Indigo - Im Sog des Meeres
"Die weißen Wände scheinen davonfließen zu wollen. Das Wasser, das mich umschließt, flüstert mir etwas zu. Seine Stimme hebt und senkt sich wie das ewige Auf und Ab der Gezeiten. Ich will dieser Stimme folgen. Ich will auf das Meer hinaus und dem Land den Rücken kehren." - Immer stärker, immer dringlicher wird der Ruf des Meeres. Immer schwerer wird es für Sapphire, ihm zu widerstehen. Verspricht er doch das, was sie sich am meisten wünscht: das Wiedersehen mit ihrem verschwundenen Vater. In ihr kämpfen die Elemente Wasser und Erde einen unerbittlichen Kampf.
"Indigo" zu lesen, ist wie mit einer gewaltigen Unterwasserströmung durch das Meer getragen zu werden. Faszinierend, geheimnisvoll, verführerisch. Man will, dass es nie aufhört.
- Erster Band einer dramatischen und suggestiven Fantasy-Trilogie
- Mystik und Realität außergewöhnlich verwoben
- Eine poetische Geschichte von der Magie des Meeres
Viel versprechende Lektüre, nicht nur für Jugendliche. - Maren Bonacker, Bulletin Jugend & Literatur
Eine schlüssige Story mit sehr schönen Unterwasser-Szenen. - Susanna Wengeler, BuchMarkt
Am Ende der Lektüre erlebe ich das Rauschen des Meeres, das Kreischen der Möwen und den salzigen Geruch der Gischt auf eine ganz neue Weise. - datenstrand.de
Indigo -Im Sog des Meeres von HelenDunmore
LESEPROBE
Man findet die Meerfrau von Zennor in der Zennor Church,wenn man weiß, wo man nachschauen muss. Sie ist aus altem, hartem, dunklem Holzgeschnitzt. Da es in der Kirche dunkel ist, muss man sich bücken, um sie genauzu erkennen. Man kann mit seinem Finger an ihrem Fischschwanz entlangstreichen.Jemand hat sie vor langer Zeit mit dem Messer aufgeschlitzt. Mit einemscharfen, wütenden Messer. Ich habe die Stelle sehr vorsichtig berührt, um derMeerfrau nicht ein weiteres Mal wehzutun. »Warum haben sie das gemacht, Dad?Warum haben sie ihr wehgetan?« »Ich weiß es nicht, Sapphy. Menschen tunmanchmal schreckliche Dinge, wenn sie böse sind.« Und dann erzählte mir Dad dieGeschichte von der Meerfrau. Ich war noch klein, aber ich kann mich an jedes Worterinnern. »Die Meerfrau von Zennor verliebte sich in einen Menschen «, begannDad. »Da sie aber ein Wesen des Meeres war, konnte sie nicht mit ihm an Landleben. Das hätte sie getötet. Doch sie konnte ihn nicht vergessen und ohne ihn lebenkonnte sie auch nicht. Nicht einmal schlafen konnte sie mehr, weil sie immerzuan ihn denken musste. Sie wollte nichts, als mit ihm zusammen sein.« »Wäre siean Land wirklich gestorben?«, fragte ich. »Ja. Meerwesen können ohne Wassernicht existieren. Wie auch immer, der Mann konnte sie auch nicht vergessen. DerAnblick der Meerfrau hatte sich tief in sein Bewusstsein eingegraben. Tag undNacht sah er sie vor sich. Und der Meerfrau erging es genauso. Bei Flut schwammsie in die Bucht und ließ sich dann den Fluss hinauftreiben, bis sie der Kircheso nah war, dass sie ihn im Chor singen hören konnte.« »Ich dachte, es sind dieMeerfrauen, die singen«, sagte ich. »In dieser Geschichte ist es der Mann, dergesungen hat. Schließlich ließ sich die Meerfrau ein letztes Mal von der Strömungbis zur Kirche treiben, und der Mann konnte es nicht ertragen, sie wiederverschwinden zu sehen. Also ist er mit ihr fortgeschwommen und wurde nie wiedergesehen. So wurde auch er zu einem Meerwesen.« »Wie war sein Name, Dad?« »MathewTrewhella«, antwortete er, indem er mich ansah. »Aber Dad, das ist doch deinName! Wie kommt es, dass er denselben Namen hat wie du?« »Reiner Zufall,Sapphy. Das alles ist vor hunderten von Jahren geschehen. Du weißt doch, dasses in dieser Gegend immer wieder dieselben Namen gibt.« »Und wie hieß dieMeerfrau?« »Sie hieß Morveren. Die Leute sagten, sie sei die Tochter desMeerkönigs, aber ich glaube nicht, dass das wahr ist.« »Warum nicht?« »Weil dasMeer keine Könige hat.« Dad schien sich seiner Sache so sicher zu sein, dassich ihn nicht fragte, woher er das wusste. Als kleines Kind denkt man, dass dieEltern alles wissen. Also wunderte ich mich auch nicht, dass Dad so viel überdas Meer wusste. Ich streichelte die hölzerne Meerfrau erneut und stellte mirvor, wie sie ausgesehen haben mochte, als sie sich mit ihrem wunderschönen,glänzenden Fischschwanz in der Strömung treiben ließ. Dann schoss mir einanderer Gedanke durch den Kopf. »Aber Dad, was ist mit den Leuten, die der Mannzurückgelassen hat? Was ist mit seiner Familie?« »Er hat sie niewiedergesehen«, sagte Dad. »Nicht einmal seine Eltern?« »Nein, nicht einmalsie. Er gehörte jetzt dem Meer an.« Ich versuchte, mir vorzustellen, wie eswäre, Mum und Dad niemals wiederzusehen. Schon bei dem Gedanken fing mein Herzpanisch zu rasen an. Ich konnte ohne sie nicht leben, das wusste ich ganzgenau. Ich blickte zu Dad hoch. Er schien mit seinen Gedanken weit fort zu seinund machte ein besorgtes Gesicht. Das gefiel mir nicht. Ich wollte ihn wiederzu mir zurückholen. »Fang mich doch!«, rief ich und rannte das Seitenschiffentlang bis zur Kirchentür. Obwohl die Tür schwer war und ein massives Schlosshatte, gelang es mir, sie aufzuziehen. »Du kriegst mich nicht!«, rief ich überdie Schulter, als ich aus dem Portal stürzte und die steinernen Stufenhinunterlief, bis ich den sonnigen Weg erreichte. Ich hörte die Kirchentür insSchloss fallen, dann sah ich Dad die Stufen hinabspringen. »Pass auf, Sapphy,jetzt hole ich dich!« Das ist schon lange her. Dad hat die Meerfrau nie wieder erwähntund ich auch nicht. Aber die Geschichte steck- te tief in mir drin, wie einunterirdischer Felsen, der den Rumpf eines Schiffes bei schlechtem Wetterplötzlich aufreißen kann. Ich wünschte, ich hätte die Meerfrau von Zennor niegesehen. Sie war wunderschön, doch sie machte mir Angst. (...)
© cbj Verlag
Übersetzung: Knut Krüger
- Autor: Helen Dunmore
- Altersempfehlung: 12 - 15 Jahre
- 2006, 1, 316 Seiten, Maße: 14 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: cbj
- ISBN-10: 3570130541
- ISBN-13: 9783570130544
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