Karp, B: Homeless - Mein Weg zurück ins Leben
Vom Strandhäuschen zum Supermarktparkplatz ist man manchmal nur eine Wirtschaftskrise und sieben Tage entfernt. Das schonungslose und Mut machende Memoir einer Frau ohne festen Wohnsitz
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Karp, B: Homeless - Mein Weg zurück ins Leben “
Vom Strandhäuschen zum Supermarktparkplatz ist man manchmal nur eine Wirtschaftskrise und sieben Tage entfernt. Das schonungslose und Mut machende Memoir einer Frau ohne festen Wohnsitz
Klappentext zu „Karp, B: Homeless - Mein Weg zurück ins Leben “
Das sind alles Faulpelze. Zu faul, um sich Arbeit zu suchen. Sieh sie nicht an, sprich nicht mit ihnen und gib ihnen nichts. Die Hälfte von ihnen ist gar nicht wirklich obdachlos, weißt du. Sie tun nur so, um Geld zu verdienen, ohne ernsthaft arbeiten zu müssen. Mit diesen Worten ihrer Mutter wurde Brianna Karp groß. Mit diesen Worten und mit den zärtlichen Liebkosungen ihres Vaters, dem religiösen Fanatismus ihrer Großmutter, mit Schlägen, Wut und Enttäuschung.
Brianna schaffte es trotzdem, der familiären Hölle zu entkommen. Sie hatte früh gelernt zu überleben und auf eigenen Beinen zu stehen. Ihr Geld verdiente sie zunächst mit Gelegenheitsjobs, dann fest angestellt als Bürokraft. Bis auch sie die Finanzkrise erwischte. Es war der 26. Februar 2009. Ich war obdachlos.
Dies ist ihre Geschichte.
Lese-Probe zu „Karp, B: Homeless - Mein Weg zurück ins Leben “
Homeless von Brianna KarpProlog
Kalt lag die Abendluft über dem Walmart-Parkplatz in Südkalifornien. Ich hatte nicht genügend Decken mitgebracht und würde noch einmal bei dem Gebrauchtwarenladen vorbeigehen müssen, um weitere zu holen. Die Straßenlampen tauchten alles in helles Licht. Es herrschte eine unheimliche Stille. Als ich ankam, standen ein gutes Dutzend Wohnwagen herum, aber es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass darin tatsächlich jemand wohnte. Ich war einmal in Calico Ghost Town gewesen, einer alten, verlassenen Minenstadt in den Hügeln außerhalb von San Bernadino, und hier lag das gleiche Gefühl der Verlassenheit in der Luft. Ich wusste, dass sie da waren. Vermutlich standen sie hinter ihren Vorhängen und beobachteten mich genau, aber ich konnte sie weder sehen noch hören.
Gab es unter ihnen noch mehr wie mich? Oder waren sie alle nur auf der Durchreise? War ich die Einzige, die dumm genug war zu glauben, dass sie so eine Nummer durchziehen könnte?
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Eine irrationale Angst überkam mich. Wie sollte ich schlafen können? Ich war so erschöpft wie lange nicht mehr, dennoch knipste ich eine einsame Taschenlampe an und versuchte, ein Buch zu lesen, auch wenn ich es nicht wirklich lesen nennen würde. Es war mehr ein blindes Auf-die-Seiten-starren; meine Blicke rasten über die Wörter, ohne sie aufzunehmen, während mein Kopf ein Horrorszenario nach dem anderen ersann. Was, wenn ich vom scharfen Klopfen eines Polizeischlagstocks gegen mein Fenster geweckt würde? Was, wenn sie wüssten, dass ich plante, länger hierzubleiben als nur eine oder zwei Nächte? Was, wenn sie es spüren konnten? Was, wenn ich an einem Abschlepphaken hängend aufwachen würde, während meine Kisten langsam auf mich zurutschten und meine Hilfeschreie unter Hunderten von Büchern begraben würden?
Ich hatte mir nie viel Gedanken über Obdachlosigkeit oder Obdachlose gemacht. Sicher, es gab den einen oder anderen Landstreicher auf der Straße, der auf dem Bürgersteig vor einem 7-Eleven herumlungerte und um Kleingeld bettelte, zerlumpt, vielleicht mit einer abgetragenen Skimütze auf dem Kopf, vielleicht mit ein paar fehlenden Vorderzähnen, mit zotteligen Haaren und einem runzeligen Gesicht.
„Schau ihnen auf keinen Fall in die Augen", hatte meine Mutter immer gesagt und mich eng an ihre Seite gedrückt. Sie gab sich nicht einmal Mühe, leise zu sprechen oder gar zu flüstern. Sie sprach über sie, als wenn diese Menschen sie nicht hören oder verstehen würden oder als wenn sie keine Gefühle hätten, die man verletzen könnte. Ich habe nie wirklich daran gedacht, das infrage zu stellen. Es war nur ein weiteres Klischee, das mir von klein auf immer wieder vorgekaut worden war.
„Das sind alles Faulpelze. Zu faul, um sich Arbeit zu suchen. Sieh sie nicht an, sprich nicht mit ihnen und gib ihnen nichts. Die Hälfte von ihnen ist gar nicht wirklich obdachlos, weißt du. Sie tun nur so, um Geld zu verdienen, ohne ernsthaft arbeiten zu müssen."
Ich hatte nie darüber nachgedacht, wie die Obdachlosen auf der Straße gelandet waren. Ich hatte nicht einmal daran gedacht zu fragen, warum ein fauler Mensch freiwillig so ein Leben wählen würde. Dabei schien es mir ein ziemlich hartes, beängstigendes, unsicheres Leben zu sein. Also die letzte Art von Leben, die man sich aus Bequemlichkeit aussuchen würde.
Im Rückblick schämte ich mich für mich. Auf gewisse Weise war das hier meine Wiedergutmachung, meine Buße dafür, dass ich all die Jahre so selbstgerecht gewesen war. Geschieht mir ganz recht, schoss es mir unbändig durch den Kopf.
Es war Donnerstag, der 26. Februar 2009. Ich war obdachlos.
Aber es reicht nicht, wenn ich Ihnen erzähle, dass ich obdachlos bin, oder? Sie wollen wissen, wer zum Teufel ich bin und was genau dazu geführt hat.
1. Kapitel
Ich versuche zu entscheiden, ob es fair ist oder nicht, wenn ich sage, dass der Wahnsinn in meinen Genen liegt.
Ganz sicher ist es eine Aussage, an der einige meiner Familienmitglieder, sagen wir, Anstoß nehmen würden. Aber ich weiß nicht, ob es aus Sicht eines Fremden auch so weit hergeholt erscheint. Wohlgemerkt, ich spreche nicht über die niedliche, anbetungswürdig dysfunktionale Sorte von verrückt. So wie die bei der Familie in Mondsüchtig, die sich ständig wild gestikulierend anschreit, worauf dann eine Versöhnung mit dicken Umarmungen und Küssen und großen Festessen folgt. Die großherzige Art des Verrücktseins.
Nein, so ist meine Familie nicht. Unsere Verrücktheit ist mehr der total abgefuckte, irrsinnige Wahnsinn.
Wie Sie sich vorstellen können, reicht das aus, um einem Mädchen gehörig den Kopf zu verwirren. Da ist ständig diese unterschwellige Paranoia - die Frage, ob ich auf wundersame Weise der Backform unserer Familie entkommen und damit dem Fluch entronnen bin oder ob der Wahnsinn knapp unter der Oberfläche begraben liegt und dort vor sich hin dämmert und nur darauf wartet, endlich ausbrechen zu können.
Ich bin als Zeugin Jehovas in vierter Generation geboren worden. In der Sache gab es also keine große Wahl. Auf Seiten meiner Mutter reicht das Erbe der Zeugen Jehovas bis zu meinen Urgroßeltern zurück. Polnische Emigranten in Kanada, die sich in den frühen Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts in einem Bus getroffen haben, feststellten, dass jeder dachte, der andere sähe sehr fesch aus und eine Woche später heirateten. Mary und TaTa Mazur konvertierten später zu den „Freien Bibelforschern", die 1931 in die „Zeugen Jehovas" umbenannt worden waren. Sie bekamen neun Kinder, die sie gemeinsam durch die Große Depression brachten. Eines davon war meine Großmutter, Iris, die Jüngste und das schwarze Schaf der Familie.
Der Mazur-Clan erzählte später gerne, wie die Zeugen Jehovas während beider Weltkriege verfolgt worden waren und in Kanada von 1940 bis 1943 sogar verboten wurden. Daraufhin organisierten die Mitglieder einen aus dem Untergrund operierenden Widerstand. Meine Großmutter erzählte oft liebevoll die Geschichte, wie ihr Vater verhaftet worden war, weil man ihn dabei ertappt hatte, Flugblätter der Zeugen Jehovas zu verteilen. Kurz darauf war er allerdings als erster bekannter Gläubiger aus dem Gefängnis geworfen worden, weil er aus voller Kehle (und unglaublich schief) religiöse Hymnen auf Polnisch gesungen und damit Gefängnisaufseher und Insassen in gleichem Maße gegen sich aufgebracht hatte.
Ich weiß, ich weiß, das klingt alles sehr charmant und erfreut das Herz, nicht wahr? Glauben Sie mir, wo diese Geschichte herkommt, gibt es noch viele weitere. Die Zeugen Jehovas reiten auf dem Märtyrerkomplex herum, seitdem sie glauben, dass die Bibel den Mitgliedern der Einen Wahren Religion prophezeit, sie würden unter steter Verfolgung leiden müssen. Aus diesem Grund habe ich jede Variante der Geschichte gehört, in der ein unterdrückter Zeuge Jehovas seinem Peiniger eins auswischt.
Aber.
Meine Urgroßeltern behaupteten auch, zu „Den Gesalbten" zu gehören. In der Sprache der Zeugen Jehovas bedeutet das, sie glaubten, Jehova selber habe zu ihnen gesprochen und ihnen eröffnet, dass sie zu den 144.000 Auserwählten gehören, die in den Himmel aufsteigen und an Seiner Seite als Könige regieren dürfen, sobald Er die Neue Ordnung der Dinge in die Welt gebracht hätte. Diese neue Ordnung, so glauben die Zeugen Jehovas, beinhaltet die brutale Zerstörung eines jeden Nichtgläubigen in einem blutigen, apokalyptischen Armageddon und die darauf folgende Errichtung eines irdischen Paradieses, das nur von - Sie ahnen es - dem Rest der Zeugen Jehovas bewohnt wird, die nicht dazu auserwählt wurden, als Könige im Himmel zu regieren. Diese Geschichte erzählen sie einem nicht an der Haustür, oder?
Also. Zwei Ahnen, die Stimmen hörten und Wahnvorstellungen von königlicher Erhabenheit hatten. Abgehakt.
Meine Großmutter Iris hatte ein paar wilde Jahre in ihrer Jugend, zog Cain auf und lebte eine Art Doppelleben, das den meisten Zeugen nicht gefallen hätte, und doch bleibt sie bis zum heutigen Tag dieser Religion treu. Sie besucht den Königreichsaal (die Zeugen Jehovas nennen ihre Versammlungsorte nicht Kirche; Kirchen sind für sie „Heidnisch" und von „Falscher Religion") in Kalifornien, wohin sie damals mit meinem Großvater Jeremiah gezogen war, um ein gemeinsames Leben aufzubauen. Sie sind inzwischen geschieden, aber er ist auch ein Zeuge Jehovas und lebt mit seiner zweiten Frau ein relativ gutes, bescheidenes Leben in Alabama.
Iris Wallingford, geborene Mazur, trug die Fackel des Wahnsinns weiter und verbreitete ihn (und entschuldigen Sie das Wortspiel) in biblischem Ausmaß. Nachdem, was man sich erzählte, hat sie ihre drei Töchter körperlich, seelisch und emotional missbraucht. Legendäre Geschichten, wie sie den Staubsauger durch die Luft schwang und auf die Köpfe ihrer Kinder niedersausen ließ und sie so an den Haaren durch den Flur zog, bis es büschelweise ausfiel, oder ihnen Bleistiftminen in die Knie drückte, wenn sie während der zweistündigen Versammlungen im Königreichsaal auf ihren Sitzen hin und her rutschten, waren Teil meiner Kindheit. Das alles habe ich mir aus den mit flüsternder Stimme vorgetragenen Fabeln und Märchen zusammengereimt, die ich von verschiedenen Quellen und Familienmitgliedern erzählt bekam. Aber glaube ich, dass ein Funken Wahrheit darin enthalten ist? Oh ja. Allen drei Mädchen war es beschieden, in jungen Jahren von zu Hause fortzulaufen. Erst verschwand Louisa, die Älteste, nach Hawaii. Gefolgt von meiner Mutter, Linda, als sie gerade einmal sechzehn Jahre alt war. Mom verließ die Highschool, nahm ihr Abschlusszeugnis und lebte ein Jahr oder so mit Louisa (die inzwischen in die Drogenszene abgerutscht war) auf Oahu, bevor sie nach Kalifornien zurückkehrte. Charisse, die Jüngste, traf es vermutlich am schlimmsten - sie litt unter einer schweren, lebenslangen Form der Alopezie, was dafür sorgte, dass ihr die Haare ausfielen und sie sowohl in der Schule als auch zu Hause extrem gehänselt wurde. Nachdem sie ausgezogen war, suchte sie Trost in den Armen von Männern. Sie flatterte von einem zum anderen und schaffte es dank ihrer zwanghaften Untreue, zwei Ehen mit netten, liebevollen (und nicht zu den Zeugen Jehovas gehörenden) Männern zu versenken. In dem Moment, wo ich das hier schreibe, sitzt sie in Illinois eine zwölfjährige Gefängnisstrafe wegen Totschlags ab. Sie war zum dritten Mal dabei erwischt worden, betrunken Auto zu fahren, und hatte dabei jemanden überfahren. Ich habe sie seit Jahren nicht gesehen, aber was ich so von anderen Familienmitgliedern höre, hatte sie außerdem schon seit längerer Zeit Probleme mit illegalen Drogen und war mindestens zwei Mal aus der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas ausgeschlossen oder exkommuniziert worden. Um ihre beiden Kinder kümmert sich ihr Exmann. Da er kein Zeuge Jehovas ist, hege ich die Hoffnung, dass sie trotz allem ein einigermaßen normales Leben führen.
Meine Großmutter verbringt inzwischen die meiste Zeit zu Hause in ihrem Schaukelstuhl vor dem Fernseher. Einst eine schlanke, entzückende junge Frau mit Schalk in den Augen, die Männer anzog wie das Licht die Motten, ist sie inzwischen aufgequollen wie ein Hefekloß und braucht ihren Rollator, um von hier nach da zu kommen. Ihr Haus sieht aus wie aus der Dokumentation Grey Gardens aus den 70er-Jahren - über Jahrzehnte gesammelter Müll und Krempel stapeln sich bis zur Decke, dazwischen lediglich schmale Wege, die von einem Raum in den anderen führen. Ich bin mir ziemlich sicher, dort schon McDonald's-Verpackungen aus den 60er-Jahren gesehen zu haben. Sie glauben, ich mache Witze? In Iris Wallingfords krudem Geist ist jedes Stück Müll ein Schatz oder eine Erinnerung, die sie in ihrem Elsternest hortet. In der Vergangenheit habe ich versucht, Zeit mit meiner Grandma zu verbringen, konnte sie aber nur in kleinen Dosen ertragen. Sie lebt fast vollständig in der Vergangenheit und erzählt nur zu gerne mit kreischender Stimme von eingebildeten Kränkungen und Groll der vergangenen siebzig und mehr Jahre. Vieles davon bezieht sich auf ihre eigenen Brüder und Schwestern, von denen bis auf einer alle bereits verstorben sind - doch der Respekt vor den Toten bedeutet ihr nichts. Sie und meine Mutter hassen sich leidenschaftlich. Obwohl sie der gleichen Gemeinde angehören, sprechen sie nicht miteinander. Sie haben aber beide immer ein umfangreiches Arsenal an schnippischen Bemerkungen zur Hand, die sie der jeweils anderen aus dem Stegreif entgegenschleudern. Trotz Iris' außergewöhnlicher Missachtung ihrer eigenen Gesundheit, die eigentlich für den schlimmsten Herzinfarkt der Geschichte sorgen müsste, scherzt meine Mutter oft grimmig, dass sie uns noch alle überleben wird.
Ich erzähle all diese Geschichten, weil ich es für wichtig halte, vorab klarzustellen, dass ich verstehe oder zumindest versuche zu verstehen, wieso meine Mutter so ist, wie sie ist. Einen großen Teil ihres Lebens war sie tatsächlich ein Opfer - Sektenindoktrination vom ersten Lebenstag an, dazu der unaufhörliche Missbrauch durch eine 350 Pfund schwere Irre, das ist der direkte Weg in die Katastrophe. Bis heute weiß ich nicht genau, ob die seelische Instabilität meiner Mutter auf die Natur oder auf die Erziehung zurückzuführen ist, aber ich habe so meine Vermutung, dass beide Facetten einander nicht gerade geholfen haben.
Nach ihrem wenig erfolgreichen Ausflug nach Hawaii, von dem sie in so jungen Jahren pleite und desillusioniert zurückkehrte, erduldete meine Mutter eine weitere kurze Periode häuslichen Missbrauchs bei Iris zu Hause. Mit achtzehn war sie nach Ansicht der Zeugen Jehovas schon eine alte Jungfer, obwohl sie jung, hübsch und temperamentvoll war - sie war zum Beispiel sehr beliebt in der Schule, wo sie gerne den Klassenclown gab, vermutlich als Kontrapunkt zu ihrem dunklen Leben zu Hause, dessen sie sich so sehr schämte. Schlussendlich entkam sie (dachte sie zumindest), indem sie mit neunzehn den erstbesten Mann heiratete und sofort mit mir schwanger wurde.
Bob Neville. Bob war nicht die Kurzform von Robert. Er hieß einfach nur Bob. Ein linkischer, vogelscheuchenartiger Junge, nur ein Jahr älter als meine Mutter, dem man eine gewisse Ähnlichkeit mit Peter Pan nachsagte. Er sah definitiv nicht wie ein Monster aus.
Mom begegnete ihm in der Mopedwerkstatt, nachdem sie einen unglücklichen Unfall mit dem Nachbarn gehabt hatte. Der war rückwärts aus seiner Ausfahrt herausgefahren und hatte sie nicht auf ihrem Roller die Straße hinaufkommen sehen. Später zeigte sie mir die Hecke, die dem Nachbarn die Sicht genommen hatte: „Wenn es die Hecke nicht gegeben hätte, wärst du nie geboren worden!" Irgendwann allerdings fing sie an, die Existenz der verdammten Hecke zu bereuen.
Zeugen Jehovas gehen nicht mit Nicht-Zeugen Jehovas aus - und heiraten sie schon gar nicht. Für sie ist das, wie einen lebenden Toten zu heiraten. Wo liegt der Sinn, sich in jemanden zu verlieben, den der große und mächtige Jehova am Jüngsten Tag durch einen flammenden Meteoriten grillen wird? Mitglieder können privat gerügt, öffentlich getadelt, diszipliniert oder gar aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und verstoßen werden, wenn sie eine Beziehung mit einem Nichtgläubigen eingehen. Folglich akzeptierte Bob ein „Bibelstudium" mit meiner Mutter, das seine Konvertierung zum Ziel hatte, und dann heirateten sie schnell und heimlich. Ich wurde am 6. März 1985 geboren.
Bob entpuppte sich als der klassische Mann, der seine Frau schlägt. Was sein nettes, jugendliches Aussehen somit Lügen strafte. Meine Mutter behauptet, dass er sie eine Woche nach der Hochzeit mitten in der Nacht aufgeweckt hat, sie beschuldigte, ihn zu betrügen, sie ins Auto zerrte und schweigend mit ihr in die Wüste fuhr, wo er nur so lange anhielt, wie es brauchte, die Tür zu öffnen und sie, die nur T-Shirt und Unterhose trug, in den Sand zu stoßen. Dann fuhr er nach Hause und legte sich wieder schlafen, während sie so lange lief, bis ihre Füße bluteten. Gegen Morgengrauen wurde sie schließlich von einem besorgten Autofahrer und dessen Frau aufgelesen und mitgenommen.
Andere Geschichten drehten sich um die Zeit, als Bob meine Mutter so brutal gegen eine Wand stieß, dass sich Lindas Kontur danach perfekt als Loch darin abzeichnete. Oder als er während eines Streits ein paar schwere, steinerne Untersetzer vom Couchtisch nahm und anfing, sie gegen seine Stirn zu schlagen, bis das Blut floss und auf die Möbel spritzte. Währenddessen schrie er sie die ganze Zeit an, als wolle er sie mit einem unabänderlichen Fluch belegen.
„Sieh nur, wie sehr ich dich liebe! Ich verletze mich für dich sogar selbst. Sieh nur, was ich mir deinetwegen antue! Schau dir an, zu was du mich treibst!"
Ich tue dir weh, weil ich dich liebe. Natürlich. Das war sein ständiger Spruch. Definitiv nicht die originellste Zeile, die je von einem schlagenden Ehemann ersonnen wurde. Interessanterweise sollte sich das als wiederkehrendes Thema in meinem eigenen Leben herausstellen - wie ein hartnäckiger, ständig in der Luft liegender Gestank, den man nicht wegbekommt, egal, wie sehr man schrubbt.
MIRA Taschenbuch Band 95043 © 2011 by Brianna Karp
Eine irrationale Angst überkam mich. Wie sollte ich schlafen können? Ich war so erschöpft wie lange nicht mehr, dennoch knipste ich eine einsame Taschenlampe an und versuchte, ein Buch zu lesen, auch wenn ich es nicht wirklich lesen nennen würde. Es war mehr ein blindes Auf-die-Seiten-starren; meine Blicke rasten über die Wörter, ohne sie aufzunehmen, während mein Kopf ein Horrorszenario nach dem anderen ersann. Was, wenn ich vom scharfen Klopfen eines Polizeischlagstocks gegen mein Fenster geweckt würde? Was, wenn sie wüssten, dass ich plante, länger hierzubleiben als nur eine oder zwei Nächte? Was, wenn sie es spüren konnten? Was, wenn ich an einem Abschlepphaken hängend aufwachen würde, während meine Kisten langsam auf mich zurutschten und meine Hilfeschreie unter Hunderten von Büchern begraben würden?
Ich hatte mir nie viel Gedanken über Obdachlosigkeit oder Obdachlose gemacht. Sicher, es gab den einen oder anderen Landstreicher auf der Straße, der auf dem Bürgersteig vor einem 7-Eleven herumlungerte und um Kleingeld bettelte, zerlumpt, vielleicht mit einer abgetragenen Skimütze auf dem Kopf, vielleicht mit ein paar fehlenden Vorderzähnen, mit zotteligen Haaren und einem runzeligen Gesicht.
„Schau ihnen auf keinen Fall in die Augen", hatte meine Mutter immer gesagt und mich eng an ihre Seite gedrückt. Sie gab sich nicht einmal Mühe, leise zu sprechen oder gar zu flüstern. Sie sprach über sie, als wenn diese Menschen sie nicht hören oder verstehen würden oder als wenn sie keine Gefühle hätten, die man verletzen könnte. Ich habe nie wirklich daran gedacht, das infrage zu stellen. Es war nur ein weiteres Klischee, das mir von klein auf immer wieder vorgekaut worden war.
„Das sind alles Faulpelze. Zu faul, um sich Arbeit zu suchen. Sieh sie nicht an, sprich nicht mit ihnen und gib ihnen nichts. Die Hälfte von ihnen ist gar nicht wirklich obdachlos, weißt du. Sie tun nur so, um Geld zu verdienen, ohne ernsthaft arbeiten zu müssen."
Ich hatte nie darüber nachgedacht, wie die Obdachlosen auf der Straße gelandet waren. Ich hatte nicht einmal daran gedacht zu fragen, warum ein fauler Mensch freiwillig so ein Leben wählen würde. Dabei schien es mir ein ziemlich hartes, beängstigendes, unsicheres Leben zu sein. Also die letzte Art von Leben, die man sich aus Bequemlichkeit aussuchen würde.
Im Rückblick schämte ich mich für mich. Auf gewisse Weise war das hier meine Wiedergutmachung, meine Buße dafür, dass ich all die Jahre so selbstgerecht gewesen war. Geschieht mir ganz recht, schoss es mir unbändig durch den Kopf.
Es war Donnerstag, der 26. Februar 2009. Ich war obdachlos.
Aber es reicht nicht, wenn ich Ihnen erzähle, dass ich obdachlos bin, oder? Sie wollen wissen, wer zum Teufel ich bin und was genau dazu geführt hat.
1. Kapitel
Ich versuche zu entscheiden, ob es fair ist oder nicht, wenn ich sage, dass der Wahnsinn in meinen Genen liegt.
Ganz sicher ist es eine Aussage, an der einige meiner Familienmitglieder, sagen wir, Anstoß nehmen würden. Aber ich weiß nicht, ob es aus Sicht eines Fremden auch so weit hergeholt erscheint. Wohlgemerkt, ich spreche nicht über die niedliche, anbetungswürdig dysfunktionale Sorte von verrückt. So wie die bei der Familie in Mondsüchtig, die sich ständig wild gestikulierend anschreit, worauf dann eine Versöhnung mit dicken Umarmungen und Küssen und großen Festessen folgt. Die großherzige Art des Verrücktseins.
Nein, so ist meine Familie nicht. Unsere Verrücktheit ist mehr der total abgefuckte, irrsinnige Wahnsinn.
Wie Sie sich vorstellen können, reicht das aus, um einem Mädchen gehörig den Kopf zu verwirren. Da ist ständig diese unterschwellige Paranoia - die Frage, ob ich auf wundersame Weise der Backform unserer Familie entkommen und damit dem Fluch entronnen bin oder ob der Wahnsinn knapp unter der Oberfläche begraben liegt und dort vor sich hin dämmert und nur darauf wartet, endlich ausbrechen zu können.
Ich bin als Zeugin Jehovas in vierter Generation geboren worden. In der Sache gab es also keine große Wahl. Auf Seiten meiner Mutter reicht das Erbe der Zeugen Jehovas bis zu meinen Urgroßeltern zurück. Polnische Emigranten in Kanada, die sich in den frühen Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts in einem Bus getroffen haben, feststellten, dass jeder dachte, der andere sähe sehr fesch aus und eine Woche später heirateten. Mary und TaTa Mazur konvertierten später zu den „Freien Bibelforschern", die 1931 in die „Zeugen Jehovas" umbenannt worden waren. Sie bekamen neun Kinder, die sie gemeinsam durch die Große Depression brachten. Eines davon war meine Großmutter, Iris, die Jüngste und das schwarze Schaf der Familie.
Der Mazur-Clan erzählte später gerne, wie die Zeugen Jehovas während beider Weltkriege verfolgt worden waren und in Kanada von 1940 bis 1943 sogar verboten wurden. Daraufhin organisierten die Mitglieder einen aus dem Untergrund operierenden Widerstand. Meine Großmutter erzählte oft liebevoll die Geschichte, wie ihr Vater verhaftet worden war, weil man ihn dabei ertappt hatte, Flugblätter der Zeugen Jehovas zu verteilen. Kurz darauf war er allerdings als erster bekannter Gläubiger aus dem Gefängnis geworfen worden, weil er aus voller Kehle (und unglaublich schief) religiöse Hymnen auf Polnisch gesungen und damit Gefängnisaufseher und Insassen in gleichem Maße gegen sich aufgebracht hatte.
Ich weiß, ich weiß, das klingt alles sehr charmant und erfreut das Herz, nicht wahr? Glauben Sie mir, wo diese Geschichte herkommt, gibt es noch viele weitere. Die Zeugen Jehovas reiten auf dem Märtyrerkomplex herum, seitdem sie glauben, dass die Bibel den Mitgliedern der Einen Wahren Religion prophezeit, sie würden unter steter Verfolgung leiden müssen. Aus diesem Grund habe ich jede Variante der Geschichte gehört, in der ein unterdrückter Zeuge Jehovas seinem Peiniger eins auswischt.
Aber.
Meine Urgroßeltern behaupteten auch, zu „Den Gesalbten" zu gehören. In der Sprache der Zeugen Jehovas bedeutet das, sie glaubten, Jehova selber habe zu ihnen gesprochen und ihnen eröffnet, dass sie zu den 144.000 Auserwählten gehören, die in den Himmel aufsteigen und an Seiner Seite als Könige regieren dürfen, sobald Er die Neue Ordnung der Dinge in die Welt gebracht hätte. Diese neue Ordnung, so glauben die Zeugen Jehovas, beinhaltet die brutale Zerstörung eines jeden Nichtgläubigen in einem blutigen, apokalyptischen Armageddon und die darauf folgende Errichtung eines irdischen Paradieses, das nur von - Sie ahnen es - dem Rest der Zeugen Jehovas bewohnt wird, die nicht dazu auserwählt wurden, als Könige im Himmel zu regieren. Diese Geschichte erzählen sie einem nicht an der Haustür, oder?
Also. Zwei Ahnen, die Stimmen hörten und Wahnvorstellungen von königlicher Erhabenheit hatten. Abgehakt.
Meine Großmutter Iris hatte ein paar wilde Jahre in ihrer Jugend, zog Cain auf und lebte eine Art Doppelleben, das den meisten Zeugen nicht gefallen hätte, und doch bleibt sie bis zum heutigen Tag dieser Religion treu. Sie besucht den Königreichsaal (die Zeugen Jehovas nennen ihre Versammlungsorte nicht Kirche; Kirchen sind für sie „Heidnisch" und von „Falscher Religion") in Kalifornien, wohin sie damals mit meinem Großvater Jeremiah gezogen war, um ein gemeinsames Leben aufzubauen. Sie sind inzwischen geschieden, aber er ist auch ein Zeuge Jehovas und lebt mit seiner zweiten Frau ein relativ gutes, bescheidenes Leben in Alabama.
Iris Wallingford, geborene Mazur, trug die Fackel des Wahnsinns weiter und verbreitete ihn (und entschuldigen Sie das Wortspiel) in biblischem Ausmaß. Nachdem, was man sich erzählte, hat sie ihre drei Töchter körperlich, seelisch und emotional missbraucht. Legendäre Geschichten, wie sie den Staubsauger durch die Luft schwang und auf die Köpfe ihrer Kinder niedersausen ließ und sie so an den Haaren durch den Flur zog, bis es büschelweise ausfiel, oder ihnen Bleistiftminen in die Knie drückte, wenn sie während der zweistündigen Versammlungen im Königreichsaal auf ihren Sitzen hin und her rutschten, waren Teil meiner Kindheit. Das alles habe ich mir aus den mit flüsternder Stimme vorgetragenen Fabeln und Märchen zusammengereimt, die ich von verschiedenen Quellen und Familienmitgliedern erzählt bekam. Aber glaube ich, dass ein Funken Wahrheit darin enthalten ist? Oh ja. Allen drei Mädchen war es beschieden, in jungen Jahren von zu Hause fortzulaufen. Erst verschwand Louisa, die Älteste, nach Hawaii. Gefolgt von meiner Mutter, Linda, als sie gerade einmal sechzehn Jahre alt war. Mom verließ die Highschool, nahm ihr Abschlusszeugnis und lebte ein Jahr oder so mit Louisa (die inzwischen in die Drogenszene abgerutscht war) auf Oahu, bevor sie nach Kalifornien zurückkehrte. Charisse, die Jüngste, traf es vermutlich am schlimmsten - sie litt unter einer schweren, lebenslangen Form der Alopezie, was dafür sorgte, dass ihr die Haare ausfielen und sie sowohl in der Schule als auch zu Hause extrem gehänselt wurde. Nachdem sie ausgezogen war, suchte sie Trost in den Armen von Männern. Sie flatterte von einem zum anderen und schaffte es dank ihrer zwanghaften Untreue, zwei Ehen mit netten, liebevollen (und nicht zu den Zeugen Jehovas gehörenden) Männern zu versenken. In dem Moment, wo ich das hier schreibe, sitzt sie in Illinois eine zwölfjährige Gefängnisstrafe wegen Totschlags ab. Sie war zum dritten Mal dabei erwischt worden, betrunken Auto zu fahren, und hatte dabei jemanden überfahren. Ich habe sie seit Jahren nicht gesehen, aber was ich so von anderen Familienmitgliedern höre, hatte sie außerdem schon seit längerer Zeit Probleme mit illegalen Drogen und war mindestens zwei Mal aus der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas ausgeschlossen oder exkommuniziert worden. Um ihre beiden Kinder kümmert sich ihr Exmann. Da er kein Zeuge Jehovas ist, hege ich die Hoffnung, dass sie trotz allem ein einigermaßen normales Leben führen.
Meine Großmutter verbringt inzwischen die meiste Zeit zu Hause in ihrem Schaukelstuhl vor dem Fernseher. Einst eine schlanke, entzückende junge Frau mit Schalk in den Augen, die Männer anzog wie das Licht die Motten, ist sie inzwischen aufgequollen wie ein Hefekloß und braucht ihren Rollator, um von hier nach da zu kommen. Ihr Haus sieht aus wie aus der Dokumentation Grey Gardens aus den 70er-Jahren - über Jahrzehnte gesammelter Müll und Krempel stapeln sich bis zur Decke, dazwischen lediglich schmale Wege, die von einem Raum in den anderen führen. Ich bin mir ziemlich sicher, dort schon McDonald's-Verpackungen aus den 60er-Jahren gesehen zu haben. Sie glauben, ich mache Witze? In Iris Wallingfords krudem Geist ist jedes Stück Müll ein Schatz oder eine Erinnerung, die sie in ihrem Elsternest hortet. In der Vergangenheit habe ich versucht, Zeit mit meiner Grandma zu verbringen, konnte sie aber nur in kleinen Dosen ertragen. Sie lebt fast vollständig in der Vergangenheit und erzählt nur zu gerne mit kreischender Stimme von eingebildeten Kränkungen und Groll der vergangenen siebzig und mehr Jahre. Vieles davon bezieht sich auf ihre eigenen Brüder und Schwestern, von denen bis auf einer alle bereits verstorben sind - doch der Respekt vor den Toten bedeutet ihr nichts. Sie und meine Mutter hassen sich leidenschaftlich. Obwohl sie der gleichen Gemeinde angehören, sprechen sie nicht miteinander. Sie haben aber beide immer ein umfangreiches Arsenal an schnippischen Bemerkungen zur Hand, die sie der jeweils anderen aus dem Stegreif entgegenschleudern. Trotz Iris' außergewöhnlicher Missachtung ihrer eigenen Gesundheit, die eigentlich für den schlimmsten Herzinfarkt der Geschichte sorgen müsste, scherzt meine Mutter oft grimmig, dass sie uns noch alle überleben wird.
Ich erzähle all diese Geschichten, weil ich es für wichtig halte, vorab klarzustellen, dass ich verstehe oder zumindest versuche zu verstehen, wieso meine Mutter so ist, wie sie ist. Einen großen Teil ihres Lebens war sie tatsächlich ein Opfer - Sektenindoktrination vom ersten Lebenstag an, dazu der unaufhörliche Missbrauch durch eine 350 Pfund schwere Irre, das ist der direkte Weg in die Katastrophe. Bis heute weiß ich nicht genau, ob die seelische Instabilität meiner Mutter auf die Natur oder auf die Erziehung zurückzuführen ist, aber ich habe so meine Vermutung, dass beide Facetten einander nicht gerade geholfen haben.
Nach ihrem wenig erfolgreichen Ausflug nach Hawaii, von dem sie in so jungen Jahren pleite und desillusioniert zurückkehrte, erduldete meine Mutter eine weitere kurze Periode häuslichen Missbrauchs bei Iris zu Hause. Mit achtzehn war sie nach Ansicht der Zeugen Jehovas schon eine alte Jungfer, obwohl sie jung, hübsch und temperamentvoll war - sie war zum Beispiel sehr beliebt in der Schule, wo sie gerne den Klassenclown gab, vermutlich als Kontrapunkt zu ihrem dunklen Leben zu Hause, dessen sie sich so sehr schämte. Schlussendlich entkam sie (dachte sie zumindest), indem sie mit neunzehn den erstbesten Mann heiratete und sofort mit mir schwanger wurde.
Bob Neville. Bob war nicht die Kurzform von Robert. Er hieß einfach nur Bob. Ein linkischer, vogelscheuchenartiger Junge, nur ein Jahr älter als meine Mutter, dem man eine gewisse Ähnlichkeit mit Peter Pan nachsagte. Er sah definitiv nicht wie ein Monster aus.
Mom begegnete ihm in der Mopedwerkstatt, nachdem sie einen unglücklichen Unfall mit dem Nachbarn gehabt hatte. Der war rückwärts aus seiner Ausfahrt herausgefahren und hatte sie nicht auf ihrem Roller die Straße hinaufkommen sehen. Später zeigte sie mir die Hecke, die dem Nachbarn die Sicht genommen hatte: „Wenn es die Hecke nicht gegeben hätte, wärst du nie geboren worden!" Irgendwann allerdings fing sie an, die Existenz der verdammten Hecke zu bereuen.
Zeugen Jehovas gehen nicht mit Nicht-Zeugen Jehovas aus - und heiraten sie schon gar nicht. Für sie ist das, wie einen lebenden Toten zu heiraten. Wo liegt der Sinn, sich in jemanden zu verlieben, den der große und mächtige Jehova am Jüngsten Tag durch einen flammenden Meteoriten grillen wird? Mitglieder können privat gerügt, öffentlich getadelt, diszipliniert oder gar aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und verstoßen werden, wenn sie eine Beziehung mit einem Nichtgläubigen eingehen. Folglich akzeptierte Bob ein „Bibelstudium" mit meiner Mutter, das seine Konvertierung zum Ziel hatte, und dann heirateten sie schnell und heimlich. Ich wurde am 6. März 1985 geboren.
Bob entpuppte sich als der klassische Mann, der seine Frau schlägt. Was sein nettes, jugendliches Aussehen somit Lügen strafte. Meine Mutter behauptet, dass er sie eine Woche nach der Hochzeit mitten in der Nacht aufgeweckt hat, sie beschuldigte, ihn zu betrügen, sie ins Auto zerrte und schweigend mit ihr in die Wüste fuhr, wo er nur so lange anhielt, wie es brauchte, die Tür zu öffnen und sie, die nur T-Shirt und Unterhose trug, in den Sand zu stoßen. Dann fuhr er nach Hause und legte sich wieder schlafen, während sie so lange lief, bis ihre Füße bluteten. Gegen Morgengrauen wurde sie schließlich von einem besorgten Autofahrer und dessen Frau aufgelesen und mitgenommen.
Andere Geschichten drehten sich um die Zeit, als Bob meine Mutter so brutal gegen eine Wand stieß, dass sich Lindas Kontur danach perfekt als Loch darin abzeichnete. Oder als er während eines Streits ein paar schwere, steinerne Untersetzer vom Couchtisch nahm und anfing, sie gegen seine Stirn zu schlagen, bis das Blut floss und auf die Möbel spritzte. Währenddessen schrie er sie die ganze Zeit an, als wolle er sie mit einem unabänderlichen Fluch belegen.
„Sieh nur, wie sehr ich dich liebe! Ich verletze mich für dich sogar selbst. Sieh nur, was ich mir deinetwegen antue! Schau dir an, zu was du mich treibst!"
Ich tue dir weh, weil ich dich liebe. Natürlich. Das war sein ständiger Spruch. Definitiv nicht die originellste Zeile, die je von einem schlagenden Ehemann ersonnen wurde. Interessanterweise sollte sich das als wiederkehrendes Thema in meinem eigenen Leben herausstellen - wie ein hartnäckiger, ständig in der Luft liegender Gestank, den man nicht wegbekommt, egal, wie sehr man schrubbt.
MIRA Taschenbuch Band 95043 © 2011 by Brianna Karp
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Autoren-Porträt von Brianna Karp
Brianna Karp war Managementassistentin gebracht bis zur Großen Rezession. Sie landete auf der Straße, schrieb hunderte von Bewerbungen. Erfolglos. Nach dem Selbstmord ihres Vaters erbte sie ein altes Wohnmobil. Und richtete sich auf einem Wal Mart-Parkplatz ein. Heute ist Brianna Karp Aushängeschild und Sprecherin der Obdachlosen in den USA. Über ihren Blog wurde die internationale Medienlandschaft auf sie aufmerksam.
Bibliographische Angaben
- Autor: Brianna Karp
- 2012, 1. Aufl., 384 Seiten, Maße: 14,1 x 20,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: MIRA Taschenbuch
- ISBN-10: 386278469X
- ISBN-13: 9783862784691
- Erscheinungsdatum: 01.11.2012
Rezension zu „Karp, B: Homeless - Mein Weg zurück ins Leben “
Gefährlich sexy - ein Muss für Romantic-Thriller-Fans!"RT Bookclub"Ein wahrhaft eindringliches Bekenntnis."Augusten Burroughs, Autor von "krass"
Kommentar zu "Karp, B: Homeless - Mein Weg zurück ins Leben"
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