Glühende Dunkelheit / Lady Alexia Bd.1
Roman
Miss Alexia Tarabotti hat in Notwehr einen Vampir getötet. Doch was steckt hinter dem Angriff auf sie? Alexia beschließt, nachzuforschen. Doch damit kommt sie dem attraktiven Chefermittler der Queen, dem Alpha-Werwolf Lord Maccon, gefährlich nahe und sieht ihr Herz bedroht.
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Produktinformationen zu „Glühende Dunkelheit / Lady Alexia Bd.1 “
Miss Alexia Tarabotti hat in Notwehr einen Vampir getötet. Doch was steckt hinter dem Angriff auf sie? Alexia beschließt, nachzuforschen. Doch damit kommt sie dem attraktiven Chefermittler der Queen, dem Alpha-Werwolf Lord Maccon, gefährlich nahe und sieht ihr Herz bedroht.
Klappentext zu „Glühende Dunkelheit / Lady Alexia Bd.1 “
Nachdem Miss Alexia Tarabotti in Notwehr einen Vampir getötet hat, steht sie nun dem Alpha-Werwolf Lord Maccon gegenüber dem Chefermittler der Queen für übernatürliche Angelegenheiten. Als dieser sich weigert, sie in die Ermittlungen einzubeziehen, beschließt Alexia, selbst nachzuforschen, was hinter dem Angriff auf sie steckt. Und plötzlich befindet sie sich nicht nur tief in einer Intrige gegen das Britische Empire sie sieht auch ihr Herz durch den attraktiven Lord Maccon bedroht
Nachdem Miss Alexia Tarabotti in Notwehr einen Vampir getötet hat, steht sie nun dem Alpha-Werwolf Lord Maccon gegenüber - dem Chefermittler der Queen für übernatürliche Angelegenheiten. Als dieser sich weigert, sie in die Ermittlungen einzubeziehen, beschließt Alexia, selbst nachzuforschen, was hinter dem Angriff auf sie steckt. Und plötzlich befindet sie sich nicht nur tief in einer Intrige gegen das Britische Empire - sie sieht auch ihr Herz durch den attraktiven Lord Maccon bedroht .
Lese-Probe zu „Glühende Dunkelheit / Lady Alexia Bd.1 “
Glühende Dunkelheit von Gail Carriger Wofür sich Sonnenschirme eignen
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Miss Alexia Tarabotti amüsierte sich nicht. Abendliche Tanzveranstaltungen im privaten Kreis waren für alte Jungfern bestenfalls leidlich unterhaltsam, und die unverheiratete Miss Tarabotti galt mit ihren sechsundzwanzig Jahren zwar als solche, konnte jedoch so einer Gesellschaft nicht einmal ein Mindestmaß an Vergnügen abgewinnen. Um dem Ganzen noch das Sahnehäubchen aufzusetzen, wurde sie, als sie sich in die Bibliothek zurückzog, ihren bevorzugten Zufluchtsort in jedem Haus, von einem Vampir überrascht. Finster starrte sie den Blutsauger an.
Dieser hingegen schien seinerseits das Gefühl zu haben, dass sein Ballabend durch ihr Aufeinandertreffen gerade unermesslich bereichert wurde. Da saß sie, ohne Begleitung, in einem tief ausgeschnittenen Abendkleid.
in diesem speziellen Fall allerdings war es so, dass Unwissenheit nicht vor Schaden schützte, denn Miss Alexia war ohne Seele geboren worden, was sie, wie jeder anständige Vampir guten Blutes wusste, zu einer Dame machte, der man tunlichst aus dem Weg ging.
Dennoch löste er sich finster wabernd aus den Schatten der Bibliothek und kam mit gebleckten Fangzähnen auf sie zu. in dem Augenblick jedoch, als er Miss Tarabotti berührte, wirkte er mit einem Mal gar nicht mehr finster.
Er stand einfach nur da, die schwachen Klänge eines Streichquartetts im Hintergrund, und tastete dümmlich mit der Zunge nach Fangzähnen, die er urplötzlich auf unerklärliche Weise verlegt zu haben schien.
Miss Tarabotti war nicht im Geringsten überrascht. Übernatürliche Fähigkeiten wurden durch Seelenlosigkeit stets neutralisiert. Sie bedachte den Vampir mit einem äußerst ungehaltenen Blick. Natürlich hielten sie die meisten Tageslichtler für nichts anderes als eine typische englische Pedantin, aber dieser Mann hätte sich zumindest die Mühe machen sollen, das offizielle Abnormalitätsverzeichnis für Vampire in London und Umgebung zu lesen.
Der Vampir fand seine Fassung bald wieder. Rückwärts gehend wich er vor Alexia zurück und stieß dabei einen in der Nähe stehenden Teewagen um. Nachdem der Körperkontakt mit ihr unterbrochen war, erschienen seine Fangzähne wieder. Offenbar war er nicht gerade der Hellste unter den Finsterlingen, denn er hechtete sogleich wieder auf sie zu, mit dem Kopf voran wie eine Schlange, um erneut zu einem Biss anzusetzen.
»ich muss schon sagen!«, ermahnte Alexia ihn tadelnd. »Wir wurden uns noch nicht einmal vorgestellt!«
Noch nie hatte ein Vampir versucht, Miss Tarabotti zu beißen. Natürlich kannte sie den einen oder anderen vom Hörensagen und war mit Lord Akeldama befreundet. Wer war nicht mit Lord Akeldama befreundet? Aber kein Vampir hatte je den Versuch gewagt, von ihr zu trinken!
Deshalb sah sich Alexia, die Gewalt zutiefst verabscheute, dazu gezwungen, den Schurken in die Nasenlöcher - einer empfindlichen und demzufolge schmerzhaften Gegend - zu greifen und ihn auf diese Weise von sich wegzuzerren. Er stolperte über den umgestürzten Teewagen, verlor auf für einen Vampir erstaunlich ungraziöse Weise das Gleichgewicht, stürzte zu Boden und landete mitten auf einem Teller mit Siruptorte.
Darüber war Miss Tarabotti zutiefst bekümmert. Sie hegte eine besondere Vorliebe für Siruptorte und hatte sich schon darauf gefreut, genau jenen Tellervoll zu verspeisen.
Entschlossen griff sie nach ihrem Sonnenschirm. Es war fürchterlich geschmacklos von ihr, auf einer Abendveranstaltung einen Sonnenschirm bei sich zu tragen, doch Miss Tarabotti ging kaum jemals ohne ihn irgendwohin. Er war ganz nach ihren eigenen Vorstellungen gestaltet: eine Kreation aus schwarzen Rüschen mit aufgenähten Stiefmütterchen aus violettem Satin, einem Gestänge aus Messing und einer silbernen Spitze, die mit Schrotkugeln beschwert war.
Sie hieb dem Vampir damit auf den Kopf, während dieser versuchte, sich aus seiner frisch eingegangenen intimen Beziehung mit dem Teewagen zu lösen. Die Schrotkugeln verliehen dem Messingschirm gerade genug Gewicht, um ein herrlich befriedigendes Donk zu erzeugen.
»Manieren!«, belehrte ihn Miss Tarabotti.
Der Vampir heulte vor Schmerz auf und setzte sich erneut rücklings in die Siruptorte.
Diesen Vorteil nutzte Alexia und ließ einen heftigen Stoß zwischen seine Beine folgen. Sein Geheule kletterte eine Oktave höher, und er krümmte sich in embryonaler Stellung zusammen. Miss Tarabotti war zwar eine anständige englische junge Dame, einmal davon abgesehen, dass sie keine Seele hatte und zur Hälfte italienerin war, doch sie verbrachte beträchtlich mehr Zeit als die meisten anderen jungen Damen damit, zu reiten und spazieren zu gehen, und war deshalb unerwartet kräftig.
Miss Tarabotti machte einen Satz nach vorn - soweit man in voluminösen dreilagigen Unterröcken, drapierter Tournüre und einem gerüschten Taftkleid überhaupt einen Satz machen konnte - und beugte sich über den Vampir. Er hielt seine unziemlichen Körperteile umklammert und krümmte sich windend. in Anbetracht seiner übernatürlichen Heilungsfähigkeit würde seine Pein nicht lange anhalten, doch in der Zwischenzeit schmerzte es höchst empfindlich.
Alexia zog eine lange hölzerne Haarnadel aus ihrer kunstvollen Hochsteckfrisur. Errötend über ihre eigene Kühnheit riss sie seine Hemdbrust auf, die billig und übertrieben gestärkt war, und piekste ihn damit in die Brust, direkt über dem Herzen. Miss Tarabottis Haarnadel war besonders lang und spitz. Vorsorglich vergewisserte sie sich, dass sie mit der freien Hand seine Brust berührte, da nur Körperkontakt seine übernatürlichen Fähigkeiten aufhob.
»Unterlassen Sie auf der Stelle diesen grässlichen Lärm!«, wies sie die Kreatur an.
Der Vampir hörte mit seinem Gekreische auf und lag vollkommen bewegungslos da. Seine schönen blauen Augen fingen leicht an zu tränen, während er unverwandt auf die hölzerne Haarnadel starrte. Oder, wie Alexia sie gern zu nennen pflegte, ihren Haarpflock.
»Erklären Sie sich!«, verlangte Miss Tarabotti, während sie den Druck erhöhte.
»ich bitte tausendmal um Vergebung.« Der Vampir wirkte verwirrt. »Wer sind Sie?« Vorsichtig tastete er nach seinen Fangzähnen. Verschwunden.
Alexia löste die körperliche Verbindung zu ihm (wobei sie aber die spitze Haarnadel an Ort und Stelle beließ), und seine Zähne wuchsen wieder nach.
Voller Verblüffung keuchte er auf. »Waf find Fie?«, lispelte er um seine Fangzähne herum, aufrichtige Furcht in den Augen. »ich hielt Fie für eine Dame, ohne Begleitung. Ef wäre mein Recht, von ihnen zu trinken, wenn man Fie fo forglof unbeauffichtigt gelaffen hätte. Bitte, ich wollte mich wahrhaftig nicht erdreiften.«
Alexia fiel es schwer, bei dem Lispeln nicht zu lachen. »Sie haben keinen Grund, sich so übertrieben pikiert zu geben. ihre Königin wird ihnen sicher von meiner Art erzählt haben.« Erneut legte sie ihm die Hand auf die Brust. Die Zähne des Vampirs bildeten sich zurück.
Er sah sie an, als ob ihr urplötzlich Schnurrhaare gewachsen wären und sie ihn angefaucht hätte.
Miss Tarabotti war überrascht. Übernatürliche Geschöpfe, seien es Vampire, Werwölfe oder Gespenster, verdankten ihre Existenz einem Übermaß an Seele, einem Überschuss, der sich weigerte zu sterben. Die meisten von ihnen wussten, dass es auch andere wie Miss Tarabotti gab, die ohne jegliche Seele geboren worden waren. Das geschätzte Bureau of Unnatural Registry (BUR), eine Abteilung des öffentlichen Dienstes ihrer Majestät, deren Aufgabe die Kontrolle und Registrierung des Unnatürlichen war, nannte ihre Art Außernatürlich. Alexia fand diese Bezeichnung angenehm würdevoll. Wie Vampire sie nannten war weit weniger schmeichelhaft. Schließlich waren sie einst von den Außernatürlichen gejagt worden, und Vampire hatten ein gutes Gedächtnis. Natürlich wurden Tageslichtler darüber sozusagen im Dunkeln gelassen, aber jeder Vampir, der sein Blut wert war, musste wissen, was die Berührung eines Außernatürlichen bewirkte. Die Unwissenheit von diesem hier war unvertretbar. Also sagte Alexia wie zu einem sehr kleinen Kind: »ich bin eine Außernatürliche.«
Der Vampir wirkte nun verlegen. »Natürlich sind Sie das«, sagte er zustimmend, obwohl er offensichtlich immer noch nicht ganz begriff. »Entschuldigen Sie bitte nochmals, liebreizendes Fräulein. ich bin überwältigt, ihre Bekanntschaft zu machen. Sie sind meine erste ...«, er stolperte über das Wort, »Außernatürliche.« Nachdenklich runzelte er die Stirn. »Weder übernatürlich noch natürlich, selbstverständlich! Wie töricht von mir, diese Gegensätzlichkeit nicht zu erkennen.« Seine Augen verengten sich listig. Er ignorierte nun geflissentlich die Haarnadel und sah Alexia mit gespielt zärtlichem Wohlwollen ins Gesicht.
Miss Tarabotti wusste sehr gut, wie es um ihre weibliche Anziehungskraft bestellt war. Das netteste Kompliment, auf das sie mit ihrem Gesicht jemals hoffen durfte, war »exotisch«, aber niemals »liebreizend«. Alexia nahm an, dass Vampire, wie alle Raubtiere, am charmantesten waren, wenn man sie in die Ecke getrieben hatte.
Die Hände des Vampirs schnellten vor und zielten auf ihren Hals. Offensichtlich hatte er beschlossen, dass, wenn er schon nicht ihr Blut saugen konnte, Strangulation eine annehmbare Alternative darstellte. Alexia fuhr zurück und bohrte der Kreatur dabei die Haarnadel etwa einen Zentimeter tief in das weiße Fleisch.
Der Vampir reagierte mit einem verzweifelten Zappeln, das Alexia in ihren samtenen hochhackigen Tanzschuhen selbst ohne seine übernatürliche Stärke aus dem Gleichgewicht brachte. Sie stürzte rückwärts.
Brüllend vor Schmerz sprang der Vampir auf, die Haarnadel in der Brust.
Hektisch tastete Miss Tarabotti nach ihrem Sonnenschirm, während sie sich unelegant zwischen den Teeutensilien herumwälzte und hoffte, dass ihr neues Kleid die heruntergefallenen Speisen verfehlte. Sie fand den Schirm und sprang, den Parasol in weitem Bogen schwingend, auf die Füße. Durch bloßen Zufall traf die schwere Spitze das Ende ihrer hölzernen Haarnadel und trieb sie dem Vampir geradewegs ins Herz.
Wie erstarrt blieb die Kreatur stehen, einen Ausdruck tiefster Überraschung auf dem gut aussehenden Gesicht. Dann fiel er rücklings auf das schwer in Mitleidenschaft gezogene Tablett mit Siruptorte, schlaff wie labbrig verkochter Spargel. Sein alabasterweißes Gesicht färbte sich gelblich grau, als leide er an der Gelbsucht, und er wurde reglos.
Alexias Bücher nannten dieses Ende des Lebenszyklus eines Vampirs Deanimation. Alexia, die der Meinung war, dass der Vorgang erstaunlich dem in-sich-Zusammenfallen eines Soufflés ähnelte, beschloss in diesem Augenblick, es den Großen Kollaps zu nennen.
Eigentlich hatte sie beabsichtigt, geradewegs aus der Bibliothek hinauszuschlendern, ohne dass jemand etwas von ihrer Anwesenheit dort bemerkte, auch wenn das bedeutete, ihre beste Haarnadel zurückzulassen und auf ihren wohlverdienten Tee sowie eine gehörige Portion Drama zu verzichten.
Doch unglücklicherweise kam genau in diesem Augenblick eine kleine Gruppe junger Dandys hereingeschneit. Was derart gekleidete junge Männer in einer Bibliothek zu suchen hatten, darüber konnte sie nur Vermutungen anstellen. Alexia hielt es für die wahrscheinlichste Erklärung, dass sie sich auf der Suche nach dem Kartenspielzimmer verlaufen hatten.
Dessen ungeachtet war sie durch deren Anwesenheit gezwungen, so zu tun, als habe sie den toten Vampir soeben selbst erst entdeckt. Also kreischte sie auf und fiel in Ohnmacht.
Sie blieb hartnäckig ohnmächtig, trotz der großzügigen Verabreichung von Riechsalz, das ihr die Augen ganz fürchterlich tränen ließ, eines Krampfes in der Kniekehle und der Tatsache, dass ihr neues Ballkleid schrecklich zerknittert wurde. All die vielen Schichten grüner Posamenten, die sie, nach der neuesten Mode in heller werdenden Schattierungen, passend zum Kürass-Mieder ausgewählt hatte, wurden unter ihrem Gewicht zerdrückt. Es folgten die zu erwartenden Laute: eine ganze Menge Geschrei, viel hektisches Herumgerenne und gelegentliches lautes Klappern, während eines der Dienstmädchen die heruntergefallenen Teeutensilien beseitigte.
Dann fegte eine Respekt einflößende Stimme sowohl die jungen Dandys als auch all die anderen interessierten Gäste, die hereingeströmt waren, nachdem man das sich dort bietende Schauspiel entdeckt hatte, aus der Bibliothek. Mit einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete, kommandierte die Stimme jeden Anwesenden »Hinaus!« und kündigte an, dass ihr Besitzer »von der jungen Dame die Einzelheiten in Erfahrung bringen« würde.
Stille breitete sich aus.
»Jetzt hören Sie mir einmal gut zu! ich werde etwas viel, viel Stärkeres als Riechsalz benutzen«, drang ein Knurren in Miss Tarabottis linkes Ohr. Die Stimme war tief, gefärbt mit einem Hauch von Schottland. Sie hätte Alexia einen eisigen Schauer über die Seele rinnen lassen, instinktiv Bilder des Vollmonds vor ihrem inneren Auge heraufbeschworen und den Wunsch geweckt, jetzt sofort irgendwoanders zu sein - hätte sie eine Seele gehabt. Stattdessen seufzte sie frustriert und setzte sich auf.
»ihnen ebenfalls einen guten Abend, Lord Maccon. Zauberhaftes Wetter haben wir für diese Jahreszeit, finden Sie nicht auch?« Sie betastete ihre Frisur, die ohne die Haarnadel drohte sich aufzulösen. Verstohlen sah sie sich nach Lord Conall Maccons Stellvertreter, Professor Lyall, um. Lord Maccon hatte zumeist ein viel ruhigeres Temperament, wenn sein Beta anwesend war. Dies schien, wie Alexia inzwischen begriffen hatte, der eigentliche Sinn eines Betas zu sein - ganz besonders eines Betas von Lord Maccon.
»Ah, Professor Lyall, wie schön, Sie wiederzusehen!« Sie lächelte erleichtert.
Professor Lyall, der besagte Beta, war ein schlanker, rötlich-blonder Gentleman unbestimmten Alters und von angenehmem Wesen, genau genommen so umgänglich, wie sein Alpha griesgrämig war. Er lächelte sie breit an und lüpfte grüßend den Zylinder, der von erstklassigem Schnitt und aus bestem Material war. Seine Halsbinde war ähnlich dezent; obwohl fachmännisch gebunden, war der Knoten bescheiden.
»Miss Tarabotti, wie schön, Sie einmal wiederzusehen.« Seine Stimme war sanft und freundlich.
»Hören Sie auf mit den Schmeicheleien, Randolph«, bellte Lord Maccon. Der vierte Earl of Woolsey war viel größer als Professor Lyall und trug beinahe ständig eine finstere Miene zur Schau. Jedenfalls blickte er stets finster drein, wenn er sich in Gegenwart von Miss Alexia Tarabotti befand, und zwar seit jenem Zwischenfall mit dem igel (der nun wirklich und wahrhaftig nicht ihre Schuld gewesen war). Davon abgesehen hatte er unverschämt hübsche goldbraune Augen, mahagonifarbenes Haar und eine besonders schöne Nase. Die Augen funkelten Alexia gegenwärtig aus schockierend intimer Nähe an.
»Wie kommt es, Miss Tarabotti, dass jedes Mal, wenn ich ein Schlamassel in einer Bibliothek beseitigen muss, Sie sich rein zufällig mittendrin befinden?«, verlangte der Earl von ihr zu wissen.
Alexia bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick und strich sich über die Vorderseite ihres grünen Taftkleids, um es nach Blutflecken abzusuchen.
Anerkennend beobachtete Lord Maccon sie dabei. Miss Tarabotti mochte ihr Gesicht zwar jeden Morgen im Spiegel mit einer gehörigen Portion Kritik betrachten, aber an ihrer Figur gab es absolut nichts auszusetzen. Er hätte weit weniger Seele und erheblich weniger niedere Triebe haben müssen, um diese appetitliche Tatsache nicht zu bemerken. Natürlich ruinierte sie ihre Anziehungskraft stets sofort wieder, indem sie den Mund aufmachte. Seiner bescheidenen Erfahrung nach gab es auf der ganzen Welt keine Frau, die noch entnervend schlagfertiger war.
»Bezaubernd, aber unnötig«, meinte er mit einem Hinweis auf ihre Bemühungen, nicht vorhandene Blutstropfen von ihrem Kleid zu wischen.
Alexia rief sich in Erinnerung, dass sich Lord Maccon und seine Art erst seit Kurzem zivilisiert benahmen. Man durfte einfach nicht zu viel von ihnen erwarten, ganz besonders nicht unter heiklen Umständen wie diesen. Allerdings erklärte das natürlich nicht Professor Lyall, der stets äußerst kultiviert auftrat. Sie schenkte ihm einen anerkennenden Blick.
Lord Maccons Miene wurde noch finsterer.
Miss Tarabotti dachte darüber nach, ob der Mangel an zivilisiertem Verhalten möglicherweise einfach nur an Lord Maccons Herkunft lag. Gerüchte besagten, dass er erst seit vergleichsweise kurzer Zeit in London lebte - und dass er von allen barbarischen Orten ausgerechnet aus Schottland hergekommen war.
Der Professor hüstelte leise, um die Aufmerksamkeit seines Alphas auf sich zu lenken. Der gelbe Blick des Earls heftete sich mit solcher Eindringlichkeit auf ihn, dass er beinahe brannte. »Aye?«
Professor Lyall stand über den Vampir gebeugt und untersuchte gerade interessiert die Haarnadel. Ein makellos weißes Taschentuch aus Linon um die Hand gewickelt, stocherte er in der Wunde herum.
»Sehr wenig Gekleckere, ehrlich gesagt. Beinahe keine Blutspritzer.« Er beugte sich vor und schnupperte. »Eindeutig Westminster«, stellte er fest.
Der Earl of Woolsey schien zu verstehen. Er richtete seinen durchdringenden Blick auf den toten Vampir. »Er muss sehr hungrig gewesen sein.«
Professor Lyall drehte die Leiche um. »Was ist denn hier passiert?« Er zog eine kleine hölzerne Pinzette aus seiner Westentasche und pflückte etwas vom Hosenboden des Vampirs. Dann hielt er kurz inne, kramte in seinen Manteltaschen und holte ein kleines Lederetui hervor. Er klappte es auf und entnahm ihm ein äußerst bizarr aussehendes, brillenartiges Ding mit kreisrunden Gläsern. Es war goldfarben, mit mehrfachen Linsen auf einer Seite, zwischen denen sich eine Art Flüssigkeit zu befinden schien. Außerdem war der seltsame Apparat mit kleinen Knöpfen und Skalen übersät. Professor Lyall klemmte sich das lächerliche Ding auf die Nase und beugte sich wieder über den Vampir, wobei er fachmännisch an den Wählscheiben schraubte.
»Grundgütiger!«, rief Alexia aus. »Was haben Sie sich denn da aufgesetzt? Sieht aus wie das unglückselige Produkt einer unzüchtigen Verbindung zwischen einem Teleskop und einem Opernglas. Wie, um alles in der Welt, nennt sich dieses Ding? Telenokel? Binoskop?«
Der Earl schnaubte amüsiert, dann tat er schnell so, als wäre nichts gewesen. »Wie wäre es mit Brilloskop?«, schlug er aber noch vor, offenbar nicht in der Lage, sich seinen Beitrag zu verkneifen. Dabei lag ein Funkeln in seinem Blick, das Alexia ziemlich verwirrend fand.
Professor Lyall blickte von seinen Untersuchungen hoch und starrte die beiden an. Sein rechtes Auge war abscheulich vergrößert. Es sah ziemlich schaurig aus und ließ Alexia zusammenzucken.
»Das hier sind meine monokularen Trans-MagnifikationsLinsen mit Skalen-Modifikatoraufsatz, und sie sind von un - schätzbarem Wert. ich wäre ihnen sehr verbunden, wenn Sie nicht darüber spotten würden.« Erneut wandte er sich der vorliegenden Aufgabe zu.
»Oh.« Miss Tarabotti gab sich gebührend beeindruckt. »Wie funktionieren sie?«
Professor Lyall hob erneut den Blick und sah zu ihr hoch. »Nun, sehen Sie, es ist wirklich recht interessant. indem man diesen kleinen Knopf hier dreht, kann man den Abstand zwischen den zwei Glasscheiben hier verändern, was der Flüssigkeit erlaubt, sich ... «
Übersetzung: Anita Nirschl
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe by Blanvalet in der Verlagsgruppe
Random House GmbH, München
Miss Alexia Tarabotti amüsierte sich nicht. Abendliche Tanzveranstaltungen im privaten Kreis waren für alte Jungfern bestenfalls leidlich unterhaltsam, und die unverheiratete Miss Tarabotti galt mit ihren sechsundzwanzig Jahren zwar als solche, konnte jedoch so einer Gesellschaft nicht einmal ein Mindestmaß an Vergnügen abgewinnen. Um dem Ganzen noch das Sahnehäubchen aufzusetzen, wurde sie, als sie sich in die Bibliothek zurückzog, ihren bevorzugten Zufluchtsort in jedem Haus, von einem Vampir überrascht. Finster starrte sie den Blutsauger an.
Dieser hingegen schien seinerseits das Gefühl zu haben, dass sein Ballabend durch ihr Aufeinandertreffen gerade unermesslich bereichert wurde. Da saß sie, ohne Begleitung, in einem tief ausgeschnittenen Abendkleid.
in diesem speziellen Fall allerdings war es so, dass Unwissenheit nicht vor Schaden schützte, denn Miss Alexia war ohne Seele geboren worden, was sie, wie jeder anständige Vampir guten Blutes wusste, zu einer Dame machte, der man tunlichst aus dem Weg ging.
Dennoch löste er sich finster wabernd aus den Schatten der Bibliothek und kam mit gebleckten Fangzähnen auf sie zu. in dem Augenblick jedoch, als er Miss Tarabotti berührte, wirkte er mit einem Mal gar nicht mehr finster.
Er stand einfach nur da, die schwachen Klänge eines Streichquartetts im Hintergrund, und tastete dümmlich mit der Zunge nach Fangzähnen, die er urplötzlich auf unerklärliche Weise verlegt zu haben schien.
Miss Tarabotti war nicht im Geringsten überrascht. Übernatürliche Fähigkeiten wurden durch Seelenlosigkeit stets neutralisiert. Sie bedachte den Vampir mit einem äußerst ungehaltenen Blick. Natürlich hielten sie die meisten Tageslichtler für nichts anderes als eine typische englische Pedantin, aber dieser Mann hätte sich zumindest die Mühe machen sollen, das offizielle Abnormalitätsverzeichnis für Vampire in London und Umgebung zu lesen.
Der Vampir fand seine Fassung bald wieder. Rückwärts gehend wich er vor Alexia zurück und stieß dabei einen in der Nähe stehenden Teewagen um. Nachdem der Körperkontakt mit ihr unterbrochen war, erschienen seine Fangzähne wieder. Offenbar war er nicht gerade der Hellste unter den Finsterlingen, denn er hechtete sogleich wieder auf sie zu, mit dem Kopf voran wie eine Schlange, um erneut zu einem Biss anzusetzen.
»ich muss schon sagen!«, ermahnte Alexia ihn tadelnd. »Wir wurden uns noch nicht einmal vorgestellt!«
Noch nie hatte ein Vampir versucht, Miss Tarabotti zu beißen. Natürlich kannte sie den einen oder anderen vom Hörensagen und war mit Lord Akeldama befreundet. Wer war nicht mit Lord Akeldama befreundet? Aber kein Vampir hatte je den Versuch gewagt, von ihr zu trinken!
Deshalb sah sich Alexia, die Gewalt zutiefst verabscheute, dazu gezwungen, den Schurken in die Nasenlöcher - einer empfindlichen und demzufolge schmerzhaften Gegend - zu greifen und ihn auf diese Weise von sich wegzuzerren. Er stolperte über den umgestürzten Teewagen, verlor auf für einen Vampir erstaunlich ungraziöse Weise das Gleichgewicht, stürzte zu Boden und landete mitten auf einem Teller mit Siruptorte.
Darüber war Miss Tarabotti zutiefst bekümmert. Sie hegte eine besondere Vorliebe für Siruptorte und hatte sich schon darauf gefreut, genau jenen Tellervoll zu verspeisen.
Entschlossen griff sie nach ihrem Sonnenschirm. Es war fürchterlich geschmacklos von ihr, auf einer Abendveranstaltung einen Sonnenschirm bei sich zu tragen, doch Miss Tarabotti ging kaum jemals ohne ihn irgendwohin. Er war ganz nach ihren eigenen Vorstellungen gestaltet: eine Kreation aus schwarzen Rüschen mit aufgenähten Stiefmütterchen aus violettem Satin, einem Gestänge aus Messing und einer silbernen Spitze, die mit Schrotkugeln beschwert war.
Sie hieb dem Vampir damit auf den Kopf, während dieser versuchte, sich aus seiner frisch eingegangenen intimen Beziehung mit dem Teewagen zu lösen. Die Schrotkugeln verliehen dem Messingschirm gerade genug Gewicht, um ein herrlich befriedigendes Donk zu erzeugen.
»Manieren!«, belehrte ihn Miss Tarabotti.
Der Vampir heulte vor Schmerz auf und setzte sich erneut rücklings in die Siruptorte.
Diesen Vorteil nutzte Alexia und ließ einen heftigen Stoß zwischen seine Beine folgen. Sein Geheule kletterte eine Oktave höher, und er krümmte sich in embryonaler Stellung zusammen. Miss Tarabotti war zwar eine anständige englische junge Dame, einmal davon abgesehen, dass sie keine Seele hatte und zur Hälfte italienerin war, doch sie verbrachte beträchtlich mehr Zeit als die meisten anderen jungen Damen damit, zu reiten und spazieren zu gehen, und war deshalb unerwartet kräftig.
Miss Tarabotti machte einen Satz nach vorn - soweit man in voluminösen dreilagigen Unterröcken, drapierter Tournüre und einem gerüschten Taftkleid überhaupt einen Satz machen konnte - und beugte sich über den Vampir. Er hielt seine unziemlichen Körperteile umklammert und krümmte sich windend. in Anbetracht seiner übernatürlichen Heilungsfähigkeit würde seine Pein nicht lange anhalten, doch in der Zwischenzeit schmerzte es höchst empfindlich.
Alexia zog eine lange hölzerne Haarnadel aus ihrer kunstvollen Hochsteckfrisur. Errötend über ihre eigene Kühnheit riss sie seine Hemdbrust auf, die billig und übertrieben gestärkt war, und piekste ihn damit in die Brust, direkt über dem Herzen. Miss Tarabottis Haarnadel war besonders lang und spitz. Vorsorglich vergewisserte sie sich, dass sie mit der freien Hand seine Brust berührte, da nur Körperkontakt seine übernatürlichen Fähigkeiten aufhob.
»Unterlassen Sie auf der Stelle diesen grässlichen Lärm!«, wies sie die Kreatur an.
Der Vampir hörte mit seinem Gekreische auf und lag vollkommen bewegungslos da. Seine schönen blauen Augen fingen leicht an zu tränen, während er unverwandt auf die hölzerne Haarnadel starrte. Oder, wie Alexia sie gern zu nennen pflegte, ihren Haarpflock.
»Erklären Sie sich!«, verlangte Miss Tarabotti, während sie den Druck erhöhte.
»ich bitte tausendmal um Vergebung.« Der Vampir wirkte verwirrt. »Wer sind Sie?« Vorsichtig tastete er nach seinen Fangzähnen. Verschwunden.
Alexia löste die körperliche Verbindung zu ihm (wobei sie aber die spitze Haarnadel an Ort und Stelle beließ), und seine Zähne wuchsen wieder nach.
Voller Verblüffung keuchte er auf. »Waf find Fie?«, lispelte er um seine Fangzähne herum, aufrichtige Furcht in den Augen. »ich hielt Fie für eine Dame, ohne Begleitung. Ef wäre mein Recht, von ihnen zu trinken, wenn man Fie fo forglof unbeauffichtigt gelaffen hätte. Bitte, ich wollte mich wahrhaftig nicht erdreiften.«
Alexia fiel es schwer, bei dem Lispeln nicht zu lachen. »Sie haben keinen Grund, sich so übertrieben pikiert zu geben. ihre Königin wird ihnen sicher von meiner Art erzählt haben.« Erneut legte sie ihm die Hand auf die Brust. Die Zähne des Vampirs bildeten sich zurück.
Er sah sie an, als ob ihr urplötzlich Schnurrhaare gewachsen wären und sie ihn angefaucht hätte.
Miss Tarabotti war überrascht. Übernatürliche Geschöpfe, seien es Vampire, Werwölfe oder Gespenster, verdankten ihre Existenz einem Übermaß an Seele, einem Überschuss, der sich weigerte zu sterben. Die meisten von ihnen wussten, dass es auch andere wie Miss Tarabotti gab, die ohne jegliche Seele geboren worden waren. Das geschätzte Bureau of Unnatural Registry (BUR), eine Abteilung des öffentlichen Dienstes ihrer Majestät, deren Aufgabe die Kontrolle und Registrierung des Unnatürlichen war, nannte ihre Art Außernatürlich. Alexia fand diese Bezeichnung angenehm würdevoll. Wie Vampire sie nannten war weit weniger schmeichelhaft. Schließlich waren sie einst von den Außernatürlichen gejagt worden, und Vampire hatten ein gutes Gedächtnis. Natürlich wurden Tageslichtler darüber sozusagen im Dunkeln gelassen, aber jeder Vampir, der sein Blut wert war, musste wissen, was die Berührung eines Außernatürlichen bewirkte. Die Unwissenheit von diesem hier war unvertretbar. Also sagte Alexia wie zu einem sehr kleinen Kind: »ich bin eine Außernatürliche.«
Der Vampir wirkte nun verlegen. »Natürlich sind Sie das«, sagte er zustimmend, obwohl er offensichtlich immer noch nicht ganz begriff. »Entschuldigen Sie bitte nochmals, liebreizendes Fräulein. ich bin überwältigt, ihre Bekanntschaft zu machen. Sie sind meine erste ...«, er stolperte über das Wort, »Außernatürliche.« Nachdenklich runzelte er die Stirn. »Weder übernatürlich noch natürlich, selbstverständlich! Wie töricht von mir, diese Gegensätzlichkeit nicht zu erkennen.« Seine Augen verengten sich listig. Er ignorierte nun geflissentlich die Haarnadel und sah Alexia mit gespielt zärtlichem Wohlwollen ins Gesicht.
Miss Tarabotti wusste sehr gut, wie es um ihre weibliche Anziehungskraft bestellt war. Das netteste Kompliment, auf das sie mit ihrem Gesicht jemals hoffen durfte, war »exotisch«, aber niemals »liebreizend«. Alexia nahm an, dass Vampire, wie alle Raubtiere, am charmantesten waren, wenn man sie in die Ecke getrieben hatte.
Die Hände des Vampirs schnellten vor und zielten auf ihren Hals. Offensichtlich hatte er beschlossen, dass, wenn er schon nicht ihr Blut saugen konnte, Strangulation eine annehmbare Alternative darstellte. Alexia fuhr zurück und bohrte der Kreatur dabei die Haarnadel etwa einen Zentimeter tief in das weiße Fleisch.
Der Vampir reagierte mit einem verzweifelten Zappeln, das Alexia in ihren samtenen hochhackigen Tanzschuhen selbst ohne seine übernatürliche Stärke aus dem Gleichgewicht brachte. Sie stürzte rückwärts.
Brüllend vor Schmerz sprang der Vampir auf, die Haarnadel in der Brust.
Hektisch tastete Miss Tarabotti nach ihrem Sonnenschirm, während sie sich unelegant zwischen den Teeutensilien herumwälzte und hoffte, dass ihr neues Kleid die heruntergefallenen Speisen verfehlte. Sie fand den Schirm und sprang, den Parasol in weitem Bogen schwingend, auf die Füße. Durch bloßen Zufall traf die schwere Spitze das Ende ihrer hölzernen Haarnadel und trieb sie dem Vampir geradewegs ins Herz.
Wie erstarrt blieb die Kreatur stehen, einen Ausdruck tiefster Überraschung auf dem gut aussehenden Gesicht. Dann fiel er rücklings auf das schwer in Mitleidenschaft gezogene Tablett mit Siruptorte, schlaff wie labbrig verkochter Spargel. Sein alabasterweißes Gesicht färbte sich gelblich grau, als leide er an der Gelbsucht, und er wurde reglos.
Alexias Bücher nannten dieses Ende des Lebenszyklus eines Vampirs Deanimation. Alexia, die der Meinung war, dass der Vorgang erstaunlich dem in-sich-Zusammenfallen eines Soufflés ähnelte, beschloss in diesem Augenblick, es den Großen Kollaps zu nennen.
Eigentlich hatte sie beabsichtigt, geradewegs aus der Bibliothek hinauszuschlendern, ohne dass jemand etwas von ihrer Anwesenheit dort bemerkte, auch wenn das bedeutete, ihre beste Haarnadel zurückzulassen und auf ihren wohlverdienten Tee sowie eine gehörige Portion Drama zu verzichten.
Doch unglücklicherweise kam genau in diesem Augenblick eine kleine Gruppe junger Dandys hereingeschneit. Was derart gekleidete junge Männer in einer Bibliothek zu suchen hatten, darüber konnte sie nur Vermutungen anstellen. Alexia hielt es für die wahrscheinlichste Erklärung, dass sie sich auf der Suche nach dem Kartenspielzimmer verlaufen hatten.
Dessen ungeachtet war sie durch deren Anwesenheit gezwungen, so zu tun, als habe sie den toten Vampir soeben selbst erst entdeckt. Also kreischte sie auf und fiel in Ohnmacht.
Sie blieb hartnäckig ohnmächtig, trotz der großzügigen Verabreichung von Riechsalz, das ihr die Augen ganz fürchterlich tränen ließ, eines Krampfes in der Kniekehle und der Tatsache, dass ihr neues Ballkleid schrecklich zerknittert wurde. All die vielen Schichten grüner Posamenten, die sie, nach der neuesten Mode in heller werdenden Schattierungen, passend zum Kürass-Mieder ausgewählt hatte, wurden unter ihrem Gewicht zerdrückt. Es folgten die zu erwartenden Laute: eine ganze Menge Geschrei, viel hektisches Herumgerenne und gelegentliches lautes Klappern, während eines der Dienstmädchen die heruntergefallenen Teeutensilien beseitigte.
Dann fegte eine Respekt einflößende Stimme sowohl die jungen Dandys als auch all die anderen interessierten Gäste, die hereingeströmt waren, nachdem man das sich dort bietende Schauspiel entdeckt hatte, aus der Bibliothek. Mit einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete, kommandierte die Stimme jeden Anwesenden »Hinaus!« und kündigte an, dass ihr Besitzer »von der jungen Dame die Einzelheiten in Erfahrung bringen« würde.
Stille breitete sich aus.
»Jetzt hören Sie mir einmal gut zu! ich werde etwas viel, viel Stärkeres als Riechsalz benutzen«, drang ein Knurren in Miss Tarabottis linkes Ohr. Die Stimme war tief, gefärbt mit einem Hauch von Schottland. Sie hätte Alexia einen eisigen Schauer über die Seele rinnen lassen, instinktiv Bilder des Vollmonds vor ihrem inneren Auge heraufbeschworen und den Wunsch geweckt, jetzt sofort irgendwoanders zu sein - hätte sie eine Seele gehabt. Stattdessen seufzte sie frustriert und setzte sich auf.
»ihnen ebenfalls einen guten Abend, Lord Maccon. Zauberhaftes Wetter haben wir für diese Jahreszeit, finden Sie nicht auch?« Sie betastete ihre Frisur, die ohne die Haarnadel drohte sich aufzulösen. Verstohlen sah sie sich nach Lord Conall Maccons Stellvertreter, Professor Lyall, um. Lord Maccon hatte zumeist ein viel ruhigeres Temperament, wenn sein Beta anwesend war. Dies schien, wie Alexia inzwischen begriffen hatte, der eigentliche Sinn eines Betas zu sein - ganz besonders eines Betas von Lord Maccon.
»Ah, Professor Lyall, wie schön, Sie wiederzusehen!« Sie lächelte erleichtert.
Professor Lyall, der besagte Beta, war ein schlanker, rötlich-blonder Gentleman unbestimmten Alters und von angenehmem Wesen, genau genommen so umgänglich, wie sein Alpha griesgrämig war. Er lächelte sie breit an und lüpfte grüßend den Zylinder, der von erstklassigem Schnitt und aus bestem Material war. Seine Halsbinde war ähnlich dezent; obwohl fachmännisch gebunden, war der Knoten bescheiden.
»Miss Tarabotti, wie schön, Sie einmal wiederzusehen.« Seine Stimme war sanft und freundlich.
»Hören Sie auf mit den Schmeicheleien, Randolph«, bellte Lord Maccon. Der vierte Earl of Woolsey war viel größer als Professor Lyall und trug beinahe ständig eine finstere Miene zur Schau. Jedenfalls blickte er stets finster drein, wenn er sich in Gegenwart von Miss Alexia Tarabotti befand, und zwar seit jenem Zwischenfall mit dem igel (der nun wirklich und wahrhaftig nicht ihre Schuld gewesen war). Davon abgesehen hatte er unverschämt hübsche goldbraune Augen, mahagonifarbenes Haar und eine besonders schöne Nase. Die Augen funkelten Alexia gegenwärtig aus schockierend intimer Nähe an.
»Wie kommt es, Miss Tarabotti, dass jedes Mal, wenn ich ein Schlamassel in einer Bibliothek beseitigen muss, Sie sich rein zufällig mittendrin befinden?«, verlangte der Earl von ihr zu wissen.
Alexia bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick und strich sich über die Vorderseite ihres grünen Taftkleids, um es nach Blutflecken abzusuchen.
Anerkennend beobachtete Lord Maccon sie dabei. Miss Tarabotti mochte ihr Gesicht zwar jeden Morgen im Spiegel mit einer gehörigen Portion Kritik betrachten, aber an ihrer Figur gab es absolut nichts auszusetzen. Er hätte weit weniger Seele und erheblich weniger niedere Triebe haben müssen, um diese appetitliche Tatsache nicht zu bemerken. Natürlich ruinierte sie ihre Anziehungskraft stets sofort wieder, indem sie den Mund aufmachte. Seiner bescheidenen Erfahrung nach gab es auf der ganzen Welt keine Frau, die noch entnervend schlagfertiger war.
»Bezaubernd, aber unnötig«, meinte er mit einem Hinweis auf ihre Bemühungen, nicht vorhandene Blutstropfen von ihrem Kleid zu wischen.
Alexia rief sich in Erinnerung, dass sich Lord Maccon und seine Art erst seit Kurzem zivilisiert benahmen. Man durfte einfach nicht zu viel von ihnen erwarten, ganz besonders nicht unter heiklen Umständen wie diesen. Allerdings erklärte das natürlich nicht Professor Lyall, der stets äußerst kultiviert auftrat. Sie schenkte ihm einen anerkennenden Blick.
Lord Maccons Miene wurde noch finsterer.
Miss Tarabotti dachte darüber nach, ob der Mangel an zivilisiertem Verhalten möglicherweise einfach nur an Lord Maccons Herkunft lag. Gerüchte besagten, dass er erst seit vergleichsweise kurzer Zeit in London lebte - und dass er von allen barbarischen Orten ausgerechnet aus Schottland hergekommen war.
Der Professor hüstelte leise, um die Aufmerksamkeit seines Alphas auf sich zu lenken. Der gelbe Blick des Earls heftete sich mit solcher Eindringlichkeit auf ihn, dass er beinahe brannte. »Aye?«
Professor Lyall stand über den Vampir gebeugt und untersuchte gerade interessiert die Haarnadel. Ein makellos weißes Taschentuch aus Linon um die Hand gewickelt, stocherte er in der Wunde herum.
»Sehr wenig Gekleckere, ehrlich gesagt. Beinahe keine Blutspritzer.« Er beugte sich vor und schnupperte. »Eindeutig Westminster«, stellte er fest.
Der Earl of Woolsey schien zu verstehen. Er richtete seinen durchdringenden Blick auf den toten Vampir. »Er muss sehr hungrig gewesen sein.«
Professor Lyall drehte die Leiche um. »Was ist denn hier passiert?« Er zog eine kleine hölzerne Pinzette aus seiner Westentasche und pflückte etwas vom Hosenboden des Vampirs. Dann hielt er kurz inne, kramte in seinen Manteltaschen und holte ein kleines Lederetui hervor. Er klappte es auf und entnahm ihm ein äußerst bizarr aussehendes, brillenartiges Ding mit kreisrunden Gläsern. Es war goldfarben, mit mehrfachen Linsen auf einer Seite, zwischen denen sich eine Art Flüssigkeit zu befinden schien. Außerdem war der seltsame Apparat mit kleinen Knöpfen und Skalen übersät. Professor Lyall klemmte sich das lächerliche Ding auf die Nase und beugte sich wieder über den Vampir, wobei er fachmännisch an den Wählscheiben schraubte.
»Grundgütiger!«, rief Alexia aus. »Was haben Sie sich denn da aufgesetzt? Sieht aus wie das unglückselige Produkt einer unzüchtigen Verbindung zwischen einem Teleskop und einem Opernglas. Wie, um alles in der Welt, nennt sich dieses Ding? Telenokel? Binoskop?«
Der Earl schnaubte amüsiert, dann tat er schnell so, als wäre nichts gewesen. »Wie wäre es mit Brilloskop?«, schlug er aber noch vor, offenbar nicht in der Lage, sich seinen Beitrag zu verkneifen. Dabei lag ein Funkeln in seinem Blick, das Alexia ziemlich verwirrend fand.
Professor Lyall blickte von seinen Untersuchungen hoch und starrte die beiden an. Sein rechtes Auge war abscheulich vergrößert. Es sah ziemlich schaurig aus und ließ Alexia zusammenzucken.
»Das hier sind meine monokularen Trans-MagnifikationsLinsen mit Skalen-Modifikatoraufsatz, und sie sind von un - schätzbarem Wert. ich wäre ihnen sehr verbunden, wenn Sie nicht darüber spotten würden.« Erneut wandte er sich der vorliegenden Aufgabe zu.
»Oh.« Miss Tarabotti gab sich gebührend beeindruckt. »Wie funktionieren sie?«
Professor Lyall hob erneut den Blick und sah zu ihr hoch. »Nun, sehen Sie, es ist wirklich recht interessant. indem man diesen kleinen Knopf hier dreht, kann man den Abstand zwischen den zwei Glasscheiben hier verändern, was der Flüssigkeit erlaubt, sich ... «
Übersetzung: Anita Nirschl
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe by Blanvalet in der Verlagsgruppe
Random House GmbH, München
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Autoren-Porträt von Gail Carriger
Die New York Times Bestsellerautorin Gail Carriger wurde nach eigener Aussage von einer Exil-Britin und einem unheilbaren Griesgram aufgezogen. Um dieser Situation zu entfliehen, begann sie bereits in jungen Jahren mit dem Schreiben. Doch schließlich entkam sie dem Kleinstadtleben. Beinahe aus Versehen erlangte sie mehrere Hochschulabschlüsse. Anschließend bereiste sie Europa, wobei sie sich ausschließlich von Keksen ernährte. Heute lebt sie in den USA, umgeben von unzähligen großartigen Schuhen, und lässt sich ihren Tee direkt aus London schicken. Außerdem ist sie versessen auf winzigkleine Hüte und exotische Früchte.
Bibliographische Angaben
- Autor: Gail Carriger
- 2011, 415 Seiten, Maße: 12,7 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Anita Nirschl
- Übersetzer: Anita Nirschl
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442376491
- ISBN-13: 9783442376490
Rezension zu „Glühende Dunkelheit / Lady Alexia Bd.1 “
Glühende Dunkelheit ist ein spannendes, witziges und emotionsgeladenes Buch mit einem gehörigen Schuss Romantik, ein wahrer Lesegenuss. Ein würdiger Auftakt. bissfan.de
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