Im letzten Garten
Was...
Was erwarten wir vom Anblick ihrer Grabstätten? In dem Essay, den Günter Kunert für dieses Buch geschrieben hat, spricht er von "versuchter Zwiesprache". Eine Zwiesprache, für die sich die Gräber der Dichterinnen und Dichter natürlich besonders eignen, denn ihre Werke sind in Sprache gefasst und haben uns in ein inneres Gespräch mit ihren Schöpfern gebracht, unser Denken und Fühlen beeinflusst, ja möglicherweise unser Leben verändert. Peter Andreas hat rund 120 Gräber großer Dichterinnen und Dichter fotografiert, gut die Hälfte davon deutschsprachig, von Walther von der Vogelweide bis zu Ingeborg Bachmann. Hinzu kommen Franzosen, Engländer, Italiener, Russen u.a. Und neben die Grabbilder hat er Texte der Toten gestellt: Gedichte, Aphorismen und Sentenzen, Ausschnitte aus Erzählungen, Romanen, Schauspielen und Briefen. Was die Dichter zum Tod geschrieben haben, lässt keine Monotonie aufkommen und überrascht bisweilen: nicht nur Ernstes, Nachdenkliches, sondern auch Nüchternes, Spöttisches, Provokantes.
Was erwarten wir vom Anblick ihrer Grabstätten? In dem Essay, den Günter Kunert für dieses Buch geschrieben hat, spricht er von "versuchter Zwiesprache". Eine Zwiesprache, für die sich die Gräber der Dichterinnen und Dichter natürlich besonders eignen, denn ihre Werke sind in Sprache gefasst und haben uns in ein inneres Gespräch mit ihren Schöpfern gebracht, unser Denken und Fühlen beeinflusst, ja möglicherweise unser Leben verändert. Peter Andreas hat rund 120 Gräber großer Dichterinnen und Dichter fotografiert, gut die Hälfte davon deutschsprachig, von Walther von der Vogelweide bis zu Ingeborg Bachmann. Hinzu kommen Franzosen, Engländer, Italiener, Russen u.a. Und neben die Grabbilder hat er Texte der Toten gestellt: Gedichte, Aphorismen und Sentenzen, Ausschnitte aus Erzählungen, Romanen, Schauspielen und Briefen. Was die Dichter zum Tod geschrieben haben, lässt keine Monotonie aufkommen und überrascht bisweilen: nicht nur Ernstes, Nachdenkliches, sondern auch Nüchternes, Spöttisches, Provokantes.
Im letzten Garten von PeterAndreas
LESEPROBE
VersuchteZwiesprache oder:
Über die Sterblichkeit der Dichter
Im Judentum trägtder Friedhof die paradoxe Bezeichnung »Haus des Lebens«. Das lässt sich,bezogen auf die in Frieden Ruhenden, als Haus des Nachlebens interpretieren. Zusolchem Nachleben verhelfen, wie hier, den Dichtern ihre Leser.
Grabdenkmäler warenbei den Literaten nie ganz unumstritten. Während Benn anmerkte: »Was wäre dasLand ohne die Gräber der Dichter«, meinte August Strindberg: »Darum sollte derDichter kein Grab haben; man sollte vielmehr seine Asche in alle Winde streuen;nur in seinen Werken soll er leben, wenn die Lebenskraft besitzen.« Dennochzieht es uns zu den Gräbern der Berühmtheiten, als käme vor ihren Grabsteinenso etwas wie eine eigentümliche Berührung zustande. Unsere Gefühle angesichtsder steinernen Vermächtnisse lassen sich schwer in Worte fassen. Halten wir dasGrabmal für einen Stellvertreter? Oder wirkt sein Anblick authentischer alsjedes geschriebene Wort? Suchen wir eine fiktive Zwiesprache mit dem, der hierbegraben liegt?
Ich neige eher derBennschen Ansicht zu, dass die Gräber der Dichter für die Kontinuität desSchöpferischen einstehen; wir wären ärmer ohne diese Gräber mit ihren manchmalmerkwürdigen Erinnerungsbildern, es würde uns etwas fehlen: vielleicht dieBestätigung eines uns berührenden Seins, auch eines uns betreffenden Mementomori. Denn das Vergessen ist eine allgegenwärtige und unvergleichliche Macht,gegen die allein die Dichter, die Schriftsteller, überhaupt Künstler bis zueinem gewissen Grade gefeit zu sein scheinen. Dass just ihr Nachleben dauerndenBestand hat, liegt sicher daran, dass sie als individuelle Vermittleraufgetreten sind: als Vermittler zwischen dem, was wir »das Leben« nennen, undunserer mehr oder weniger bescheidenen Existenz. Wir sind fähig, durch die vonihnen, den Berühmtheiten, hinterlassenen Werke unser eigenes Dasein zuerweitern, es über den Status bloßer irdischer Anwesenheit hinauszuheben - umnicht zu sagen: zu transzendieren. Darin liegt die Größe der Literatur.
Aus einem Buch, daszu uns spricht, uns anspricht, gehen wir nach der Lektüre zwar nicht alsmoralisch gereinigte Personen hervor, aber dennoch in einem gewissen Maßeverändert. Literatur vermag unsere Sehweise, unseren Blick auf die Welt zubeeinflussen. Dabei handelt es sich keineswegs um intellektuelle Aufklärung,sondern, um einen Romantitel von Flaubert zu zitieren, um die Erziehung der Gefühle.Wer hätte nicht, lang, lang ist s her, mit Hingabe bis tief in die NachtBücher verschlungen, also eine animierende geistige Droge zu sich genommen,deren Folgeerscheinung kein Katzenjammer, sondern ein seelischer Gewinn gewesenist. Beim Lesen geschieht etwas Merkwürdiges: Wir glauben eine Stimme zu hören- die des Autors. Was uns da mitgeteilt wird, geht uns an, geht uns ein, gehtuns an die Nieren, sobald wir vom Erzählten oder dichterisch Verfasstenaffiziert sind.
Und wir machten undmachen uns stets ein Bild vom Autor, da er seine Persönlichkeit den Worten undSätzen eingeprägt hat. Oftmals stimmt das von uns imaginierte nicht mit demrealen Porträt überein. Ich erinnere mich, wie ich als junger Mann manchmalenttäuscht war, sobald ich das Foto eines von mir geschätzten Dichters sah. Fürmich hatte er so, wie ihn die Kamera oder das Gemälde zeigte, nicht auszusehen.Und gar diese stumpfen Totenmasken! In Gips erstarrt, leblos, keinesMienenspiels mehr fähig! Darauf hätte man zugunsten der Leser-Fantasieverzichten können. Selbst die Ton- und Filmaufnahmen der Berühmtheiten sinddurch ihre Zeitgebundenheit Parodien ähnlich geworden. Hört man Gottfried Bennseine Gedichte lesen, den hohen Ton, das fatale Bemühen, für das Mediumbesonders glanzvoll zu paradieren, möchte man eher den Apparat abschalten. Undwenn sich gar die Filmindustrie an den Standardwerken der Literatur vergreift,packt einen das Grausen. Ich habe Swanns Welt von Marcel Proust betreten undmich gehütet, mir die Verderbnis (mit Ornella Muti als Odette de Crécy) im Kinoanzusehen. Die Übertragung von Literatur in ein ihr fremdes Medium ist mitVerlusten reich gesegnet.
Der Dichter, derSchriftsteller verschwindet als Individuum auf Nimmerwiedersehen, unterZurücklassung einer Erbschaft, mit der wir je nach unseren Möglichkeiten (oderunserem Belieben) umgehen. Diese Erbschaft ist durch kein Patentamt vorGebrauch oder Missbrauch geschützt. Im Gegenteil. Die Werke und ihre Schöpferwerden, falls in irgendein ideologisches Konzept passend, benutzt, als wärensie billige Hausdiener. Sie werden zu Gehilfen der Herrschaft ernannt, ohnesich dagegen wehren zu können. Oder sie werden, falls nicht zweckdienlich, inden Orkus verbannt und dem Orwellschen Erinnerungsloch gnadenlos überantwortet.Auch tote Dichter haben es nicht immer leicht. Freilich lässt sich einwesentliches Phänomen bei diesem Vorgang nicht ignorieren. Die Zeit (oder wersie gerade kulturell steuert) kennt keine Konstanten. Was gestern unter Beifallverbrannt wurde, gehört heute zum Bildungskanon und vice versa.
Ein für Jahrhundertein der Versenkung verschwundener Erz-Poet, nämlich François Villon, bedurftezweier Umstände, um wieder aufzuerstehen: einerseits der wilden zwanzigerJahre, andererseits eines Kollegen, des Dichters Bertolt Brecht, der mit seinerDreigroschenoper Villon in die Gegenwart transponierte. Auch Michel deMontaigne war für Säkula aus dem Gedächtnis seiner Landsleute gestrichen, biseine spätere Epoche, die des Essays, ihn aufs Neue ans Licht zog. Also wirdeine bedeutende künstlerische Leistung niemals völlig aus dem Gedächtnis derMenschen gelöscht. Man könnte ironisch sagen, dass solche Scheintode geradezueine limitierte Bedingung für die Fortexistenz des tatsächlich Verblichenendarstellen.
Schon zu Lebzeitenaber haben die Literaten ein intimes Verhältnis zu Freund Hein. Nicht alleinVillon im 15. Jahrhundert, der, nach einem Duell für den Galgen vorgesehen, miteinem Gedicht seine Freiheit wiedererwarb; einem Gedicht, in dem er seinAbscheiden vorwegnimmt (»Ich hänge hier an einem Ast / und merk erst jetzt, wieschwer mein Podex wiegt «), auch ein Autor wie Thomas Mann gesteht in seinenAufzeichnungen, er sei beim Niederschreiben des Zauberbergs überzeugt gewesen,an Lungenschwindsucht erkrankt zu sein.
Häufiger als sogenannte normale Erdenbürger leiden Dichter und Schriftsteller extrem anHypochondrie. Doch die Hypochondrie, die uns in einzelnen Fällen geradezugrotesk erscheinen mag, hat ihre ganz speziellen Ursprünge. Sie ist sehrwahrscheinlich das psychosomatische Symptom innerer Spannungszustände, die sichals vorgebliche oder echte Krankheiten manifestieren. Und ebenso denkbar ist esauch, dass die Hypochondrie zu einem echten »Leiden zum Tode« führen kann.Unaufhörliche geistige Konzentration, emotional unterströmt, erzeugt jeneinnere Unrast und Unruhe, an welchen Autoren ihr Berufsleben lang laborieren.Der Kopf lässt sich nicht abschalten wie irgendein Gerät. Noch dasUnterbewusstsein ist als unfreiwilliger Mitarbeiter und Co-Autor angestellt.Sogar im Schlaf bleibt die Profession präsent. Auch wenn man im Moment eineranderen Beschäftigung nachgeht, nicht an einen unter der Feder befindlichenText denkt, produziert das neuronale Getriebe weiterhin Einfälle, Korrekturen,Änderungen, Zusätze, Streichungen, eben Verbalität. Es wirkt wundersam, ist jedochkein Wunder, entdeckt man nach Tagen, gar nach Wochen, wie sich das bis datoAufgezeichnete bereichern ließe. Endlich, endlich ist einem das richtige underlösende Wort eingefallen, nach dem man vergeblich gesucht hatte.
Für den Dichter gibt es keinenFeierabend - es sei denn der letzte Tag seiner Existenz überhaupt. Ein längstals abgegriffene Münze verbreiteter Begriff nennt diesen Zustand Obsession,Besessenheit, Getriebensein. Es erweist sich als Brandmal, dass der Schreibendevon seiner Leidenslust nicht lassen kann. Die Thomas-Mannsche-Sentenz, derSchriftsteller sei einer, dem das Schreiben schwer falle, bezieht sichkeineswegs auf den Umgang mit Grammatik und Syntax. Mit Vers, Reim undRhythmus. Sich selber primär und bis zur Selbstaufgabe in den Text verwandeln -das ist das Schwere, das nicht leicht zu machen ist. »Erst im Grabe ist Ruh «, heißt es bei Lenau.
Der Erzähler lebtund stirbt mit seinen Gestalten, damit deren Leben und Sterben wahrhaftigerscheine. So ist ihm, dem Autor, der Tod ständig nah. Ich kenne keineStatistik zur Höhe der Mortalitätsrate bei fiktiven Figuren - ich schätze, sieist ziemlich hoch. Das Happyend - Und wenn sie nicht gestorben sind, dann lebensie noch heute - ist ein Kennzeichen der Märchen und auch der Trivialliteratur.In der Kunst geht es anders zu: Dort ist der Schluss meist ein finaler und fürdie beteiligte Gestalt ein letaler, den sein Vollstrecker, der Autor, seelischnachvollzieht. Ein beunruhigender Mechanismus, der seine Auswirkungen undBegleiterscheinungen hat. Auch dies ist statistisch nicht erfasst, taucht nurab und zu in den Biografien auf. Wir wissen aber, dass Autoren, um besagteSpannungszustände abzubauen, zu Sedativa greifen: sei es Alkohol (wohl das amhäufigsten gebrauchte Mittel), seien es Drogen, Schmerztabletten, jedenfallsalles, was die Unrast, die Ruhelosigkeit zu besänftigen verspricht. DasUngewöhnliche des Metiers benötigt Gegengewichte. Denn die erwähnte Obsession,billigerweise Schreibzwang zu nennen, hat das Zeug zu einer ausgewachsenenNeurose in sich, die zu therapieren zugleich die Liquidierung der Kreativitätbedeuten würde. Daher hütet man sich vor dem Psychiater, in dem Bewusstsein,den einmal eingeschlagenen Weg unbedingt fortsetzen zu müssen.
»Der an einen SternGefesselte kehrt nicht um«, sagte Leonardo da Vinci; hinzufügen muss man:selbst wenn es ein Unstern ist, ein Unglücksstern. Denn glücklich ist wohlkeiner der Zunftgenossen, da der selbst geschaffene Druck nach dem nächstenWerk verlangt, und allein dieses, das wie immer geartete - Roman, Erzählungoder Gedicht -, ruft oft ein Glücksgefühl hervor, so dass immerhin eine (baldabklingende) Befriedigung eintritt, die zur Wiederholung drängt. Insofern lässtsich das Schreiben mit derSexualität vergleichen: Beide sind zeitlich unbeständig und verlangen nachWiederholung.
Keine Tragödie istfür den Betroffenen fürchterlicher als das Ver- siegen seiner künstlerischenPotenz. Auf Frau und Kind (» lass sie betteln geh n, wenn sie hungrig sind «) kann laut Heine verzichtet werden, auf Freunde und Familie, nicht jedochauf die Metamorphose des Selbst in ein unverwechselbares, ureigenesSprachgebilde. Das wäre der Tod bei lebendigem Leibe, dem manchmal der realefolgt, sobald die Qual des Verstummens unerträglich geworden ist. Es musskeinesfalls immer ein Pistolenschuss am Wannsee sein (wie bei Kleist), keinSprung in die Seine (wie bei Celan) - diverse Arten des langsamen Suizids sindwirksam genug, tauchen in den Biografien der Suizidäre allerdings selten genugauf. Man macht sich stillschweigend und sacht davon, ade, du schöne Welt, wirhaben einander nichts mehr mitzuteilen!
Der Leser macht sichkeine Gedanken über die bedrohlichen, ja lebens-gefährlichen Voraussetzungendes Schreibens. Man nimmt allgemein an, der Dichter, weder an Wecker nochStechuhr gebunden, leiste und vollende seine Arbeit nach Lust und Laune undführe ansonsten das Dasein eines freien Menschen. Ihm, dem Leser, der keineAhnung von der Psychopathologie derjenigen hat, deren Bücher er genießt, istein gnädigeres Schicksal beschieden, nämlich ein gewöhnlicheres. Das Buchentrückt den Autor den Augen des Lesers. Wohl meint er, dessen Stimme zuvernehmen, doch es ist seine eigene, die Stimme des Lesers selber, der sichdergestalt in Beziehung zum Text setzt. Das ist natürlich auch der Sinn undZweck der Literatur: den Leser zu sich selber zu führen.
Was aber, um denTitel eines Erzählungsbandes von Stefan Zweig, Die Leiden der Meister, zubenutzen, den Autor charakterisiert, hat die Antike schon gewusst und in einlegendäres Gleichnis gefasst. Als Perseus die Medusa geköpft hatte, jenesMonster, erhob sich aus dem hervorquellenden Blut Pegasus, das geflügeltePferd, das zum Symbol der Poesie wurde. Damit will ich meinen Kollegenkeinesfalls zu nahe treten, doch wenn von jenen merkwürdigen Leuten die Redeist, die sich an Leonardos Stern gefesselt haben, sollte das Besondere,Abartige, vielleicht sogar Monströse des Schreibens und Dichtens mitbedachtwerden.
GünterKunert
© Gerstenberg Verlag
- Autor: Peter Andreas
- 2005, 216 Seiten, 120 Abbildungen, Maße: 19,8 x 26 cm, Gebunden, Deutsch
- Fotos u. Textausw. v. Peter Andreas. Mit e. Essay v. Günter Kunert
- Verlag: Gerstenberg (Gebrüder)
- ISBN-10: 3806729409
- ISBN-13: 9783806729405
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