Kämpfen und Lieben
Kämpfenund Lieben von Anselm Grün
LESEPROBE
Salomo: Der Liebhaber
Salomo wirdim Ersten Buch der Könige als weiser Herrscher beschrieben. Im Traum fordertGott ihn auf, eine Bitte zu äußern. Salomo bittet nicht um Reichtum, sondernum Weisheit: »Verleih deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zuregieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht.« (1 Könige 3,9) Gott antwortet ihm: »Siehe, ich gebedir ein so weises und verständiges Herz, daß keiner vor dir war und keiner nachdir kommen wird, der dir gleicht.« (1 Kön 3,12) Diese Weisheit zeigt Salomo in demsprichwörtlich gewordenen »salomonischen Urteil«, als zwei Frauen zu ihmkommen und sich gegenseitig beschuldigen, daß die andere ihr das eigene Kind weggenommenhabe. Als Salomo entscheidet, daß man das Kind entzwei schneiden solle, bittetdie eine Frau, man solle es der anderen geben, aber nicht töten. Salomo erkenntin ihr die wahre Mutter. Das Volk bewundert seine Weisheit. Auch die Königinvon Saba kommt, um seine Weisheit zu bewundern. Die Bibel sagt von ihm: »DieWeisheit Salomos war größer als die Weisheit aller Söhne des Ostens und alleWeisheit Ägyptens.« (1 Kön 5,10) Lukas sieht die Weisheit des Salomo in Jesuserfüllt: »Hier aber ist einer, der mehr ist als Salomo.« (Lukas 11,31) Jesus verkörpert alle Weisheit derJuden und Griechen, des Ostens und des Westens. Das Alte Testament schreibt demSalomo viele Sprichwörter, Psalmen und Lieder zu. Es nennt ihn als Verfasser desBuches der Sprichwörter, von Kohelet und vom Hohenlied. Nachbiblisch entstehendie Psalmen und Oden Salomos. All das zeigt, daß man Salomo als Dichterverstand, der sowohl die Weisheit als auch die Liebe besang.
Nebenseiner Weisheit ist Salomo auch dafür bekannt, daß er viele Frauen geliebt hat:»Er hatte siebenhundert fürstliche Frauen und dreihundert Nebenfrauen.« (1 Kön 11,3) Die Bibel macht ihm nicht zumVorwurf, daß er so viele Frauen hatte. Damals war das so üblich. Es war eineandere Weise, seine Sexualität und Erotik zu leben. Wir können die vielenFrauen des Salomo auch bildhaft verstehen. Dann zeigen sie uns, daß auch heute derMann nicht nur mit der Frau, die er geheiratet hat, sondern mit vielen Frauenin Berührung kommt, zu denen er auch erotische Gefühle in sich spürt. DieFrage ist nur, wie er mit diesen Gefühlen umgeht, ob er alle Frauen, für die eretwas fühlt, auch besitzen möchte, oder ob er sie in Freiheit achtet und sichan ihrer Schönheit und Ausstrahlung freut.
Die Bibelwirft dem Liebhaber Salomo nicht dessen Liebe zu vielen Frauen vor, sondern daßdarunter viele Ausländerinnen waren, die fremden Kulten angehörten und ihn dazuverführten, auch ihre Götter zu verehren. Salomo ließ Altäre für alle Götterund Göttinnen erbauen, die seine vielen Frauen verehrten. Man könnte auchsagen, die Liebe zu den Frauen wurde ihm erst zum Verhängnis, als er in denFrauen Göttinnen sah. Wenn ich eine Frau mit einem archetypischen Bildidentifiziere, etwa mit einer Göttin oder Erlöserin, dann werde ich unfähig zu wahrerLiebe, dann liebe ich nicht die Frau, sondern das archetypische Bild in ihr.Zu mir kam einmal ein Mann, der mir erzählte, seine Freundin sei für ihn dieErlöserin. Da war mir klar, daß diese Beziehung nicht gut gehen konnte. Sieging auch in kurzer Zeit auseinander. Liebe heißt, daß ich die Frau als Frau liebeund nicht als eine Göttin, die alle meine Wunden heilt und alle Probleme löst.
Etwas, wasSalomos Liebesbeziehungen zu den Frauen von Anfang an geschwächt hat, war, daßer sie allein durch seine Position als König gewonnen hat. Er hat nicht um siegekämpft. Ihm fehlte der Krieger, damit er ein guter Liebhaber sein konnte. Ohneden Krieger in sich zu verwirklichen, ist der Mann nicht fähig, eine Frau zuerobern. Ohne Krieger fehlt ihm die Leidenschaft in der Liebe. Da wird seineLiebe schnell langweilig. Und dann braucht er eine Frau nach der anderen, weiler keine richtig zu lieben versteht.
Von Salomo heißt es, daß er »dem Herrn, seinem Gott, nichtmehr ungeteilt ergeben war wie sein Vater David« (1 Kön 11,4). Gott wird zornigüber Salomo und droht ihm an, ihm sein Königtum zu entreißen. So endet dievierzigjährige Herrschaft Salomos, der so weise begonnen hat, in der SpaltungIsraels. Weil Salomo in sich gespalten war, spaltete sich auch das Volk in das Südreichund Nordreich. David hatte klein begonnen und war als weiser Herrschergestorben. Salomo begann als weiser und reicher König und endete als ein Mann,der sich von den auseinanderstrebenden Tendenzen seiner Seele spalten ließ unddaher um sich herum Spaltung bewirkte. Das ist die Tragik dieses großenKönigs. Aber es ist ein Phänomen, das wir heute oft beobachten können. Salomoist der typische Nachfolger. Er braucht nicht zu kämpfen. Er übernimmt dasReich, das David mit viel Energie und Kampf aufgebaut und stabilisiert hat.Salomo kann im Kämpfen und Organisieren seinem Vater nicht das Wasser reichen.Daher verlegt er sich auf das Geistige und vernachlässigt das Reich. So gehtdas Reich zugrunde. Was so gut angefangen hat, spaltet sich, weil ihm dieEnergie des Kriegers und des Königs fehlt.
Andererseitssagt nur von Salomo die Bibel: »Salomo aber liebte den Herrn.« (1 Kön 3,3) DieLiebe zu Frauen befähigte ihn offensichtlich auch, Gott wahrhaft zu lieben.Die Liebe zu Gott stand nicht im Gegensatz zu seiner Fähigkeit, Frauen zulieben. Die reine Form seiner erotischen und sexuellen Liebe drückt Salomo ausin wunderbaren Liebesliedern, wie sie das Hohelied gesammelt hat. In diesenLiedern preist der Verfasser, den die Tradition später mit Salomoidentifizierte, die Liebe zwischen Mann und Frau als das größte Geschenk, dasGott dem Menschen gegeben hat. Da besingen Geliebter und Geliebte sich gegenseitig:»Schön bist du, meine Freundin, ja, du bist schön. Zwei Tauben sind deineAugen. Schön bist du, mein Geliebter, verlockend. Frisches Grün ist unserLager.« (Hohelied 1,15f) Sie genießen ihre Liebe, die voller Erotik undSexualität ist, und singen: »Stört die Liebe nicht auf, weckt sie nicht, bis esihr selbst gefällt.« (Hld 2,5) Der Freund fühlt sich von der Liebe seiner Freundinverzaubert: »Verzaubert hast du mich, meine Schwester Braut, ja verzaubert miteinem Blick deiner Augen, mit einer Perle deiner Halskette. Wie schön istdeine Liebe, meine Schwester Braut; wie viel süßer ist deine Liebe als Wein.«(Hld 4,9f) Und die Braut besingt ihren Geliebten: »Sein Mund ist voll Süße;alles ist Wonne an ihm. Das ist mein Geliebter, ja, das ist mein Freund, ihrTöchter Jerusalems.« (Hld 5,16) Am Ende dieser wunderbaren Liebeslieder stehtdie Einsicht: »Stark wie der Tod ist die Liebe, die Leidenschaft ist hart wiedie Unterwelt. Ihre Gluten sind Feuergluten, gewaltige Flammen. Auch mächtigeWasser können die Liebe nicht löschen; auch Ströme schwemmen sie nicht weg.Böte einer für die Liebe den ganzen Reichtum seines Hauses, nur verachten würdeman ihn.« (Hld 8,6f) Männer lieben diese Verse aus dem Hohenlied, die ohne moralisierendenZeigefinger die sexuelle Liebe zwischen Mann und Frau besingen. Sie atmen etwasvon der Freiheit und Lust, die der Eros im Mann auslöst.
©Vier-Türme-Verlag
- Autor: Anselm Grün
- 2003, 188 Seiten, Maße: 14 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Vier Türme
- ISBN-10: 3878682859
- ISBN-13: 9783878682851
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