Keine Gnade
Thriller. Deutsche Erstausgabe
'Wenn ich diesen Eid erfülle und nicht breche, so sei mir beschieden, ( ) Ansehen bei allen Menschen für alle Zeit zu gewinnen. Wenn ich ihn aber übertrete und breche, so geschehe mir das Gegenteil.Ein brutaler Serienmörder versetzt San Diego in Angst und...
Leider schon ausverkauft
Buch
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Keine Gnade “
'Wenn ich diesen Eid erfülle und nicht breche, so sei mir beschieden, ( ) Ansehen bei allen Menschen für alle Zeit zu gewinnen. Wenn ich ihn aber übertrete und breche, so geschehe mir das Gegenteil.Ein brutaler Serienmörder versetzt San Diego in Angst und Schrecken: Die Opfer werden ohne Narkose am Herzen operiert und sterben. Ein grausamer Tod. Detective Inspector Samantha Rizzo und ihr Kollege Alberto Diaz sind auf der Jagd nach einem Mann, der den hippokratischen Eid bricht. Ohne Reue. Er ist ein Killer ohne Gnade.
Klappentext zu „Keine Gnade “
Wenn ich diesen Eid erfülle und nicht breche, so sei mir beschieden, (...) Ansehen bei allen Menschen für alle Zeit zu gewinnen. Wenn ich ihn aber übertrete und breche, so geschehe mir das Gegenteil.Ein brutaler Serienmörder versetzt San Diego in Angst und Schrecken: Die Opfer werden ohne Narkose am Herzen operiert - und sterben. Ein grausamer Tod. Detective Inspector Samantha Rizzo und ihr Kollege Alberto Diaz sind auf der Jagd nach einem Mann, der den hippokratischen Eid bricht. Ohne Reue. Er ist ein Killer ohne Gnade.
Lese-Probe zu „Keine Gnade “
Keine Gnade von Daniel AnnechinoProlog
Als Genevieve Foster aufwachte, war sie völlig orientierungslos und fühlte sich wie jemand, der nach einer schweren Operation und einer tiefen Vollnarkose wieder zu Bewusstsein kam. Sie lag auf einem Bett und wusste nicht, wo sie sich befand oder wie sie dorthin gekommen war. Als sie versuchte, sich das Haar aus dem Gesicht zu streichen, stellte sie fest, dass ihre Handgelenke mit Nylonriemen ans Kopfende des Bettes gebunden waren. Sie hob ihren schmerzenden Kopf und konnte sehen, dass auch ihre Fußgelenke ans Bett gefesselt waren. Sie lag mit gespreizten Armen und Beinen auf dem Bett. Neben dem Bett entdeckte sie die Umrisse eines Infusionsbeutels, der an einem Metallständer hing. Der Schlauch aus dem Beutel führte zu einer Kanüle, die in ihrer Armbeuge steckte. Abgesehen von dem dünnen Laken über ihrem Körper war sie vollständig nackt.
Das kann nicht wirklich wahr sein.
Das einzige Licht im Raum kam von den vorbeifahrenden Autos, deren Scheinwerfer die hohen Fenster gerade lange genug streiften, um Genevieve einen Eindruck von ihrer Umgebung zu verschaffen. Der Raum wirkte groß, vielleicht war es ein Loft oder ein kleines Lager. Da draußen ziemlich viele Autos vorbeikamen, vermutete Genevieve, dass es sich um eine Wohngegend handelte. Wenn sie still lag und genau hinhörte, konnte sie im Hintergrund etwas brummen hören, wahrscheinlich ein Kühlschrank. Und irgendwo auf der anderen Seite des Raums hörte sie das regelmäßige Ticken einer Uhr.
Ticktack. Ticktack.
Ihr kam es vor, als wollte die Uhr sie vor einer drohenden Gefahr warnen.
... mehr
Sie schloss ihre Augen und versuchte die verschwommenen Bildfetzen, die durch ihren Kopf taumelten, zusammenzufügen. Sie sah nach links, nach rechts, hielt Ausschau nach irgendetwas, das ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen könnte. Aber sie entdeckte nichts und niemanden und fühlte sich unglaublich allein, von der Welt abgeschnitten. Eigenartigerweise musste sie an Cast Away - Verschollen denken, den Film mit Tom Hanks. Obwohl sie nicht wie er auf einer verlassenen Insel gestrandet war, so kam ihr dieses dunkle unheimliche Gefängnis genauso ausgestorben vor.
Wer würde ihr zu Hilfe kommen?
Sie atmete tief durch, sog die Luft in kurzen zittrigen Atemzügen ein und bemühte sich mit jeder Faser ihres Körpers, wach zu bleiben. Einschlafen war das Letzte, was sie im Moment wollte. Sie nahm an, die Infusionslösung war mehr als eine Nährflüssigkeit, denn sie fühlte sich viel ruhiger, als die Situation es eigentlich zuließ. Sollte sie nicht eigentlich schreien, bis sie heiser war? Ihr Körper zitterte unkontrolliert und erinnerte sie an einen kühlen Novembermorgen, als ihr Bruder sie zu einem kurzen Bad im fünfzehn Grad kalten Pazifik herausgefordert hatte. Sie schreckte nie vor einer Mutprobe zurück, war ein Wildfang in jeder Hinsicht, und so stellte Genevieve sich auch diesem Wagnis und ging nicht nur ins Wasser, sondern schwamm bis zum Ende des Crystal Pier und zurück. Zwei mal. Danach war ihr so kalt, dass sie eine Stunde lang nicht aufhören konnte zu zittern. In genau diesem Augenblick würde sie ihre Situation liebend gern gegen eine ausgedehnte Runde Schwimmen in eisigem Wasser eintauschen.
Sie lag einfach still da, versuchte das überwältigende Gefühl von Hilflosigkeit zu unterdrücken und erinnerte sich dunkel an einen Sandstrand, einen Sonnenuntergang, ein hübsches Gesicht. Aber nichts von alledem passte irgendwie zusammen, ihr Gedächtnis wies allzu viele Lücken auf. Als sie schon fast dabei war, den Kampf gegen die Wirkung der starken Droge, die ihr intravenös verabreicht wurde, aufzugeben, hörte sie, wie die Tür aufgeschlossen wurde. Ihr Kopf fuhr zur Tür herum, ihre Augen waren auf einmal wachsam und forschend. Licht fiel auf den Hartholzboden, aber nur für einen Augenblick.
Dann versank wieder alles in der Dunkelheit.
Plötzlich hörte Genevieve Foster ein Geräusch, das sie mehr als alles andere in Furcht und Schrecken versetzte: schwere Schritte, die auf sie zukamen.
1
Er saß an der Bar und nippte an seinem zweiten Johnny Walker Blue, um den Mut für das Undenkbare aufzubringen. Undenkbar? Gab es denn kein Wort, das seine Pläne genauer beschrieb? Er ließ den weichen Scotch im Mund kreisen, bevor er ihn langsam und bedächtig hinunterschluckte. Die Zweihundert-Dollar-Flasche war jeden einzelnen Penny wert, dachte er bei sich. Wenn er über die Ereignisse der letzten Wochen nachdachte, den Brief, den er von der GAFF, der Global A-Fib Foundation, erhalten hatte und der sein Leben verändern würde, so konnte er nicht glauben, was er vorhatte. Aber blieb ihm eine Wahl? Sie hatten ihn an diesen Scheidepunkt gebracht. Hier saß er nun und trank in Tony's Bar and Grill Scotch wie zur Happy Hour an einem Freitagnachmittag. Doch in Wirklichkeit stand ihm der Sinn überhaupt nicht nach zwang losem Geplauder mit Kollegen. Obwohl er mit Hunderten von Freiwilligen gearbeitet hatte, so waren Julians Ergebnisse doch überschaubar geblieben. Er hatte jede nur erdenkliche Möglichkeit in Betracht gezogen, doch sein Problem konnte nicht anders gelöst werden. Seine einzige Hoffnung, die Forschungen abzuschließen, lag in der Arbeit am lebenden Subjekt, ohne jegliche Einschränkungen. Dieser Entschluss war ihm nicht leichtgefallen. Denn in erster Linie war er ein Heiler, ein angesehener Kardiologe, aber kein Mörder.
Doch außergewöhnliche Situationen erfordern oft außergewöhnliche Maßnahmen.
Als er den zertifizierten Brief erhalten hatte, war er zunächst davon ausgegangen, dass der Vorstand der GAFF mit den Ergebnissen seiner Forschungen zufrieden war und ihm die Fördermittel von zehn Millionen Dollar bewilligt hätte. Doch die ersten beiden Absätze hatten ihn in die Knie gezwungen.
»Unser Komitee hat die Ergebnisse Ihrer Forschungen sowie die aus der kontrollierten Studie zur Entwicklung neuer operativer Behandlungsmöglichkeiten von Vorhofflimmern resultierenden Statistiken genauestens unter die Lupe genommen. Obwohl sie in vielerlei Hinsicht wegweisend sind, so fanden wir die Ergebnisse doch nicht ausreichend genug, um Ihren Antrag bewilligen zu können. Genauer gesagt, die vorgelegten Testresultate, die Änderungen bei der gängigen Katheterablation und der Maze-Operation vorsehen, sind unvollständig, und wir stimmen nicht mit Ihrem Ergebnis überein, dass das Verabreichen von Amiodaron in Dosen von weniger als 200 Milligramm effizient sein könnte. Doch angesichts Ihrer beeindruckenden Bemühungen freuen wir uns, Ihnen eine sechsmonatige Fristverlängerung anbieten zu können, während der Sie Ihre Befunde ergänzen und zusätzliche Ergebnisse vorlegen können. Nach dieser Zeit werden wir das Material neu sichten und bewerten.
Beigefügt erhalten Sie eine umfassende Zusammenstellung der Daten, die wir benötigen, um Ihren Antrag nochmals prüfen zu können.«
Zwei Jahre lang hatte er von morgens bis spät in die Nacht gearbeitet, seine Familie vernachlässigt und einen Rückschlag nach dem anderen hingenommen, und alles, was er nun vorweisen konnte, war ein zweiseitiger Brief, der seine harte Arbeit schmälerte.
Nachdem er sorgfältig die Kommentare gelesen hatte, die in allen Einzelheiten die zusätzlich benötigten Daten darlegten, kam Julian zu dem Schluss, dass er acht Probanden brauchte, um die Bedingungen der GAFF zu erfüllen. Zunächst dachte er dabei an seine eigenen Patienten. Schließlich verfügte er über alle Einzelheiten ihrer Krankengeschichte und könnte jeden von ihnen nach bestimmten Parametern gezielt aussuchen. Aber was würde passieren, wenn seine Patienten verschwanden, die Polizei ermittelte und eins und eins zusammenzählte? Er wäre der gemeinsame Nenner. Nein, er befand sich nicht in der angenehmen Lage, sich die perfekten Probanden aussuchen zu können. Da er keine andere Wahl hatte, musste er sich bei der Suche nach den idealen Testpersonen auf seinen Instinkt verlassen. Aber durch den gezielten Einsatz von Medikamenten und sorgfältig eingesetzten Operationsmethoden konnte er fast jedes Symptom oder jede Verfassung hervorrufen, die er für die benötigten Daten brauchte.
Julian fühlte sich in dieser Bar nicht wohl, hier war er nicht in seinem Element. Aber er war nicht ohne Grund hier, denn in diesem beliebten Hotspot des Gaslamp Quarters im Zentrum von San Diego war jede Menge los, hier war es leichter für ihn, nicht aufzufallen - einfach nur einer unter vielen zu sein.
Er konnte sich noch an die Zeiten erinnern, als es im Gaslamp Quarter kaum etwas mehr gab als ein paar mit Brettern verbarrikadierte Häuser und Betrunkene, die auf den Straßen herumlungerten. Nun war aber mit renovierten Hotels, Jazzclubs, schicken Boutiquen und Straßencafés - einmal ganz abgesehen vom PETCO Park, dem neuen Baseballstadion der San Diego Padres - neues Leben in das Viertel eingezogen, und es brummte nur so vor Geschäftigkeit.
Julian hoffte, dass er mit seinen zweiundvierzig Jahren seinen Charme noch nicht verloren hatte. In früheren Jahren hatte er Frauen geradezu magnetisch angezogen. Im College konnte er sich darauf verlassen, mit seinem Lächeln und seinen lebhaften blauen Augen eine willige Begleitung zu fi n- den. Aber das war zwanzig Jahre her, und kein Mann kann seine jugendliche Erscheinung für immer bewahren. Außerdem hatte er längst nicht mehr die Statur eines Athleten.
Er nahm Augenkontakt mit einer blonden Frau auf, die ein paar Barhocker weiter saß, setzte sein bestes Lächeln auf und hoffte, sie würde darauf reagieren. Seit mehr als zehn Jahren war er verheiratet und hatte nicht die leiseste Ahnung, wie man Frauen in einer Bar anmachte. Die Blondine war offensichtlich schüchtern, denn sie schaute weg, nahm einen Schluck von ihrem Martini und unterhielt sich weiter mit einer anderen Frau. Als sich ihre Blicke wieder trafen, nahm er sein Glas und prostete ihr zu. In den nächsten Minuten sah er regelmäßig zu ihr hin und ertappte sie dabei, wie auch sie hinübersah und einem unschuldigen Flirt offenbar nicht abgeneigt war.
Er wartete geduldig, dass sie auf ihn zukam. Er war völlig in Gedanken versunken, als ihn schließlich jemand sachte an der Schulter berührte, und als er sich umdrehte, war er erleichtert, die Blondine zu sehen, die sichtlich nervös war.
»Ich hatte gehofft, dass Sie rüberkommen würden«, sagte er und war erfreut, dass sie jung, relativ schlank und gesund zu sein schien. Er hätte am liebsten zu ihr gesagt: »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Ihr Herz mit einem Stethoskop abhöre, um sicherzugehen, dass alles in Ordnung ist?«
»Tatsächlich?«, sagte die Blonde und hatte ihre Hände in die Taille gestemmt.
»Haben Sie mein Zeichen denn nicht gesehen?«, antwortete er.
»Na ja, ich bin hier, also scheint bei mir doch etwas angekommen zu sein.«
Er hielt ihr die Hand hin. »Ich bin Julian.«
Sie nahm seine Hand und drückte sie fest. »Ich bin Genevieve. «
»Schöner Name.« Obwohl er sich gar nicht so fühlte, winkte er selbstsicher den Bartender heran. »Kann ich Ihnen einen Drink spendieren?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich hatte schon mehr, als mir guttut.«
»Und was würde passieren, wenn Sie weitertrinken?«
»Das erzähle ich Ihnen lieber nicht.«
Er nippte an seinem Glas. »Muss ich ein schlechtes Gewissen haben, weil Sie Ihre Freundin im Stich gelassen haben? «
»Sie ist ein großes Mädchen. Sie kommt allein zurecht.«
»Und wie oft lassen Sie Ihre Freundinnen wegen fremder Männer sitzen?«
Sie legte ihr Täschchen auf die Bartheke und lachte. »Heute Nacht?«
Er nickte.
»Sie sind der Erste.«
Das bezweifelte er. »Und warum gerade ich?«
»Sie wirken ... interessant.«
»Sollte ich mich geschmeichelt fühlen?«
»Ja.« Sie deutete auf die vielen Gäste. »Falls Sie es nicht gemerkt haben sollten, es gibt hier reichlich Gelegenheiten.«
»Sie sind nicht gerade schüchtern, Genevieve. Ich mag das an Frauen.«
»Was mögen Sie noch an einer Frau?«
»Ich glaube, wir beide kennen die Antwort auf diese Frage.« Er bestellte sich einen weiteren Scotch und legte einen Fünfzig-Dollar-Schein auf die Theke. Er musste sich zwingen, seine Hände ruhig zu halten. »Und Sie sind sich sicher, dass Sie nicht noch etwas mögen?«
Copyright © by Ullstein (TB) Verlag
Sie schloss ihre Augen und versuchte die verschwommenen Bildfetzen, die durch ihren Kopf taumelten, zusammenzufügen. Sie sah nach links, nach rechts, hielt Ausschau nach irgendetwas, das ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen könnte. Aber sie entdeckte nichts und niemanden und fühlte sich unglaublich allein, von der Welt abgeschnitten. Eigenartigerweise musste sie an Cast Away - Verschollen denken, den Film mit Tom Hanks. Obwohl sie nicht wie er auf einer verlassenen Insel gestrandet war, so kam ihr dieses dunkle unheimliche Gefängnis genauso ausgestorben vor.
Wer würde ihr zu Hilfe kommen?
Sie atmete tief durch, sog die Luft in kurzen zittrigen Atemzügen ein und bemühte sich mit jeder Faser ihres Körpers, wach zu bleiben. Einschlafen war das Letzte, was sie im Moment wollte. Sie nahm an, die Infusionslösung war mehr als eine Nährflüssigkeit, denn sie fühlte sich viel ruhiger, als die Situation es eigentlich zuließ. Sollte sie nicht eigentlich schreien, bis sie heiser war? Ihr Körper zitterte unkontrolliert und erinnerte sie an einen kühlen Novembermorgen, als ihr Bruder sie zu einem kurzen Bad im fünfzehn Grad kalten Pazifik herausgefordert hatte. Sie schreckte nie vor einer Mutprobe zurück, war ein Wildfang in jeder Hinsicht, und so stellte Genevieve sich auch diesem Wagnis und ging nicht nur ins Wasser, sondern schwamm bis zum Ende des Crystal Pier und zurück. Zwei mal. Danach war ihr so kalt, dass sie eine Stunde lang nicht aufhören konnte zu zittern. In genau diesem Augenblick würde sie ihre Situation liebend gern gegen eine ausgedehnte Runde Schwimmen in eisigem Wasser eintauschen.
Sie lag einfach still da, versuchte das überwältigende Gefühl von Hilflosigkeit zu unterdrücken und erinnerte sich dunkel an einen Sandstrand, einen Sonnenuntergang, ein hübsches Gesicht. Aber nichts von alledem passte irgendwie zusammen, ihr Gedächtnis wies allzu viele Lücken auf. Als sie schon fast dabei war, den Kampf gegen die Wirkung der starken Droge, die ihr intravenös verabreicht wurde, aufzugeben, hörte sie, wie die Tür aufgeschlossen wurde. Ihr Kopf fuhr zur Tür herum, ihre Augen waren auf einmal wachsam und forschend. Licht fiel auf den Hartholzboden, aber nur für einen Augenblick.
Dann versank wieder alles in der Dunkelheit.
Plötzlich hörte Genevieve Foster ein Geräusch, das sie mehr als alles andere in Furcht und Schrecken versetzte: schwere Schritte, die auf sie zukamen.
1
Er saß an der Bar und nippte an seinem zweiten Johnny Walker Blue, um den Mut für das Undenkbare aufzubringen. Undenkbar? Gab es denn kein Wort, das seine Pläne genauer beschrieb? Er ließ den weichen Scotch im Mund kreisen, bevor er ihn langsam und bedächtig hinunterschluckte. Die Zweihundert-Dollar-Flasche war jeden einzelnen Penny wert, dachte er bei sich. Wenn er über die Ereignisse der letzten Wochen nachdachte, den Brief, den er von der GAFF, der Global A-Fib Foundation, erhalten hatte und der sein Leben verändern würde, so konnte er nicht glauben, was er vorhatte. Aber blieb ihm eine Wahl? Sie hatten ihn an diesen Scheidepunkt gebracht. Hier saß er nun und trank in Tony's Bar and Grill Scotch wie zur Happy Hour an einem Freitagnachmittag. Doch in Wirklichkeit stand ihm der Sinn überhaupt nicht nach zwang losem Geplauder mit Kollegen. Obwohl er mit Hunderten von Freiwilligen gearbeitet hatte, so waren Julians Ergebnisse doch überschaubar geblieben. Er hatte jede nur erdenkliche Möglichkeit in Betracht gezogen, doch sein Problem konnte nicht anders gelöst werden. Seine einzige Hoffnung, die Forschungen abzuschließen, lag in der Arbeit am lebenden Subjekt, ohne jegliche Einschränkungen. Dieser Entschluss war ihm nicht leichtgefallen. Denn in erster Linie war er ein Heiler, ein angesehener Kardiologe, aber kein Mörder.
Doch außergewöhnliche Situationen erfordern oft außergewöhnliche Maßnahmen.
Als er den zertifizierten Brief erhalten hatte, war er zunächst davon ausgegangen, dass der Vorstand der GAFF mit den Ergebnissen seiner Forschungen zufrieden war und ihm die Fördermittel von zehn Millionen Dollar bewilligt hätte. Doch die ersten beiden Absätze hatten ihn in die Knie gezwungen.
»Unser Komitee hat die Ergebnisse Ihrer Forschungen sowie die aus der kontrollierten Studie zur Entwicklung neuer operativer Behandlungsmöglichkeiten von Vorhofflimmern resultierenden Statistiken genauestens unter die Lupe genommen. Obwohl sie in vielerlei Hinsicht wegweisend sind, so fanden wir die Ergebnisse doch nicht ausreichend genug, um Ihren Antrag bewilligen zu können. Genauer gesagt, die vorgelegten Testresultate, die Änderungen bei der gängigen Katheterablation und der Maze-Operation vorsehen, sind unvollständig, und wir stimmen nicht mit Ihrem Ergebnis überein, dass das Verabreichen von Amiodaron in Dosen von weniger als 200 Milligramm effizient sein könnte. Doch angesichts Ihrer beeindruckenden Bemühungen freuen wir uns, Ihnen eine sechsmonatige Fristverlängerung anbieten zu können, während der Sie Ihre Befunde ergänzen und zusätzliche Ergebnisse vorlegen können. Nach dieser Zeit werden wir das Material neu sichten und bewerten.
Beigefügt erhalten Sie eine umfassende Zusammenstellung der Daten, die wir benötigen, um Ihren Antrag nochmals prüfen zu können.«
Zwei Jahre lang hatte er von morgens bis spät in die Nacht gearbeitet, seine Familie vernachlässigt und einen Rückschlag nach dem anderen hingenommen, und alles, was er nun vorweisen konnte, war ein zweiseitiger Brief, der seine harte Arbeit schmälerte.
Nachdem er sorgfältig die Kommentare gelesen hatte, die in allen Einzelheiten die zusätzlich benötigten Daten darlegten, kam Julian zu dem Schluss, dass er acht Probanden brauchte, um die Bedingungen der GAFF zu erfüllen. Zunächst dachte er dabei an seine eigenen Patienten. Schließlich verfügte er über alle Einzelheiten ihrer Krankengeschichte und könnte jeden von ihnen nach bestimmten Parametern gezielt aussuchen. Aber was würde passieren, wenn seine Patienten verschwanden, die Polizei ermittelte und eins und eins zusammenzählte? Er wäre der gemeinsame Nenner. Nein, er befand sich nicht in der angenehmen Lage, sich die perfekten Probanden aussuchen zu können. Da er keine andere Wahl hatte, musste er sich bei der Suche nach den idealen Testpersonen auf seinen Instinkt verlassen. Aber durch den gezielten Einsatz von Medikamenten und sorgfältig eingesetzten Operationsmethoden konnte er fast jedes Symptom oder jede Verfassung hervorrufen, die er für die benötigten Daten brauchte.
Julian fühlte sich in dieser Bar nicht wohl, hier war er nicht in seinem Element. Aber er war nicht ohne Grund hier, denn in diesem beliebten Hotspot des Gaslamp Quarters im Zentrum von San Diego war jede Menge los, hier war es leichter für ihn, nicht aufzufallen - einfach nur einer unter vielen zu sein.
Er konnte sich noch an die Zeiten erinnern, als es im Gaslamp Quarter kaum etwas mehr gab als ein paar mit Brettern verbarrikadierte Häuser und Betrunkene, die auf den Straßen herumlungerten. Nun war aber mit renovierten Hotels, Jazzclubs, schicken Boutiquen und Straßencafés - einmal ganz abgesehen vom PETCO Park, dem neuen Baseballstadion der San Diego Padres - neues Leben in das Viertel eingezogen, und es brummte nur so vor Geschäftigkeit.
Julian hoffte, dass er mit seinen zweiundvierzig Jahren seinen Charme noch nicht verloren hatte. In früheren Jahren hatte er Frauen geradezu magnetisch angezogen. Im College konnte er sich darauf verlassen, mit seinem Lächeln und seinen lebhaften blauen Augen eine willige Begleitung zu fi n- den. Aber das war zwanzig Jahre her, und kein Mann kann seine jugendliche Erscheinung für immer bewahren. Außerdem hatte er längst nicht mehr die Statur eines Athleten.
Er nahm Augenkontakt mit einer blonden Frau auf, die ein paar Barhocker weiter saß, setzte sein bestes Lächeln auf und hoffte, sie würde darauf reagieren. Seit mehr als zehn Jahren war er verheiratet und hatte nicht die leiseste Ahnung, wie man Frauen in einer Bar anmachte. Die Blondine war offensichtlich schüchtern, denn sie schaute weg, nahm einen Schluck von ihrem Martini und unterhielt sich weiter mit einer anderen Frau. Als sich ihre Blicke wieder trafen, nahm er sein Glas und prostete ihr zu. In den nächsten Minuten sah er regelmäßig zu ihr hin und ertappte sie dabei, wie auch sie hinübersah und einem unschuldigen Flirt offenbar nicht abgeneigt war.
Er wartete geduldig, dass sie auf ihn zukam. Er war völlig in Gedanken versunken, als ihn schließlich jemand sachte an der Schulter berührte, und als er sich umdrehte, war er erleichtert, die Blondine zu sehen, die sichtlich nervös war.
»Ich hatte gehofft, dass Sie rüberkommen würden«, sagte er und war erfreut, dass sie jung, relativ schlank und gesund zu sein schien. Er hätte am liebsten zu ihr gesagt: »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Ihr Herz mit einem Stethoskop abhöre, um sicherzugehen, dass alles in Ordnung ist?«
»Tatsächlich?«, sagte die Blonde und hatte ihre Hände in die Taille gestemmt.
»Haben Sie mein Zeichen denn nicht gesehen?«, antwortete er.
»Na ja, ich bin hier, also scheint bei mir doch etwas angekommen zu sein.«
Er hielt ihr die Hand hin. »Ich bin Julian.«
Sie nahm seine Hand und drückte sie fest. »Ich bin Genevieve. «
»Schöner Name.« Obwohl er sich gar nicht so fühlte, winkte er selbstsicher den Bartender heran. »Kann ich Ihnen einen Drink spendieren?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich hatte schon mehr, als mir guttut.«
»Und was würde passieren, wenn Sie weitertrinken?«
»Das erzähle ich Ihnen lieber nicht.«
Er nippte an seinem Glas. »Muss ich ein schlechtes Gewissen haben, weil Sie Ihre Freundin im Stich gelassen haben? «
»Sie ist ein großes Mädchen. Sie kommt allein zurecht.«
»Und wie oft lassen Sie Ihre Freundinnen wegen fremder Männer sitzen?«
Sie legte ihr Täschchen auf die Bartheke und lachte. »Heute Nacht?«
Er nickte.
»Sie sind der Erste.«
Das bezweifelte er. »Und warum gerade ich?«
»Sie wirken ... interessant.«
»Sollte ich mich geschmeichelt fühlen?«
»Ja.« Sie deutete auf die vielen Gäste. »Falls Sie es nicht gemerkt haben sollten, es gibt hier reichlich Gelegenheiten.«
»Sie sind nicht gerade schüchtern, Genevieve. Ich mag das an Frauen.«
»Was mögen Sie noch an einer Frau?«
»Ich glaube, wir beide kennen die Antwort auf diese Frage.« Er bestellte sich einen weiteren Scotch und legte einen Fünfzig-Dollar-Schein auf die Theke. Er musste sich zwingen, seine Hände ruhig zu halten. »Und Sie sind sich sicher, dass Sie nicht noch etwas mögen?«
Copyright © by Ullstein (TB) Verlag
... weniger
Autoren-Porträt von Daniel Annechino
Daniel Annechino lebt und arbeitet in San Diego, Kalifornien. Sein Roman 'Leise stirbst du nie' erschien in den USA im Selbstverlag und entwickelte sich dort zum Bestseller.Barbara Krause, geboren 1939, war von 1987 bis 2007 als Verlagslektorin tätig. Heute lebt sie als Übersetzerin und freiberufliche Lektorin in Berlin.
Bibliographische Angaben
- Autor: Daniel Annechino
- 2012, 512 Seiten, Maße: 11,5 x 18 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Krause, Barbara
- Übersetzer: Barbara Krause
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548282636
- ISBN-13: 9783548282633
Kommentare zu "Keine Gnade"
0 Gebrauchte Artikel zu „Keine Gnade“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4 von 5 Sternen
5 Sterne 2Schreiben Sie einen Kommentar zu "Keine Gnade".
Kommentar verfassen