Harmonia Caelestis
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Harmonia Cælestis von Péter Esterházy
LESEPROBE
Längst waren die Türken aus Eisenstadt abgezogen, längst hattensie auch Ungarn verlassen, als eines Tages zwei prunkvoll gekleidete Herren insDorf kamen. Beide waren Türken. Sie gingen gleich ins erste Haus und grüßten:Gott sei mit Euch! Und mit Euch! Was führt Euch zu uns? fragte der Hausherr,der kein Geringerer als mein Vater war. Darauf sagte einer der türkischenHerren: Dies hat aber eine große Bewandtnis. Wird nicht hier im Dorf von einerFrau gesprochen, die von den Türken verschleppt wurde und die wieder flüchtenkonnte? Man erzählt sich vieles in der Art, antwortete mein Vater vorsichtig. Nunaber war das so, daß man die beiden Kinder dieser Frau auf dem Wagendavonbrachte, sie selbst aber hinten an den Wagen gebunden war. Die Frauschnitt unbemerkt die Fesseln durch, rutschte in den Straßengraben undverschwand. Wie hatte sie es übers Herz bringen können, ihr eigen Fleisch undBlut zurückzulassen? So, daß sie im Dorf zwei jüngere Waisen zurückgelassenhatte, zu denen sie sich zurückstahl. Ob man von ihr wüßte? Denn sie würden gutdafür zahlen, wenn jemand eine Nachricht von ihr brächte. Doch sie insistierten- denn sie insistierten - umsonst, niemand im Dorf hatte von dieser Fraugehört. >Was verborgen ist, interessiert unsnicht, sagten sie auf deutsch, denn sie sprachen das Ungarische sogut wie das Deutsche. (Überdies wohnten dort auch noch Juden und Kroaten.) Sieist sicher umgekommen, weder von ihr noch von ihrer Familie ist irgend etwasgeblieben. Daraufhin wurden die beiden türkischen Herren sehr traurig. Der einesagte: Dabei sind wir allein dafür von so weit her, aus Konstantinopel,gekommen. Und wozu denn diese lange Reise, wenn ich Euch nicht zu nahe trete,fragte der Eisenstädter Hofbesitzer, mein Vater, vorsichtig. Deswegen, meinHerr, weil diese Frau unsere liebe Mutter war. Seitdem wir ihre Geschichtekennen, suchen wir sie immerfort, aber nun sehen wir, daß wir sie niemalsfinden werden. Wartet ein wenig, sagte mein Vater, bot den beiden DuttträgernPlätze an und bat meine Mutter hereinzukommen, Maria Josepha Hermengilde,Prinzessin von und zu Liechtenstein, diese große, starke Frau, mit einem Schleiervor dem Gesicht, das ganze Zimmer mit ihrer Persönlichkeit ausfüllend, mitihrem Charakter, ihrem riesigen Hut mit Federn und ihrem Kleid, das knisterte,obwohl sie sich in keinem Augenblick bewegte. Die Türken sprangen sofort aufund küßten ihr die Hand, die Türken, die noch keinem gegenüber je so einen Respekthaben walten lassen wie jetzt meiner Mutter gegenüber. Das ist jetzt unwichtig,fuhr mein Vater gereizt dazwischen, aber ist denn das Eure liebe Mutter? Und erhieß meine Mutter, sich einmal umzudrehen, damit sie sie von vorne, hinten undauch der Seite betrachten konnten. Nein, wiegten die Usmanen die Köpfe, das istnicht die Mami. Sie nahmen in großer Traurigkeit Abschied und kehrten zurücknach Konstantinopel. Mein Vater wartete ab, bis die Gäste, die ungebetenenGäste, nur so nebenbei bemerkt, den Hof verlassen hatten, und schlug plötzlichaus der Rückhand brutal meiner Mutter, dieser großen, starken Frau mit einemSchleier vor dem Gesicht, die das ganze Zimmer mit ihrer Persönlichkeitausfüllte, mit ihrem Charakter, ihrem riesigen Hut mit Federn und ihrem Kleid,das knisterte, obwohl sie sich in keinem Augenblick bewegte, eins in dieFresse. Ihre Lippe platzte auf, das Blut tropfte auf den Dielenboden. MeinVater wurde angesichts des Blutes ganz wild (er faßte es als Beleidigung auf,als hätte meine Mutter ihn mit voller Absicht geärgert, ihn ärgern wollen), erschlug wieder zu, und meine Mutter stürzte zu Boden, stürzte ihrem Bluthinterher. Sie blieb also nicht bewegungslos. Sie winseltevor Angst. Sie hatte Angst vor den Schlägen, Angst vor dem Schmerz (wenn ergetrunken hatte, kannte mein Vater weder Gott noch Teufel), aber vor allemhatte sie Angst, daß sie nach ihren beiden leiblichen Kindern auch noch meinenVater verlieren könnte. Das wäre zuviel gewesen. Mein Vater versetzte dem am Bodenliegenden Körper noch einen Tritt und rannte anschließend auf den Hof hinaus.Er keuchte. Die Sonne ging gerade unter. Langsam kam er wieder zur Ruhe (meinVater). Er hatte keine gute Laune. Die Tür unseres Hauses pendelte im spätenAbendwind hin und her.
Und wieder einmal war mein Vater gekommen. In seinem Gesichtstanden schwarze Stoppeln, seine Augen wurden nur noch von den roten Aderchenzusammengehalten, es schien ihm auch ein Zahn zu fehlen, und er stank nachAlkohol. Er blinzelte fidel in die Gegend. Sie umringten ihn mißtrauisch, derWiener Hof, die hungarischen Herren, das Ministerpräsidialamt, die Hausdienerschaft,das halbe Transdanubien und meine Mutter. Hinter meinem Vater wurden vierzehnKoffer hereingetragen, vierzehn englische Schweinslederkoffer von verschiedenerForm und Funktion, aber alles eine Kollektion, Richardson & Dumble, London.Was soll das?, sie hoben die Augenbrauen, der Wiener Hof, die hungarischenHerren, das Ministerpräsidialamt, die Hausdienerschaft, das halbe Transdanubienund meine Mutter. Ich trage Sachen mit mir herum, sagte mein Vater und senkteden Kopf. (In Übersetzung: Ich schleppe mich an Gegenständen ab)
© 2001 Berlin Verlag, Berlin
Übersetzung: Terézia Mora
- Autor: Péter Esterházy
- 2003, 928 Seiten, Maße: 12,1 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Mora, Terézia
- Übersetzer: Terézia Mora
- Verlag: Berlin Verlag Taschenbuch
- ISBN-10: 3833301147
- ISBN-13: 9783833301148
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