Kryptum
Roman
Der Kryptologe David ist dem letzten Geheimnis von Babylon auf der Spur. Doch die Zeit, den Code zu knacken, ist mörderisch kurz.
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Produktinformationen zu „Kryptum “
Der Kryptologe David ist dem letzten Geheimnis von Babylon auf der Spur. Doch die Zeit, den Code zu knacken, ist mörderisch kurz.
Klappentext zu „Kryptum “
Der letzte Schlüssel zum Erbe von BabylonAnno Domini 1582. Im Alkazar von Antigua wartet Raimundo Randa auf seinen Prozess vor der Heiligen Inquisition. Hinter ihm liegt eine lange Reise voller Gefahren und Abenteuer. Mehr als einmal hat er seine Identität und sogar seinen Glauben gewechselt, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Dem Geheimnis um ein mit kryptischen Zeichen beschriftetes Pergament, das von 12 jüdischen Familien über die Jahrhunderte hinweg gehütet worden ist. Von ihm geht eine mysteriöse Macht aus, die jedoch noch viel, viel weiter in die Vergangenheit zurückreicht ...
2004 verschwindet in Antigua die prominente amerikanische Wissenschaftlerin Sara Toledano. Kurz zuvor hat sie dem Kryptologen David Calderón vier Fragmente eines Pergaments geschickt. In größter Sorge machen sich der junge Mann und Saras Tochter daran, die geheime Botschaft zu entschlüsseln. Doch sie sind nicht die Einzigen, die den Code aus uralter Zeit knacken wollen.
Lese-Probe zu „Kryptum “
Kryptum von Agustín Sánchez Vidal LESEPROBE
KONSTANTINOPEL - DAS PERGAMENT
"Rebecca, bevor ihr nach Jerusalem zieht, müssen wir beide über etwas sprechen, von dem nach dem Tod deines Vaters nur ich selbst noch Kenntnis habe. Es muß noch jemand anderes aus der Familie davon wissen, falls mir etwas zustoßen sollte."
Damit wollte er mir bedeuten, daß ich bei der Unterredung unerwünscht war. Doch einmal mehr wollte Rebecca ihr Schicksal mit dem meinen verbinden.
"Raimundo hat auf seiner langen Reise sein Leben viele Male aufs Spiel gesetzt. Zudem ist er der Vater meiner Tochter. Er hat ein Recht darauf, in diese Geheimnisse eingeweiht zu werden."
Don Moisés kannte das Temperament seiner Nichte nur zu gut, weshalb er nicht einmal Anstalten machte, sich ihren Worten zu widersetzen.
"Wenn du meinst Ihr solltet jedoch wissen, Raimundo, daß die Kenntnis dessen, was ich meiner Nichte zu offenbaren habe, Euch noch stärker an sie binden wird als eine Hochzeit."
Er schickte uns in ein Hinterzimmer und kehrte nach einer Weile mit einer Schatulle aus Elfenbein zurück, die ihrem Aussehen nach sehr wertvoll war. Sie war nicht mit einem gewöhnlichen Vorhängeschloß gesichert, sondern mit vier Rädchen, die mit Zahlen versehen waren, welche man so lange drehen mußte, bis sie eine bestimmte Zahlenkombination ergaben, wonach es sich öffnen ließ. Mit unverhohlener Bewunderung betrachtete ich den Mechanismus, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Moisés Toledano setzte sich zu uns, stellte die Schatulle auf seinen Schoß und wandte sich dann an mich.
"Hierin befindet sich das, was Euch das Leben kosten kann."
Er zog ein dünnes Pergament aus der Schatulle, das aus Gazellenleder war. Als er es hochhob, um es uns besser zeigen zu können, sah ich, daß es die Form
... mehr
eines Keils hatte und wahrscheinlich aus einem größeren Pergament herausgeschnitten war. Auf der einen Seite waren breite, geometrische Linien zu sehen, die mit einem glühenden Eisen labyrinthartig in das Leder eingebrannt zu sein schienen. Auf der Rückseite stand ein einziges Wort: ETEMENANKI. Ich versuchte, mir in Erinnerung zu rufen, wo ich es schon einmal gehört hatte. Bis es mir einfiel: Seine Majestät, Karl V., hatte es in Yuste nach dem Entschlüsseln meiner Botschaft ausgerufen!
"Ihr werdet Euch fragen, was das ist", sagte Don Moisés. "Nun, so hört gut zu, denn unter den Toledanos wird diese Geschichte zusammen mit diesem Pergamentkeil von Generation zu Generation weitergegeben. Euer Leben wird fortan davon abhängen."
Und er erzählte uns anschaulich und in allen Einzelheiten, was sich während der Regierungszeit von Alfons X., den man auch "den Weisen" nannte, in Antigua zugetragen hatte. Seine Geschichte setzte ein in einer finsteren Winternacht, in der der Regen über das Land peitschte und Nebelfetzen über den Fluß zogen. Damals besaß Antigua nur eine einzige Brücke, die von bewaffneten Posten streng bewacht wurde. Die Familie der Toledanos genoß unter den Einwohnern Antiguas großes Ansehen. In jener Winternacht mußten sie einem Fremden helfen, unbemerkt in die Stadt zu gelangen. Bei Anbruch der Dämmerung hatten die jüngsten Familienmitglieder deshalb ihre Häuser verlassen und sich auf dem steil zum Flußbett abfallenden Felsen postiert, der die Stadtmauer des Judenviertels begrenzte.
Von dort aus konnten die Toledanos nun die Soldaten auf der Brücke sehen, die sich an einem Lagerfeuer wärmten, dessen Flammen bei dem heftigen Wind hoch loderten. Angestrengt spähten sie in der Dunkelheit hinüber zur anderen Seite des Flusses. Lange Zeit geschah nichts. Doch plötzlich sahen sie das Signal vom anderen Ufer, eine Laterne, geschwenkt von einem Mann von schmächtiger Gestalt. Sie antworteten ihm geschwind, indem sie ihre eigene Laterne hochhoben, wobei sie sorgfältig darauf achteten, daß das Gebäude des jüdischen Schlachthofs zwischen ihnen und den Wachen auf der Brücke lag.
Kaum hatten sie ihre Signale ausgetauscht, warfen die Toledanos schon eine Strickleiter den Felsen hinab zu der Ruine einer Mühle, die vor langer Zeit der Blitz getroffen hatte. Durch ein Lärchenwäldchen vor den Soldaten verborgen, kletterten sie einer nach dem anderen sie hinunter.
Auf der anderen Seite des Flusses hielt unterdessen der kleine Mann vorsichtig die Hand in das eiskalte Wasser. Ihn schauderte bei dem Gedanken, daß er es durchqueren mußte. Doch es gab keine andere Möglichkeit, in die Stadt zu kommen, ohne verhaftet zu werden. Deshalb richtete er sich wieder auf, blickte hinüber zum anderen Ufer, schwenkte noch einmal seine Laterne, und sowie er Antwort erhalten hatte, löschte er sie aus. Der Moment war gekommen.
Ein ungünstiger Moment, gewiß, sagten sich die Toledanos, während sie ihn von der gegenüberliegenden Seite aus beobachteten. Dort, wo sich das alte Wasserrad der Mühle befand, war die einzige seichte Stelle, die das Überqueren des Flusses gestattete. Doch selbst tagsüber und wenn man die Furt gut kannte, war das sehr gefährlich. Nachts aber, noch dazu bei diesem Wetter, war die Flußdurchquerung der reinste Wahnsinn. In der Mitte konnte man kaum stehen, und die Strömung war sehr stark. Schon viele waren an dieser Stelle ertrunken. Jener Fremde mußte einen dringlichen Grund haben, um es trotzdem zu wagen.
Er watete in das Flußbett, in das dunkle, eisige Wasser. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, geleitet nur von dem schwachen Laternenschein derer, die ihn auf der anderen Seite erwarteten. Er mühte sich, nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. Plötzlich rutschte er aus, verlor beinahe das Gleichgewicht. Als er sich der gefährlichen Flußmitte näherte, reichte ihm das Wasser erst bis zur Hüfte, dann bis zur Brust.
Vom gegenüberliegenden Ufer aus beobachteten die Toledanos beklommen die merkwürdige Art, wie er sich fortbewegte. In steifer Haltung stemmte er sich der Strömung entgegen, statt den Weg des geringsten Widerstands zu suchen. Sie wußten, daß er gleich an den tiefsten und schwierigsten Punkt des Flußbetts kommen würde, und warfen sich besorgte Blicke zu.
"Ohne unsere Hilfe wird er es nicht schaffen", meinte der jüngste und kräftigste der Toledanos.
Er nahm seine Kopfbedeckung ab, entrollte sie, band sich das eine Ende um die Taille und forderte seine Begleiter auf, ihm auch ihre Turbane zu geben, damit er die langen Stoffbänder an seinen eigenen knüpfen konnte.
"Haltet dieses Ende fest, so daß es immer straff gespannt ist", wies er sie an.
Dann warf er sich geradewegs in die Strömung. Inmitten des Flusses, von den Wellen umspült, riß der Strom den schmächtigen Fremden fast mit sich fort. Nichtsdestotrotz hielt er sich kerzengerade. Der junge Bursche, der ihm zu Hilfe eilte, verstand sein Verhalten erst, als er ihn erreichte: Zum Schutz vor dem Wasser in ein gewachstes Tuch eingeschlagen, trug er auf dem Kopf ein Bündel, das ihm wertvoller zu sein schien als das eigene Leben.
"Seid bloß vorsichtig damit", bat der Fremde seinen Retter mit dünner Stimme, als dieser ihn fest bei den Schultern packte, einen seiner kräftigen Arme unter denen des Mannes hindurchschob und ihn so an Land schleppte, wobei er sich an dem improvisierten Tau seiner Kameraden festhielt.
Am Ufer zohen sie dem Fremden die nasse Kleidung aus und wickelten ihn in eine Decke. Gesicht, Hände und Füße waren ganz blau, er zitterte vor Kälte, konnte sich kaum auf den Beinen halten. Die Strickleiter mußten sie ihn hinaufhieven. Sein Bündel ließ er dabei nicht los; er hielt es die ganze Zeit fest umklammert, selbst die Prellungen, die er an der Felswand davontrug, als sie ihn hinaufzogen, schreckten ihn nicht.
Innerhalb der Stadtmauern, im Judenviertel, brachten sie ihn in eines ihrer Häuser, wo man ihm am Feuer mit trockener Kleidung und einer heißen Suppe erwartete. Nach dem Mahl fiel er erschöpft ins Bett, jedoch nicht ohne - sicher ist sicher - sein Bündel unter das Kopfkissen zu schieben.
Am nächsten Tag, kaum war er aufgewacht, bat er seine Gastgeber, ihn unverzüglich zu Samuel Toledano zu bringen. Der Rabbiner, der über die Geschehnisse längst Bescheid wußte, empfing ihn sofort. Als er den Raum betrat, sah der Fremde, daß Samuel Toledano nicht allein war, wie er es sich gewünscht hätte; die drei Oberrichter und der Ältestenrat waren bei ihm. Der alte Rabbiner bemerkte seinen Unmut und forderte alle Anwesenden auf, den Saal zu verlassen. Zum ersten Mal lächelte der kleine Mann.
Da sie nun allein waren, bat er um Erlaubnis, den Federkasten benutzen zu dürfen, den er auf einem Tisch neben dem ehrwürdigen Rabbiner entdeckt hatte. Toledano war zwar überrascht, willigte dann aber ein. Daraufhin setzte sich der Fremde an den Tisch und begann eifrig zu zeichnen. Vielleicht auch zu schreiben; es war schwer zu sagen, was diese Linien bedeuten sollten, diese Kästchen, die er eines nach dem anderen mit Tinte ausmalte, genauen Regeln folgend, die nur er zu kennen schien.
"Es würde besser aussehen, wenn ich meine eigene Feder und Tinte zur Hand gehabt hätte", entschuldigte er sich, als er fertig war.
Der alte Rabbiner sah sich das Papier genau an. Er hielt es ein Stück von sich weg, um es besser betrachten zu können. Sein Gesicht drückte Erstaunen aus. Dann blickte er abwechselnd auf das Papier und auf den Fremden, hüllte sich jedoch in Schweigen.
Endlich fragte er ihn mit strenger Miene:
"Wo habt Ihr derartige Linien schon einmal gesehen?"
Der Fremde schien jedoch nicht ohne weiteres reden zu wollen.
"Ich werde es Euch erzählen, wenn Ihr mir sagt, was sie bedeuten", schlug er dem Rabbiner vor.
Samuel Toledano runzelte unwillig die Stirn.
"Ich kann Euch helfen, sie zu entschlüsseln, doch werde ich das nicht eher tun, als bis Ihr mir gesagt habt, wer Ihr seid und woher diese Linien stammen."
"Nun gut", lenkte der Fremde ein, "mein Name ist Azarquiel, und ich komme aus dem Königreich Marokko, genauer gesagt aus Fes."
"Ihr habt meine Frage noch nicht ganz beantwortet. Woher stammen diese Linien?"
Da schickte Azarquiel sich an, ihm das Geheimnis zu enthüllen:
"Alles begann in Fes, als man mich bat, eine Schätzung der Bibliothek einer der reichsten Familien der Stadt vorzunehmen. Meine Auftraggeber waren andalusischer Herkunft und wollten nach dem überraschenden Tod des Familienoberhaupts ihren gesamten Besitz sichten und ein Nachlaßverzeichnis erstellt haben.
Während ich also dessen Bücher und Dokumente durchsah und taxierte, blieb mein Blick immer wieder an dem seltsamen Tisch hängen, den der Verstorbene benutzt hatte, wenn er in seiner Bibliothek arbeitete. Wer genau hinsah, konnte erkennen, daß die äußeren Maße des Möbelstücks nicht mit der Tiefe der zahlreichen Schubladen übereinstimmten. Ich maß mit einer Kordel nach, und tatsächlich, nachdem ich eine Weile die Rückwand abgetastet hatte, entdeckte ich ein Geheimfach. Mit größter Vorsicht öffnete ich es, und was entdeckte ich? Ein Pergament.
Es war indes kein alltägliches Pergament, vielmehr eines aus hauchdünnem Gems- oder Gazellenleder. Darauf war mit Tinte etwas aufgezeichnet, vielleicht waren die Linien aber auch eingebrannt. Es sah jedenfalls aus wie ein Labyrinth. Man mußte nicht besonders bewandert sein, um zu begreifen, daß es sich um ein sehr, sehr altes Pergament handelte. Im Geheimfach fand ich überdies noch ein Stück Papier, auf dem zu lesen stand, das dieses Pergament eine Schatzkarte sei, die zu dem kostbarsten Schatz führte, den die Mauren von Al-Andalus kannten. Und daß diesen Schatz nur diejenigen finden könnten, die von echtem Glauben erfüllt seien und diese Karte zu entziffern wüßten. Die Ungläubigen bedachte der Schreiber hingegen mit den allerschrecklichsten Flüchen und drohte ihnen mit den fürchterlichsten aller Todesarten.
Ich dachte lange darüber nach, was ich damit tun sollte. Das Pergament mußte sehr wertvoll sein, wenn der Verstorbene es an einem so geheimen Ort aufbewahrt und selbst vor der eigenen Familie verborgen hatte. Nach langem Zögern beschloß ich schließlich, es heimlich mitzunehmen.
Alsdann geschah etwas Eigenartiges: Nachdem ich das einzigartige Dokument über mehrere Tage hinweg studiert hatte, begann ich einen immer wiederkehrenden Traum zu haben. Zunächst war er noch ganz angenehm, mit der Zeit entwickelte er sich aber zu einer wahren Obsession. In diesem Traum erschien mir das Pergament, dessen Labyrinth sich von der Mitte her in alle vier Himmelsrichtungen ausbreitete. Es schien lebendig zu werden, es wuchs nach oben und nach unten, bis es ein großes Gebäude war. Ich spazierte darin herum, anfangs noch ohne Schwierigkeiten, aber schon bald verlief ich mich und fand aus den engen Gängen nicht mehr heraus. Dann wurde es dunkel um mich herum. Voller Furcht versuchte ich diese Dunkelheit zu ergründen, und plötzlich verlor ich den Boden unter den Füßen und fiel in ein tiefes, unendlich tiefes Loch. Ich fiel und fiel
So erging es mir ein ums andere Mal, und ich sehnte mich geradezu danach, daß es Zeit wurde, schlafen zu gehen. Zugleich fürchtete ich mich aber auch davor. Einerseits wünschte ich mir den Traum herbei, denn jenes Pergament schien seine Geheimnisse nur im Schlaf preiszugeben. Andererseits machte es mir angst, denn ich schlief schlecht und wachte mitten in der Nacht schweißgebadet auf. Und am Tag zitterte mir die Hand beim Schreiben, und ich konnte mich nicht mehr auf meine Arbeit konzentrieren.
Da mich diese merkwürdigen Vorgänge zutiefst erschreckten, hütete ich mich zunächst, irgend jemand dieses Pergament zu zeigen, das sich meines Willens zu bemächtigen schien. Nachdem ich jedoch lange darüber nachgedacht hatte, ohne es deuten zu können, kopierte ich sorgfältig einige Fragmente, die mir von tiefgreifender Bedeutung zu sein schienen, und machte mich daran, sie denen vorzulegen, die ich für die gelehrtesten Männer der Stadt hielt. Doch vergebens: Keiner von ihnen kam viel weiter als ich. Entweder waren sie wirklich überfragt, oder aber sie verschwiegen mir, was sie wußten, denn in mehr als einem Blick konnte ich große Angst erkennen.
Mißmutig beschloß ich deshalb, dem Ratschlag derer zu folgen, die mir versicherten, nur in Antigua könne ich weise Männer finden, die über die nötigen Kenntnisse verfügen, um das Rätsel zu entschlüsseln. Hier, so sagte man mir, befänden sich die besten Bibliotheken und die hervorragendsten Kenner überlieferten Wissens. Und man erklärte mir auch, daß Ihr, der Rabbiner dieser Gemeinde, der angesehenste von allen seid."
Mit diesen Worten holte der Fremde sein mitgebrachtes Bündel hervor, knüpfte es auf und breitete seinen Fund vor Samuel Toledano aus. Der ehrwürdige alte Mann befühlte die Tierhaut, prüfte sie genau. Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Als er schließlich zum Reden ansetzte, tat er dies langsam und bedächtig und blickte Azarquiel dabei mit besorgten, ja kummervollen Augen an.
"Nicht Ihr seid es, der dieses Pergament gefunden hat. Es hat Euch gefunden, es hat sich Euch offenbart. Es gehört nicht Euch, sondern Ihr gehört ihm. Dies hier ist das allerkostbarste der über 400.000 Handschriften, die die berühmte Bibliothek des Kalifen al-Hakam II. einstmals umfaßte. Man glaubte es für immer verloren."
Ein Pergament aus der Bibliothek des Kalifen? Was hat es damit auf sich?
Nun, die Geschichte nimmt ihren Anfang vor über dreihundert Jahren, während der Herrschaft der omaijadischen Kalifen
[]
"Und dies hier war also das kostbarste Pergament jener Bibliothek?" fragte Azarquiel den Rabbiner.
"Es war nicht nur das kostbarste; die Bibliothek war anscheinend eigens dafür gebaut worden. Al-Hakams Handschriftensammlung war im Grunde nur darauf ausgerichtet gewesen, dieses Pergament in seinen Besitz zu bringen.
Man erfuhr nie, woher es wirklich stammte. Es gehörte zu einem Kodex, der Sarazenischen Chronik, die die Eroberung Spaniens durch die Mauren erzählt. Kaum war die Handschrift in der Stadt eintroffen, nahm der Vertraute des Kalifen, Ibn Shaprut, sie persönlich in Empfang und brachte sie unverzüglich zum Kalifen. Al-Hakam II. sagte sofort alle noch ausstehenden Audienzen ab und schloß sich mit seinem engsten Berater in der Palastbibliothek ein. Darin wurde eine ganz besondere Sammlung von mehreren hundert Kodizes aufbewahrt, und an ihrer Tür, die rund um die Uhr bewacht wurde, stand der Leitspruch: Die volle Wahrheit ist nicht in einem einzigen, sondern in vielen Träumen zu finden.
In der Folgezeit häuften sich Ibn Shapruts Besuche in Antigua. Sie erfolgten stets unter strengster Geheimhaltung. Doch währte dies nicht lange, denn seine und des Kalifen Tage waren gezählt. Sie starben fast zur gleichen Zeit, und mit ihnen ihr Geheimnis. Niemand konnte ahnen, daß das Kalifat von Córdoba nach ihrem Tod in die Barbarei zurücksinken würde unter dem despotischen Großwesir al-Mansur, den die Christen Almansor nennen. Um die größten Glaubenseiferer auf seine Seite zu ziehen, befahl er, alle der Irrlehre verdächtigen Bücher aus der unvergleichlichen Bibliothek des Kalifen zu vernichten. Er selbst zündete die Scheiterhaufen an, die Tag und Nacht brannten. Die anderen wurden auf den arabischen Märkten verschleudert. Selbst nach vielen Jahren konnte man manche dieser Buchrollen und Kodizes noch in den Antiquariaten von Fes erwerben."
Es lag tiefe Trauer in Samuel Toledanos Stimme, jetzt, da er seine Erzählung beendet hatte.
"Versteht Ihr nun, warum es ein wahres Wunder ist, daß Ihr dieses Pergament gefunden habt?" fragte der alte Rabbiner.
"Und weshalb ist es so kostbar?" will Azarquiel wissen.
"Das habe ich Euch bereits gesagt: Es hütet das Geheimnis von ETEMENANKI, den letzten Schlüssel, die verborgene Sprache des Universums, mit der Gott die Welt erschuf und die allem zugrunde liegt. Doch begibt man sich in große Gefahr, wenn man sie ergründen will "
© Deutscher Taschenbuch Verlag
Übersetzung: Silke Kleemann
"Ihr werdet Euch fragen, was das ist", sagte Don Moisés. "Nun, so hört gut zu, denn unter den Toledanos wird diese Geschichte zusammen mit diesem Pergamentkeil von Generation zu Generation weitergegeben. Euer Leben wird fortan davon abhängen."
Und er erzählte uns anschaulich und in allen Einzelheiten, was sich während der Regierungszeit von Alfons X., den man auch "den Weisen" nannte, in Antigua zugetragen hatte. Seine Geschichte setzte ein in einer finsteren Winternacht, in der der Regen über das Land peitschte und Nebelfetzen über den Fluß zogen. Damals besaß Antigua nur eine einzige Brücke, die von bewaffneten Posten streng bewacht wurde. Die Familie der Toledanos genoß unter den Einwohnern Antiguas großes Ansehen. In jener Winternacht mußten sie einem Fremden helfen, unbemerkt in die Stadt zu gelangen. Bei Anbruch der Dämmerung hatten die jüngsten Familienmitglieder deshalb ihre Häuser verlassen und sich auf dem steil zum Flußbett abfallenden Felsen postiert, der die Stadtmauer des Judenviertels begrenzte.
Von dort aus konnten die Toledanos nun die Soldaten auf der Brücke sehen, die sich an einem Lagerfeuer wärmten, dessen Flammen bei dem heftigen Wind hoch loderten. Angestrengt spähten sie in der Dunkelheit hinüber zur anderen Seite des Flusses. Lange Zeit geschah nichts. Doch plötzlich sahen sie das Signal vom anderen Ufer, eine Laterne, geschwenkt von einem Mann von schmächtiger Gestalt. Sie antworteten ihm geschwind, indem sie ihre eigene Laterne hochhoben, wobei sie sorgfältig darauf achteten, daß das Gebäude des jüdischen Schlachthofs zwischen ihnen und den Wachen auf der Brücke lag.
Kaum hatten sie ihre Signale ausgetauscht, warfen die Toledanos schon eine Strickleiter den Felsen hinab zu der Ruine einer Mühle, die vor langer Zeit der Blitz getroffen hatte. Durch ein Lärchenwäldchen vor den Soldaten verborgen, kletterten sie einer nach dem anderen sie hinunter.
Auf der anderen Seite des Flusses hielt unterdessen der kleine Mann vorsichtig die Hand in das eiskalte Wasser. Ihn schauderte bei dem Gedanken, daß er es durchqueren mußte. Doch es gab keine andere Möglichkeit, in die Stadt zu kommen, ohne verhaftet zu werden. Deshalb richtete er sich wieder auf, blickte hinüber zum anderen Ufer, schwenkte noch einmal seine Laterne, und sowie er Antwort erhalten hatte, löschte er sie aus. Der Moment war gekommen.
Ein ungünstiger Moment, gewiß, sagten sich die Toledanos, während sie ihn von der gegenüberliegenden Seite aus beobachteten. Dort, wo sich das alte Wasserrad der Mühle befand, war die einzige seichte Stelle, die das Überqueren des Flusses gestattete. Doch selbst tagsüber und wenn man die Furt gut kannte, war das sehr gefährlich. Nachts aber, noch dazu bei diesem Wetter, war die Flußdurchquerung der reinste Wahnsinn. In der Mitte konnte man kaum stehen, und die Strömung war sehr stark. Schon viele waren an dieser Stelle ertrunken. Jener Fremde mußte einen dringlichen Grund haben, um es trotzdem zu wagen.
Er watete in das Flußbett, in das dunkle, eisige Wasser. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, geleitet nur von dem schwachen Laternenschein derer, die ihn auf der anderen Seite erwarteten. Er mühte sich, nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. Plötzlich rutschte er aus, verlor beinahe das Gleichgewicht. Als er sich der gefährlichen Flußmitte näherte, reichte ihm das Wasser erst bis zur Hüfte, dann bis zur Brust.
Vom gegenüberliegenden Ufer aus beobachteten die Toledanos beklommen die merkwürdige Art, wie er sich fortbewegte. In steifer Haltung stemmte er sich der Strömung entgegen, statt den Weg des geringsten Widerstands zu suchen. Sie wußten, daß er gleich an den tiefsten und schwierigsten Punkt des Flußbetts kommen würde, und warfen sich besorgte Blicke zu.
"Ohne unsere Hilfe wird er es nicht schaffen", meinte der jüngste und kräftigste der Toledanos.
Er nahm seine Kopfbedeckung ab, entrollte sie, band sich das eine Ende um die Taille und forderte seine Begleiter auf, ihm auch ihre Turbane zu geben, damit er die langen Stoffbänder an seinen eigenen knüpfen konnte.
"Haltet dieses Ende fest, so daß es immer straff gespannt ist", wies er sie an.
Dann warf er sich geradewegs in die Strömung. Inmitten des Flusses, von den Wellen umspült, riß der Strom den schmächtigen Fremden fast mit sich fort. Nichtsdestotrotz hielt er sich kerzengerade. Der junge Bursche, der ihm zu Hilfe eilte, verstand sein Verhalten erst, als er ihn erreichte: Zum Schutz vor dem Wasser in ein gewachstes Tuch eingeschlagen, trug er auf dem Kopf ein Bündel, das ihm wertvoller zu sein schien als das eigene Leben.
"Seid bloß vorsichtig damit", bat der Fremde seinen Retter mit dünner Stimme, als dieser ihn fest bei den Schultern packte, einen seiner kräftigen Arme unter denen des Mannes hindurchschob und ihn so an Land schleppte, wobei er sich an dem improvisierten Tau seiner Kameraden festhielt.
Am Ufer zohen sie dem Fremden die nasse Kleidung aus und wickelten ihn in eine Decke. Gesicht, Hände und Füße waren ganz blau, er zitterte vor Kälte, konnte sich kaum auf den Beinen halten. Die Strickleiter mußten sie ihn hinaufhieven. Sein Bündel ließ er dabei nicht los; er hielt es die ganze Zeit fest umklammert, selbst die Prellungen, die er an der Felswand davontrug, als sie ihn hinaufzogen, schreckten ihn nicht.
Innerhalb der Stadtmauern, im Judenviertel, brachten sie ihn in eines ihrer Häuser, wo man ihm am Feuer mit trockener Kleidung und einer heißen Suppe erwartete. Nach dem Mahl fiel er erschöpft ins Bett, jedoch nicht ohne - sicher ist sicher - sein Bündel unter das Kopfkissen zu schieben.
Am nächsten Tag, kaum war er aufgewacht, bat er seine Gastgeber, ihn unverzüglich zu Samuel Toledano zu bringen. Der Rabbiner, der über die Geschehnisse längst Bescheid wußte, empfing ihn sofort. Als er den Raum betrat, sah der Fremde, daß Samuel Toledano nicht allein war, wie er es sich gewünscht hätte; die drei Oberrichter und der Ältestenrat waren bei ihm. Der alte Rabbiner bemerkte seinen Unmut und forderte alle Anwesenden auf, den Saal zu verlassen. Zum ersten Mal lächelte der kleine Mann.
Da sie nun allein waren, bat er um Erlaubnis, den Federkasten benutzen zu dürfen, den er auf einem Tisch neben dem ehrwürdigen Rabbiner entdeckt hatte. Toledano war zwar überrascht, willigte dann aber ein. Daraufhin setzte sich der Fremde an den Tisch und begann eifrig zu zeichnen. Vielleicht auch zu schreiben; es war schwer zu sagen, was diese Linien bedeuten sollten, diese Kästchen, die er eines nach dem anderen mit Tinte ausmalte, genauen Regeln folgend, die nur er zu kennen schien.
"Es würde besser aussehen, wenn ich meine eigene Feder und Tinte zur Hand gehabt hätte", entschuldigte er sich, als er fertig war.
Der alte Rabbiner sah sich das Papier genau an. Er hielt es ein Stück von sich weg, um es besser betrachten zu können. Sein Gesicht drückte Erstaunen aus. Dann blickte er abwechselnd auf das Papier und auf den Fremden, hüllte sich jedoch in Schweigen.
Endlich fragte er ihn mit strenger Miene:
"Wo habt Ihr derartige Linien schon einmal gesehen?"
Der Fremde schien jedoch nicht ohne weiteres reden zu wollen.
"Ich werde es Euch erzählen, wenn Ihr mir sagt, was sie bedeuten", schlug er dem Rabbiner vor.
Samuel Toledano runzelte unwillig die Stirn.
"Ich kann Euch helfen, sie zu entschlüsseln, doch werde ich das nicht eher tun, als bis Ihr mir gesagt habt, wer Ihr seid und woher diese Linien stammen."
"Nun gut", lenkte der Fremde ein, "mein Name ist Azarquiel, und ich komme aus dem Königreich Marokko, genauer gesagt aus Fes."
"Ihr habt meine Frage noch nicht ganz beantwortet. Woher stammen diese Linien?"
Da schickte Azarquiel sich an, ihm das Geheimnis zu enthüllen:
"Alles begann in Fes, als man mich bat, eine Schätzung der Bibliothek einer der reichsten Familien der Stadt vorzunehmen. Meine Auftraggeber waren andalusischer Herkunft und wollten nach dem überraschenden Tod des Familienoberhaupts ihren gesamten Besitz sichten und ein Nachlaßverzeichnis erstellt haben.
Während ich also dessen Bücher und Dokumente durchsah und taxierte, blieb mein Blick immer wieder an dem seltsamen Tisch hängen, den der Verstorbene benutzt hatte, wenn er in seiner Bibliothek arbeitete. Wer genau hinsah, konnte erkennen, daß die äußeren Maße des Möbelstücks nicht mit der Tiefe der zahlreichen Schubladen übereinstimmten. Ich maß mit einer Kordel nach, und tatsächlich, nachdem ich eine Weile die Rückwand abgetastet hatte, entdeckte ich ein Geheimfach. Mit größter Vorsicht öffnete ich es, und was entdeckte ich? Ein Pergament.
Es war indes kein alltägliches Pergament, vielmehr eines aus hauchdünnem Gems- oder Gazellenleder. Darauf war mit Tinte etwas aufgezeichnet, vielleicht waren die Linien aber auch eingebrannt. Es sah jedenfalls aus wie ein Labyrinth. Man mußte nicht besonders bewandert sein, um zu begreifen, daß es sich um ein sehr, sehr altes Pergament handelte. Im Geheimfach fand ich überdies noch ein Stück Papier, auf dem zu lesen stand, das dieses Pergament eine Schatzkarte sei, die zu dem kostbarsten Schatz führte, den die Mauren von Al-Andalus kannten. Und daß diesen Schatz nur diejenigen finden könnten, die von echtem Glauben erfüllt seien und diese Karte zu entziffern wüßten. Die Ungläubigen bedachte der Schreiber hingegen mit den allerschrecklichsten Flüchen und drohte ihnen mit den fürchterlichsten aller Todesarten.
Ich dachte lange darüber nach, was ich damit tun sollte. Das Pergament mußte sehr wertvoll sein, wenn der Verstorbene es an einem so geheimen Ort aufbewahrt und selbst vor der eigenen Familie verborgen hatte. Nach langem Zögern beschloß ich schließlich, es heimlich mitzunehmen.
Alsdann geschah etwas Eigenartiges: Nachdem ich das einzigartige Dokument über mehrere Tage hinweg studiert hatte, begann ich einen immer wiederkehrenden Traum zu haben. Zunächst war er noch ganz angenehm, mit der Zeit entwickelte er sich aber zu einer wahren Obsession. In diesem Traum erschien mir das Pergament, dessen Labyrinth sich von der Mitte her in alle vier Himmelsrichtungen ausbreitete. Es schien lebendig zu werden, es wuchs nach oben und nach unten, bis es ein großes Gebäude war. Ich spazierte darin herum, anfangs noch ohne Schwierigkeiten, aber schon bald verlief ich mich und fand aus den engen Gängen nicht mehr heraus. Dann wurde es dunkel um mich herum. Voller Furcht versuchte ich diese Dunkelheit zu ergründen, und plötzlich verlor ich den Boden unter den Füßen und fiel in ein tiefes, unendlich tiefes Loch. Ich fiel und fiel
So erging es mir ein ums andere Mal, und ich sehnte mich geradezu danach, daß es Zeit wurde, schlafen zu gehen. Zugleich fürchtete ich mich aber auch davor. Einerseits wünschte ich mir den Traum herbei, denn jenes Pergament schien seine Geheimnisse nur im Schlaf preiszugeben. Andererseits machte es mir angst, denn ich schlief schlecht und wachte mitten in der Nacht schweißgebadet auf. Und am Tag zitterte mir die Hand beim Schreiben, und ich konnte mich nicht mehr auf meine Arbeit konzentrieren.
Da mich diese merkwürdigen Vorgänge zutiefst erschreckten, hütete ich mich zunächst, irgend jemand dieses Pergament zu zeigen, das sich meines Willens zu bemächtigen schien. Nachdem ich jedoch lange darüber nachgedacht hatte, ohne es deuten zu können, kopierte ich sorgfältig einige Fragmente, die mir von tiefgreifender Bedeutung zu sein schienen, und machte mich daran, sie denen vorzulegen, die ich für die gelehrtesten Männer der Stadt hielt. Doch vergebens: Keiner von ihnen kam viel weiter als ich. Entweder waren sie wirklich überfragt, oder aber sie verschwiegen mir, was sie wußten, denn in mehr als einem Blick konnte ich große Angst erkennen.
Mißmutig beschloß ich deshalb, dem Ratschlag derer zu folgen, die mir versicherten, nur in Antigua könne ich weise Männer finden, die über die nötigen Kenntnisse verfügen, um das Rätsel zu entschlüsseln. Hier, so sagte man mir, befänden sich die besten Bibliotheken und die hervorragendsten Kenner überlieferten Wissens. Und man erklärte mir auch, daß Ihr, der Rabbiner dieser Gemeinde, der angesehenste von allen seid."
Mit diesen Worten holte der Fremde sein mitgebrachtes Bündel hervor, knüpfte es auf und breitete seinen Fund vor Samuel Toledano aus. Der ehrwürdige alte Mann befühlte die Tierhaut, prüfte sie genau. Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Als er schließlich zum Reden ansetzte, tat er dies langsam und bedächtig und blickte Azarquiel dabei mit besorgten, ja kummervollen Augen an.
"Nicht Ihr seid es, der dieses Pergament gefunden hat. Es hat Euch gefunden, es hat sich Euch offenbart. Es gehört nicht Euch, sondern Ihr gehört ihm. Dies hier ist das allerkostbarste der über 400.000 Handschriften, die die berühmte Bibliothek des Kalifen al-Hakam II. einstmals umfaßte. Man glaubte es für immer verloren."
Ein Pergament aus der Bibliothek des Kalifen? Was hat es damit auf sich?
Nun, die Geschichte nimmt ihren Anfang vor über dreihundert Jahren, während der Herrschaft der omaijadischen Kalifen
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"Und dies hier war also das kostbarste Pergament jener Bibliothek?" fragte Azarquiel den Rabbiner.
"Es war nicht nur das kostbarste; die Bibliothek war anscheinend eigens dafür gebaut worden. Al-Hakams Handschriftensammlung war im Grunde nur darauf ausgerichtet gewesen, dieses Pergament in seinen Besitz zu bringen.
Man erfuhr nie, woher es wirklich stammte. Es gehörte zu einem Kodex, der Sarazenischen Chronik, die die Eroberung Spaniens durch die Mauren erzählt. Kaum war die Handschrift in der Stadt eintroffen, nahm der Vertraute des Kalifen, Ibn Shaprut, sie persönlich in Empfang und brachte sie unverzüglich zum Kalifen. Al-Hakam II. sagte sofort alle noch ausstehenden Audienzen ab und schloß sich mit seinem engsten Berater in der Palastbibliothek ein. Darin wurde eine ganz besondere Sammlung von mehreren hundert Kodizes aufbewahrt, und an ihrer Tür, die rund um die Uhr bewacht wurde, stand der Leitspruch: Die volle Wahrheit ist nicht in einem einzigen, sondern in vielen Träumen zu finden.
In der Folgezeit häuften sich Ibn Shapruts Besuche in Antigua. Sie erfolgten stets unter strengster Geheimhaltung. Doch währte dies nicht lange, denn seine und des Kalifen Tage waren gezählt. Sie starben fast zur gleichen Zeit, und mit ihnen ihr Geheimnis. Niemand konnte ahnen, daß das Kalifat von Córdoba nach ihrem Tod in die Barbarei zurücksinken würde unter dem despotischen Großwesir al-Mansur, den die Christen Almansor nennen. Um die größten Glaubenseiferer auf seine Seite zu ziehen, befahl er, alle der Irrlehre verdächtigen Bücher aus der unvergleichlichen Bibliothek des Kalifen zu vernichten. Er selbst zündete die Scheiterhaufen an, die Tag und Nacht brannten. Die anderen wurden auf den arabischen Märkten verschleudert. Selbst nach vielen Jahren konnte man manche dieser Buchrollen und Kodizes noch in den Antiquariaten von Fes erwerben."
Es lag tiefe Trauer in Samuel Toledanos Stimme, jetzt, da er seine Erzählung beendet hatte.
"Versteht Ihr nun, warum es ein wahres Wunder ist, daß Ihr dieses Pergament gefunden habt?" fragte der alte Rabbiner.
"Und weshalb ist es so kostbar?" will Azarquiel wissen.
"Das habe ich Euch bereits gesagt: Es hütet das Geheimnis von ETEMENANKI, den letzten Schlüssel, die verborgene Sprache des Universums, mit der Gott die Welt erschuf und die allem zugrunde liegt. Doch begibt man sich in große Gefahr, wenn man sie ergründen will "
© Deutscher Taschenbuch Verlag
Übersetzung: Silke Kleemann
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Autoren-Porträt von Agustín Sánchez Vidal
Agustín Sánchez Vidal, 1948 in Salamanca geboren, ist Professor für Film- und Medienwissenschaft an der Universität Zaragoza und einer der weltweit anerkannten Experten für das Werk von Luis Buñuel und Carlos Saura. Des Weiteren hat er Drehbücher für Film und TV verfasst und mehrere Monografien zu Literatur-, Kunst- und Filmgeschichte veröffentlicht. Sein Romandebüt 'Kryptum' (dtv 21086) stand 20 Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste.
Bibliographische Angaben
- Autor: Agustín Sánchez Vidal
- 2008, 7. Aufl., 752 Seiten, Maße: 12 x 19,1 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung:Kleemann, Silke
- Übersetzer: Silke Kleemann
- Verlag: DTV
- ISBN-10: 3423210869
- ISBN-13: 9783423210867
- Erscheinungsdatum: 19.09.2008
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