Im Visier
ImVisier von Norbert Juretzko
LESEPROBE
Einleitung
Alsich 1984 im Oktober meine Tätigkeit beim Bundesnachrichtendienst
begann,hätte ich nicht im Traum daran
gedacht,in die Situation zu kommen, in der ich heute bin.
Angefeindetvom BND, angeschuldigt von der Justiz und
bedrohtvon irgendwelchen Spinnern.
Aberder Reihe nach!
Etwazwei Jahre nach meinen ersten Gehversuchen bei
Deutschlandsgeheimster Behörde gab ich frustriert auf und
wünschtemir den Wechsel in eine »vernünftige« Verwendung.
Dennfür die Herren aus Pullach sollte meine zukünftige
Beschäftigungausschließlich darin bestehen, in Hannover
DDR-Postzu lesen, was meinen Vorstellungen aber
inkeiner Weise gerecht wurde. Diese mehr als dämliche
Arbeit,deren Sinn- und Rechtmäßigkeit ich schon damals
anzweifelte,lässt mich heute nur noch schaudern. Immerhin
hatteich - als junger Bundeswehroffizier und ehemaliger
Ausbildervon Einzelkämpfern - eine andere Auffassung
vonmeiner Tätigkeit beim BND, als die Privatpost
Fremderzu durchschnüffeln. Nachdem ich in der Außenstelle
Hannovermeine Arbeit quasi eingestellt hatte, blieb
derPersonalführung in Pullach jedoch nichts anderes
übrig,als mich umzubetten.
Solandete ich bei der Stay Behind Organisation des BND,
derenExistenz Ende der 1980er-Jahre (die Gladioaffäre des
BND)öffentlich wurde und damit sogleich ihr Aus bedeutete.
Immerhinhatte ich dort einige Kollegen, zumeist Soldaten,
getroffen,die ich sehr zu schätzen lernte und mit
denenich in die nächste Etappe meiner BND-Zeit ging. Das
warder Abzug der russischen Streitkräfte aus der DDR,
Anfangder 1990er-Jahre, und das Paradebeispiel für die
Unfähigkeitder Abteilungs- und Unterabteilungsebene im
Bundesnachrichtendienst.
Sofand ich mich mit einer Hand voll Ex-Stay Behindlern
inBerlin wieder. Mit vollmundigen Versprechungen hatte
manuns dorthin gelockt. Keine davon wurde eingehalten.
Dortwurschtelten wir bis 1995 mehr oder weniger vor uns
hin.Gemeinsam mit der amerikanischen DIA (dem militärischen
Pendantzur CIA) heuerten wir russische Quellen
an.Vornehmlich in Offizierskreisen. Die Führung in Pullach
hieltdas eher für uninteressant. Die nachrichtendienstlichen
Ergebnissewurden zwar von der Auswertung dankbar
undmit Anerkennung versehen aufgesogen, aber ansonsten
kümmertesich kaum jemand darum, was in Berlin
geschah.Es interessierte weder, dass unsere »Freunde« uns
belauschtenund uns zu korrumpieren versuchten, noch,
dasssie uns um Großteile der herangeschafften Informationen
prellten.Pullach war wie immer mit sich selbst beschäftigt
undscherte sich einen Dreck um die Berliner Enklave.
Sowar es kein Wunder, dass sich in der Dienststelle 12 YA
einskurriles Eigenleben entwickelte. Da wurde die Herkunft
dereinen oder anderen geheimen Information vertuscht
oderverschwiegen. Quellendaten wurden verändert
oderganz gefälscht, weil man zum Beispiel Angst davor
hatte,die amerikanischen Brüder könnten die Quellen eines
Tagesabwerben. Die Verantwortlichen in der Zentrale
schliefenseelenruhig und befassten sich - wenn überhaupt -
liebermit vagabundierenden Stasiakten als mit ihrer eigentlichen
Aufgabe.Die nachrichtendienstliche Chance hingegen,
diesich mit dem Abzug der Westgruppe der russischen
Truppenverband, erkannte niemand der Hochdotierten.
Dafürbrach auf der Berliner Arbeitsebene »Wildost« aus.
Mithilfeamerikanischer Gelder, niemand wusste so richtig,
wosie herkamen, niemand kontrollierte so richtig, wo sie
hingingen,wurde die russische Armee geplündert.
Ab1992 bereiste ich mit meinem Kollegen Freddy die
Plätzeund Orte in der Nähe von russischen Militärstandorten,
umQuellen anzubahnen. Das entstandene Chaos
durchdie Münchner Führungslosigkeit ließ uns zu Einzelkämpfern
undExoten werden. Der zügellose Handel, den
einigeder Kollegen mit ihren gewonnenen Informationen
trieben,gefährdete zunehmend unsere Arbeit und damit
auchunsere Quellen.
Anfang1995, die russische WGT hatte unser Land weitestgehend
verlassen,spitzte sich die Lage zu. Die Dienststelle
12YA war im Umzug nach Nürnberg begriffen, der
biszum Sommer abgeschlossen sein sollte. Da erfuhren
meinPartner und ich von Vorgängen, die nicht mehr verschwiegen
werdenkonnten. Einige der Verbindungsführer
hattenden Handel mit den Amerikanern offensichtlich
auchauf andere Nachrichtendienste ausgedehnt. Möglicherweise
sogarunter Absegnung der Dienststellenleitung. Ein
unkalkulierbaresRisiko war entstanden. Unsere Meldung
derVorgänge in München stieß auf ein geteiltes Echo. Die
AbteilungSicherheit nahm die Schilderungen wissbegierig
auf,die zuständige Führung innerhalb der operativen Beschaffung
reagiertedagegen gereizt und abweisend. Die ersten
Bemerkungengegen uns in Richtung »Nestbeschmutzer
«machten die Runde.
Alsverdeckter Ermittler der Sicherheitsabteilung bekam
ichin der Operation »Spielball« den Auftrag, alles über
etwaigeillegale Aktivitäten herauszufinden.
AufAnweisung der BND-internen Sicherheit musste ich
einGeheimpapier der russischen Streitkräfte lancieren und
denbetroffenen Kollegen zum weiteren Verkauf anbieten.
Dasmonatelange Doppelleben innerhalb der Behörde
brachtemich an den Rand meiner physischen und psychischen
Kräfte.
DasErgebnis von »Spielball« war verheerend. Es gab bei
verschiedenenMitarbeitern des Dienstes Hausdurchsuchungen
undVerhaftungen. Der Skandal wurde öffentlich,
diegerade erst eröffnete Nürnberger Zweigstelle wieder
geschlossen.Die amerikanischen Partner in einer Nacht- und
Nebelaktionaußer Landes geschafft. Die Verantwortlichen
imBND schienen mir gegenüber hasserfüllt zu sein.
Esfolgten anonyme Morddrohungen gegen mich und meine
Familie.Ich wollte den Dienst verlassen und meldete die
interneHatz gegen mich und meinen Partner Freddy dem
damaligenPräsidenten Konrad Porzner persönlich. Er und
dieKollegen der Sicherheitsabteilung bewegten mich zum
Bleiben.Grund waren Quelleninformationen und Hinweise,
dieFreddy und ich seit Jahren gesammelt hatten und
diebisher bei unseren Vorgesetzten unbeachtet geblieben
waren.Hinweise nämlich auf einen oder mehrere Maulwürfe
imBND. Die Sicherheitsleute wollten unbedingt in
dieserRichtung weiterermitteln.
Wirstimmten der Arbeit zwar zu, wollten aber dennoch
diewahre Identität unserer Quellen nicht preisgeben. Das
Misstrauengegen unsere eigene Firma war einfach zu groß
geworden.Die dienstinternen Ermittlungen führten zu
einerungeheuerlichen Vermutung. Der Chef der Sicherheitsabteilung,
erwar über Jahre hinweg Abteilungsleiter
deroperativen Beschaffung gewesen, geriet unter Verdacht
sowieeine weitere Person aus dem Bereich der Auswertung.
Inder Schlussphase der Ermittlungen fungierte ich nur
nochals Bote zwischen Quellen und Dienst. Wobei ich
zunehmenddazu überging, Zeiten, Orte und Herkunft der
Nachrichtenzu verschleiern. Das sollte mir später zum Verhängnis
werden.Ende 1997 feierten die Abwehrexperten
ihrenErfolg, nachdem das Bundesamt für Verfassungsschutz
alsunabhängiger Gutachter alle Unterlagen überprüft
hatte.Anfang 1998 begannen die politischen Mühlen
zumahlen. Angst vor dem größten BND-Skandal aller Zeiten
machtesich breit.
Am23. März 1998 eröffnete der Generalbundesanwalt
beimBundesgerichtshof ein Ermittlungsverfahren gegen
denbesagten Abteilungsleiter wegen des Verdachts geheimdienstlicher
Agententätigkeit.Am 7. Mai 1998 stellte er das
Verfahrenwieder ein. Die Politik war in der Zwischenzeit
nichtuntätig gewesen. Was die Sicherheitsexperten von
BNDund BfV in den vergangenen Monaten ermittelt und
fürmehr als ernst eingestuft hatten, entlarvten die Bundesanwälte
innur wenigen Tagen als vermeintlich wertlos und
falsch.Meine Tricks in Sachen Quellenschutz waren in diesem
Zusammenhangeine dankbare Tatsache, die sogleich
füralles herhalten musste. Am 19. Mai 1998 leitete die
MünchnerStaatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren
gegenmich und meinen Partner ein. Hauptvorwurf: Die
Hauptquelle»Rübezahl« gäbe es gar nicht, die Meldungen
seienerfunden und das Geld hätten mein Partner und ich
unsin die Taschen gesteckt.
Biszum Strafverfahren vergingen dann ganze dreieinhalb
Jahre.Von dem Hauptvorwurf blieb nichts übrig. Allerdings
wurdemir aus den Falschangaben, was Quellendaten
undHerkunft der Informationen anbetraf, ein Strick gedreht.
Daich nicht bereit war, meine Quellen als Beleg für
meineAussagen vor Gericht ziehen zu lassen, wurde ich
verurteilt.Zumindest gelang es meinem Anwalt in einem
Deal,die Informanten und meinen Freund Freddy schadlos
zuhalten. Ein Trost!
Dassdie Geschichte meiner Tätigkeit beim BND und was
ichdort erlebt hatte mit dem Buch Bedingt dienstbereit
nochlange nicht zu Ende berichtet und abgeschlossen ist,
warden meisten Lesern nach der Lektüre klar. Deshalb
standauch von Anfang an fest, dass die Geschichte weitererzählt
werdenmusste.
Natürlichkonnte ich mich beim Schreiben nicht über
juristischeZwänge und die damit verbundenen Einschränkungen
hinwegsetzen.Wenn ich will, dass die Öffentlichkeit
etwasüber das Innenleben der geheimsten deutschen
Behördeerfährt und ich dabei versuche strafrechtlich unbehelligt
zubleiben, muss ich Kompromisse und Gratwanderungen
eingehen.
Manchmalverkrampfte sich mir dabei die Hand. Ich
bittedas zu entschuldigen.
Aberes ist eben recht schwierig, die Hand zur Faust zu
ballenund trotzdem noch leserlich zu schreiben.
©Heyne Verlag
- Autor: Norbert Juretzko
- 2006, 286 Seiten, Maße: 14,2 x 22 cm, Geb. mit Su., Deutsch
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 345312037X
- ISBN-13: 9783453120372
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