Im Haus der Weisheit
Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur
Die arabischen Fundamente unserer modernen Gesellschaft. Wer stürzte lange vor Kopernikus das heliozentrische Weltbild? Ibn al-Shatir. Wer beschrieb als Erster den Blutkreislauf? Ibn al-Nafees. Wer war vor Leonardo das erste Universalgenie? Abu Rayan...
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Produktinformationen zu „Im Haus der Weisheit “
Die arabischen Fundamente unserer modernen Gesellschaft. Wer stürzte lange vor Kopernikus das heliozentrische Weltbild? Ibn al-Shatir. Wer beschrieb als Erster den Blutkreislauf? Ibn al-Nafees. Wer war vor Leonardo das erste Universalgenie? Abu Rayan al-Biruni. Im 9. Jahrhundert gründete der Kalif von Bagdad das legendäre "Haus der Weisheit", das fortan zum Weltzentrum der Gelehrsamkeit wurde. Hier wurden die großen Werke der Antike - Galen, Hippokrates, Platon, Aristoteles und Archimedes - vor dem Vergessen bewahrt, grundlegende Erkenntnisse der Astronomie, Mathematik, Medizin und Zoologie gewonnen. Der bekannte britisch-irakische Wissenschaftshistoriker Jim al-Kahlili erzählt in seinem reich bebilderten Buch die faszinierenden Geschichten dieser Pioniere der Wissenschaften und vom einzigartigen Goldenen Zeitalter arabischer Gelehrsamkeit, ohne die unsere abendländische Kultur so nicht existieren würde. »Mit dem [...] Buch [...] liegt erstmals eine zugleich profunde und eingängig geschriebene Einführung zu den Leistungen der arabischen Wissenschaftler des Mittelalters vor. Die Begeisterung für sein Thema merkt man dem Autor an. Das Buch ist flüssig zu lesen und lädt mit zahlreichen Illustrationen zum Mitdenken ein, ohne zu überfordern.« Stefan Weidner, Deutschland Radio Kultur »'Im Haus der Weisheit' ist [...] ein wunderbares Buch, das den Horizont unseres Geschichtsverständnisses zu erweitern hilft.« Otto Schily, Die Welt »Wer mehr über die faszinierende Welt der arabischen Wissenschaften erfahren möchte, dem sei al-Khalilis Buch wärmstens empfohlen.« Michael Fischer, Tages-Anzeiger, 5.9.2011 »Empathische Wissenschaftsgeschichte mit persönlicher Note« zenith - Zeitschrift für den Orient
Klappentext zu „Im Haus der Weisheit “
Die arabischen Fundamente unserer modernen Gesellschaft.Wer entdeckte lange vor Kopernikus das heliozentrische Weltbild? Ibn al-Shatir. Wer beschrieb als Erster den Blutkreislauf? Ibn al-Nafees. Wer war vor Leonardo das erste Universalgenie? Abu Rayan al-Biruni. Im 9. Jahrhundert gründete der Kalif von Bagdad das legendäre "Haus der Weisheit", das fortan zum Weltzentrum der Gelehrsamkeit wurde. Hier wurden die großen Werke der Antike - Galen, Hippokrates, Platon, Aristoteles und Archimedes - vor dem Vergessen bewahrt, grundlegende Erkenntnisse der Astronomie, Mathematik, Medizin und Zoologie gewonnen. Der bekannte britisch-irakische Wissenschaftshistoriker Jim al-Kahlili erzählt in seinem reich bebilderten Buch die faszinierenden Geschichten dieser Pioniere der Wissenschaften und vom einzigartigen Goldenen Zeitalter arabischer Gelehrsamkeit, ohne die unsere abendländische Kultur so nicht existieren würde.»Mit dem [...] Buch [...] liegt erstmals eine zugleich profunde und eingängig geschriebene Einführung zu den Leistungen der arabischen Wissenschaftler des Mittelalters vor. Die Begeisterung für sein Thema merkt man dem Autor an. Das Buch ist flüssig zu lesen und lädt mit zahlreichen Illustrationen zum Mitdenken ein, ohne zu überfordern.«Stefan Weidner, Deutschland Radio Kultur »'Im Haus der Weisheit' ist [...] ein wunderbares Buch, das den Horizont unseres Geschichtsverständnisses zu erweitern hilft.«Otto Schily, Die Welt »Wer mehr über die faszinierende Welt der arabischen Wissenschaften erfahren möchte, dem sei al-Khalilis Buch wärmstens empfohlen.«Michael Fischer, Tages-Anzeiger»Empathische Wissenschaftsgeschichte mit persönlicher Note«zenith - Zeitschrift für den Orient»Al-Khalili hat [...] eine gleich verlässliche wie fesselnde Geschichte über [die] Blütezeit der arabischen Wissenschaft geschrieben«.Klaus Taschwer, Der Standard»Sein Buch ist ein mitreißendes Plädoyer für die heute auch im Westen bedrohte Freiheit von Forschung und Lehre.«Hans-Jörg Modlmayr, WDR
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Lese-Probe zu „Im Haus der Weisheit “
Im Haus der Weisheit von Jim al-Khalili Antiker Text
Eine Autostunde südlich von Bagdad liegt die Ortschaft Hindiyya. Dort verbrachte ich meine letzten glücklichen Jugendtage, bevor ich den Irak 1979 endgültig verließ. Seinen Namen trägt der Ort nach dem Hindiyya-Staudamm, der 1913 von den wenig später abgedankten Osmanen quer über den Euphrat gebaut wurde. An die Brücke habe ich eine dauerhafte, eindringliche Erinnerung. An kühlen Herbsttagen schwänzte ich nachmittags zusammen mit meinen drei besten Freunden Adel, Khalid und Zahr il-Din die Schule, dann gingen wir über die Staumauer zu dem Touristenhotel am gegenüberliegenden Ufer. Dort kauften wir uns ein Sechserpack Farida-Bier und setzten uns ans Wasser, um über Fußball, Philosophie, Filme und Mädchen zu diskutieren.
Jene glücklichen Tage stehen in dramatischem Gegensatz zu einem zweiten Bild, das sich eindringlich in mein Gedächtnis einprägt hat. Das geschah 1991, während des ersten Golfkrieges. Ich weiß noch genau, wie ich in einer Nachrichtensendung der cnn Aufnahmen von einem Feuergefecht in Hindiyya sah: Eine einsame, verängstigte Frau war über die Staumauer gegangen und dabei zwischen die Fronten geraten. Für die meisten Zuschauer war dies sicher nur eine von vielen Szenen, die den Schrecken des Krieges in einem weit entfernten Land zeigten. Ich aber erkannte die Szenerie sofort wieder, und damit wurde das Elend des Landes, das ich zwölf Jahre zuvor hinter mir gelassen hatte, traurige Realität. Ich selbst war Dutzende von Malen an der Stelle vorübergegangen, an der diese hilflose Frau jetzt stand.
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Aber das war am anderen Ende der Welt. Bis heute, da ich diese Zeilen schreibe, war ich noch nicht wieder im Irak. Ich sage »da ich diese Zeilen schreibe«, denn ich schließe eine Stippvisite irgendwann in der Zukunft, wenn ich alter Feigling es für ausreichend ungefährlich halte, nicht aus.
Ich verließ den Irak in einem für die islamische Welt folgenschweren Jahr. Damals, 1979, unterzeichneten der Ägypter An- war Sadat und der Israeli Menachem Begin in Washington einen Friedensvertrag; im Iran wurde die erste islamische Republik ausgerufen, nachdem der abgesetzte Schah nach Kairo geflüchtet war; die heilige Stadt Mekka erlebte ein Feuergefecht, mit dem ein fundamentalistischer Aufstand niedergeschlagen und Hunderte von Pilgern getötet wurden; die Sowjetunion besetzte Afghanistan; und in der us-Botschaft in Teheran begann die iranische Geiselkrise. In diesem Durcheinander hatte Saddam Hussein das Präsidentenamt im Irak von Feldmarschall Muhammad Hassan al-Bakr übernommen, wodurch das Leben für den Großteil der Bevölkerung im Land erheblich trostloser wurde. Meine Angehörigen und ich trafen Ende Juli - genau zwei Wochen nach Saddams Machtübernahme - im Großbritannien Margaret Thatchers ein. Wie sich herausstellte, waren wir gerade noch rechtzeitig entkommen, denn wenige Monate später erklärte Saddam dem Iran den Krieg. Hätten wir das Land in jenem Sommer nicht verlassen, mein Bruder und ich wären zweifellos eingezogen worden und hätten in jenem sinnlosen, entsetzlichen Krieg kämpfen müssen. Dass ich dann heute noch am Leben wäre und meine Geschichte erzählen könnte, bezweifle ich. Mit unserer britischen Mutter und unserem schiitisch-muslimischen Vater, der persischer Abstammung war und in den 1950er Jahren im Irak mit der kommunistischen Bewegung geliebäugelt hatte, waren mein Bruder und ich als »unerwünscht« gebrandmarkt, und wir wären sicher zu entbehrlichem Kanonenfutter geworden.
Seither ist es offenbar mit dem Leben im Irak ständig bergab gegangen. Seit meiner Jugend in den 1960er und 1970er Jahren, als das Leben dort für ein Kind aus der Mittelschicht angenehm und relativ einfach war, haben sich die Verhältnisse dramatisch gewandelt. Mein Vater, ein in Großbritannien ausgebildeter Elektroingenieur, war als Offizier in der irakischen Luftwaffe tätig. Da er an verschiedenen Orten im ganzen Land eingesetzt wurde, waren wir es gewohnt, regelmäßig umzuziehen. Anfang der 1970er Jahre jedoch verfügte die herrschende Baath-Partei, man könne Irakis mit britischen Ehefrauen in den Streitkräften plötzlich nicht mehr trauen. Nun musste mein Vater, der mittlerweile im Rang eines Majors stand, zum ersten Mal in seinem Erwachsenenleben eine zivile Arbeit finden. Er bekam schon bald eine Stelle als leitender Ingenieur bei dem Chemieunternehmen Ma'mal al-Harir in Hindiyya, das Rayon-Kunstfasern herstellte. Wir wohnten ein paar Jahre in Bagdad, bevor wir schließlich nach Hindiyya zogen, um meinem Vater das tägliche Pendeln zu ersparen. Für mich war das kein Problem. Ich fand schnell Freunde und gründete meine neue Fußballmannschaft, die Rayon Dynamos (das schäbige Trikot mit der Nummer 9, das ich damals trug, habe ich heute noch). Zusammen mit meinem Bruder schaltete ich am Samstagnachmittag den bbc World Service ein, um die englischen Fußballergebnisse zu hören. Der World Service bildete in unserem Haus sogar eine mehr oder weniger ständige Geräuschkulisse. Wenn möglich, besuchte ich regelmäßig die Bibliothek des British Council in Bagdad und besorgte mir Nachschub an englischen Büchern. Außerdem wuchs ich in dem Wissen auf, dass das Leben in einer Diktatur erträglich war, solange man den Kopf gesenkt hielt und nicht einmal im privaten Kreis die Regierung oder die Baath-Partei kritisierte.
Es war immer ein fröhlicher Ausflug für meine Familie und mich, wenn wir zu den hängenden Gärten von Babylon eine Autostunde südöstlich von Hindiyya fuhren. Die Ruinen dieses mythischen Ortes hatten für mich kaum etwas Geheimnisvolles, war ich doch bei Klassenfahrten schon oft dort herumgestreunt. Aber trotz der nicht gerade eindrucksvollen Ruinen und meiner aus Vertrautheit geborenen Gleichgültigkeit verlor ein solcher aufregender, unterrichtsfreier Tag nie seinen Reiz, und die archäologische Stätte strahlte nach wie vor etwas Machtvolles aus - flüsternd erzählte sie vom Glanz einer Zeit, die so unbegreifbar lange vergangen war. Einmal stießen wir bei einem Familienausflug - ich war gerade erst im Teenageralter - auf zwei Backsteinbrocken. Sie waren jeweils so groß wie eine Faust und trugen auf einer Seite eindeutig antike Keilschriftzeichen. Die Frage, ob mein Bruder, meine Mutter oder ich die Steine aufhob, ist bis heute Gegenstand eines humorvollen Familienstreits. Jedenfalls versteckte meine Mutter sie ganz unten in unserem Picknickkorb, und wir schmuggelten sie nach Hause.
Das klingt jetzt vielleicht nach einem empörenden Fall von Altertumsdiebstahl. Natürlich hätten wir einen solchen nationalen Schatz den örtlichen Behörden oder sinnvollerweise vielleicht besser dem Museum in Bagdad übergeben sollen. Aber wir behielten sie. Zu unserer Verteidigung kann ich anführen, dass ähnliche mit Keilschrift versehene babylonische Ziegelsteine überall um uns verstreut waren. Und im Vergleich mit den Schäden, die später in den Ruinen von Babylon angerichtet wurden - in den 1980er Jahren durch Saddam Husseins erstaunlich vulgären Wiederaufbau des Ishtar-Tores und 2003 durch die us-Streitkräfte, die einen ganzen Abschnitt einer der kostbarsten archäologischen Stätten der Welt dem Erdboden gleichmachten, um einen ebenen Landeplatz für Hubschrauber und einen Parkplatz für schwere Militärfahrzeuge zu schaffen - erscheint unser Diebstahl relativ harmlos.
Erst vor kurzem bat ich meinen Bekannten Irvine Finkle, den Kurator für das antike Mesopotamien am British Museum, sich die beiden Brocken einmal anzusehen. Er bestätigte, dass sie aus dem 7. Jahrhundert v. u. Z. und der Regierungszeit des Königs Nebukadnezar ii. stammten, also aus der Periode, in der die Hängenden Gärten gebaut wurden. Die Symbole sind offenbar Bruchstücke einer häufig vorkommenden Inschrift, die da lautet: »Nebukadnezar, König von Babylon, der für Esagila und Ezida sorgt [die Tempel der babylonischen Götter Marduk und Nabu], ältester Sohn von Nabopolassar.«
Das 7. Jahrhundert v. u. Z. mag sich für Europäer und erst recht für Amerikaner sehr altertümlich anhören, aber nach den archäologischen Maßstäben des Irak ist die Regierungszeit Nebukadnezars eigentlich das Mittelalter. Manchmal kann man es sich kaum vorstellen: Das Erbe derer, die sich heute im Irak darum bemühen, etwas Ähnliches wie ein normales Leben zu führen, reicht über 7000 Jahre bis zur Geburt einiger der allerersten Zivilisationen auf der Erde zurück. Die Überreste der Ubaid-Kultur im südlichen Irak wurden von Archäologen auf die Mitte des 6. Jahrtausends v. u. Z. datiert; die nachfolgende Uruk-Zivilisation, in deren Verlauf das Rad erfunden wurde und die auch andere technische Fortschritte wie das Verschmelzen von Metallen, die Töpferscheibe, das Siegel, die Form für Ziegelsteine und den Plan des Tempels miterlebte, wurde auf ungefähr 4100 v. u. Z. datiert. In Uruk machten die Menschen auch eine Erfindung, die vielleicht noch wichtiger war als das Rad: Hier gab es zum ersten Mal eine Schrift.
Der Rest ist, wie man so sagt, Geschichte.
Der erste mächtige Vorfahre der heutigen arabischen Bevölkerung des Irak war Sargon, der Semitenkönig der Akkader, der im 24. Jahrhundert v. u. Z. die Sumerer besiegte. Über Sargon weiß man nur wenig, aber vermutlich gründete er nicht weit vom heutigen Bagdad die neue Hauptstadt Akkad.
Schon wenig später erstreckte sich sein Reich vom Mittelmeer im Westen bis nach Persien im Osten, und er trug den Titel »König der vier Weltteile«.
Auf die Akkader folgte die Dynastie von Ur. Die Stadt Ur im Süden des Irak war nach Schätzungen um 2000 v. u. Z. zur größten Stadt der Welt herangewachsen und hatte mehr als 60 000 Einwohner. Von dort stammte angeblich Abraham, der Patriarch der drei großen monotheistischen Religionen: Judentum, Christentum und Islam.
Die erste Dynastie der Babylonier nahm ihren Anfang nicht lange danach. In ihrem Verlauf begegnet uns der größte aller antiken Könige im Irak: Hammurabi, der mehr als 40 Jahre lang regierte, nämlich von 1792 bis 1750 v. u. Z. Während seiner Herrschaft gab es die ersten Schulen der Welt und das erste geschriebene Gesetzbuch. Von allen großen Herrschern, die auf Hammurabi folgten - und das waren viele - reichte 1000 Jahre lang keiner an seine Leistungen heran; mit ihm vergleichbar war erst der Assyrerkönig Assurbanipal, der in der Nähe der heutigen Stadt Mosul im Norden des Landes die große Bibliothek von Ninive gründete.
Der Niedergang der irakischen Eigenherrschaft begann einige hundert Jahre vor der Geburt Christi und war der Beginn von mehr als zwei Jahrtausenden einer nahezu ununterbrochenen Besetzung von außen: durch Perser, Griechen, Mongolen, Türken und für kurze Zeit - von 1917 bis 1921 - die Briten; danach wurde der moderne irakische Staat geboren. Das große Abassidenreich, das von 750 bis 1258 u. Z. erhalten blieb, sollte man sicherlich nicht als Besatzungsmacht betrachten. Seine Kalifen waren aber über lange Zeit hinweg nur die Marionetten ausländischer Königshäuser, insbesondere im 10. und 11. Jahrhundert der persischen Bujiden und der türkischen Seldschuken.
Die erste persische Herrschaft in dem Land, das Mesopotamien genannt wurde (vom griechischen »Land zwischen zwei Flüssen« - Tigris und Euphrat - was im Wesentlichen dem heutigen Irak entspricht), endete 333 v. u. Z. mit der Niederlage gegen Alexander den Großen. Nach dem Tod Alexanders teilten seine Generäle das große Reich unter sich auf: Ägypten fiel an Ptolemäus, der von Alexandria aus herrschte, Asien kam unter die Herrschaft von Seleukos, der im Nordwesten Syriens seine neue Hauptstadt Antiochia errichtete. Die Stadt spielte später eine entscheidende Rolle für die Weitergabe wissenschaftlicher Kenntnisse von den Griechen an die Araber.
Als Anfang des 7. Jahrhunderts u. Z. der Islam aufkam, war der Mittlere Osten, wie wir ihn heute nennen, zwischen dem persischen und dem byzantinischen Reich aufgeteilt. Mit der von Arabien ausgehenden Ausbreitung der neuen Religion entwickelte sich jedoch ein mächtiges Reich, und mit ihm kamen eine blühende Zivilisation und ein prachtvolles Goldenes Zeitalter.
Die Geschichte der Region - und auch des Irak selbst - ist angesichts derart langer Zeiträume eine viel zu große Leinwand, als dass ich sie bemalen könnte. Stattdessen möchte ich mit diesem Buch etwas anderes tun: Ich mache mich an die ohnehin ehrgeizige Aufgabe, eine bemerkenswerte Geschichte zu erzählen; es ist die Geschichte eines Zeitalters, in dem große Genies die Grenzen des Wissens derart erweiterten, dass ihre Arbeiten die Zivilisation bis heute prägen.
Schon seit einiger Zeit ist es mein sehnlicher Wunsch, diese Geschichte einem größeren Publikum zu erzählen. Dass ich es jetzt tue, liegt an meiner Überzeugung, dass sie heute besonders zeitgemäß ist und großen Widerhall finden kann: Wir sollten untersuchen, was das kulturelle und wissenschaftliche Denken des Abendlandes den Arbeiten zu verdanken hat, die arabische und persische, muslimische, christliche und jüdische Denker und Wissenschaftler vor 1000 Jahren leisteten. In den Zeittafeln, die man in populärwissenschaftlichen Berichten über die Wissenschaftsgeschichte findet, haben in der Regel zwischen der Zeit der alten Griechen und der europäischen Renaissance keine größeren wissenschaftlichen Fortschritte stattgefunden. In dieser Zwischenzeit, so erzählt man uns, befanden sich Westeuropa und - so wird damit unterstellt - auch die übrige Welt 1000 Jahre lang im dunklen Mittelalter.
In Wirklichkeit war das Arabische für eine Zeit von 700 Jahren die internationale Sprache der Wissenschaft. Es war die Sprache des Korans, des heiligen Buches des Islam, und damit auch die Amtssprache des riesigen islamischen Reiches, das sich Anfang des 8. Jahrhunderts u. Z. von Indien bis nach Spanien erstreckte.
Ich muss auch von vornherein darauf hinweisen, dass ich es mir nicht zur Aufgabe gemacht habe, die Wissenschaftsgeschichte der ganzen Welt zu behandeln. Mir ist sehr wohl bewusst, welche reichhaltigen, vielfältigen wissenschaftlichen Errungenschaften in anderen Regionen - insbesondere in China und Indien - erzielt wurden; über diese beiden prachtvollen Kulturen wurden schon viele Bücher geschrieben - und viele weitere werden zweifellos noch verfasst werden. Aber das ist nicht meine Geschichte.
Für mein Vorhaben war es eine große Hilfe, dass ich kürzlich die bbc-Fernsehserie Science and Islam produzieren konnte. Anders als in der Serie genieße ich aber in diesem Buch den Luxus, sowohl die wissenschaftliche Seite als auch die damit verbundenen sozialen, politischen und historischen Einflüsse und Folgen gründlicher untersuchen zu können. Die umfangreichen Reisen, die ich während der Produktion der Serie in der islamischen Welt unternahm, waren in zweierlei Hinsicht nützlich. Erstens - und das war vermutlich am wichtigsten - machten sie das Thema für mich auf eine ganz andere Weise lebendig als die vielen Bücher und Fachartikel, in denen ich zuvor gewühlt hatte. Und zweitens verschafften sie mir die Gelegenheit, Wissenschaftler und Historiker aus ganz unterschiedlichen Umfeldern kennenzulernen und meine Gedanken mit ihnen zu diskutieren. Ich hoffe, ich lasse ihnen in diesem Buch Gerechtigkeit widerfahren.
Natürlich wird manch einer den Verdacht hegen, dass ich, der ich im Irak aufgewachsen bin, die muslimische Welt durch eine rosarote Brille sehe, dass ich ein voreingenommener Parteigänger bin und allen zeigen will, was für eine großartige, aufgeklärte Religion der Islam ist. Als Atheist habe ich aber am Islam kein spirituelles, sondern ein kulturelles Interesse. Wenn also das Glaubenssystem des Islam ohne den Ballast der falschen Vorstellungen und Fehlinterpretationen vieler heutiger Muslime und Nichtmuslime in meinem Bericht in einem positiven Licht erscheint, dann ist es eben so.
Der Begriff »Islam« weckt heute zweifellos in den Ohren vieler Nichtmuslime auf der ganzen Welt ein bequemes, negatives Klischee, das im Gegensatz zu unserer abendländisch-säkularen, rationalen, toleranten, aufgeklärten Gesellschaft steht. Vor dem Hintergrund einer solchen bequemen Einstellung mag man unter Umständen nur schwer anerkennen, dass vor 1000 Jahren die umgekehrte Rollenverteilung herrschte. Man denke nur an die Kreuzzüge: Welche Seite war damals die aufgeklärtere, die kultivierte, die »gute«? Selbst jene in der westlichen Welt, die sich des Beitrages der muslimischen Welt zur Wissenschaft vage bewusst sind, neigen häufig zu dem Gedanken, dort seien nur Wissenschaft und Philosophie der Griechen noch einmal aufgekocht worden, wobei ein seltsames kleines bisschen Originalität hinzukam und wie ein orientalisches Gewürz den Geschmack verbesserte. Ein dankbares Europa hätte demnach eifrig sein Erbe wieder für sich beansprucht, nachdem es in der Renaissance des 14. und 15. Jahrhunderts aus seinem langen Schlaf erwacht war.
Ich werde viele Fragen behandeln, von denen Wissenschaftshistoriker schon lange fasziniert sind. Einige davon lauten: Wie viele wissenschaftliche Kenntnisse besaßen die Araber tatsächlich? Wie wichtig waren die Beiträge von persischer Kultur, griechischer Philosophie und indischer Mathematik? Wie und warum erlebte die wissenschaftliche Gelehrsamkeit unter der Schirmherrschaft mancher Herrscher eine solche Blütezeit? Und, vielleicht am interessantesten: Warum und wann ging dieses Goldene Zeitalter zu Ende?
Als praktizierender Wissenschaftler und Humanist bin ich überzeugt, dass die »wissenschaftliche Methode«, wie wir sie nennen, und das Wissen, dass die Menschheit aus der rationalen Wissenschaft bezieht, uns viel mehr zu bieten haben als nur »einen Weg, die Welt zu betrachten«. Der von Vernunft und Rationalität getragene Fortschritt ist definitionsgemäß etwas Gutes; Wissen und Aufklärung sind stets besser als Unwissen. Während meiner Kindheit im Irak lernte ich in der Schule große Denker wie Ibn Sina (Avicenna), Al-Kindi und Ibn al-Haitham (Alhazen) nicht nur als entfernte historische Gestalten kennen, sondern als meine geistigen Urahnen. Im Westen haben sicher viele schon einmal beispielsweise von dem persischen Gelehrten Ibn Sina gehört. Viele andere große Namen jedoch sind mehr oder weniger in Vergessenheit geraten. Selbst im Irak begegneten mir diese Gestalten nicht im naturwissenschaftlichen Unterricht, sondern im Fach Geschichte. Der Grund: Auch in der muslimischen Welt werden Naturwissenschaften heute nach abendländischen Prinzipien unterrichtet. Dass Kinder in Europa lernen, Kopernikus, Galilei und Kepler seien die Väter der Astronomie gewesen und vor ihnen habe es nichts Erwähnenswertes gegeben, ist nicht verwunderlich; enttäuschender ist es aber, dass man den Kindern in der muslimischen Welt das Gleiche beibringt. Würden sie nicht vielleicht die Ohren spitzen und dem Unterricht aufmerksamer folgen, wenn sie erfahren würden, dass die meisten Sterne, die wir am Nachthimmel sehen, arabische Namen tragen? So sind beispielsweise die Namen von fünf der sieben Hauptsterne im Sternbild des Großen Bären (auch Ursa Maior oder Großer Wagen genannt) arabischen Ursprungs: Dubhe, Megrez, Alioth, Mizar und Alkaid.
Die Wissenschaftler, die in diesem Buch vorkommen, waren sowohl im buchstäblichen wie auch im übertragenen Sinn wahre Wegbereiter. Das Zitat zu Beginn des Buches über den Gelehrten Ibn Chaldun lässt sich aber auf alle anwenden, deren Geschichten und Leistungen ich erwähne. Sie alle betraten Neuland, indem sie das Wissen der Menschheit vorantrieben, und doch sind die meisten von ihnen vergessen.
Die Weitergabe wissenschaftlicher Erkenntnisse, insbesondere in Mathematik und Astronomie (die von den Historikern als »exakte« Wissenschaften bezeichnet werden), ist eines der leistungsfähigsten Hilfsmittel, wenn man Beziehungen zwischen unterschiedlichen Kulturkreisen aufbauen will. Andere Bereiche unseres Denkens, darunter Religion und Philosophie, werden langsamer übermittelt und dringen erst allmählich in eine Kultur ein, um sie zu beeinflussen. Die exakten Wissenschaften dagegen erfordern die unmittelbare Nutzung von Abhandlungen und anderen geschriebenen Arbeiten, so dass wir aus ihnen viel über die Verhältnisse der jeweiligen Zeit erfahren können. Und auch wenn meine Motive, ein vollständiges Bild der arabischen Wissenschaft zusammenzustellen, sich nicht von denen eines Historikers unterscheiden, sollte ich doch betonen, dass mein Hauptinteresse dem Ursprung und der Entwicklung von Wissenschaft selbst gilt. Aus diesem Grund kümmert es mich eigentlich nicht, ob die fragliche Wissenschaft von Griechen, Christen, Muslimen oder Juden betrieben wurde. Ich werde zwar ein Kapitel der Frage widmen, wie das islamische Reich die Wissenschaft der Griechen und anderer Kulturen erbte, vor allem aber geht es mir in diesem Buch um die Gedanken auf den Gebieten von Naturwissenschaft, Medizin, Philosophie und Mathematik, die im Islam des Mittelalters entstanden und heranreiften.
Für mich als theoretischen Physiker, der vor allem mit der inneren Funktionsweise des Atomkerns vertraut ist, war dies eine erfreuliche, erfrischende Unternehmung. Besonders freut es mich, dass ich viele Tatsachen aufdecken konnte, die andere entweder übersehen haben oder sie einer breiten Leserschaft nicht beschreiben mochten.
Die Entstehung dieses Buches dauerte drei Jahre. Während dieser ganzen Zeit befand ich mich auf einer unbarmherzig steilen, aber auch ungeheuer bereichernden Lernkurve. Bei den Recherchen und bei der Weiterbildung halfen mir viele Menschen; manche von ihnen sind Experten für arabische Wissenschaft, andere steuerten nachdenkliche Kommentare und hilfreiche Ratschläge bei. Sie alle lieferten Beiträge zu diesem Buch und halfen mir, es zu einem Werk zu machen, auf das ich ungeheuer stolz bin. Zuallererst danke ich meiner Frau Julie für ihre unermüdliche Ermutigung und Begleitung. Große Dankbarkeit schulde ich auch meinem Agenten Patrick Walsh und Will Goodlad, meinem Lektor bei Penguin Press; beide teilten meine Begeisterung für das Thema und halfen mir, meine anfangs schwerfälligen, zaghaften, vorläufigen Entwürfe zu einem selbstsicheren Endprodukt zu machen, das, so hoffe ich, sowohl wahrheitsgetreu als auch lesbar ist. Weiterhin danke ich Afifi al-Akiti, Ali al-Azzawi, Nader al-Bizri, Salim al-Hassani, Faris al-Khalili, Salima Amer, Amund Bjørnøs, Derek Bolton, Paul Braterman, Anna Croft, Misbah Deen, Okasha El Daly, Kathryn Harkup, Ehsan Masood, Peter Pormann, George Saliba, Mohammed Sanduk, Simon Schaffer, Andrea Sella, Paul Sen, Karim Shah, Adel Sharif, Ian Stewart, Rim Turkmani, Tim Usborne und Bernardo Wolf. Ihnen allen bin ich zutiefst dankbar.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Aber das war am anderen Ende der Welt. Bis heute, da ich diese Zeilen schreibe, war ich noch nicht wieder im Irak. Ich sage »da ich diese Zeilen schreibe«, denn ich schließe eine Stippvisite irgendwann in der Zukunft, wenn ich alter Feigling es für ausreichend ungefährlich halte, nicht aus.
Ich verließ den Irak in einem für die islamische Welt folgenschweren Jahr. Damals, 1979, unterzeichneten der Ägypter An- war Sadat und der Israeli Menachem Begin in Washington einen Friedensvertrag; im Iran wurde die erste islamische Republik ausgerufen, nachdem der abgesetzte Schah nach Kairo geflüchtet war; die heilige Stadt Mekka erlebte ein Feuergefecht, mit dem ein fundamentalistischer Aufstand niedergeschlagen und Hunderte von Pilgern getötet wurden; die Sowjetunion besetzte Afghanistan; und in der us-Botschaft in Teheran begann die iranische Geiselkrise. In diesem Durcheinander hatte Saddam Hussein das Präsidentenamt im Irak von Feldmarschall Muhammad Hassan al-Bakr übernommen, wodurch das Leben für den Großteil der Bevölkerung im Land erheblich trostloser wurde. Meine Angehörigen und ich trafen Ende Juli - genau zwei Wochen nach Saddams Machtübernahme - im Großbritannien Margaret Thatchers ein. Wie sich herausstellte, waren wir gerade noch rechtzeitig entkommen, denn wenige Monate später erklärte Saddam dem Iran den Krieg. Hätten wir das Land in jenem Sommer nicht verlassen, mein Bruder und ich wären zweifellos eingezogen worden und hätten in jenem sinnlosen, entsetzlichen Krieg kämpfen müssen. Dass ich dann heute noch am Leben wäre und meine Geschichte erzählen könnte, bezweifle ich. Mit unserer britischen Mutter und unserem schiitisch-muslimischen Vater, der persischer Abstammung war und in den 1950er Jahren im Irak mit der kommunistischen Bewegung geliebäugelt hatte, waren mein Bruder und ich als »unerwünscht« gebrandmarkt, und wir wären sicher zu entbehrlichem Kanonenfutter geworden.
Seither ist es offenbar mit dem Leben im Irak ständig bergab gegangen. Seit meiner Jugend in den 1960er und 1970er Jahren, als das Leben dort für ein Kind aus der Mittelschicht angenehm und relativ einfach war, haben sich die Verhältnisse dramatisch gewandelt. Mein Vater, ein in Großbritannien ausgebildeter Elektroingenieur, war als Offizier in der irakischen Luftwaffe tätig. Da er an verschiedenen Orten im ganzen Land eingesetzt wurde, waren wir es gewohnt, regelmäßig umzuziehen. Anfang der 1970er Jahre jedoch verfügte die herrschende Baath-Partei, man könne Irakis mit britischen Ehefrauen in den Streitkräften plötzlich nicht mehr trauen. Nun musste mein Vater, der mittlerweile im Rang eines Majors stand, zum ersten Mal in seinem Erwachsenenleben eine zivile Arbeit finden. Er bekam schon bald eine Stelle als leitender Ingenieur bei dem Chemieunternehmen Ma'mal al-Harir in Hindiyya, das Rayon-Kunstfasern herstellte. Wir wohnten ein paar Jahre in Bagdad, bevor wir schließlich nach Hindiyya zogen, um meinem Vater das tägliche Pendeln zu ersparen. Für mich war das kein Problem. Ich fand schnell Freunde und gründete meine neue Fußballmannschaft, die Rayon Dynamos (das schäbige Trikot mit der Nummer 9, das ich damals trug, habe ich heute noch). Zusammen mit meinem Bruder schaltete ich am Samstagnachmittag den bbc World Service ein, um die englischen Fußballergebnisse zu hören. Der World Service bildete in unserem Haus sogar eine mehr oder weniger ständige Geräuschkulisse. Wenn möglich, besuchte ich regelmäßig die Bibliothek des British Council in Bagdad und besorgte mir Nachschub an englischen Büchern. Außerdem wuchs ich in dem Wissen auf, dass das Leben in einer Diktatur erträglich war, solange man den Kopf gesenkt hielt und nicht einmal im privaten Kreis die Regierung oder die Baath-Partei kritisierte.
Es war immer ein fröhlicher Ausflug für meine Familie und mich, wenn wir zu den hängenden Gärten von Babylon eine Autostunde südöstlich von Hindiyya fuhren. Die Ruinen dieses mythischen Ortes hatten für mich kaum etwas Geheimnisvolles, war ich doch bei Klassenfahrten schon oft dort herumgestreunt. Aber trotz der nicht gerade eindrucksvollen Ruinen und meiner aus Vertrautheit geborenen Gleichgültigkeit verlor ein solcher aufregender, unterrichtsfreier Tag nie seinen Reiz, und die archäologische Stätte strahlte nach wie vor etwas Machtvolles aus - flüsternd erzählte sie vom Glanz einer Zeit, die so unbegreifbar lange vergangen war. Einmal stießen wir bei einem Familienausflug - ich war gerade erst im Teenageralter - auf zwei Backsteinbrocken. Sie waren jeweils so groß wie eine Faust und trugen auf einer Seite eindeutig antike Keilschriftzeichen. Die Frage, ob mein Bruder, meine Mutter oder ich die Steine aufhob, ist bis heute Gegenstand eines humorvollen Familienstreits. Jedenfalls versteckte meine Mutter sie ganz unten in unserem Picknickkorb, und wir schmuggelten sie nach Hause.
Das klingt jetzt vielleicht nach einem empörenden Fall von Altertumsdiebstahl. Natürlich hätten wir einen solchen nationalen Schatz den örtlichen Behörden oder sinnvollerweise vielleicht besser dem Museum in Bagdad übergeben sollen. Aber wir behielten sie. Zu unserer Verteidigung kann ich anführen, dass ähnliche mit Keilschrift versehene babylonische Ziegelsteine überall um uns verstreut waren. Und im Vergleich mit den Schäden, die später in den Ruinen von Babylon angerichtet wurden - in den 1980er Jahren durch Saddam Husseins erstaunlich vulgären Wiederaufbau des Ishtar-Tores und 2003 durch die us-Streitkräfte, die einen ganzen Abschnitt einer der kostbarsten archäologischen Stätten der Welt dem Erdboden gleichmachten, um einen ebenen Landeplatz für Hubschrauber und einen Parkplatz für schwere Militärfahrzeuge zu schaffen - erscheint unser Diebstahl relativ harmlos.
Erst vor kurzem bat ich meinen Bekannten Irvine Finkle, den Kurator für das antike Mesopotamien am British Museum, sich die beiden Brocken einmal anzusehen. Er bestätigte, dass sie aus dem 7. Jahrhundert v. u. Z. und der Regierungszeit des Königs Nebukadnezar ii. stammten, also aus der Periode, in der die Hängenden Gärten gebaut wurden. Die Symbole sind offenbar Bruchstücke einer häufig vorkommenden Inschrift, die da lautet: »Nebukadnezar, König von Babylon, der für Esagila und Ezida sorgt [die Tempel der babylonischen Götter Marduk und Nabu], ältester Sohn von Nabopolassar.«
Das 7. Jahrhundert v. u. Z. mag sich für Europäer und erst recht für Amerikaner sehr altertümlich anhören, aber nach den archäologischen Maßstäben des Irak ist die Regierungszeit Nebukadnezars eigentlich das Mittelalter. Manchmal kann man es sich kaum vorstellen: Das Erbe derer, die sich heute im Irak darum bemühen, etwas Ähnliches wie ein normales Leben zu führen, reicht über 7000 Jahre bis zur Geburt einiger der allerersten Zivilisationen auf der Erde zurück. Die Überreste der Ubaid-Kultur im südlichen Irak wurden von Archäologen auf die Mitte des 6. Jahrtausends v. u. Z. datiert; die nachfolgende Uruk-Zivilisation, in deren Verlauf das Rad erfunden wurde und die auch andere technische Fortschritte wie das Verschmelzen von Metallen, die Töpferscheibe, das Siegel, die Form für Ziegelsteine und den Plan des Tempels miterlebte, wurde auf ungefähr 4100 v. u. Z. datiert. In Uruk machten die Menschen auch eine Erfindung, die vielleicht noch wichtiger war als das Rad: Hier gab es zum ersten Mal eine Schrift.
Der Rest ist, wie man so sagt, Geschichte.
Der erste mächtige Vorfahre der heutigen arabischen Bevölkerung des Irak war Sargon, der Semitenkönig der Akkader, der im 24. Jahrhundert v. u. Z. die Sumerer besiegte. Über Sargon weiß man nur wenig, aber vermutlich gründete er nicht weit vom heutigen Bagdad die neue Hauptstadt Akkad.
Schon wenig später erstreckte sich sein Reich vom Mittelmeer im Westen bis nach Persien im Osten, und er trug den Titel »König der vier Weltteile«.
Auf die Akkader folgte die Dynastie von Ur. Die Stadt Ur im Süden des Irak war nach Schätzungen um 2000 v. u. Z. zur größten Stadt der Welt herangewachsen und hatte mehr als 60 000 Einwohner. Von dort stammte angeblich Abraham, der Patriarch der drei großen monotheistischen Religionen: Judentum, Christentum und Islam.
Die erste Dynastie der Babylonier nahm ihren Anfang nicht lange danach. In ihrem Verlauf begegnet uns der größte aller antiken Könige im Irak: Hammurabi, der mehr als 40 Jahre lang regierte, nämlich von 1792 bis 1750 v. u. Z. Während seiner Herrschaft gab es die ersten Schulen der Welt und das erste geschriebene Gesetzbuch. Von allen großen Herrschern, die auf Hammurabi folgten - und das waren viele - reichte 1000 Jahre lang keiner an seine Leistungen heran; mit ihm vergleichbar war erst der Assyrerkönig Assurbanipal, der in der Nähe der heutigen Stadt Mosul im Norden des Landes die große Bibliothek von Ninive gründete.
Der Niedergang der irakischen Eigenherrschaft begann einige hundert Jahre vor der Geburt Christi und war der Beginn von mehr als zwei Jahrtausenden einer nahezu ununterbrochenen Besetzung von außen: durch Perser, Griechen, Mongolen, Türken und für kurze Zeit - von 1917 bis 1921 - die Briten; danach wurde der moderne irakische Staat geboren. Das große Abassidenreich, das von 750 bis 1258 u. Z. erhalten blieb, sollte man sicherlich nicht als Besatzungsmacht betrachten. Seine Kalifen waren aber über lange Zeit hinweg nur die Marionetten ausländischer Königshäuser, insbesondere im 10. und 11. Jahrhundert der persischen Bujiden und der türkischen Seldschuken.
Die erste persische Herrschaft in dem Land, das Mesopotamien genannt wurde (vom griechischen »Land zwischen zwei Flüssen« - Tigris und Euphrat - was im Wesentlichen dem heutigen Irak entspricht), endete 333 v. u. Z. mit der Niederlage gegen Alexander den Großen. Nach dem Tod Alexanders teilten seine Generäle das große Reich unter sich auf: Ägypten fiel an Ptolemäus, der von Alexandria aus herrschte, Asien kam unter die Herrschaft von Seleukos, der im Nordwesten Syriens seine neue Hauptstadt Antiochia errichtete. Die Stadt spielte später eine entscheidende Rolle für die Weitergabe wissenschaftlicher Kenntnisse von den Griechen an die Araber.
Als Anfang des 7. Jahrhunderts u. Z. der Islam aufkam, war der Mittlere Osten, wie wir ihn heute nennen, zwischen dem persischen und dem byzantinischen Reich aufgeteilt. Mit der von Arabien ausgehenden Ausbreitung der neuen Religion entwickelte sich jedoch ein mächtiges Reich, und mit ihm kamen eine blühende Zivilisation und ein prachtvolles Goldenes Zeitalter.
Die Geschichte der Region - und auch des Irak selbst - ist angesichts derart langer Zeiträume eine viel zu große Leinwand, als dass ich sie bemalen könnte. Stattdessen möchte ich mit diesem Buch etwas anderes tun: Ich mache mich an die ohnehin ehrgeizige Aufgabe, eine bemerkenswerte Geschichte zu erzählen; es ist die Geschichte eines Zeitalters, in dem große Genies die Grenzen des Wissens derart erweiterten, dass ihre Arbeiten die Zivilisation bis heute prägen.
Schon seit einiger Zeit ist es mein sehnlicher Wunsch, diese Geschichte einem größeren Publikum zu erzählen. Dass ich es jetzt tue, liegt an meiner Überzeugung, dass sie heute besonders zeitgemäß ist und großen Widerhall finden kann: Wir sollten untersuchen, was das kulturelle und wissenschaftliche Denken des Abendlandes den Arbeiten zu verdanken hat, die arabische und persische, muslimische, christliche und jüdische Denker und Wissenschaftler vor 1000 Jahren leisteten. In den Zeittafeln, die man in populärwissenschaftlichen Berichten über die Wissenschaftsgeschichte findet, haben in der Regel zwischen der Zeit der alten Griechen und der europäischen Renaissance keine größeren wissenschaftlichen Fortschritte stattgefunden. In dieser Zwischenzeit, so erzählt man uns, befanden sich Westeuropa und - so wird damit unterstellt - auch die übrige Welt 1000 Jahre lang im dunklen Mittelalter.
In Wirklichkeit war das Arabische für eine Zeit von 700 Jahren die internationale Sprache der Wissenschaft. Es war die Sprache des Korans, des heiligen Buches des Islam, und damit auch die Amtssprache des riesigen islamischen Reiches, das sich Anfang des 8. Jahrhunderts u. Z. von Indien bis nach Spanien erstreckte.
Ich muss auch von vornherein darauf hinweisen, dass ich es mir nicht zur Aufgabe gemacht habe, die Wissenschaftsgeschichte der ganzen Welt zu behandeln. Mir ist sehr wohl bewusst, welche reichhaltigen, vielfältigen wissenschaftlichen Errungenschaften in anderen Regionen - insbesondere in China und Indien - erzielt wurden; über diese beiden prachtvollen Kulturen wurden schon viele Bücher geschrieben - und viele weitere werden zweifellos noch verfasst werden. Aber das ist nicht meine Geschichte.
Für mein Vorhaben war es eine große Hilfe, dass ich kürzlich die bbc-Fernsehserie Science and Islam produzieren konnte. Anders als in der Serie genieße ich aber in diesem Buch den Luxus, sowohl die wissenschaftliche Seite als auch die damit verbundenen sozialen, politischen und historischen Einflüsse und Folgen gründlicher untersuchen zu können. Die umfangreichen Reisen, die ich während der Produktion der Serie in der islamischen Welt unternahm, waren in zweierlei Hinsicht nützlich. Erstens - und das war vermutlich am wichtigsten - machten sie das Thema für mich auf eine ganz andere Weise lebendig als die vielen Bücher und Fachartikel, in denen ich zuvor gewühlt hatte. Und zweitens verschafften sie mir die Gelegenheit, Wissenschaftler und Historiker aus ganz unterschiedlichen Umfeldern kennenzulernen und meine Gedanken mit ihnen zu diskutieren. Ich hoffe, ich lasse ihnen in diesem Buch Gerechtigkeit widerfahren.
Natürlich wird manch einer den Verdacht hegen, dass ich, der ich im Irak aufgewachsen bin, die muslimische Welt durch eine rosarote Brille sehe, dass ich ein voreingenommener Parteigänger bin und allen zeigen will, was für eine großartige, aufgeklärte Religion der Islam ist. Als Atheist habe ich aber am Islam kein spirituelles, sondern ein kulturelles Interesse. Wenn also das Glaubenssystem des Islam ohne den Ballast der falschen Vorstellungen und Fehlinterpretationen vieler heutiger Muslime und Nichtmuslime in meinem Bericht in einem positiven Licht erscheint, dann ist es eben so.
Der Begriff »Islam« weckt heute zweifellos in den Ohren vieler Nichtmuslime auf der ganzen Welt ein bequemes, negatives Klischee, das im Gegensatz zu unserer abendländisch-säkularen, rationalen, toleranten, aufgeklärten Gesellschaft steht. Vor dem Hintergrund einer solchen bequemen Einstellung mag man unter Umständen nur schwer anerkennen, dass vor 1000 Jahren die umgekehrte Rollenverteilung herrschte. Man denke nur an die Kreuzzüge: Welche Seite war damals die aufgeklärtere, die kultivierte, die »gute«? Selbst jene in der westlichen Welt, die sich des Beitrages der muslimischen Welt zur Wissenschaft vage bewusst sind, neigen häufig zu dem Gedanken, dort seien nur Wissenschaft und Philosophie der Griechen noch einmal aufgekocht worden, wobei ein seltsames kleines bisschen Originalität hinzukam und wie ein orientalisches Gewürz den Geschmack verbesserte. Ein dankbares Europa hätte demnach eifrig sein Erbe wieder für sich beansprucht, nachdem es in der Renaissance des 14. und 15. Jahrhunderts aus seinem langen Schlaf erwacht war.
Ich werde viele Fragen behandeln, von denen Wissenschaftshistoriker schon lange fasziniert sind. Einige davon lauten: Wie viele wissenschaftliche Kenntnisse besaßen die Araber tatsächlich? Wie wichtig waren die Beiträge von persischer Kultur, griechischer Philosophie und indischer Mathematik? Wie und warum erlebte die wissenschaftliche Gelehrsamkeit unter der Schirmherrschaft mancher Herrscher eine solche Blütezeit? Und, vielleicht am interessantesten: Warum und wann ging dieses Goldene Zeitalter zu Ende?
Als praktizierender Wissenschaftler und Humanist bin ich überzeugt, dass die »wissenschaftliche Methode«, wie wir sie nennen, und das Wissen, dass die Menschheit aus der rationalen Wissenschaft bezieht, uns viel mehr zu bieten haben als nur »einen Weg, die Welt zu betrachten«. Der von Vernunft und Rationalität getragene Fortschritt ist definitionsgemäß etwas Gutes; Wissen und Aufklärung sind stets besser als Unwissen. Während meiner Kindheit im Irak lernte ich in der Schule große Denker wie Ibn Sina (Avicenna), Al-Kindi und Ibn al-Haitham (Alhazen) nicht nur als entfernte historische Gestalten kennen, sondern als meine geistigen Urahnen. Im Westen haben sicher viele schon einmal beispielsweise von dem persischen Gelehrten Ibn Sina gehört. Viele andere große Namen jedoch sind mehr oder weniger in Vergessenheit geraten. Selbst im Irak begegneten mir diese Gestalten nicht im naturwissenschaftlichen Unterricht, sondern im Fach Geschichte. Der Grund: Auch in der muslimischen Welt werden Naturwissenschaften heute nach abendländischen Prinzipien unterrichtet. Dass Kinder in Europa lernen, Kopernikus, Galilei und Kepler seien die Väter der Astronomie gewesen und vor ihnen habe es nichts Erwähnenswertes gegeben, ist nicht verwunderlich; enttäuschender ist es aber, dass man den Kindern in der muslimischen Welt das Gleiche beibringt. Würden sie nicht vielleicht die Ohren spitzen und dem Unterricht aufmerksamer folgen, wenn sie erfahren würden, dass die meisten Sterne, die wir am Nachthimmel sehen, arabische Namen tragen? So sind beispielsweise die Namen von fünf der sieben Hauptsterne im Sternbild des Großen Bären (auch Ursa Maior oder Großer Wagen genannt) arabischen Ursprungs: Dubhe, Megrez, Alioth, Mizar und Alkaid.
Die Wissenschaftler, die in diesem Buch vorkommen, waren sowohl im buchstäblichen wie auch im übertragenen Sinn wahre Wegbereiter. Das Zitat zu Beginn des Buches über den Gelehrten Ibn Chaldun lässt sich aber auf alle anwenden, deren Geschichten und Leistungen ich erwähne. Sie alle betraten Neuland, indem sie das Wissen der Menschheit vorantrieben, und doch sind die meisten von ihnen vergessen.
Die Weitergabe wissenschaftlicher Erkenntnisse, insbesondere in Mathematik und Astronomie (die von den Historikern als »exakte« Wissenschaften bezeichnet werden), ist eines der leistungsfähigsten Hilfsmittel, wenn man Beziehungen zwischen unterschiedlichen Kulturkreisen aufbauen will. Andere Bereiche unseres Denkens, darunter Religion und Philosophie, werden langsamer übermittelt und dringen erst allmählich in eine Kultur ein, um sie zu beeinflussen. Die exakten Wissenschaften dagegen erfordern die unmittelbare Nutzung von Abhandlungen und anderen geschriebenen Arbeiten, so dass wir aus ihnen viel über die Verhältnisse der jeweiligen Zeit erfahren können. Und auch wenn meine Motive, ein vollständiges Bild der arabischen Wissenschaft zusammenzustellen, sich nicht von denen eines Historikers unterscheiden, sollte ich doch betonen, dass mein Hauptinteresse dem Ursprung und der Entwicklung von Wissenschaft selbst gilt. Aus diesem Grund kümmert es mich eigentlich nicht, ob die fragliche Wissenschaft von Griechen, Christen, Muslimen oder Juden betrieben wurde. Ich werde zwar ein Kapitel der Frage widmen, wie das islamische Reich die Wissenschaft der Griechen und anderer Kulturen erbte, vor allem aber geht es mir in diesem Buch um die Gedanken auf den Gebieten von Naturwissenschaft, Medizin, Philosophie und Mathematik, die im Islam des Mittelalters entstanden und heranreiften.
Für mich als theoretischen Physiker, der vor allem mit der inneren Funktionsweise des Atomkerns vertraut ist, war dies eine erfreuliche, erfrischende Unternehmung. Besonders freut es mich, dass ich viele Tatsachen aufdecken konnte, die andere entweder übersehen haben oder sie einer breiten Leserschaft nicht beschreiben mochten.
Die Entstehung dieses Buches dauerte drei Jahre. Während dieser ganzen Zeit befand ich mich auf einer unbarmherzig steilen, aber auch ungeheuer bereichernden Lernkurve. Bei den Recherchen und bei der Weiterbildung halfen mir viele Menschen; manche von ihnen sind Experten für arabische Wissenschaft, andere steuerten nachdenkliche Kommentare und hilfreiche Ratschläge bei. Sie alle lieferten Beiträge zu diesem Buch und halfen mir, es zu einem Werk zu machen, auf das ich ungeheuer stolz bin. Zuallererst danke ich meiner Frau Julie für ihre unermüdliche Ermutigung und Begleitung. Große Dankbarkeit schulde ich auch meinem Agenten Patrick Walsh und Will Goodlad, meinem Lektor bei Penguin Press; beide teilten meine Begeisterung für das Thema und halfen mir, meine anfangs schwerfälligen, zaghaften, vorläufigen Entwürfe zu einem selbstsicheren Endprodukt zu machen, das, so hoffe ich, sowohl wahrheitsgetreu als auch lesbar ist. Weiterhin danke ich Afifi al-Akiti, Ali al-Azzawi, Nader al-Bizri, Salim al-Hassani, Faris al-Khalili, Salima Amer, Amund Bjørnøs, Derek Bolton, Paul Braterman, Anna Croft, Misbah Deen, Okasha El Daly, Kathryn Harkup, Ehsan Masood, Peter Pormann, George Saliba, Mohammed Sanduk, Simon Schaffer, Andrea Sella, Paul Sen, Karim Shah, Adel Sharif, Ian Stewart, Rim Turkmani, Tim Usborne und Bernardo Wolf. Ihnen allen bin ich zutiefst dankbar.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
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Autoren-Porträt von Jim Al- Khalili
al-Khalili, JimJim Al-Khalili, geboren 1962 in Bagdad, ist britischer Professor für theoretische Atomphysik an der Universität von Surrey, wo er auch einen Lehrstuhl für Public Engagement in Science innehat. Außerdem ist er Autor zahlreicher Bücher und BBC- Sendungen zur Wissenschaftsgeschichte. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Michael Faraday Prize für Wissenschaftspublizistik der Royal Society. Vogel, SebastianSebastian Vogel, geboren 1955 in Berlin, ist promovierter Biologe und langjähriger Übersetzer. Neben den Werken Neil Shubins hat er Bücher von Richard Dawkins, Jared Diamond, Stephen Jay Gould und Steven Pinker ins Deutsche übertragen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jim Al- Khalili
- 2013, 3. Aufl., 460 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Sebastian Vogel
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596183588
- ISBN-13: 9783596183586
- Erscheinungsdatum: 10.12.2012
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