Ich bin aus Holz
Roman
Aufrichtig, kraftvoll, spannend: Die Geschichte einer berührenden Mutter-Tochter-Beziehung zwischen Rebellion und Suche nach Nähe.
Giulia ist eine erfolgreiche Ärztin, aber vom Leben enttäuscht. Ihre 18jährige Tochter soll es...
Giulia ist eine erfolgreiche Ärztin, aber vom Leben enttäuscht. Ihre 18jährige Tochter soll es...
Leider schon ausverkauft
Buch
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Ich bin aus Holz “
Aufrichtig, kraftvoll, spannend: Die Geschichte einer berührenden Mutter-Tochter-Beziehung zwischen Rebellion und Suche nach Nähe.
Giulia ist eine erfolgreiche Ärztin, aber vom Leben enttäuscht. Ihre 18jährige Tochter soll es einmal besser haben, doch die streitsüchtige Mia hat die Kommunikation mit ihrer Mutter längst abgebrochen. Getrieben vom Wunsch, ihrer Tochter nahe zu sein, wagt Giulia einen Blick in Mias Tagebuch - und erkennt sich in vielem wieder. Erinnerungen an längst verdrängte Familienerlebnisse aus ihrer Jugend kommen ihr in den Sinn, von denen sie ihrer Tochter in einem langen Brief erzählt. Dabei erkennt sie, dass es dringend an der Zeit ist, Mia den Freiraum für ein eigenes Leben zu lassen.
Giulia ist eine erfolgreiche Ärztin, aber vom Leben enttäuscht. Ihre 18jährige Tochter soll es einmal besser haben, doch die streitsüchtige Mia hat die Kommunikation mit ihrer Mutter längst abgebrochen. Getrieben vom Wunsch, ihrer Tochter nahe zu sein, wagt Giulia einen Blick in Mias Tagebuch - und erkennt sich in vielem wieder. Erinnerungen an längst verdrängte Familienerlebnisse aus ihrer Jugend kommen ihr in den Sinn, von denen sie ihrer Tochter in einem langen Brief erzählt. Dabei erkennt sie, dass es dringend an der Zeit ist, Mia den Freiraum für ein eigenes Leben zu lassen.
Klappentext zu „Ich bin aus Holz “
Aufrichtig, kraftvoll, spannend: Die Geschichte einer berührenden Mutter-Tochter-Beziehung zwischen Rebellion und Suche nach Nähe.Giulia ist eine erfolgreiche Ärztin, aber vom Leben enttäuscht. Ihre 18jährige Tochter soll es einmal besser haben, doch die streitsüchtige Mia hat die Kommunikation mit ihrer Mutter längst abgebrochen. Getrieben vom Wunsch, ihrer Tochter nahe zu sein, wagt Giulia einen Blick in Mias Tagebuch und erkennt sich in vielem wieder. Erinnerungen an längst verdrängte Familienerlebnisse aus ihrer Jugend kommen ihr in den Sinn, von denen sie ihrer Tochter in einem langen Brief erzählt. Dabei erkennt sie, dass es dringend an der Zeit ist, Mia den Freiraum für ein eigenes Leben zu lassen.
Lese-Probe zu „Ich bin aus Holz “
Diese Geschichte beginnt an einem Sonntag, wie hätte es auch anders sein können.Für dich ist der Sonntag ein Überbleibsel der Woche, für mich ist er eine Zigeunerin, die in Kartons und alter Kleidung herumkramt, um in dem weggeworfenen Zeug nach etwas Brauchbarem zu suchen.
Ich glaube, die besten Vorsätze werden sonntags gefasst.
Ich glaube, Kriege werden sonntags beendet.
Ich glaube, auch Odysseus ist an einem Sonntag zurückgekehrt, nachdem der Tanz der Wellen vorbei war; genauso wie du jeden Sonntag zurückkehrst, wenn der Tanz der Wellen vorbei ist.
Für Penelope war der Klang der Rückkehr das harte, hölzerne Schlagen des Floßes an den Fels des Hafens. Und der Geruch der salzige Duft des Meers.
Für eine Mutter ist der Klang der Rückkehr das dreimalige Drehen des Schlüssels im Schloss, ein trockenes Schnappen, das Auf- und Zugehen der Tür. Doch deine Rückkehr riecht nicht nach Salz, nein, sie riecht nach Männerparfüm, das sich in deinem Haar verfangen hat, jede Woche ein anderes.
Ich würde diesen mit teuren Düften besprühten Hemdkragen gern begegnen, würde gern wissen, was für Gesichter sie haben, wie sie heißen, kenne ich sie? Ich würde gern wissen, wie du sie küsst, mit Hingabe oder nur so, und sehen, wie du auf sie zugehst, ob du den entschlossenen Schritt der Leichtsinnigen hast oder ob deine Füße einen Augenblick zögern.
Ich denke den ganzen Samstagabend an dich, Mia.
Ich stelle mir vor, wie du errötest, wenn ein Junge dich nach deinem Namen fragt, und wie du antwortest: "Such dir einen aus, Giorgia, Sara, Chiara - ich bin die Frau, die du dir wünschst", und dabei verführerisch lächelst wie der Apfel, der zum Hineinbeißen einlädt.
Ich denke an dich, bis ich dich kommen sehe, die hochhackigen Schuhe in der Hand, das Täschchen am Arm, die verlaufene Wimperntusche, überall Glitter. Eine Frau von gestern, nicht von heute: noch ganz in die vergangene Nacht gehüllt.
Es ist Sonntagmorgen nach einem Samstag wie viele andere. Der Junge,
... mehr
der dich nach Hause gebracht hat, ist älter als du, doch ihn einen jungen Mann zu nennen erschreckt mich, du bist doch fast noch ein Kind.
"Magst du einen Kaffee?"
Du nickst.
Ich ziehe den Morgenmantel enger um mich und unterdrücke ein Gähnen. Ich muss dir zu verstehen geben, dass du in Sicherheit bist, vertrau mir, sprich mit mir, ich gieße Kaffee in zwei Tassen, obwohl ich selbst gar keinen möchte, ich setze mich zu dir, trinke, lächle, so macht man das, sagen die Experten.
"Wo warst du?", frage ich bemüht ruhig.
"Ist das ein Verhör?"
"Nein, nur so. Um irgendetwas zu sagen."
"Dann sag lieber nichts."
Ich wage eine flüchtige Liebkosung, doch ich bin kein Mensch der Gesten, ich bin ein Mensch der reglosen Schauer, Mia, ich wage einen Versuch, doch du entziehst dich sofort.
"Bist du eigentlich zu einem Fünkchen Liebe fähig?", frage ich.
Du siehst mir fest ins Auge, sagst: "Frag dich das lieber selbst", und gehst.
Penelope erkennt Odysseus nicht, als er nach Hause kommt.
Und ich erkenne dich nicht.
Eine Mutter tut so etwas nicht, sagen die Experten. Sie liest die Tagebücher ihrer Kinder nicht, sie stiehlt sich nicht in ihre Gedanken.
Diebe steigen durchs Fenster ein, Mütter nicht.
Eine Mutter tut so etwas nicht, sagen sie.
Verzeih mir, Mia, aber dein Mund ist verschlossen. Wie kann ich dich jemals verstehen, wenn ich deine Gedanken nicht jenen Seiten entreiße?
Verzeih mir, Mia, aber deine Tür ist versperrt. Wie kann ich zu dir vordringen, wenn ich nicht durchs Fenster steige?
Eine Mutter tut das nicht, versichern die Experten.
Ich werde mich beeilen: einen Abschnitt, nachdem du gegangen bist, und einen, bevor du wiederkommst. Ich werde dich lesen - und mich schreiben. Eine Mutter tut so etwas nicht. Ich schon.
Dieses Tagebuch gehört Mia Ich heiße Mia. Meine Mutter hat ihn ausgesucht.
Wann immer es geht, gebe ich mir einen anderen, ich habe das Gefühl^, dann läuft alles gleich viel besser. Ich möchte nicht Mia sein, "die Meine"; ich möchte jemand anderem gehören und nie mehr davon lassen.
"Mia" ist ein einsamer Name.
Ich hieße lieber Tua, "die Deine".
Doch meine Mutter hat es so gewollt, sie wollte, dass ich nur mir selbst gehöre. Vielleicht hat der Gedanke sie beruhigte. Sie mit ihrem ewigen Misstrauen, mit ihrem wölfischen Blick, mit ihrer ansteckenden Traurigkeit.
Ich bin achtzehn, Tagebuch.
Ich habe einen Hund namens Pongo mit spitzen Ohren und einem weiß-braun gefleckten Fell.
Als ich ihn auf der Straße gefunden habe, war ich fest entschlossen, mich um ihn zu kümmern und ihn jeden Abend auszuführen, er sollte es gut bei mir haben. Jetzt, ein Jahr später, vergesse ich manchmal sogar, dass es ihn gibt.
Pongo verzeiht mir, er springt mir überschwänglich entgegen, auch wenn ich ihn nicht ausführe und ihn kaum streichle. Ich verstehe nicht, wo er die gute Laune herhat.
Ich selbst bin nicht imstande zu verzeihen. Fängst du einmal damit an, kommst du nicht mehr davon los, es wird zur Gewohnheit, und am Ende stehst du da wie ein Iiot.
Meine beste Freundin heißt Marzia, wir gehen in dieselbe Klasse. Sie ist jemand Besonderes, oder vielleicht auch nicht, bei den Menschen kann man das nie so genau sagen.
Nachts träume ich viel, doch morgens erinnere ich mich an nichts mehr.
Ich mag Theaterspielen, Tanzten und Singen, doch ich spiele weder Theater, noch tanze oder singe ich.
Die Theorie ist mir lieber als die Praxis, denn in der Theorie geht alles einfacher, finde ich.
Meine Mutter ist dagegen eine praktische Frau, von morgens bis abends beschäftigt. Ich bin genau das Gegenteil von ihr.
Sie hat die Antworten, ich die Fragen.
Sie hat Füße aus Blei, ich aus Luft.
Sie hält sich im Gleichgewicht, ich verliere es ständig.
Ich bin sie verkehrt herum, auf ^n Kopf gestellt.
Ich habe tausend Lover, aber ich sage zu keinem: "Ich liebe dich".
Ich glaube nicht an Dornröschen und Märchenprinzen, an Sätze wie "Und dann lebten sie vergnügt bis an ihr Ende". Ich glaube an Menschen, die sich gegenseitig ertragen, die sich hin und wieder sagen: "Ich hasse dich", und den Tag verfluchen, an dem sie sich kennengelernt haben.
Marzia sagt, Leute wie mich nennt man gefühlskalt. Ich nenne das einfach reif.
Ich schreibe nicht gern, wer mich kennt, weiß das.
Schreiben ist etwas Intimes, intimer als Sex, wo man sich ineinander verschlingt, ohne den Körper zu begutachten, den man vor oder in sich hat.
Schreiben heißt, sich vor den Augen eines anderen auszuziehen, nackt dazustehen und sich mustern zu lassen, mit allen Mängeln seines Fleisches.
Ich habe immer nur wenig geschrieben, nur kurze Sätze: Ich springe von Erinnerung zu Erinnerung, folge anderen Gedanken, doch wer hundert Schmetterlingen nachläuft, fängt schließlich keinen einzigen.
Aber diesmal will ich nicht mit leerem Kescher nach Hause kommen, will ich mich nicht in Kapriolen verlieren, um die es eigentlich gar nicht geht.
Für dich, Mia, ringe ich mich dazu durch, mich auszuziehen und dich schauen zu lassen. Für dich mache ich mir die Mühe zu erzählen.
Wenn ich ihr meine Fehler verschweige, wird sie sie nicht wiederholen, dachte ich.
Und nun tust du es doch.
Vielleicht sind die Fehler der Mutter in der DNA gespeichert, wer weiß.
Aber dann ist es besser, darüber zu sprechen.
Die Frau, die du kennst, spricht nur über Dinge, die erledigt werden müssen, sie klingt wie eine Schallplatte mit Kratzer, sie ist eine Frau ohne Liebe, und ohne Liebe bist auch du.
Doch weißt du, in der Geschichte jedes Menschen gibt es eine Art Staudamm.
Auf der einen Seite wildes Wasser, das sich anstaut und ausbrechen will, geballte Energie.
Auf der anderen festes Land.
Du kennst von mir nur das feste Land.
Deshalb will ich dir nun von dem Wasser erzählen, das du nie gesehen hast.
Alle Mütter haben eine doppelte Aufgabe: einen Namen und ein Kind zu gebären. Der Name kommt zuerst, ihn auszutragen geht schneller.
So bist du aufgetaucht, Mia: eine Laune, für die ich meine Gründe hatte.
Dein Vater meinte "lieber nicht", für ein Kind sei der Name verzogen, für eine Erwachsene absurd.
Mich hat es nicht gekümmert, ich hatte meine Gründe. Am Ende dieser Geschichte wirst du sie kennen, dann wird der Name, für den du dich so schämst, vielleicht auch dir gefallen.
Ich mag keine langen Namen, ich bin dazu erzogen worden, sparsam mit Worten umzugehen.
Ich mag auch keine lateinischen Namen, die man wie reinrassige Hunde ausführt.
Ich liebe die Namen der Vagabunden, kurz wie Pfiffe, flinke Warnungen auf der Flucht vor der Polizei; die Namen der Fischer, die nach silberblauem Glanz klingen, nach salzgedörrten Fingerkuppen, nach Schiffen, die großen Schwärmen folgen, nach blauem Gold, das vibrierend aus dem Wasser springt und sich nicht fangen lässt.
Eines Tages wird es auch dir so ergehen: Eines Abends wirst du das Netz einholen und ein ungewohntes Gewicht darin verspüren. Doch diesmal ist es kein Meeraal, nein, diesmal ist es ein Schatz.
Das Meer hat ihn dir geschenkt, es hat ihn dir ins Netz gelegt.
Er wiegt nicht mehr als zwei kräftige Seebarsche und eine mittelgroße Garnele, eine Cocktailkrabbe.
Er wiegt gute zwei Kilo.
Er hat winzige Schultern, doch sie werden sich Platz schaffen.
Er hat milchige Knochen, doch sie werden sich härten.
Das Meer hat ihn mir geschenkt, es hat ihn in meinen Schoß gelegt.
Nun ist er mein.
Mia.
Meinem Vater waren Namen egal: Er hatte uns Töchtern nicht viel zu sagen, er brauchte uns nicht beim Namen zu nennen.
Meine Mutter hat darauf bestanden: "Giulia."
Ich wurde mit einer Glückshaube geboren, mit einem Überzug aus Fruchtwasser und Plazenta.
"Das ist ein gutes Zeichen", sagt man.
Ich glaube weder ans Glück noch an Zeichen.
Ich glaube, das Schicksal mischt sich nicht ein.
Es war kalt am Tag meiner Geburt, und die Glückshaube war einfach das, was ich zum Zudecken nehmen konnte, mehr nicht. Es war der dreizehnte Dezember 1946.
"Die Dreizehn bringt Glück, außer bei Tisch", heißt es bei uns.
Doch die Dreizehn bringt weder Glück noch Unglück.
Und das Schicksal setzt keine Zeichen. Es mag sich melden und antworten, doch es sagt nicht vor.
Deine Antwort bekommst du erst am Ende, nach getaner Arbeit. Dass es das Schicksal gibt, merkst du im Rückblick, nicht, wenn du in die Zukunft schaust.
Unsere Familie ist klein.
Nur drei Personen, wie in einer Armeleutekrippe: Vater, Mutter, Kind.
Ist die Familie aufs Minimum reduziert, hat man keine Wahl - man muss notgedrungen miteinander auskommen, sich beim Essen zu dritt an einen Tisch setzen, an dem die Ellbogen nie aneinanderstoßen, muss selbst dann um Verzeihung bitten, wenn man überzeugt ist, im Recht zu sein.
Ich finde, Familien müssen groß sein, damit man Parteien bilden kann.
Ich habe mir immer eine große Schwester gewünscht, die mir ihre Klamotten und ihre Schminke leiht, die mir mit ihren Teeniegeschichten die Ohren vollquatscht und mich von all dem träumen lässt, was mich erwartet.
Meine Mutter hat zwei Schwestern, die sie aber nie trifft, sie sagt, dem Blut ist nicht zu trauen, es ist ein trügerischer Teil des Körpers. Ich glaube dagegen, dass nichts so verbindet wie das Blut.
Ich habe mit Marzia alles geteilt: die erste gepaffte Zigarette, die erste Menstruation, die endlich auch dir erlaubt, mit einer Binde im Rucksack zur Schule zu gehen, den ersten Kuss mit Zahnspange, den Schwips nach dem ersten Bier, die Schulbank, den Liegewagen, das Vergnügen, der Zeit ein Schnippchen zu schlagen und mit anzusehen, wie alles zusammenbricht und bloß wir es schaffen, uns auf den Beinen zu halten.
"Marzia und Mia forever", hatten wir an die Wand des Schulklos gesprüht.
Von wegen forever, Marzia!
"Alle >forevers< sind restlos zu beseitigen", hat die Schulleiterin ein paar Tage später gesagt.
Das ist das Pech, einen so ausgefallenen Namen zu haben, jeder hat sofort kapiert, wer gemeint war, denn im ganzen Gymnasium gibt es ja sonst niemanden, der so heißt.
Die Schulleiterin hat uns einen Farbeimer in die eine Hand gedrückt und einen Pinsel in die andere. "Morgen will ich hier eine makellose Wand sehen."
Und plötzlich wird dir klar, dass "forever" nur ein Wort ist und wie alle Wörter nicht lange hält: nicht länger als einen Pinselstrich.
Marzia sagt: "Du bist wie eine Schwester für mich", doch ich weiß, dass das nicht stimmt.
Denn sie hat schon eine Schwester.
Denn "du bist wie" ist nicht dasselbe wie "du bist".
Denn fremdes Blut erkennt sich nur mühsam, und zuweilen grüßt es nicht einmal.
Unsere Familie war ein Satz Matrjoschkas: lauter ineinandergeschachtelte Frauen, die kleineren den größeren einverleibt.
Ich war die kleinste, ich passte gerade auf den Fingernagel der anderen.
Der Anhang der Familie.
Es ist nicht leicht, Anhang zu sein: Du kannst dich noch so sehr beeilen, immer kommst du als Letzte an.
Wir waren drei Schwestern: Flavia, Livia, Giulia.
Drei lateinische Namen.
Wie Eisenbahnwaggons sind wir dicht nacheinander eingetroffen, mit geringem Altersunterschied.
Zum Glück waren wir von ähnlicher Größe und Statur: So konnten die Kleider weitergegeben werden und hielten länger als eine Saison.
Ich trug die Pullis der anderen auf, die Wolle hatte unter dem Druck ihrer größeren Brüste bereits nachgegeben. Mein Körper wuchs in Räume hinein, die erst noch zu füllen waren.
Wurden die Sachen auch mir zu eng, packte meine Mutter ein Paket für "die Bedürftigen".
"Die Bedürftigen" konnten jederzeit auftauchen und sich schnappen, was übrig war.
Ließ ich eine Puppe auch nur einen Augenblick lang liegen, kamen "die Bedürftigen" und nahmen sie mir weg.
Wurde mir ein Rock zu eng, zack, war er ihrer.
Hatte ich keine Lust auf Obst, sperrten "die Bedürftigen" bereits den Mund auf.
Nichts war mir sicher, nichts war wirklich meines.
Nur meine Schuhe, meine Gesundheitsschuhe, wurden extra für mich angeschafft und hinterher an niemanden weitergegeben. Es waren klobige braune Sandalen, die ich nicht freiwillig trug, sondern weil ich musste: Ich hatte krumme Beine, die korrigiert, gerichtet, begradigt werden mussten.
Die runden Öffnungen über dem Spann überwachten wie Augen jeden meiner Schritte, das grobe Leder heftete sich mir an die Fersen. Mit so etwas kannst du nicht rennen, springen oder über die Wiese tollen: Das Leder ist rau, und sobald du dich zu sehr bewegst, scheuert es.
Die Menschen erkennt man an ihren Schuhen. Meine Füße hatten es eilig, doch ich konnte mich nicht frei bewegen: Ich war eine Schildkröte, die auf dem Rücken liegt und zappelt, ohne einen Schritt voranzukommen.
Abends vor dem Einschlafen stellte ich die Schuhe vor die Tür und hoffte, "die Bedürftigen" würden die Dunkelheit nutzen und sie mir wegnehmen. Doch anscheinend bedurften sie dieser Schuhe nicht.
Aus meinen kraftvollsten Jahren ist mir kein Rock, kein Spielzeug geblieben.
Meine Mutter war der Meinung, alle Menschen seien durch eine Kette des Guten verbunden, bei der jeder Ring den darunterhängenden hält.
Und auch ich glaubte das, genau wie sie.
Es ärgerte mich schon, dass meine Sachen ihrer eigenen Wege gingen, dass meine Puppe sich von einem anderen Mädchen die Haare kämmen und mit einem anderen Schlaflied einlullen ließ. Es kam mir wie ein Verrat der Dinge vor, sie mussten käuflich sein, wenn sie zwischen mir und einer anderen keinen Unterschied machten und mich einfach vergaßen, während ich mich an sie erinnerte.
Doch da war diese Sache mit der Kette des Guten, und wie ich schon sagte, Mia, damals glaubte ich daran.
Jetzt nicht mehr, jetzt gebe ich nichts mehr weg: Deine abgelegten Kleider liegen alle in der Truhe im Wohnzimmer, sieh nur nach.
Ich habe den Egoismus der Ameise erlernt.
Ich habe gelernt zu bewahren.
Erst war ich im Kino, dann in der Kneipe, dann tanzen.
Die Menschen der Nacht haben eine verschlüsselte Sprache.
Bietet dir jemand eine Zigarette an, will er sagen: "Du gefällst mir".
Sieht dir jemand beim Tanzen zu, überlegt er, wie du im Bett bist.
Fragt dich jemand: "Kommst du auf einen Drink zu mir?", will er wissen, ob du mit ihm schläfst.
Ich tue es, auch wenn ich dieses ganze Drumrumreden nicht mag. Ich finde, Worte müssen wie Pfeile sein und direkt auf ihr Ziel zusteuern.Ich gehe durch das Wohnzimmer einer fremden Wohnung. Er sagt, er sei dreißig, ein paar Jahre sind ihm wohl entfallen. Ich glaube, dass er eine Frau oder eine langjährige Freundin hat, ich habe sie auf mehreren silbergerahmten Fotos gesehen, und außerdem spürt man bei der Einrichtung und der häuslichen Ordnung eine weibliche Hand.
"Magst du einen Kaffee?"
Du nickst.
Ich ziehe den Morgenmantel enger um mich und unterdrücke ein Gähnen. Ich muss dir zu verstehen geben, dass du in Sicherheit bist, vertrau mir, sprich mit mir, ich gieße Kaffee in zwei Tassen, obwohl ich selbst gar keinen möchte, ich setze mich zu dir, trinke, lächle, so macht man das, sagen die Experten.
"Wo warst du?", frage ich bemüht ruhig.
"Ist das ein Verhör?"
"Nein, nur so. Um irgendetwas zu sagen."
"Dann sag lieber nichts."
Ich wage eine flüchtige Liebkosung, doch ich bin kein Mensch der Gesten, ich bin ein Mensch der reglosen Schauer, Mia, ich wage einen Versuch, doch du entziehst dich sofort.
"Bist du eigentlich zu einem Fünkchen Liebe fähig?", frage ich.
Du siehst mir fest ins Auge, sagst: "Frag dich das lieber selbst", und gehst.
Penelope erkennt Odysseus nicht, als er nach Hause kommt.
Und ich erkenne dich nicht.
Eine Mutter tut so etwas nicht, sagen die Experten. Sie liest die Tagebücher ihrer Kinder nicht, sie stiehlt sich nicht in ihre Gedanken.
Diebe steigen durchs Fenster ein, Mütter nicht.
Eine Mutter tut so etwas nicht, sagen sie.
Verzeih mir, Mia, aber dein Mund ist verschlossen. Wie kann ich dich jemals verstehen, wenn ich deine Gedanken nicht jenen Seiten entreiße?
Verzeih mir, Mia, aber deine Tür ist versperrt. Wie kann ich zu dir vordringen, wenn ich nicht durchs Fenster steige?
Eine Mutter tut das nicht, versichern die Experten.
Ich werde mich beeilen: einen Abschnitt, nachdem du gegangen bist, und einen, bevor du wiederkommst. Ich werde dich lesen - und mich schreiben. Eine Mutter tut so etwas nicht. Ich schon.
Dieses Tagebuch gehört Mia Ich heiße Mia. Meine Mutter hat ihn ausgesucht.
Wann immer es geht, gebe ich mir einen anderen, ich habe das Gefühl^, dann läuft alles gleich viel besser. Ich möchte nicht Mia sein, "die Meine"; ich möchte jemand anderem gehören und nie mehr davon lassen.
"Mia" ist ein einsamer Name.
Ich hieße lieber Tua, "die Deine".
Doch meine Mutter hat es so gewollt, sie wollte, dass ich nur mir selbst gehöre. Vielleicht hat der Gedanke sie beruhigte. Sie mit ihrem ewigen Misstrauen, mit ihrem wölfischen Blick, mit ihrer ansteckenden Traurigkeit.
Ich bin achtzehn, Tagebuch.
Ich habe einen Hund namens Pongo mit spitzen Ohren und einem weiß-braun gefleckten Fell.
Als ich ihn auf der Straße gefunden habe, war ich fest entschlossen, mich um ihn zu kümmern und ihn jeden Abend auszuführen, er sollte es gut bei mir haben. Jetzt, ein Jahr später, vergesse ich manchmal sogar, dass es ihn gibt.
Pongo verzeiht mir, er springt mir überschwänglich entgegen, auch wenn ich ihn nicht ausführe und ihn kaum streichle. Ich verstehe nicht, wo er die gute Laune herhat.
Ich selbst bin nicht imstande zu verzeihen. Fängst du einmal damit an, kommst du nicht mehr davon los, es wird zur Gewohnheit, und am Ende stehst du da wie ein Iiot.
Meine beste Freundin heißt Marzia, wir gehen in dieselbe Klasse. Sie ist jemand Besonderes, oder vielleicht auch nicht, bei den Menschen kann man das nie so genau sagen.
Nachts träume ich viel, doch morgens erinnere ich mich an nichts mehr.
Ich mag Theaterspielen, Tanzten und Singen, doch ich spiele weder Theater, noch tanze oder singe ich.
Die Theorie ist mir lieber als die Praxis, denn in der Theorie geht alles einfacher, finde ich.
Meine Mutter ist dagegen eine praktische Frau, von morgens bis abends beschäftigt. Ich bin genau das Gegenteil von ihr.
Sie hat die Antworten, ich die Fragen.
Sie hat Füße aus Blei, ich aus Luft.
Sie hält sich im Gleichgewicht, ich verliere es ständig.
Ich bin sie verkehrt herum, auf ^n Kopf gestellt.
Ich habe tausend Lover, aber ich sage zu keinem: "Ich liebe dich".
Ich glaube nicht an Dornröschen und Märchenprinzen, an Sätze wie "Und dann lebten sie vergnügt bis an ihr Ende". Ich glaube an Menschen, die sich gegenseitig ertragen, die sich hin und wieder sagen: "Ich hasse dich", und den Tag verfluchen, an dem sie sich kennengelernt haben.
Marzia sagt, Leute wie mich nennt man gefühlskalt. Ich nenne das einfach reif.
Ich schreibe nicht gern, wer mich kennt, weiß das.
Schreiben ist etwas Intimes, intimer als Sex, wo man sich ineinander verschlingt, ohne den Körper zu begutachten, den man vor oder in sich hat.
Schreiben heißt, sich vor den Augen eines anderen auszuziehen, nackt dazustehen und sich mustern zu lassen, mit allen Mängeln seines Fleisches.
Ich habe immer nur wenig geschrieben, nur kurze Sätze: Ich springe von Erinnerung zu Erinnerung, folge anderen Gedanken, doch wer hundert Schmetterlingen nachläuft, fängt schließlich keinen einzigen.
Aber diesmal will ich nicht mit leerem Kescher nach Hause kommen, will ich mich nicht in Kapriolen verlieren, um die es eigentlich gar nicht geht.
Für dich, Mia, ringe ich mich dazu durch, mich auszuziehen und dich schauen zu lassen. Für dich mache ich mir die Mühe zu erzählen.
Wenn ich ihr meine Fehler verschweige, wird sie sie nicht wiederholen, dachte ich.
Und nun tust du es doch.
Vielleicht sind die Fehler der Mutter in der DNA gespeichert, wer weiß.
Aber dann ist es besser, darüber zu sprechen.
Die Frau, die du kennst, spricht nur über Dinge, die erledigt werden müssen, sie klingt wie eine Schallplatte mit Kratzer, sie ist eine Frau ohne Liebe, und ohne Liebe bist auch du.
Doch weißt du, in der Geschichte jedes Menschen gibt es eine Art Staudamm.
Auf der einen Seite wildes Wasser, das sich anstaut und ausbrechen will, geballte Energie.
Auf der anderen festes Land.
Du kennst von mir nur das feste Land.
Deshalb will ich dir nun von dem Wasser erzählen, das du nie gesehen hast.
Alle Mütter haben eine doppelte Aufgabe: einen Namen und ein Kind zu gebären. Der Name kommt zuerst, ihn auszutragen geht schneller.
So bist du aufgetaucht, Mia: eine Laune, für die ich meine Gründe hatte.
Dein Vater meinte "lieber nicht", für ein Kind sei der Name verzogen, für eine Erwachsene absurd.
Mich hat es nicht gekümmert, ich hatte meine Gründe. Am Ende dieser Geschichte wirst du sie kennen, dann wird der Name, für den du dich so schämst, vielleicht auch dir gefallen.
Ich mag keine langen Namen, ich bin dazu erzogen worden, sparsam mit Worten umzugehen.
Ich mag auch keine lateinischen Namen, die man wie reinrassige Hunde ausführt.
Ich liebe die Namen der Vagabunden, kurz wie Pfiffe, flinke Warnungen auf der Flucht vor der Polizei; die Namen der Fischer, die nach silberblauem Glanz klingen, nach salzgedörrten Fingerkuppen, nach Schiffen, die großen Schwärmen folgen, nach blauem Gold, das vibrierend aus dem Wasser springt und sich nicht fangen lässt.
Eines Tages wird es auch dir so ergehen: Eines Abends wirst du das Netz einholen und ein ungewohntes Gewicht darin verspüren. Doch diesmal ist es kein Meeraal, nein, diesmal ist es ein Schatz.
Das Meer hat ihn dir geschenkt, es hat ihn dir ins Netz gelegt.
Er wiegt nicht mehr als zwei kräftige Seebarsche und eine mittelgroße Garnele, eine Cocktailkrabbe.
Er wiegt gute zwei Kilo.
Er hat winzige Schultern, doch sie werden sich Platz schaffen.
Er hat milchige Knochen, doch sie werden sich härten.
Das Meer hat ihn mir geschenkt, es hat ihn in meinen Schoß gelegt.
Nun ist er mein.
Mia.
Meinem Vater waren Namen egal: Er hatte uns Töchtern nicht viel zu sagen, er brauchte uns nicht beim Namen zu nennen.
Meine Mutter hat darauf bestanden: "Giulia."
Ich wurde mit einer Glückshaube geboren, mit einem Überzug aus Fruchtwasser und Plazenta.
"Das ist ein gutes Zeichen", sagt man.
Ich glaube weder ans Glück noch an Zeichen.
Ich glaube, das Schicksal mischt sich nicht ein.
Es war kalt am Tag meiner Geburt, und die Glückshaube war einfach das, was ich zum Zudecken nehmen konnte, mehr nicht. Es war der dreizehnte Dezember 1946.
"Die Dreizehn bringt Glück, außer bei Tisch", heißt es bei uns.
Doch die Dreizehn bringt weder Glück noch Unglück.
Und das Schicksal setzt keine Zeichen. Es mag sich melden und antworten, doch es sagt nicht vor.
Deine Antwort bekommst du erst am Ende, nach getaner Arbeit. Dass es das Schicksal gibt, merkst du im Rückblick, nicht, wenn du in die Zukunft schaust.
Unsere Familie ist klein.
Nur drei Personen, wie in einer Armeleutekrippe: Vater, Mutter, Kind.
Ist die Familie aufs Minimum reduziert, hat man keine Wahl - man muss notgedrungen miteinander auskommen, sich beim Essen zu dritt an einen Tisch setzen, an dem die Ellbogen nie aneinanderstoßen, muss selbst dann um Verzeihung bitten, wenn man überzeugt ist, im Recht zu sein.
Ich finde, Familien müssen groß sein, damit man Parteien bilden kann.
Ich habe mir immer eine große Schwester gewünscht, die mir ihre Klamotten und ihre Schminke leiht, die mir mit ihren Teeniegeschichten die Ohren vollquatscht und mich von all dem träumen lässt, was mich erwartet.
Meine Mutter hat zwei Schwestern, die sie aber nie trifft, sie sagt, dem Blut ist nicht zu trauen, es ist ein trügerischer Teil des Körpers. Ich glaube dagegen, dass nichts so verbindet wie das Blut.
Ich habe mit Marzia alles geteilt: die erste gepaffte Zigarette, die erste Menstruation, die endlich auch dir erlaubt, mit einer Binde im Rucksack zur Schule zu gehen, den ersten Kuss mit Zahnspange, den Schwips nach dem ersten Bier, die Schulbank, den Liegewagen, das Vergnügen, der Zeit ein Schnippchen zu schlagen und mit anzusehen, wie alles zusammenbricht und bloß wir es schaffen, uns auf den Beinen zu halten.
"Marzia und Mia forever", hatten wir an die Wand des Schulklos gesprüht.
Von wegen forever, Marzia!
"Alle >forevers< sind restlos zu beseitigen", hat die Schulleiterin ein paar Tage später gesagt.
Das ist das Pech, einen so ausgefallenen Namen zu haben, jeder hat sofort kapiert, wer gemeint war, denn im ganzen Gymnasium gibt es ja sonst niemanden, der so heißt.
Die Schulleiterin hat uns einen Farbeimer in die eine Hand gedrückt und einen Pinsel in die andere. "Morgen will ich hier eine makellose Wand sehen."
Und plötzlich wird dir klar, dass "forever" nur ein Wort ist und wie alle Wörter nicht lange hält: nicht länger als einen Pinselstrich.
Marzia sagt: "Du bist wie eine Schwester für mich", doch ich weiß, dass das nicht stimmt.
Denn sie hat schon eine Schwester.
Denn "du bist wie" ist nicht dasselbe wie "du bist".
Denn fremdes Blut erkennt sich nur mühsam, und zuweilen grüßt es nicht einmal.
Unsere Familie war ein Satz Matrjoschkas: lauter ineinandergeschachtelte Frauen, die kleineren den größeren einverleibt.
Ich war die kleinste, ich passte gerade auf den Fingernagel der anderen.
Der Anhang der Familie.
Es ist nicht leicht, Anhang zu sein: Du kannst dich noch so sehr beeilen, immer kommst du als Letzte an.
Wir waren drei Schwestern: Flavia, Livia, Giulia.
Drei lateinische Namen.
Wie Eisenbahnwaggons sind wir dicht nacheinander eingetroffen, mit geringem Altersunterschied.
Zum Glück waren wir von ähnlicher Größe und Statur: So konnten die Kleider weitergegeben werden und hielten länger als eine Saison.
Ich trug die Pullis der anderen auf, die Wolle hatte unter dem Druck ihrer größeren Brüste bereits nachgegeben. Mein Körper wuchs in Räume hinein, die erst noch zu füllen waren.
Wurden die Sachen auch mir zu eng, packte meine Mutter ein Paket für "die Bedürftigen".
"Die Bedürftigen" konnten jederzeit auftauchen und sich schnappen, was übrig war.
Ließ ich eine Puppe auch nur einen Augenblick lang liegen, kamen "die Bedürftigen" und nahmen sie mir weg.
Wurde mir ein Rock zu eng, zack, war er ihrer.
Hatte ich keine Lust auf Obst, sperrten "die Bedürftigen" bereits den Mund auf.
Nichts war mir sicher, nichts war wirklich meines.
Nur meine Schuhe, meine Gesundheitsschuhe, wurden extra für mich angeschafft und hinterher an niemanden weitergegeben. Es waren klobige braune Sandalen, die ich nicht freiwillig trug, sondern weil ich musste: Ich hatte krumme Beine, die korrigiert, gerichtet, begradigt werden mussten.
Die runden Öffnungen über dem Spann überwachten wie Augen jeden meiner Schritte, das grobe Leder heftete sich mir an die Fersen. Mit so etwas kannst du nicht rennen, springen oder über die Wiese tollen: Das Leder ist rau, und sobald du dich zu sehr bewegst, scheuert es.
Die Menschen erkennt man an ihren Schuhen. Meine Füße hatten es eilig, doch ich konnte mich nicht frei bewegen: Ich war eine Schildkröte, die auf dem Rücken liegt und zappelt, ohne einen Schritt voranzukommen.
Abends vor dem Einschlafen stellte ich die Schuhe vor die Tür und hoffte, "die Bedürftigen" würden die Dunkelheit nutzen und sie mir wegnehmen. Doch anscheinend bedurften sie dieser Schuhe nicht.
Aus meinen kraftvollsten Jahren ist mir kein Rock, kein Spielzeug geblieben.
Meine Mutter war der Meinung, alle Menschen seien durch eine Kette des Guten verbunden, bei der jeder Ring den darunterhängenden hält.
Und auch ich glaubte das, genau wie sie.
Es ärgerte mich schon, dass meine Sachen ihrer eigenen Wege gingen, dass meine Puppe sich von einem anderen Mädchen die Haare kämmen und mit einem anderen Schlaflied einlullen ließ. Es kam mir wie ein Verrat der Dinge vor, sie mussten käuflich sein, wenn sie zwischen mir und einer anderen keinen Unterschied machten und mich einfach vergaßen, während ich mich an sie erinnerte.
Doch da war diese Sache mit der Kette des Guten, und wie ich schon sagte, Mia, damals glaubte ich daran.
Jetzt nicht mehr, jetzt gebe ich nichts mehr weg: Deine abgelegten Kleider liegen alle in der Truhe im Wohnzimmer, sieh nur nach.
Ich habe den Egoismus der Ameise erlernt.
Ich habe gelernt zu bewahren.
Erst war ich im Kino, dann in der Kneipe, dann tanzen.
Die Menschen der Nacht haben eine verschlüsselte Sprache.
Bietet dir jemand eine Zigarette an, will er sagen: "Du gefällst mir".
Sieht dir jemand beim Tanzen zu, überlegt er, wie du im Bett bist.
Fragt dich jemand: "Kommst du auf einen Drink zu mir?", will er wissen, ob du mit ihm schläfst.
Ich tue es, auch wenn ich dieses ganze Drumrumreden nicht mag. Ich finde, Worte müssen wie Pfeile sein und direkt auf ihr Ziel zusteuern.Ich gehe durch das Wohnzimmer einer fremden Wohnung. Er sagt, er sei dreißig, ein paar Jahre sind ihm wohl entfallen. Ich glaube, dass er eine Frau oder eine langjährige Freundin hat, ich habe sie auf mehreren silbergerahmten Fotos gesehen, und außerdem spürt man bei der Einrichtung und der häuslichen Ordnung eine weibliche Hand.
... weniger
Autoren-Porträt von Giulia Carcasi
Giulia Carcasi, geb. 1984, wird als junge Starautorin Italiens gefeiert, seit sie mit 21 Jahren ihren ersten Bestseller veröffentlichte. Giulia Carcasi lebt in Rom und schreibt an ihrem nächsten Roman.
Bibliographische Angaben
- Autor: Giulia Carcasi
- 2008, 191 Seiten, Maße: 13 x 20,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Aus d. Italien. v. Christiane Rhein
- Übersetzer: Christiane Rhein
- Verlag: C. Bertelsmann
- ISBN-10: 3570010163
- ISBN-13: 9783570010167
Rezension zu „Ich bin aus Holz “
"Italiens erst 24-jährige Bestseller-Autorin findet erstaunlich kluge Worte für eine schwierige Mutter-Tochter-Beziehung."
Kommentar zu "Ich bin aus Holz"
0 Gebrauchte Artikel zu „Ich bin aus Holz“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Ich bin aus Holz".
Kommentar verfassen