ich Hannah Montana entsprungen. « Ähem, was ? », fragte Jannis nett. Ich versuchte es nochmal, mit wenig Erfolg: « Hihhjjjanns. » Er schaute mich an, als ob ich von gestern noch bekifft wäre. Wir schwiegen etwas peinlich berührt. Erst als der Klassenraum leer war, begann er zu reden: « Du, wegen gestern ...» Es war klar, was jetzt kommen würde: Er würde sagen, dass er gestern zugedröhnt gewesen wäre, es nicht ernst gemeint hätte und sich das nächste Mädchen anschaffen wollte. Na ja, Letzteres würde er wohl nicht zugeben, er würde stattdessen irgendetwas von mangelnder Zeit labern. Aber im Prinzip würde es heißen: Die Nächste bitte. Um der Abfuhr zuvorzukommen, plapperte ich hastig drauflos: « Du, das war gestern alles ein Fehler. Ich hätte gar nicht erst mit dir rumgemacht, hätten wir das Gras nicht geraucht, denn mal im Ernst, du bist nicht gerade mein Typ, und gestern hättest du auch ruhig etwas mehr Deo vertragen können ...» Er schwieg, sah betreten zu Boden und sah dabei aus wie ein Hund, dem man über den Schwanz gefahren war. « Ist was ? », fragte ich daher unsicher. « Nein, wieso ? », erwiderte er bemüht cool. « Na ja, du siehst aus, als ob dir jemand über den Schwanz gefahren ist. » « WAS ? »
Copyright © 2011 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
« Ein indianisches Sprichwort sagt: Je mehr man jemanden liebt, desto mehr möchte man ihn umbringen », erklärte meine Angestellte. Und ich dachte mir: Mann, muss ich meine Familie lieben. Schon zum x-ten Male klingelte während der Arbeit in meinem kleinen Kinderbuchladen das Handy. Zuerst hatte meine Teenagertochter Fee angerufen, um mich seelisch darauf vorzubereiten, dass sie sitzenbleibt (sie besaß nun mal leider die Mathe-Begabung eines Labradors). Danach rief ihr kleiner Bruder Max an, um mir zu sagen, dass er nicht in die Wohnung reinkäme, weil er wieder einmal den Schlüssel vergessen hätte (ob es eigentlich so etwas wie Kinder- Alzheimer gab ?). Und diesmal war es laut Handy-Display mein Ehemann Frank. Höchstwahrscheinlich, um mir mitzuteilen, dass er - wie fast jeden Tag - später aus dem Büro nach Hause kommen würde. (Was nicht nur bedeutete, dass ich mich erst mal ganz allein mit Fee wegen ihrer geradezu olympischen schulischen Faulheit herumstreiten dürfte, sondern auch, dass ich wieder mal ohne jegliche Hilfe gegen das Chaos in unserer Wohnung ankämpfen müsste. Die sah an einigen Tagen so aus, als ob plündernde Hunnen durch sie gewandert waren. Begleitet von Elefanten. Und von Ogern. Und von Britney Spears.) Ich beschloss, nicht ans Handy zu gehen, um mir ein Gespräch zu ersparen, bei dem ich mich nur wahnsinnig aufregen würde und an dessen Ende ich mich noch mehr darüber aufregen würde, dass ich mich so aufgeregt hatte. Stattdessen starrte ich stumpf aus dem Fenster meines Buchladens namens Lemmi und die Schmöker. Dabei dachte ich traurig daran, dass es mal eine Zeit gegeben hatte, in der ich meine Familie ohne negative Gedanken geliebt hatte. Das war, bevor wir von diesen gemeinen Monstern heimgesucht worden waren, die da hießen: Berufsstress, Midlife-Crisis und Pubertät. Ja, wir Wünschmanns waren mal eine glückliche Familie gewesen. Aber irgendetwas war uns in den letzten Jahren verloren gegangen. Bedauerlicherweise hatte ich keine Ahnung, um was genau es sich dabei handelte, und dementsprechend noch viel weniger Ahnung, wie ich dieses Etwas je wiederfinden konnte. Dabei wünschte ich es mir so sehr. Während ich mich nach den alten Zeiten zurücksehnte, ging am Fenster meines Buchladens ein junger Mann mit einem faszinierenden Hintern vorbei. Ich rückte meine Brille zurecht und betrachtete ihn mir genauer. « Knackiger Po, was ? », bemerkte meine alte Angestellte Cheyenne, die eigentlich Renate hieß, aber auf diesen Namen nicht hörte und mit ihren Blumen im Haar und ihren wallenden Kleidern wohl die älteste Hippiefrau des uns bekannten Universums war. « Ähem, ich hab keinen Po gesehen », flunkerte ich nicht sonderlich überzeugend. Cheyenne lächelte nur verschmitzt. Daher fügte ich schnell hinzu: « Abgesehen davon, war der ein bisschen zu knochig. » « Du hast ihn also doch gesehen, Emma », grinste die alte Dame. Und während ich ertappt dreinblickte, stellte sie fest: « Der Junge könnte dein Sohn sein. » Mein Gott, Cheyenne hatte recht. Ich war Ende dreißig, der Typ höchstens Anfang zwanzig. Und ich gaffte so einem jungen Mann hinterher. Wie beschämend. « Wann hattest du eigentlich das letzte Mal Sex, Emma ? », fragte Cheyenne und nippte an ihrem Yogi-Tee, der roch, als hätte ein sehr alter Yogi seine Füße darin gebadet. « Ähem ...», zögerte ich mit der Antwort, weil ich Schwierigkeiten hatte, mich daran zu erinnern. « Hab ich mir gedacht », grinste sie nun sehr breit. Tatsächlich war bei all dem Stress, den Frank und ich mit unseren Berufen und Kindern hatten, regelmäßiger Sex für uns beide Science-Fiction. « Ich hatte gestern das letzte Mal », teilte Cheyenne freudig mit. Noch bevor ich sie darum bitten konnte, nicht ins Detail zu gehen, redete sie weiter: « Ich sag dir, Werner ist zwar etwas klapprig, aber er hat ein riesiges Dingeling ...» « Moment mal », fragte ich etwas irritiert, « du nennst sein Ding ... ‹ Dingeling › ? » « ‹ Dingeling › oder ‹ Pipimann ›. » « Dann lieber Dingeling », befand ich. « Das findet Werner auch. » Sie nippte noch mal an dem Tee und fuhr genüsslich fort: « Werner ist fast so ein guter Liebhaber wie Carlos, damals im heißen Herbst. » Cheyenne erzählte immer wieder gerne von all ihren verflossenen Liebhabern, die sie im Laufe der Jahrzehnte vernascht hatte, von Yussuf, Mumbato oder Mao ... Und ich liebte es, ihren Geschichten aus all den fernen Ländern zu lauschen. Länder, die ich wohl nie sehen würde, obwohl ich als junges Mädchen immer davon geträumt hatte, die ganze Welt zu bereisen. « Ich muss nach Hause, meinen Sohnemann in die Wohnung lassen ...», erklärte ich seufzend und nahm meine abgewetzte Lederjacke von der Garderobe. « Geh nur, Emma, wir haben ja eh kaum Kunden », lächelte die alte Hippiebraut. « Oh, wir haben viele Kunden ! », protestierte ich. Aber das stimmte nicht. Auch an diesem Vormittag waren es nur wenige gewesen: die Ärztin, die sich einmal die Woche stundenlang von mir beraten ließ und sich dann die Bücher immer auf Amazon bestellte. Eine Familie, deren Kinder sich einen Band vom Magischen Baumhaus kauften, dafür aber mit ihren Softeishänden zwölf teure Hardcoverbücher beim Durchblättern ruinierten. Und Cheyennes Lover Werner, der, nur um seine Liebste zu sehen, sich das Pixi-Buch Conny schläft im Kindergarten anschaffte. « Wir sollten Erotikromane verkaufen », schlug Cheyenne vor. « Wir sind ein Kinderbuchladen ! » « Es gibt da aber ganz viele interessante Titel im Erotikbereich », ließ sie nicht locker, « zum Beispiel Die Kosakensklavin ...» Ich verzog das Gesicht. « Oder Bettenwechsel in Dänemark ...» Ich verzog noch mehr das Gesicht. « Oder Drei Nüsse für Aschenbrödel ...» « Das ist eine Kindergeschichte », widersprach ich. « Nicht in dieser Variante », grinste Cheyenne. « Ich will nicht solche Bücher verkaufen ! », protestierte ich und fügte noch schnell hinzu: « Und auch nicht genauer darüber nachdenken, warum es drei Nüsse sind. » « Aber der Laden geht sonst den Bach runter ! », insistierte Cheyenne. « Unser Lesesofa ist durchgesessen, die Spielecke für die Kinder fast so alt wie ich, und als ich neulich im Lager die Regale entstaubt habe, sah mich plötzlich eine Kakerlake an. » Cheyenne sprach lauter ungeliebte Wahrheiten über meine Buchhandlung aus. Wahrheiten, die ich nicht hören wollte, weil ich sie selbst zu verantworten hatte. Wenn ich mehr Energie und Zeit für den Laden hätte, würde es hier besser aussehen und auch um den Umsatz besser stehen. Aber wer hatte schon Zeit und Energie, wenn er so eine kraftraubende Familie besaß wie ich ? Cheyenne sprach gleich noch eine weitere Wahrheit aus, eine sehr bittere: « Du hast nur eine Möglichkeit, den Gewinn zu steigern: Du musst mich entlassen. » « Das kommt nicht in die Tüte », erwiderte ich. « Du brauchst mich aber nicht », seufzte Cheyenne traurig und wirkte mit einem Male wirklich alt, « die paar Bücher kannst du auch selbst verkaufen. » Das stimmt, dachte ich. « Und ich verrechne mich andauernd », klagte sie leise. « Das stimmt », sprach ich nun laut aus. « Und ich hab letzte Woche das Klo verstopft. » « Du warst das ? ! ? », rief ich empört aus, denn das verstopfte Klo hatte eine extrem hohe Klempnerrechnung nach sich gezogen. « Wie hast du denn das hingekriegt ? » « Mir ist mein Hämorrhoidenpflaster reingefallen », gestand sie kleinlaut. Cheyenne hatte mit allem recht: Wenn ich sie entlassen würde, wäre es besser für mein Konto und wohl auch für meinen Laden. Aber ohne Lohn würde sie in ihrem VW-Bus übernachten müssen, bezog sie doch kaum Rente, weil sie, anstatt zu arbeiten, ihr Leben lang durch die Welt gezogen war. Dabei hatte sie - wie ich immer wehmütig dachte - mehr erlebt und gelebt, als ich es in meinem kleinen, langweiligen Leben je tun würde. « Ich werde dich nie entlassen », erklärte ich bestimmt. Cheyenne ächelte mich zutiefst dankbar an und sagte: « Du bist eine Gute. » Ich musste zurücklächeln. Aber mir war klar, dass ich mir irgendetwas einfallen lassen musste, wenn ich wollte, dass mein Laden überlebte. Denn ohne ihn würde ich nur noch Hausfrau und Mutter sein. Und das war mir viel zu wenig. Vor allem in dem Zustand, in dem sich diese Familie gerade befand. Ich schickte einen Wunsch ins Universum, dass es eine Rettung für meinen Laden geben möge, nur um gleich darauf festzustellen: Das Universum besaß einen recht merkwürdigen Sinn für Humor. * Ich wollte gerade aus der Tür gehen, da betrat sie meinen Laden: Lena. Ausgerechnet Lena ! Ich hatte sie seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen, und sie sah fast noch genauso aus wie damals: schlank und umwerfend. Nur hatte sie jetzt auch noch schicke, teure Klamotten an, die ich außerhalb von Lifestylemagazinen noch nie gesehen hatte. Lena und ich hatten in grauer Vorzeit gemeinsam als junge motivierte Lektorinnen in der deutschen Filiale des Penguin- Buch-Verlags gearbeitet. Lena war ehrgeizig und neigte zu Ellenbogeneinsatz. Dennoch hatte ich die Nase immer leicht vorn. Schließlich bekam ich sogar eine Stelle in London angeboten, bei der es sich um einen absoluten Traumjob handelte, von dem aus ich - so wie ich es mir schon als Mädchen erträumt hatte - die Welt hätte erobern können. Als Lena von dem Angebot hörte, wurde sie grün vor Neid. Allerdings hatte ich wenige Wochen zuvor Frank in einem Beach-Club an der Spree kennengelernt. Ich spielte mit Freunden Volleyball, er kam hinzu, erklärte, dass er als Jura-Student neu in der Stadt wäre, und fragte, ob er mitspielen könnte. Ich sah in seine tiefen blauen Augen, und mein Gehirn machte winke, winke. Es überließ meinen Hormonen die Schlüssel zu meinem Körper und verabschiedete sich in den Urlaub, um an irgendeinem Karibikstrand Caipirinhas zu trinken und sich beim Limbo-Tanz zu vergnügen. Parallel dazu verabschiedete sich auch Franks Gehirn. Und wenn zwei Gehirne sich so verabschieden, dann kommt es schon mal nach einiger Zeit zu Situationen, in denen man liebestoll übereinander herfällt und sich vor lauter Leidenschaft nicht sonderlich dafür interessiert, dass das Kondom verrutscht ist. Mit der Folge, dass man ein paar Wochen später über Morgenübelkeit staunt. Als wir den positiven Schwangerschaftstest in den Händen hielten, freuten wir uns unheimlich. Dabei war mir schon klar, dass ich mit Kind den Traumjob in London nicht annehmen konnte. Aber ich liebte Frank, wie ich noch nie jemanden zuvor geliebt hatte. Und das Kind wegzumachen ... allein bei dem Gedanken wurde mir gleich noch morgenübler. Als ich dann beim Arzt das erste Mal auf dem Ultraschall das kleine schwimmende Etwas sah, das in mir heranwuchs, wurde mir ganz wohl ums Herz. Zutiefst beseelt, deutete ich auf das Ultraschallbild und flüsterte leise: « Es ist wunderschön. » Und es machte mir auch kaum etwas aus, als der Arzt anmerkte: « Das ist Ihre Blase. » Ich entschied mich gegen London, für das Kind und für Frank. Lena konnte mich nicht verstehen, sie hätte sich für eine Abtreibung entschieden, erklärte sie mir. Aber sie freute sich, konnte sie doch statt meiner die Stelle in London antreten, was sie mit dem Satz kommentierte: « Dein verrutschtes Kondom ist mein Glück. » Später hörte ich dann gelegentlich, dass Lena in London richtig Karriere gemacht hatte. Ich wollte aber nichts Genaueres über das Leben erfahren, das ich nicht gelebt hatte. Anfangs, weil ich mit meinem Familienleben so happy war, in den letzten Jahren hingegen eher, weil ich mich immer mal wieder bei Waswäre- wenn-Gedanken ertappte, denen ich keinen Raum geben wollte. Doch jetzt stand dieses Leben direkt vor mir. In meiner kleinen Buchhandlung. « Lena ...? », fragte ich ungläubig. « Wie ich leib und lebe », strahlte sie. Was wollte sie hier ? Nach all den Jahren ? « Du ...», stammelte ich, « du siehst unglaublich aus, wie früher. » « Du aber auch, Emma Wünschmann ! », erwiderte sie, und wir wussten beide, dass das gelogen war. Ich besaß bereits so viele graue Haare, dass ich schon öfters unsicher im Bad vor dem roten Haarfärbemittel meiner Tochter stand. Außerdem, und eigentlich noch viel schlimmer, besaß ich einen von den Schwangerschaften mitgenommenen dicken Bauch (Cheyenne hatte mir sogar mal ein T-Shirt geschenkt mit der Aufschrift Ich habe meine Magersucht überwunden). « Und du bist auch wieder schwanger ! », freute sich Lena und deutete auf meinen Bauch. Ich wurde hochrot. Und Cheyenne musste vor sich hin prusten. Lena sah in mein peinlich berührtes Gesicht und verstand: « Oh, tut mir leid ...» « Was ... was führt dich hierher ? », fragte ich, um von meinem Bauch abzulenken. « Ich bin beruflich in Berlin. Und als ich von den Leuten aus unserer alten Abteilung erfahren habe, dass du eine kleine Buchhandlung hast, dachte ich mir, ich komm mal vorbei », strahlte sie. « Und ... wie läuft es so in London ? », fragte ich und bereute die Frage schon, kaum hatte ich die Worte ausgesprochen. « Sehr gut. Ich leite jetzt die Abteilung Internationale Bestseller und betreue Dan Brown, John Grisham oder Cornelia Funke ...», schilderte sie in einem möglichst bescheidenen Tonfall, der ihre Lust am Angeben nur unzulänglich kaschierte. Jetzt war es klar, warum sie hier war: Sie wollte mir unter die Nase reiben, was für ein tolles Leben sie führte. Kleingeistig. Wirklich kleingeistig. Aber leider von Erfolg gekrönt. Ich hatte echt Mühe, vor Neid nicht grün anzulaufen. « Man kommt viel in der Welt herum », erklärte Lena nonchalant lächelnd. « Erst letzte Woche war ich bei einem Literaturfestival auf Mauritius. » Nun lief ich doch grün an und dachte: Wenn sie das noch steigert, dann schreie ich ! « Ich hab da Hugh Grant betreut. » « AHHHH ! ! ! », schrie ich nun laut. « Alles in Ordnung ? », fragte Lena besorgt. « Ähem, ja, ja ...», flunkerte ich hastig, « mich ... mich hat nur eine Kakerlake gebissen. » « Du hast Kakerlaken in deinem Laden ? », fragte sie angewidert. « Nur eine ...», gab ich zurück und wollte am liebsten vor Scham im Boden versinken. Aber ich riss mich nach ein paar Sekunden wieder zusammen und versuchte mir einzureden, dass ich nicht neidisch auf Lena sein musste. Karrierefrauen hatten in der Regel keine funktionierenden Beziehungen und auch keine Kinder und waren daher - so kennt man es ja aus Filmen und Frauenzeitungen - hinter ihrer strahlenden Fassade unglücklich und leer. « Und hast du eine Familie ? », fragte ich daher. « Nein », erwiderte sie, und ich freute mich in Gedanken: Wusste ich's doch, unglücklich ! « Ich habe erst mal so richtig gelebt », erklärte Lena. « Und ich hatte richtig viele Liebhaber. Du weißt ja, wie das ist. » « Nein, das weiß sie nicht », grinste Cheyenne breit, und ich hätte ihr gerne ein Buch an den Kopf geworfen. Oder zwanzig. « Oh ja », korrigierte sich Lena, « du hast ja das große Glück, schon seit fünfzehn Jahren den gleichen Mann im Bett zu haben. » Großes Glück, seufzte ich innerlich und dachte daran, dass Frank seit einiger Zeit nachts unter stressbedingten Blähungen litt. « Jedenfalls bin ich jetzt mit Liam zusammen », strahlte Lena und wirkte dabei leider kein bisschen unglücklich und leer. « Er ist Investmentbanker, und wir wohnen in einem sehr schnuckeligen Landhäuschen in der Nähe von London. » Sie ließ diesem Bild vom idyllischen Landleben etwas Zeit, sich vor meinem geistigen Auge zu formen, dann stellte sie die Frage, vor der ich am meisten Angst hatte: « Und, Emma, wie geht es bei dir so ? » Ich wollte mir keine Blöße geben und Lena demonstrieren, dass ich in meinem Leben auch alles richtig gemacht hatte. Daher erklärte ich: « Ich hab zwei ganz, ganz tolle Kinder ! » Cheyenne kicherte. « Sag mal », fragte ich meine alte Angestellte, « hast du nicht ein paar Bücher, die du einsortieren musst ? » « Nö, hab ich nicht », grinste sie. Die Hippiedame wollte sich das Schauspiel nicht entgehen lassen. Ich wandte mich wieder an Lena und erklärte mit gespieltem Lächeln: « Und Frank und ich führen schon seit fünfzehn Jahren eine richtig gute Ehe. » Cheyenne kicherte erneut, und ich hätte sie am liebsten gefragt: Sag mal, hast du keine Wand, gegen die du laufen musst ? « Und », wollte Lena nun wissen, « wie läuft deine Buchhandlung so? » « Ziemlich gut », erwiderte ich. Cheyenne gackerte jetzt laut auf. Ich warf ihr einen bösen Blick zu. Sie verstand und erklärte: « Ich muss mal für kleine Mädchen », und verschwand. Lena blickte der alten Dame irritiert nach und flüsterte: « So eine schräge Angestellte würde ich sofort entlassen. » « Das würde ich nie tun », erklärte ich bestimmt. Lena war davon sichtlich verblüfft. Sie wechselte jedoch schnell das Thema: « Ich hoffe, ich werde irgendwann genauso eine glückliche Familie haben wie du. » Man hörte lautes Gelächter vom Klo. « Was hat die Frau die ganze Zeit ? », wollte Lena wissen. « Ach, ihre Inkontinenz-Tabletten haben Nebenwirkungen », sagte ich. « Das habe ich gehört ! », protestierte Cheyenne hinter der Toilettentür. « Ich habe eine Idee für deinen Laden », erklärte Lena unvermittelt. Sie begriff ganz genau, dass das Geschäft nicht gut lief, und genoss es nun offensichtlich, mir gegenüber die Gönnerhafte zu geben. « Stephenie Meyer stellt heute Abend hier im Ritz-Carlton ihr neues Buch Biss zum Ende vor. Und dreimal darfst du raten, wer sie betreut ? » Ich brauchte nicht ein einziges Mal zu raten. « Ich kann sie dir bei der Buchpremiere vorstellen, und vielleicht können wir dafür sorgen, dass sie in deinem Laden eine Lesung macht ...» Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. So eine Veranstaltung würde meinen Laden stadtbekannt machen ! Am liebsten wäre ich Lena in diesem Augenblick vor Dankbarkeit um den Hals gefallen, obwohl mir klar war, dass sie mich nur einlud, damit ich aus nächster Nähe sehen konnte, was für eine traumhafte Karriere sie gemacht hatte. « Die Buchpremiere wird ein ganz großes Event », erklärte Lena begeistert. « Mit tollem Essen. Und wilden Monster-Kostümen. Weißt du was, bring doch deine Familie mit ! Dann kann ich sie mal kennenlernen. » « Das mache ich ! », antwortete ich lachend. Zum einen freute ich mich wegen der großen Chance. Zum anderen dachte ich mir: Wenn Lena meine Familie sieht, würde sie vielleicht neidisch auf mich werden. Schließlich war eine Familie das Einzige, was ich hatte und sie nicht ! Und wenn Lena neidisch war ... na ja, dann müsste ich nicht mehr so neidisch auf sie sein. Lena verabschiedete sich mit zwei angedeuteten Wangenküsschen und rauschte aus meinem Laden raus. Kaum war sie draußen, hörte ich die Spülung. Cheyenne kehrte von der Toilette zurück und stellte fest: « Vergiss es, die Tussi ist glücklicher als du. » Doch ich erwiderte entschlossen: « Das wollen wir doch mal sehen ! » FEE Ich wäre so gerne ein Hohltier gewesen. Seit Wochen langweilte unser bescheuerter Biolehrer uns mit Meeresquallen und anderen Hohltieren und versuchte dabei verzweifelt, die Illusion aufrechtzuerhalten, dass es irgendwie wichtig wäre, über diese Lebewesen Bescheid zu wissen. Was für eine verschwendete Zeit für uns alle ! Denn selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass man mal in ferner Zukunft als Erwachsene in einem Sessel sitzt und tatsächlich denken sollte: Mann, ich würde jetzt aber wirklich zu gerne wissen, wie diese blöden Hohltiere sich vermehren !, könnte man dann ja immer noch bei Wikipedia nachschlagen oder auf irgendeiner hundertmal besseren Internetnachschlageseite, die es bis dahin garantiert gab. Heute aber dachte ich das erste Mal richtig über die Hohltiere nach. Die hatten es eigentlich tierisch gut. So ein Hohltier hatte keine nölende Mutter, keinen gestressten Vater, keinen abnervenden Bruder und keinen Unterricht, in dem es mit Hohltieren angeödet wird. Vor allen Dingen aber konnte so ein Hohltier nicht sitzenbleiben, nur weil es keine Ahnung von Hohltieren hatte. Papa würde auf meine Ehrenrunde wohl eher desinteressiert reagieren, er war ja in seinem Bankjob so überarbeitet, dass er vermutlich noch nicht mal wusste, in welcher Klasse ich war. Mama aber würde sicherlich zur « Psycho-Mum » mutieren. Ständig hing sie mir in den Ohren damit, dass ich an meine Zukunft denken solle. Natürlich meinte sie es damit nur gut, das war mir schon klar, ich war ja nicht völlig verblödet. Aber je mehr sie die Dinge in ihrem Nölton vortrug, desto weniger Bock hatte ich, auf sie zu hören. Wenn man bei Wiki den Begriff « kontraproduktiv » eingeben würde, käme als Ergebnis bestimmt ein Foto meiner Mutter. Und überhaupt, wie sollte ich an meine Zukunft denken, wenn ich kaum die Gegenwart geregelt bekam ? Die Gegenwart saß zwei Reihen vor mir, hieß Jannis, war ein ziemlich guter Gitarrist und sah aus wie Pete Doherty, nur deutlich gesünder. Mit Jannis hatte ich gestern nicht nur gekifft, sondern auch in seinem Übungsraum auf dem Sofa herumgeknutscht. Allerdings bin ich nicht die volle Distanz mit ihm gegangen. Zum einen, weil ich noch nie mit einem Typen geschlafen hatte, und zum anderen, weil ich nicht wusste, wie ernst es Jannis mit mir überhaupt meinte. Dabei wäre es ziemlich schön gewesen, wenn er was von mir gewollt hätte, denn er war echt zärtlich, besonders in dem Augenblick, als er sanft meine beiden Schmetterlings-Tattoos auf den Schultern geküsst hatte. (Die Jungs, die ich davor hatte, waren nicht ansatzweise so geschickt gewesen wie Jannis. Die einen hatten sich nicht getraut, mich anzufassen, andere wieder um hatten meine Brüste mit Knetgummi verwechselt.) Leider war Jannis dafür berühmt, es mit Frauen so ernst zu meinen wie Dracula. Und selbst wenn er jemals eine aufrichtig lieben sollte, dann war das bestimmt nicht ich. Die Kerle, in die ich mich verknallte, ließen mich gerne mal sitzen. Mit dieser Jannis-Geschichte war ich also auf dem besten Wege, unglücklich zu werden. Aber obwohl ich das wusste, konnte ich nicht gegen meine Gefühle ankämpfen. Die Hohltiere hatten es auch in einer anderen Hinsicht gut: Sie hatten keine Hormone. Hormone sind doof. Man sollte sie abschaffen. Oder ins Gefängnis sperren. Da gehören sie hin, diese beknackten Hormone. Wären sie hinter Gitter, müsste ich mich nicht andauernd mit der Gegenwart rumschlagen, sondern könnte mich tatsächlich, wie von Mama gewünscht, mal um meine Zukunft kümmern. Meine ebenso dicke wie gute Freundin Jenny merkte, dass ich Jannis anstarrte, und flüsterte mir zu: « Bist du scharf auf ihn, Fee ? » « Red keinen Schwachsinn », zischelte ich zurück. « Das heißt also ‹ ja ›. » « Nein, das heißt ‹ Red keinen Schwachsinn › ! » « Und das heißt: ‹ Au Mann, fühl ich mich ertappt › », grinste Jenny. Sie war immer total selbstsicher. Dabei war sie so dick, dass sie in jeder High-School-Komödie das Mädchen spielen konnte, das bei der Jungensmannschaft der Ringer mitmacht. Aber Jenny hatte die Einstellung: Ich werde nie einen perfekten Körper haben, also ist es besser, sich jetzt damit abzufinden, als die nächsten siebzig Jahre unglücklich auf dem Erdball herumzulaufen. Ich selber war schlank und haderte dennoch ständig mit meinem flachbusigen Körper, mit dem ich die nächsten siebzig Jahre auf dem Erdball her umlaufen würde. Denn wenn der Körper meiner Mutter ein Indikator für meine Gene sein sollte, war klar, dass bei mir vornerum nichts mehr wachsen würde. Endlich klingelte es zur Pause, der Biolehrer beendete den Hohltiermonolog, bei dem er selber fast eingepennt wäre. Wir standen auf, und Jenny sagte: « Ich verzieh mich dann mal, Fee. » « Wieso ? », fragte ich. « Weil Jannis sich nähert. » Jannis kam wirklich auf uns zu ! Meine Knie begannen zu zittern. « Hi, Fee », sagte er bemüht lässig. Jetzt steckten meine Knie mit dem Zittern auch noch meine Unterlippe an, und ich antwortete: « Hhhhh. » Mein Gott, so hatte ich mich ja noch bei keinem Jungen benommen. Ich kam mir vor, als sei ich Hannah Montana entsprungen. « Ähem, was ? », fragte Jannis nett. Ich versuchte es nochmal, mit wenig Erfolg: « Hihhjjjanns. » Er schaute mich an, als ob ich von gestern noch bekifft wäre. Wir schwiegen etwas peinlich berührt. Erst als der Klassenraum leer war, begann er zu reden: « Du, wegen gestern ...» Es war klar, was jetzt kommen würde: Er würde sagen, dass er gestern zugedröhnt gewesen wäre, es nicht ernst gemeint hätte und sich das nächste Mädchen anschaffen wollte. Na ja, Letzteres würde er wohl nicht zugeben, er würde stattdessen irgendetwas von mangelnder Zeit labern. Aber im Prinzip würde es heißen: Die Nächste bitte. Um der Abfuhr zuvorzukommen, plapperte ich hastig drauflos: « Du, das war gestern alles ein Fehler. Ich hätte gar nicht erst mit dir rumgemacht, hätten wir das Gras nicht geraucht, denn mal im Ernst, du bist nicht gerade mein Typ, und gestern hättest du auch ruhig etwas mehr Deo vertragen können ...» Er schwieg, sah betreten zu Boden und sah dabei aus wie ein Hund, dem man über den Schwanz gefahren war. « Ist was ? », fragte ich daher unsicher. « Nein, wieso ? », erwiderte er bemüht cool. « Na ja, du siehst aus, als ob dir jemand über den Schwanz gefahren ist. » « WAS ? »
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Autoren-Porträt von David Safier
David Safier, 1966 geboren, zählt zu den erfolgreichsten Autoren der letzten Jahre. Seine Romane, darunter «Mieses Karma», «Jesus liebt mich», «Happy Family» und «MUH!» erreichten Millionenauflagen im In- und Ausland. Der erste Band seiner Krimireihe rund um die Ex-Kanzlerin gehört zu den bestverkauften Büchern des Jahres 2021. Als Drehbuchautor wurde David Safier unter anderem mit dem Grimme-Preis sowie dem International Emmy ausgezeichnet. Er lebt und arbeitet in Bremen, ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Bibliographische Angaben
- Autor: David Safier
- 2011, 2. Aufl., 314 Seiten, mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Abbildungen, mit Abbildungen, Maße: 13,2 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Kindler
- ISBN-10: 3463406187
- ISBN-13: 9783463406183
- Erscheinungsdatum: 12.09.2011
Pressezitat
David Safier spielt wie immer lustvoll mit Magie und Verwandlung. Und die Leser sind happy. Freundin
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