Kaltes Blut / Julia Durant Bd.6
Kommissarin Julia Durant und ihre Kollegen stehen vor...
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Kommissarin Julia Durant und ihre Kollegen stehen vor einem Rätsel, das noch undurchdringlicher wird, als sich bei der Obduktion herausstellt, dass Selina schwanger war.
Kaltes Blut von Andreas Franz
LESEPROBE
Der zurückliegende Tag hatte nasseKälte gebracht, kein einziger Sonnenstrahl war durch die dunkelgraueWolkendecke gedrungen. Für die kommenden Tage und Nächte wurden starker Frostund Schneefall angekündigt, und sollten die Meteorologen Recht behalten, sowürde es ein sehr schneereicher Jahreswechsel werden. Er blickte auf die Uhr,zehn nach drei. In dieser Nacht lud er seine Fracht in den Kofferraum, fuhr biszum Parkplatz in unmittelbarer Nähe des Baggersees, und er war sicher, dassniemand ihn beobachtete, denn es war kalt, die Straßen glatt, dickeSchneeflocken fielen zu Boden. Hinter keinem der Fenster brannte mehr Licht,der Ort schlief, selbst die Straßenlaternen waren an dieser Stelle seitMitternacht ausgeschaltet. Vor allem im Winter, wenn die Nächte sich unendlichin die Länge zogen, sah man ab spätestens acht Uhr abends kaum noch einenMenschen in den kleinen Straßen und Gassen, außer solche, die mit ihren Hundennoch mal raus mussten, nein, sie verschanzten sich lieber hinter den dickenMauern ihrer Reihenhäuser, Villen und Bungalows, was ihm jetzt zugute kam. KeinGeräusch drang an seine Ohren, nicht einmal das Starten eines Flugzeugs. Einegespenstische Stille hatte alles erfasst, nur der Ostwind jagte heulend überdas freie Land. Er schaltete den Motor aus, nahm das Nachtsichtgerät vomBeifahrersitz, setzte es auf und vergewisserte sich, dass er tatsächlich alleinwar. Er atmete schwer, die letzten Stunden hatten ihm viel abverlangt, seinKörper und seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Er schob das Sichtgerätnach oben, denn jeder Lichtstrahl hätte in seinen Augen geschmerzt, als würdeer direkt in die Sonne blicken. Er öffnete die Tür und sah noch einmal um sich.Lautlos hob sich die Kofferraumhaube, er nahm das in festes Leinentuch sorgsamverschnürte Bündel heraus und legte es sich über die Schulter. Das Sichtgeräterneut auf den Augen, ließ er seinen Blick von einer Seite zur andern wandern,bis er an der Stelle ankam, wo das große Schlauchboot lag, das sich selbstaufblies und das er nachher zusammengefaltet wieder mit nach Hause nehmenwürde. Es war verboten, auf dem Baggersee Boot zu fahren, doch in dieserWinternacht war das Letzte, was jemand vermuten würde, dass ein Verrückter hierein Boot zu Wasser lassen würde. Er legte das Bündel hinein, ging zweimal zumWagen zurück und holte drei je fünfzehn Kilogramm schwere Eisengewichte undeine etwa fünf Meter lange Kette. Trotz des Sichtgeräts musste er aufpassen,dass er nicht stolperte, doch diese Gegend war ihm derart vertraut, dass erfast jeden Stein und jede Unebenheit kannte. Das Boot schaukelte, als er auchnoch die Gewichte hineinlegte und damit begann, beinahe mechanisch die Kette umdas Stoffbündel zu wickeln und schließlich die Gewichte mit extra starkenSicherheitsschlössern daran zu befestigen. Seine Hände waren trotz derHandschuhe kalt, sein Gesicht wie erstarrt. Er war sicher, hier würde niemandsuchen, und es gab Stellen, an denen der See bis zu dreißig Meter tief war. Erhatte es selbst ausgemessen und kannte die tiefsten Stellen. Und sogar imSommer war das Wasser so trüb, dass man kaum mehr als zwanzig oder dreißigZentimeter unter die Oberfläche sehen konnte. Nachdem er seine Arbeit beendethatte, nahm er die kalten Ruder und fuhr bis zur Seemitte. Er holte die Ruder ein,warf einen letzten Blick auf das Bündel, ging in die Knie und verlagerte seinGewicht auf die linke Seite, während er unter den Stoff griff und mitverzerrtem Gesicht seine schwere Fracht über den Bootsrand hievte und insWasser plumpsen ließ. In diesem Moment fingen ein paar Enten an zu schnattern,verstummten jedoch gleich wieder. Das Boot wackelte, er hatte Mühe, nicht dieBalance zu verlieren. Er hörte, wie Blasen aufstiegen, und er meinte auch zuhören, wie das Bündel schließlich nach einigen Sekunden den Grund des kleinenGewässers erreichte. Nein, dachte er, hier wird niemand suchen, denn der Seewar schon vor längerem zum Sperrgebiet für Schwimmer erklärt worden. Sobald dieersten warmen Tage kamen, würden zwar viele Menschen ihre freien Stunden amUfer verbringen oder an der Grillstelle, aber sie würden bis auf wenige, diedie Verbotsschilder missachteten, nicht ins Wasser springen, da auf denSchildern deutlich darauf hingewiesen wurde, dass eine unberechenbare, kalteUnterströmung selbst einen geübten Schwimmer in den Tod reißen konnte, denn dieUnterströmung befand sich nie an der gleichen Stelle, sondern veränderte sichnach scheinbar von ihr selbst aufgestellten Regeln. Er wartete noch zweiMinuten und ruderte zurück ans Ufer, ließ die Luft aus dem Boot, faltete eszusammen und trug es mit den Rudern zum Auto. Noch immer war er allein mit sichund der Nacht. Er verzog den Mund zu einem zynischen Lächeln, schaute einletztes Mal um sich, nahm das Gerät vom Gesicht und setzte sich ins Wageninnere.Er atmete ein paar mal tief durch, startete den Motor und fuhr los. Er hatte esgeschafft, und keiner würde je auf ihn kommen. Es war nur ein Mädchen, manwürde es als vermisst melden und irgendwann die Suche aufgeben. Er empfand keinMitleid für sie, auch nicht für ihre Eltern, für die es der traurigsteHeiligabend überhaupt werden würde. Aber was interessierte ihn das Weihnachtenanderer, was interessierten ihn die Gefühle irgendwelcher Eltern, die er nochnie zu Gesicht bekommen hatte, von denen er nur wusste, dass die Familieohnehin bald auseinander brechen würde. Außerdem war das Mädchen selbst schuldan seinem Schicksal, es hatte es doch nicht anders gewollt. Er fühlte sich aufeine seltsame Weise glücklich und erleichtert, und sollten die Prognosen derWetterfrösche tatsächlich eintreffen, so würde der See in den kommenden Tagenwomöglich sogar zufrieren, zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder. Nein, erhatte kein Mitleid, und er schwor sich, nie darüber nachzudenken oder zubereuen, was er getan hatte. Ruhe in Frieden, dachte er auf dem Weg nach Hause,Ruhe in Frieden, mein Engel. Seine Weihnachtsvorbereitungen warenabgeschlossen, alle Geschenke gekauft, den Tannenbaum würde er morgenNachmittag schmücken, wie es schon bei seinen Eltern Tradition war, eineTradition, die er in seiner Familie fortsetzte. MerryChristmas.
© DroemerKnaur
- Autor: Andreas Franz
- 2003, 28. Aufl., 560 Seiten, Maße: 11,3 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426621738
- ISBN-13: 9783426621738
- Erscheinungsdatum: 01.10.2003
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 5Schreiben Sie einen Kommentar zu "Kaltes Blut / Julia Durant Bd.6".
Kommentar verfassen