Ich werde auf dich warten
Roman
Wunderschön und wundertraurig: eine universelle Geschichte von Liebe, Kraft und Hoffnung
Als der Krieg begann, wurden sie auseinandergerissen, und Stevie und Michael blieb nichts als der Schwur von Verliebten, aufeinander zu warten. Doch dann wird...
Als der Krieg begann, wurden sie auseinandergerissen, und Stevie und Michael blieb nichts als der Schwur von Verliebten, aufeinander zu warten. Doch dann wird...
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Produktinformationen zu „Ich werde auf dich warten “
Wunderschön und wundertraurig: eine universelle Geschichte von Liebe, Kraft und Hoffnung
Als der Krieg begann, wurden sie auseinandergerissen, und Stevie und Michael blieb nichts als der Schwur von Verliebten, aufeinander zu warten. Doch dann wird Michael in den Wirren des Krieges in Afrika zum Mörder an einem Kameraden. Niemals, so glaubt Michael danach, wird er Stevie unter die Augen treten und ihr erzählen können, was passiert ist. Mit einem Brief beendet er ohne Erklärung die Beziehung. Tief gekränkt beschließt Stevie, dass ihre kleine Tochter Emily nie erfahren soll, dass Michael ihr wahrer Vater ist. Bis viele Jahre später Stevies Enkelin Anna als Krankenschwester einen alten Herrn als Patienten hat, der seine Erinnerungen in einem Schuhkarton aufbewahrt und der ihr eine wahre Geschichte von Liebe und Krieg erzählt.
»Ich werde auf dich warten« ist die wunderschöne und wundertraurige Geschichte von Stephanie und Michael, die glaubten, dass man mit Liebe alles schafft, und trotzdem ein ganzes Leben brauchten, um die richtigen Worte zu finden.
Als der Krieg begann, wurden sie auseinandergerissen, und Stevie und Michael blieb nichts als der Schwur von Verliebten, aufeinander zu warten. Doch dann wird Michael in den Wirren des Krieges in Afrika zum Mörder an einem Kameraden. Niemals, so glaubt Michael danach, wird er Stevie unter die Augen treten und ihr erzählen können, was passiert ist. Mit einem Brief beendet er ohne Erklärung die Beziehung. Tief gekränkt beschließt Stevie, dass ihre kleine Tochter Emily nie erfahren soll, dass Michael ihr wahrer Vater ist. Bis viele Jahre später Stevies Enkelin Anna als Krankenschwester einen alten Herrn als Patienten hat, der seine Erinnerungen in einem Schuhkarton aufbewahrt und der ihr eine wahre Geschichte von Liebe und Krieg erzählt.
»Ich werde auf dich warten« ist die wunderschöne und wundertraurige Geschichte von Stephanie und Michael, die glaubten, dass man mit Liebe alles schafft, und trotzdem ein ganzes Leben brauchten, um die richtigen Worte zu finden.
Klappentext zu „Ich werde auf dich warten “
Wunderschön und wundertraurig: eine universelle Geschichte von Liebe, Kraft und HoffnungAls der Krieg begann, wurden sie auseinandergerissen, und Stevie und Michael blieb nichts als der Schwur von Verliebten, aufeinander zu warten. Doch dann wird Michael in den Wirren des Krieges in Afrika zum Mörder an einem Kameraden. Niemals, so glaubt Michael danach, wird er Stevie unter die Augen treten und ihr erzählen können, was passiert ist. Mit einem Brief beendet er ohne Erklärung die Beziehung. Tief gekränkt beschließt Stevie, dass ihre kleine Tochter Emily nie erfahren soll, dass Michael ihr wahrer Vater ist. Bis viele Jahre später Stevies Enkelin Anna als Krankenschwester einen alten Herrn als Patienten hat, der seine Erinnerungen in einem Schuhkarton aufbewahrt und der ihr eine wahre Geschichte von Liebe und Krieg erzählt.
"Ich werde auf dich warten" ist die wunderschöne und wundertraurige Geschichte von Stephanie und Michael, die glaubten, dass man mit Liebe alles schafft, und trotzdem ein ganzes Leben brauchten, um die richtigen Worte zu finden.
Lese-Probe zu „Ich werde auf dich warten “
Meine Mum war in ihrem Element damals, in diesem heißen September 1939.Mit den Jahren hatte sie einen nervösen Tick entwickelt. Und wir hatten uns daran gewöhnt, dass sie beim Zwiebelschneiden über die Gefahren, die von Kraftfahrzeugen ausgehen, vor sich hin schimpfte. Offene Schnürsenkel und lose Bänder an Strickjackenärmeln brachten sie völlig aus der Fassung. Sie empörte sich über Pferdeschwänze, an denen jeder x-beliebige Irre zerren konnte, und unter Berufung auf die Missgeschicke eines fernen Verwandten, der bei der Eröffnung der Greenwich-Eisenbahn in einem Heißluftballon vom Kurs abgetrieben worden und auf den Bögen der London Bridge bruchgelandet war, beschwerte sie sich schriftlich bei der Times über die Gefährlichkeit des Luftverkehrs. Sie war überzeugt davon, dass ein Kind, dem das Unglück widerfuhr, eine vom Boden aufgehobene Gurkenscheibe in den Mund zu stecken, ziemlich sicher sofort dem Tod ins Auge blicken würde.
Geburtstage waren für Vivien, meine Mum, besonders gefährliche Anlässe. Allein bei der Vorstellung, einen in Flammen stehenden Kuchen in ein abgedunkeltes Zimmer zu tragen, fing ihr linkes Auge an zu zucken. Deshalb stellte Vivien neben jeden Teller eine kleine Schale mit Wasser, die wir uns, wenn der Kuchen hereinkam, greifen mussten, um sprungbereit zu sein, beim ersten Anzeichen einer Unstimmigkeit unter den Kerzen die Flammen zu löschen.
Am ersten Sonntag im September jenes Jahres wachten wir früh auf, und es war wie Weihnachten. Meine Brüder zogen zur Kirche ihre Schuluniformen an und legten sie danach nicht mehr ab, weil jeder wusste, dass der Krieg, falls er denn kommen sollte, eben an diesem Tag käme, und sie wollten bereit sein. Ich trug ein Paar frisch gewaschene weiße Handschuhe, die besonderen Anlässen vorbehalten waren, und ein marineblaues Trägerkleid, das um den Oberkörper schon ein wenig zu eng saß, um noch ganz schicklich zu sein.
Die Kriegsmeldung kam um elf Uhr. Wir waren alle in Mrs Bartrams Hinterhof, auf
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Nummer io, und hörten Chamberlains Stimme aus dem Radioapparat dringen, der etwas wackelig neben einer toten Biene auf dem Küchenfensterbrett stand. Die Nummer 7 war auch da. Ich hob Mrs Bartrams Katze auf und fuhr ihr mit der Hand den Rücken hinauf bis zum Kopf. Sie knurrte mich an, während Chamberlain bekannt gab, dass wir jetzt Krieg hätten, und mir fiel auf, dass das Innere ihres Mauls von einem überraschend grellen Rot war.
Den Nachmittag verbrachte ich mit meinen kleinen Brüdern Eddy und George: Wir füllten Säcke mit Staatssand, der am Ende unserer Straße abgeladen worden war.
Zuerst versuchten wir, uns ernst und feierlich zu benehmen, aber der Sand klebte uns zwischen den Zehen und setzte sich in den Furchen unserer Hände fest, und am Ende quollen aus den Säcken türmchenbewehrte Sandburgen und kleine Skulpturen von Haustieren.
Unterdessen füllte sich unser Haus nach und nach mit Wasser. Mit finsterer Genugtuung versteckte Vivien randvolle Schüsseln unter dem Sofa und stellte uns volle Wasserflaschen neben das Bett. Auf der Anrichte im vorderen Zimmer standen schwere, langstielige Pfannen, in denen das Wasser aufgeregte Wellen warf, und über die Türen hängte sie kleine Teppiche, damit man eventuelle Feuer rasch ersticken konnte. Sie verklebte die Fensterritzen mit Kitt und stopfte Zeitungen in den Kamin. Für den Fall eines plötzlichen Gasangriffs auf das vordere Zimmer legte sie einen Stapel sauber gefalteter feuchter Waschlappen auf den Kaminsims.
Es wurde allgemein angenommen, wenngleich nie öffentlich bekannt gegeben, dass es, sollte irgendein Teil des Hauses gestürmt werden, zweifellos das Zimmer zur Straße hin träfe. Schließlich hingen dort die hübschen Vorhänge. In dieser Überzeugung schichteten wir die Sandsäcke entlang der Fassadenwand auf und stapelten für den Fall einer Belagerung Kondensmilchdosen unter dem Tisch. Zur Vorbeugung gegen Skorbut pflanzten wir Kresse in Zigarettendosen, die wir auf das Fensterbrett stellten.
Vivien Ponder seufzte froh, während sie ihren Blick über all die Vorkehrungen schweifen ließ, die zu treffen ihr nun gestattet, ja geboten war. In dieser Nacht schlief sie tiefer, als ich es bei ihr je erlebt hatte, das Haar dramatisch über das Kissen gebreitet, die Arme sorglos rechts und links aus dem Bett hängend, und schnarchte leise.
So habe ich den Beginn des Kriegs in Erinnerung. Feuchte Waschlappen und Sand und Kresse, die auf platten, gefalteten feuchten Tüchern in Blechschachteln wuchs. Es gab keine über den Tisch gebreiteten Landkarten und keine Serie von Miniaturhakenkreuzen, die, wie später in den Geschichtsbüchern, Hitlers Vormarsch durch die kleineren Länder Europas markierten. In unserem Hinterhof war keine Rede von Konzentrationslagern oder vom Aufstieg der Diktatur in Europa oder von wirtschaftlicher Stagnation in Deutschland. Heute weiß ich das alles, aber es kam erst später hinzu, breitete sich sanft über die Erinnerungsfetzen, wie Pauspapier.
Das ist ja immer das Problem, wenn etwas anfängt.
MICHAEL Es ist eine sonderbare Sache, mithilfe von Morphium zu schlafen. Es wiegt dich, schlingt seine dunklen Arme um dich und schlittert mit dir über die Oberfläche des Schlafs. Es besänftigt das Gemüt wie ein heißes Bad, mildert Albträume und betäubt den rasenden, pochenden Schmerz in meiner Kehle. Am Morgen spüre ich, wie es sich stechend über meine Haut ausbreitet, sich in den Rissen meiner Ellenbogen und entlang meiner Wirbelsäule einnistet. Es fegt meinen Kopf leer und regt meine Aufmerksamkeit an. Morgens erinnere ich mich an alles.
Ich erinnere mich an Thronfolgen von Königen und Königinnen, an die Reihenfolge der Stationen der Northern Line, beide Strecken. Ich erinnere mich an Darwins Listen von den Unterrassen der Tauben und kann eine Luchstaube von einem Tümmler unterscheiden. Ich erinnere mich an die langen Geschichten, die Brendan Hardcastle mir nach der Schule erzählte, wenn wir mit baumelnden Beinen auf der hohen Mauer entlang unserer Hinterhöfe saßen, denn Brendan wusste immer alles schon vor mir.
Brendan war es auch, der mir als Erster von Mr Samuel Finley Breese Morse erzählte. 1844, sagte er, habe Sam Morse der ersten öffentlichen Vorführung seines neu entwickelten Morsecodes beigewohnt. Die Veranstaltung fand in der Kammer des Obersten Bundesgerichts der Vereinigten Staaten von Amerika statt. Eine junge Dame trat vor und wählte die Worte, die Sam Morse seinem Mitarbeiter in Baltimore senden sollte. Sie legte ein Blatt Papier vor ihm auf den Tisch, und in Anwesenheit des Leiters des US-Patentamtes, des Vaters der jungen Dame, wurde die erste jemals über eine isolierte elektromagnetische Leitung übertragene Botschaft in den Apparat eingegeben.
Sie traf in Baltimore ein und kam über dieselbe Leitung zurück, und beide Male enthielt sie dieselbe Frage:
Was hat Gott bewirkt?
Zweimal wurde sie übertragen, zweimal in Staunen und Ehrfurcht empfangen, zweimal blieb sie unbeantwortet, nichts ahnend vom Gewicht ihres Inhalts. Jedenfalls war das zwanzigste Jahrhundert noch nicht viel mehr als eine vage Idee des neunzehnten, und jene junge Dame konnte unmöglich gewusst haben, was das zwanzigste Jahrhundert zwei Jungen, die 1931 auf einer Londoner Hinterhofmauer die Beine baumeln ließen, bringen würde.
Doch was Brendan mir nicht sagen konnte, war, dass wir siebenundneunzig Jahre nach Übertragung dieser allerersten Botschaft, im Alter von zwanzig, als das neue Jahrhundert bereits eine Kerbe von einundvierzig Jahren hatte, auf dem staubigen, rissigen Boden der abessinischen Wüste knien und unsere Barette der Königlichen Fernmeldetruppe an die Brust drücken würden, während Alfs Leiche im Boden versenkt wurde. Er konnte mir nicht sagen, dass ich, als er an jenem Tag seinen sonnenverbrannten Hals umwandte, um mich anzusehen, nicht in der Lage wäre, seinem Blick standzuhalten, und dass ich, als ich nachts schlaflos im Bett lag, an die junge Dame in der Kammer des Obersten Bundesgerichts denken und mich fragen würde: Ja, was eigentlich?
Meistens ist es das, woran ich mich morgens erinnere.
STEVIE Ich versuch's noch mal.
Ich wurde 1924 geboren. 1941 gebar ich selbst. Geheiratet habe ich 1945. Eine nicht sehr große, aber unübersehbare Unstimmigkeit. Wie die Lücke zwischen zwei Schneidezähnen.
Nachdem ich die Schule verlassen hatte, verbrachte ich vier Jahre damit, in der Kantine der Sun-Pat-Erdnussfabrik in der Old Kent Road Wurzelgemüse zu schnipseln. Ich wäre gern Lehrerin geworden, mit Stehkragen und einer Tasche mit Schnalle für meine Bücher; stattdessen arrangierte ich bleichen Kohl auf Tabletts und schnitt Karotten in perfekte Würfel. Ich musste auf einer Holzkiste stehen, damit ich mit meinen Ellenbogen den anderen Frauen nicht im Weg war.
Aber ich überspringe bereits einiges. Das ist nicht der absolute Anfang. Ich muss gründlicher vorgehen.
Mein Name war ursprünglich als Frage formuliert, denn meine beiden Vornamen wurden geistlos in der falschen Reihenfolge in meine Geburtsurkunde gekritzelt: May Stephanie Ponder-Darf Stephanie Grübeln? Die Krankenschwester schüttelte missbilligend den Kopf über Vivien, tauchte mich in kaltes Wasser und wies darauf hin, dass ein Kind mit einem Fragezeichen am Ende seines Namens nie werde schlafen können, weder nachts noch tags. Vivien nahm mich mit nach Hause, und ich lag, in blaue Baumwolle mit weißen Borten gewickelt, die Augen weit aufgerissen, in meiner Wiege und konnte nicht einmal zwinkern. Sie musste mir die Augen mit einem spuckegetränkten Wattebausch betupfen, damit sie nicht vollständig austrockneten.
Fünf Monate später wurde ich im Kirchenbuch ausgestrichen und neu eingetragen, diesmal als Erlaubnis und Möglichkeit: Stephanie Darf Grübeln. Der Pfarrer nickte weise und drückte ein zweites Mal seinen Daumen in die Vertiefung über meiner Nase, und ich schlief zwei Tage durch.
Vivien war bei einem lokalen Immobilienmakler angestellt, für den sie in gestochener Handschrift Urkunden auf dickes Kanzleipapier übertrug. Das tat sie am Küchentisch, wo sie ihre Schreibfedern vor Salz- und Pfefferstreuer aufreihte, und wenn wir dem Tintenfass zu nahe kamen, presste sie die Lippen zusammen. Abends saß sie auf dem Stuhl am Feuer, nähte Kellerfalten in Pastellröcke und richtete die Säume an Herrenhosen, und anschließend hängte sie die fertigen Kleidungsstücke an die Vorhangstange in ihrem Schlafzimmer, wo sie wie Gefangene gegen die Glasscheibe stießen, bis sie abgeholt wurden.
Mein Dad arbeitete als U-Bahn-Fahrer bei der Londoner Verkehrsgesellschaft, verließ vor dem Morgengrauen lärmend das Haus und kam nachmittags mit ausgetrockneten Augen und zurückgekämmtem Haar wieder. Eine kleine Brise ließ die Fensterscheiben im Rahmen erzittern, wenn er sich näherte; dann presste Vivien wieder die Lippen zusammen und nahm pflichtbewusst ihr Haarnetz ab. Eines Tages gab die Regierung ihren Plan bekannt, die Metropolitan Line zu einem U-Bahn-Ring umzubauen, und der Gedanke war für meinen Dad unerträglich. Laut seufzend legte er sich im vorderen Zimmer nieder und verkündete, genug sei genug.
Danach verbrachte er viel Zeit damit, zwischen den krümelfarbenen Kissen auf dem Sofa zu liegen. Er roch nach alten Büchern mit brüchigen Seiten. Manchmal bekamen wir ihn wochenlang nicht zu Gesicht. Unser Leben spielte sich rund um das Sofa ab, aber nicht mit ihm. Manchmal kam er, ohne Vorwarnung, laut zwinkernd und nach Luft schnappend zu uns zurück, und wir musterten ihn überrascht und rümpften die Nasen, als wäre er ein vergessenes Sandwich mit aufgebogenen Ecken und welken Salatblättern.
Die anderen schien er gar nicht zur Kenntnis zu nehmen. Sein Arm streckte sich, und er winkte mich näher, ohne auf meine Schwester und meine Brüder zu achten, die geschäftig, möglichst ohne auf das knarzende Dielenbrett zu treten, seitlich durch die Tür davonschlichen. Seine Hand umklammerte mein Handgelenk, und dann stellte er mir Fragen, kleine, runde Fragen, die wie verlorene Münzen glänzten, wenn er sie mir hinhielt. Es war unsere einzige Form der Kommunikation.
Im Lauf der Monate wurden die Fragen spezieller. Anfangs ging es um Allgemeinwissen. Europäische Hauptstädte, Primzahlfolgen, die Schreibung von Wörtern mit einem am Ende lauernden stummen g. An dem Tag, an dem mich meine Lehrerin vor die Klasse treten ließ und verkündete, ich würde an die Houghton Hall in North Dulwich wechseln, weil ich ein Stipendium bekommen hätte, weshalb jetzt alle klatschen und mich fortan Stephanie nennen müssten, weil Stevie kein Name für ein Mädchen mit Strohhut sei - an diesem Tag qualifizierte ich mich für die Hauptstädte Asiens.
An dem Tag, an dem meine erste Periode kam, befragte mich mein Dad nach den inneren Abläufen elektromagnetischer Induktionsschlaufen, und ich weinte, weil ich die Antwort nicht wusste. Ich weinte sonst eigentlich nicht. Und dann gab es lateinische Konjugationen, die ich in der Schule übte und in malvenfarbenen Übungsheften behutsam nach Hause trug, um sie ihm zu zeigen.
Ich musste Gedichte auswendig lernen und sie mit Gefühl vortragen. Mein Dad mochte es nicht, wenn man ihn während des Gedichtvortrags ansah. Deshalb stand ich am Fenster, die stipendiatinnenweiß behandschuhten Hände vor mir gefaltet, und deklamierte den Passanten Sea Fever, während mein Dad die Augen schloss und lächelte und in die Sofakissen zurücksank, und ich war entlassen.
Am Tag vor seinem Tod fragte er mich, ob ich die Quadratwurzel von minus zwei wüsste.
Ich sagte, die gebe es nicht.
Es war, wie sich zeigte, das Letzte, was ich zu ihm sagte, und erst als der Sarg in die Erde gesenkt wurde und ich Vivien zum ersten Mal in zehn Jahren vollständig ausatmen hörte, wurde mir klar, dass ich selbst Fragen hatte, die ich nie zu stellen gewagt hatte.
Houghton Hall musste ich nun verlassen. Am 21. Oktober 1937, einem Donnerstag, tauschte ich meine weißen Baumwollhandschuhe mit Satinknöpfen gegen blaue Fabrikhandschuhe, packte meinen jüngst erworbenen noblen Akzent zusammen mit den lateinischen Verben in mein Federmäppchen, zog den Reißverschluss fest zu und kehrte dem Schultor den Rücken.
Eine Woche später lernte ich Michael kennen. Ich kann sein Gesicht sehen, als hätte ich es direkt vor mir. Nicht so, wie er aussah, als ich ihn zum letzten Mal traf. Wenn ich an Michael denke, dann so, wie er als Junge war, bevor alles anfing.
Bevor er verschwand.
Aber ich muss mich mehr anstrengen, um mich auch an alles andere zu erinnern. Es ist schließlich nicht sein Gesicht, das ich zurückholen will.
MICHAEL Ich träume von den Schmerzhaften Mysterien. Ich sage sie mir im Geist auf, alle fünf, und meine Finger umklammern im Schlaf die Perlen meines Rosenkranzes. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Plötzlich schrecke ich hoch, immer an derselben Stelle, und meine Kehle ist zu groß für meinen Hals. Mich dürstet. Mit gerecktem Kopf sehe ich mich um, taste nach meiner Brille. Ich halte sie mir vor die Augen, und nur eine Sekunde lang erkenne ich im Zwielicht meines leeren Schlafzimmers Alf kraftlos in sich zusammengesunken an der Wand neben dem Kamin.
Ist das eine Halluzination?
Mein Bruder Ben war drei Jahre älter als ich, und ich hielt ihn für den witzigsten Menschen auf der ganzen Welt. Einmal erzählte er mir, dass der Ururgroßonkel unseres Vaters - James hieß er - versucht hatte, König George III. zu erschießen, um die Wiederkunft Christi zu beschleunigen. Anscheinend herrschte die Auffassung, das eine Ereignis müsse das andere herbeiführen, doch die genauen Details dieser Kausalkette blieben im Dunkeln. Unser Vater wurde nicht gern an diesen speziellen Verwandten erinnert. Er fand, es warf auch auf ihn ein schlechtes Licht.
Mein Vater betrieb in unserem Viertel eine kleine Molkerei, und wir wohnten in den Räumen über dem Laden. Er war ein sehr präziser Mensch, groß und silbrig, mit langen Fingern und mächtigen Armen, die den Eindruck vermittelten, dass es tröstlich wäre, von ihnen gehalten zu werden. Jeden Morgen stellte er sämtliche Uhren im Haus, sodass sie synchron tickten, und einmal in der Woche schickte er sich selbst eine leere Postkarte, denn, sagte er zu uns, irgendjemand müsse ja überprüfen, ob die Post richtig funktionierte. Er rührte seinen Tee mit einem Thermometer um und führte sorgfältig Buch über die Milchleistung unserer vier Kühe.
Ben und ich hatten eine Heidenangst vor ihm. Als ich Jahre später darüber nachdachte, wunderte ich mich, dass er Ben überhaupt von seinem Ururgroßonkel James erzählt hatte. Im Allgemeinen sprach mein Vater nie über seine Kindheit, und dass er sein Leben nicht schon als Mann begonnen hatte, wusste ich nur, weil meine Mutter es mir gesagt hatte. Sie erzählte mir auch, dass er im Alter von elf Jahren ins Seminar geschickt worden war, weil es sich seine Eltern nicht leisten konnten, ihn durchzufüttern, und deshalb sollte ich Mitleid mit ihm haben. Er war der älteste von zwölf Brüdern, und seine Mutter, meine Großmutter, starb schließlich an der Geburt der einen Tochter, um die sie innigst gebetet hatte. Die Jesuiten lehrten meinen Vater, dass der Tod seiner Mutter die Strafe Gottes für ihre Maßlosigkeit sei, und mein Vater kam über diese Argumentation nie ganz hinweg. Angesichts seiner beruflichen Tätigkeit war solche Ignoranz gegenüber der Keimtheorie besorgniserregend.
Er machte einem das Mitgefühl nicht leicht.
Aber die Sache ist die: Das Gericht entschied, dass der Ururgroßonkel meines Vaters im Wahn gehandelt hatte, als er abdrückte und den applaudierenden König in seiner Loge im Theatre Royal in der Drury Lane zu erschießen versuchte. Er wurde für schwachsinnig befunden und für unbestimmte Zeit eingesperrt.
Das ist es, worauf ich hinauswill.
Einen Moment lang wende ich diesen Gedanken im Kopf hin und her, dann beuge ich mich zur Seite, um das Licht einzuschalten. Ich schaue auf die Uhr. Sie wird bald aus dem Haus gehen. Ich nehme einen Schluck Tee aus der Thermoskanne neben dem Bett, und er bricht als dramatische Schluckaufserie wieder aus mir hervor. Dort, wo meine Speiseröhre sein sollte, sitzt ein unbeweglicher Klumpen, und mein Schlafanzug ist von lauwarmen, milchigen Teeflecken übersät. Ich spüre die Wärme angenehm in die gestreifte Baumwolle des Gewands eindringen, das ich mir einst als distinguiertes dickenssches Nachthemd vorstellte, und ich schließe die Augen und stelle mir noch einmal ihr Gesicht vor. Natürlich sieht sie so nicht mehr aus. Sie ist jetzt alt und zieht ihre Einkäufe in einem braunen Trolley hinter sich her, und sie erkennt mich nicht. Wenn ich sie ansehe, erwidert sie meinen Blick, aber sie sieht nur einen ganz in Wolle gewickelten Mann, der sich kaum noch auf den Beinen halten kann.
Den Nachmittag verbrachte ich mit meinen kleinen Brüdern Eddy und George: Wir füllten Säcke mit Staatssand, der am Ende unserer Straße abgeladen worden war.
Zuerst versuchten wir, uns ernst und feierlich zu benehmen, aber der Sand klebte uns zwischen den Zehen und setzte sich in den Furchen unserer Hände fest, und am Ende quollen aus den Säcken türmchenbewehrte Sandburgen und kleine Skulpturen von Haustieren.
Unterdessen füllte sich unser Haus nach und nach mit Wasser. Mit finsterer Genugtuung versteckte Vivien randvolle Schüsseln unter dem Sofa und stellte uns volle Wasserflaschen neben das Bett. Auf der Anrichte im vorderen Zimmer standen schwere, langstielige Pfannen, in denen das Wasser aufgeregte Wellen warf, und über die Türen hängte sie kleine Teppiche, damit man eventuelle Feuer rasch ersticken konnte. Sie verklebte die Fensterritzen mit Kitt und stopfte Zeitungen in den Kamin. Für den Fall eines plötzlichen Gasangriffs auf das vordere Zimmer legte sie einen Stapel sauber gefalteter feuchter Waschlappen auf den Kaminsims.
Es wurde allgemein angenommen, wenngleich nie öffentlich bekannt gegeben, dass es, sollte irgendein Teil des Hauses gestürmt werden, zweifellos das Zimmer zur Straße hin träfe. Schließlich hingen dort die hübschen Vorhänge. In dieser Überzeugung schichteten wir die Sandsäcke entlang der Fassadenwand auf und stapelten für den Fall einer Belagerung Kondensmilchdosen unter dem Tisch. Zur Vorbeugung gegen Skorbut pflanzten wir Kresse in Zigarettendosen, die wir auf das Fensterbrett stellten.
Vivien Ponder seufzte froh, während sie ihren Blick über all die Vorkehrungen schweifen ließ, die zu treffen ihr nun gestattet, ja geboten war. In dieser Nacht schlief sie tiefer, als ich es bei ihr je erlebt hatte, das Haar dramatisch über das Kissen gebreitet, die Arme sorglos rechts und links aus dem Bett hängend, und schnarchte leise.
So habe ich den Beginn des Kriegs in Erinnerung. Feuchte Waschlappen und Sand und Kresse, die auf platten, gefalteten feuchten Tüchern in Blechschachteln wuchs. Es gab keine über den Tisch gebreiteten Landkarten und keine Serie von Miniaturhakenkreuzen, die, wie später in den Geschichtsbüchern, Hitlers Vormarsch durch die kleineren Länder Europas markierten. In unserem Hinterhof war keine Rede von Konzentrationslagern oder vom Aufstieg der Diktatur in Europa oder von wirtschaftlicher Stagnation in Deutschland. Heute weiß ich das alles, aber es kam erst später hinzu, breitete sich sanft über die Erinnerungsfetzen, wie Pauspapier.
Das ist ja immer das Problem, wenn etwas anfängt.
MICHAEL Es ist eine sonderbare Sache, mithilfe von Morphium zu schlafen. Es wiegt dich, schlingt seine dunklen Arme um dich und schlittert mit dir über die Oberfläche des Schlafs. Es besänftigt das Gemüt wie ein heißes Bad, mildert Albträume und betäubt den rasenden, pochenden Schmerz in meiner Kehle. Am Morgen spüre ich, wie es sich stechend über meine Haut ausbreitet, sich in den Rissen meiner Ellenbogen und entlang meiner Wirbelsäule einnistet. Es fegt meinen Kopf leer und regt meine Aufmerksamkeit an. Morgens erinnere ich mich an alles.
Ich erinnere mich an Thronfolgen von Königen und Königinnen, an die Reihenfolge der Stationen der Northern Line, beide Strecken. Ich erinnere mich an Darwins Listen von den Unterrassen der Tauben und kann eine Luchstaube von einem Tümmler unterscheiden. Ich erinnere mich an die langen Geschichten, die Brendan Hardcastle mir nach der Schule erzählte, wenn wir mit baumelnden Beinen auf der hohen Mauer entlang unserer Hinterhöfe saßen, denn Brendan wusste immer alles schon vor mir.
Brendan war es auch, der mir als Erster von Mr Samuel Finley Breese Morse erzählte. 1844, sagte er, habe Sam Morse der ersten öffentlichen Vorführung seines neu entwickelten Morsecodes beigewohnt. Die Veranstaltung fand in der Kammer des Obersten Bundesgerichts der Vereinigten Staaten von Amerika statt. Eine junge Dame trat vor und wählte die Worte, die Sam Morse seinem Mitarbeiter in Baltimore senden sollte. Sie legte ein Blatt Papier vor ihm auf den Tisch, und in Anwesenheit des Leiters des US-Patentamtes, des Vaters der jungen Dame, wurde die erste jemals über eine isolierte elektromagnetische Leitung übertragene Botschaft in den Apparat eingegeben.
Sie traf in Baltimore ein und kam über dieselbe Leitung zurück, und beide Male enthielt sie dieselbe Frage:
Was hat Gott bewirkt?
Zweimal wurde sie übertragen, zweimal in Staunen und Ehrfurcht empfangen, zweimal blieb sie unbeantwortet, nichts ahnend vom Gewicht ihres Inhalts. Jedenfalls war das zwanzigste Jahrhundert noch nicht viel mehr als eine vage Idee des neunzehnten, und jene junge Dame konnte unmöglich gewusst haben, was das zwanzigste Jahrhundert zwei Jungen, die 1931 auf einer Londoner Hinterhofmauer die Beine baumeln ließen, bringen würde.
Doch was Brendan mir nicht sagen konnte, war, dass wir siebenundneunzig Jahre nach Übertragung dieser allerersten Botschaft, im Alter von zwanzig, als das neue Jahrhundert bereits eine Kerbe von einundvierzig Jahren hatte, auf dem staubigen, rissigen Boden der abessinischen Wüste knien und unsere Barette der Königlichen Fernmeldetruppe an die Brust drücken würden, während Alfs Leiche im Boden versenkt wurde. Er konnte mir nicht sagen, dass ich, als er an jenem Tag seinen sonnenverbrannten Hals umwandte, um mich anzusehen, nicht in der Lage wäre, seinem Blick standzuhalten, und dass ich, als ich nachts schlaflos im Bett lag, an die junge Dame in der Kammer des Obersten Bundesgerichts denken und mich fragen würde: Ja, was eigentlich?
Meistens ist es das, woran ich mich morgens erinnere.
STEVIE Ich versuch's noch mal.
Ich wurde 1924 geboren. 1941 gebar ich selbst. Geheiratet habe ich 1945. Eine nicht sehr große, aber unübersehbare Unstimmigkeit. Wie die Lücke zwischen zwei Schneidezähnen.
Nachdem ich die Schule verlassen hatte, verbrachte ich vier Jahre damit, in der Kantine der Sun-Pat-Erdnussfabrik in der Old Kent Road Wurzelgemüse zu schnipseln. Ich wäre gern Lehrerin geworden, mit Stehkragen und einer Tasche mit Schnalle für meine Bücher; stattdessen arrangierte ich bleichen Kohl auf Tabletts und schnitt Karotten in perfekte Würfel. Ich musste auf einer Holzkiste stehen, damit ich mit meinen Ellenbogen den anderen Frauen nicht im Weg war.
Aber ich überspringe bereits einiges. Das ist nicht der absolute Anfang. Ich muss gründlicher vorgehen.
Mein Name war ursprünglich als Frage formuliert, denn meine beiden Vornamen wurden geistlos in der falschen Reihenfolge in meine Geburtsurkunde gekritzelt: May Stephanie Ponder-Darf Stephanie Grübeln? Die Krankenschwester schüttelte missbilligend den Kopf über Vivien, tauchte mich in kaltes Wasser und wies darauf hin, dass ein Kind mit einem Fragezeichen am Ende seines Namens nie werde schlafen können, weder nachts noch tags. Vivien nahm mich mit nach Hause, und ich lag, in blaue Baumwolle mit weißen Borten gewickelt, die Augen weit aufgerissen, in meiner Wiege und konnte nicht einmal zwinkern. Sie musste mir die Augen mit einem spuckegetränkten Wattebausch betupfen, damit sie nicht vollständig austrockneten.
Fünf Monate später wurde ich im Kirchenbuch ausgestrichen und neu eingetragen, diesmal als Erlaubnis und Möglichkeit: Stephanie Darf Grübeln. Der Pfarrer nickte weise und drückte ein zweites Mal seinen Daumen in die Vertiefung über meiner Nase, und ich schlief zwei Tage durch.
Vivien war bei einem lokalen Immobilienmakler angestellt, für den sie in gestochener Handschrift Urkunden auf dickes Kanzleipapier übertrug. Das tat sie am Küchentisch, wo sie ihre Schreibfedern vor Salz- und Pfefferstreuer aufreihte, und wenn wir dem Tintenfass zu nahe kamen, presste sie die Lippen zusammen. Abends saß sie auf dem Stuhl am Feuer, nähte Kellerfalten in Pastellröcke und richtete die Säume an Herrenhosen, und anschließend hängte sie die fertigen Kleidungsstücke an die Vorhangstange in ihrem Schlafzimmer, wo sie wie Gefangene gegen die Glasscheibe stießen, bis sie abgeholt wurden.
Mein Dad arbeitete als U-Bahn-Fahrer bei der Londoner Verkehrsgesellschaft, verließ vor dem Morgengrauen lärmend das Haus und kam nachmittags mit ausgetrockneten Augen und zurückgekämmtem Haar wieder. Eine kleine Brise ließ die Fensterscheiben im Rahmen erzittern, wenn er sich näherte; dann presste Vivien wieder die Lippen zusammen und nahm pflichtbewusst ihr Haarnetz ab. Eines Tages gab die Regierung ihren Plan bekannt, die Metropolitan Line zu einem U-Bahn-Ring umzubauen, und der Gedanke war für meinen Dad unerträglich. Laut seufzend legte er sich im vorderen Zimmer nieder und verkündete, genug sei genug.
Danach verbrachte er viel Zeit damit, zwischen den krümelfarbenen Kissen auf dem Sofa zu liegen. Er roch nach alten Büchern mit brüchigen Seiten. Manchmal bekamen wir ihn wochenlang nicht zu Gesicht. Unser Leben spielte sich rund um das Sofa ab, aber nicht mit ihm. Manchmal kam er, ohne Vorwarnung, laut zwinkernd und nach Luft schnappend zu uns zurück, und wir musterten ihn überrascht und rümpften die Nasen, als wäre er ein vergessenes Sandwich mit aufgebogenen Ecken und welken Salatblättern.
Die anderen schien er gar nicht zur Kenntnis zu nehmen. Sein Arm streckte sich, und er winkte mich näher, ohne auf meine Schwester und meine Brüder zu achten, die geschäftig, möglichst ohne auf das knarzende Dielenbrett zu treten, seitlich durch die Tür davonschlichen. Seine Hand umklammerte mein Handgelenk, und dann stellte er mir Fragen, kleine, runde Fragen, die wie verlorene Münzen glänzten, wenn er sie mir hinhielt. Es war unsere einzige Form der Kommunikation.
Im Lauf der Monate wurden die Fragen spezieller. Anfangs ging es um Allgemeinwissen. Europäische Hauptstädte, Primzahlfolgen, die Schreibung von Wörtern mit einem am Ende lauernden stummen g. An dem Tag, an dem mich meine Lehrerin vor die Klasse treten ließ und verkündete, ich würde an die Houghton Hall in North Dulwich wechseln, weil ich ein Stipendium bekommen hätte, weshalb jetzt alle klatschen und mich fortan Stephanie nennen müssten, weil Stevie kein Name für ein Mädchen mit Strohhut sei - an diesem Tag qualifizierte ich mich für die Hauptstädte Asiens.
An dem Tag, an dem meine erste Periode kam, befragte mich mein Dad nach den inneren Abläufen elektromagnetischer Induktionsschlaufen, und ich weinte, weil ich die Antwort nicht wusste. Ich weinte sonst eigentlich nicht. Und dann gab es lateinische Konjugationen, die ich in der Schule übte und in malvenfarbenen Übungsheften behutsam nach Hause trug, um sie ihm zu zeigen.
Ich musste Gedichte auswendig lernen und sie mit Gefühl vortragen. Mein Dad mochte es nicht, wenn man ihn während des Gedichtvortrags ansah. Deshalb stand ich am Fenster, die stipendiatinnenweiß behandschuhten Hände vor mir gefaltet, und deklamierte den Passanten Sea Fever, während mein Dad die Augen schloss und lächelte und in die Sofakissen zurücksank, und ich war entlassen.
Am Tag vor seinem Tod fragte er mich, ob ich die Quadratwurzel von minus zwei wüsste.
Ich sagte, die gebe es nicht.
Es war, wie sich zeigte, das Letzte, was ich zu ihm sagte, und erst als der Sarg in die Erde gesenkt wurde und ich Vivien zum ersten Mal in zehn Jahren vollständig ausatmen hörte, wurde mir klar, dass ich selbst Fragen hatte, die ich nie zu stellen gewagt hatte.
Houghton Hall musste ich nun verlassen. Am 21. Oktober 1937, einem Donnerstag, tauschte ich meine weißen Baumwollhandschuhe mit Satinknöpfen gegen blaue Fabrikhandschuhe, packte meinen jüngst erworbenen noblen Akzent zusammen mit den lateinischen Verben in mein Federmäppchen, zog den Reißverschluss fest zu und kehrte dem Schultor den Rücken.
Eine Woche später lernte ich Michael kennen. Ich kann sein Gesicht sehen, als hätte ich es direkt vor mir. Nicht so, wie er aussah, als ich ihn zum letzten Mal traf. Wenn ich an Michael denke, dann so, wie er als Junge war, bevor alles anfing.
Bevor er verschwand.
Aber ich muss mich mehr anstrengen, um mich auch an alles andere zu erinnern. Es ist schließlich nicht sein Gesicht, das ich zurückholen will.
MICHAEL Ich träume von den Schmerzhaften Mysterien. Ich sage sie mir im Geist auf, alle fünf, und meine Finger umklammern im Schlaf die Perlen meines Rosenkranzes. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Plötzlich schrecke ich hoch, immer an derselben Stelle, und meine Kehle ist zu groß für meinen Hals. Mich dürstet. Mit gerecktem Kopf sehe ich mich um, taste nach meiner Brille. Ich halte sie mir vor die Augen, und nur eine Sekunde lang erkenne ich im Zwielicht meines leeren Schlafzimmers Alf kraftlos in sich zusammengesunken an der Wand neben dem Kamin.
Ist das eine Halluzination?
Mein Bruder Ben war drei Jahre älter als ich, und ich hielt ihn für den witzigsten Menschen auf der ganzen Welt. Einmal erzählte er mir, dass der Ururgroßonkel unseres Vaters - James hieß er - versucht hatte, König George III. zu erschießen, um die Wiederkunft Christi zu beschleunigen. Anscheinend herrschte die Auffassung, das eine Ereignis müsse das andere herbeiführen, doch die genauen Details dieser Kausalkette blieben im Dunkeln. Unser Vater wurde nicht gern an diesen speziellen Verwandten erinnert. Er fand, es warf auch auf ihn ein schlechtes Licht.
Mein Vater betrieb in unserem Viertel eine kleine Molkerei, und wir wohnten in den Räumen über dem Laden. Er war ein sehr präziser Mensch, groß und silbrig, mit langen Fingern und mächtigen Armen, die den Eindruck vermittelten, dass es tröstlich wäre, von ihnen gehalten zu werden. Jeden Morgen stellte er sämtliche Uhren im Haus, sodass sie synchron tickten, und einmal in der Woche schickte er sich selbst eine leere Postkarte, denn, sagte er zu uns, irgendjemand müsse ja überprüfen, ob die Post richtig funktionierte. Er rührte seinen Tee mit einem Thermometer um und führte sorgfältig Buch über die Milchleistung unserer vier Kühe.
Ben und ich hatten eine Heidenangst vor ihm. Als ich Jahre später darüber nachdachte, wunderte ich mich, dass er Ben überhaupt von seinem Ururgroßonkel James erzählt hatte. Im Allgemeinen sprach mein Vater nie über seine Kindheit, und dass er sein Leben nicht schon als Mann begonnen hatte, wusste ich nur, weil meine Mutter es mir gesagt hatte. Sie erzählte mir auch, dass er im Alter von elf Jahren ins Seminar geschickt worden war, weil es sich seine Eltern nicht leisten konnten, ihn durchzufüttern, und deshalb sollte ich Mitleid mit ihm haben. Er war der älteste von zwölf Brüdern, und seine Mutter, meine Großmutter, starb schließlich an der Geburt der einen Tochter, um die sie innigst gebetet hatte. Die Jesuiten lehrten meinen Vater, dass der Tod seiner Mutter die Strafe Gottes für ihre Maßlosigkeit sei, und mein Vater kam über diese Argumentation nie ganz hinweg. Angesichts seiner beruflichen Tätigkeit war solche Ignoranz gegenüber der Keimtheorie besorgniserregend.
Er machte einem das Mitgefühl nicht leicht.
Aber die Sache ist die: Das Gericht entschied, dass der Ururgroßonkel meines Vaters im Wahn gehandelt hatte, als er abdrückte und den applaudierenden König in seiner Loge im Theatre Royal in der Drury Lane zu erschießen versuchte. Er wurde für schwachsinnig befunden und für unbestimmte Zeit eingesperrt.
Das ist es, worauf ich hinauswill.
Einen Moment lang wende ich diesen Gedanken im Kopf hin und her, dann beuge ich mich zur Seite, um das Licht einzuschalten. Ich schaue auf die Uhr. Sie wird bald aus dem Haus gehen. Ich nehme einen Schluck Tee aus der Thermoskanne neben dem Bett, und er bricht als dramatische Schluckaufserie wieder aus mir hervor. Dort, wo meine Speiseröhre sein sollte, sitzt ein unbeweglicher Klumpen, und mein Schlafanzug ist von lauwarmen, milchigen Teeflecken übersät. Ich spüre die Wärme angenehm in die gestreifte Baumwolle des Gewands eindringen, das ich mir einst als distinguiertes dickenssches Nachthemd vorstellte, und ich schließe die Augen und stelle mir noch einmal ihr Gesicht vor. Natürlich sieht sie so nicht mehr aus. Sie ist jetzt alt und zieht ihre Einkäufe in einem braunen Trolley hinter sich her, und sie erkennt mich nicht. Wenn ich sie ansehe, erwidert sie meinen Blick, aber sie sieht nur einen ganz in Wolle gewickelten Mann, der sich kaum noch auf den Beinen halten kann.
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Autoren-Porträt von Jennie Rooney
Jennie Rooney, geboren 1980 in Liverpool, studierte Geschichte an der Universität in Cambridge und lehrte Englisch in Frankreich, bevor sie nach London ging, um dort als Anwältin zu arbeiten.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jennie Rooney
- 2010, 1, 318 Seiten, Maße: 13,4 x 20,3 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Ottilie Wagner
- Verlag: Blessing
- ISBN-10: 3896673874
- ISBN-13: 9783896673879
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