In einem Augenblick
Eine wahre Geschichte über Schicksal, Tapferkeit und Liebe
"Es gibt ein Vorher und ein Nachher. Es gibt einen Tag, einen Augenblick, in dem ein Leben abrupt endet und ein neues beginnt. In dem, ohne dass man bemerkt, was eigentlich vorgeht, das Leben 'anders' wird."
Bis Hasso von Bredow...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „In einem Augenblick “
"Es gibt ein Vorher und ein Nachher. Es gibt einen Tag, einen Augenblick, in dem ein Leben abrupt endet und ein neues beginnt. In dem, ohne dass man bemerkt, was eigentlich vorgeht, das Leben 'anders' wird."
Bis Hasso von Bredow diese Worte formulieren konnte, mussten er und seine Frau Catherine sich der bitteren Wahrheit stellen, dass er als Folge eines Schlaganfalls für immer gelähmt war. Dass er nie wieder sprechen, seine Frau umarmen oder mit seinen Kindern lachen würde. Dass sein einziger Kontakt zur Außenwelt der Lidschlag mit dem Auge bleiben würde.
Eine Autobiographie, die beeindruckend zeigt, wie man einem schweren Schicksal mit Tapferkeit, Liebe, Vertrauen und Humor trotzen kann.
Klappentext zu „In einem Augenblick “
"In einem Augenblick" ändert sich für Hasso und Catherine von Bredow die ganze Welt: Nach einem Schlaganfall leidet der 42-jährige Vater dreier Kinder am Locked-in-Syndrom. Bei vollem Bewusstsein, aber aufgrund der körperlichen Lähmung unfähig, sich durch Worte, Gestik oder Mimik verständlich zu machen, ist Hasso gefangen im eigenen Körper. Einzig das Zwinkern mit dem Augenlid ermöglicht ihm den Kontakt zur Außenwelt. Mühevoll bildet Hasso Wörter und Sätze, die ihm Catherine von den Augen abliest. Er diktiert ihr seine Empfindungen vom Moment des Schlaganfalls an, aber auch seine Erinnerungen an die gemeinsame Vergangenheit mit Catherine und der Familie. Nach Hassos Tod ergänzt Catherine seine Gedanken um ihre eigenen Tagebuch-Einträge.Eindringlich schildern Hasso und Catherine - jeweils aus ihrer eigenen Perspektive - wie die niederschmetternde Diagnose ihr Leben verändert und welch unerschütterlichen Überlebenswillen und Kämpfergeist sie zugleich freigesetzt hat
Lese-Probe zu „In einem Augenblick “
In einem Augenblick von Hasso und Catherine von BredowVorwort
... mehr
Ich war 24 Jahre alt, als ich dem jungen Mann, der mein Leben für immer verändern sollte, zum ersten Mal begegnete. Hochgewachsen, gut aussehend und mit einem natürlichen, unkomplizierten Charme gesegnet, glich er niemandem, den ich vorher oder nachher kennengelernt habe.
Hasso hätte sich selbst nie für jemand Besonderen gehalten. Aber jeder, der ihn kannte, hätte da widersprochen. Er wurde 1958 in Hannover in eine traditionsreiche deutsche Familie geboren, die ihm Integrität, ein starkes Selbstbewusstsein und Mut in widrigen Umständen auf den Weg gab. Hassos Erbe war es, schon von klein auf, nichts zu erwarten, aber immer alles zu geben.
Mir erschien er als unwiderstehliche Verbindung scheinbarer Widersprüche. Trotz einer manchmal durchscheinenden strengen Disziplin war Hasso warmherzig, großzügig und vor allem lustig. Er lachte gern und mochte es, andere zum Lachen zu bringen. Mit seinen tadellosen Manieren und seiner noblen Haltung wirkte er wie ein Gentleman alter Schule, was ihn von anderen unterschied und manchmal über seine entspannte, lustige Persönlichkeit hinwegtäuschte. Er hörte gern Rockmusik und Heavy Metal, begrüßte aber Damen, denen er vorgestellt wurde, mit Handkuss. Er trug Jeans und Leder, fühlte sich aber auch in einem traditionellen grünen Janker oder einem maßgeschneiderten Anzug wohl. Er hatte kein Geld, zeigte aber stets Bewusstsein für Geschichte und Ehre.
Er arbeitete am liebsten im Garten und ging mit den Kindern im Wald spazieren, mochte aber ebenso verräucherte Kneipen und nächtelange Saufereien mit Freunden. Hasso widmete sich all diesen einander widersprechenden Dingen mit gleicher Begeisterung und echter Freude und ohne irgendeinen Widerspruch darin zu sehen.
Als ich ihn im September 1982 in Deutschland traf, war er eine ansteckende Mischung aus Begeisterung und Idealismus. Wenige Stunden genügten, um mich zu überzeugen, dass ich ohne ihn nicht mehr leben konnte. Es war ein unglaublicher Augenblick. Noch am selben Tag sagte er mir, dass er sich entschlossen habe, den Rest seines Lebens mit mir zu verbringen. Er wirkte ruhig und war sich völlig sicher. »Es ist alles ganz klar«, sagte er. Und das war es auch. Er schwankte nie in seinen Entschlüssen und blieb immer standfest.
Der 1. Mai 2000 zog herauf wie jeder andere Tag auch. Ich wusste nicht, dass er der letzte Tag unseres gewohnten Lebens sein würde. Als der Tag zu Ende ging, hatte Hasso mit nur 42 Jahren einen seltenen und schweren Schlaganfall im Stammhirn erlitten. Ohne fortschrittliche Lebenserhaltungstechnik wäre er sicher daran gestorben. Es hatte keine Anzeichen gegeben, keine Vorwarnung. Die Aussichten waren düster. Er war vollständig gelähmt und wurde künstlich beatmet. Außer seinen Augenlidern, die er noch öffnen und schließen konnte, gehorchte nichts in seinem Körper mehr dem Gehirn. Dieser lebendige, lustige, charmante Mensch war jetzt unbeweglich und inkontinent, konnte weder sprechen noch essen, trinken oder richtig atmen.
Und als ob das nicht schlimm genug wäre, blieben sein Bewusstsein, seine Sinne und die Klarheit der Wahrnehmung völlig intakt. Eingeschlossen im Grab seines ansonsten gesunden Körpers war er sich seiner Lage voll bewusst und erlebte das Grauen in aller
Deutlichkeit mit. Der medizinische Begriff dafür ist »Locked-inSyndrom<<. Er war praktisch lebendig begraben.
Die Folgen waren verheerend. Die » Nacht seiner Seele<< war lang und dunkel. In den folgenden vier Jahren legte er einen spirituellen und emotionalen Weg zurück, den weder er noch jemand anderer für möglich gehalten hätte.
Erst an ein Krankenhausbett und danach an den Rollstuhl gefesselt, auf ständige Pflege angewiesen, sah sich Hasso einem Leben gegenüber, das sich so stark von seinem bisherigen unterschied, wie man es sich überhaupt nur vorstellen konnte. Nach fast einem Jahr im Krankenhaus, in dem sich sein Zustand nicht nennenswert verbessert hatte, schafften wir es schließlich gegen alle Widerstände, ihn zu uns nach Hause zu holen.
Für mich war Hassos Schlaganfall ein unerwarteter und schwerer Schicksalsschlag gewesen. Während er darum kämpfte, sich unter den Bedingungen seiner neuen Existenz selbst zu definieren, fand ich mich trotz meines intensiven Bedürfnisses, ihm zu helfen, damit konfrontiert, dass ich absolut nichts tun konnte, um sein Leiden zu erleichtern. Diese Tatsache stand von Beginn an fest: Nichts, was ich tun konnte, würde etwas bewirken. Alle meine Bemühungen verblassten vor der Schwere seiner Behinderung. Es gab überhaupt keine Möglichkeit für mich, etwas daran zu ändern, und der Mann, der für mich die Welt bedeutete, saß hinter den undurchdringlichen Mauern dieses Gefängnisses fest.
Unvermeidlicherweise hinterließen dieses erste Jahr und der Kampf um einen Weg nach vorn eine unauslöschliche Spur in ihm. Obwohl er die Sprache noch immer nicht wiedergefunden hatte, brannte er vor Begierde, sich mit seiner Welt, seiner Familie und seinen Freunden in Verbindung zu setzen, und spürte einen wachsenden Drang, seine Erfahrungen zu erzählen. Er wollte die Furchtbarkeit dessen schildern, was ihm passiert war, und einer
breiteren Öffentlichkeit berichten, was es heißt, »locked in<<, gefangen, zu sein. Während der langen Tage und Nächte im Krankenhaus hatte er das Konzept für sein Buch im Kopf geplant und strukturiert und Einzelheiten und Erinnerungen für die Zeit gespeichert, wenn er sie in den ersten Entwurf eines Texts verwandeln konnte.
Er fing mit dem für ihn typischen Schwung an. Eines Abends, nur wenige Tage nach seiner Heimkehr und zu meinem Erstaunen, buchstabierte er mir durch Öffnen und Schließen der Augenlider eine ganze Reihe von Wörtern. Obwohl ich daran gewöhnt war, dass er so seine Bedürfnisse und Gedanken ausdrückte, war ich zuerst verunsichert, weil sie scheinbar nichts mit der Situation zu tun hatten. Binnen Kurzem merkte ich allerdings, was er tat: Das, so erkannte ich plötzlich, war der Anfang seiner Geschichte, eines Buchs. Es sollte sein Weg aus dem Kreis der Stille werden. Sein Körper war zum Gefängnis geworden, aber sein Gehirn war intakt und sein Geist ungebrochen. Innerlich war er, obwohl schwer getroffen, immer noch derselbe Mensch und jetzt entschlossen, das mit seinem Buch zu beweisen. Es war seine Art, die Stimme wiederzugewinnen, die ihm genommen worden war.
Die Technologie wurde zu seinem Verbündeten an dieser Front. Obwohl er fast völlig gelähmt war und nur seinen Daumen ein klein wenig bewegen sowie die Augen öffnen und schließen konnte, »schrieb<< er diesen Bericht über seinen Schlaganfall und die Folgen von seinem Rollstuhl aus, zuerst, indem er mit Lidschlägen diktierte, dann mithilfe eines speziellen Computers und eines extrem empfindlichen Schalters. Die Schwere seiner Behinderung machte es sehr umständlich und furchtbar langsam, auf diese Weise zu schreiben. Aber er bestand darauf, täglich Stunde um Stunde in seinem Rollstuhl vor dem Computer zu sitzen, mühsam seine Gedanken zu formulieren und auf den Bildschirm zu
bringen. Buchstabe für Buchstabe wählte er mit seiner oft unzuverlässigen, zitternden Daumenbewegung aus der sprechenden Bildschirmtastatur aus, bis sich langsam Wörter bildeten, die sich aneinanderreihten und im Schneckentempo schließlich zu Sätzen wurden. Manchmal resultierten mehrere Stunden entsetzlich umständlicher Arbeit nur in einem einzigen Absatz von wenigen Sätzen, der in riesiger 72-Punkt-Schrift zur monoton dröhnenden Stimme des Scanners dargestellt wurde. An anderen Tagen schaffte er ein bisschen mehr; und schon nach einer kurzen Pause wollte er dann wieder weitermachen. So ging es Tag für Tag, bis schließlich, tatsächlich, allmählich ein Text entstand.
Obwohl es ihm unmöglich war, seinen Blick ausreichend scharf einzustellen oder die Augen so über den Bildschirm zu bewegen, dass er wirklich nachlesen konnte, was er geschrieben hatte, mühte er sich weiter und verließ sich zur Unterstützung auf sein Gedächtnis oder das, was ich ihm vorlas. Die quälende Langsamkeit des Ganzen war zweifellos äußerst frustrierend. Aber das war alles andere ja auch. Hier war wenigstens eine Art von Befreiung. Die Arbeit füllte die elende Leere dessen, was jetzt sein Leben war, und obwohl sie ihn oft erschöpfte, gab sie ihm endlich ein reales Gefühl der Kontrolle und der Möglichkeit, sich auszudrücken. Er hatte einen Weg gefunden, sich zu äußern und jedem klarzumachen, der vielleicht noch Zweifel hatte, dass unter der starren, gefrorenen Oberfläche seines gelähmten Körpers immer noch derselbe tiefe, schnelle Strom floss wie zuvor.
Die nächsten 18 Monate mühte er sich auf diese Weise ab. Er war wirklich bewegt, als Freunde und Familie ihn drängten, das Buch zu veröffentlichen, und ihn ermutigte ihre Begeisterung über die Abschnitte, die er ihnen zeigte, wenn sie neugierig auf den Text waren. » Ich brauche deine Hilfe dabei ... und zwar nicht wenig«, sagte er zu mir und wusste, dass er sich darauf verlassen
konnte. In der Endphase des Schreibens begann er über den Aufbau des Buches und die Gestalt des Textes nachzudenken, der, wie er wusste, noch umstrukturiert werden musste. Wegen der technischen Einschränkungen beim Schreiben hatte er nur immer weiterschreiben können, ohne Möglichkeit, den Text nochmals durchzusehen oder umzuarbeiten. Er löste dieses Problem, indem er der ersten vollständigen Version noch Zusatzinformationen beifügte, und ich musste dann die passenden Stellen finden, um sie dort einzubauen. Außerdem schrieb er detaillierte Anweisungen, wie der Text angeordnet werden sollte. Hin und wieder steuerte ich auch einige Ideen bei. Manchmal gefielen ihm meine Vorschläge, manchmal auch nicht. Und er zögerte nicht, seine Ablehnung oder Missbilligung meiner Ideen zu zeigen! Wir gerieten oft in Streit über Kleinigkeiten; aber letztlich war es sein Buch, und obwohl er wusste, dass ich mit seiner Fassung oft nicht ganz zufrieden war, wusste er auch, dass ich mich in die Endfassung nicht zu sehr einmischen würde. Abgesehen von einigen kleineren Änderungen an Form und Inhalt war ich hauptsächlich darauf bedacht, seinen Bericht vollständig und authentisch zu bewahren. Mit der Zeit entwickelte er zunehmend die Tendenz, seine Sätze zu komprimieren und zu verkürzen (um, wie ich vermute, noch bis ans Ende zu kommen, bevor seine Kräfte ihn verließen) und verließ sich auf meine Fähigkeit, sie zu entschlüsseln oder zu interpretieren. Das erforderte dann, dass ich sie ausformulierte, und ich verwendete viel von den »Extra-Informationen«, die er nach Abschluss des eigentlichen Textes verfasste, dazu, diese Abschnitte zu ergänzen, wobei ich immer versuchte, seine Formulierungen beizubehalten und sie in den Haupttext einzupassen.
Der Vorgang wurde vielfach von Krankheiten und Unwohlsein unterbrochen. Oft wurden wir vom Kurs abgebracht, durch Zeitmangel auf meiner Seite (eine Rund-um-die-Uhr-Pflegetätigkeit
gibt einem kaum Gelegenheit zum Korrekturlesen) und ebenso oft wegen seiner Erschöpfung, der überwältigenden Schwächeanfälle oder sogar Depression. Aber er raffte sich immer wieder auf und konzentrierte sich auf seine Aufgabe. Auch auf abgeschlossene Textteile kam er immer wieder zurück und schlug neue Formulierungen vor oder schrieb zusätzliches Material. Vieles davon war faszinierend und voller interessanter Einzelheiten.
Als ich die Widmung las, verstand ich nicht nur, wie wichtig das Buch für ihn als Mittel war, das Unvorstellbare begreifbar zu machen, sondern auch, wie groß sein innerer Drang zu schreiben war, und dass er dadurch den Kindern etwas von sich selbst geben wollte.
Nach seinem Tod brauchte ich sehr lange, um den Mut zu fin-den, dort weiterzumachen, wo er so viel zu früh aufhören musste. Ich machte mir Vorwürfe, weil regelmäßig Anfragen nach dem Buch kamen - es war mir peinlich, dass ich die Sache nicht zu Ende brachte. Aber ich fühlte mich der Aufgabe nicht gewachsen, und Hassos Traum von einer Veröffentlichung blieb lange ein Traum. Nach zwei Jahren fand ich dann endlich die Kraft, mich wieder mit dem Text zu befassen, den er so mühevoll geschaffen hatte, und daraus ein Manuskript zu machen, das ich einem Verlag vorlegen konnte.
Mehrere Monate später empfahl mir ein Freund einen Agenten, der vielleicht interessiert war, und mit viel Zittern und Zagen schickte ich die endgültige Fassung zum ersten Mal los. Als ich daraufhin zu einem Gespräch gebeten wurde, fiel es mir sehr schwer, über Hassos Zustand und sein Schreiben zu sprechen, und die folgende freundliche, aber definitive Ablehnung machte mich mutlos. Ich wollte aufgeben, aber wenigstens noch versuchen, genug Geld aufzutreiben, um das Buch im Selbstverlag herauszubringen. So würden es immerhin Familienangehörige und Freunde lesen
können. Als ich zufällig ganz in der Nähe auf einen Verleger stieß, brachte mich das in Kontakt mit dem Team, das dieses erste Stadium des Projekts durchführte. Ich hätte nicht mehr Glück haben können. Das Verständnis und die Unterstützung dieser Menschen führten zu 200 gebundenen und gedruckten Exemplaren von Hassos Manuskript, in einer hochwertigen, aber erschwinglichen Ausstattung. Die Bücher verschickte ich im ganzen Land und weltweit an Hassos komplette Familie, an sämtliche Freunde und Kollegen und alle, die ihn gemocht hatten. Und das, dachte ich damals, war's dann.
Was folgte, war sowohl eine Oberraschung als auch ein Anreiz, mich an die Arbeit zu machen: eine Flut von Briefen von den Empfängern wie auch von völlig Fremden, an die das Buch weitergegeben worden war. Ich fand ihre Worte tief bewegend. Alle waren, wie ein Freund schrieb, »im Innersten berührt<<. Einige, die Hasso vor dem Schlaganfall gekannt und gemocht hatten, erwähnten, wie »treffend und unvergesslich<< sie den charakteristischen Humor und die Ehrlichkeit seiner Worte fanden und dass sie den Text als eine Art Abschiedsgeschenk von ihm aufbewahren würden. Andere, die ihn erst in seinem Locked-in-Zustand kennengelernt hatten, sprachen von seinem Mut und seiner Wärme und bedauerten, ihn nicht vorher getroffen zu haben. »Das ist eine außergewöhnliche Geschichte, von jemandem erzählt, dessen starke Persönlichkeit, Tapferkeit und Mitgefühl auf jeder Seite spürbar sind<<, schrieb jemand, den ich gar nicht kannte, der aber bewegt genug war, um mir zu schreiben. Sämtliche Briefe drückten die Oberzeugung aus, dass Hassos Bericht weiter verbreitet werden sollte und seine Geschichte viel zu bemerkenswert sei, um einfach vergessen zu werden. Einige Mediziner baten sogar um weitere Exemplare, weil sie das Buch ihren Studenten, Pflegekräften und Kollegen empfehlen wollten. »Ärzte und Schwestern können
hier viel lernen - eigentlich sogar wir alle«, schrieb ein Facharzt. Wieder und wieder wurde ich gedrängt, den Bericht als reguläres Buch zu veröffentlichen, sodass er, wie ein lieber Freund schrieb, als »Denkmal des Besten im Menschen« und »Tribut an seinen Geist« bleiben könne.
Ich war überwältigt. Aber da war noch etwas anderes. Ich war sehr stolz auf den Effekt, den Hassos Mut auf andere gehabt hatte, und wie seine Anstrengungen, aus dem Gefängnis der Stille auszubrechen, das ihn umschloss, sich zu einer Leben verändernden, ja sogar Leben fördernden Kraft gewandelt hatten. Er hatte eine unglaubliche Entschlossenheit an den Tag gelegt, um das Buch Wirklichkeit werden zu lassen. Ich wusste, dass ich jetzt nicht aufgeben konnte, bis das Buch veröffentlicht wäre, und dass ich mich selbst erneut anstrengen musste, um das zu erreichen.
Es waren dann Hassos eigene Worte, die den Weg ebneten, zuerst durch die einfühlsame Reaktion der Frau, die unsere Agentin werden sollte, Sheila Ableman, dann durch die Aufnahme und inspirierte Anleitung des Teams bei Orion. Zögernd, wie ich gestehen muss, machte ich mich jetzt an die Aufgabe, die mich erwartete: über die Erfahrungen aus meiner eigenen Sichtweise zu schreiben. Dazu musste ich meine Tagebücher aus dieser Zeit wieder hervorholen und dann meine Stimme mit Hassos vereinen, indem ich einen Beitrag zum endgültigen Text leistete. Am Ende fand ich schließlich einen Weg, obwohl ich die Aufgabe schwierig und oft emotional erschöpfend fand, in eine so unerträgliche Vergangenheit zurückzukehren. Vielleicht habe ich sogar, indem ich ein eigenes Licht auf Hassos Leiden werfe, einen Weg entdeckt, aus meinem überwältigenden Gefühl des Verlusts ein vollständigeres Bild von dem zu gewinnen, was er durchlitten hatte, von unserem gemeinsamen Leben und davon, was er mir bedeutete. Meine Gefühle und Erinnerungen wurden eine Art eigene Sprache, eine Möglichkeit, das Unausdrückbare auszudrücken; eine Art Reise, glaube ich, sowohl zurück als auch vorwärts. Und immer trug ich dabei die Oberzeugung in mir, dass es mir dieser Kampf wert war, wenn Hasso dadurch, dass ich dieses Buch herausbrachte, endlich erzählen konnte, wie es wirklich war. Und ich würde damit mein Versprechen halten. Dieses kleine Buch ist zu etwas sehr Wichtigem geworden: Für Hasso war es eine Bestätigung seines Selbst; für uns alle, die wir ihm nahestanden, wird es ein Zeugnis seines Wesens und seines Muts bleiben.
Catherine, Januar 2009
Übersetzung: Dagmar Mallett
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2009 by Südwest Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Ich war 24 Jahre alt, als ich dem jungen Mann, der mein Leben für immer verändern sollte, zum ersten Mal begegnete. Hochgewachsen, gut aussehend und mit einem natürlichen, unkomplizierten Charme gesegnet, glich er niemandem, den ich vorher oder nachher kennengelernt habe.
Hasso hätte sich selbst nie für jemand Besonderen gehalten. Aber jeder, der ihn kannte, hätte da widersprochen. Er wurde 1958 in Hannover in eine traditionsreiche deutsche Familie geboren, die ihm Integrität, ein starkes Selbstbewusstsein und Mut in widrigen Umständen auf den Weg gab. Hassos Erbe war es, schon von klein auf, nichts zu erwarten, aber immer alles zu geben.
Mir erschien er als unwiderstehliche Verbindung scheinbarer Widersprüche. Trotz einer manchmal durchscheinenden strengen Disziplin war Hasso warmherzig, großzügig und vor allem lustig. Er lachte gern und mochte es, andere zum Lachen zu bringen. Mit seinen tadellosen Manieren und seiner noblen Haltung wirkte er wie ein Gentleman alter Schule, was ihn von anderen unterschied und manchmal über seine entspannte, lustige Persönlichkeit hinwegtäuschte. Er hörte gern Rockmusik und Heavy Metal, begrüßte aber Damen, denen er vorgestellt wurde, mit Handkuss. Er trug Jeans und Leder, fühlte sich aber auch in einem traditionellen grünen Janker oder einem maßgeschneiderten Anzug wohl. Er hatte kein Geld, zeigte aber stets Bewusstsein für Geschichte und Ehre.
Er arbeitete am liebsten im Garten und ging mit den Kindern im Wald spazieren, mochte aber ebenso verräucherte Kneipen und nächtelange Saufereien mit Freunden. Hasso widmete sich all diesen einander widersprechenden Dingen mit gleicher Begeisterung und echter Freude und ohne irgendeinen Widerspruch darin zu sehen.
Als ich ihn im September 1982 in Deutschland traf, war er eine ansteckende Mischung aus Begeisterung und Idealismus. Wenige Stunden genügten, um mich zu überzeugen, dass ich ohne ihn nicht mehr leben konnte. Es war ein unglaublicher Augenblick. Noch am selben Tag sagte er mir, dass er sich entschlossen habe, den Rest seines Lebens mit mir zu verbringen. Er wirkte ruhig und war sich völlig sicher. »Es ist alles ganz klar«, sagte er. Und das war es auch. Er schwankte nie in seinen Entschlüssen und blieb immer standfest.
Der 1. Mai 2000 zog herauf wie jeder andere Tag auch. Ich wusste nicht, dass er der letzte Tag unseres gewohnten Lebens sein würde. Als der Tag zu Ende ging, hatte Hasso mit nur 42 Jahren einen seltenen und schweren Schlaganfall im Stammhirn erlitten. Ohne fortschrittliche Lebenserhaltungstechnik wäre er sicher daran gestorben. Es hatte keine Anzeichen gegeben, keine Vorwarnung. Die Aussichten waren düster. Er war vollständig gelähmt und wurde künstlich beatmet. Außer seinen Augenlidern, die er noch öffnen und schließen konnte, gehorchte nichts in seinem Körper mehr dem Gehirn. Dieser lebendige, lustige, charmante Mensch war jetzt unbeweglich und inkontinent, konnte weder sprechen noch essen, trinken oder richtig atmen.
Und als ob das nicht schlimm genug wäre, blieben sein Bewusstsein, seine Sinne und die Klarheit der Wahrnehmung völlig intakt. Eingeschlossen im Grab seines ansonsten gesunden Körpers war er sich seiner Lage voll bewusst und erlebte das Grauen in aller
Deutlichkeit mit. Der medizinische Begriff dafür ist »Locked-inSyndrom<<. Er war praktisch lebendig begraben.
Die Folgen waren verheerend. Die » Nacht seiner Seele<< war lang und dunkel. In den folgenden vier Jahren legte er einen spirituellen und emotionalen Weg zurück, den weder er noch jemand anderer für möglich gehalten hätte.
Erst an ein Krankenhausbett und danach an den Rollstuhl gefesselt, auf ständige Pflege angewiesen, sah sich Hasso einem Leben gegenüber, das sich so stark von seinem bisherigen unterschied, wie man es sich überhaupt nur vorstellen konnte. Nach fast einem Jahr im Krankenhaus, in dem sich sein Zustand nicht nennenswert verbessert hatte, schafften wir es schließlich gegen alle Widerstände, ihn zu uns nach Hause zu holen.
Für mich war Hassos Schlaganfall ein unerwarteter und schwerer Schicksalsschlag gewesen. Während er darum kämpfte, sich unter den Bedingungen seiner neuen Existenz selbst zu definieren, fand ich mich trotz meines intensiven Bedürfnisses, ihm zu helfen, damit konfrontiert, dass ich absolut nichts tun konnte, um sein Leiden zu erleichtern. Diese Tatsache stand von Beginn an fest: Nichts, was ich tun konnte, würde etwas bewirken. Alle meine Bemühungen verblassten vor der Schwere seiner Behinderung. Es gab überhaupt keine Möglichkeit für mich, etwas daran zu ändern, und der Mann, der für mich die Welt bedeutete, saß hinter den undurchdringlichen Mauern dieses Gefängnisses fest.
Unvermeidlicherweise hinterließen dieses erste Jahr und der Kampf um einen Weg nach vorn eine unauslöschliche Spur in ihm. Obwohl er die Sprache noch immer nicht wiedergefunden hatte, brannte er vor Begierde, sich mit seiner Welt, seiner Familie und seinen Freunden in Verbindung zu setzen, und spürte einen wachsenden Drang, seine Erfahrungen zu erzählen. Er wollte die Furchtbarkeit dessen schildern, was ihm passiert war, und einer
breiteren Öffentlichkeit berichten, was es heißt, »locked in<<, gefangen, zu sein. Während der langen Tage und Nächte im Krankenhaus hatte er das Konzept für sein Buch im Kopf geplant und strukturiert und Einzelheiten und Erinnerungen für die Zeit gespeichert, wenn er sie in den ersten Entwurf eines Texts verwandeln konnte.
Er fing mit dem für ihn typischen Schwung an. Eines Abends, nur wenige Tage nach seiner Heimkehr und zu meinem Erstaunen, buchstabierte er mir durch Öffnen und Schließen der Augenlider eine ganze Reihe von Wörtern. Obwohl ich daran gewöhnt war, dass er so seine Bedürfnisse und Gedanken ausdrückte, war ich zuerst verunsichert, weil sie scheinbar nichts mit der Situation zu tun hatten. Binnen Kurzem merkte ich allerdings, was er tat: Das, so erkannte ich plötzlich, war der Anfang seiner Geschichte, eines Buchs. Es sollte sein Weg aus dem Kreis der Stille werden. Sein Körper war zum Gefängnis geworden, aber sein Gehirn war intakt und sein Geist ungebrochen. Innerlich war er, obwohl schwer getroffen, immer noch derselbe Mensch und jetzt entschlossen, das mit seinem Buch zu beweisen. Es war seine Art, die Stimme wiederzugewinnen, die ihm genommen worden war.
Die Technologie wurde zu seinem Verbündeten an dieser Front. Obwohl er fast völlig gelähmt war und nur seinen Daumen ein klein wenig bewegen sowie die Augen öffnen und schließen konnte, »schrieb<< er diesen Bericht über seinen Schlaganfall und die Folgen von seinem Rollstuhl aus, zuerst, indem er mit Lidschlägen diktierte, dann mithilfe eines speziellen Computers und eines extrem empfindlichen Schalters. Die Schwere seiner Behinderung machte es sehr umständlich und furchtbar langsam, auf diese Weise zu schreiben. Aber er bestand darauf, täglich Stunde um Stunde in seinem Rollstuhl vor dem Computer zu sitzen, mühsam seine Gedanken zu formulieren und auf den Bildschirm zu
bringen. Buchstabe für Buchstabe wählte er mit seiner oft unzuverlässigen, zitternden Daumenbewegung aus der sprechenden Bildschirmtastatur aus, bis sich langsam Wörter bildeten, die sich aneinanderreihten und im Schneckentempo schließlich zu Sätzen wurden. Manchmal resultierten mehrere Stunden entsetzlich umständlicher Arbeit nur in einem einzigen Absatz von wenigen Sätzen, der in riesiger 72-Punkt-Schrift zur monoton dröhnenden Stimme des Scanners dargestellt wurde. An anderen Tagen schaffte er ein bisschen mehr; und schon nach einer kurzen Pause wollte er dann wieder weitermachen. So ging es Tag für Tag, bis schließlich, tatsächlich, allmählich ein Text entstand.
Obwohl es ihm unmöglich war, seinen Blick ausreichend scharf einzustellen oder die Augen so über den Bildschirm zu bewegen, dass er wirklich nachlesen konnte, was er geschrieben hatte, mühte er sich weiter und verließ sich zur Unterstützung auf sein Gedächtnis oder das, was ich ihm vorlas. Die quälende Langsamkeit des Ganzen war zweifellos äußerst frustrierend. Aber das war alles andere ja auch. Hier war wenigstens eine Art von Befreiung. Die Arbeit füllte die elende Leere dessen, was jetzt sein Leben war, und obwohl sie ihn oft erschöpfte, gab sie ihm endlich ein reales Gefühl der Kontrolle und der Möglichkeit, sich auszudrücken. Er hatte einen Weg gefunden, sich zu äußern und jedem klarzumachen, der vielleicht noch Zweifel hatte, dass unter der starren, gefrorenen Oberfläche seines gelähmten Körpers immer noch derselbe tiefe, schnelle Strom floss wie zuvor.
Die nächsten 18 Monate mühte er sich auf diese Weise ab. Er war wirklich bewegt, als Freunde und Familie ihn drängten, das Buch zu veröffentlichen, und ihn ermutigte ihre Begeisterung über die Abschnitte, die er ihnen zeigte, wenn sie neugierig auf den Text waren. » Ich brauche deine Hilfe dabei ... und zwar nicht wenig«, sagte er zu mir und wusste, dass er sich darauf verlassen
konnte. In der Endphase des Schreibens begann er über den Aufbau des Buches und die Gestalt des Textes nachzudenken, der, wie er wusste, noch umstrukturiert werden musste. Wegen der technischen Einschränkungen beim Schreiben hatte er nur immer weiterschreiben können, ohne Möglichkeit, den Text nochmals durchzusehen oder umzuarbeiten. Er löste dieses Problem, indem er der ersten vollständigen Version noch Zusatzinformationen beifügte, und ich musste dann die passenden Stellen finden, um sie dort einzubauen. Außerdem schrieb er detaillierte Anweisungen, wie der Text angeordnet werden sollte. Hin und wieder steuerte ich auch einige Ideen bei. Manchmal gefielen ihm meine Vorschläge, manchmal auch nicht. Und er zögerte nicht, seine Ablehnung oder Missbilligung meiner Ideen zu zeigen! Wir gerieten oft in Streit über Kleinigkeiten; aber letztlich war es sein Buch, und obwohl er wusste, dass ich mit seiner Fassung oft nicht ganz zufrieden war, wusste er auch, dass ich mich in die Endfassung nicht zu sehr einmischen würde. Abgesehen von einigen kleineren Änderungen an Form und Inhalt war ich hauptsächlich darauf bedacht, seinen Bericht vollständig und authentisch zu bewahren. Mit der Zeit entwickelte er zunehmend die Tendenz, seine Sätze zu komprimieren und zu verkürzen (um, wie ich vermute, noch bis ans Ende zu kommen, bevor seine Kräfte ihn verließen) und verließ sich auf meine Fähigkeit, sie zu entschlüsseln oder zu interpretieren. Das erforderte dann, dass ich sie ausformulierte, und ich verwendete viel von den »Extra-Informationen«, die er nach Abschluss des eigentlichen Textes verfasste, dazu, diese Abschnitte zu ergänzen, wobei ich immer versuchte, seine Formulierungen beizubehalten und sie in den Haupttext einzupassen.
Der Vorgang wurde vielfach von Krankheiten und Unwohlsein unterbrochen. Oft wurden wir vom Kurs abgebracht, durch Zeitmangel auf meiner Seite (eine Rund-um-die-Uhr-Pflegetätigkeit
gibt einem kaum Gelegenheit zum Korrekturlesen) und ebenso oft wegen seiner Erschöpfung, der überwältigenden Schwächeanfälle oder sogar Depression. Aber er raffte sich immer wieder auf und konzentrierte sich auf seine Aufgabe. Auch auf abgeschlossene Textteile kam er immer wieder zurück und schlug neue Formulierungen vor oder schrieb zusätzliches Material. Vieles davon war faszinierend und voller interessanter Einzelheiten.
Als ich die Widmung las, verstand ich nicht nur, wie wichtig das Buch für ihn als Mittel war, das Unvorstellbare begreifbar zu machen, sondern auch, wie groß sein innerer Drang zu schreiben war, und dass er dadurch den Kindern etwas von sich selbst geben wollte.
Nach seinem Tod brauchte ich sehr lange, um den Mut zu fin-den, dort weiterzumachen, wo er so viel zu früh aufhören musste. Ich machte mir Vorwürfe, weil regelmäßig Anfragen nach dem Buch kamen - es war mir peinlich, dass ich die Sache nicht zu Ende brachte. Aber ich fühlte mich der Aufgabe nicht gewachsen, und Hassos Traum von einer Veröffentlichung blieb lange ein Traum. Nach zwei Jahren fand ich dann endlich die Kraft, mich wieder mit dem Text zu befassen, den er so mühevoll geschaffen hatte, und daraus ein Manuskript zu machen, das ich einem Verlag vorlegen konnte.
Mehrere Monate später empfahl mir ein Freund einen Agenten, der vielleicht interessiert war, und mit viel Zittern und Zagen schickte ich die endgültige Fassung zum ersten Mal los. Als ich daraufhin zu einem Gespräch gebeten wurde, fiel es mir sehr schwer, über Hassos Zustand und sein Schreiben zu sprechen, und die folgende freundliche, aber definitive Ablehnung machte mich mutlos. Ich wollte aufgeben, aber wenigstens noch versuchen, genug Geld aufzutreiben, um das Buch im Selbstverlag herauszubringen. So würden es immerhin Familienangehörige und Freunde lesen
können. Als ich zufällig ganz in der Nähe auf einen Verleger stieß, brachte mich das in Kontakt mit dem Team, das dieses erste Stadium des Projekts durchführte. Ich hätte nicht mehr Glück haben können. Das Verständnis und die Unterstützung dieser Menschen führten zu 200 gebundenen und gedruckten Exemplaren von Hassos Manuskript, in einer hochwertigen, aber erschwinglichen Ausstattung. Die Bücher verschickte ich im ganzen Land und weltweit an Hassos komplette Familie, an sämtliche Freunde und Kollegen und alle, die ihn gemocht hatten. Und das, dachte ich damals, war's dann.
Was folgte, war sowohl eine Oberraschung als auch ein Anreiz, mich an die Arbeit zu machen: eine Flut von Briefen von den Empfängern wie auch von völlig Fremden, an die das Buch weitergegeben worden war. Ich fand ihre Worte tief bewegend. Alle waren, wie ein Freund schrieb, »im Innersten berührt<<. Einige, die Hasso vor dem Schlaganfall gekannt und gemocht hatten, erwähnten, wie »treffend und unvergesslich<< sie den charakteristischen Humor und die Ehrlichkeit seiner Worte fanden und dass sie den Text als eine Art Abschiedsgeschenk von ihm aufbewahren würden. Andere, die ihn erst in seinem Locked-in-Zustand kennengelernt hatten, sprachen von seinem Mut und seiner Wärme und bedauerten, ihn nicht vorher getroffen zu haben. »Das ist eine außergewöhnliche Geschichte, von jemandem erzählt, dessen starke Persönlichkeit, Tapferkeit und Mitgefühl auf jeder Seite spürbar sind<<, schrieb jemand, den ich gar nicht kannte, der aber bewegt genug war, um mir zu schreiben. Sämtliche Briefe drückten die Oberzeugung aus, dass Hassos Bericht weiter verbreitet werden sollte und seine Geschichte viel zu bemerkenswert sei, um einfach vergessen zu werden. Einige Mediziner baten sogar um weitere Exemplare, weil sie das Buch ihren Studenten, Pflegekräften und Kollegen empfehlen wollten. »Ärzte und Schwestern können
hier viel lernen - eigentlich sogar wir alle«, schrieb ein Facharzt. Wieder und wieder wurde ich gedrängt, den Bericht als reguläres Buch zu veröffentlichen, sodass er, wie ein lieber Freund schrieb, als »Denkmal des Besten im Menschen« und »Tribut an seinen Geist« bleiben könne.
Ich war überwältigt. Aber da war noch etwas anderes. Ich war sehr stolz auf den Effekt, den Hassos Mut auf andere gehabt hatte, und wie seine Anstrengungen, aus dem Gefängnis der Stille auszubrechen, das ihn umschloss, sich zu einer Leben verändernden, ja sogar Leben fördernden Kraft gewandelt hatten. Er hatte eine unglaubliche Entschlossenheit an den Tag gelegt, um das Buch Wirklichkeit werden zu lassen. Ich wusste, dass ich jetzt nicht aufgeben konnte, bis das Buch veröffentlicht wäre, und dass ich mich selbst erneut anstrengen musste, um das zu erreichen.
Es waren dann Hassos eigene Worte, die den Weg ebneten, zuerst durch die einfühlsame Reaktion der Frau, die unsere Agentin werden sollte, Sheila Ableman, dann durch die Aufnahme und inspirierte Anleitung des Teams bei Orion. Zögernd, wie ich gestehen muss, machte ich mich jetzt an die Aufgabe, die mich erwartete: über die Erfahrungen aus meiner eigenen Sichtweise zu schreiben. Dazu musste ich meine Tagebücher aus dieser Zeit wieder hervorholen und dann meine Stimme mit Hassos vereinen, indem ich einen Beitrag zum endgültigen Text leistete. Am Ende fand ich schließlich einen Weg, obwohl ich die Aufgabe schwierig und oft emotional erschöpfend fand, in eine so unerträgliche Vergangenheit zurückzukehren. Vielleicht habe ich sogar, indem ich ein eigenes Licht auf Hassos Leiden werfe, einen Weg entdeckt, aus meinem überwältigenden Gefühl des Verlusts ein vollständigeres Bild von dem zu gewinnen, was er durchlitten hatte, von unserem gemeinsamen Leben und davon, was er mir bedeutete. Meine Gefühle und Erinnerungen wurden eine Art eigene Sprache, eine Möglichkeit, das Unausdrückbare auszudrücken; eine Art Reise, glaube ich, sowohl zurück als auch vorwärts. Und immer trug ich dabei die Oberzeugung in mir, dass es mir dieser Kampf wert war, wenn Hasso dadurch, dass ich dieses Buch herausbrachte, endlich erzählen konnte, wie es wirklich war. Und ich würde damit mein Versprechen halten. Dieses kleine Buch ist zu etwas sehr Wichtigem geworden: Für Hasso war es eine Bestätigung seines Selbst; für uns alle, die wir ihm nahestanden, wird es ein Zeugnis seines Wesens und seines Muts bleiben.
Catherine, Januar 2009
Übersetzung: Dagmar Mallett
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2009 by Südwest Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von CATHERINE VON BREDOW, HASSO VON BREDOW
Hasso und Catherine von Bredow lernten sich 1982 in Deutschland kennen. Wenige Jahre später zogen der erfolgreiche Geschäftsmann und die Lehrerin nach England. Mit 42 Jahren erkrankte Hasso nach einem Schlaganfall am Locked-in-Syndrom. Catherine quittierte daraufhin ihren Beruf und pflegte ihren Mann gemeinsam mit ihren Kindern zu Hause. Vier Jahre nach seiner Erkrankung starb Hasso an einer Lungenentzündung. Catherine von Bredow lebt mit ihren drei Kindern in der Nähe von London.
Bibliographische Angaben
- Autoren: CATHERINE VON BREDOW , HASSO VON BREDOW
- 301 Seiten, Maße: 13,5 x 21,5 cm, Hochw. Broschur mit Klappeinb.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3863654633
- ISBN-13: 9783863654634
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