Joe Speedboat
Keine Zeit für Helden. Roman
Eine ungewöhnlicher Freund: Er nennt sich Joe Speedboat und rast mit einem Umzugswagen, den sein Vater lenkt, in das Wohnzimmer einer angesehenen Familie in Lomark. Der Vater ist tot und Joe ist in dem kleinen Kaff an der niederländisch-deutschen Grenze...
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Produktinformationen zu „Joe Speedboat “
Eine ungewöhnlicher Freund: Er nennt sich Joe Speedboat und rast mit einem Umzugswagen, den sein Vater lenkt, in das Wohnzimmer einer angesehenen Familie in Lomark. Der Vater ist tot und Joe ist in dem kleinen Kaff an der niederländisch-deutschen Grenze gelandet. Und er wird der beste Freund von Fransje, der im Rollstuhl sitzt und erzählt, wie Joes Ankunft das Dorf in Aufruhr versetzt. Die unglaublichsten Szenen - wie Joe aus Fransje einen Champion im Armwrestling macht und mit einem umgebauten Bagger die Ralley Paris-Dakar fährt - werden hier mit größter Glaubwürdigkeit erzählt. Ein turbulentes, mitreißendes Buch über das Erwachsenwerden.
Klappentext zu „Joe Speedboat “
Er nennt sich Joe Speedboat und rast mit einem Umzugswagen in das Wohnzimmer einer angesehenen Familie in Lomark. Joe ist in dem kleinen Kaff an der niederländisch-deutschen Grenze gelandet. Und er wird der beste Freund von Fransje, der im Rollstuhl sitzt und erzählt, wie Joes Ankunft das Dorf in Aufruhr versetzt. Die unglaublichsten Szenen - wie Joe aus Fransje einen Champion im Armwrestling macht und mit einem umgebauten Bagger die Rallye Paris - Dakar fährt - werden hier mit größter Glaubwürdigkeit erzählt. Ein turbulentes, mitreißendes Buch über das Erwachsenwerden.
Lese-Probe zu „Joe Speedboat “
Der 1. Januar kam, nachts wurde getrunken und ein bißchen Feuerwerk gezündet, jetzt schliefen alle, um bald mit übelster Laune im neuen Jahr zu erwachen. Das Wasser war wieder etwas gesunken, es hatte knackig gefroren, und das Deichvorland lag unter einer wunderschönen Schicht aus Eis, auf das die Sonne tagsüber tiefgoldene Flammen zauberte, doch noch war es dunkel, und ich stand auf dem Deich und starrte mir in der Dunkelheit die Augen aus dem Kopf. Die Schuhe in der Hand hatten sich Joe und Christof gerade im Dunkeln mit Schlittschuhen auf den Weg gemacht, heute würde Joe zum ersten Mal versuchen, das Flugzeug in die Luft zu bekommen. Im Dunkeln murmelnd, entfernten sie sich immer weiter, bis ich nur noch das immer leiser werdende Schaben ihrer Kufen hörte.Als mir kalt wurde, fing ich an, hin und her zu fahren. Es blieb lange dunkel. Ich beschloß, ein Risiko einzugehen: ans andere Ufer, ich wollte dabeisein, den Abflug aus nächster Nähe erleben. Ich machte mich zum Lange Nek auf, wo die Straße hinter der rotweißen Absperrung unter dem Eis verschwand, und fuhr dort drauf. Ich war noch nie auf Eis gefahren. Nicht weiter erstaunlich, daß ich nervös war, aber eigentlich war nichts dabei - ich spürte, daß ich jeden Moment wegrutschen konnte und die Reifen auf dem Eis schlittern würden, wenn ich kräftig an der Stange zog, aber was machte das schon? Es gab nur wenig Reibung, ich brauchte nicht kräftig zu ziehen, um voranzukommen. Hinter Bethlehem Asphalt leuchtete ein verschwommener lila Lichtstreifen, ich war allein auf weiter Flur. Ebensogut hätte ich mit dem Flugzeug in der Pampa notlanden können. Es war märchenhaft still, ich hatte es nicht eilig, zur Halle zu kommen.
In letzter Zeit steckte wieder etwas mehr Leben in mir, ich hatte mir sogar vorgenommen, aus dieser Karre rauszukommen und ein bißchen laufen zu lernen. So verrückt es auch klingen mag, ich wollte meinen verwachsenen Bewegungsapparat wieder in Schwung bringen. Ich war fast siebzehn, hatte ab und
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zu eine Erektion, war aber so verdammt spastisch, daß Selbstbefriedigung nicht wirklich hinhaute, trotzdem spürte ich, daß es in diesem Körper irgendwo noch Möglichkeiten für eine feinere Motorik gab - und seien sie noch so klein - und vielleicht sogar für eine radlose Form der Fortbewegung. Ich übte schon eine Zeitlang heimlich, indem ich mich mit der rechten Hand am Tisch oder am Bett festhielt und mich mit aufgerichtetem Oberkörper auf den Knien über den Boden schob. Das klingt so einfach, aber man muß es so sehen, daß ich die ganze Evolution noch mal von vorn durchlief - jetzt hatte ich also in etwa das amphibische Stadium erreicht. Ich kam gerade aus dem Sumpf und durfte langsam daran denken, mich etwas weiter aufzurichten.
Ich schob mich durchs Zimmer wie ein Gläubiger auf Pilgerfahrt, und ich wußte, wenn Mam es sähe, würde sie jubeln, daß wieder ein Wunder geschehen war, und Jesaja zitieren, "So wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen wird jubeln" und so. Manche Leute glauben nun mal lieber an Wunder als an Willensstärke.
Die Muskeln, die noch in meinem Körper steckten, mußten zu neuem Leben erweckt werden. Ich hatte jahrelang nur auf dem Bett gelegen und im Rollstuhl gehangen, und es war unklar, ob mein Körper noch zu etwas anderem fähig war. Mein Reha-Arzt hatte zwar daran gezweifelt, aber das war verdammt lang her. Jetzt war ich älter, und manchmal muß man sich selbst einen Auftrag erteilen. Und wenn einem dann mal grundlos Optimismus durch die Adern strömt, ist es Zeit, sich an die Arbeit zu machen.
Das Eis war sagenhaft. Allmählich wurde es heller am Horizont, ich fuhr dorthin, wo ich noch nie gewesen war. Glasiges blaues Licht umgab mich, das türkise Herz eines Gletschers. So plan war das Eis und so weitläufig, warum war ich nicht eher darauf gekommen?
Das tiefschwarze Eis glitt unter mir vorüber, ich fuhr bis zur äußersten Nordspitze der Fährinsel.
Ich widerrufe das Bild des Gletschers: Ich befand mich im Herzen einer Schneekugel - so einem durchsichtigen, kleinen Plastikuniversum mit Flüssigkeit drin, in dem es schneit, wenn man es auf den Kopf stellt. Bei uns zu Hause stand so ein Ding auf der Anrichte, mit einem steigenden Einhorn vor kobaltblauem Hintergrund. Wenn man es schüttelte, schneite es um das Einhorn, das sein Maul wiehernd aufsperrte.
Unter der Eisschicht lagen die Felder des Sommers und der Weg, der sich zum Fluß schlängelte. In der trägen Strömung dort unten wogte das Gras.
Ich dampfte wie ein Pferd, irgendwo wurde ein Motor angelassen. Mein Eispalast zerfiel klirrend in Scherben.
Ich drehte mich um und sah das Flugzeug aufs Eis fahren. Es war immer noch eher dunkel als hell, und aus dieser Entfernung wirkte die Maschine unheilvoll, wie ein Fahrzeug aus den Werkstätten der Finsternis. Zwei Schemen rannten aufs Eis, das mußten Christof und Engel sein. Die Maschine stand still, sie beratschlagten mit Joe, dessen Kopf als einziges aus dem Flugzeugrumpf schaute. Es war windstill, die Maschine stand mit der Nase in Richtung Dorf. Als Engel und Christof einen Sicherheitsabstand vom Propeller hatten, gab Joe Gas. Ich mochte dieses Geräusch, das mit steigender Drehzahl des Motors immer höher und ungestümer wurde. Joe raste übers Eis. Als er die Höchstgeschwindigkeit erreicht hatte, versuchte er, die Nase in die Luft zu bekommen. Die Maschine löste sich einen Augenblick vom Boden und kam dann wieder auf. Und noch einmal. Immer wieder löste sie sich vom Boden und kam wieder auf. Es sah aus, als würde sie hüpfen.
Kurz vor dem Winterdeich bremste Joe, machte kehrt und fuhr wieder in unsere Richtung. Inzwischen stand ich ein paar Meter neben Engel und Christof, die Joes Bemühungen steif vor Anspannung verfolgten. Das Flugzeug donnerte übers Eis, es war ein phantastischer Anblick. Er kam mit achtzig oder neunzig Sachen auf uns zugefahren, Christof flüsterte: "Na komm schon", und Engel schnipste seine Zigarettenkippe weg, die aufglühend erlosch. Hinter uns hob sich der Vorhang der Morgendämmerung immer weiter und ließ den Himmel lila und orangefarben aufglühen.
An dem Tag muß es knackig gefroren haben. Ich kann mich aber nicht an die Kälte erinnern. Kurz bevor er bei uns war, machte Joe einen Schlenker nach links, die Drehzahl nahm ab, er kam langsam zum Stillstand und schaltete den Motor aus. Die Stille war eine Wohltat. Engel und Christof rannten zum Flugzeug, in dem Joe kopfschüttelnd auf die Instrumente starrte, bestehend aus einem Gashebel, einer Handbremse, Druck-, Benzin- und Temperaturanzeige. Den Steuerknüppel hielt er zwischen den Knien.
"Es hebt nicht ab", sagte er, als sie neben dem Flugzeug standen.
Wir konnten ihn nicht gut verstehen, weil seine Lippen blau gefroren waren.
"Ich glaub', daß wir was an den Klappen ändern müssen, ich krieg' nicht genug Auftrieb."
Er sah aus wie ein Insekt, mit der Skibrille und seiner altmodischen, rot, blau und weiß gestreiften Pudelmütze. Er stützte sich mit den Händen rechts und links ab und hievte sich mühsam aus der engen Kabine. Einen Augenblick blieb er auf dem Rand hocken, dann sprang er hinunter. Auf seinem Rücken sah ich einen dunklen, nassen Fleck von der Größe eines Fahrradsattels. Der Schweiß war quer durch seine Pullis und die Jacke gedrungen. Joe krümmte sich vor Kälte und bat um eine Zigarette. Engel gab ihm ein Päckchen und ein Feuerzeug, sie überlegten, was das Problem sein könnte. Sie hatten so lange auf diesen Augenblick hingearbeitet, und jetzt funktionierte es nicht. Engel lief ums Flugzeug und sagte leise: "Verdammt." Joe zog an seiner Zigarette wie ein altmodischer Kampfflieger auf einer obskuren Landebahn irgendwo in Nordafrika. Er spuckte aus und stieg mit der Zigarette im Mund über den Flügel wieder ins Flugzeug. Als der Motor ansprang und der Propeller sich zu drehen begann, froren wir vom eiskalten Wind. Joe wendete und rollte das Flugzeug zurück in die Halle. Er sah mich und lächelte. "Schönes neues Jahr, Fransje!"
Am 4. Januar machten sie einen zweiten Versuch. Sie hatten die Stellung der Klappen geändert und etwas mit dem Heckruder gemacht. Auch an diesem Tag gelang es nicht.
Ein Wetterumschwung war in Sicht, die Kaltluft sollte am Wochenende milderen Temperaturen weichen. Sie arbeiteten in einer Tour, weil ohne Eis gar nichts lief. Es war ein Wettlauf gegen die Zeit. Der 10. Januar kam, es taute, meine Reifen hinterließen nasse Spuren auf dem Eis. Jetzt oder nie, hieß es, als Joe zum x-ten Mal aus der Halle fuhr. Ich schloß mich Engel und Christof an, die auf den Nägeln kauend das Flugzeug verfolgten, das dort hinten beschleunigte. Immer schneller fuhr es, bis es auf der Linie zwischen Dorf und Fabrik die Höchstgeschwindigkeit erreicht hatte.
"Zieh hoch, Mann!" rief Engel atemlos. "Zieh um Himmels willen hoch!"
Wenn es je einen günstigen Augenblick gegeben hatte, dann jetzt- es war früh, die Luft war klar, kalt und "dicht", wie Joe sagte, was gut war zum Abheben. Dort hinten donnerte er übers Eis und würde bald aufsteigen müssen, weil er sonst mit Vollgas gegen eine Reihe von Kopfweiden knallte, die dort im Deichvorland aus dem Eis ragten.
"Was macht er bloß?"
Joe raste mit einem Höllentempo auf die Bäume zu, so schnell war er noch nie gewesen, doch er machte keine Anstalten aufzusteigen - wenn er nicht bald wendete oder bremste, war er mausetot. Ich schloß die Augen, öffnete sie jedoch gleich wieder und sah, daß er endlich abhob. Das Hinterrad hatte sich vom Boden gelöst, die Maschine hing wunderbar horizontal und sprang auf dem Eis auf und ab, jedes andere Flugzeug hätte abgehoben ... O Gott, o Gott ... Da! Er flog!
Die Maschine stieg ein paar Meter in die Höhe und schoß über die Weidenwipfel hinweg. Das hatte Joe unmöglich abschätzen können, er war einfach ein idiotisches Risiko eingegangen und hatte Glück gehabt. Reines Glück, da war ich mir sicher. Wenn die Maschine in diesem Moment nicht aufgestiegen wäre, wäre er jetzt tot. Aber er war nicht tot, er flog ...
"Ja! Ja!" schrie Engel neben mir.
Christof sprang auf und ab und klammerte sich an Engel. Jetzt sprangen beide zusammen schreiend auf und ab. Mir liefen Tränen über die Wangen. Er hatte es geschafft, er war in westlicher Richtung davongeflogen, das Surren des Motors wurde leiser, als das Flugzeug am Horizont verschwand. Er hatte das Wunder der Brüder Wright wiederholt. Jetzt war für ihn nichts mehr unmöglich.
Ich schob mich durchs Zimmer wie ein Gläubiger auf Pilgerfahrt, und ich wußte, wenn Mam es sähe, würde sie jubeln, daß wieder ein Wunder geschehen war, und Jesaja zitieren, "So wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen wird jubeln" und so. Manche Leute glauben nun mal lieber an Wunder als an Willensstärke.
Die Muskeln, die noch in meinem Körper steckten, mußten zu neuem Leben erweckt werden. Ich hatte jahrelang nur auf dem Bett gelegen und im Rollstuhl gehangen, und es war unklar, ob mein Körper noch zu etwas anderem fähig war. Mein Reha-Arzt hatte zwar daran gezweifelt, aber das war verdammt lang her. Jetzt war ich älter, und manchmal muß man sich selbst einen Auftrag erteilen. Und wenn einem dann mal grundlos Optimismus durch die Adern strömt, ist es Zeit, sich an die Arbeit zu machen.
Das Eis war sagenhaft. Allmählich wurde es heller am Horizont, ich fuhr dorthin, wo ich noch nie gewesen war. Glasiges blaues Licht umgab mich, das türkise Herz eines Gletschers. So plan war das Eis und so weitläufig, warum war ich nicht eher darauf gekommen?
Das tiefschwarze Eis glitt unter mir vorüber, ich fuhr bis zur äußersten Nordspitze der Fährinsel.
Ich widerrufe das Bild des Gletschers: Ich befand mich im Herzen einer Schneekugel - so einem durchsichtigen, kleinen Plastikuniversum mit Flüssigkeit drin, in dem es schneit, wenn man es auf den Kopf stellt. Bei uns zu Hause stand so ein Ding auf der Anrichte, mit einem steigenden Einhorn vor kobaltblauem Hintergrund. Wenn man es schüttelte, schneite es um das Einhorn, das sein Maul wiehernd aufsperrte.
Unter der Eisschicht lagen die Felder des Sommers und der Weg, der sich zum Fluß schlängelte. In der trägen Strömung dort unten wogte das Gras.
Ich dampfte wie ein Pferd, irgendwo wurde ein Motor angelassen. Mein Eispalast zerfiel klirrend in Scherben.
Ich drehte mich um und sah das Flugzeug aufs Eis fahren. Es war immer noch eher dunkel als hell, und aus dieser Entfernung wirkte die Maschine unheilvoll, wie ein Fahrzeug aus den Werkstätten der Finsternis. Zwei Schemen rannten aufs Eis, das mußten Christof und Engel sein. Die Maschine stand still, sie beratschlagten mit Joe, dessen Kopf als einziges aus dem Flugzeugrumpf schaute. Es war windstill, die Maschine stand mit der Nase in Richtung Dorf. Als Engel und Christof einen Sicherheitsabstand vom Propeller hatten, gab Joe Gas. Ich mochte dieses Geräusch, das mit steigender Drehzahl des Motors immer höher und ungestümer wurde. Joe raste übers Eis. Als er die Höchstgeschwindigkeit erreicht hatte, versuchte er, die Nase in die Luft zu bekommen. Die Maschine löste sich einen Augenblick vom Boden und kam dann wieder auf. Und noch einmal. Immer wieder löste sie sich vom Boden und kam wieder auf. Es sah aus, als würde sie hüpfen.
Kurz vor dem Winterdeich bremste Joe, machte kehrt und fuhr wieder in unsere Richtung. Inzwischen stand ich ein paar Meter neben Engel und Christof, die Joes Bemühungen steif vor Anspannung verfolgten. Das Flugzeug donnerte übers Eis, es war ein phantastischer Anblick. Er kam mit achtzig oder neunzig Sachen auf uns zugefahren, Christof flüsterte: "Na komm schon", und Engel schnipste seine Zigarettenkippe weg, die aufglühend erlosch. Hinter uns hob sich der Vorhang der Morgendämmerung immer weiter und ließ den Himmel lila und orangefarben aufglühen.
An dem Tag muß es knackig gefroren haben. Ich kann mich aber nicht an die Kälte erinnern. Kurz bevor er bei uns war, machte Joe einen Schlenker nach links, die Drehzahl nahm ab, er kam langsam zum Stillstand und schaltete den Motor aus. Die Stille war eine Wohltat. Engel und Christof rannten zum Flugzeug, in dem Joe kopfschüttelnd auf die Instrumente starrte, bestehend aus einem Gashebel, einer Handbremse, Druck-, Benzin- und Temperaturanzeige. Den Steuerknüppel hielt er zwischen den Knien.
"Es hebt nicht ab", sagte er, als sie neben dem Flugzeug standen.
Wir konnten ihn nicht gut verstehen, weil seine Lippen blau gefroren waren.
"Ich glaub', daß wir was an den Klappen ändern müssen, ich krieg' nicht genug Auftrieb."
Er sah aus wie ein Insekt, mit der Skibrille und seiner altmodischen, rot, blau und weiß gestreiften Pudelmütze. Er stützte sich mit den Händen rechts und links ab und hievte sich mühsam aus der engen Kabine. Einen Augenblick blieb er auf dem Rand hocken, dann sprang er hinunter. Auf seinem Rücken sah ich einen dunklen, nassen Fleck von der Größe eines Fahrradsattels. Der Schweiß war quer durch seine Pullis und die Jacke gedrungen. Joe krümmte sich vor Kälte und bat um eine Zigarette. Engel gab ihm ein Päckchen und ein Feuerzeug, sie überlegten, was das Problem sein könnte. Sie hatten so lange auf diesen Augenblick hingearbeitet, und jetzt funktionierte es nicht. Engel lief ums Flugzeug und sagte leise: "Verdammt." Joe zog an seiner Zigarette wie ein altmodischer Kampfflieger auf einer obskuren Landebahn irgendwo in Nordafrika. Er spuckte aus und stieg mit der Zigarette im Mund über den Flügel wieder ins Flugzeug. Als der Motor ansprang und der Propeller sich zu drehen begann, froren wir vom eiskalten Wind. Joe wendete und rollte das Flugzeug zurück in die Halle. Er sah mich und lächelte. "Schönes neues Jahr, Fransje!"
Am 4. Januar machten sie einen zweiten Versuch. Sie hatten die Stellung der Klappen geändert und etwas mit dem Heckruder gemacht. Auch an diesem Tag gelang es nicht.
Ein Wetterumschwung war in Sicht, die Kaltluft sollte am Wochenende milderen Temperaturen weichen. Sie arbeiteten in einer Tour, weil ohne Eis gar nichts lief. Es war ein Wettlauf gegen die Zeit. Der 10. Januar kam, es taute, meine Reifen hinterließen nasse Spuren auf dem Eis. Jetzt oder nie, hieß es, als Joe zum x-ten Mal aus der Halle fuhr. Ich schloß mich Engel und Christof an, die auf den Nägeln kauend das Flugzeug verfolgten, das dort hinten beschleunigte. Immer schneller fuhr es, bis es auf der Linie zwischen Dorf und Fabrik die Höchstgeschwindigkeit erreicht hatte.
"Zieh hoch, Mann!" rief Engel atemlos. "Zieh um Himmels willen hoch!"
Wenn es je einen günstigen Augenblick gegeben hatte, dann jetzt- es war früh, die Luft war klar, kalt und "dicht", wie Joe sagte, was gut war zum Abheben. Dort hinten donnerte er übers Eis und würde bald aufsteigen müssen, weil er sonst mit Vollgas gegen eine Reihe von Kopfweiden knallte, die dort im Deichvorland aus dem Eis ragten.
"Was macht er bloß?"
Joe raste mit einem Höllentempo auf die Bäume zu, so schnell war er noch nie gewesen, doch er machte keine Anstalten aufzusteigen - wenn er nicht bald wendete oder bremste, war er mausetot. Ich schloß die Augen, öffnete sie jedoch gleich wieder und sah, daß er endlich abhob. Das Hinterrad hatte sich vom Boden gelöst, die Maschine hing wunderbar horizontal und sprang auf dem Eis auf und ab, jedes andere Flugzeug hätte abgehoben ... O Gott, o Gott ... Da! Er flog!
Die Maschine stieg ein paar Meter in die Höhe und schoß über die Weidenwipfel hinweg. Das hatte Joe unmöglich abschätzen können, er war einfach ein idiotisches Risiko eingegangen und hatte Glück gehabt. Reines Glück, da war ich mir sicher. Wenn die Maschine in diesem Moment nicht aufgestiegen wäre, wäre er jetzt tot. Aber er war nicht tot, er flog ...
"Ja! Ja!" schrie Engel neben mir.
Christof sprang auf und ab und klammerte sich an Engel. Jetzt sprangen beide zusammen schreiend auf und ab. Mir liefen Tränen über die Wangen. Er hatte es geschafft, er war in westlicher Richtung davongeflogen, das Surren des Motors wurde leiser, als das Flugzeug am Horizont verschwand. Er hatte das Wunder der Brüder Wright wiederholt. Jetzt war für ihn nichts mehr unmöglich.
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Autoren-Porträt von Tommy Wieringa
Wieringa, TommyTommy Wieringa, 1967 geboren, ist einer der erfolgreichsten niederländischen Schriftsteller. Er schreibt Romane, Erzählungen, Essays und Reisereportagen. Bei Hanser erschienen Joe Speedboat (Keine Zeit für Helden - Roman, 2006), Der verlorene Sohn (Roman, 2010), Eine schöne junge Frau (Roman, 2015), Niemandes Herr, niemandes Knecht (Hanser-Box, 2015) und Dies sind die Namen (Roman, 2016). Für Santa Rita (Roman, 2019) erhielt er den BookSpot Literaturpreis sowohl in der Kategorie der Kritiker als auch der Leser.
Bibliographische Angaben
- Autor: Tommy Wieringa
- 2006, 304 Seiten, Maße: 15,1 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Bach, Bettina
- Übersetzer: Bettina Bach
- Verlag: HANSER
- ISBN-10: 3446207708
- ISBN-13: 9783446207707
- Erscheinungsdatum: 05.08.2006
Rezension zu „Joe Speedboat “
"Tommy Wieringa brilliert mit dem Roman 'Joe Speatboat' ... Und in der Tat hält das Buch, was sein Anfang verspricht: ein starkes Stück Literatur, eine fulminante Geschichte, wunderbar geschrieben, amüsant zu lesen - umwerfend und fesselnd." Wolfgang Lange, Neue Zürcher Zeitung, 10.12.06"Schelmenroman und Hollywood-Burleske gehen in 'Joe Speedboat' eine wunderbare Allianz ein. ... Wieringa hat drei weitere Romane geschrieben, allesamt unübersetzt bisher - die möchte man jetzt bitteschön auch auf Deutsch lesen." Frank Schäfer, Die Tageszeitung, 14.01.07
Bei Tommy Wieringa "sind Phantasie und Humor von besonderer Art. ... Die Neigung zum Anarchischen, die sich mit Bibelfestigkeit und moralischen Ansprüchen verblüffend lässig paart, macht den Charme von 'Joe Speedboat' aus." Kristina Maidt-Zinke, Süddeutsche Zeitung, 04.03.07
"Joe Speedboat fährt wie ein frischer Wind in die dumpfe Luft der niederländischen Provinz." Kristina Maidt-Zinke, Süddeutsche Zeitung, 04.03.07
Kommentar zu "Joe Speedboat"
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