Hirn ist aus
Mit Illustrationen von Greser & Lenz
Einer der beliebtesten deutschen Kabarettisten mit seinen besten Texten. Ob alltäglicher Irrsinn oder unbeschreibliche Geschichten der Regierenden - seine Texte sind ebenso brillant und genial, wie auch schnoddrig und böse. Der fränkische...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Hirn ist aus “
Einer der beliebtesten deutschen Kabarettisten mit seinen besten Texten. Ob alltäglicher Irrsinn oder unbeschreibliche Geschichten der Regierenden - seine Texte sind ebenso brillant und genial, wie auch schnoddrig und böse. Der fränkische Komiker kritisiert hier die Steifheit und den Missmut der Deutschen.
Klappentext zu „Hirn ist aus “
Deutschlands beliebtester KabarettistEin Millionenpublikum kennt ihn aus der ZDF-Sendung Neues aus der Anstalt: Urban Priol, eines der größten Kaliber des politischen Kabaretts. Er beobachtet scharf und watscht kräftig ab - seine Texte sind genial-abwegig und schnoddrig-böse. So auch in diesem Buch, einer brillanten Mischung aus Geschichten über den Irrsinn im alltäglichen Leben und die schier unbeschreiblichen Taten der Regierenden.
Ausstattung: mit Illus.
Lese-Probe zu „Hirn ist aus “
Hirn ist aus von Urban PriolKreuzfahrt er Tränen
Es gibt in letzter Zeit immer mehr Menschen, die sich fragen: Was kann die SPD eigentlich, außer in regelmäßigen Abständen ihre Kanzler und Parteivorsitzenden wegzumeucheln, unzufrieden und beleidigt durch die Gegend zu stapfen und ansonsten - wie jetzt - innerhalb der Großen Koalition möglichst wenig in Erscheinung zu treten, um Angela Merkel das breite Feld der Selbstdarstellung zu überlassen? Solche Vorwürfe sind ungerecht. Die SPD leistet sich nicht nur einiges, sie macht auch viel. Vor allem für altgediente Genossinnen und Genossen. Als Kabarettist ist man immer neugierig, und so wurde ich hellhörig, als Mitte der 90er Jahre das Angebot kam, als Bordbelustigung mit auf eine SPD-Kreuzfahrt zu gehen. Die SPD macht Kreuzfahrten? Dass sie ab und an baden geht, das ist hinlänglich bekannt - aber wer weiß schon, dass die Partei sich einen eigenen Reiseservice hält, der vom Trekking im Unteren Weserbergland über Silvester in Shanghai bis hin zu Veteranenreisen ins ehemalige Königsberger Heimatlandgefühl so ziemlich alles bereithält, was des Sozen Herz begehrt. Gut, auch die CSU hält sich ein parteieigenes Reisebüro, allerdings sind die Christsozialen über organisierte Wallfahrten nach Altötting und frömmelndes Gemeinschaftsschluchzen im Herrgottswinkel noch nicht hinausgekommen. 1997 stand ein tolles Angebot im Raum: Mittelmeerkreuzfahrt. Ablegehafen Nizza. Anlegehafen Nizza. Dazwischen Sonne, ein paar Auftritte an Bord der MS »Dalmacija«, ein mit kroatischer Besatzung unter karibischer Flagge dümpelnder Kleinschoner - kurz: Es versprach ein entspanntes Engagement zu werden, nicht wie im Jahr zuvor im rauen Nordmeer, eine Reise, die unter dem Motto stand:
Haut's vom Tisch den Sechser-Pack,
Ist raue See im Skagerrak!
Zwölf Tage an Bord. Das hat
... mehr
nur einen Nachteil: Man kann nicht weg. Man ist seinem Publikum rund um die Uhr ausgeliefert: »Hören Se mal - wir können wegen der Dünung den Hafen nit anlaufen! Macht doch mal solange Programm, ihr seid doch im Preis mit drin - oder nit? Also!«
Galas, also geschlossene Veranstaltungen, gehören ohnehin zum Lieblingsrepertoire - du wirst einem Publikum zum Fraß vorgeworfen, das nicht weiß, was es erwartet, und lieber einen trinken würde ... das muss nicht immer gut ausgehen. Wie früher in der Schule, wenn der Deutschkurs ins Kino durfte. Tod in Venedig. Der Film ist so schon langweilig genug. Hätten wir ihn während des Unterrichts sehen dürfen, hätte er uns vielleicht gefallen. Aber abends in unserer karg bemessenen Schülerfreizeit kollektiv ins Kino zur Zwangsvorstellung. Nö. Selbst Emmanuelle, Teils oder Bi/itis oder Zärtliche Cousinen mit der weichgezeichneten Anja Schüte wären da durchgefallen. Mir haben sich zwei Galavorstellungen bleibend eingeprägt - einmal eine Weihnachtsfeier für die »Transportgemeinschaft Lieferbeton MainMörtel GmbH«: 60 Betonmischerfahrer mit Ehefrauen. Ich hatte noch versucht, das Ganze am Anfang etwas aufzulockern, sachbezogen gewissermaßen:
Das Jesuskind kommt heut ganzjix Wir
bringen's mit dem Ready-Mix!
Danach haben wir uns alle ratlos durch die folgende Stunde gequält - das war's. Es gibt Tiefpunkte im Leben, da muss man ganz stark sein. Rex Gildo hat das irgendwie nicht verhaftet. Nach einem Vollplayback-Auftritt mit anschließender Autogrammstunde in einem südhessischen Möbelhaus sah er keinen Ausweg mehr, als sich aus seinem Toilettenfenster in die Tiefe zu stürzen. Ein finales: »Hossa!« Und aus war die Fiesta. Ein Schlagersänger wäre vielleicht auch bei dem zweiten Event, der Jahresgeschäftsführertagung der »Bernau AG«, angebrachter gewesen. Aber gut - der Zweite Hauptgeschäftsführer des Unternehmens hatte mich bei einem Auftritt in Stuttgart gesehen und gemeint: »Das ist genau das Richtige für uns!«
Ich hätte an die Betonmischer denken sollen. Nun muss man wissen, dass die Geschäftsführer bei der Jahreshauptversammlung der »Bernau AG« allesamt ehemalige selbständige Besitzer mittelständischer Elektrogeschäfte gewesen waren, bevor sie, aus welchen Gründen auch immer, in selbst- oder unverschuldete Finanznöte geraten waren, aus denen sie der innerdeutsche Heuschreck herausgekauft hatte, um sie als willfährige Marionetten, sprich: Geschäftsführer, zum Wohle der »Bernau AG«, weiterzubeschäftigen. Mein Auftrittsauftrag war klar umrissen: 20 Minuten nach der Suppe, dann zwei Stunden Pause, dann noch einmal 20 Minuten vor dem Dessert. Aus dem Amuse-Gueule wurde aber nichts. Ich stürmte nach der Suppe - wenn ich mich recht erinnere, war es Tomatenconsomme mit Fleischeinlage - die hilfspodestmäßig zusammengezimmerte Notbühne: »So, einen wunderschönen guten Abend ...«
Weiter kam ich nicht, denn schon vor meinem ersten Gag über die Rentenpolitik von Norbert Blüm (ein absoluter Bringer zu der Zeit, obwohl noch niemand ahnen konnte, wie es einige Jahre danach mit dem demographischen Faktor erst richtig den Bach runtergehen sollte), stürmte der Erste Geschäftsführer der »Bernau AG«, also der Chef in Person, der nicht nur Bernau hieß, sondern auch noch in Bernau bei Berlin residierte und nun auch noch auf Gut Bernau bei Garmisch-Partenkirchen seine Jahresgeschäftsführerhauptversammlung einberufen hatte - ja, das ist gelebte Corporate Identity -, er, Herr von und zu Bernau ohne Ribbeck und Havelland, stürmte zu mir auf die Bühne, auf der ohnehin nur wir beide Platz hatten, und herrschte mich an: »Kommen Sie mal mit!«
Herr Bernau zog mich hinter die Bühne und meinte: »Es mag wohl sein, dass mit Ihnen vereinbart war, dass Sie nach der Suppe sprechen - aber damit eins klar ist: Vor mir spricht hier niemand!«, um dann persönlich das Hilfspodest zu erklimmen. Und schon donnerte der Vorberliner Heuschreck los: »Ich will mal annehmen, dass die Suppe allen gemundet hat, und wir sind ja auch alle froh, heute Abend hier zu sein, um die Geschäftsentwicklung der >Bernau AG< gebührend zu begehen ... wir alle wissen ja, wie es um das Unternehmen bestellt ist, heute Morgen hatten wir ja die letzte Notierung an der Börse - na, Herr Müller, stehen Sie doch mal auf ... Sie haben den Kurs doch sicher präsent, wie wir alle hier, nicht wahr?«
Er hatte ihn natürlich nicht präsent, danach war die Stimmung völlig im Eimer, und ob Herr Müller seinen Job als Geschäftsführer seines ehemaligen Betriebs über den Tag hinaus noch ausführen durfte, das wage ich zu bezweifeln, aber wir sind ja alle nicht zum Spaß auf dieser Welt. Oder wie meine Lieblingstante immer zu sagen pflegte: »Das Leben ist kein Wünsch dir was!«
Die Musiker, mit denen ich mich während meiner Zwangspause hinter der Bühne unterhielt, empfanden ebenso. Ich hatte sie erst gar nicht gesehen, nur gehört, weil sie hinter einem geschlossenen Vorhang spielen mussten, um von dem Hauptevent des Abends, dem Chef, nicht abzulenken. Selbstredend, dass auch erst getanzt werden durfte, nachdem Herr Bernau und seine Ich-AG sich ins Schlafgemach zurückgezogen hatten. Ich würgte mich dann kurz vor dem Dessert - wie vertraglich vereinbart - noch einmal kurz auf das erhöhte Podest, murmelte etwas von: »Ich weiß nicht, ob Sie mich noch kennen, ich war vorhin schon mal ganz kurz da ... « Die Reaktion war verhalten. Vielleicht hätte ich nicht nachfragen sollen, ob irgendjemand dem armseligen Herrn Müller mittlerweile die neueste Börsennotierung mitgeteilt hatte. Am nächsten Morgen überreichte mir der Zweite Geschäftsführer dann kühlen Blickes den Scheck:
»War ja wohl nichts gestern Abend!«
Aha, dachte ich noch, His Master's Voice. Seitdem überlege ich mir jedes Mal, ob ich bei einem vermeintlich selbständigen kleinen Einzelhändler meinen USB-Stick kaufe oder besser gleich zu Media Markt stolpere.
Zurück zur Krönung einer geschlossenen Veranstaltung - einer Kreuzfahrt! Schon die Gespräche an Bord sind bezaubernd:
»So viel Besteck! Wie isst man denn da jetzt bei Kreuzfahrten? Ich kenne mich da ja nicht aus ... von innen nach außen, oder?«
»Das kommt ganz auf den Seegang an.«
»Wie meinen Sie das jetzt?«
»Kleiner Scherz ...«
Ein kleiner Small Talk nach der Kraftbrühe »Dolores«:
»Kraftbrühe? Des is doch kaa Kraftbrühe! Schmeckt irgendwie nach ... Kartoffelsuppe ... mit Spargelgeschmack. E Kraftbrühe is des net! Awwer salzig isse!« »Woher soll so en jugoslawische Schankkellner ach wisse, was e Kraftbrühe is?«
»Nett sind se ja, vom Personal. So freundlich und so bemüht.«
»Na ja - die sind halt auch froh, wenn se aus ihrm Elend deheim emal rauskomme für e paar Woche ...«
»Apropos Elend ... «
»Nein, bitte, kein Wort jetzt zur Partei ... «
»Wisse Sie, de Oskar, mer kann ja üwwer ihn denke, was mer will- awwer des is halt doch noch aaner von uns!«
»Wir waren mal in Florida. Die ganze Zeit hatten wir uns auf das versprochene s-Sterne-Hotel gefreut, und dann waren das nur vier! Ein lausiges 4-Sterne-Hotei! Wir haben dann aber geklagt, gegen den Veranstalter ...«
»Des Soziale und der kleine Mann, des liecht doch dem Oskar mehr am Herze als wie dem Schröder ... «
»Also, wenn ich dazu mal was anmerken darf: Der Service in 4-Sterne-Hotels ist ja oftmals besser als der in s-SterneHotels. «
»Ja - und auch persönlicher!«
»Persönlich hab ich geche den Schröder eigentlich nix ... es is mir halt nur ... vom Herze her, da is halt der Oskar ...«
»Nun hör doch mit dem Springbrunnen endlich mal auf!«
»Springbrunnen?«
»Lafontaine!«
»Ach so.«
»Wir waren ja schon oft auf Reisen, aber eines kann ich Ihnen sagen: Die besten Schälrippchen der Welt, die hat's auf Djerba.«
»Ach?«
»Ja. Auf Djerba.«
»Das würde man auch nicht auf Anhieb vermuten ... «
»Habt ihr eigentlich schon geübt mit eurer Schwimmweste? «
»Dat is doch erst morjen!«
»Ja, aber - es könnt doch sein, dass heut schon was passiert! Wir sind doch schon ausgelaufen, jetzt stell dir mal vor, es passiert was, und wir haben noch nicht geübt ...«
»Wenn der Lafontaine drankommt, passiert überhaupt nichts. Der ist schneller wieder weg, als wie er drangekommen ist. Der ist Saarländer und Jesuitenzögling - das ist eine gefährliche Kombination!«
»Der Geißler war ja auch bei den Jesuiten.«
»ja, aber der ist kein Saarländer! Die wären damals doch viel lieber bei den Franzosen geblieben, von wegen >Dolce Vita< und so ... «
»Grad beim Auslaufe, da passiert oft am meiste. Des is wie beim Fliegen. Wenn du erst mal in der Luft bist, dann ist gut. Aber bei Starts und Landungen, gerade da passiert's oft.«
»Wenn dat Fluchzeuch abstürzt, dann nutzt dir deine Schwimmweste aber auch nix mehr. Bruhaha!«
»Grad beim Schiff, da geht des oft auch ganz schnell, hab ich gelesen. Des geht ruck, zuck.«
»Ach was - so ein Schiff sinkt doch nicht in zehn Minuten.«
»Das stimmt nicht - da müssen Sie nur mal die Fährunglücke in den letzten Jahren nehmen. Allein die >Estonia<, die ist so schnell gesunken, das haben die nicht einmal gemerkt! «
»Da waren ja auch die Tore vorne offen, weil der Russe eine Bombe zwischen die Scharniere geklemmt hat. Unser Schiff hat ja keine Tore.«
»Und wat sollte der Russe für ein Interesse haben, uns in die Luft zu sprengen?! Bruhahaha!«
»Trotzdem. Es bleibt e bisje e komisches Gefühl ...«
»Herr Ober, ich hatte doch Limonade bestellt. ja, Limonade - das hier ist aber Saft ... verstehen Sie mich überhaupt?«
»Unser Schwiegersohn, der ist ja beim Max-Planck-Institut beschäftigt, da macht der in Meeresbiologie und Forschung ...«
»Orange ist das, ja, Saft - aber doch keine Limonade!«
Copyright © 2008 by Karl Blessing Verlag GmbH, München
Der Wilhelm Heyne Verlag, München, ist ein Verlag der Verlagsgruppe Random House GmbH
ISBN 978-3-453-60195-6
Galas, also geschlossene Veranstaltungen, gehören ohnehin zum Lieblingsrepertoire - du wirst einem Publikum zum Fraß vorgeworfen, das nicht weiß, was es erwartet, und lieber einen trinken würde ... das muss nicht immer gut ausgehen. Wie früher in der Schule, wenn der Deutschkurs ins Kino durfte. Tod in Venedig. Der Film ist so schon langweilig genug. Hätten wir ihn während des Unterrichts sehen dürfen, hätte er uns vielleicht gefallen. Aber abends in unserer karg bemessenen Schülerfreizeit kollektiv ins Kino zur Zwangsvorstellung. Nö. Selbst Emmanuelle, Teils oder Bi/itis oder Zärtliche Cousinen mit der weichgezeichneten Anja Schüte wären da durchgefallen. Mir haben sich zwei Galavorstellungen bleibend eingeprägt - einmal eine Weihnachtsfeier für die »Transportgemeinschaft Lieferbeton MainMörtel GmbH«: 60 Betonmischerfahrer mit Ehefrauen. Ich hatte noch versucht, das Ganze am Anfang etwas aufzulockern, sachbezogen gewissermaßen:
Das Jesuskind kommt heut ganzjix Wir
bringen's mit dem Ready-Mix!
Danach haben wir uns alle ratlos durch die folgende Stunde gequält - das war's. Es gibt Tiefpunkte im Leben, da muss man ganz stark sein. Rex Gildo hat das irgendwie nicht verhaftet. Nach einem Vollplayback-Auftritt mit anschließender Autogrammstunde in einem südhessischen Möbelhaus sah er keinen Ausweg mehr, als sich aus seinem Toilettenfenster in die Tiefe zu stürzen. Ein finales: »Hossa!« Und aus war die Fiesta. Ein Schlagersänger wäre vielleicht auch bei dem zweiten Event, der Jahresgeschäftsführertagung der »Bernau AG«, angebrachter gewesen. Aber gut - der Zweite Hauptgeschäftsführer des Unternehmens hatte mich bei einem Auftritt in Stuttgart gesehen und gemeint: »Das ist genau das Richtige für uns!«
Ich hätte an die Betonmischer denken sollen. Nun muss man wissen, dass die Geschäftsführer bei der Jahreshauptversammlung der »Bernau AG« allesamt ehemalige selbständige Besitzer mittelständischer Elektrogeschäfte gewesen waren, bevor sie, aus welchen Gründen auch immer, in selbst- oder unverschuldete Finanznöte geraten waren, aus denen sie der innerdeutsche Heuschreck herausgekauft hatte, um sie als willfährige Marionetten, sprich: Geschäftsführer, zum Wohle der »Bernau AG«, weiterzubeschäftigen. Mein Auftrittsauftrag war klar umrissen: 20 Minuten nach der Suppe, dann zwei Stunden Pause, dann noch einmal 20 Minuten vor dem Dessert. Aus dem Amuse-Gueule wurde aber nichts. Ich stürmte nach der Suppe - wenn ich mich recht erinnere, war es Tomatenconsomme mit Fleischeinlage - die hilfspodestmäßig zusammengezimmerte Notbühne: »So, einen wunderschönen guten Abend ...«
Weiter kam ich nicht, denn schon vor meinem ersten Gag über die Rentenpolitik von Norbert Blüm (ein absoluter Bringer zu der Zeit, obwohl noch niemand ahnen konnte, wie es einige Jahre danach mit dem demographischen Faktor erst richtig den Bach runtergehen sollte), stürmte der Erste Geschäftsführer der »Bernau AG«, also der Chef in Person, der nicht nur Bernau hieß, sondern auch noch in Bernau bei Berlin residierte und nun auch noch auf Gut Bernau bei Garmisch-Partenkirchen seine Jahresgeschäftsführerhauptversammlung einberufen hatte - ja, das ist gelebte Corporate Identity -, er, Herr von und zu Bernau ohne Ribbeck und Havelland, stürmte zu mir auf die Bühne, auf der ohnehin nur wir beide Platz hatten, und herrschte mich an: »Kommen Sie mal mit!«
Herr Bernau zog mich hinter die Bühne und meinte: »Es mag wohl sein, dass mit Ihnen vereinbart war, dass Sie nach der Suppe sprechen - aber damit eins klar ist: Vor mir spricht hier niemand!«, um dann persönlich das Hilfspodest zu erklimmen. Und schon donnerte der Vorberliner Heuschreck los: »Ich will mal annehmen, dass die Suppe allen gemundet hat, und wir sind ja auch alle froh, heute Abend hier zu sein, um die Geschäftsentwicklung der >Bernau AG< gebührend zu begehen ... wir alle wissen ja, wie es um das Unternehmen bestellt ist, heute Morgen hatten wir ja die letzte Notierung an der Börse - na, Herr Müller, stehen Sie doch mal auf ... Sie haben den Kurs doch sicher präsent, wie wir alle hier, nicht wahr?«
Er hatte ihn natürlich nicht präsent, danach war die Stimmung völlig im Eimer, und ob Herr Müller seinen Job als Geschäftsführer seines ehemaligen Betriebs über den Tag hinaus noch ausführen durfte, das wage ich zu bezweifeln, aber wir sind ja alle nicht zum Spaß auf dieser Welt. Oder wie meine Lieblingstante immer zu sagen pflegte: »Das Leben ist kein Wünsch dir was!«
Die Musiker, mit denen ich mich während meiner Zwangspause hinter der Bühne unterhielt, empfanden ebenso. Ich hatte sie erst gar nicht gesehen, nur gehört, weil sie hinter einem geschlossenen Vorhang spielen mussten, um von dem Hauptevent des Abends, dem Chef, nicht abzulenken. Selbstredend, dass auch erst getanzt werden durfte, nachdem Herr Bernau und seine Ich-AG sich ins Schlafgemach zurückgezogen hatten. Ich würgte mich dann kurz vor dem Dessert - wie vertraglich vereinbart - noch einmal kurz auf das erhöhte Podest, murmelte etwas von: »Ich weiß nicht, ob Sie mich noch kennen, ich war vorhin schon mal ganz kurz da ... « Die Reaktion war verhalten. Vielleicht hätte ich nicht nachfragen sollen, ob irgendjemand dem armseligen Herrn Müller mittlerweile die neueste Börsennotierung mitgeteilt hatte. Am nächsten Morgen überreichte mir der Zweite Geschäftsführer dann kühlen Blickes den Scheck:
»War ja wohl nichts gestern Abend!«
Aha, dachte ich noch, His Master's Voice. Seitdem überlege ich mir jedes Mal, ob ich bei einem vermeintlich selbständigen kleinen Einzelhändler meinen USB-Stick kaufe oder besser gleich zu Media Markt stolpere.
Zurück zur Krönung einer geschlossenen Veranstaltung - einer Kreuzfahrt! Schon die Gespräche an Bord sind bezaubernd:
»So viel Besteck! Wie isst man denn da jetzt bei Kreuzfahrten? Ich kenne mich da ja nicht aus ... von innen nach außen, oder?«
»Das kommt ganz auf den Seegang an.«
»Wie meinen Sie das jetzt?«
»Kleiner Scherz ...«
Ein kleiner Small Talk nach der Kraftbrühe »Dolores«:
»Kraftbrühe? Des is doch kaa Kraftbrühe! Schmeckt irgendwie nach ... Kartoffelsuppe ... mit Spargelgeschmack. E Kraftbrühe is des net! Awwer salzig isse!« »Woher soll so en jugoslawische Schankkellner ach wisse, was e Kraftbrühe is?«
»Nett sind se ja, vom Personal. So freundlich und so bemüht.«
»Na ja - die sind halt auch froh, wenn se aus ihrm Elend deheim emal rauskomme für e paar Woche ...«
»Apropos Elend ... «
»Nein, bitte, kein Wort jetzt zur Partei ... «
»Wisse Sie, de Oskar, mer kann ja üwwer ihn denke, was mer will- awwer des is halt doch noch aaner von uns!«
»Wir waren mal in Florida. Die ganze Zeit hatten wir uns auf das versprochene s-Sterne-Hotel gefreut, und dann waren das nur vier! Ein lausiges 4-Sterne-Hotei! Wir haben dann aber geklagt, gegen den Veranstalter ...«
»Des Soziale und der kleine Mann, des liecht doch dem Oskar mehr am Herze als wie dem Schröder ... «
»Also, wenn ich dazu mal was anmerken darf: Der Service in 4-Sterne-Hotels ist ja oftmals besser als der in s-SterneHotels. «
»Ja - und auch persönlicher!«
»Persönlich hab ich geche den Schröder eigentlich nix ... es is mir halt nur ... vom Herze her, da is halt der Oskar ...«
»Nun hör doch mit dem Springbrunnen endlich mal auf!«
»Springbrunnen?«
»Lafontaine!«
»Ach so.«
»Wir waren ja schon oft auf Reisen, aber eines kann ich Ihnen sagen: Die besten Schälrippchen der Welt, die hat's auf Djerba.«
»Ach?«
»Ja. Auf Djerba.«
»Das würde man auch nicht auf Anhieb vermuten ... «
»Habt ihr eigentlich schon geübt mit eurer Schwimmweste? «
»Dat is doch erst morjen!«
»Ja, aber - es könnt doch sein, dass heut schon was passiert! Wir sind doch schon ausgelaufen, jetzt stell dir mal vor, es passiert was, und wir haben noch nicht geübt ...«
»Wenn der Lafontaine drankommt, passiert überhaupt nichts. Der ist schneller wieder weg, als wie er drangekommen ist. Der ist Saarländer und Jesuitenzögling - das ist eine gefährliche Kombination!«
»Der Geißler war ja auch bei den Jesuiten.«
»ja, aber der ist kein Saarländer! Die wären damals doch viel lieber bei den Franzosen geblieben, von wegen >Dolce Vita< und so ... «
»Grad beim Auslaufe, da passiert oft am meiste. Des is wie beim Fliegen. Wenn du erst mal in der Luft bist, dann ist gut. Aber bei Starts und Landungen, gerade da passiert's oft.«
»Wenn dat Fluchzeuch abstürzt, dann nutzt dir deine Schwimmweste aber auch nix mehr. Bruhaha!«
»Grad beim Schiff, da geht des oft auch ganz schnell, hab ich gelesen. Des geht ruck, zuck.«
»Ach was - so ein Schiff sinkt doch nicht in zehn Minuten.«
»Das stimmt nicht - da müssen Sie nur mal die Fährunglücke in den letzten Jahren nehmen. Allein die >Estonia<, die ist so schnell gesunken, das haben die nicht einmal gemerkt! «
»Da waren ja auch die Tore vorne offen, weil der Russe eine Bombe zwischen die Scharniere geklemmt hat. Unser Schiff hat ja keine Tore.«
»Und wat sollte der Russe für ein Interesse haben, uns in die Luft zu sprengen?! Bruhahaha!«
»Trotzdem. Es bleibt e bisje e komisches Gefühl ...«
»Herr Ober, ich hatte doch Limonade bestellt. ja, Limonade - das hier ist aber Saft ... verstehen Sie mich überhaupt?«
»Unser Schwiegersohn, der ist ja beim Max-Planck-Institut beschäftigt, da macht der in Meeresbiologie und Forschung ...«
»Orange ist das, ja, Saft - aber doch keine Limonade!«
Copyright © 2008 by Karl Blessing Verlag GmbH, München
Der Wilhelm Heyne Verlag, München, ist ein Verlag der Verlagsgruppe Random House GmbH
ISBN 978-3-453-60195-6
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Autoren-Porträt von Urban Priol
Urban Priol, 1961 geboren, gründet wenige Jahre nach dem Abitur seine erste Kleinkunstbühne. Anfänglich Gemeinschaftsprogramme - unter anderem mit Andreas Giebel -, ab 1995 Soloauftritte, darunter "Alles muss raus" (2001). "Täglich frisch" (2003) und "Tür zu!" (2006). Seit 2002 Jahresrückblick TILT! Viele Auszeichnungen, darunter "Salzburger Stier", "Deutscher Kabarett-Preis", "Deutscher Fernsehpreis 2007" mit Georg Schramm für die ZDF-Satiresendung "Neues aus der Anstalt". Priol lebt in der Nähe von Aschaffenburg.
Bibliographische Angaben
- Autor: Urban Priol
- 2011, 271 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453601955
- ISBN-13: 9783453601956
- Erscheinungsdatum: 07.04.2011
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