In den Alpen
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In den Alpen von Elfriede Jelinek
LESEPROBE
Helfer: Ihr schläfrigen Kinder, legt euch hin! Und Sie, die übrigen, denen derSchreck noch im Gesicht hängt, schämen Sie sich nicht Ihrer Tränen und nichtIhrer Fröhlichkeit. Wir sind bei IhrenAngehörigen.
Kind: Aberein großer Teil meiner Angehörigen ist doch ohnediesbei mir! Darf ich vorstellen: Mama und Papa. Ihre langjährigen prophylaktischenMaßnahmen wurden teilweise von derFreizeitindustrie unterlaufen, und jetzt sind wir also alle mitsammen hier, auf ewigBeamte mit ihrer Frechheit den Lebenden gegenüber. Ist es nicht eine Art höherer Ironie, daß meine Eltern jetzt für immer bleiben müssen, mit mir zusammengespannt,wenn man ihre Drohungen zu Lebzeiten bedenkt? Sie waren der Meinung, ich hättegeglaubt, die klassischen Sportartenwie Schifahren und Radfahren hätten ausgedient. Zuletzt wollten sie sichin ihrer kleinen Pension selbst mehr aufjugendliches Publikum umstellen, dochzu spät, sie haben den Zug der Zeit nicht mehr erwischt, sondern denfalschen Zug genommen. Die Jungen sind ehmeist nur Tagesgäste und schnellwieder weg. Egal. Meine Eltern sind inzwischen ja noch schneller verschwundenals sie.
Helfer: Bitte, bewahren Sie Ruhe.
Kind: Wasbleibt mir übrig, da die Ruhe ja nicht mich bewahrt hat.Der Fahrer hat die Antwort erhalten, daß alles getanwerde, aber das war nur ein letzter Versuch mit der armenkleinen Ruhe, mit dem Erfolg, daß wir derzeit noch immer bewahren, was unsohnedies keiner nehmen will. Aber wer will schonRuhe in Kitz, am Hahnenkamm, oder am Kitz droben? Na ja. Passen wir halt weiter auf. Doch es kommt nichts mehr. Wirpassen auf, doch es geschiehtnichts. Mir kommt es ja jetzt schon wie eine Ewigkeit vor, daß zuletztetwas passiert ist. Ruhe im Grab. Haar, das auf Abgründen wächst. Abbildungen von Männern, die grölen, Figur A. Ichkomme mir ja
Opfer auf einmal! Bei dem, was Sie gezahlt haben, hätten Sie eh nicht über 200 Stück erwarten können.Ich glaube jedoch, das, was wirwissen, ist nur die Spitze desEisbergs. Das meiste wurde verschwiegen. Neulich ist einer hier spazierengegangen, der hat den Totenschädeleines seit Jahrzehnten vermißten Wanderers aufeinen Wegweiser gespießt gefunden. Etliche hat damals auch die Betonspinneerwischt, droben, auf der Dammkrone.Wutsch, waren sie weg, im Guß des Dammsverschwunden, gleich eingemauert, das Einmauern haben wir damals ja nochgekonnt, egal, was die Heimat von unsdachte. Egal, was die Heimat andrer von uns dachte. Die Spinne ist haltausgerutscht an ihrem Laufdraht. Opahat es mir oft vor dem Einschlafen erzählt. Damit ich nicht vorzeitig vorSchreck wieder aufwache.
Helfer: Na ja, von Abschreckung halten wir persönlich eherwenig, das hat früher vielleicht noch gewirkt. Das ist vorbei. Wir sprechen von Optimierung, nicht von Minimierung des Risikos. Es ist unsinnig undführt zum Gegenteil, wenn man Menschenihr Risikoverhalten ausreden will. Sie werden immer über Pisten rauschen wollen, die ungesicherter sind als ihr Dasein.
Kind: Jederwill auf einmal etwas an mir hinterlassen, und wäre eseine Kerze oder mein aufgerufener Name. Eine fauleAusflucht ist das, wo sie sich abladen, vorhin habensie es schon wieder im Fernsehn gezeigt. So ein Ereignis ereignet sichschließlich nicht oft, das ist beste Werbung,zur Hauptsendezeit. Live-Einschaltungen, wie kleine Grasflecken zwischen denFelsen der Familienserien und Talkshows: der Fluchtraum, nein, der Abschwingraum hinter dem Ziel, das ich nun nie mehrerreichen werde. Setz dich an denTisch, Kind. Hier ist kein Tisch. Hier müssen sie stehen, Mama und Papa, die mit mir umkamen, neben mir, mein dreijähriger Bruder ist daheimgeblieben, bei Oma und Opa. Diekönnen ihn jetzt ganz behalten. Er ist der einzige von uns, den sie behalten können. Ich habe meineUnschuld großzügig verströmt, meinKönnen dazu, ich habe mich mit denandren Kids ehrlich auseinandergesetzt, wobei wir gewiß nicht Gesundheitsförderung als erstes in unsren weißen, gierigen Augen-Greifarmenhatten. Und so habe ich auch meinenPlatz in der ersten Gruppe bekommen. Gut, daß die Freizeitindustrieinsgesamt eher potentieller Partner als Feindbild der präventiven Arbeit ist.Die erste Gruppe mit den besten Fahrern sowiedie Appelle »Paß auf!« und »Riskier nichts!« blieben bestenfallswirkungslos. Es war diesmal wirklich nicht unser Fehler. Auch von Abschreckunghalte ich wenig, angesichts der massiventechnischen Defekte der Gletscherbahn, die seit längerem bekannt waren, icherwähne nur den 28. Oktober, als es mitten im Tunnel zu einem technischen Defekt gekommen war. Zunächst fiel das Licht aus, dann blieb die Bahnstehen. Nach ungefähr einer Minutekonnten die Glücklichen, die damalsdrin waren, ihre Fahrt fortsetzen, die Gene-
ralprobe war gelungen. Wir sind dannleider mißglückt. Na, vom Standpunkt des Todes aus:Generalprobe mißglückt, Premiere gelungen. Einerfreut sich immer. Ich warte übrigens immer noch auf die Ausreden des Todes,warum ers erst beim zweiten Mal geschafft hat, besserals die der Betreibergesellschaft werden sie hoffentlichsein. Etwas mehr Mühe hat sich der Tod jedenfallsgegeben, ein ordentliches Tempo hat der draufgehabt, schließlich haben wirjugendlichen uns ja auch die Mühe gemacht,Risikokompetenz zu erwerben. Wir hatten nur wenige Jahre Zeit dafür. Warum hater mich genommen, der Tod, und andre sein lassen? Gruppe zwei und drei kamen mit der nächsten Bahn. Warum ich und die nicht? In diesen Gruppen sind doch traditionsgemäß immer die schwächeren Fahrer, sie sind eine Beleidigung der Majestät der Berge. So sehe ich das. Wir sind die kraftstrotzenden Burschen vom Land, wer kann daschon mithalten, wer kann da schon mit den Atem anhalten.
Helfer: Ich kann die Zunahme der Naturentfremdung direktvoraussagen, wenn ich einen Teller mit Schweinsbratenvor mir habe, obwohl ich mich dabei stets in einemGewirr von Sätzen verliere, die ich später dann im Fernsehnsagen soll. In der Natur würde mir das nicht passieren.
© Berlin Verlag
Autoren-Porträt von Elfriede Jelinek
"Für denmusikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und Theaterstücken,die mit außerordentlicher sprachlicher Leidenschaft die Absurditätgesellschaftlicher Klischees und deren zwingende Kraft enthüllen", so die Begründung der Schwedischen Akademie derWissenschaften, wird die österreichische Schriftstellerin Elfriede Jelinek 2004mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Sie ist damit die zweitedeutschsprachige Autorin seit Nelly Sachs und erst die zehnte Frau überhaupt,die diesen höchsten Literaturpreis erhält.
Elfriede Jelinek wurdeam 20.10.1946 in Mürzzuschlag in der Steiermarkgeboren und studierte zunächst Kompositionswissenschaften am WienerKonservatorium, später Kunstgeschichte und Theaterwissenschaften. Bereits imAlter von zwanzig Jahren beginnt sie, als freie Autorin zu arbeiten. Sieschreibt gesellschaftskritische Texte, in denen sie sich mit sozialerUngerechtigkeit, den Geschlechterrollen und der Bedeutung von Sexualität und Machtbeschäftigt. Insbesondere thematisiert sie immer wieder die Rolle der Frauinnerhalb einer patriarchalisch strukturierten Gesellschaft. Ihre Arbeitumfasst Lyrik, Prosa, Theaterstücke, Hörspiele und Drehbücher. Elfriede Jelinekmeldet sich auch politisch oft zu Wort. So hat sie den Österreichern immerwieder vorgeworfen, sich nicht mit ihrer Nazi-Vergangenheitauseinanderzusetzen. Nicht zuletzt deswegen ist die "ganz ungewöhnliche,völlig aus dem Rahmen fallende, radikale und extreme Schriftstellerin" (MarcelReich-Ranicki) auch immer wieder höchst umstritten.
Zu ihren bekanntestenWerken zählen der Roman "Die Klavierspielerin" (1983), der 2001 verfilmt wurdeund das Theaterstück "Burgtheater" (1985). Elfriede Jelinek erhieltzahlreiche Preise, darunter 1998 den Georg-Büchner-Preis und 2003 den Else-Lasker-Schüler-Dramatikerpreis. Mit demLiteraturnobelpreis wird ihr 2004 die höchste literarische Auszeichnungverliehen.
Autoren-Porträt von Elfriede Jelinek
"Für denmusikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und Theaterstücken,die mit außerordentlicher sprachlicher Leidenschaft die Absurditätgesellschaftlicher Klischees und deren zwingende Kraft enthüllen", so die Begründung der Schwedischen Akademie derWissenschaften, wird die österreichische Schriftstellerin Elfriede Jelinek 2004mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Sie ist damit die zweitedeutschsprachige Autorin seit Nelly Sachs und erst die zehnte Frau überhaupt,die diesen höchsten Literaturpreis erhält.
Elfriede Jelinek wurdeam 20.10.1946 in Mürzzuschlag in der Steiermarkgeboren und studierte zunächst Kompositionswissenschaften am WienerKonservatorium, später Kunstgeschichte und Theaterwissenschaften. Bereits imAlter von zwanzig Jahren beginnt sie, als freie Autorin zu arbeiten. Sieschreibt gesellschaftskritische Texte, in denen sie sich mit sozialerUngerechtigkeit, den Geschlechterrollen und der Bedeutung von Sexualität und Machtbeschäftigt. Insbesondere thematisiert sie immer wieder die Rolle der Frauinnerhalb einer patriarchalisch strukturierten Gesellschaft. Ihre Arbeitumfasst Lyrik, Prosa, Theaterstücke, Hörspiele und Drehbücher. Elfriede Jelinekmeldet sich auch politisch oft zu Wort. So hat sie den Österreichern immerwieder vorgeworfen, sich nicht mit ihrer Nazi-Vergangenheitauseinanderzusetzen. Nicht zuletzt deswegen ist die "ganz ungewöhnliche,völlig aus dem Rahmen fallende, radikale und extreme Schriftstellerin" (MarcelReich-Ranicki) auch immer wieder höchst umstritten.
Zu ihren bekanntestenWerken zählen der Roman "Die Klavierspielerin" (1983), der 2001 verfilmt wurdeund das Theaterstück "Burgtheater" (1985). Elfriede Jelinek erhieltzahlreiche Preise, darunter 1998 den Georg-Büchner-Preis und 2003 den Else-Lasker-Schüler-Dramatikerpreis. Mit demLiteraturnobelpreis wird ihr 2004 die höchste literarische Auszeichnungverliehen.
- Autor: Elfriede Jelinek
- 2002, 259 Seiten, Maße: 12,6 x 20,8 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: BERLIN VERLAG
- ISBN-10: 3827004578
- ISBN-13: 9783827004574
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
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