Gegen alle Regeln / Herzblut Bd.1
Deutsche Erstausgabe
Eine verbotene Liebe, Blutsgeheimnisse und eine Heldin zwischen zwei Welten: Melissa Darnells mitreißendes Romandebüt!
Wenn zwei Herzen in deiner Brust schlagen und du für deinen Freund zur größten Gefahr werden kannst - was würdest du tun?
Als Kinder...
Wenn zwei Herzen in deiner Brust schlagen und du für deinen Freund zur größten Gefahr werden kannst - was würdest du tun?
Als Kinder...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Gegen alle Regeln / Herzblut Bd.1 “
Klappentext zu „Gegen alle Regeln / Herzblut Bd.1 “
Eine verbotene Liebe, Blutsgeheimnisse und eine Heldin zwischen zwei Welten: Melissa Darnells mitreißendes Romandebüt!Wenn zwei Herzen in deiner Brust schlagen und du für deinen Freund zur größten Gefahr werden kannst - was würdest du tun?
Als Kinder waren sie wie Seelenverwandte. Doch auf der Jacksonville High leben sie wie in zwei Welten. Denn Tristan gehört zur elitären Clann-Clique. Und es vergeht kein Schultag, an dem Savannah den Hass der anderen Clanns nicht zu spüren bekommt ... Dennoch fühlt sie sich immer noch die besondere Verbindung zu Tristan.
Als plötzlich dunkle Kräfte in Savannah erwachen, offenbart ihr Vater ihr ein erschütterndes Blutsgeheimnis. Jetzt weiß sie, warum die Clanns sie ablehnen und warum sie Tristan nicht lieben darf: Sie alle haben eine magische Gabe, aber Savannah ist anders - und kann für Tristan zur tödlichen Gefahr werden! Und trotzdem siegt Savannahs Sehnsucht, als Tristan sich heimlich mit ihr treffen will ...
Deutsche Erstveröffentlichung
Lese-Probe zu „Gegen alle Regeln / Herzblut Bd.1 “
Herzblut - Gegen alle Regeln von Melissa DarnellPROLOG
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Savannah
Vorsichtig näherte ich mich meinem bewusstlosen Freund, der an einen Stuhl gefesselt war.
Meine Richter hatten sich, ein paar Schritte entfernt, zu einem engen Halbkreis aufgebaut. Wahrscheinlich wollten sie eine gute Sicht haben, wenn ich bei ihrer Prüfung versagte.
Der Wächter sah gelangweilt aus, gerade so, als wollte er sagen, dass das hier nicht persönlich gemeint war. Was eine Lüge war. Es war eindeutig persönlich gemeint. Und es war ganz allein meine Schuld.
Er griff in die Innentasche seiner Jacke und holte zwei Gegenstände heraus - eine Spritze und ein Skalpell. Ihre durchsichtigen Plastikschutzhüllen schnackten laut, als er sie abzog.
Ich schluckte schwer. Mein Keuchen war in der Stille des kalten, betonierten Raums nicht überhörbar.
Als der Wächter näher kam, schrie alles in mir danach zu kämpfen, und ich spannte die Oberschenkel an. Der Wächter blickte mich misstrauisch an. Er wusste, dass ich verzweifelt war. Aber das ließ mich nicht leichtsinnig werden. Der Mann war kräftig gebaut, in seinem schlecht sitzenden Anzug steckte der Körper eines Footballspielers. Und falls ich ihn trotzdem irgendwie abwehren könnte, würden die Richter, die zuschauten, eingreifen und mich aufhalten.
Ich versuchte, normal zu atmen, mich zu beruhigen und klar zu denken. Nicht Gefühle, sondern Logik war jetzt gefragt.
Also gut. Dieses Mal waren wir ihnen wirklich in die Falle gegangen. Aber wir waren nicht verloren. Noch nicht. Die Richter hatten versprochen, dass ich nur eine Prüfung bestehen müsste, damit sie meinen Freund freilassen würden.
Einen unschuldigen Jungen, der nicht einmal hier wäre, wenn ich mich nicht in ihn verliebt hätte. Wegen mir war er in Gefahr ...
Nein, jetzt war nicht die Zeit für Schuldgefühle. Ich musste mich auf die Prüfung konzentrieren, damit wir nach Hause gehen konnten.
Nur eine einzige Prüfung musste ich bestehen.
Eine Prüfung, der ich genetisch nicht gewachsen war.
KAPITEL 1
Savannah
Mein letzter Tag als richtiger Mensch begann wie jeder andere Montag im April in Osttexas. Klar, es gab alle möglichen Warnsignale, dass meine ganze Welt zusammenbrechen würde. Aber die erkannte ich erst, als es zu spät war.
Ich hätte wissen sollen, dass etwas ganz schön schieflief, als ich mich morgens beim Aufwachen hundeelend fühlte, obwohl ich ganze neun Stunden geschlafen hatte. Ich war noch nie krank gewesen, hatte nicht mal eine Grippe oder Erkältung gehabt, das konnte es also nicht sein.
„Guten Morgen, mein Schatz. Dein Frühstück steht auf dem Tisch", begrüßte mich meine Großmutter Nanna, als ich in die Küche schlurfte. Wie immer war sie die Widersprüchlichkeit in Person. Ihre Stimme und ihr Lächeln zeigten diese typische Südstaatenmischung - warmherzig und eisern zugleich. Als würde man seine alte Schmusedecke um einen Morgenstern wickeln. „Iss schnell. Ich suche schon mal meine Schuhe."
Ich nickte und ließ mich auf einen der knarrenden Stühle am Tisch fallen. Was das Kochen anging, war Nanna die Größte. Und sie machte den besten Haferbrei der Welt, mit Ahornsirup, braunem Zucker und einer Tonne Butter, genau, wie ich es mochte. Aber an diesem Tag schmeckte er wie fade Pampe. Nach zwei Löffeln gab ich auf und kippte das Essen in den Mülleimer unter der Spüle. Eine Sekunde später kam sie rein.
„Bist du schon fertig?", fragte sie, bevor sie ihren Tee schlürfte. Das Geräusch fuhr mir durch Mark und Bein.
„Äh, ja." Ich stellte die Schüssel mit dem Löffel in die Spüle. Dabei drehte ich ihr den Rücken zu, damit sie nicht sah, dass ich rot wurde. Ich war eine schrecklich schlechte Lügnerin. Ein Blick auf mein Gesicht hätte ihr verraten, dass ich ihr Frühstück gerade weggeworfen hatte.
„Und dein Tee?"
Ups. Ich hatte meine tägliche Tasse Tee vergessen, eine spezielle Mischung für mich aus Kräutern, die Nanna über Monate in unserem Garten zog. „Keine Zeit, Nanna, tut mir leid. Ich muss mir noch die Haare machen."
„Du schaffst beides." Mit einem strahlenden Lächeln, das ihren strengen Blick jedoch nicht verschleiern konnte, streckte sie mir die Tasse entgegen.
Seufzend nahm ich die Tasse mit ins Badezimmer und stellte sie auf den Waschtisch. So hatte ich beide Hände frei, um meine wilden, karottenroten Locken zu bändigen.
„Hast du deinen Tee schon getrunken?", fragte sie zehn Minuten später, als ich meine langen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte.
„Mann, Mann, Mann", grummelte ich.
„Das habe ich gehört, Fräulein", rief sie aus dem Wohnzimmer, und ich musste lächeln.
Ich trank den kalten Tee auf ex aus, knallte die leere Tasse auf den Waschtisch, damit sie es auch hörte. Dann ging ich in mein Zimmer, um meinen Rucksack zu holen. Und es haute mich fast hin, als ich ihn hochheben wollte. Oje. Anscheinend hatte ich letzte Woche vergessen, ein paar Bücher im Spind in der Schule zu lassen. Mit beiden Händen wuchtete ich mir einen Tragegurt über die Schulter, um dann durch den Flur zurückzustapfen.
Am Esstisch wühlte Nanna in ihrer riesigen Handtasche nach ihren Schlüsseln. Das konnte dauern.
„Treffen wir uns am Auto?", fragte ich.
Sie winkte abwesend, was ich als Ja deutete, also durchquerte ich das Wohnzimmer Richtung Haustür.
Mom saß wie immer schon seit Stunden auf dem Sofa und redete in ihr Handy, umgeben von Papierstapeln. Die Stifte, die überall herumflogen, waren sicher bis heute Abend unter den Sofakissen verschwunden. Ich begriff nicht, warum sie nicht wie jede andere Vertreterin für Arbeitsschutzprodukte an einem Schreibtisch arbeiten konnte. Aber anscheinend fühlte sie sich in diesem Chaos wohl.
Als sie gerade ein Gespräch beendet hatte, klingelte das Handy schon wieder aufdringlich. Es hatte keinen Sinn, zu warten, also winkte ich ihr nur zu.
„Bleib mal dran, George." Sie schaltete das Handy auf stumm und breitete die Arme aus. „He, was soll das? Kein ,Guten Morgen, Mom‘, keine Abschiedsumarmung?"
Grinsend ging ich zu ihr und drückte sie. Ich musste ein Husten unterdrücken, als mir ihr Lieblingsparfüm, ein Blumenduft, in Nase und Kehle stieg. Als ich wieder aufstand, knackte es in meinem Rücken.
„War das dein Rücken?", fragte sie erschrocken. „Meine Güte, du klingst heute ja schlimmer als Nanna."
„Das habe ich gehört", rief Nanna aus dem Esszimmer.
Ich verkniff mir ein Grinsen und zuckte die Schultern. „Wahrscheinlich habe ich am Wochenende zu viel trainiert." Wir sollten mit meinem Anfängerkurse in Ballett und Jazztanz demnächst in Miss Catherines Tanzschule bei der Frühjahrsaufführung auftreten. Während meine neueste öffentliche Demütigung immer näher rückte, wurde ich langsam wahnsinnig.
„Ach so. Geh es doch etwas ruhiger an. Es sind noch zwei Wochen bis zu der Aufführung."
„Ja, schon, aber ich muss so viel üben, wie ich kann."
Zumindest, wenn ich meinen Vater nicht schon wieder enttäuschen wollte.
„Wenn du dich im Garten zu Tode schuftest, ist dein Vater aber auch nicht beeindruckt."
Ich erstarrte. Scheußlich, wenn man so leicht durchschaut wurde. „Den beeindruckt gar nichts." Wenigstens nicht genug, um mich öfter als zweimal im Jahr zu besuchen. Wahrscheinlich, weil ich im Sport so eine Niete war. Der Mann bewegte sich leicht und anmutig wie ein Profitänzer, aber offenbar hatte ich nicht einmal einen Hauch seiner Gene geerbt. Mom hatte mich im Laufe der Jahre bei allen Aktivitäten angemeldet, bei denen die Auge-Hand-Koordination trainiert wurde Fußball, Twirling, Gymnastik, Basketball. Letztes Jahr war Volleyball dran. Dieses Jahr ist es Tanzen, sowohl in Miss Catherines Tanzschule als auch an meiner Highschool.
Anscheinend hatte mein Vater die Nase voll von meinen sportlichen Fehlschlägen. Im letzten September, als ich mit dem Tanzen anfing, hatte Mom sich mit ihm deswegen am Telefon gestritten. Er wollte auf keinen Fall, dass ich in diesem Jahr Tanzunterricht nehme. Er dachte wohl, bei einer Grobmotorikerin wie mir wäre das Verschwendung.
Jetzt wollte ich ihm das Gegenteil beweisen. Und bisher war ich gnadenlos gescheitert.
Mom seufzte. „Ach, Schätzchen. Mach dir doch nicht solche Sorgen, ob es ihm gefällt. Tanz einfach für dich, dann geht schon alles gut."
„Hm, hm. Das Gleiche hast du letztes Jahr beim Volleyball auch gesagt." Und trotz ihres Rates, „einfach Spaß" zu haben, hatte ich bei einem Turnier einen Ball durch die Deckenplatten gepfeffert. Die zerbrochenen Platten hätten fast mein halbes Team um die Ecke gebracht, als sie auf sie niederprasselten. Danach hatte ich genug vom Volleyball.
Mom biss sich auf die Lippen; wahrscheinlich erinnerte auch sie sich daran und musste sich ein Lachen verkneifen.
„Ich habe sie!", trällerte Nanna triumphierend im Esszimmer. „Packen wir's, Kleine?"
Mit einem Seufzer schob ich mir den Rucksackgurt, der heruntergerutscht war, wieder auf die Schulter. Er kratzte durch mein Shirt hindurch so fest auf meiner Haut, dass ich zischend Luft ausstieß. Autsch. „Vielleicht sollte ich ein Aspirin nehmen, bevor wir gehen."
„Auf keinen Fall." Nanna marschierte rein, in einer Hand die klimpernden Schlüssel. „Aspirin ist nicht gut für dich."
Was? „Aber du und Mom nehmt es doch st..."
„Aber du nicht", unterbrach mich Nanna schroff. „Du hast diesen künstlichen Mist noch nie genommen, und du fängst jetzt nicht damit an, deinen Körper zu vergiften. Ich mache dir lieber noch eine Tasse von meinem Spezialtee. Hier, nimm schon mal meine Handtasche mit ins Auto, ich komme gleich nach."
Ohne auf eine Antwort zu warten, drückte sie mir ihre zentnerschwere Tasche in die Hand und verschwand Richtung Küche. Na toll. Ich würde bestimmt zu spät kommen. Mal wieder.
„Warum kann ich nicht einfach ein Aspirin nehmen, wie jeder andere auch?"
Mom lächelte und griff nach ihrem Handy.
Vier sehr lange Minuten später setzte sich Nanna endlich neben mich ins Auto. Sie drückte mir einen metallenen Thermosbecher in die Hand. „Hier, das bringt dich wieder auf dem Damm. Aber Vorsicht. Es ist heiß. Ich musste die Mikrowelle benutzen."
Ich unterdrückte ein Stöhnen. Nanna konnte die Mikrowelle nicht ausstehen. Der einzige Knopf, den sie kannte, war die Dreiminutenautomatik. Ich würde von Glück sagen können, wenn der Tee bis zur Schule überhaupt ein bisschen abkühlte, dabei lag sie zehn Minuten entfernt.
Wir wohnten in einem kleinen, etwas abgelegenen Pulk Häuser acht Kilometer außerhalb der Stadt. Während ich auf meinen Tee pustete, sah ich mir im Vorbeifahren die sanften Hügel an, hier und da mit vereinzelten Häusern, großen runden Heuballen und Kühen in allen Schattierungen von Rot, Braun und Schwarz. Früher hatten dichte Kiefernwälder ganz Osttexas überzogen, aber sie waren längst abgeholzt. Jetzt reihte sich eine Ranch an die nächste, nur von langen Zäunen getrennt, meistens aus Stacheldraht, manchmal aus breiten Holzlatten, die das Wetter und die Zeit grau gefärbt hatten. Hier draußen konnte man atmen.
Näher bei der Stadt gab es immer mehr dichte Baumgruppen, bis man kurz vor der Junior Highschool und der Mittelschule durch einen breiten Streifen Kiefernwald fuhr. An der ersten Kreuzung mit Ampel begann die Innenstadt von Jacksonville mit lauter Straßen und reihenweise Geschäften. Unter die einstöckigen Läden mischten sich einige drei- und vierstöckige Gebäude von Banken, Hotels oder Krankenhäusern. Und überall standen noch mehr Kiefern. Sie durchzogen und umringten jedes Wohngebiet und drängten sich sogar gegen die Korbfabrik und die Tomato Bowl, das Freilichtstadion aus Sandstein, in dem alle Football- und Fußballspiele stattfanden.
Früher hatte ich meine Heimatstadt mit ihren süßen Boutiquen und den Antiquitätenläden, in denen Nanna ihrer Häkelarbeiten verkaufte, geliebt. Ich mochte sogar die Kiefernreihen, die sich durch die Stadt zogen, und das leise Seufzen, das der Wind den Bäumen entlockte. Wenn die Wiesen und Felder im Winter braun wurden und abstarben, behielt Jacksonville durch die Kiefern das ganze Jahr über frische Farbe.
Aber die Familien der Stadtgründer, die wegen ihrer irischen Vorfahren bei uns nur der Clann hießen, hatten mir alles verdorben. Wenn ich jetzt den Wind in den Bäumen hörte, klang er wie Flüstern, als würden sich sogar die Pflanzen am Tratsch der Stadt beteiligen. Wahrscheinlich war dieses Getratsche der Grund für die lange Reihe berühmter Schauspieler, Sänger, Comedians und Models, auf die das relativ kleine Jacksonville mit seinen dreizehntausend Einwohnern so stolz war. Wenn man hier, wo jeder über jeden redete, aufwuchs, wollte man entweder sein ganzes Leben hier verbringen oder weglaufen und etwas ganz Besonderes werden, um es den Tratschweibern und dem Clann zu zeigen.
Ob ich berühmt werden wollte, wusste ich nicht. Aber auf jeden Fall wollte ich von hier abhauen.
Unsere übliche Strecke zur Jacksonville Highschool führte durch bescheidene Straßen, die von noch mehr Kiefern und ein paar Laubbäumen gesäumt wurden, bevor plötzlich die blau-gelbe Heimat der JHS Indians auftauchte. Beim Anblick der dichten, schattigen Wälder, die das Gelände fast erdrückten, verspannten sich meine Schultern und mein Hals.
Willkommen in meinem täglichen Gefängnis für die nächsten vier Jahre. Es gab sogar ein Wachhäuschen und einen Wachmann, der jeden Morgen um Punkt acht eine schwere Metallschranke vor der Einfahrt herunterließ. Kam man zu spät, kassierte man einen schriftlichen Verweis. Einen Lehrer hätte man vielleicht breitschlagen können, damit er einen so hereinließ, aber der Wachmann herrschte so gnadenlos über die Einfahrt zur Schule, als wäre sie das Tor zu einem mittelalterlichen Schloss.
Wenn die JHS ein Schloss war, bestand die königliche Familie eindeutig aus den zweiundzwanzig genauso gnadenlosen Kindern des Clanns, die über die restliche Schule herrschten.
Die Clann-Typen hatten ihre Rüpelhaftigkeit wahrscheinlich ihren Eltern abgeguckt, die in der Stadt und einem guten Teil von Texas das Sagen hatten und sich auf verschiedenen Regierungsebenen in Führungsrollen drängten. In der Stadt gingen Gerüchten um, dass das dem Clann nur durch Zauberei gelingen könne, ausgerechnet. Was völliger Schwachsinn war. Die machtgeilen Methoden des Clanns hatten so gar nichts Zauberhaftes an sich. Das wusste ich nur zu gut. Von den „magischen" Späßen ihrer Kinder hatte ich in der Schule schon mehr als genug mitbekommen. Nach dem Abschluss würden sie sich aus dem Staub machen.
Während Nanna vor dem Hauptgebäude hielt, schlürfte ich schnell einen Schluck Tee und handelte mir zu allem anderen auch noch eine verbrannte Zunge ein.
„Nimm das lieber mit." Nanna deutete mit dem Kopf auf den Thermosbecher. „Der Tee müsste schnell wirken, aber vielleicht brauchst du später noch mehr."
„Ist gut. Ach, und vergiss nicht, heute ist ein A-Tag. In der letzten Stunde habe ich Algebra, also ..."
„Also hole ich dich auf dem vorderen Parkplatz vor der Cafeteria ab. Ich weiß, ich weiß. Ich bin alt, nicht senil. Dass sich die A- und die B-Tage abwechseln, kann ich mir gerade noch merken." Ihre blitzenden grünen Augen verschwanden fast, als ein ironisches Grinsen ihre runden Wangen hob.
An A-Tagen lag der vordere Parkplatz näher an dem Klassenzimmer, in dem der letzte Kurs stattfand. Der erste Kurs seit fünf Jahren, den ich zusammen mit Tristan Coleman besuchte ...
„Savannah?" Sie schaltete den Wagen auf Drive und gab mir mit hochgezogenen Augenbrauen stumm zu verstehen, dass ich mich beeilen sollte. Beim Aussteigen empfing mich warme Luft, die nach Kiefern duftete. Ich schlug die Tür zu und winkte ihr zum Abschied.
Tristan ...
Sein Name hallte in meinem Kopf wider, die alten Erinnerungen und Gefühle brachten mich durcheinander. Wie als Antwort lief ein Kribbeln von meinem Nacken aus über die Kopfhaut. Ich achtete nicht darauf, verbannte die verbotenen Gedanken wieder in ihre imaginäre Kiste und drehte mich zum Haupteingang um. Der Tag würde schon scheußlich genug werden, da musste ich nicht noch über so einen hinterhältigen Verräter nachgrübeln.
Und tatsächlich - als ich die ungewöhnlich schwere Glastür aufstieß, lief ich direkt in die Zickenzwillinge hinein, zwei besonders üble Clann-Mitglieder. Der perfekte Anfang für einen großartigen Tag.
„Pass auf, wo du hinläufst, du Schwachkopf!", schimpfte Vanessa Faulkner und wischte nicht vorhandenen Schmutz von ihrer neuesten Edelhandtasche von Juicy Couture.
„Genau, guck dich erst mal um, bevor du reingerannt kommst", fügte ihre Schwester Hope hinzu, die aussah wie Vanessas Spiegelbild. Der einzige Unterschied war ein winziges Muttermal links neben den zynisch verzogenen Lippen. Sie hob eine Hand und tätschelte sich die platinblonden Locken.
Ich sah mich um. Mein peinlicher Moment des Tages hatte schon ein Publikum angezogen. Na toll. Es kribbelte mir in den Händen, meine eigenen wilden Locken glatt zu streichen, und mein Magen verkrampfte sich. Wieso mussten mich die Zickenzwillinge so behandeln? Nur weil ich blass war? Weil meine Haare die falsche Farbe hatten, nicht glatt oder glänzend genug waren?
„Und jetzt? Willst du dich nicht wenigstens entschuldigen?", fragte Vanessa.
Im ersten Augenblick blendete meine Wut alles andere aus. Was würde passieren, wenn ich ihr das Grinsen mit einem Schlag aus dem Gesicht wischen würde? Sie konnte nicht heulend zu ihrem großartigen Clann laufen und die übliche Rache fordern. Nanna war Rentnerin, Mom arbeitete bei einer Firma aus Louisiana, und meinem Vater gehörte eine Firma, die historische Wohnhäuser renovierte. Meiner Familie konnte der Clann nichts anhaben.
Oder doch? Einige Mitglieder des Clanns arbeiteten als Politiker auf Bundesebene. Und nach Louisiana war es von Osttexas aus nur ein Katzensprung. Also waren ihre Verbindungen vielleicht gut genug, um meine Mom feuern zu lassen. Mist.
Die Riemen meines Rucksacks schnitten mir in die Hände, als ich alles herunterschluckte, was ich am liebsten sagen wollte, und stattdessen murmelte: „Tut mir leid."
„Das sollte es auch", sagte Vanessa. Sie und ihre Schwester lachten wie Hyänen auf Helium und wandten sich ab.
Ich hätte sie einfach gehen lassen und froh sein sollen, dass ich sie los war. Aber ich hatte Kopfweh, meine Schläfen hämmerten und ich konnte nur noch daran denken, wie anders es mal war. Als Kinder waren wir beste Freundinnen gewesen.
Vanessa zischte, als ich sie an der Schulter berührte. Beide Schwestern wirbelten herum. Vanessas sah mich so wütend an, dass ich erschrocken zurückwich, bis ich an die Schließfächer stieß. Wow. Das war doch verrückt.
„Van, wieso benimmst du dich so?" Ich benutzte absichtlich meinen alten Spitznamen für sie. „Wir waren doch mal Freundinnen. Erinnerst du dich noch an den Valentinstag in der vierten Klasse? Wir haben Hochzeit gespielt, und ihr beide wart meine Brautjungfern." Das war der letzte Tag, an dem wir zusammen gespielt hatten, und eine meiner schönsten Kindheitserinnerungen. Vor der Zeremonie hatten wir zu dritt im Kreis auf dem kleinen Karussell gesessen und uns gegenseitig Blumen ins Haar geflochten. Dabei hatte mein erster und einziger Freund, Tristan Coleman, in der Nähe unter einer Eiche gestanden, uns beobachtet und auf mich gewartet.
Übersetzung: Peer Mavek
© 2011 by Melissa Darnell
Savannah
Vorsichtig näherte ich mich meinem bewusstlosen Freund, der an einen Stuhl gefesselt war.
Meine Richter hatten sich, ein paar Schritte entfernt, zu einem engen Halbkreis aufgebaut. Wahrscheinlich wollten sie eine gute Sicht haben, wenn ich bei ihrer Prüfung versagte.
Der Wächter sah gelangweilt aus, gerade so, als wollte er sagen, dass das hier nicht persönlich gemeint war. Was eine Lüge war. Es war eindeutig persönlich gemeint. Und es war ganz allein meine Schuld.
Er griff in die Innentasche seiner Jacke und holte zwei Gegenstände heraus - eine Spritze und ein Skalpell. Ihre durchsichtigen Plastikschutzhüllen schnackten laut, als er sie abzog.
Ich schluckte schwer. Mein Keuchen war in der Stille des kalten, betonierten Raums nicht überhörbar.
Als der Wächter näher kam, schrie alles in mir danach zu kämpfen, und ich spannte die Oberschenkel an. Der Wächter blickte mich misstrauisch an. Er wusste, dass ich verzweifelt war. Aber das ließ mich nicht leichtsinnig werden. Der Mann war kräftig gebaut, in seinem schlecht sitzenden Anzug steckte der Körper eines Footballspielers. Und falls ich ihn trotzdem irgendwie abwehren könnte, würden die Richter, die zuschauten, eingreifen und mich aufhalten.
Ich versuchte, normal zu atmen, mich zu beruhigen und klar zu denken. Nicht Gefühle, sondern Logik war jetzt gefragt.
Also gut. Dieses Mal waren wir ihnen wirklich in die Falle gegangen. Aber wir waren nicht verloren. Noch nicht. Die Richter hatten versprochen, dass ich nur eine Prüfung bestehen müsste, damit sie meinen Freund freilassen würden.
Einen unschuldigen Jungen, der nicht einmal hier wäre, wenn ich mich nicht in ihn verliebt hätte. Wegen mir war er in Gefahr ...
Nein, jetzt war nicht die Zeit für Schuldgefühle. Ich musste mich auf die Prüfung konzentrieren, damit wir nach Hause gehen konnten.
Nur eine einzige Prüfung musste ich bestehen.
Eine Prüfung, der ich genetisch nicht gewachsen war.
KAPITEL 1
Savannah
Mein letzter Tag als richtiger Mensch begann wie jeder andere Montag im April in Osttexas. Klar, es gab alle möglichen Warnsignale, dass meine ganze Welt zusammenbrechen würde. Aber die erkannte ich erst, als es zu spät war.
Ich hätte wissen sollen, dass etwas ganz schön schieflief, als ich mich morgens beim Aufwachen hundeelend fühlte, obwohl ich ganze neun Stunden geschlafen hatte. Ich war noch nie krank gewesen, hatte nicht mal eine Grippe oder Erkältung gehabt, das konnte es also nicht sein.
„Guten Morgen, mein Schatz. Dein Frühstück steht auf dem Tisch", begrüßte mich meine Großmutter Nanna, als ich in die Küche schlurfte. Wie immer war sie die Widersprüchlichkeit in Person. Ihre Stimme und ihr Lächeln zeigten diese typische Südstaatenmischung - warmherzig und eisern zugleich. Als würde man seine alte Schmusedecke um einen Morgenstern wickeln. „Iss schnell. Ich suche schon mal meine Schuhe."
Ich nickte und ließ mich auf einen der knarrenden Stühle am Tisch fallen. Was das Kochen anging, war Nanna die Größte. Und sie machte den besten Haferbrei der Welt, mit Ahornsirup, braunem Zucker und einer Tonne Butter, genau, wie ich es mochte. Aber an diesem Tag schmeckte er wie fade Pampe. Nach zwei Löffeln gab ich auf und kippte das Essen in den Mülleimer unter der Spüle. Eine Sekunde später kam sie rein.
„Bist du schon fertig?", fragte sie, bevor sie ihren Tee schlürfte. Das Geräusch fuhr mir durch Mark und Bein.
„Äh, ja." Ich stellte die Schüssel mit dem Löffel in die Spüle. Dabei drehte ich ihr den Rücken zu, damit sie nicht sah, dass ich rot wurde. Ich war eine schrecklich schlechte Lügnerin. Ein Blick auf mein Gesicht hätte ihr verraten, dass ich ihr Frühstück gerade weggeworfen hatte.
„Und dein Tee?"
Ups. Ich hatte meine tägliche Tasse Tee vergessen, eine spezielle Mischung für mich aus Kräutern, die Nanna über Monate in unserem Garten zog. „Keine Zeit, Nanna, tut mir leid. Ich muss mir noch die Haare machen."
„Du schaffst beides." Mit einem strahlenden Lächeln, das ihren strengen Blick jedoch nicht verschleiern konnte, streckte sie mir die Tasse entgegen.
Seufzend nahm ich die Tasse mit ins Badezimmer und stellte sie auf den Waschtisch. So hatte ich beide Hände frei, um meine wilden, karottenroten Locken zu bändigen.
„Hast du deinen Tee schon getrunken?", fragte sie zehn Minuten später, als ich meine langen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte.
„Mann, Mann, Mann", grummelte ich.
„Das habe ich gehört, Fräulein", rief sie aus dem Wohnzimmer, und ich musste lächeln.
Ich trank den kalten Tee auf ex aus, knallte die leere Tasse auf den Waschtisch, damit sie es auch hörte. Dann ging ich in mein Zimmer, um meinen Rucksack zu holen. Und es haute mich fast hin, als ich ihn hochheben wollte. Oje. Anscheinend hatte ich letzte Woche vergessen, ein paar Bücher im Spind in der Schule zu lassen. Mit beiden Händen wuchtete ich mir einen Tragegurt über die Schulter, um dann durch den Flur zurückzustapfen.
Am Esstisch wühlte Nanna in ihrer riesigen Handtasche nach ihren Schlüsseln. Das konnte dauern.
„Treffen wir uns am Auto?", fragte ich.
Sie winkte abwesend, was ich als Ja deutete, also durchquerte ich das Wohnzimmer Richtung Haustür.
Mom saß wie immer schon seit Stunden auf dem Sofa und redete in ihr Handy, umgeben von Papierstapeln. Die Stifte, die überall herumflogen, waren sicher bis heute Abend unter den Sofakissen verschwunden. Ich begriff nicht, warum sie nicht wie jede andere Vertreterin für Arbeitsschutzprodukte an einem Schreibtisch arbeiten konnte. Aber anscheinend fühlte sie sich in diesem Chaos wohl.
Als sie gerade ein Gespräch beendet hatte, klingelte das Handy schon wieder aufdringlich. Es hatte keinen Sinn, zu warten, also winkte ich ihr nur zu.
„Bleib mal dran, George." Sie schaltete das Handy auf stumm und breitete die Arme aus. „He, was soll das? Kein ,Guten Morgen, Mom‘, keine Abschiedsumarmung?"
Grinsend ging ich zu ihr und drückte sie. Ich musste ein Husten unterdrücken, als mir ihr Lieblingsparfüm, ein Blumenduft, in Nase und Kehle stieg. Als ich wieder aufstand, knackte es in meinem Rücken.
„War das dein Rücken?", fragte sie erschrocken. „Meine Güte, du klingst heute ja schlimmer als Nanna."
„Das habe ich gehört", rief Nanna aus dem Esszimmer.
Ich verkniff mir ein Grinsen und zuckte die Schultern. „Wahrscheinlich habe ich am Wochenende zu viel trainiert." Wir sollten mit meinem Anfängerkurse in Ballett und Jazztanz demnächst in Miss Catherines Tanzschule bei der Frühjahrsaufführung auftreten. Während meine neueste öffentliche Demütigung immer näher rückte, wurde ich langsam wahnsinnig.
„Ach so. Geh es doch etwas ruhiger an. Es sind noch zwei Wochen bis zu der Aufführung."
„Ja, schon, aber ich muss so viel üben, wie ich kann."
Zumindest, wenn ich meinen Vater nicht schon wieder enttäuschen wollte.
„Wenn du dich im Garten zu Tode schuftest, ist dein Vater aber auch nicht beeindruckt."
Ich erstarrte. Scheußlich, wenn man so leicht durchschaut wurde. „Den beeindruckt gar nichts." Wenigstens nicht genug, um mich öfter als zweimal im Jahr zu besuchen. Wahrscheinlich, weil ich im Sport so eine Niete war. Der Mann bewegte sich leicht und anmutig wie ein Profitänzer, aber offenbar hatte ich nicht einmal einen Hauch seiner Gene geerbt. Mom hatte mich im Laufe der Jahre bei allen Aktivitäten angemeldet, bei denen die Auge-Hand-Koordination trainiert wurde Fußball, Twirling, Gymnastik, Basketball. Letztes Jahr war Volleyball dran. Dieses Jahr ist es Tanzen, sowohl in Miss Catherines Tanzschule als auch an meiner Highschool.
Anscheinend hatte mein Vater die Nase voll von meinen sportlichen Fehlschlägen. Im letzten September, als ich mit dem Tanzen anfing, hatte Mom sich mit ihm deswegen am Telefon gestritten. Er wollte auf keinen Fall, dass ich in diesem Jahr Tanzunterricht nehme. Er dachte wohl, bei einer Grobmotorikerin wie mir wäre das Verschwendung.
Jetzt wollte ich ihm das Gegenteil beweisen. Und bisher war ich gnadenlos gescheitert.
Mom seufzte. „Ach, Schätzchen. Mach dir doch nicht solche Sorgen, ob es ihm gefällt. Tanz einfach für dich, dann geht schon alles gut."
„Hm, hm. Das Gleiche hast du letztes Jahr beim Volleyball auch gesagt." Und trotz ihres Rates, „einfach Spaß" zu haben, hatte ich bei einem Turnier einen Ball durch die Deckenplatten gepfeffert. Die zerbrochenen Platten hätten fast mein halbes Team um die Ecke gebracht, als sie auf sie niederprasselten. Danach hatte ich genug vom Volleyball.
Mom biss sich auf die Lippen; wahrscheinlich erinnerte auch sie sich daran und musste sich ein Lachen verkneifen.
„Ich habe sie!", trällerte Nanna triumphierend im Esszimmer. „Packen wir's, Kleine?"
Mit einem Seufzer schob ich mir den Rucksackgurt, der heruntergerutscht war, wieder auf die Schulter. Er kratzte durch mein Shirt hindurch so fest auf meiner Haut, dass ich zischend Luft ausstieß. Autsch. „Vielleicht sollte ich ein Aspirin nehmen, bevor wir gehen."
„Auf keinen Fall." Nanna marschierte rein, in einer Hand die klimpernden Schlüssel. „Aspirin ist nicht gut für dich."
Was? „Aber du und Mom nehmt es doch st..."
„Aber du nicht", unterbrach mich Nanna schroff. „Du hast diesen künstlichen Mist noch nie genommen, und du fängst jetzt nicht damit an, deinen Körper zu vergiften. Ich mache dir lieber noch eine Tasse von meinem Spezialtee. Hier, nimm schon mal meine Handtasche mit ins Auto, ich komme gleich nach."
Ohne auf eine Antwort zu warten, drückte sie mir ihre zentnerschwere Tasche in die Hand und verschwand Richtung Küche. Na toll. Ich würde bestimmt zu spät kommen. Mal wieder.
„Warum kann ich nicht einfach ein Aspirin nehmen, wie jeder andere auch?"
Mom lächelte und griff nach ihrem Handy.
Vier sehr lange Minuten später setzte sich Nanna endlich neben mich ins Auto. Sie drückte mir einen metallenen Thermosbecher in die Hand. „Hier, das bringt dich wieder auf dem Damm. Aber Vorsicht. Es ist heiß. Ich musste die Mikrowelle benutzen."
Ich unterdrückte ein Stöhnen. Nanna konnte die Mikrowelle nicht ausstehen. Der einzige Knopf, den sie kannte, war die Dreiminutenautomatik. Ich würde von Glück sagen können, wenn der Tee bis zur Schule überhaupt ein bisschen abkühlte, dabei lag sie zehn Minuten entfernt.
Wir wohnten in einem kleinen, etwas abgelegenen Pulk Häuser acht Kilometer außerhalb der Stadt. Während ich auf meinen Tee pustete, sah ich mir im Vorbeifahren die sanften Hügel an, hier und da mit vereinzelten Häusern, großen runden Heuballen und Kühen in allen Schattierungen von Rot, Braun und Schwarz. Früher hatten dichte Kiefernwälder ganz Osttexas überzogen, aber sie waren längst abgeholzt. Jetzt reihte sich eine Ranch an die nächste, nur von langen Zäunen getrennt, meistens aus Stacheldraht, manchmal aus breiten Holzlatten, die das Wetter und die Zeit grau gefärbt hatten. Hier draußen konnte man atmen.
Näher bei der Stadt gab es immer mehr dichte Baumgruppen, bis man kurz vor der Junior Highschool und der Mittelschule durch einen breiten Streifen Kiefernwald fuhr. An der ersten Kreuzung mit Ampel begann die Innenstadt von Jacksonville mit lauter Straßen und reihenweise Geschäften. Unter die einstöckigen Läden mischten sich einige drei- und vierstöckige Gebäude von Banken, Hotels oder Krankenhäusern. Und überall standen noch mehr Kiefern. Sie durchzogen und umringten jedes Wohngebiet und drängten sich sogar gegen die Korbfabrik und die Tomato Bowl, das Freilichtstadion aus Sandstein, in dem alle Football- und Fußballspiele stattfanden.
Früher hatte ich meine Heimatstadt mit ihren süßen Boutiquen und den Antiquitätenläden, in denen Nanna ihrer Häkelarbeiten verkaufte, geliebt. Ich mochte sogar die Kiefernreihen, die sich durch die Stadt zogen, und das leise Seufzen, das der Wind den Bäumen entlockte. Wenn die Wiesen und Felder im Winter braun wurden und abstarben, behielt Jacksonville durch die Kiefern das ganze Jahr über frische Farbe.
Aber die Familien der Stadtgründer, die wegen ihrer irischen Vorfahren bei uns nur der Clann hießen, hatten mir alles verdorben. Wenn ich jetzt den Wind in den Bäumen hörte, klang er wie Flüstern, als würden sich sogar die Pflanzen am Tratsch der Stadt beteiligen. Wahrscheinlich war dieses Getratsche der Grund für die lange Reihe berühmter Schauspieler, Sänger, Comedians und Models, auf die das relativ kleine Jacksonville mit seinen dreizehntausend Einwohnern so stolz war. Wenn man hier, wo jeder über jeden redete, aufwuchs, wollte man entweder sein ganzes Leben hier verbringen oder weglaufen und etwas ganz Besonderes werden, um es den Tratschweibern und dem Clann zu zeigen.
Ob ich berühmt werden wollte, wusste ich nicht. Aber auf jeden Fall wollte ich von hier abhauen.
Unsere übliche Strecke zur Jacksonville Highschool führte durch bescheidene Straßen, die von noch mehr Kiefern und ein paar Laubbäumen gesäumt wurden, bevor plötzlich die blau-gelbe Heimat der JHS Indians auftauchte. Beim Anblick der dichten, schattigen Wälder, die das Gelände fast erdrückten, verspannten sich meine Schultern und mein Hals.
Willkommen in meinem täglichen Gefängnis für die nächsten vier Jahre. Es gab sogar ein Wachhäuschen und einen Wachmann, der jeden Morgen um Punkt acht eine schwere Metallschranke vor der Einfahrt herunterließ. Kam man zu spät, kassierte man einen schriftlichen Verweis. Einen Lehrer hätte man vielleicht breitschlagen können, damit er einen so hereinließ, aber der Wachmann herrschte so gnadenlos über die Einfahrt zur Schule, als wäre sie das Tor zu einem mittelalterlichen Schloss.
Wenn die JHS ein Schloss war, bestand die königliche Familie eindeutig aus den zweiundzwanzig genauso gnadenlosen Kindern des Clanns, die über die restliche Schule herrschten.
Die Clann-Typen hatten ihre Rüpelhaftigkeit wahrscheinlich ihren Eltern abgeguckt, die in der Stadt und einem guten Teil von Texas das Sagen hatten und sich auf verschiedenen Regierungsebenen in Führungsrollen drängten. In der Stadt gingen Gerüchten um, dass das dem Clann nur durch Zauberei gelingen könne, ausgerechnet. Was völliger Schwachsinn war. Die machtgeilen Methoden des Clanns hatten so gar nichts Zauberhaftes an sich. Das wusste ich nur zu gut. Von den „magischen" Späßen ihrer Kinder hatte ich in der Schule schon mehr als genug mitbekommen. Nach dem Abschluss würden sie sich aus dem Staub machen.
Während Nanna vor dem Hauptgebäude hielt, schlürfte ich schnell einen Schluck Tee und handelte mir zu allem anderen auch noch eine verbrannte Zunge ein.
„Nimm das lieber mit." Nanna deutete mit dem Kopf auf den Thermosbecher. „Der Tee müsste schnell wirken, aber vielleicht brauchst du später noch mehr."
„Ist gut. Ach, und vergiss nicht, heute ist ein A-Tag. In der letzten Stunde habe ich Algebra, also ..."
„Also hole ich dich auf dem vorderen Parkplatz vor der Cafeteria ab. Ich weiß, ich weiß. Ich bin alt, nicht senil. Dass sich die A- und die B-Tage abwechseln, kann ich mir gerade noch merken." Ihre blitzenden grünen Augen verschwanden fast, als ein ironisches Grinsen ihre runden Wangen hob.
An A-Tagen lag der vordere Parkplatz näher an dem Klassenzimmer, in dem der letzte Kurs stattfand. Der erste Kurs seit fünf Jahren, den ich zusammen mit Tristan Coleman besuchte ...
„Savannah?" Sie schaltete den Wagen auf Drive und gab mir mit hochgezogenen Augenbrauen stumm zu verstehen, dass ich mich beeilen sollte. Beim Aussteigen empfing mich warme Luft, die nach Kiefern duftete. Ich schlug die Tür zu und winkte ihr zum Abschied.
Tristan ...
Sein Name hallte in meinem Kopf wider, die alten Erinnerungen und Gefühle brachten mich durcheinander. Wie als Antwort lief ein Kribbeln von meinem Nacken aus über die Kopfhaut. Ich achtete nicht darauf, verbannte die verbotenen Gedanken wieder in ihre imaginäre Kiste und drehte mich zum Haupteingang um. Der Tag würde schon scheußlich genug werden, da musste ich nicht noch über so einen hinterhältigen Verräter nachgrübeln.
Und tatsächlich - als ich die ungewöhnlich schwere Glastür aufstieß, lief ich direkt in die Zickenzwillinge hinein, zwei besonders üble Clann-Mitglieder. Der perfekte Anfang für einen großartigen Tag.
„Pass auf, wo du hinläufst, du Schwachkopf!", schimpfte Vanessa Faulkner und wischte nicht vorhandenen Schmutz von ihrer neuesten Edelhandtasche von Juicy Couture.
„Genau, guck dich erst mal um, bevor du reingerannt kommst", fügte ihre Schwester Hope hinzu, die aussah wie Vanessas Spiegelbild. Der einzige Unterschied war ein winziges Muttermal links neben den zynisch verzogenen Lippen. Sie hob eine Hand und tätschelte sich die platinblonden Locken.
Ich sah mich um. Mein peinlicher Moment des Tages hatte schon ein Publikum angezogen. Na toll. Es kribbelte mir in den Händen, meine eigenen wilden Locken glatt zu streichen, und mein Magen verkrampfte sich. Wieso mussten mich die Zickenzwillinge so behandeln? Nur weil ich blass war? Weil meine Haare die falsche Farbe hatten, nicht glatt oder glänzend genug waren?
„Und jetzt? Willst du dich nicht wenigstens entschuldigen?", fragte Vanessa.
Im ersten Augenblick blendete meine Wut alles andere aus. Was würde passieren, wenn ich ihr das Grinsen mit einem Schlag aus dem Gesicht wischen würde? Sie konnte nicht heulend zu ihrem großartigen Clann laufen und die übliche Rache fordern. Nanna war Rentnerin, Mom arbeitete bei einer Firma aus Louisiana, und meinem Vater gehörte eine Firma, die historische Wohnhäuser renovierte. Meiner Familie konnte der Clann nichts anhaben.
Oder doch? Einige Mitglieder des Clanns arbeiteten als Politiker auf Bundesebene. Und nach Louisiana war es von Osttexas aus nur ein Katzensprung. Also waren ihre Verbindungen vielleicht gut genug, um meine Mom feuern zu lassen. Mist.
Die Riemen meines Rucksacks schnitten mir in die Hände, als ich alles herunterschluckte, was ich am liebsten sagen wollte, und stattdessen murmelte: „Tut mir leid."
„Das sollte es auch", sagte Vanessa. Sie und ihre Schwester lachten wie Hyänen auf Helium und wandten sich ab.
Ich hätte sie einfach gehen lassen und froh sein sollen, dass ich sie los war. Aber ich hatte Kopfweh, meine Schläfen hämmerten und ich konnte nur noch daran denken, wie anders es mal war. Als Kinder waren wir beste Freundinnen gewesen.
Vanessa zischte, als ich sie an der Schulter berührte. Beide Schwestern wirbelten herum. Vanessas sah mich so wütend an, dass ich erschrocken zurückwich, bis ich an die Schließfächer stieß. Wow. Das war doch verrückt.
„Van, wieso benimmst du dich so?" Ich benutzte absichtlich meinen alten Spitznamen für sie. „Wir waren doch mal Freundinnen. Erinnerst du dich noch an den Valentinstag in der vierten Klasse? Wir haben Hochzeit gespielt, und ihr beide wart meine Brautjungfern." Das war der letzte Tag, an dem wir zusammen gespielt hatten, und eine meiner schönsten Kindheitserinnerungen. Vor der Zeremonie hatten wir zu dritt im Kreis auf dem kleinen Karussell gesessen und uns gegenseitig Blumen ins Haar geflochten. Dabei hatte mein erster und einziger Freund, Tristan Coleman, in der Nähe unter einer Eiche gestanden, uns beobachtet und auf mich gewartet.
Übersetzung: Peer Mavek
© 2011 by Melissa Darnell
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Autoren-Porträt von Melissa Darnell
Melissa Darnell über 70 Titel verfasst, lektoriert oder gestaltet. Mit ihrem Mann und zwei Kindern lebt sie heute in South Dakota.
Bibliographische Angaben
- Autor: Melissa Darnell
- 2013, 1. Aufl., 400 Seiten, Maße: 13,9 x 20,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Mavek, Peer
- Übersetzer: Peer Mavek
- Verlag: MIRA Taschenbuch
- ISBN-10: 3862785130
- ISBN-13: 9783862785131
- Erscheinungsdatum: 01.03.2013
Rezension zu „Gegen alle Regeln / Herzblut Bd.1 “
"Melissa Darnell hat eine Welt voller Magie und Wunder erschaffen, die durch und durch unterhaltsam ist!" Two Chicks on Books"Wirklich, ich liebe; wie Magie und Vampire hier auf neue, kreative Weise vereint werden." Endlessly Bookish
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