Gräfe und Unzer Einzeltitel / Je älter desto besser
Das Älterwerden hat in unserer Kultur kein gutes Image. Vollkommen zu Unrecht, wie Professor Dr. Ernst Pöppel, einer der führenden Hirnforscher Deutschlands, und Dr. Beatrice Wagner in ihrem...
Das Älterwerden hat in unserer Kultur kein gutes Image. Vollkommen zu Unrecht, wie Professor Dr. Ernst Pöppel, einer der führenden Hirnforscher Deutschlands, und Dr. Beatrice Wagner in ihrem Buch Je älter desto besser belegen. Denn das Alter hält positive Überraschungen bereit, besonders, was die Entwicklung des Gehirns betrifft.
Anders als der übrige menschliche Körper entwickelt das Gehirn bestimmte Fähigkeiten erst in späteren Jahren. Dazu gehört auch, dass es mit zunehmendem Alter effektiver arbeitet. So wurde festgestellt, dass ältere Menschen in Sachen Konzentrationsfähigkeit besser abschneiden als jüngere - vorausgesetzt, diese Fähigkeit wird auch trainiert. Ebenso ist belegt, dass man im späteren Lebensabschnitt zwar langsamer, aber dafür gründlicher denkt. Auch bietet das Altern die Chance, größere Ich-Nähe zu erfahren, also sich selbst immer näher zu kommen und authentischer aufzutreten. In zehn überraschenden Thesen, die jeweils auf einen Forschungsbereich von Ernst Pöppel zurückgehen, werden unterschiedliche Funktionsweisen des Gehirns vorgestellt und wie man mit ihnen auf die richtige Art und Weise umgehen kann. Dabei wird spannend und unterhaltsam beschrieben, wie der Hirnforscher auf den vielen Stationen seines Lebens zu wichtigen wissenschaftlichen Erkenntnissen kam. Darüber hinaus werden aktuelle Forschungsergebnisse aus der Hirnforschung berücksichtigt und mit bereits bekannten Erkenntnissen auf diesem Gebiet verknüpft und leicht verständlich erklärt.
Die beiden Autoren führen auf intelligente und sehr persönliche Weise in die komplexe Welt des menschlichen Gehirns ein. Außerdem kommen bekannte Persönlichkeiten wie Mario Adorf, Oswalt Kolle, Verona Pooth oder Dr. Bernhard Vogel in ausführlichen Interviews zum Thema Älterwerden am Ende eines jeden Kapitels zu Wort. So ergibt sich ein faszinierendes Gesamtbild, welches das Älterwerden in einem neuen, positiven Licht erscheinen lässt.
Ich werde älter und lerne immer noch dazu
»Ich werde alt - und lerne immer noch dazu«, sagte Solon, einer
der sieben Weisen der Antike, und das gilt heute noch. Ergebnisse der
Hirn forschung zeigen, dass wir auch mit 100 Jahren noch lernen können;
wir müssen uns nur ein Ziel setzen. Das Gehirn macht mit
FORSCHUNG -Vom wandernden Projektil zum Gehirntraining
Es war ein kühler, regnerischer Sommer im Jahr 1974. Deutschland war damals noch zweigeteilt. Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Sepp Maier und Helmut Schön hießen die Helden der »BRD«, denn sie hatten das Land zum Weltmeistertitel im Fußball geführt. Aber abgesehen davon gab es nicht so viel Grund zur Freude. Die Nachwirkungen der Ölkrise waren zu spüren,
sie verstärkten die Wirtschaftskrise und führten zu Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und Insolvenzen von Unternehmen. Es war auch ein Jahr der Rücktritte: In den USA trat Präsident Richard Nixon aufgrund der Watergate-Affäre zurück, in Israel Golda Meir wegen des Jom-Kippur-Krieges. Und bei uns stolperte Willy Brandt über die Guillaume-Affäre, den bedeutendsten deutschdeutschen Spionagefall.
Aus der Störung lernt man das Normale
Doch all diese Nachrichten drangen kaum bis in die dunkle Versuchskammer des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München durch. Hier war ein junger Forscher tätig, der immer wieder mit einem Gefühl des Schauderns an einen bestimmten Patienten denken musste. Dieser Patient, ein ehemaliger Soldat, hatte seit dem Zweiten Weltkrieg ein Projektil in seinem Kopf spazieren getragen. Es schmerzte nicht und störte nicht. So hatte man es damals im Kopf belassen. Dann aber, 30 Jahre später, begann das Projektil zu wandern und hinterließ eine Spur der Zerstörung. Wo auch immer es hindrückte, wurden Neuronen zerquetscht und Blutgefäße verletzt. Der Versuch, es herauszuholen, hätte den sofortigen Tod zur Folge gehabt. So lebte der Ex-Soldat mit seinem langsam wandernden Geschoss im Kopf weiter und stellte sich in seinen letzten Lebensmonaten der Wissenschaft zur Verfügung. Da das Projektil vor allem die Sehbahn streifte, führte der junge Wissenschaftler immer wieder Sehtests mit dem Patienten durch. Und nachdem dieser verstorben war, wurde schließlich sein Gehirn seziert. Das bedeutet, der Schädel wurde geöffnet, das Gehirn herausgenommen und in Scheiben geschnitten. Auch das hatte der junge Forscher miterlebt und weitreichende Erkenntnisse daraus gewonnen.
Er war damals 34 Jahre alt. Zuvor hatte er in Cambridge am Massachusetts Institute of Technology (MIT) gearbeitet und sich
dann in der Sinnesphysiologie habilitiert. Jetzt war er Leiter einer Arbeitsgruppe Neuropsychologie in München. Hier hatte er entdeckt, dass das Gesichtsfeld in einen zentralen und einen peripheren Bereich aufgeteilt ist. Jeder kennt das von sich: Der zentrale Bereich ist dafür zuständig, etwas genau in den Blick zu nehmen und Objekte zu erkennen. Die Peripherie des Gesichtsfeldes dient der Orientierung im Raum, hier erkennt man die Gegenstände nur schemenhaft, der Blick kann dann aber dorthin gezogen werden. Das Gehirn des ehemaligen Soldaten zeigte, dass der zentrale und der periphere Bereich in verschiedenen Regionen des Gehirns verarbeitet werden. »Die normalen Funktionen des Gehirns lernt man nur von Patienten, die Funktionsausfälle haben. Aus der Störung lernt man das Normale, Pöppel«, redete der Forscher vor sich hin. Er hatte nämlich die merkwürdige Angewohnheit, laut zu denken und sich dabei selbst mit seinem Nachnamen anzureden. (Seine Mitarbeiter freute die Angewohnheit, so konnten sie selbst ungeniert vom »Pöppel« reden.) Manchmal erinnerte er sich auch in der dritten Person an sich selbst: »Das hat doch der Pöppel neulich publiziert.« Aus der Erkenntnis über die unterschiedliche Verarbeitung des zentralen und peripheren Sehens war ein außerordentlich kontrovers diskutierter wissenschaftlicher Artikel entstanden, den Pöppel in der Zeitschrift NATURE veröffentlichte, wo jeder Forscher gerne als Autor vertreten sein möchte. Wohl aufgrund dieses Artikels wurden ihm immer wieder Patienten mit interessanten Sehstörungen ins Labor gebracht.
Sehbehindert nach einem Schlaganfall
Einmal war es ein auf den ersten Blick sofort sympathisch wirkender älterer Herr, der hilfl os am Arm eines Begleiters das Labor betrat. Der Herr war korrekt gekleidet und freundlich. Aber er wirkte verunsichert, weil ihm niemand glaubte, dass er nach seinem Schlaganfall fast nichts mehr sehen konnte. Es galt
auszuschließen, dass der Patient womöglich nur simulierte, um von der Versicherung Geld zu bekommen. Dass die Unter suchung dieses Mannes letztlich aber die Geburtsstunde der Neuro-Rehabilitation des Sehens bilden würde, hat in dem Moment sicher niemand geahnt. Und auch nicht, dass »H. H.« - unter diesem Kürzel ging der Patient in die wissenschaftliche Literatur ein - den Beweis dafür erbringen würde, dass die Fähigkeit des Lernens lebenslang in einem hohen Umfang erhalten bleiben, aber auch unwiderrufl ich verloren gehen kann. Je nachdem, ob man sein Gehirn trainiert oder nicht.
Der Schlaganfall hatte die beiden Gehirnhälften im hinteren Bereich getroffen. Hier befi ndet sich unter anderem der visuelle Kortex, der Teil der Großhirnrinde, der die optischen Informationen verarbeitet. H. H. hatte deshalb eine starke Sehbehinderung, obwohl seine Augen gesund waren. Alles, was er noch sehen konnte, war auf ein stark reduziertes Gesichtsfeld beschränkt, so, als würde er durch eine Küchenrolle hindurchschauen. Rechts und links der Öffnung herrschte blindes Nichts. ›Das kleine Licht am Ende des langen Tunnels, das ist unsere Hoffnung‹, dachte sich Pöppel. Aber zuerst musste das Anliegen der Krankenkasse erfüllt werden. Herauszufi nden, ob H. H. simulierte oder nicht, ging mit einem einfachen Experiment. Pöppel zeigte ihm Gegenstände in zwei verschiedenen Distanzen. Jemand, der simulieren möchte, würde vermutlich davon ausgehen, dass man den Gegenstand in einem kleinen Gesichtsfeld schlechter sehen würde, wenn er etwas weiter weg ist, und entsprechend antworten. Doch das Gesichtsfeld verhält sich nach den einfachen geometrischen Regeln des Strahlensatzes: Ein gegebener Winkel führt zu einer größeren Fläche, wenn diese weiter weg ist. Es ist so, als gingen vom Auge zwei Strahlen aus, die einen bestimmten Winkel einschließen, zum Beispiel von zehn Grad. Ein Grad entspricht etwa der Breite des Daumens auf Armeslänge. Zehn Grad sind also
Menschen sind den Rhythmen des Tages und des Jahres angepasst, das heißt, sie sind mit der Welt synchronisiert. Kleinste Vorgänge im Gehirn, wie die innere Uhr und die Oszillationen (siehe oben),
sorgen dafür. Wenn dies nicht mehr funktioniert, kommt es zu Desynchronisationen. Diese sind eine Belastung für den Körper. Sie merken das, wenn Sie nach einem langen Flug an einem fernen Ort
angekommen sind und der innere circadiane Rhythmus noch nicht an den äußeren Rhythmus des Tages angepasst ist. Wachheit und Müdigkeit, die Arbeit der Organe und der gesamte Stoffwechsel
sind durcheinandergeraten. Gerade bei älteren Menschen gerät der circadiane Rhythmus auch ohne Flugreise aus den Fugen. Mit folgenden Tipps stärken Sie Ihre Biorhythmen wieder.
Dr. Beatrice Wagner ist selbstständige Buchautorin, Medizinjournalistin und Lehrbeauftragte an der LMU München. Sie promovierte bei Prof. Dr. Pöppel und arbeitet für nationale und internationale Publikationen mit den Schwerpunkten Gerontologie, Liebe & Sexualität sowie Hirnforschung.
- Autoren: Ernst Pöppel , Beatrice Wagner
- 2010, 5. Aufl., 272 Seiten, 10 Abbildungen, Maße: 13,8 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Gräfe & Unzer
- ISBN-10: 3833818670
- ISBN-13: 9783833818677
- Erscheinungsdatum: 06.09.2010
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