Laienspiel / Kommissar Kluftinger Bd.4
Kluftingers vierter Fall | Kluftinger ermittelt
Auch das noch! Mitten in den Theater-Proben muss sich Kommissar Kluftinger um einen Mordfall kümmern: Ein Unbekannter hat sich auf der Flucht vor der österreichischen Polizei erschossen. Angeblich hat er einen Terror-Anschlag geplant. Für...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Laienspiel / Kommissar Kluftinger Bd.4 “
Auch das noch! Mitten in den Theater-Proben muss sich Kommissar Kluftinger um einen Mordfall kümmern: Ein Unbekannter hat sich auf der Flucht vor der österreichischen Polizei erschossen. Angeblich hat er einen Terror-Anschlag geplant. Für Klufti heißt das: ran an die Arbeit.
SPIEGEL Bestseller!
Klappentext zu „Laienspiel / Kommissar Kluftinger Bd.4 “
Terror im Allgäu! Ein packend-lustiger Fall für Kommissar Kluftinger Mit Terrorismus ist nicht zu spaßen. Es sei denn, Klufti muss sich damit befassen. Im vierten Band der erfolgreichen Allgäu-Krimis kommen Spannung und Humor garantiert nicht zu kurz.
Das Leben im Allgäu kann wirklich beschaulich sein. Solange man nicht Hauptkommissar Kluftinger heißt. Dieses Mal muss er sich mit einem Unbekannten unter Terrorverdacht, einer Zusammenarbeit von BKA, österreichischer Polizei und den Ermittlern vor Ort, einem Tanzkurs und einem »Laienspiel« herumschlagen.
Das Autorenduo Volker Klüpfel und Michael Kobr gönnt Kommissar Kluftinger in seiner erfolgreichen Regionalkrimireihe aus dem Allgäu nicht eine Sekunde zum Durchatmen. Und die Leser lieben es! Große Themen und rasante Fälle werden mit einer gehörigen Portion Humor serviert, die jeden Krimi-Bestseller dieser Reihe zu einem besonderen Lesevergnügen für Fans klug konstruierter Mordgeschichten machen.
»Klüpfel & Kobr erzählen mit komödiantischem Überschwang, Intelligenz und Vitalität.« - SPIEGEL Online
Kommissar Kluftiger ist der Prototyp des grantelnden Polizisten, dem Neues zuwider und Aufregung suspekt ist. Umso besser! Wenn sich Klufti über Gott, die Welt und seine Allgäuer Mitbewohner echauffiert, müssen Leser laut lachen und Kritiker anerkennend nicken.
»Kluftinger ist ein Volltreffer!« - Süddeutsche Zeitung
Entdecken Sie die lustigen Bestseller, und folgen Sie Kommissar Kluftinger in mittlerweile zwölf Fällen durch menschliche Abgründe im Schatten beeindruckender Berge. So viel charmanten Witz hat ein Polizei-Krimi selten zu bieten.
Lese-Probe zu „Laienspiel / Kommissar Kluftinger Bd.4 “
Laienspiel von Volker Klüpfel und Michael Kobr LESEPROBE
Noch 12 Tage, 2 Stunden, 14 Minuten, 38 Sekunden
Kluftinger keuchte. Im Augenwinkel sah er die beiden Männer, die sich die Böschung hinunter zu dem kleinen Kahn am Ufer kämpften. Er blickte ihnen nach. Das Bild, das er sah, rief Erinnerungen in ihm wach, an die er lieber nicht rühren wollte. Das Wasser, das Boot … er kniff die Augen zusammen, ganz als könnte er so die Bilder verjagen. Als er die Augen wieder öffnete, hatten die beiden Männer den Kahn bereits vom Ufer abgestoßen. Das Hemd des einen war übersät von blutroten Flecken; in der rechten Hand hielt er ein Beil. Von dessen Schneide tropfte es ebenfalls rot. Jetzt hatte sich der Ältere, ein bulliger Typ mit dichtem, schwarzen Bart, ins Boot gesetzt und die Ruder ergriffen. Als er sich noch einmal umdrehte, flackerte Panik in seinen Augen auf, dann ruderte er mit aller Kraft los.
»Ich hab getan, was ich nicht lassen konnte«, schrie er ihnen noch hinterher, dann begann auch er zu keuchen.
Schweiß rann Kluftinger von der Stirn. Er wischte mit dem Handrücken über seine brennenden Augen. Da hörte er es hinter sich krachen und poltern. Blitzschnell drehte er sich um. Die Gestalten, die ihm gegenüberstanden, waren pechschwarz gekleidet und bis auf die Zähne bewaffnet.
»Den Mörder …«, zischte einer von ihnen, »… gebt ihn heraus.«
Dann presste er einen Fluch hervor. Er ließ seine Hand sinken, griff an seinen Gürtel und zog ein riesiges Messer. Damit fuchtelte er vor Kluftingers Gesicht herum.
Sie sahen sich eine Weile starr in die Augen, keiner sagte etwas. Nur ihr Keuchen war zu hören, bis …
... mehr
»Die rote Sonne von Barbados, für dich und mich scheint sie immer noch …« Die Melodie platzte wie ein Kanonenschlag in die Stille.
Irritiert blickten die Männer sich um und suchten die Quelle des Geräusches.
»… nur du und ich im Palmenhain, leise Musik und roter Wein …«
Kluftingers Gesicht lief knallrot an. Er ließ seine Hand sinken, umfasste den Lederbeutel an seinem Gürtel, und die Melodie verstummte. Keine zwei Sekunden später zerriss ein spitzer Schrei die Stille: »Wer war das?« Die durchdringende Stimme schien überall zu sein, ihr Ursprung war nicht zu lokalisieren.
»Wer? War? Das?« Beim letzten Wort überschlug sich die Stimme und ging in ein hysterisches Kreischen über. Dann hallten Schritte durch die Abenddämmerung.
Kluftinger sah sein Gegenüber an. Der schwarz gekleidete Mann zuckte mit den Schultern und steckte sein Messer weg. Sie wussten beide nur zu gut, was nun folgen würde.
»Was glaubt ihr eigentlich, wo wir hier sind?«, schrie der spindeldürre Mann, der mit wehenden Haaren auf sie zu rannte. Obwohl er noch gut fünfzig Meter von ihnen entfernt war, war seine Stimme ganz nah und dröhnte in ihren Ohren, verstärkt durch den Hall, den die riesigen Lautsprecher rechts und links von ihnen erzeugten. Dann hatte er sie erreicht.
»Ich will jetzt sofort wissen, wer das war«, brüllte er noch einmal in sein Mikrofon.
Kluftinger zeigte auf das kleine schwarze Kästchen, das an seinem Gürtel befestigt war. »Das können Sie jetzt ruhig ausschalten«, schlug er vor.
»Ich schalte und walte hier, wie ich will«, rief der Mann und fuchtelte dabei aufgeregt mit den Armen herum. »Und ich will jetzt endlich wissen, wessen Handy da eben geklingelt hat!« Betretenes Schweigen.
»Hören Sie, meine Herren«, brachte der Mann mit bebender Stimme hervor, »wir sind hier nicht zum Rumtollen. Das ist kein Spielplatz für Erwachsene, verstehen Sie das? Das ist Theater. Großes Theater, um genau zu sein. Und das können Sie ruhig wörtlich nehmen.« Mit einer ausladenden Handbewegung zeigte er auf die riesige Freilichtbühne um sie herum. »Wir proben hier einen Klassiker der deutschen Literatur. Schiller hat mit diesem Wilhelm Tell zu einer Zeit Genialität bewiesen, als man hier im Allgäu wahrscheinlich noch mit Fellen und Keulen durch die Gegend rannte und Jagd auf frei laufende Kühe machte.«
»Also, jetzt aber wirklich, Herr Frank …«, versuchte Kluftingers Nebenmann den Wütenden zu beschwichtigen.
»Nichts aber wirklich!«, wischte der den Einwand mit einer fahrigen Geste beiseite. »Sie wussten alle, worauf Sie sich einlassen.«
Kluftinger rollte die Augen, seufzte und flüsterte dem Schwarzgekleideten mit dem Messer ein »Lass gut sein, Hans« zu.
»Nein, nichts ist gut. Hier, Herr … Hans«, sagte Frank und wedelte dabei mit dem Textbuch vor der Nase des auf einmal schuldbewusst dreinblickenden Mannes. »Es heißt nicht: Den Mörder, gebt ihn heraus. Es heißt: Den Mörder gebt heraus, den ihr verborgen.«
Die Umstehenden blickten zu Boden und versuchten mühsam, den Regisseur ihr Grinsen nicht sehen zu lassen. Vergebens.
»Da gibt es nichts zu lachen, meine Herren. In zwei Wochen ist Premiere, und auch Sie könnten durchaus mehr Textsicherheit vertragen.«
»Was war denn jetzt schon wieder?« Der Bärtige, der eben noch im Kahn gesessen hatte, kam mit seinem Begleiter im blutverschmierten Hemd aus einer engen Gasse zwischen zwei Pappmaché-Felsen.
»Ihre Kollegen bringen es einfach nicht fertig, ihren Text zu lernen, Herr Edgar.«
Kluftinger seufzte und kraulte seinen extra fürs Freilichtspiel kultivierten Vollbart. Zu Beginn der Probenzeit hatte der Kommissar der Kemptener Kriminalpolizei die Eigenart des neuen Regisseurs, die Mitspieler immer mit »Herr« oder »Frau« und ihren Vornamen an-
zusprechen, noch amüsant gefunden. Inzwischen nervte es ihn nur noch. Lediglich ihn sprach er mit Nachnamen an, weil Kluftinger seinen Vornamen nicht hatte preisgeben wollen und den Mitspielern unter Androhung körperlicher Gewalt verboten hatte, ihn zu verraten.
Er betrachtete den Mann mit den schlackernden Hosenbeinen. Heinrich Frank war eine große Nummer in der deutschen Theaterwelt gewesen, wie man sich erzählte. So genau wusste das von den vorgeblich so theaterinteressierten Altusriedern aber keiner, denn alle sprachen immer im Konjunktiv von der Vergangenheit des hageren Mannes mit der kleinen Brille und dem temperamentvollen Wesen: Er sei mal irgendwo Intendant gewesen, habe mal mit ganz prominenten Schauspielern zusammengearbeitet, sei einer der Einflussreichsten seiner Branche gewesen. Doch seit einigen Jahren war Heinrich Frank Rentner oder Privatier – auch das wusste so genau keiner – und hatte sich in Altusried niedergelassen. Ausgerechnet in jener Allgäuer Gemeinde, in der alle paar Jahre ein großes Freilichtspiel inszeniert wurde. So wie heuer. Wilhelm Tell stand auf dem Programm, und es schien nur logisch, den erfahrenen Theatermann mit der Regie zu betrauen. Das fand auch Kluftinger, obwohl er und die meisten anderen Mitspieler sich da im Moment nicht mehr so sicher waren. Der Regisseur aber schien mehr von sich überzeugt denn je. Frank war hart, verlangte viel und geriet schnell aus der Fassung. Für Kluftingers Geschmack deutlich zu schnell.
»Jetzt seien Sie mal nicht so streng mit uns«, sagte der Bärtige und drohte scherzhaft mit der mächtigen Armbrust, die er mit sich herumtrug. »Schließlich haben wir alle einen anstrengenden Tag hinter uns. Wir arbeiten ja alle, gell?« Die anderen nickten.
»Ja … nun gut … Sie haben vielleicht Recht. Unterm Strich bleiben Sie Laien. Aber es ist wichtig, dass Sie sich ein bisschen konzentrieren. Wie gesagt, die Premiere ist schneller da, als Sie denken. Ich hab Sie ja nicht umsonst im Kostüm kommen lassen, heute. Ich dachte, das hilft Ihnen vielleicht, Sie haben wirklich noch einige Probleme bei der Identifikation mit den Charakteren.« Er blickte die Gruppe an und schien durch ihr betroffenes Nicken zufriedengestellt.
Sie sahen ihm nach, wie er auf seinen Platz in der mächtigen hölzernen Tribünenkonstruktion mit dem geschwungenen Dach zuschritt. Zweitausendfünfhundert Besucher würden hier schon in nicht einmal zwei Wochen dreimal pro Wochenende sitzen.
Bei dem Gedanken wurde Kluftinger bereits jetzt ganz flau im Magen. Er war kein großer Theaterenthusiast, aber bei den Freilichtspielen hatte er von Kindesbeinen an mitgewirkt. Und die Alternative zu der winzigen Sprechrolle wäre die Blaskapelle gewesen, die für die musikalische Umrahmung der Vorstellungen sorgte und bei der er eigentlich für die große Trommel zuständig war.
Der Gedanke, den ganzen Sommer im »Musikbunker« zu verbringen und auf sein verhasstes Instrument einzuschlagen, das er nur spielte, weil man noch immer keinen anderen im Dorf dafür hatte begeistern können, war aber derart abschreckend gewesen, dass er im Vorfeld mit dem Bürgermeister einen Deal ausgehandelt hatte: Er würde mit seinen guten Beziehungen zur Polizei dafür sorgen, dass an den Spielwochenenden die Alkohol-Kontrollen im Ort nicht ganz so streng durchgeführt würden. Schließlich wolle man die vielen Gäste, die in das beschauliche Dorf am Ausläufer der Alpen kamen, nicht gleich wieder verprellen. Im Gegenzug würde der Bürgermeister dafür sorgen, dass Kluftinger »unbedingt« eine Sprechrolle spielen müsse und »leider unabkömmlich« sei und deswegen auch nicht bei der Musik mitmachen könne.
Kluftinger grinste bei dem Gedanken an ihr Arrangement.
»Die rote Sonne von Barbados, für dich und mich scheint sie immer noch …« Heinrich Franks Bewegung gefror. Er stand unmittelbar vor dem Aufgang zur Tribüne, als er sich mit zu Schlitzen verengten Augen umdrehte und dabei einen Buckel machte wie eine zum Sprung bereite Raubkatze.
»… nur du und ich im Palmenhain, leise Musik und roter Wein …«
Alle Köpfe drehten sich zu Kluftinger. Dessen Wangen begannen wie vorhin zu leuchten. Leugnen hätte jetzt keinen Sinn mehr gehabt.
»Ach je, das bin ja ich«, rief er und schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. Dann fummelte er das Handy aus dem Lederbeutel, den er aus Ermangelung einer Hosentasche an dem breiten Gürtel seines Fischerkostüms befestigt hatte. »Eine neue Melodie. Die hat mir mein Sohn eingestellt. Ich hab mich noch gar nicht dran gewöhnt …« Mit diesen Worten führte er den Hörer an sein Ohr.
Diese Geste schien der letzte Impuls für Franks Raubkatzen-Reflex zu sein. Mit gefletschten Zähnen rannte er auf den Kommissar zu.
»Ja, Kluftinger?«, fragte der gerade in den Hörer.
»Ich bin’s, der Richard, ich muss …«
»Sie wollen doch nicht im Ernst während meiner Probe telefonieren?« Die Stimme des Regisseurs klang aggressiv und kampfbereit.
»Wie? Wer? Ich meine … Entschuldigung, das hier ist wichtig.« Mit diesem Satz nahm der Kommissar dem Regisseur für einen Moment den Wind aus den Segeln, und Frank blieb um Haltung ringend stehen. So verstand Kluftinger wenigstens, dass sein Kollege Maier am anderen Ende der Leitung war. Er schien ebenso aufge-
regt wie Heinrich Frank, denn auch seine Stimme überschlug sich fast.
»Jetzt beruhig dich erst mal, atme tief durch und dann ganz langsam.«
Entsetzt ruckten die Köpfe der anderen herum und starrten den Kommissar an. Der wusste erst nicht, was die plötzliche Aufmerksamkeit zu bedeuten hatte, verstand es aber, als die Lautsprecher ein
gellendes »Ich mich beruhigen? Ich bin ruhig!« in die Naturkulisse schleuderten.
»Wie? Nein, ich meine nicht Sie. Ich meine … Richard? Was ist los?«
»Es geht um die Österreicher …«
»Legen Sie sofort das Handy weg, oder ich besetze Sie um!«
»Richie, wart mal, ich kann …« »… hat sich umgebracht …«
»Wer hat sich umgebracht? Ein Österreicher?«
»Ich sage es Ihnen zum letzten Mal: Weg mit dem Handy!«
Als Kluftinger sich zum Regisseur umdrehte, erschrak er: Frank stand unmittelbar vor ihm, seine Mundwinkel zuckten bedrohlich.
»Kempten, Schwalbenweg 3 … ich komme sofort.« Der Kommissar beendete das Gespräch.
Ein paar Sekunden war es still, dann wandte sich Kluftinger an Frank: »Ein Kollege, ich muss dringend weg. Einsatz.«
Frank starrte ihn nur an, schien ihn gar nicht zu verstehen. »O nein, Herr Kluftinger. Das Einzige, was Sie hier müssen, ist, diese Szene zu Ende spielen.«
»Das ist doch eh nur noch ein Satz.«
»Das ist mir egal. Die Szene wird zu Ende gespielt«, sagte der Regisseur nun völlig ruhig. Dann schaltete er das Mikrofon aus und fuhr fort: »Wir waren uns doch vor den Proben einig, dass Ihr Beruf uns hier keine Schwierigkeiten bereiten wird. Das haben Sie mir versprochen, verdammt.«
»Ja, das habe ich schon, aber meine Rolle ist ja schließlich doppelt besetzt. Da werde ich doch noch mal weg können, wenn es dringend ist.«
»Nicht mehr lange«, erwiderte Frank. »Wie – nicht mehr lange?«
»Sie wird nicht mehr lange doppelt besetzt sein«, sagte Frank, und ein kaltes Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
Kluftinger hatte verstanden. Gerne hätte er diesen Despoten vor sich einfach stehen lassen, aber der Gedanke an einen Sommer im Musikbunker zusammen mit seiner Großtrommel ließ ihn die Beherrschung bewahren.
»Na gut, Herr Frank, spielen wir die Szene zu Ende«, sagte er schließlich mit zusammengebissenen Zähnen.
Frank ging einige Schritte zurück. »Also – Ruhe bitte. Und los!«
Kluftinger holte tief Luft für seinen letzten Satz, sagte ihn aber nicht wie sonst in Richtung seiner Mitspieler, sondern wandte sich direkt an den Regisseur: »Wann wird der Retter kommen diesem Lande?« Dann machte er auf dem Absatz kehrt und ging.
© Piper Verlag
Irritiert blickten die Männer sich um und suchten die Quelle des Geräusches.
»… nur du und ich im Palmenhain, leise Musik und roter Wein …«
Kluftingers Gesicht lief knallrot an. Er ließ seine Hand sinken, umfasste den Lederbeutel an seinem Gürtel, und die Melodie verstummte. Keine zwei Sekunden später zerriss ein spitzer Schrei die Stille: »Wer war das?« Die durchdringende Stimme schien überall zu sein, ihr Ursprung war nicht zu lokalisieren.
»Wer? War? Das?« Beim letzten Wort überschlug sich die Stimme und ging in ein hysterisches Kreischen über. Dann hallten Schritte durch die Abenddämmerung.
Kluftinger sah sein Gegenüber an. Der schwarz gekleidete Mann zuckte mit den Schultern und steckte sein Messer weg. Sie wussten beide nur zu gut, was nun folgen würde.
»Was glaubt ihr eigentlich, wo wir hier sind?«, schrie der spindeldürre Mann, der mit wehenden Haaren auf sie zu rannte. Obwohl er noch gut fünfzig Meter von ihnen entfernt war, war seine Stimme ganz nah und dröhnte in ihren Ohren, verstärkt durch den Hall, den die riesigen Lautsprecher rechts und links von ihnen erzeugten. Dann hatte er sie erreicht.
»Ich will jetzt sofort wissen, wer das war«, brüllte er noch einmal in sein Mikrofon.
Kluftinger zeigte auf das kleine schwarze Kästchen, das an seinem Gürtel befestigt war. »Das können Sie jetzt ruhig ausschalten«, schlug er vor.
»Ich schalte und walte hier, wie ich will«, rief der Mann und fuchtelte dabei aufgeregt mit den Armen herum. »Und ich will jetzt endlich wissen, wessen Handy da eben geklingelt hat!« Betretenes Schweigen.
»Hören Sie, meine Herren«, brachte der Mann mit bebender Stimme hervor, »wir sind hier nicht zum Rumtollen. Das ist kein Spielplatz für Erwachsene, verstehen Sie das? Das ist Theater. Großes Theater, um genau zu sein. Und das können Sie ruhig wörtlich nehmen.« Mit einer ausladenden Handbewegung zeigte er auf die riesige Freilichtbühne um sie herum. »Wir proben hier einen Klassiker der deutschen Literatur. Schiller hat mit diesem Wilhelm Tell zu einer Zeit Genialität bewiesen, als man hier im Allgäu wahrscheinlich noch mit Fellen und Keulen durch die Gegend rannte und Jagd auf frei laufende Kühe machte.«
»Also, jetzt aber wirklich, Herr Frank …«, versuchte Kluftingers Nebenmann den Wütenden zu beschwichtigen.
»Nichts aber wirklich!«, wischte der den Einwand mit einer fahrigen Geste beiseite. »Sie wussten alle, worauf Sie sich einlassen.«
Kluftinger rollte die Augen, seufzte und flüsterte dem Schwarzgekleideten mit dem Messer ein »Lass gut sein, Hans« zu.
»Nein, nichts ist gut. Hier, Herr … Hans«, sagte Frank und wedelte dabei mit dem Textbuch vor der Nase des auf einmal schuldbewusst dreinblickenden Mannes. »Es heißt nicht: Den Mörder, gebt ihn heraus. Es heißt: Den Mörder gebt heraus, den ihr verborgen.«
Die Umstehenden blickten zu Boden und versuchten mühsam, den Regisseur ihr Grinsen nicht sehen zu lassen. Vergebens.
»Da gibt es nichts zu lachen, meine Herren. In zwei Wochen ist Premiere, und auch Sie könnten durchaus mehr Textsicherheit vertragen.«
»Was war denn jetzt schon wieder?« Der Bärtige, der eben noch im Kahn gesessen hatte, kam mit seinem Begleiter im blutverschmierten Hemd aus einer engen Gasse zwischen zwei Pappmaché-Felsen.
»Ihre Kollegen bringen es einfach nicht fertig, ihren Text zu lernen, Herr Edgar.«
Kluftinger seufzte und kraulte seinen extra fürs Freilichtspiel kultivierten Vollbart. Zu Beginn der Probenzeit hatte der Kommissar der Kemptener Kriminalpolizei die Eigenart des neuen Regisseurs, die Mitspieler immer mit »Herr« oder »Frau« und ihren Vornamen an-
zusprechen, noch amüsant gefunden. Inzwischen nervte es ihn nur noch. Lediglich ihn sprach er mit Nachnamen an, weil Kluftinger seinen Vornamen nicht hatte preisgeben wollen und den Mitspielern unter Androhung körperlicher Gewalt verboten hatte, ihn zu verraten.
Er betrachtete den Mann mit den schlackernden Hosenbeinen. Heinrich Frank war eine große Nummer in der deutschen Theaterwelt gewesen, wie man sich erzählte. So genau wusste das von den vorgeblich so theaterinteressierten Altusriedern aber keiner, denn alle sprachen immer im Konjunktiv von der Vergangenheit des hageren Mannes mit der kleinen Brille und dem temperamentvollen Wesen: Er sei mal irgendwo Intendant gewesen, habe mal mit ganz prominenten Schauspielern zusammengearbeitet, sei einer der Einflussreichsten seiner Branche gewesen. Doch seit einigen Jahren war Heinrich Frank Rentner oder Privatier – auch das wusste so genau keiner – und hatte sich in Altusried niedergelassen. Ausgerechnet in jener Allgäuer Gemeinde, in der alle paar Jahre ein großes Freilichtspiel inszeniert wurde. So wie heuer. Wilhelm Tell stand auf dem Programm, und es schien nur logisch, den erfahrenen Theatermann mit der Regie zu betrauen. Das fand auch Kluftinger, obwohl er und die meisten anderen Mitspieler sich da im Moment nicht mehr so sicher waren. Der Regisseur aber schien mehr von sich überzeugt denn je. Frank war hart, verlangte viel und geriet schnell aus der Fassung. Für Kluftingers Geschmack deutlich zu schnell.
»Jetzt seien Sie mal nicht so streng mit uns«, sagte der Bärtige und drohte scherzhaft mit der mächtigen Armbrust, die er mit sich herumtrug. »Schließlich haben wir alle einen anstrengenden Tag hinter uns. Wir arbeiten ja alle, gell?« Die anderen nickten.
»Ja … nun gut … Sie haben vielleicht Recht. Unterm Strich bleiben Sie Laien. Aber es ist wichtig, dass Sie sich ein bisschen konzentrieren. Wie gesagt, die Premiere ist schneller da, als Sie denken. Ich hab Sie ja nicht umsonst im Kostüm kommen lassen, heute. Ich dachte, das hilft Ihnen vielleicht, Sie haben wirklich noch einige Probleme bei der Identifikation mit den Charakteren.« Er blickte die Gruppe an und schien durch ihr betroffenes Nicken zufriedengestellt.
Sie sahen ihm nach, wie er auf seinen Platz in der mächtigen hölzernen Tribünenkonstruktion mit dem geschwungenen Dach zuschritt. Zweitausendfünfhundert Besucher würden hier schon in nicht einmal zwei Wochen dreimal pro Wochenende sitzen.
Bei dem Gedanken wurde Kluftinger bereits jetzt ganz flau im Magen. Er war kein großer Theaterenthusiast, aber bei den Freilichtspielen hatte er von Kindesbeinen an mitgewirkt. Und die Alternative zu der winzigen Sprechrolle wäre die Blaskapelle gewesen, die für die musikalische Umrahmung der Vorstellungen sorgte und bei der er eigentlich für die große Trommel zuständig war.
Der Gedanke, den ganzen Sommer im »Musikbunker« zu verbringen und auf sein verhasstes Instrument einzuschlagen, das er nur spielte, weil man noch immer keinen anderen im Dorf dafür hatte begeistern können, war aber derart abschreckend gewesen, dass er im Vorfeld mit dem Bürgermeister einen Deal ausgehandelt hatte: Er würde mit seinen guten Beziehungen zur Polizei dafür sorgen, dass an den Spielwochenenden die Alkohol-Kontrollen im Ort nicht ganz so streng durchgeführt würden. Schließlich wolle man die vielen Gäste, die in das beschauliche Dorf am Ausläufer der Alpen kamen, nicht gleich wieder verprellen. Im Gegenzug würde der Bürgermeister dafür sorgen, dass Kluftinger »unbedingt« eine Sprechrolle spielen müsse und »leider unabkömmlich« sei und deswegen auch nicht bei der Musik mitmachen könne.
Kluftinger grinste bei dem Gedanken an ihr Arrangement.
»Die rote Sonne von Barbados, für dich und mich scheint sie immer noch …« Heinrich Franks Bewegung gefror. Er stand unmittelbar vor dem Aufgang zur Tribüne, als er sich mit zu Schlitzen verengten Augen umdrehte und dabei einen Buckel machte wie eine zum Sprung bereite Raubkatze.
»… nur du und ich im Palmenhain, leise Musik und roter Wein …«
Alle Köpfe drehten sich zu Kluftinger. Dessen Wangen begannen wie vorhin zu leuchten. Leugnen hätte jetzt keinen Sinn mehr gehabt.
»Ach je, das bin ja ich«, rief er und schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. Dann fummelte er das Handy aus dem Lederbeutel, den er aus Ermangelung einer Hosentasche an dem breiten Gürtel seines Fischerkostüms befestigt hatte. »Eine neue Melodie. Die hat mir mein Sohn eingestellt. Ich hab mich noch gar nicht dran gewöhnt …« Mit diesen Worten führte er den Hörer an sein Ohr.
Diese Geste schien der letzte Impuls für Franks Raubkatzen-Reflex zu sein. Mit gefletschten Zähnen rannte er auf den Kommissar zu.
»Ja, Kluftinger?«, fragte der gerade in den Hörer.
»Ich bin’s, der Richard, ich muss …«
»Sie wollen doch nicht im Ernst während meiner Probe telefonieren?« Die Stimme des Regisseurs klang aggressiv und kampfbereit.
»Wie? Wer? Ich meine … Entschuldigung, das hier ist wichtig.« Mit diesem Satz nahm der Kommissar dem Regisseur für einen Moment den Wind aus den Segeln, und Frank blieb um Haltung ringend stehen. So verstand Kluftinger wenigstens, dass sein Kollege Maier am anderen Ende der Leitung war. Er schien ebenso aufge-
regt wie Heinrich Frank, denn auch seine Stimme überschlug sich fast.
»Jetzt beruhig dich erst mal, atme tief durch und dann ganz langsam.«
Entsetzt ruckten die Köpfe der anderen herum und starrten den Kommissar an. Der wusste erst nicht, was die plötzliche Aufmerksamkeit zu bedeuten hatte, verstand es aber, als die Lautsprecher ein
gellendes »Ich mich beruhigen? Ich bin ruhig!« in die Naturkulisse schleuderten.
»Wie? Nein, ich meine nicht Sie. Ich meine … Richard? Was ist los?«
»Es geht um die Österreicher …«
»Legen Sie sofort das Handy weg, oder ich besetze Sie um!«
»Richie, wart mal, ich kann …« »… hat sich umgebracht …«
»Wer hat sich umgebracht? Ein Österreicher?«
»Ich sage es Ihnen zum letzten Mal: Weg mit dem Handy!«
Als Kluftinger sich zum Regisseur umdrehte, erschrak er: Frank stand unmittelbar vor ihm, seine Mundwinkel zuckten bedrohlich.
»Kempten, Schwalbenweg 3 … ich komme sofort.« Der Kommissar beendete das Gespräch.
Ein paar Sekunden war es still, dann wandte sich Kluftinger an Frank: »Ein Kollege, ich muss dringend weg. Einsatz.«
Frank starrte ihn nur an, schien ihn gar nicht zu verstehen. »O nein, Herr Kluftinger. Das Einzige, was Sie hier müssen, ist, diese Szene zu Ende spielen.«
»Das ist doch eh nur noch ein Satz.«
»Das ist mir egal. Die Szene wird zu Ende gespielt«, sagte der Regisseur nun völlig ruhig. Dann schaltete er das Mikrofon aus und fuhr fort: »Wir waren uns doch vor den Proben einig, dass Ihr Beruf uns hier keine Schwierigkeiten bereiten wird. Das haben Sie mir versprochen, verdammt.«
»Ja, das habe ich schon, aber meine Rolle ist ja schließlich doppelt besetzt. Da werde ich doch noch mal weg können, wenn es dringend ist.«
»Nicht mehr lange«, erwiderte Frank. »Wie – nicht mehr lange?«
»Sie wird nicht mehr lange doppelt besetzt sein«, sagte Frank, und ein kaltes Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
Kluftinger hatte verstanden. Gerne hätte er diesen Despoten vor sich einfach stehen lassen, aber der Gedanke an einen Sommer im Musikbunker zusammen mit seiner Großtrommel ließ ihn die Beherrschung bewahren.
»Na gut, Herr Frank, spielen wir die Szene zu Ende«, sagte er schließlich mit zusammengebissenen Zähnen.
Frank ging einige Schritte zurück. »Also – Ruhe bitte. Und los!«
Kluftinger holte tief Luft für seinen letzten Satz, sagte ihn aber nicht wie sonst in Richtung seiner Mitspieler, sondern wandte sich direkt an den Regisseur: »Wann wird der Retter kommen diesem Lande?« Dann machte er auf dem Absatz kehrt und ging.
© Piper Verlag
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Autoren-Porträt von Volker Klüpfel, Michael Kobr
Volker Klüpfel hat viele Jahre in Altusried gewohnt. Wer dort aufwächst, verfällt für gewöhnlich der Schauspielerei mit Leib und Seele. Bei Freilichtspielen und vielen Inszenierungen im Theaterkästle wirkte er mit. Seine neue Leidenschaft heißt allerdings: Krimis schreiben. Klüpfel, Redakteur in der Kultur-/ Journal-Redaktion der Augsburger Allgemeinen, studierte vor seinem Einstieg in den Redakteursberuf Politikwissenschaft, Journalistik und Geschichte in Bamberg, arbeitete als Praktikant bei einer Zeitung in den USA und beim Bayerischen Rundfunk.Michael Kobr, geb. 1973 in Kempten, aufgewachsen in Kempten und Durach, ist Realschullehrer für Deutsch und Französisch. Mit seiner Frau und seinen Töchtern lebt er im Allgäu.
Die beiden Autoren sind seit ihrer Schulzeit befreundet und erhielten 2008 für "Laienspiel" den Corine Weltbild-Leserpreis.
Autoren-Interview mit Volker Klüpfel
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Bibliographische Angaben
- Autoren: Volker Klüpfel , Michael Kobr
- 2009, 368 Seiten, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Piper
- ISBN-10: 3492254829
- ISBN-13: 9783492254823
- Erscheinungsdatum: 20.07.2009
Rezension zu „Laienspiel / Kommissar Kluftinger Bd.4 “
»Kommissar Kluftinger ist ein höchst plastischer, liebenswert eigenwilliger Ermittler, wie es im Kriminalroman auch international nur wenige gibt.« Vanity Fair . »Volker Klüpfel und Michael Kobr erzählen mit Detailreichtum, komödiantischem Überschwang, Intelligenz und Vitalität!« Spiegel Online
Pressezitat
»Klüpfel & Kobr erzählen mit komödiantischem Überschwang, Intelligenz und Vitalität.« Spiegel Online
Kommentar zu "Laienspiel / Kommissar Kluftinger Bd.4"
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