Highland Saga Band 4: Der Ruf der Trommel
Jamie und Claire landen in den Kolonien des 18. Jahrhunderts.
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Jamie und Claire landen in den Kolonien des 18. Jahrhunderts.
Eigentlich hat Claire als Ärztin in Boston alles erreicht, was die moderne Zeit ihr bieten kann. Und doch führt die Liebe zu Jamie, dem rebellischen schottischen Clanführer, sie erneut zurück in das 18. Jahrhundert. Unruhige Zeiten hatten Jamie aus seiner Heimat vertrieben. In den Häfen Europas beginnt nun für Claire eine abenteuerliche Suche nach dem Geliebten, die sie schließlich zu ihm und auf ihren eigenen Kontinent zurückführen wird, mitten hinein in die rauhe Welt der ersten Siedler. In den unberührten Bergen von North Carolina ertrotzen sich Claire und Jamie schließlich ein neues Leben fernab der Zivilisation. Doch der Atem der Vergangenheit reicht weit. Denn auch ihre gemeinsame Tochter Brianna ist dem Ruf der Trommel gefolgt...
Der Ruf der Trommel von Diana Gabaldon
LESEPROBE
Prolog
Ich habe mich noch nie vor Gespenstern gefürchtet. Schließlich lebe ich tagaus,tagein mit ihnen. Wenn ich in den Spiegel sehe, blicken mich die Augen meinerMutter an, und mein Mund kräuselt sich zu dem Lächeln, das meinen Urgroßvaterzu dem Schicksal verlockte, aus dem ich wurde.
Nein, wie könnte ich die Berührung dieser vergangenen Hände fürchten, die sichunerkannt in Liebe auf mich legen? Wie könnte ich jene fürchten, die michgeformt, ihre Spuren weit über das Grab hinaus hinterlassen haben?
Noch weniger ängstigen mich die Geister, die im Vorübergehen an meine Gedankenrühren. Jede Bibliothek ist voll von ihnen. Ich nehme ein Buch aus einemverstaubten Regal, und die Gedanken eines Toten suchen mich heim, lebendig wieeh und je in ihrem Leichentuch aus Worten.
Natürlich sind es nicht diese vertrauten Geister des Alltags, die denSchlafenden stören und den Wachenden eiskalt durchfahren. Sieh hinter dich,nimm eine Fackel und leuchte in die dunklen Winkel. Hör auf das Echo derSchritte, das hinter dir erklingt, wenn du allein unterwegs bist.
Unablässig huschen die Geister um uns und durch uns und verbergen sich in derZukunft. Wir blicken in den Spiegel und sehen die Schatten anderer Gesichterdurch die Jahre zurückblicken, wir sehen die Gestalt der Erinnerung, diegreifbar in einem verlassenen Durchgang steht. Aus Blutsbanden und freier Wahlerschaffen wir unsere Geister: Wir suchen uns selber heim.
Der Geist taucht immer ungebeten aus dem nebligen Reich der Träume und derStille auf.
Unser Verstand sagt: »Nein, das ist unmöglich.«
Doch ein anderer Teil, ein älterer Teil klingt stets leise im Dunkel mit: »Ja,aber es könnte sein.«
Unser Ursprung und Ziel sind ein Rätsel, und dazwischen versuchen wir zuvergessen. Doch ab und zu weht in einem stillen Zimmer ein Luftzug mit sanfterZuneigung durch mein Haar. Ich glaube, es ist meine Mutter.
O schöne neue Welt
Eine Hinrichtung in Eden
Charleston, Juni 1767
Ich hörte die Trommeln, lange bevor sie in Sichtweite kamen. Die Schlägehallten in meiner Magengrube wider, als wäre ich selber hohl. Der Klangbreitete sich in der Menge aus, ein harter, militärischer Rhythmus, der dazugedacht war, jedes Gespräch und selbst Schüsse zu übertönen. Ich sah, wie sichdie Köpfe umwandten, während die Menschen verstummten und jenen Abschnitt derEast Bay Street entlangblickten, der den Rohbau des neuen Zollhauses mit denWhite Point Gardens verband.
Es war ein heißer Tag, sogar für Charleston im Juni. Die besten Plätze warenauf dem Hafendamm, wo wenigstens ein Luftzug wehte; hier unten war es, alswürde man lebendig gegrillt. Mein Hemd war durchnäßt, und das Baumwollmiederklebte mir zwischen den Brüsten. Zum zehnten Mal in ebenso vielen Minutenwischte ich mir über das Gesicht und hob meinen schweren Haarknoten in dervergeblichen Hoffnung, daß ein Luftzug mir den Hals kühlen würde.
Überhaupt fielen mir im Moment makabererweise Hälse besonders auf. Unauffälliglegte ich die Hand an meine Kehle und umspannte sie mit den Fingern. Ich konntespüren, wie der Puls meiner Halsschlagadern im Takt mit den Trommeln schlug,und beim Atmen verstopfte mir die heiße, feuchte Luft die Kehle, als wäre ichselber dem Ersticken nahe.
Ich zog hastig meine Hand weg und holte Luft, so tief ich konnte. Das war einFehler. Der Mann vor mir hatte seit mindestens einem Monat nicht mehr gebadet.Der Rand seiner Halsbinde stand vor Dreck, und seine Kleider rochen säuerlichund muffig und überdeckten sogar den Schweißgeruch der Menge. Aus den Buden, andenen Eßbares verkauft wurde, drang der Geruch von heißem Brot und siedendemSchweinefett und vermischte sich mit dem Moder verfaulenden Seegrases, der ausder Marsch herüberwehte und durch einen salzigen Luftzug vom Hafen her kaumgemildert wurde.
Vor mir reckten ein paar Kinder gaffend die Hälse. Sie rannten zwischen denEichen und Fächerpalmen hervor, um einen Blick auf die Straße zu werfen undwurden von ihren besorgten Eltern wieder zurückgerufen. Der Hals des Mädchensneben mir erinnerte an den weißen Teil eines Grashalmes, schlank und glänzend.
Ein aufgeregtes Raunen ging durch die Menge: Die Galgenprozession kam amanderen Ende der Straße in Sicht. Die Trommeln wurden lauter.
»Wo ist er?« murmelte Fergus neben mir und reckte ebenfalls den Hals, um etwaszu sehen. »Ich wußte doch, daß ich besser mit ihm gegangen wäre.«
»Er kommt schon noch.« Ich hätte mich am liebsten auf die Zehenspitzengestellt, ließ es aber bleiben, weil ich es als unpassend empfand. Dennochblickte ich mich suchend um. Ich konnte Jamie in jeder Menschenmenge ausmachen,denn sein Kopf und seine Schultern überragten die meisten Männer, und in seinemHaar fing sich das Licht in einer rotgoldenen Flamme. Er war noch nicht zusehen, nur das Meer wogender Hauben und Dreispitze, mit denen sich jene Bürgervor der Hitze schützten, die zu spät gekommen waren, um noch einen Platz imSchatten zu ergattern.
Zuerst kamen die Flaggen. Über den Köpfen der aufgeregten Menge wehten dieBanner von Großbritannien und der Kronkolonie South Carolina. Und ein weiteres,das das Wappen des Gouverneurs der Kolonie trug.
Dann kamen die Trommler, in Zweierreihen und im Gleichschritt, und ihre Stöckewechselten zwischen Schlägen und Wirbeln ab. Es war ein langsamer Marsch,grimmig und unerbittlich. Totenmarsch, so glaubte ich, nannte man diesespezielle Kadenz; sehr passend unter diesen Umständen. Alle anderen Geräuscheertranken im Trommelwirbel.
Dann kam der Zug der rotberockten Soldaten, und in ihrer Mitte die Gefangenen.
Sie waren zu dritt. Man hatte ihnen die Hände vor den Bauch gebunden und siemit einer Kette aneinandergefesselt, die durch Ringe an ihren Halseisen lief.Der erste war ein kleiner, älterer Mann, zerlumpt und verlottert, einverfallenes Wrack, und er torkelte und stolperte so sehr, daß sich derdunkelgewandete Geistliche an seiner Seite gezwungen sah, ihn beim Arm zunehmen, damit er nicht hinfiel.
»Ist das Gavin Hayes? Er sieht schlecht aus«, murmelte ich Fergus zu.
»Er ist betrunken.« Die leise Stimme erklang hinter mir, und ich wirbelteherum. Jamie stand genau hinter mir und hatte die Augen auf die kläglicheProzession gerichtet.
Die Gleichgewichtsstörungen des kleinen Mannes behinderten die Prozession, dennsein Torkeln zwang die beiden an ihn geketteten Männer zu abrupten Kurswechseln,wenn sie auf den Füßen bleiben wollten. Sie erinnerten an drei Betrunkene aufdem Nachhauseweg von der Dorfkneipe, was in drastischem Kontrast zum Ernst derLage stand. Über die Trommeln hinweg hörte ich Gelächter aufbrausen, und vonden schmiedeeisernen Balkonen der East Bay Street erschollen Anfeuerungsrufe.
»Warst du das?« Ich sprach leise, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, aber ichhätte auch schreien und mit den Armen rudern können; niemand hatte Augen fürirgend etwas anderes als die Szene vor uns.
Ich spürte Jamies Schulterzucken mehr, als daß ich es sah, während er einenSchritt vortrat und sich neben mich stellte.
»Er hat mich darum gebeten«, sagte er. »Es war alles, was ich für ihn tunkonnte.«
»Brandy oder Whisky?« fragte Fergus, der Hayes Erscheinung mit Kennerblickbegutachtete.
»Der Mann ist ein Schotte, mein lieber Fergus.« Jamies Stimme war so ruhig wiesein Gesicht, doch ich hörte die leise Anspannung darin. »Er wollte Whisky.«
»Gute Wahl. Mit etwas Glück wird er es nicht einmal merken, wenn sie ihnhängen«, murmelte Fergus. Der kleine Mann war dem Griff des Priestersentschlüpft, auf der sandigen Straße mitten aufs Gesicht gefallen und hattedabei einen seiner Mitgefangenen auf die Knie heruntergezogen. Der dritteGefangene, ein hochgewachsener junger Mann, blieb auf den Füßen, schwankte aberwild hin und her, während er mit aller Kraft versuchte, die Balance zu halten.Die Menge auf dem Platz brüllte vor Schadenfreude.
Der Hauptmann der Wache glühte zwischen seiner weißen Perücke und seinem Kragenvor Wut mindestens genauso feuerrot wie von der Sonne. Er bellte einen Befehl,die Trommeln setzten ihr finsteres Rollen fort, und ein Soldat bemühte sichhastig, die Kette zu entfernen, die die Gefangenen aneinanderfesselte. Hayes wurdeohne Umschweife auf die Füße gerissen, an beiden Armen von einem Soldatenergriffen, und die Prozession nahm ihren Weg wieder auf, diesmal in bessererOrdnung.
Das Gelächter verstummte, als sie das Schafott erreichten, einen von Maultierengezogenen Karren unter den Ästen einer riesigen Eiche. Ich spürte das Schlagender Trommeln durch meine Fußsohlen. Mir war ein bißchen schlecht von der Sonneund den Gerüchen. Das Trommeln endete abrupt, und die Stille summte in meinenOhren.
»Du mußt es dir nicht ansehen, Sassenach«, flüsterte Jamie mir zu. »Geh zurückzum Wagen.« Seine Augen waren fest auf Hayes gerichtet, der murmelnd im Griffder Soldaten schwankte und sich trübäugig umschaute.
Zusehen war das letzte, was ich wollte. Aber ich konnte Jamie auch nicht dabeiim Stich lassen. Er war wegen Gavin Hayes gekommen; ich war seinetwegengekommen. Ich berührte seine Hand.
»Ich bleibe hier.«
Jamie richtete sich höher auf. Er trat einen Schritt vor und sorgte so dafür,daß er in der Menge gut sichtbar war. Falls Hayes noch nüchtern genug war, umirgend etwas zu sehen, dann wäre das Letzte, was er auf dieser Welt sah, dasGesicht eines Freundes.
Er konnte sehen - Hayes stierte hierhin und dorthin, als sie ihn auf den Karrenhoben, und reckte verzweifelnd suchend den Hals.
»Gabhainn! A charaid!« rief Jamie plötzlich. Hayes Blick fand ihn sofort, under mühte sich nicht länger ab.
Der kleine Mann stand leicht schwankend da, als die Anklage verlesen wurde:Diebstahl in Höhe von sechs Pfund, zehn Schillingen. Er war mit rötlichem Staubbedeckt, und Schweißperlen hingen zitternd in seinen grauen Bartstoppeln. DerPriester beugte sich dicht zu ihm herüber und murmelte drängend in sein Ohr.
Dann setzten die Trommeln in einem gleichmäßigen Wirbel wieder ein. Der Henkerführte die Schlinge über den fast kahlen Kopf und zog sie fest. Den Knotenpositionierte er präzise unter dem Ohr. Der Hauptmann der Wache stand miterhobenem Säbel in Habachtstellung.
Plötzlich richtete sich der Verurteilte zu voller Höhe auf. Den Blick auf Jamiegerichtet, öffnete er den Mund, als wollte er etwas sagen.
Der Säbel blitzte in der Morgensonne, und das Trommeln endete mit einemletzten, abgehackten Schlag.
Ich sah Jamie an. Er war kalkweiß und starrte ins Leere. Aus dem Augenwinkel sahich das ruckende Seil und das schwache, unwillkürliche Zucken des baumelndenKleiderbündels. Ein scharfer Geruch nach Urin und Fäkalien durchschnitt diedicke Luft.
Neben mir beobachtete Fergus gelassen das Geschehen. »Dann hat er es wohl dochgemerkt«, murmelte er mit Bedauern.
Die Leiche schwang sacht, ein totes Gewicht, das wie ein Senkblei an seinerSchnur baumelte. Aus der Menge erklang ein Seufzer der Verschüchterung undErleichterung. Seeschwalben kreischten am brennenden Himmel, und entfernte Hafengeräuschedurchdrangen gedämpft die schwere Luft, doch der Platz war in Schweigengehüllt. Von meinem Platz aus konnte ich das leise Plitsch, Platsch, Plitschder Tropfen hören, die vom Zeh der baumelnden Leiche fielen.
Ich hatte Gavin Hayes nicht gekannt, und sein Tod ging mir nicht persönlichnahe, doch ich war froh, daß es schnell gegangen war. Ich warf einenverstohlenen Blick auf ihn und fühlte mich wie ein Störenfried. Es war einehöchst öffentliche Art, einen ganz privaten Akt zu vollbringen, und es machtemich verlegen, ihn anzusehen.
Der Henker hatte seine Sache gut gemacht: Es hatte kein entwürdigendes Gezappelgegeben, keine vorquellenden Augen, keine heraushängende Zunge. Gavins kleiner,runder Kopf war scharf zur Seite geknickt, sein Hals war grotesk in die Längegezogen, doch sein Genick war glatt gebrochen.
Jemand anders dagegen war derweil ausgebrochen. Nachdem er sich von Hayes Todüberzeugt hatte, gab der Hauptmann der Wache mit seinem Säbel das Signal, dennächsten Mann zum Galgen zu bringen. Ich sah, wie seine Augen an derrotberockten Kolonne entlangschweiften und sich dann vor Entrüstung weiteten.
Im selben Moment erscholl ein Schrei aus der Menge, und eine Welle derAufregung breitete sich aus. Köpfe drehten sich, und die Zuschauer drängtengegeneinander, um etwas zu sehen, wo es nichts zu sehen gab.
»Weg ist er!«
»Da ist er!«
»Haltet ihn!«
Es war der dritte Gefangene, der hochgewachsene junge Mann, der den Augenblickvon Gavins Tod dazu benutzt hatte, um sein Leben zu rennen. Er hatte sich ander Wache vorbeigeschlichen, die auf ihn hätte aufpassen sollen, sich aber derFaszination des Galgens nicht hatte entziehen können.
Ich sah eine kurze Bewegung hinter einer Bude, ein Aufblitzen ungewaschener,blonder Haare. Einige der Soldaten sahen es ebenfalls und liefen dorthin, dochviele hasteten auch in andere Richtungen, und in der allgemeinen Verwirrungerreichten sie gar nichts.
Der Hauptmann der Wache brüllte mit hochrotem Gesicht, doch seine Stimme war indem Aufruhr kaum zu hören. Der letzte Gefangene, der ein verblüfftes Gesichtmachte, wurde ergriffen und zum Quartier der Wache zurückverfrachtet, währenddie Rotröcke hastig begannen, unter der peitschenden Stimme ihres Hauptmannsordentliche Aufstellung einzunehmen.
Jamie schlang seinen Arm um meine Taille und brachte mich vor einer anrollendenWoge von Menschen in Sicherheit. Soldatentrupps rückten an, formierten sich undmarschierten schnellen Schrittes davon, um die Umgebung unter dem grimmigen undzornbebenden Kommando ihres Sergeanten zu durchkämmen, und die Menge wich vorihnen zurück.
»Wir sollten Ian suchen«, sagte Jamie, während er eine Gruppe aufgeregterLehrjungen verscheuchte. Er sah Fergus an und deutete auf den Galgen und seinetraurige Bürde. »Sag, daß wir die Leiche haben wollen, aye? Wir treffen unsnachher im Willow Tree.«
»Meinst du, sie kriegen ihn?« fragte ich, während wir uns durch das abflauendeGedränge schoben und durch eine kopfsteingepflasterte Gasse zu den Lagerhäusernder Handelsleute gingen.
»Ich denke schon. Wo sollte er denn hin?« Er klang abwesend, und ich sah einedünne Linie zwischen seinen Augenbrauen. Seine Gedanken waren ganzoffensichtlich noch bei dem Toten, und er hatte für die Lebenden nicht vielAufmerksamkeit übrig.
»Hatte Hayes irgendwelche Verwandten?« fragte ich. Er schüttelte den Kopf.
»Das habe ich ihn auch gefragt, als ich ihm den Whisky brachte. Er meinte,einer seiner Brüder könnte noch leben, hatte aber keine Ahnung, wo. Der Bruderwar kurz nach dem Aufstand deportiert worden - nach Virginia, meinte Hayes, hataber seitdem nie wieder von ihm gehört.«
Kein Wunder - ein Zwangsarbeiter hätte keine Möglichkeit gehabt, mit seinenVerwandten in Schottland in Verbindung zu treten, es sei denn, sein Herr war sogroßzügig, für ihn einen Brief dorthin zu schicken. Und großzügig oder nicht,es war unwahrscheinlich, daß ein solcher Brief Gavin Hayes erreicht hätte, denner hatte zehn Jahre im Gefängnis von Ardsmuir verbracht, bevor er ebenfallsdeportiert wurde.
»Duncan!« rief Jamie, und ein hochgewachsener, dünner Mann drehte sich um undhob als Erwiderung seine Hand. Er wand sich durch die Menge, wobei er sich dieLeute vom Leib hielt, indem er seinen Arm in weitem Bogen schwang.
»Mac Dubh«, sagte er und begrüßte Jamie mit einem Kopfnicken. »Mrs. Claire.«Sein langes, schmales Gesicht war von Traurigkeit durchfurcht. Auch er hatteals Gefangener in Ardsmuir gesessen, zusammen mit Hayes und Jamie. Nur dieTatsache, daß er seinen Arm durch eine Blutvergiftung verloren hatte, hatte verhindert,daß er mit den anderen deportiert wurde. Da man ihn nicht als Arbeiterverkaufen konnte, hatte man ihn begnadigt und dem Hunger überlassen - bis Jamieihn gefunden hatte.
»Möge der arme Gavin in Frieden ruhen«, sagte Duncan und schüttelte leidvollden Kopf.
Jamie murmelte eine Antwort auf Gälisch und bekreuzigte sich. Dann richtete ersich auf und schüttelte mit sichtbarer Anstrengung die bedrückende Atmosphäreab.
»Aye, gut. Ich muß zu den Docks gehen und Ians Überfahrt arrangieren, und dann könnenwir uns um Gavins Begräbnis kümmern. Aber erst muß ich den Jungenunterbringen.«
Wir kämpften uns durch das Gewühl zu den Docks voran, zwängten uns zwischenGrüppchen aufgeregter Klatschmäuler hindurch und wichen den Fuhrwerken undHandkarren aus, die mit dem behäbigen Gleichmut von Handel und Wandel durchsGedränge fuhren.
Eine Reihe rotberockter Soldaten kam im Laufschritt vom anderen Ende des Kaisund zerteilte die Menge, wie wenn man Essig auf Mayonnaise träufelt. Die Sonneglänzte heiß auf ihren Bayonettspitzen, und der Rhythmus ihres Trotts klang imLärmen der Menge wie eine gedämpfte Trommel. Sogar die rumpelnden Gespanne undKarren hielten abrupt an, um sie vorbeizulassen.
»Paß auf deine Tasche auf, Sassenach«, murmelte Jamie mir ins Ohr und schobmich durch die enge Lücke zwischen einem turbantragenden Sklaven, der zweikleine Kinder umklammert hielt, und einem Straßenprediger, der auf einer Kistethronte. Er schrie Sodom und Gomorrha, aber bei dem Lärm konnte man nur jedesdritte Wort verstehen.
© Blanvalet
Übersetzung: Barbara Schnell
Autoren-Porträt von Diana Gabaldon
Diana Gabaldon, Jahrgang 1952, war früher Honorarprofessorin fürTiefseebiologie und Zoologie an der Universität von Arizona, bevor sie sichhauptberuflich dem Schreiben widmete. Bereits ihr erster Roman "Feuer undStein" wurde international zu einem riesigen Erfolg und führte dazu, dassMillionen LeserInnen zu begeisterten Fans der Highland-Saga wurden. Inzwischen werden ihre Werke"von China bis Schweden verschlungen und haben zu einem Pilgerstrom ihrerFans ins schottische Hochland geführt" (Der Spiegel).
Diana Gabaldon lebt mit ihrem Mann und drei Kindernin Scottsdale, Arizona.
Sprecher-Information zu Daniele Hoffmann
Die 1963geborene Daniele Hoffmann hat nach ihrem Studium an der Theaterhochschule inLeipzig und an der Schauspielschule in Berlin zahlreiche Rollen in Film,Fernsehen und Theater gespielt. Sie ist die deutsche Stimme hochkarätigerHollywoodstars wie Jamie Lee Curtis, Calista Flockheart alias "Ally McBeal", Mary Stuart Masterson,Laura Dern und natürlich - Julia Roberts.
Interview mit Diana Gabaldon
"Feuer und Stein" ist der erste Bandeiner historischen Saga, die den Leser ins Schottland des 18. Jahrhundertsentführt. Was reizt Ihre Leser an einer solchen Zeitreise?
Na ja, diese Frage sollten Sie eigentlich den Lesernstellen, oder? Aber ich werde Ihnen ein bisschen davon erzählen, was ich vonmeinen Lesern gehört habe...
Viele mögen es, mit mir Zeitreisen zu unternehmen; siesagen, die Lebendigkeit der Story gebe ihnen das Gefühl, Teil der Geschichte zusein. Als wären sie mittendrin im 18. Jahrhundert, mit seinen Gebäuden, Tönenund Gerüchen. Viele mögen die Art und Weise, in der ich ihnen Wissen undInformationen vermittle - über Geschichte (bei mir stimmen alle Fakten), überSchottland, die Kräutermedizin und viele andere Dinge, von denen ich im Bucherzähle. Viele lieben die Abenteuer, von denen ich berichte. "Es sindAbenteuer ohne Ende", sagt mein Mann immer. Einige mögen auch dieLiebesgeschichten, die sich durch meine Bücher ziehen. Während es in Liebesromanenum das Werben geht, handeln meine Bücher vom Heiraten. Natürlich ist es sehrinteressant, was Menschen zusammenbringt. Aber für mich ist viel interessanter,was Leute dazu bringt, 50 Jahre zusammenzubleiben.
Einige Leser mögen das Spekulative an meinen Büchern:die Theorien zu Zeitreisen und die moralischen Schwierigkeiten, denen sich einZeitreisender ausgesetzt sieht. Wenn man sich bewusst ist, was mit einempassiert - hat man dann die Verpflichtung, die Sache zu stoppen? Wenn ja,könnte man das? Und was ist, wenn nicht? Wie lebt man mit der "Bürde"des Wissens, wenn man keine Kraft hat, den Ereignissen entgegenzuwirken? Undwenn du denkst, du könntest etwas unternehmen, ist der Preis, den du dafürbezahlst, nicht zu hoch?
So ziemlich alle Leute mögen die Helden meiner Bücher.Sie sagen, Figuren wie Jamie Fraser und Claire Randall seien so realistisch,dass sie unbedingt wissen wollen, was meinen Helden als nächstes passiert!
Eine meiner liebsten Leserstimmen der letzten Wochen kamvon einer jungen Frau aus Sachsen. Sie schrieb: "Mein Onkel, der alle ihreBücher zwei Mal gelesen hat, meinte: "Die Geschichten sind verrückt,unrealistisch, abgedreht und abstrakt. Aber warum sind sie bloß sokurz?""
Wie kamen Sie, eine Amerikanerin ausArizona, auf die Idee, ausgerechnet das schottische Hochland als SchauplatzIhres Abenteuerromans auszuwählen?
Nun, das hat mit der Frage zu tun, wie ich - alserfolgreiche Wissenschaftlerin - auf den Gedanken gekommen bin, einenAbenteuerroman zu schreiben. Eigentlich war das alles eher Zufall. Ich wollteschon immer Schriftstellerin werden und sah das als meine Bestimmung an. Ichkomme allerdings aus einer sehr konservativen Familie und bekam ständig Sprüchezu hören wie: "Bei deiner schlechten Menschenkenntnis wirst du eines Tageseinen Herumtreiber heiraten. Sorge dafür, dass du eine gute Ausbildungbekommst, damit du später deine Kinder unterstützen kannst!" Ich habe dann abereinen sehr netten Mann geheiratet, wir sind mittlerweile seit 32 Jahrenzusammen und haben drei wundervolle Kinder, die jetzt selber schon erwachsensind.
Wie dem auch sei, vor diesem familiären Hintergrundhielt ich es für besser, nicht über meine geplante Schriftstellerkarriere zusprechen, denn eine solche Laufbahn ist ja ganz und gar nicht sicher undvorhersehbar. Außerdem wusste ich auch gar nicht, wie ich das Roman schreibenanpacken sollte. Als ich dann aber so Mitte 30 war, dachte ich mir: Wenn duRomane schreiben willst, solltest du s jetzt versuchen und nicht warten, bis duin den Ruhestand gehst. Hätte sich erst dann herausgestellt, dass ich gut bin,hätte ich schließlich eine Menge Zeit verloren!
Bis dahin hatte ich schon alles Mögliche geschrieben:Textbücher, wissenschaftliche Beiträge, Artikel für Nachschlagewerke,Softwarerezensionen und Beiträge für Computerzeitschriften, Lehrmaterialien,Stipendienanträge, Jahresberichte - und Walt-Disney-Comics. Wie man das macht,hatte mir nie jemand gesagt; ich hatte einfach einige Beispiele gelesen unddann drauflosgeschrieben. Also war das offensichtlich auch der beste Weg, um zulernen, wie man einen Roman schreibt - man muss ihn einfach schreiben.
Meine Mutter brachte mir das Lesen bei, als ich dreiwar, und seitdem verschlang ich alles, was mir unter die Finger kam - überRomane wusste ich so gut Bescheid, dass ich selbst einen schreiben konnte.
Ich beschloss also, versuchsweise einen Roman zuschreiben, um zu sehen, wie man das macht und wie viel Disziplin und Fleiß mandazu bracht. Danach wollte ich entscheiden, ob es wirklich das war, was ichwollte, und gegebenenfalls ein kommerziell funktionierendes Thema wählen undeinen "echten" Roman schreiben, der dann natürlich auch veröffentlicht werdensollte.
Nun, als Übungsobjekt wählte ich "Feuer und Stein", dochdas Ganze ist etwas aus dem Ruder gelaufen Zu Beginn aber war es nur ein Übungsstück. Ich sagte mir: "WelcheArt von Roman kann man am leichtesten schreiben? Es ist ja zum Üben, da macht skeinen Sinn, was Schwieriges auszuwählen." Und ich kam zu dem Schluss, dass fürmich ein historischer Roman am einfachsten zu schreiben sei. BeiHistorienromanen gibt s ja keine thematischen Einschränkungen; man kann überalles schreiben, solange man ein lebendiges, überzeugendes und glaubwürdigesSetting hat, das die Vergangenheit lebendig werden lässt.
Nun, das wiederum hängt von lebendigen, überzeugendenund glaubwürdigen Details ab - und die bekommt man offensichtlich durchRecherchen. Okay, ich hatte eine Forschungsprofessur (an der Universität hatteich mich auf wissenschaftliche Berechnungen spezialisiert, aber das war Zufall,denn eigentlich hatte ich Biologie, Meeresbiologie und Ökologie studiert), undich wusste, wie man mit einer Bibliothek umgeht. Ich sagte mir also, dass es einfacherist, Sachen nachzuschlagen als sie sich auszudenken, und falls ich keineFantasie haben sollte, dann könnte ich mir ja immer noch alles Notwendige aushistorischen Berichten zusammenklauen.
Die nächste Frage war logischerweise die nach der Zeitund dem Ort für das Buch. Da ich mich in Geschichte nicht sonderlich auskannteund sowieso alles würde nachschlagen müssen, war das eigentlich ziemlich egal.Zufällig sah ich dann die Wiederholung einer Folge von "Dr. Who" im Fernsehen.Da ich nicht weiß, ob man die Serie in Deutschland auch kennt, erzähle ich kurzdavon: "Dr. Who" ist ein Lord vom Planeten Gallifrey, der durch Zeitund Raum reist und zahlreiche Abenteuer zu bestehen hat. Auf seinem Weg wird ervon Gefährten aus unterschiedlichen Epochen der Erdgeschichte begleitet, die jenach Zeitabschnitt unterschiedlich sind. In dieser ziemlich alten Folge, dieich zufälligerweise sah (die Sendung läuft seit 30 Jahren in England), hatteder Doktor einen 17- oder 18-jährigen jungen Mann aus dem Schottland des Jahres1745 dabei - im Kilt. Als ich das sah, dachte ich bei mir: "Oh, das ist ja ganzreizend!". Ich überlegte bis zum nächsten Tag und sagte mir: "Nun, du willstein Buch schreiben. Es ist ziemlich egal, welche Zeit du dir raussuchst -wichtig ist allein, dass du dir eineZeit und einen Ort aussuchst und endlich anfängst. Also dann eben Schottland,achtzehntes Jahrhundert."
Und da sind wir nun. Bis zum dritten Schreibtag handeltees sich um einen ziemlich geradlinig erzählten historischen Roman. Bis dahinhatte ich genug recherchiert, um den Jakobiten-Aufstand von 1745 alshistorischen Hintergrund für die Geschichte auszuwählen. Ich wusste, dass esdabei vor allem um den Konflikt zwischen Schotten und Engländern ging, abersagte mir: "Okay, wegen des Kiltfaktors braucheich eine Menge Schotten - aber ich glaube, ich sollte auch eine weibliche Figurals Gegengewicht schaffen. Dann bekomme ich einen sexuellen Konflikt mithinein, das wäre gut. Und da es um Schotten und Engländer geht, bekommen wirjede Menge Konflikte, wenn ich eine englische Frau einführe."
Ich führte also diese Engländerin ein, ohne eine Idee zuhaben, wer sie war, wie sie in die ganze Geschichte hineinkam oder was sie dorttat. (Ich schreibe übrigens nicht am Stück, sondern in kleinen Abschnitten, dieich später dann zusammenklebe.) Und so setzte ich diese Frau in ein kleinesLandhaus voller Schotten, um zu sehen, was sie tun würde. Sie ging hinein, undalle drehten sich um und starrten sie an. Einer erhob sich langsam und sagte:"Ich bin Dougal MacKenzie. Und wer bitteschön sind Sie?" Worauf sie (ohne jedeHilfe meinerseits) antwortete: "Ich bin Claire Elizabeth Beauchamp. Und wer zumTeufel sind Sie?" Ich hielt inne und sagte: "Du hörst dich ganz und gar nichtwie eine Frau aus dem 18. Jahrhundert an." Zwei oder drei Seiten lang kämpfteich mit ihr, um sie zurechtzustutzen und sie wie eine historische Personsprechen zu lassen. Aber sie wollte partout nicht "historisch" werden, sondernmachte ständig ziemlich freche, moderne Bemerkungen und fing schließlich sogaran, die Geschichte selbst zu erzählen. "Nun gut", sagte ich mir, "da das Buchsowieso niemand je zu Gesicht bekommen wird, ist es ziemlich egal, was fürbizarre Sachen ich dir andichte. Sei also modern, und ich werde mir später überlegen,wie du dort hingekommen bist." Es ist also ihre Schuld, dass es in diesenBüchern Zeitreisen gibt.
Hätten Sie erwartet, dass IhreRomanreihe um die Heldin Claire Randall und ihren Liebsten James Fraser soviele Leser in ihren Bann ziehen würde?
Nie im Leben! Schließlich habe ich nicht damitgerechnet, dass überhaupt irgend jemand das Buch je lesen geschweige dennveröffentlichen würde - und schon gar nicht damit, dass Millionen Menschen inder ganzen Welt es lesen würden. Aber ich bin natürlich froh, dass es sogekommen ist.
Sie müssen sehr umfangreichrecherchiert haben. Wie lange dauerten Ihre Vorarbeiten zum ersten Band?
Ich habe überhaupt keine Vorarbeiten gebraucht. Ich wolltelernen, wie man einen Roman schreibt, und nicht alles über Schottland im 18.Jahrhundert wissen. Daher beschloss ich, sofort mit dem Schreiben anzufangenund parallel zu recherchieren. Wenn ich etwas schrieb, das sich hinterher alsfalsch herausstellen sollte, könnte ich es einfach korrigieren. Wenn ich aberzuerst Jahre mit Recherchen verbrachte, käme ich damit meinem Ziel keinenSchritt näher.
Also begann ich mit dem Schreiben und betrieb paralleldazu meine Recherchen. Ich arbeite übrigens immer noch so; Schreiben undRecherchieren befruchten und stimulieren sich in der Regel gegenseitig. Und daich nicht am Stück schreibe, sondern in Einzelteilen und Bruchstücken, muss ichauch nicht immer alles wissen, um an einer Szene zu arbeiten. Wenn ich zuirgendeinem Ort etwas Spezielles wissen muss, ist es ziemlich einfach für mich,an diese Information heranzukommen. Ich habe nicht nur Zugang zu einer gutenUniversitätsbibliothek, sondern mittlerweile eine ziemlich umfangreichepersönliche Bibliothek zusammengetragen. Sie enthält Bücher über die GeschichteSchottlands, den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und Dutzende Werke überHeilpflanzen, die gälische Kultur oder alle möglichen anderen Dinge, die einemsonst so einfallen könnten.
Die Fragenstellte Roland Große Holtforth, Literaturtest.
- Autor: Diana Gabaldon
- 2004, 1196 Seiten, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Barbara Schnell
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442361087
- ISBN-13: 9783442361083
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