Insel der Verlorenen
England, Ende des 18. Jahrhunderts: Richard Morgan ist ein angesehener Bürger der Stadt Bristol, ein liebevoller Ehemann und Vater. Doch als er seine Frau und seinen kleinen Sohn verliert, gerät sein Leben aus den Fugen ...
Unterhaltsam, packend und...
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Produktinformationen zu „Insel der Verlorenen “
England, Ende des 18. Jahrhunderts: Richard Morgan ist ein angesehener Bürger der Stadt Bristol, ein liebevoller Ehemann und Vater. Doch als er seine Frau und seinen kleinen Sohn verliert, gerät sein Leben aus den Fugen ...
Unterhaltsam, packend und historisch genau recherchiert - Colleen McCullough zeichnet mit meisterhaftem Können das authentische Schicksal des Waffenschmieds Richard Morgan aus Bristol nach. Nach dem Tod seiner Frau und seines Sohnes gerät der aufrechte und hart arbeitende Richard ins Räderwerk der englischen Justiz und wird unschuldig verurteilt. Zusammen mit rund achthundert weiteren Häftlingen wird er nach Australien in die neuen Strafkolonien verschifft. Ein Jahr dauert die unmenschliche Überfahrt, doch als die Schiffe schließlich Anker setzen, ist das Martyrium noch lange nicht beendet. In der menschenfeindlichen Umgebung beginnt der härteste Überlebenskampf überhaupt. Durch Mut, Besonnenheit und seinen Gerechtigkeitssinn erlangt Richard Morgan bald den Respekt von Mitgefangenen und Kommandeuren. Aber wird er je wieder ein freier Mann sein? Wird es je ein neues Glück für ihn geben am Ende der Welt?
Unterhaltsam, packend und historisch genau recherchiert - Colleen McCullough zeichnet mit meisterhaftem Können das authentische Schicksal des Waffenschmieds Richard Morgan aus Bristol nach. Nach dem Tod seiner Frau und seines Sohnes gerät der aufrechte und hart arbeitende Richard ins Räderwerk der englischen Justiz und wird unschuldig verurteilt. Zusammen mit rund achthundert weiteren Häftlingen wird er nach Australien in die neuen Strafkolonien verschifft. Ein Jahr dauert die unmenschliche Überfahrt, doch als die Schiffe schließlich Anker setzen, ist das Martyrium noch lange nicht beendet. In der menschenfeindlichen Umgebung beginnt der härteste Überlebenskampf überhaupt. Durch Mut, Besonnenheit und seinen Gerechtigkeitssinn erlangt Richard Morgan bald den Respekt von Mitgefangenen und Kommandeuren. Aber wird er je wieder ein freier Mann sein? Wird es je ein neues Glück für ihn geben am Ende der Welt?
Klappentext zu „Insel der Verlorenen “
Unterhaltsam, packend und historisch genau recherchiert - Colleen McCullough zeichnet mit meisterhaftem Können das authentische Schicksal des Waffenschmieds Richard Morgan aus Bristol nach. Nach dem Tod seiner Frau und seines Sohnes gerät der aufrechte und hart arbeitende Richard ins Räderwerk der englischen Justiz und wird unschuldig verurteilt. Zusammen mit rund achthundert weiteren Häftlingen wird er nach Australien in die neuen Strafkolonien verschifft. Ein Jahr dauert die unmenschliche Überfahrt, doch als die Schiffe schließlich Anker setzen, ist das Martyrium noch lange nicht beendet. In der menschenfeindlichen Umgebung beginnt der härteste Überlebenskampf überhaupt. Durch Mut, Besonnenheit und seinen Gerechtigkeitssinn erlangt Richard Morgan bald den Respekt von Mitgefangenen und Kommandeuren. Aber wird er je wieder ein freier Mann sein? Wird es je ein neues Glück für ihn geben am Ende der Welt?
Lese-Probe zu „Insel der Verlorenen “
August 1775 bis Oktober 1784Wir haben Krieg!", rief Mr James Thistlethwaite. Alle außer Richard Morgan hoben die Köpfe und sahen zur Tür. Dort stand eine massige Gestalt und schwenkte eine Zeitung. Einen Augenblick lang hätte man eine Stecknadel fallen hören können, dann redeten alle aufgeregt durcheinander. Nur am Tisch von Richard Morgan blieb es ruhig. Richard hatte kaum hingehört. Was war schon ein Krieg mit den dreizehn amerikanischen Kolonien, verglichen mit dem Schicksal des Kindes, das er auf dem Schoß hielt? Vetter James, der Apotheker, hatte das kleine Kerlchen vor vier Tagen gegen die Pocken geimpft. Jetzt wartete Richard Morgan in panischer Angst darauf, dass die Impfung anschlug.
"Komm rein, Jem, lies uns das vor", rief Dick Morgan, der Wirt und Richards Vater, über den Schanktisch.
Obwohl von draußen die Mittagssonne durch die dicken Butzenscheiben des Cooper's Arms schien, war der große Raum düster. Mr James Thistlethwaite marschierte also zum Schanktisch, auf dem eine Öllampe stand, und lehnte sich dagegen. Die großen Sattelpistolen in den Taschen seines schweren Mantels schlugen an das abgenutzte, fleckige Eichenholz. Mit der Brille auf der Nasenspitze begann er laut zu lesen.
Seine Stimme, ein beeindruckendes Organ, hob und senkte sich in dramatischen Kadenzen, und einiges von dem, was er sagte, drang sogar durch den Nebel von Richard Morgans Sorgen - Wortfetzen wie "in offener Rebellion" und "größte Anstrengungen, diese Rebellion niederzuschlagen und die Verräter ihrer gerechten Strafe zuzuführen".
Richard spürte die Verachtung im Blick seines Vaters und versuchte krampfhaft zuzuhören. Das Fieber hatte sicher schon angefangen. Bestimmt? Wenn ja, dann hatte die Impfung angeschlagen. Aber wenn sie angeschlagen hatte, dann gehörte William Henry vielleicht zu denen, bei denen die Krankheit sich voll entfaltete. Würde er trotz der Impfung sterben? Gütiger Gott, nein!
Mr James Thistlethwaite kam zum Schluss der Rede des
... mehr
Königs.
"Die Würfel sind gefallen!", donnerte er. "'Die Kolonien müssen sich entweder unterwerfen oder triumphieren!'"
"Was für eine seltsame Ausdrucksweise für einen König", sagte der Wirt. "Seltsam?"
"Es klingt so, als ob der König einen Triumph der Kolonien für möglich hält."
"Oh, das bezweifle ich sehr, Dick. Sein Redenschreiber - vermutlich ein obskurer Staatssekretär seines Günstlings Lord Bute - hat sich von seiner Formulierungskunst mitreißen lassen. Dick?" Mr Thistlethwaite deutete mit dem Zeigefinger auf seinen Mund.
Der Wirt grinste und füllte einen kleinen Zinnbecher mit Rum. Dann drehte er sich um und machte mit Kreide einen Strich auf die Schiefertafel an der Wand.
"Dick! Meine Neuigkeiten sind einen Schluck auf Kosten des Hauses wert!"
"Nein, wir hätten sie früher oder später sowieso gehört. Ich betreibe ein anständiges Wirtshaus, keine Säuferhöhle für Presspatrouillen."
"Das ist ein non sequitur", erwiderte Mr Thistlethwaite, setzte sich an Richards Tisch und fasste dem Baby zärtlich unters Kinn. "Das eine folgt nicht aus dem anderen."
"Lass die gelehrten Floskeln, Jem. Wir sind einfache Leute aus Bristol, keine Horace Walpoles." Der Wirt stützte sich mit den Ellenbogen auf den Schanktisch, der an den entsprechenden Stellen bereits zwei kleine Vertiefungen aufwies, und starrte Mr Thistlethwaite in seinem schweren Mantel mit den Pistolen an. Der war doch total übergeschnappt! Es war ein drückend heißer Sommertag. "Im Ernst, Jem, so ganz überraschend kommt das nicht, aber ein Schock ist es natürlich trotzdem."
Niemand sonst mischte sich in ihre Unterhaltung ein. Dick Morgan hatte ein gutes Verhältnis zu seinen Stammgästen, und Jem Thistlethwaite war in Bristol schon lange als exzentrischer Intellektueller bekannt. Die anderen Gäste begnügten sich daher mit der Zuhörerrolle und verleibten sich währenddessen das Getränk ihrer Wahl ein - Rum, Gin, Bier und Bristol-Milch.
Die beiden Morgan-Frauen waren im Schankraum unterwegs, sammelten leere Gläser ein und brachten sie Dick zum Nachfüllen. Die Strichliste auf der Schiefertafel wuchs. Bald war Essenszeit. Der Geruch frischen Brotes, das Peg Morgan von Bäcker Jenkins mitgebracht hatte, überlagerte die anderen Gerüche, die bei Niedrigwasser zu einem Wirtshaus in unmittelbarer Nachbarschaft des Bristoler Hafens gehörten. Die meisten anwesenden Männer, Frauen und Kinder würden bleiben, um sich an ebendiesem frischen Brot gütlich zu tun. Dazu gab es einen Klumpen Butter, einen Kanten Somerset-Käse und einen dampfenden Zinnteller mit Rindfleisch und Kartoffeln, die in einer dicken Soße schwammen.
Dick Morgan sah seinen Sohn finster an. Richard wusste, dass sein Vater ihn für zu weich und sentimental hielt. Unglücklich suchte er nach Worten. "Wahrscheinlich haben wir gehofft, die anderen Kolonien würden Massachusetts nach ihrer anfänglichen Warnung nicht beistehen", sagte er unsicher. "Wie konnten sie glauben, der König würde sich dazu herablassen, ihren Brief zu lesen? Oder, selbst wenn er es getan hätte, ihren Forderungen nachgeben? Sie sind doch Engländer! Der König ist auch ihr König."
"Geschwätz, Richard!", sagte Mr Thistlethwaite scharf. "Die überspannte Sorge um dein Kind verwirrt deinen Denkapparat zusehends! Der König und seine scheinheiligen Minister sind gerade dabei, unsere schöne Insel in eine Katastrophe zu stürzen. Achttausend Tonnen Fracht aus Bristol sind in weniger als einem Jahr ungelöscht aus den dreizehn Kolonien zurückgekommen! Die Sergestoffmanufaktur in Redcliff ist pleite, und die vierhundert Seelen, die dort Arbeit hatten, fallen jetzt der Gemeinde zur Last. Ganz zu schweigen von der Fabrik beim Port Wall, die bemalte Leinwandteppiche für Carolina und Georgia herstellt, und von den Pfeifenmachern, Seifensiedern, Flaschenmachern, Zucker- und Rumfabrikanten - um Gottes willen, meine Herren! Der größte Teil unseres Handels geht über den Atlantik und kein geringer Teil davon in die dreizehn Kolonien! Ein Krieg mit den Kolonien ist wirtschaftlicher Selbstmord!"
Der Wirt hatte die Zeitung genommen und überflogen. "Ich sehe hier, dass Lord North eine - eine 'Proklamation zur Niederschlagung der bewaffneten Rebellion' veröffentlicht hat. Das heißt vermutlich, dass es beim Heer wieder Arbeit gibt. Gott habe Mitleid mit den armen Soldaten und beschütze sie."
Von der Marine sagte er nichts. In Bristol kannte und fürchtete jedermann den gefräßigen Schlund, der Männer verschluckte, meist ohne sie lebendig und bei guter Gesundheit wieder auszuspucken. Und die Kapitäne der Handelsflotte waren um kein Haar anständiger, noch pressten sie weniger rücksichtslos. Sie bezahlten ihre Matrosen genauso schlecht und peitschten sie genauso oft aus. Besonders auf Sklavenschiffen starben die Matrosen schneller als die Schwarzen, wenn das überhaupt möglich war.
"Wir können diesen Krieg gar nicht gewinnen", sagte Mr Thistlethwaite und streckte Mag Morgan seinen Becher entgegen.
Richard wollte das nicht unwidersprochen lassen. "Aber sieh mal, Jem, wir haben nach sieben Kriegsjahren Frankreich geschlagen - wir sind das größte und tapferste Land der Welt. Der König von England verliert seine Kriege nicht."
"Wenn er sie gegen unsere unmittelbaren Nachbarn führt oder gegen Heiden oder ungebildete Wilde, die von ihren eigenen Herrschern verkauft werden. Aber die Einwohner der amerikanischen Kolonien sind, wie du ganz richtig sagst, Engländer. Sie sind zivilisiert und mit unserer Lebensart vertraut. Sie sind Blutsverwandte." Mr Thistlethwaite lehnte sich zurück, seufzte und zog die vom Grog prächtig zum Blühen gebrachte Knollennase kraus. "Sie fühlen sich nicht ernst genommen, Richard. Ausgenutzt, bespuckt, mit Herablassung behandelt. Engländer sind sie, ja, aber doch nicht gleichberechtigt. Und sie sind sehr weit weg, eine Schwierigkeit, die der König und seine Minister noch gar nicht erkannt haben. Man könnte natürlich sagen, die Marine gewinnt unsere Kriege - wie lange ist es her, dass unser Schicksal von einem Heer abhing, das außerhalb der britischen Inseln kämpfte? Aber wie können wir einen Seekrieg gegen einen Feind gewinnen, der keine Schiffe hat? Wir werden zu Land kämpfen müssen. In dreizehn verschiedenen Kolonien, zwischen denen es kaum Verbindungen gibt. Und gegen einen Feind, der im Grunde gar keine richtige Armee hat."
"Du hast gerade dein eigenes Argument entkräftet, Jem", sagte der Wirt lächelnd, aber ohne nach der Kreide zu greifen, als er Mag einen frischen Becher mit Rum gab. "Unsere Armeen sind haushoch überlegen. Die Kolonisten werden ihnen nicht standhalten können."
"Einverstanden, vollkommen einverstanden!", rief Jem. Er hob den Becher und prostete dem Wirt zu, der nur selten etwas spendierte. Dick Morgan war wie die meisten Bürger Bristols ein hart kalkulierender Geschäftsmann. "Die Kolonisten gewinnen vielleicht keine Schlacht, aber das müssen sie ja auch gar nicht, Dick. Sie müssen nur durchhalten. Weil sie im eigenen Land kämpfen, nicht in England." Jem fasste in die linke Tasche seines Mantels. Heraus kam die schwere Pistole und landete polternd auf dem Tisch. Die anderen Gäste schrien entsetzt auf - und Richard, der seinen kleinen Sohn auf dem Schoß hielt, schob die Mündung blitzschnell zur Seite. Die Pistole war, wie jedermann wusste, geladen. Ohne die Bestürzung wahrzunehmen, die er verursacht hatte, wühlte Mr Thistlethwaite in den Tiefen seiner Tasche und zog schließlich einen Stoß zusammengefalteter Zeitungen heraus. Nacheinander blätterte er sie durch. Seine blassblauen, blutunterlaufenen Augen erschienen durch die Brille vergrößert, seine dunkel gelockten Haare hatten sich aus dem Band gelöst, mit dem er sie achtlos zurückgebunden hatte. Denn Mr James Thistlethwaite trug weder Perücke noch Zopf.
"Aha!", rief er schließlich und schwenkte ein Nachrichtenblatt aus London. "Vor siebeneinhalb Monaten, meine Damen und Herren hier im Cooper's Arms, fand eine Debatte im Oberhaus statt, bei der der große alte William Pitt eine Rede hielt, die als seine bedeutendste gilt. Er verteidigte die Kolonisten, die er..., ja, hier steht's, 'loyale und ehrbare Menschen' nannte. Aber es sind nicht seine Worte, die ich zitieren will." Mr Thistlethwaite schenkte Richard einen freundlichen Blick, der schützend die Arme um seinen Sohn gelegt hatte. Richard war immer noch über die geladene Pistole empört. "Es sind die Worte des Herzogs von Richmond, die mich begeistern. Ich zitiere: 'Sie können Tod und Elend verbreiten, aber das hat mit Regieren nichts zu tun!' Wie wahr, wie grundwahr! Und jetzt kommt eine Stelle, die ich für eine große philosophische Wahrheit halte, obwohl die Lords schnarchten, als der Herzog sie vortrug. 'Kein Volk kann dazu gezwungen werden, sich einer Staatsform zu unterwerfen, die es nicht haben will.'"
Jem sah sich um und nickte. "Deshalb sage ich, dass alle Schlachten, die wir gewinnen, nichts nützen und am Ausgang des Krieges nichts ändern werden. Wenn die Kolonisten durchhalten, müssen sie gewinnen." Er faltete das Blatt zusammen und schob es mit den anderen Papieren in die Manteltasche zurück. Zuletzt stopfte er noch die Sattelpistole hinein. "Du hast zu viel mit Pistolen zu tun, Richard, das ist dein Problem. Das Kind war nicht in Gefahr, und auch niemand sonst." Ein Rülpser stieg in seiner Kehle auf und entwich durch die geschürzten Lippen. "Ich habe mein ganzes Leben in diesem stinkenden Loch namens Bristol verbracht und dabei wenigstens für etwas Unterhaltung gesorgt, indem ich einige der schlimmsten Torys der Regierung zum Gegenstand meiner Satiren gemacht habe, egal ob Shaker, Quäker oder Verräter." Er kicherte und kam auf ein anderes seiner Lieblingsthemen zu sprechen. "Ja, die Scheinheiligkeit! Du schrecklich-schönes Ungeheuer Scheinheiligkeit, Muse der Nonkonformisten, von denen es in Bristol so viele gibt!"
"Jem", sagte der Wirt freundlich, "hör auf. Es mag in Bristol genauso viele Nonkonformisten wie Mitglieder der anglikanischen Kirche geben, aber im Wirtshaus wirst du nur wenige finden, also spar dir deine bissigen Bemerkungen."
"Wie wahr, wie grundwahr." Mr James Thistlethwaite schwenkte seinen ramponierten Dreispitz in die Richtung der Zuhörer und schloss die Augen. "Wenn die Kolonisten durchhalten, müssen sie gewinnen", wiederholte er. "Jeder, der hier in Bristol lebt, kennt tausend Kolonisten - sie huschen durch die Stadt wie Fledermäuse im letzten Tageslicht. Das ist das Ende des Empires, Dick! Das erste Röcheln in unseren englischen Kehlen. Ich kenne die Kolonisten, und ich sage: Sie werden gewinnen."
Erregtes Stimmengewirr drang von draußen herein, und die verzerrten Schatten der Passanten vor den Fenstern begannen plötzlich zu rennen.
"Aufrührer!" Richard sprang auf und drückte seiner Frau das Kind in die Arme. "Peg, geh mit William Henry nach oben! Mama, du begleitest sie." Er sah Mr Thistlethwaite an. "Jem, willst du beidhändig schießen oder kann ich die zweite Pistole haben?"
"Immer mit der Ruhe!" Dick kam hinter dem Schanktisch hervor. Er hatte eine ähnliche Statur wie Richard - größer als die meisten und kräftig. "In diesem Teil der Broad Street gibt es keine Aufrührer, selbst wenn die Bergleute aus Kingswood in die Stadt kämen und sich den alten Brickdale schnappten. Was immer da draußen gerade vorgeht, es ist kein Aufruhr." Er ging zur Tür. "Aber ich will nachsehen, was da im Gange ist." Er trat hinaus. Die Gäste des Cooper's Arms folgten ihm, darunter auch Richard und Jem Thistlethwaite, dessen Sattelpistolen noch in den Manteltaschen steckten.
Menschen drängten sich auf der Straße und streckten neugierig die Hälse aus den Fenstern der Häuser. Weder das Straßenpflaster noch die Platten des neu angelegten Bürgersteigs auf beiden Seiten der Broad Street waren noch zu sehen. Die drei Männer ließen sich von der Menge auf die Kreuzung von Wine und Corn Street zuschieben. Nein, es handelte sich hier nicht um Aufrührer, sondern um vermögende und im Augenblick sehr zornige Gentlemen, die ohne Frauen und Kinder unterwegs waren.
Auf der gegenüberliegenden Seite der Broad Street, in Richtung Geschäftszentrum und Börse, stand das White Lion Inn, das Hauptquartier der Steadfast Society. Die Steadfast Society war der Club der Torys, die Seiner Britannischen Majestät König Georg III. in blinder Treue folgten. Das Zentrum der Unruhe war das Amerikanische Kaffeehaus daneben. Über dem Eingang prangte ein Wirtshausschild mit der rotweiß gestreiften Flagge, die die meisten amerikanischen Kolonisten benutzten, wenn die Fahne einer einzelnen Kolonie wie etwa Connecticut oder Virginia unpassend erschien. Das Schild mit seinen satten Farben hing an einem eisernen, mit Schnörkeln und vergoldeten Blättern verzierten Pfosten.
Dick Morgan hatte sich auf die Zehen gestellt, doch vergeblich. "Ich glaube, vom ersten Stock des Cooper's Arms sehen wir mehr als hier."
Sie kehrten also zurück, stiegen die baufällige Treppe am anderen Ende des Schanktisches hinauf und traten an die Flügelfenster im ersten Stock, der gefährlich weit über die darunter gelegene Broad Street hinausragte. Im Hinterzimmer derselben Etage weinte der kleine William Henry. Mutter und Großmutter beugten sich gurrend und gluckend über sein Bettchen. Der Tumult draußen auf der Straße war ihnen gleichgültig, solange William Henry so schrecklichen Kummer litt. Richard wollte sich den Frauen anschließen.
"Richard, dein Sohn stirbt nicht in den nächsten Minuten", rief Dick ihm hinterher. "Komm zurück und sieh dir das an, verdammt noch mal!"
Widerwillig kehrte Richard zurück und lehnte sich aus dem offenen Fenster. Erstaunt hielt er den Atem an. "Yankees, Vater! Meine Güte, was machen sie mit den Dingern da?"
Bei den "Dingern" handelte es sich um zwei mit Stroh ausgestopfte und mit Lumpen bekleidete Puppen, über und über mit noch rauchendem Pech beschmiert, auf das man Federn gestreut hatte. Auf den Köpfen saßen die Erkennungszeichen der Kolonisten - ihre abgrundtief unmodischen, aber sehr praktischen Hüte. Die Hüte wurden in kleinen Manufakturen in den nahe gelegenen Mendip Hills hergestellt und über Bristol in die Kolonien verschifft. Die Krempe war mit Nadeln aufgesteckt wie bei Dreispitzen üblich, die Ränder waren mit Borten gesäumt, um zu verhindern, dass der Filz ausfranste. Und was tat ein Yankee, sobald er einen neuen Hut gekauft hatte? Er zog die Hutnadeln heraus und bog die Krempe rundherum nach unten, sodass die niedrige, runde Krone aussah wie das Eigelb eines Spiegeleis! Dann brachte er üblicherweise noch ein Hutband an und steckte eine Adlerfeder hinein. Manchmal steckte er die Krempe auch über einem Ohr hoch. Deshalb, so spotteten die Bristoler, musste ein hutloser Mann mit einem Sonnenbrand auf einem Ohr ein Yankee sein.
Der Gestank nach brennenden Lumpen und brennenden Federn zog durch die Straße und fügte dem Geruchscocktail von Bristol eine neue Komponente hinzu.
"Die Würfel sind gefallen!", donnerte er. "'Die Kolonien müssen sich entweder unterwerfen oder triumphieren!'"
"Was für eine seltsame Ausdrucksweise für einen König", sagte der Wirt. "Seltsam?"
"Es klingt so, als ob der König einen Triumph der Kolonien für möglich hält."
"Oh, das bezweifle ich sehr, Dick. Sein Redenschreiber - vermutlich ein obskurer Staatssekretär seines Günstlings Lord Bute - hat sich von seiner Formulierungskunst mitreißen lassen. Dick?" Mr Thistlethwaite deutete mit dem Zeigefinger auf seinen Mund.
Der Wirt grinste und füllte einen kleinen Zinnbecher mit Rum. Dann drehte er sich um und machte mit Kreide einen Strich auf die Schiefertafel an der Wand.
"Dick! Meine Neuigkeiten sind einen Schluck auf Kosten des Hauses wert!"
"Nein, wir hätten sie früher oder später sowieso gehört. Ich betreibe ein anständiges Wirtshaus, keine Säuferhöhle für Presspatrouillen."
"Das ist ein non sequitur", erwiderte Mr Thistlethwaite, setzte sich an Richards Tisch und fasste dem Baby zärtlich unters Kinn. "Das eine folgt nicht aus dem anderen."
"Lass die gelehrten Floskeln, Jem. Wir sind einfache Leute aus Bristol, keine Horace Walpoles." Der Wirt stützte sich mit den Ellenbogen auf den Schanktisch, der an den entsprechenden Stellen bereits zwei kleine Vertiefungen aufwies, und starrte Mr Thistlethwaite in seinem schweren Mantel mit den Pistolen an. Der war doch total übergeschnappt! Es war ein drückend heißer Sommertag. "Im Ernst, Jem, so ganz überraschend kommt das nicht, aber ein Schock ist es natürlich trotzdem."
Niemand sonst mischte sich in ihre Unterhaltung ein. Dick Morgan hatte ein gutes Verhältnis zu seinen Stammgästen, und Jem Thistlethwaite war in Bristol schon lange als exzentrischer Intellektueller bekannt. Die anderen Gäste begnügten sich daher mit der Zuhörerrolle und verleibten sich währenddessen das Getränk ihrer Wahl ein - Rum, Gin, Bier und Bristol-Milch.
Die beiden Morgan-Frauen waren im Schankraum unterwegs, sammelten leere Gläser ein und brachten sie Dick zum Nachfüllen. Die Strichliste auf der Schiefertafel wuchs. Bald war Essenszeit. Der Geruch frischen Brotes, das Peg Morgan von Bäcker Jenkins mitgebracht hatte, überlagerte die anderen Gerüche, die bei Niedrigwasser zu einem Wirtshaus in unmittelbarer Nachbarschaft des Bristoler Hafens gehörten. Die meisten anwesenden Männer, Frauen und Kinder würden bleiben, um sich an ebendiesem frischen Brot gütlich zu tun. Dazu gab es einen Klumpen Butter, einen Kanten Somerset-Käse und einen dampfenden Zinnteller mit Rindfleisch und Kartoffeln, die in einer dicken Soße schwammen.
Dick Morgan sah seinen Sohn finster an. Richard wusste, dass sein Vater ihn für zu weich und sentimental hielt. Unglücklich suchte er nach Worten. "Wahrscheinlich haben wir gehofft, die anderen Kolonien würden Massachusetts nach ihrer anfänglichen Warnung nicht beistehen", sagte er unsicher. "Wie konnten sie glauben, der König würde sich dazu herablassen, ihren Brief zu lesen? Oder, selbst wenn er es getan hätte, ihren Forderungen nachgeben? Sie sind doch Engländer! Der König ist auch ihr König."
"Geschwätz, Richard!", sagte Mr Thistlethwaite scharf. "Die überspannte Sorge um dein Kind verwirrt deinen Denkapparat zusehends! Der König und seine scheinheiligen Minister sind gerade dabei, unsere schöne Insel in eine Katastrophe zu stürzen. Achttausend Tonnen Fracht aus Bristol sind in weniger als einem Jahr ungelöscht aus den dreizehn Kolonien zurückgekommen! Die Sergestoffmanufaktur in Redcliff ist pleite, und die vierhundert Seelen, die dort Arbeit hatten, fallen jetzt der Gemeinde zur Last. Ganz zu schweigen von der Fabrik beim Port Wall, die bemalte Leinwandteppiche für Carolina und Georgia herstellt, und von den Pfeifenmachern, Seifensiedern, Flaschenmachern, Zucker- und Rumfabrikanten - um Gottes willen, meine Herren! Der größte Teil unseres Handels geht über den Atlantik und kein geringer Teil davon in die dreizehn Kolonien! Ein Krieg mit den Kolonien ist wirtschaftlicher Selbstmord!"
Der Wirt hatte die Zeitung genommen und überflogen. "Ich sehe hier, dass Lord North eine - eine 'Proklamation zur Niederschlagung der bewaffneten Rebellion' veröffentlicht hat. Das heißt vermutlich, dass es beim Heer wieder Arbeit gibt. Gott habe Mitleid mit den armen Soldaten und beschütze sie."
Von der Marine sagte er nichts. In Bristol kannte und fürchtete jedermann den gefräßigen Schlund, der Männer verschluckte, meist ohne sie lebendig und bei guter Gesundheit wieder auszuspucken. Und die Kapitäne der Handelsflotte waren um kein Haar anständiger, noch pressten sie weniger rücksichtslos. Sie bezahlten ihre Matrosen genauso schlecht und peitschten sie genauso oft aus. Besonders auf Sklavenschiffen starben die Matrosen schneller als die Schwarzen, wenn das überhaupt möglich war.
"Wir können diesen Krieg gar nicht gewinnen", sagte Mr Thistlethwaite und streckte Mag Morgan seinen Becher entgegen.
Richard wollte das nicht unwidersprochen lassen. "Aber sieh mal, Jem, wir haben nach sieben Kriegsjahren Frankreich geschlagen - wir sind das größte und tapferste Land der Welt. Der König von England verliert seine Kriege nicht."
"Wenn er sie gegen unsere unmittelbaren Nachbarn führt oder gegen Heiden oder ungebildete Wilde, die von ihren eigenen Herrschern verkauft werden. Aber die Einwohner der amerikanischen Kolonien sind, wie du ganz richtig sagst, Engländer. Sie sind zivilisiert und mit unserer Lebensart vertraut. Sie sind Blutsverwandte." Mr Thistlethwaite lehnte sich zurück, seufzte und zog die vom Grog prächtig zum Blühen gebrachte Knollennase kraus. "Sie fühlen sich nicht ernst genommen, Richard. Ausgenutzt, bespuckt, mit Herablassung behandelt. Engländer sind sie, ja, aber doch nicht gleichberechtigt. Und sie sind sehr weit weg, eine Schwierigkeit, die der König und seine Minister noch gar nicht erkannt haben. Man könnte natürlich sagen, die Marine gewinnt unsere Kriege - wie lange ist es her, dass unser Schicksal von einem Heer abhing, das außerhalb der britischen Inseln kämpfte? Aber wie können wir einen Seekrieg gegen einen Feind gewinnen, der keine Schiffe hat? Wir werden zu Land kämpfen müssen. In dreizehn verschiedenen Kolonien, zwischen denen es kaum Verbindungen gibt. Und gegen einen Feind, der im Grunde gar keine richtige Armee hat."
"Du hast gerade dein eigenes Argument entkräftet, Jem", sagte der Wirt lächelnd, aber ohne nach der Kreide zu greifen, als er Mag einen frischen Becher mit Rum gab. "Unsere Armeen sind haushoch überlegen. Die Kolonisten werden ihnen nicht standhalten können."
"Einverstanden, vollkommen einverstanden!", rief Jem. Er hob den Becher und prostete dem Wirt zu, der nur selten etwas spendierte. Dick Morgan war wie die meisten Bürger Bristols ein hart kalkulierender Geschäftsmann. "Die Kolonisten gewinnen vielleicht keine Schlacht, aber das müssen sie ja auch gar nicht, Dick. Sie müssen nur durchhalten. Weil sie im eigenen Land kämpfen, nicht in England." Jem fasste in die linke Tasche seines Mantels. Heraus kam die schwere Pistole und landete polternd auf dem Tisch. Die anderen Gäste schrien entsetzt auf - und Richard, der seinen kleinen Sohn auf dem Schoß hielt, schob die Mündung blitzschnell zur Seite. Die Pistole war, wie jedermann wusste, geladen. Ohne die Bestürzung wahrzunehmen, die er verursacht hatte, wühlte Mr Thistlethwaite in den Tiefen seiner Tasche und zog schließlich einen Stoß zusammengefalteter Zeitungen heraus. Nacheinander blätterte er sie durch. Seine blassblauen, blutunterlaufenen Augen erschienen durch die Brille vergrößert, seine dunkel gelockten Haare hatten sich aus dem Band gelöst, mit dem er sie achtlos zurückgebunden hatte. Denn Mr James Thistlethwaite trug weder Perücke noch Zopf.
"Aha!", rief er schließlich und schwenkte ein Nachrichtenblatt aus London. "Vor siebeneinhalb Monaten, meine Damen und Herren hier im Cooper's Arms, fand eine Debatte im Oberhaus statt, bei der der große alte William Pitt eine Rede hielt, die als seine bedeutendste gilt. Er verteidigte die Kolonisten, die er..., ja, hier steht's, 'loyale und ehrbare Menschen' nannte. Aber es sind nicht seine Worte, die ich zitieren will." Mr Thistlethwaite schenkte Richard einen freundlichen Blick, der schützend die Arme um seinen Sohn gelegt hatte. Richard war immer noch über die geladene Pistole empört. "Es sind die Worte des Herzogs von Richmond, die mich begeistern. Ich zitiere: 'Sie können Tod und Elend verbreiten, aber das hat mit Regieren nichts zu tun!' Wie wahr, wie grundwahr! Und jetzt kommt eine Stelle, die ich für eine große philosophische Wahrheit halte, obwohl die Lords schnarchten, als der Herzog sie vortrug. 'Kein Volk kann dazu gezwungen werden, sich einer Staatsform zu unterwerfen, die es nicht haben will.'"
Jem sah sich um und nickte. "Deshalb sage ich, dass alle Schlachten, die wir gewinnen, nichts nützen und am Ausgang des Krieges nichts ändern werden. Wenn die Kolonisten durchhalten, müssen sie gewinnen." Er faltete das Blatt zusammen und schob es mit den anderen Papieren in die Manteltasche zurück. Zuletzt stopfte er noch die Sattelpistole hinein. "Du hast zu viel mit Pistolen zu tun, Richard, das ist dein Problem. Das Kind war nicht in Gefahr, und auch niemand sonst." Ein Rülpser stieg in seiner Kehle auf und entwich durch die geschürzten Lippen. "Ich habe mein ganzes Leben in diesem stinkenden Loch namens Bristol verbracht und dabei wenigstens für etwas Unterhaltung gesorgt, indem ich einige der schlimmsten Torys der Regierung zum Gegenstand meiner Satiren gemacht habe, egal ob Shaker, Quäker oder Verräter." Er kicherte und kam auf ein anderes seiner Lieblingsthemen zu sprechen. "Ja, die Scheinheiligkeit! Du schrecklich-schönes Ungeheuer Scheinheiligkeit, Muse der Nonkonformisten, von denen es in Bristol so viele gibt!"
"Jem", sagte der Wirt freundlich, "hör auf. Es mag in Bristol genauso viele Nonkonformisten wie Mitglieder der anglikanischen Kirche geben, aber im Wirtshaus wirst du nur wenige finden, also spar dir deine bissigen Bemerkungen."
"Wie wahr, wie grundwahr." Mr James Thistlethwaite schwenkte seinen ramponierten Dreispitz in die Richtung der Zuhörer und schloss die Augen. "Wenn die Kolonisten durchhalten, müssen sie gewinnen", wiederholte er. "Jeder, der hier in Bristol lebt, kennt tausend Kolonisten - sie huschen durch die Stadt wie Fledermäuse im letzten Tageslicht. Das ist das Ende des Empires, Dick! Das erste Röcheln in unseren englischen Kehlen. Ich kenne die Kolonisten, und ich sage: Sie werden gewinnen."
Erregtes Stimmengewirr drang von draußen herein, und die verzerrten Schatten der Passanten vor den Fenstern begannen plötzlich zu rennen.
"Aufrührer!" Richard sprang auf und drückte seiner Frau das Kind in die Arme. "Peg, geh mit William Henry nach oben! Mama, du begleitest sie." Er sah Mr Thistlethwaite an. "Jem, willst du beidhändig schießen oder kann ich die zweite Pistole haben?"
"Immer mit der Ruhe!" Dick kam hinter dem Schanktisch hervor. Er hatte eine ähnliche Statur wie Richard - größer als die meisten und kräftig. "In diesem Teil der Broad Street gibt es keine Aufrührer, selbst wenn die Bergleute aus Kingswood in die Stadt kämen und sich den alten Brickdale schnappten. Was immer da draußen gerade vorgeht, es ist kein Aufruhr." Er ging zur Tür. "Aber ich will nachsehen, was da im Gange ist." Er trat hinaus. Die Gäste des Cooper's Arms folgten ihm, darunter auch Richard und Jem Thistlethwaite, dessen Sattelpistolen noch in den Manteltaschen steckten.
Menschen drängten sich auf der Straße und streckten neugierig die Hälse aus den Fenstern der Häuser. Weder das Straßenpflaster noch die Platten des neu angelegten Bürgersteigs auf beiden Seiten der Broad Street waren noch zu sehen. Die drei Männer ließen sich von der Menge auf die Kreuzung von Wine und Corn Street zuschieben. Nein, es handelte sich hier nicht um Aufrührer, sondern um vermögende und im Augenblick sehr zornige Gentlemen, die ohne Frauen und Kinder unterwegs waren.
Auf der gegenüberliegenden Seite der Broad Street, in Richtung Geschäftszentrum und Börse, stand das White Lion Inn, das Hauptquartier der Steadfast Society. Die Steadfast Society war der Club der Torys, die Seiner Britannischen Majestät König Georg III. in blinder Treue folgten. Das Zentrum der Unruhe war das Amerikanische Kaffeehaus daneben. Über dem Eingang prangte ein Wirtshausschild mit der rotweiß gestreiften Flagge, die die meisten amerikanischen Kolonisten benutzten, wenn die Fahne einer einzelnen Kolonie wie etwa Connecticut oder Virginia unpassend erschien. Das Schild mit seinen satten Farben hing an einem eisernen, mit Schnörkeln und vergoldeten Blättern verzierten Pfosten.
Dick Morgan hatte sich auf die Zehen gestellt, doch vergeblich. "Ich glaube, vom ersten Stock des Cooper's Arms sehen wir mehr als hier."
Sie kehrten also zurück, stiegen die baufällige Treppe am anderen Ende des Schanktisches hinauf und traten an die Flügelfenster im ersten Stock, der gefährlich weit über die darunter gelegene Broad Street hinausragte. Im Hinterzimmer derselben Etage weinte der kleine William Henry. Mutter und Großmutter beugten sich gurrend und gluckend über sein Bettchen. Der Tumult draußen auf der Straße war ihnen gleichgültig, solange William Henry so schrecklichen Kummer litt. Richard wollte sich den Frauen anschließen.
"Richard, dein Sohn stirbt nicht in den nächsten Minuten", rief Dick ihm hinterher. "Komm zurück und sieh dir das an, verdammt noch mal!"
Widerwillig kehrte Richard zurück und lehnte sich aus dem offenen Fenster. Erstaunt hielt er den Atem an. "Yankees, Vater! Meine Güte, was machen sie mit den Dingern da?"
Bei den "Dingern" handelte es sich um zwei mit Stroh ausgestopfte und mit Lumpen bekleidete Puppen, über und über mit noch rauchendem Pech beschmiert, auf das man Federn gestreut hatte. Auf den Köpfen saßen die Erkennungszeichen der Kolonisten - ihre abgrundtief unmodischen, aber sehr praktischen Hüte. Die Hüte wurden in kleinen Manufakturen in den nahe gelegenen Mendip Hills hergestellt und über Bristol in die Kolonien verschifft. Die Krempe war mit Nadeln aufgesteckt wie bei Dreispitzen üblich, die Ränder waren mit Borten gesäumt, um zu verhindern, dass der Filz ausfranste. Und was tat ein Yankee, sobald er einen neuen Hut gekauft hatte? Er zog die Hutnadeln heraus und bog die Krempe rundherum nach unten, sodass die niedrige, runde Krone aussah wie das Eigelb eines Spiegeleis! Dann brachte er üblicherweise noch ein Hutband an und steckte eine Adlerfeder hinein. Manchmal steckte er die Krempe auch über einem Ohr hoch. Deshalb, so spotteten die Bristoler, musste ein hutloser Mann mit einem Sonnenbrand auf einem Ohr ein Yankee sein.
Der Gestank nach brennenden Lumpen und brennenden Federn zog durch die Straße und fügte dem Geruchscocktail von Bristol eine neue Komponente hinzu.
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Autoren-Porträt von Colleen McCullough
Colleen McCullough, geboren im neuseeländischen Wellington, hat mit der Familiensaga "Die Dornenvögel" einen der international erfolgreichsten Romane der letzten Jahrzehnte geschrieben. Auch ihre späteren Bücher wurden Bestseller. Bis zur ihrem Tod im Jahr 2015 lebte sie abgeschieden auf der kleinen Insel Norfolk Island im Südpazifik.Werner Roller, geb. 1954, studierte Germanistik und Sportwissenschaft.
Bibliographische Angaben
- Autor: Colleen McCullough
- 2003, 671 Seiten, Maße: 14,6 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Dtsch. v. Renate Weitbrecht, Werner Roller u. Cäcilie Plieninger
- Verlag: Limes
- ISBN-10: 3809024597
- ISBN-13: 9783809024590
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