Im Licht des Mondes / Insel Trilogie Bd.3
Roman
Einst brach Sam Mia das Herz. Nun will er sie zurückerobern.
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Produktinformationen zu „Im Licht des Mondes / Insel Trilogie Bd.3 “
Einst brach Sam Mia das Herz. Nun will er sie zurückerobern.
Klappentext zu „Im Licht des Mondes / Insel Trilogie Bd.3 “
Die temperamentvolle Mia Devlin weiß, wie es ist, von ganzem Herzen zu lieben - und dann von einem Tag auf den anderen ohne ein Wort der Erklärung verlassen zu werden. Einst brach der geheimnisvolle Sam Logan ihr Herz, doch jetzt, zehn Jahre später, ist er zurück auf ihrer geliebten Insel und will sie wiedergewinnen. Doch auch wenn leidenschaftliche Funken fliegen: Mia ist so verletzt und wütend wie damals. Aber sie braucht seine Hilfe - und seine besonderen Fähigkeiten ...
Klappenbroschur
Lese-Probe zu „Im Licht des Mondes / Insel Trilogie Bd.3 “
Im Licht des Mondes von Nora RobertsProlog
Insel der Drei Schwestern, September 1702
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Ihr Herz war gebrochen. Seine spitzen Scherben staken in ihrer Seele und verletzten sie Stunde um Stunde. Ihr jetziges Leben war nichts als Kummer. Nicht einmal ihre Kinder - die, die sie in ihrem Leib getragen hatte und die ihrer verlorenen Schwestern - konnten sie trösten.
Und zu ihrer großen Beschämung konnte sie ihnen auch keinen Trost spenden.
Sie hatte sie verlassen, so wie ihr Vater sie verlassen hatte. Ihr Ehemann, ihr Liebster, ihr Herz war zurückgekehrt ins Meer - und alle Hoffnung und Liebe und Magie in ihr waren am selben Tag gestorben.
In diesem Moment würde er sich nicht einmal mehr der gemeinsamen Jahre erinnern, der gemeinsamen Freude. Er würde sich ihrer nicht erinnern, oder ihrer Söhne, ihrer Töchter, ihres Lebens auf der Insel.
Das entsprach seiner Natur. Das war ihr Schicksal.
Und ihre Schwestern, dachte sie, während sie auf den geliebten Klippen stand, über der kochenden und tosenden See. Auch ihr Schicksal war es, zu lieben und zu verlieren. Die, die einst Luft war, verliebte sich in ein schönes Gesicht und wohlklingende Worte, hinter denen sich ein Ungeheuer verbarg. Ein Ungeheuer, das ihr Blut geschlürft hatte. Es hatte sie ermordet für das, was sie war, und sie hatte ihre Macht nicht benutzt, um es daran zu hindern.
Und deshalb hatte die, die einst Erde war, gewütet und gelitten, und ihr Hass wuchs Stein um Stein, bis er eine unüberwindliche Mauer war. Sie hatte ihre Macht benutzt, um Rache zu üben, hatte ihre Gabe verloren und die Dunkelheit umarmt.
Die Finsternis kam näher, und die, die einst Feuer war, blieb allein mit ihrem Schmerz. Sie konnte ihm nicht länger widerstehen, konnte keinen Sinn mehr finden in ihrem eigenen Leben.
Die Finsternis wisperte ihr zu in der Nacht, ihre verschlagene Stimme voll von Lügen. Obgleich sie sie erkannte, waren sie eine Versuchung.
Ihr Kreis war gebrochen, und sie konnte nicht, wollte nicht allein widerstehen.
Sie fühlte es, wie sie näher kroch, auf dem schmutzigen, nebligen Boden entlangglitt. Sie war hungrig. Ihr Tod würde sie sättigen, und dennoch konnte sie nicht weiterleben. Sie erhob ihre Arme, und ihr flammendes Haar flatterte im Wind, den sie gerufen hatte. Immer noch hatte sie dazu die Kraft in sich. Und die See antwortete heulend, die Erde unter ihr bebte.
Luft und Erde und Feuer - und das Wasser, das ihr ihre große Liebe gebracht und wieder gestohlen hatte.
Dieses eine letzte Mal hatten sie ihr zu gehorchen.
Ihre Kinder würden in Sicherheit sein, sie hatte dafür gesorgt. Ihre Kinderschwester würde sie versorgen, sie lehren, und die Gabe - die Magie - würde überliefert werden.
Die Finsternis fuhr über ihre Haut. Kalte, eiskalte Küsse.
Sie taumelte an die Kante, Wille kämpfte gegen Wille, als der Sturm in ihr und der Sturm, den sie entfacht hatte, aufeinanderprallten.
Diese Insel, dachte sie, die sie und ihre Schwestern geschaffen hatten, um sich vor dem verheerenden Wüten ihrer Verfolger in Sicherheit zu bringen, würde verloren gehen. Alles würde verloren gehen.
Du bist allein, murmelte die Finsternis. Du erleidest Schmerzen. Beende die Einsamkeit. Beende die Schmerzen.
Und das würde sie, aber sie würde ihre Kinder nicht verlassen oder deren Kinder. Die Macht war noch in ihr, und die Kraft und die Weisheit, sie zu schützen.
»Einhundert Jahre mal drei, die Insel der Schwestern wird sicher sein und frei.«
Aus ihren erhobenen Fingern schoss Licht, wob einen Kreis in einen Kreis.
»Meine Kinder werde ich deiner Hand verwehren. Sie werden leben und lernen und lehren. Und kommt mein Zauber an ein Ende, drei neue dann bewirken die Wende. Ein Kreis von Schwestern, vereinigt in Kraft, widersteht der dunklen Macht. Ihre Lehre sind Mut und Vertrauen, Recht und Gnade, Liebe und Freiheit. Und sie wählen ihr Schicksal als eine Einheit. Wenn dies einer oder zweien oder dreien misslingt, diese Insel im Meer versinkt. Aber wenn sie die Finsternis vertreiben, wird diese Insel niemals unter ihr leiden. Dieser Zauber soll mein letzter sein. Dies ist mein Wille, so soll es sein.«
Die Finsternis schnappte nach ihr, als sie sprang, konnte sie aber nicht erreichen. Während sie der See entgegenfiel, schleuderte sie ihre Macht wie ein silbernes Netz um die Insel, wo ihre Kinder schliefen.
1
Insel der Drei Schwestern, Mai 2002
Mehr als zehn Jahre waren vergangen, seit er die Insel verlassen hatte. Mehr als eine Dekade hatte er - außer in seinen Gedanken - die Umrisse der Wälder, die zerstreuten Häuser, den Verlauf des Strandes und der Höhlen nicht gesehen. Und die geradezu dramatischen Klippen, wo das steinerne Haus neben der weißen Lanze des Leuchtturms stand.
Er war nicht sonderlich überrascht von dem Sog und der Anziehung und der schlichten, schieren Freude. Sam Logan war selten überrascht. Aber das Ausmaß seines Entzückens zu sehen, was sich verändert und was sich nicht verändert hatte, überraschte ihn dennoch zutiefst.
Er war nach Hause gekommen und hatte bisher nicht gewusst, nicht richtig, was das für ihn bedeutete - bis er da war.
Er parkte in der Nähe des Fähranlegers, weil er zu Fuß gehen wollte, die salzige Frühlingsluft riechen, die Stimmen auf den Booten hören, das Leben und Treiben auf dem kleinen Stück Land vor der Küste von Massachusetts in sich aufnehmen wollte.
Und natürlich, gestand er sich ein, wollte er noch ein wenig Zeit gewinnen, bevor er der Frau begegnete, deretwegen er zurückgekommen war.
Er erwartete kein warmes Willkommen. Tatsache war, dass er nicht wusste, was er von Mia erwarten konnte.
Er hatte es früher einmal gewusst. Er hatte jeden Gesichtsausdruck von ihr, jeden einzelnen Tonfall gekannt. Einstmals hätte sie am Kai gestanden, um ihn abzuholen, mit ihrem wunderbaren roten Haar, ihre rauchgrauen Augen leuchtend vor Freude und Versprechen.
Er hätte ihr Lachen gehört, wenn sie in seine Arme gesprungen wäre.
Das war vorbei, dachte er, während er in Richtung High Street hinaufstieg und die hübschen Läden und Büros passierte. Er hatte es beendet und sie - bewusst - verlassen, die Insel und Mia.
Jetzt beendete er - bewusst - dieses Exil.
Inzwischen war aus dem Mädchen, das er zurückgelassen hatte, eine Frau geworden. Eine Geschäftsfrau, dachte er mit einem kleinen Lachen. Das war keine Überraschung, Mia hatte immer schon ein Gespür fürs Geschäft und eine Nase für Profit. Er beabsichtigte, falls nötig, das zu nutzen und ihr zu schmeicheln, wenn er damit ihre Zuneigung zurückgewinnen konnte. Sam hatte nichts gegen gelegentliche Schmeicheleien, sofern sie ihm von Nutzen waren.
Er betrat die High Street und warf einen langen Blick auf das Magick Inn. Das gotische Gebäude war das einzige Hotel der Insel - und es gehörte ihm. Er hatte einige Ideen, wie er es führen wollte, nachdem sein Vater endlich die Zügel aus der Hand gegeben hatte.
Aber das Geschäft musste erst mal warten, bis das Persönliche erledigt war.
Er ging weiter, zufrieden, dass der Verkehr zwar langsam, aber stetig floss. Die Geschäfte auf der Insel gingen so gut, wie man ihm berichtet hatte.
Er hatte ausholende Schritte und kam schnell voran. Er war ein großer Mann, fast ein Meter neunzig, mit langen, trainierten Gliedern, und war in den letzten Jahren eher an Maßanzüge als an die schwarze Jeans gewöhnt, die er heute trug. Sein langer schwarzer Mantel zum Schutz gegen die frische Brise, die Anfang Mai noch wehte, bauschte sich hinter ihm auf.
Sein Haar war ebenfalls schwarz und durch die Fahrt vom Festland auf die Insel vom Wind zerzaust. Sein Gesicht war schlank mit markanten Wangenknochen. Die Herbheit wurde gemildert durch einen vollen und gut gezeichneten Mund, und mit seinem fliegenden Haar gab er ein eindrucksvolles Bild ab. Wachsam betrachtete er seine ehemalige - und zukünftige - Heimat. Seine Augen hatten die Farbe der See, die die Insel umgab, changierten zwischen blau und grün, umrahmt von dunklen Wimpern und gewölbten Brauen.
Er setzte sein gewinnendes Aussehen ein, wenn es ihm ratsam erschien, ebenso wie Scharm oder Rücksichtslosigkeit. Was immer ihm zur Verfügung stand nutzte er, um sein Ziel zu erreichen. Er war sich bewusst, dass er alles ihm zur Verfügung Stehende einsetzen würde, um Mia Devlin zurückzuerobern.
Von der gegenüberliegenden Straßenseite aus betrachtete er das Buch-Café. Es hätte ihm klar sein müssen, dass Mia ein heruntergekommenes Gebäude kaufen und daraus etwas Schönes, Elegantes, Sinnvolles machen würde. Die Schaufensterscheibe gab den Blick frei auf eine Buchauswahl und Frühlingsblumen, die um einen Gartenstuhl dekoriert waren. Zwei ihrer größten Lieben, sinnierte er. Bücher und Blumen. Sie hatte sie in einer Weise arrangiert, die suggerierte, dass es Zeit wäre, eine Pause einzulegen und die Früchte seiner Arbeit lesenderweise zu genießen.
Während er das beobachtete, betraten einige Touristen - er war nicht so lange weg gewesen, dass er nicht Touristen von Insulanern unterscheiden konnte - die Buchhandlung.
Er blieb, wo er war, die Hände in den Taschen, zögerte die Sache hinaus. Es gab wenig, was Mia Devlin in vollem Zorn glich. Er rechnete damit, dass sie ihn hinauswarf, wutschnaubend, in derselben Minute, in der sie ihn erblickte.
Und wer könnte ihr deswegen einen Vorwurf machen? Dann wieder erinnerte er sich daran, dass es wenig gab, was erregender war als Mia in vollem Zorn. Es würde ... sehr unterhaltsam werden, sich wieder mit ihr zu messen. Und ebenso befriedigend, ihren Zorn anschließend zu besänftigen.
Er überquerte die Straße und öffnete die Tür zum Buch-Café.
Lulu saß hinter dem Tresen. Er hätte sie überall erkannt. Die winzige Frau mit ihrem Gnomengesicht, nahezu verschluckt von ihrer silbergerahmten Brille, hatte im Wesentlichen Mia erzogen. Die Devlins waren mehr aneinander und am Reisen interessiert als an ihrer Tochter, und Lulu, das frühere Hippie-Mädchen, wurde eingestellt, um für sie zu sorgen.
Weil Lulu gerade bei einem Kunden kassierte, hatte er einen Moment, um sich im Laden umzuschauen. Die Deckenbeleuchtung war ähnlich wie ein Sternenhimmel arrangiert, wodurch die Suche und das Durchblättern von Büchern einen festlichen Charakter bekamen. Eine gemütliche Sitzgruppe war vor einen Kamin gruppiert, auf dem ein Kessel stand, geputzt und poliert und mit weiteren Frühlingsblumen gefüllt. Ihr Geruch war angenehm, ebenso wie die Flötenklänge, die aus den Lautsprechern drangen.
Glänzende blaue Regale, gefüllt mit Büchern - ein eindrucksvolles Arrangement, dachte er beim Herumschlendern, und genauso erlesen, wie er das von der Eigentümerin erwartet hatte. Geschmacklosigkeit wäre das Letzte, was man Mia vorwerfen könnte.
Er verzog das Gesicht, als er die anderen Regale sah, in denen Ritualkerzen, Tarotkarten, Runen, Feen-Figuren, Zauberer, Drachen ausgestellt waren. Eine stattliche Ansammlung eines weiteren ... Interesses von Mia, dachte er. Er hatte auch das nicht anders erwartet.
Er nahm sich einen Rosenquarz aus einer Schale, rieb ihn zwischen seinen Fingern - für Glück. Obgleich er es besser wusste. Bevor er ihn zurücklegen konnte, spürte er einen kühlen Windhauch. Leicht lächelnd, drehte er sich zu Lulu um.
»Wusste immer, dass du zurückkommst. Falsche Fuffziger finden sich immer wieder an.«
Das war die erste Barriere - der Drachen vor dem Tor. »Hallo, Lu.«
»Dein ›Hallo, Lu‹ kannst du dir schenken, Sam Logan.« Sie schniefte, spießte ihn mit ihrem Blick auf. Schniefte noch einmal. »Kaufst du das, oder muss ich den Sheriff rufen, um dich wegen Ladendiebstahls einbuchten zu lassen?«
Er legte den Stein zurück in die Schale. »Wie geht es Zack?«
»Frag ihn selber, ich werde meine Zeit nicht mit dir verschwenden.« Obgleich er sie um gut dreißig Zentimeter überragte, trat sie einen Schritt vor und tippte ihm an die Brust, sodass er sich fühlte, als wäre er wieder zwölf Jahre alt. »Was zur Hölle willst du? «
»Die Heimat wiedersehen. Mia wiedersehen.«
»Warum tust du uns allen nicht einen Gefallen und verschwindest wieder dahin, wo du dich die letzten Jahre rumgetrieben hast? New York, Paris, Frankreich und o-la-la. Wir sind alle prima ohne dich zurechtgekommen auf den Drei Schwestern.«
»Offensichtlich.« Er warf noch einen Blick auf den Laden. Er war nicht beleidigt. Ein Drachen hatte, fand er, seiner Prinzessin ergeben zu sein. Soweit er sich erinnern konnte, hatte Lulu diese Rolle immer perfekt gespielt. »Nett hier. Wie ich höre, soll das Café besonders gut sein. Und von Zacks Frau geleitet werden.«
»Das hast du ganz richtig gehört. Also, hör zu. Hau endlich ab. «
Nicht beleidigt, das nicht, aber er blickte etwas nervöser, das Grün in seinen Augen vertiefte sich. »Ich bin gekommen, um Mia zu sehen.«
»Sie ist beschäftigt. Ich sage ihr, dass du vorbeigekommen bist.«
»Nein, das tust du nicht«, sagte er ruhig. »Sie wird es sowieso wissen.«
Noch während er sprach, hörte er das Geräusch hoher Hacken auf Holz. Es hätten Dutzende anderer Frauen sein können, die die Wendeltreppe herunterkamen. Aber er wusste es. Da sein Herz einen Hüpfer in seiner Brust machte, trat er vor die Bücherregale und sah sie, als sie gerade die letzte Stufe betrat.
Und dieser Blick, dieser eine Blick, schnitt ihn in tausend Stücke.
Die Prinzessin, dachte er, ist eine Königin geworden.
Sie war immer schon das schönste Wesen, das er jemals gesehen hatte. Die Verwandlung vom Mädchen zur Frau hatte diese Schönheit noch unterstrichen. Ihr Haar war so, wie er es erinnerte, ein langes Gewirr flammender Locken um ein Gesicht wie Milch und Rosen. Diese Haut, erinnerte er sich, war sanft wie Tau. Ihre Nase war schmal und gerade, ihr Mund groß und voll. Und er erinnerte sich, erinnerte sich ganz genau, seiner Form und seines Geschmacks. Ihre Augen waren rauchgrau, mandelförmig, und sie betrachteten ihn nun kühl forschend.
Sie lächelte, und zwar ebenfalls kühl, als sie auf ihn zuging. Ihr Kleid, ein mattes Gold, umschmiegte sie, ließ lange, sehr lange Beine ahnen. Die hochhackigen Schuhe, die sie trug, hatten den gleichen Ton und vervollständigten den feurigen Ausdruck. Aber er fühlte keine Wärme von ihr ausgehen, als sie eine Braue hob und ihn ebenfalls studierte.
»Na, wen haben wir denn da? Sam Logan? Willkommen daheim.«
Ihre Stimme war tiefer, ein klein wenig tiefer als früher. Glutvoller, rauchiger, seidiger. Sie schien ihn im tiefsten Inneren zu treffen, obgleich er verwirrt war wegen ihres höflichen Lächelns und der damit einhergehenden Begrüßung.
»Danke.« Er fiel bewusst in ihren Tonfall ein. »Es ist gut, wieder zu Hause zu sein. Du siehst großartig aus.«
»Man tut, was man kann.«
Sie warf ihr Haar zurück. Sie trug Bernstein-Ohrringe. Die Einzelheiten von ihr, bis zu den Ringen an ihren Fingern, die gepflegte Aura, die sie umgab, waren ihm deutlich bewusst. Einen Moment lang versuchte er, ihre Gedanken zu lesen, musste aber frustriert feststellen, dass sie in einer ihm fremden Sprache geschrieben waren.
»Ich mag deine Buchhandlung«, sagte er, darum bemüht, gelassen zu klingen. »Jedenfalls das, was ich bisher davon gesehen habe.«
»Nun, wir werden dir die große Besichtigungstour angedeihen lassen. Lulu, du hast Kunden.«
»Ich weiß, was ich habe«, murrte Lulu. »Es ist ein ganz normaler Arbeitstag, oder? Du hast keine Zeit, den hier herumzuführen und ihm alles zu zeigen.«
»Lulu.« Mia bewegte kaum die Hand, eine sanfte Warnung. »Ich habe immer ein paar Minuten für einen alten Freund. Komm rauf, Sam, sieh dir das Café an.« Sie ging voraus, glitt mit ihrer Hand über das Geländer. »Du hast vielleicht gehört, dass ein gemeinsamer Freund von uns, Zack Todd, letzten Winter geheiratet hat. Nell ist nicht nur eine enge Freundin von mir, sondern auch eine spektakuläre Köchin.« Sam legte eine Pause ein auf der Treppe. Es störte ihn, dass er um seine Fassung ringen musste, seine Balance suchen musste. Ihr Anblick warf ihn schlicht um.
Der zweite Stock mit dem verführerisch belebten Café und den Gerüchen - Gewürze, Kaffee, Schokolade, die es umgaben - war genauso einladend wie der erste.
Eine beeindruckende Auswahl von Backwaren und Salaten stand hinter einem blinkenden Glastresen. Wohlriechende Düfte entströmten einem großen Topf, aus dem gerade eben eine hübsche Blondine einem wartenden Kunden Suppe auffüllte.
Die weiter hinten liegenden Fenster gaben den Blick frei auf das Meer.
»Es ist unglaublich.« Das, immerhin, brachte er noch gerade eben heraus. »Einfach unglaublich, Mia. Du musst sehr stolz auf dies alles sein.«
»Warum auch nicht?«
Angesichts des leicht scharfen Tonfalls wandte er sich um, aber sie lächelte nur, winkte ihn mit einer eleganten Bewegung ihrer ringgeschmückten Hand an den Tresen. »Hungrig?«
»Mehr als ich gedacht habe.«
Ein Hauch der Schärfe trat für einen winzigen kleinen Moment in ihre rauchgrauen Augen, bevor sie sich abwandte und zum Tresen ging. »Nell, hier habe ich einen Mann mit großem Appetit.«
»Dann ist er genau am richtigen Ort.« Nell lächelte und zeigte ihre Grübchen, richtete ihre blauen Augen freundlich auf Sam. »Unsere Tagessuppe ist Curryhuhn. Das Salatangebot ist Shrimps à la Diablo, und das Tagessandwich ist Schweinebraten und Tomaten auf Olivenbrot. Und natürlich unser normales vegetarisches Angebot«, fügte sie hinzu, indem sie auf die Speisekarte tippte.
Zacks Frau, dachte Sam. Es war eine Sache, zu begreifen, dass der älteste Freund in festen Händen war, eine andere, den Grund dafür zu sehen. Es gab ihm einen zusätzlichen Stoß.
»Eine ziemliche Auswahl.«
»Wir finden, das sollte so sein.«
»Du kannst nichts Falsches wählen, solange Nell es zubereitet hat«, versicherte Mia ihm. »Ich überlasse dich jetzt ihren fähigen Händen. Ich habe etwas zu erledigen. O Nell, ich hätte euch vorstellen sollen. Dies ist ein alter Freund von Zack, Sam Logan. Genieß deinen Lunch«, sagte sie und ging weg.
Sam sah die Überraschung in Nells schönem Gesicht und auch, wie jede Wärme aus ihm wich. »Was kann ich für Sie tun?«
»Nur Kaffee im Moment. Wie geht es Zack?«
»Ihm geht es sehr gut, danke.«
Sam trommelte mit seinen Fingern auf seine Schenkel. Noch ein Wächter am Tor, dachte er, und kein bisschen weniger furchterregend als der Drache, trotz des sanften Aussehens. »Und Ripley? Ich hörte, dass sie gerade letzten Monat geheiratet hat. «
»Ihr geht es sehr gut, und sie ist sehr glücklich.« Nells Mund verzog sich zu einem strengen, abweisenden Strich, als sie ihm den Kaffee in einem Pappbecher zum Mitnehmen reichte. »Der ist umsonst. Ich bin sicher, dass Mia weder ihr Geld möchte noch braucht. Sie servieren sehr gutes Essen im Magick Inn, wie Sie sicher wissen.«
»Ja, ich weiß.« Ein hübsches Kätzchen, und sehr scharfe Krallen, grübelte Sam. »Glauben Sie, dass Mia Ihren Schutz nötig hat, Mrs Todd?«
»Ich denke, dass Mia alles allein in den Griff bekommt.« Jetzt überflog ein Lächeln ihr Gesicht, scharf wie eine Rasierklinge. »Absolut alles.«
Sam nahm seinen Kaffee. »Ich auch«, stimmte er ihr zu und schlenderte in die Richtung, in die Mia verschwunden war.
...
Übersetzung: Ingrid Klein
Taschenbuchausgabe September 2011 bei Blanvalet Verlag,
einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH,
München.
Ihr Herz war gebrochen. Seine spitzen Scherben staken in ihrer Seele und verletzten sie Stunde um Stunde. Ihr jetziges Leben war nichts als Kummer. Nicht einmal ihre Kinder - die, die sie in ihrem Leib getragen hatte und die ihrer verlorenen Schwestern - konnten sie trösten.
Und zu ihrer großen Beschämung konnte sie ihnen auch keinen Trost spenden.
Sie hatte sie verlassen, so wie ihr Vater sie verlassen hatte. Ihr Ehemann, ihr Liebster, ihr Herz war zurückgekehrt ins Meer - und alle Hoffnung und Liebe und Magie in ihr waren am selben Tag gestorben.
In diesem Moment würde er sich nicht einmal mehr der gemeinsamen Jahre erinnern, der gemeinsamen Freude. Er würde sich ihrer nicht erinnern, oder ihrer Söhne, ihrer Töchter, ihres Lebens auf der Insel.
Das entsprach seiner Natur. Das war ihr Schicksal.
Und ihre Schwestern, dachte sie, während sie auf den geliebten Klippen stand, über der kochenden und tosenden See. Auch ihr Schicksal war es, zu lieben und zu verlieren. Die, die einst Luft war, verliebte sich in ein schönes Gesicht und wohlklingende Worte, hinter denen sich ein Ungeheuer verbarg. Ein Ungeheuer, das ihr Blut geschlürft hatte. Es hatte sie ermordet für das, was sie war, und sie hatte ihre Macht nicht benutzt, um es daran zu hindern.
Und deshalb hatte die, die einst Erde war, gewütet und gelitten, und ihr Hass wuchs Stein um Stein, bis er eine unüberwindliche Mauer war. Sie hatte ihre Macht benutzt, um Rache zu üben, hatte ihre Gabe verloren und die Dunkelheit umarmt.
Die Finsternis kam näher, und die, die einst Feuer war, blieb allein mit ihrem Schmerz. Sie konnte ihm nicht länger widerstehen, konnte keinen Sinn mehr finden in ihrem eigenen Leben.
Die Finsternis wisperte ihr zu in der Nacht, ihre verschlagene Stimme voll von Lügen. Obgleich sie sie erkannte, waren sie eine Versuchung.
Ihr Kreis war gebrochen, und sie konnte nicht, wollte nicht allein widerstehen.
Sie fühlte es, wie sie näher kroch, auf dem schmutzigen, nebligen Boden entlangglitt. Sie war hungrig. Ihr Tod würde sie sättigen, und dennoch konnte sie nicht weiterleben. Sie erhob ihre Arme, und ihr flammendes Haar flatterte im Wind, den sie gerufen hatte. Immer noch hatte sie dazu die Kraft in sich. Und die See antwortete heulend, die Erde unter ihr bebte.
Luft und Erde und Feuer - und das Wasser, das ihr ihre große Liebe gebracht und wieder gestohlen hatte.
Dieses eine letzte Mal hatten sie ihr zu gehorchen.
Ihre Kinder würden in Sicherheit sein, sie hatte dafür gesorgt. Ihre Kinderschwester würde sie versorgen, sie lehren, und die Gabe - die Magie - würde überliefert werden.
Die Finsternis fuhr über ihre Haut. Kalte, eiskalte Küsse.
Sie taumelte an die Kante, Wille kämpfte gegen Wille, als der Sturm in ihr und der Sturm, den sie entfacht hatte, aufeinanderprallten.
Diese Insel, dachte sie, die sie und ihre Schwestern geschaffen hatten, um sich vor dem verheerenden Wüten ihrer Verfolger in Sicherheit zu bringen, würde verloren gehen. Alles würde verloren gehen.
Du bist allein, murmelte die Finsternis. Du erleidest Schmerzen. Beende die Einsamkeit. Beende die Schmerzen.
Und das würde sie, aber sie würde ihre Kinder nicht verlassen oder deren Kinder. Die Macht war noch in ihr, und die Kraft und die Weisheit, sie zu schützen.
»Einhundert Jahre mal drei, die Insel der Schwestern wird sicher sein und frei.«
Aus ihren erhobenen Fingern schoss Licht, wob einen Kreis in einen Kreis.
»Meine Kinder werde ich deiner Hand verwehren. Sie werden leben und lernen und lehren. Und kommt mein Zauber an ein Ende, drei neue dann bewirken die Wende. Ein Kreis von Schwestern, vereinigt in Kraft, widersteht der dunklen Macht. Ihre Lehre sind Mut und Vertrauen, Recht und Gnade, Liebe und Freiheit. Und sie wählen ihr Schicksal als eine Einheit. Wenn dies einer oder zweien oder dreien misslingt, diese Insel im Meer versinkt. Aber wenn sie die Finsternis vertreiben, wird diese Insel niemals unter ihr leiden. Dieser Zauber soll mein letzter sein. Dies ist mein Wille, so soll es sein.«
Die Finsternis schnappte nach ihr, als sie sprang, konnte sie aber nicht erreichen. Während sie der See entgegenfiel, schleuderte sie ihre Macht wie ein silbernes Netz um die Insel, wo ihre Kinder schliefen.
1
Insel der Drei Schwestern, Mai 2002
Mehr als zehn Jahre waren vergangen, seit er die Insel verlassen hatte. Mehr als eine Dekade hatte er - außer in seinen Gedanken - die Umrisse der Wälder, die zerstreuten Häuser, den Verlauf des Strandes und der Höhlen nicht gesehen. Und die geradezu dramatischen Klippen, wo das steinerne Haus neben der weißen Lanze des Leuchtturms stand.
Er war nicht sonderlich überrascht von dem Sog und der Anziehung und der schlichten, schieren Freude. Sam Logan war selten überrascht. Aber das Ausmaß seines Entzückens zu sehen, was sich verändert und was sich nicht verändert hatte, überraschte ihn dennoch zutiefst.
Er war nach Hause gekommen und hatte bisher nicht gewusst, nicht richtig, was das für ihn bedeutete - bis er da war.
Er parkte in der Nähe des Fähranlegers, weil er zu Fuß gehen wollte, die salzige Frühlingsluft riechen, die Stimmen auf den Booten hören, das Leben und Treiben auf dem kleinen Stück Land vor der Küste von Massachusetts in sich aufnehmen wollte.
Und natürlich, gestand er sich ein, wollte er noch ein wenig Zeit gewinnen, bevor er der Frau begegnete, deretwegen er zurückgekommen war.
Er erwartete kein warmes Willkommen. Tatsache war, dass er nicht wusste, was er von Mia erwarten konnte.
Er hatte es früher einmal gewusst. Er hatte jeden Gesichtsausdruck von ihr, jeden einzelnen Tonfall gekannt. Einstmals hätte sie am Kai gestanden, um ihn abzuholen, mit ihrem wunderbaren roten Haar, ihre rauchgrauen Augen leuchtend vor Freude und Versprechen.
Er hätte ihr Lachen gehört, wenn sie in seine Arme gesprungen wäre.
Das war vorbei, dachte er, während er in Richtung High Street hinaufstieg und die hübschen Läden und Büros passierte. Er hatte es beendet und sie - bewusst - verlassen, die Insel und Mia.
Jetzt beendete er - bewusst - dieses Exil.
Inzwischen war aus dem Mädchen, das er zurückgelassen hatte, eine Frau geworden. Eine Geschäftsfrau, dachte er mit einem kleinen Lachen. Das war keine Überraschung, Mia hatte immer schon ein Gespür fürs Geschäft und eine Nase für Profit. Er beabsichtigte, falls nötig, das zu nutzen und ihr zu schmeicheln, wenn er damit ihre Zuneigung zurückgewinnen konnte. Sam hatte nichts gegen gelegentliche Schmeicheleien, sofern sie ihm von Nutzen waren.
Er betrat die High Street und warf einen langen Blick auf das Magick Inn. Das gotische Gebäude war das einzige Hotel der Insel - und es gehörte ihm. Er hatte einige Ideen, wie er es führen wollte, nachdem sein Vater endlich die Zügel aus der Hand gegeben hatte.
Aber das Geschäft musste erst mal warten, bis das Persönliche erledigt war.
Er ging weiter, zufrieden, dass der Verkehr zwar langsam, aber stetig floss. Die Geschäfte auf der Insel gingen so gut, wie man ihm berichtet hatte.
Er hatte ausholende Schritte und kam schnell voran. Er war ein großer Mann, fast ein Meter neunzig, mit langen, trainierten Gliedern, und war in den letzten Jahren eher an Maßanzüge als an die schwarze Jeans gewöhnt, die er heute trug. Sein langer schwarzer Mantel zum Schutz gegen die frische Brise, die Anfang Mai noch wehte, bauschte sich hinter ihm auf.
Sein Haar war ebenfalls schwarz und durch die Fahrt vom Festland auf die Insel vom Wind zerzaust. Sein Gesicht war schlank mit markanten Wangenknochen. Die Herbheit wurde gemildert durch einen vollen und gut gezeichneten Mund, und mit seinem fliegenden Haar gab er ein eindrucksvolles Bild ab. Wachsam betrachtete er seine ehemalige - und zukünftige - Heimat. Seine Augen hatten die Farbe der See, die die Insel umgab, changierten zwischen blau und grün, umrahmt von dunklen Wimpern und gewölbten Brauen.
Er setzte sein gewinnendes Aussehen ein, wenn es ihm ratsam erschien, ebenso wie Scharm oder Rücksichtslosigkeit. Was immer ihm zur Verfügung stand nutzte er, um sein Ziel zu erreichen. Er war sich bewusst, dass er alles ihm zur Verfügung Stehende einsetzen würde, um Mia Devlin zurückzuerobern.
Von der gegenüberliegenden Straßenseite aus betrachtete er das Buch-Café. Es hätte ihm klar sein müssen, dass Mia ein heruntergekommenes Gebäude kaufen und daraus etwas Schönes, Elegantes, Sinnvolles machen würde. Die Schaufensterscheibe gab den Blick frei auf eine Buchauswahl und Frühlingsblumen, die um einen Gartenstuhl dekoriert waren. Zwei ihrer größten Lieben, sinnierte er. Bücher und Blumen. Sie hatte sie in einer Weise arrangiert, die suggerierte, dass es Zeit wäre, eine Pause einzulegen und die Früchte seiner Arbeit lesenderweise zu genießen.
Während er das beobachtete, betraten einige Touristen - er war nicht so lange weg gewesen, dass er nicht Touristen von Insulanern unterscheiden konnte - die Buchhandlung.
Er blieb, wo er war, die Hände in den Taschen, zögerte die Sache hinaus. Es gab wenig, was Mia Devlin in vollem Zorn glich. Er rechnete damit, dass sie ihn hinauswarf, wutschnaubend, in derselben Minute, in der sie ihn erblickte.
Und wer könnte ihr deswegen einen Vorwurf machen? Dann wieder erinnerte er sich daran, dass es wenig gab, was erregender war als Mia in vollem Zorn. Es würde ... sehr unterhaltsam werden, sich wieder mit ihr zu messen. Und ebenso befriedigend, ihren Zorn anschließend zu besänftigen.
Er überquerte die Straße und öffnete die Tür zum Buch-Café.
Lulu saß hinter dem Tresen. Er hätte sie überall erkannt. Die winzige Frau mit ihrem Gnomengesicht, nahezu verschluckt von ihrer silbergerahmten Brille, hatte im Wesentlichen Mia erzogen. Die Devlins waren mehr aneinander und am Reisen interessiert als an ihrer Tochter, und Lulu, das frühere Hippie-Mädchen, wurde eingestellt, um für sie zu sorgen.
Weil Lulu gerade bei einem Kunden kassierte, hatte er einen Moment, um sich im Laden umzuschauen. Die Deckenbeleuchtung war ähnlich wie ein Sternenhimmel arrangiert, wodurch die Suche und das Durchblättern von Büchern einen festlichen Charakter bekamen. Eine gemütliche Sitzgruppe war vor einen Kamin gruppiert, auf dem ein Kessel stand, geputzt und poliert und mit weiteren Frühlingsblumen gefüllt. Ihr Geruch war angenehm, ebenso wie die Flötenklänge, die aus den Lautsprechern drangen.
Glänzende blaue Regale, gefüllt mit Büchern - ein eindrucksvolles Arrangement, dachte er beim Herumschlendern, und genauso erlesen, wie er das von der Eigentümerin erwartet hatte. Geschmacklosigkeit wäre das Letzte, was man Mia vorwerfen könnte.
Er verzog das Gesicht, als er die anderen Regale sah, in denen Ritualkerzen, Tarotkarten, Runen, Feen-Figuren, Zauberer, Drachen ausgestellt waren. Eine stattliche Ansammlung eines weiteren ... Interesses von Mia, dachte er. Er hatte auch das nicht anders erwartet.
Er nahm sich einen Rosenquarz aus einer Schale, rieb ihn zwischen seinen Fingern - für Glück. Obgleich er es besser wusste. Bevor er ihn zurücklegen konnte, spürte er einen kühlen Windhauch. Leicht lächelnd, drehte er sich zu Lulu um.
»Wusste immer, dass du zurückkommst. Falsche Fuffziger finden sich immer wieder an.«
Das war die erste Barriere - der Drachen vor dem Tor. »Hallo, Lu.«
»Dein ›Hallo, Lu‹ kannst du dir schenken, Sam Logan.« Sie schniefte, spießte ihn mit ihrem Blick auf. Schniefte noch einmal. »Kaufst du das, oder muss ich den Sheriff rufen, um dich wegen Ladendiebstahls einbuchten zu lassen?«
Er legte den Stein zurück in die Schale. »Wie geht es Zack?«
»Frag ihn selber, ich werde meine Zeit nicht mit dir verschwenden.« Obgleich er sie um gut dreißig Zentimeter überragte, trat sie einen Schritt vor und tippte ihm an die Brust, sodass er sich fühlte, als wäre er wieder zwölf Jahre alt. »Was zur Hölle willst du? «
»Die Heimat wiedersehen. Mia wiedersehen.«
»Warum tust du uns allen nicht einen Gefallen und verschwindest wieder dahin, wo du dich die letzten Jahre rumgetrieben hast? New York, Paris, Frankreich und o-la-la. Wir sind alle prima ohne dich zurechtgekommen auf den Drei Schwestern.«
»Offensichtlich.« Er warf noch einen Blick auf den Laden. Er war nicht beleidigt. Ein Drachen hatte, fand er, seiner Prinzessin ergeben zu sein. Soweit er sich erinnern konnte, hatte Lulu diese Rolle immer perfekt gespielt. »Nett hier. Wie ich höre, soll das Café besonders gut sein. Und von Zacks Frau geleitet werden.«
»Das hast du ganz richtig gehört. Also, hör zu. Hau endlich ab. «
Nicht beleidigt, das nicht, aber er blickte etwas nervöser, das Grün in seinen Augen vertiefte sich. »Ich bin gekommen, um Mia zu sehen.«
»Sie ist beschäftigt. Ich sage ihr, dass du vorbeigekommen bist.«
»Nein, das tust du nicht«, sagte er ruhig. »Sie wird es sowieso wissen.«
Noch während er sprach, hörte er das Geräusch hoher Hacken auf Holz. Es hätten Dutzende anderer Frauen sein können, die die Wendeltreppe herunterkamen. Aber er wusste es. Da sein Herz einen Hüpfer in seiner Brust machte, trat er vor die Bücherregale und sah sie, als sie gerade die letzte Stufe betrat.
Und dieser Blick, dieser eine Blick, schnitt ihn in tausend Stücke.
Die Prinzessin, dachte er, ist eine Königin geworden.
Sie war immer schon das schönste Wesen, das er jemals gesehen hatte. Die Verwandlung vom Mädchen zur Frau hatte diese Schönheit noch unterstrichen. Ihr Haar war so, wie er es erinnerte, ein langes Gewirr flammender Locken um ein Gesicht wie Milch und Rosen. Diese Haut, erinnerte er sich, war sanft wie Tau. Ihre Nase war schmal und gerade, ihr Mund groß und voll. Und er erinnerte sich, erinnerte sich ganz genau, seiner Form und seines Geschmacks. Ihre Augen waren rauchgrau, mandelförmig, und sie betrachteten ihn nun kühl forschend.
Sie lächelte, und zwar ebenfalls kühl, als sie auf ihn zuging. Ihr Kleid, ein mattes Gold, umschmiegte sie, ließ lange, sehr lange Beine ahnen. Die hochhackigen Schuhe, die sie trug, hatten den gleichen Ton und vervollständigten den feurigen Ausdruck. Aber er fühlte keine Wärme von ihr ausgehen, als sie eine Braue hob und ihn ebenfalls studierte.
»Na, wen haben wir denn da? Sam Logan? Willkommen daheim.«
Ihre Stimme war tiefer, ein klein wenig tiefer als früher. Glutvoller, rauchiger, seidiger. Sie schien ihn im tiefsten Inneren zu treffen, obgleich er verwirrt war wegen ihres höflichen Lächelns und der damit einhergehenden Begrüßung.
»Danke.« Er fiel bewusst in ihren Tonfall ein. »Es ist gut, wieder zu Hause zu sein. Du siehst großartig aus.«
»Man tut, was man kann.«
Sie warf ihr Haar zurück. Sie trug Bernstein-Ohrringe. Die Einzelheiten von ihr, bis zu den Ringen an ihren Fingern, die gepflegte Aura, die sie umgab, waren ihm deutlich bewusst. Einen Moment lang versuchte er, ihre Gedanken zu lesen, musste aber frustriert feststellen, dass sie in einer ihm fremden Sprache geschrieben waren.
»Ich mag deine Buchhandlung«, sagte er, darum bemüht, gelassen zu klingen. »Jedenfalls das, was ich bisher davon gesehen habe.«
»Nun, wir werden dir die große Besichtigungstour angedeihen lassen. Lulu, du hast Kunden.«
»Ich weiß, was ich habe«, murrte Lulu. »Es ist ein ganz normaler Arbeitstag, oder? Du hast keine Zeit, den hier herumzuführen und ihm alles zu zeigen.«
»Lulu.« Mia bewegte kaum die Hand, eine sanfte Warnung. »Ich habe immer ein paar Minuten für einen alten Freund. Komm rauf, Sam, sieh dir das Café an.« Sie ging voraus, glitt mit ihrer Hand über das Geländer. »Du hast vielleicht gehört, dass ein gemeinsamer Freund von uns, Zack Todd, letzten Winter geheiratet hat. Nell ist nicht nur eine enge Freundin von mir, sondern auch eine spektakuläre Köchin.« Sam legte eine Pause ein auf der Treppe. Es störte ihn, dass er um seine Fassung ringen musste, seine Balance suchen musste. Ihr Anblick warf ihn schlicht um.
Der zweite Stock mit dem verführerisch belebten Café und den Gerüchen - Gewürze, Kaffee, Schokolade, die es umgaben - war genauso einladend wie der erste.
Eine beeindruckende Auswahl von Backwaren und Salaten stand hinter einem blinkenden Glastresen. Wohlriechende Düfte entströmten einem großen Topf, aus dem gerade eben eine hübsche Blondine einem wartenden Kunden Suppe auffüllte.
Die weiter hinten liegenden Fenster gaben den Blick frei auf das Meer.
»Es ist unglaublich.« Das, immerhin, brachte er noch gerade eben heraus. »Einfach unglaublich, Mia. Du musst sehr stolz auf dies alles sein.«
»Warum auch nicht?«
Angesichts des leicht scharfen Tonfalls wandte er sich um, aber sie lächelte nur, winkte ihn mit einer eleganten Bewegung ihrer ringgeschmückten Hand an den Tresen. »Hungrig?«
»Mehr als ich gedacht habe.«
Ein Hauch der Schärfe trat für einen winzigen kleinen Moment in ihre rauchgrauen Augen, bevor sie sich abwandte und zum Tresen ging. »Nell, hier habe ich einen Mann mit großem Appetit.«
»Dann ist er genau am richtigen Ort.« Nell lächelte und zeigte ihre Grübchen, richtete ihre blauen Augen freundlich auf Sam. »Unsere Tagessuppe ist Curryhuhn. Das Salatangebot ist Shrimps à la Diablo, und das Tagessandwich ist Schweinebraten und Tomaten auf Olivenbrot. Und natürlich unser normales vegetarisches Angebot«, fügte sie hinzu, indem sie auf die Speisekarte tippte.
Zacks Frau, dachte Sam. Es war eine Sache, zu begreifen, dass der älteste Freund in festen Händen war, eine andere, den Grund dafür zu sehen. Es gab ihm einen zusätzlichen Stoß.
»Eine ziemliche Auswahl.«
»Wir finden, das sollte so sein.«
»Du kannst nichts Falsches wählen, solange Nell es zubereitet hat«, versicherte Mia ihm. »Ich überlasse dich jetzt ihren fähigen Händen. Ich habe etwas zu erledigen. O Nell, ich hätte euch vorstellen sollen. Dies ist ein alter Freund von Zack, Sam Logan. Genieß deinen Lunch«, sagte sie und ging weg.
Sam sah die Überraschung in Nells schönem Gesicht und auch, wie jede Wärme aus ihm wich. »Was kann ich für Sie tun?«
»Nur Kaffee im Moment. Wie geht es Zack?«
»Ihm geht es sehr gut, danke.«
Sam trommelte mit seinen Fingern auf seine Schenkel. Noch ein Wächter am Tor, dachte er, und kein bisschen weniger furchterregend als der Drache, trotz des sanften Aussehens. »Und Ripley? Ich hörte, dass sie gerade letzten Monat geheiratet hat. «
»Ihr geht es sehr gut, und sie ist sehr glücklich.« Nells Mund verzog sich zu einem strengen, abweisenden Strich, als sie ihm den Kaffee in einem Pappbecher zum Mitnehmen reichte. »Der ist umsonst. Ich bin sicher, dass Mia weder ihr Geld möchte noch braucht. Sie servieren sehr gutes Essen im Magick Inn, wie Sie sicher wissen.«
»Ja, ich weiß.« Ein hübsches Kätzchen, und sehr scharfe Krallen, grübelte Sam. »Glauben Sie, dass Mia Ihren Schutz nötig hat, Mrs Todd?«
»Ich denke, dass Mia alles allein in den Griff bekommt.« Jetzt überflog ein Lächeln ihr Gesicht, scharf wie eine Rasierklinge. »Absolut alles.«
Sam nahm seinen Kaffee. »Ich auch«, stimmte er ihr zu und schlenderte in die Richtung, in die Mia verschwunden war.
...
Übersetzung: Ingrid Klein
Taschenbuchausgabe September 2011 bei Blanvalet Verlag,
einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH,
München.
... weniger
Autoren-Porträt von Nora Roberts
Nora Roberts wurde 1950 in Maryland geboren. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie 1981. Inzwischen zählt sie zu den meistgelesenen Autorinnen der Welt: Ihre Bücher haben eine weltweite Gesamtauflage von über 500 Millionen Exemplaren. Auch in Deutschland erobern ihre Bücher und Hörbücher regelmäßig die Bestsellerlisten. Nora Roberts hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Ehemann in Maryland.Unter dem Namen J. D. Robb veröffentlicht Nora Roberts seit Jahren ebenso erfolgreich Kriminalromane.
Bibliographische Angaben
- Autor: Nora Roberts
- 2011, Neuveröffentlichung, 416 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Ingrid Klein
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442377315
- ISBN-13: 9783442377312
- Erscheinungsdatum: 10.08.2011
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