Lexikon der Geschichtsirrtümer
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Lexikon der Geschichtsirrtümer von Jörg Meidenbauer
LESEPROBE
Auswanderer
Amerika-Auswanderer waren Pioniere
Wenn man unter »Pionieren« Menschen versteht, die inRegionen vordringen, die zuvor niemand betreten hat, dann waren die Europäer inNordamerika keine Pioniere - auch wenn die Vorstellung von der Grenzeeuropäischer Zivilisation bis heute zentral für das Selbstverständnis vielerAmerikaner ist. Mit harter Arbeit und in zähem Kampf gegen die Unbilden derNatur, so ihr in den Begriff der »frontier« gegossener Nationalmythos, hättendie Einwanderer der Wildnis immer neue Gebiete abgetrotzt, die Siedlungsgrenze immerweiter nach Westen verschoben.
In Wirklichkeit trafen die Europäer, wo immer siehingelangten, auf die indianischen Ureinwohner des Kontinents. Im Jahre 1565,als Spanier in St. Augustine in Florida die erste europäische Siedlung errichteten,begann eine Epoche, deren Alltag zumeist von friedlichem Miteinander vonEingeborenen und Europäern geprägt war. Sie reichte bis etwa 189o, bis zum Endeder Autonomie der Apachen im Südwesten und der Sioux im Osten der USA.
So lebten in der 1625 gegründeten holländischen Kolonie Neu Amsterdamschon nach zehn Jahren Angehörige von 16 verschiedenen Sprachfamilien ausNordamerika, Afrika und Europa. (Der multinationale Charakter der Siedlung hatsich übrigens erhalten. 1664 wurde sie von den Engländern erobert, die ihr denNamen »New York« verliehen ...). Rund 15o Jahre später - im Jahre 1794 - hatte sichdie von den Städten des Ostens definierte »frontier« bis zum Mittleren Westenverschoben. Auch hier lebten Menschen unterschiedlicher Herkunft auf engemRaum zusammen. Allein das Städchen The Glaize, im Norden Ohios gelegen,beherbergte neben englischen auch französische Händler und Bauern. Dazu kameneinige Schwarze sowie Indianer, die ihrerseits unterschiedlichen Stämmenangehörten: Shawnee sowie einige Nanticokes, Cherokee und Irokesen. 1835 wardie »frontier« in die Nähe der Westküste vorgedrungen. Zu denen, die dortSpuren hinterlassen haben, gehört der gebürtige Schweizer John Sutter. Sutterwar 1834 nach Amerika gekommen, hatte 1839 Land von Mexikanern gekauft und sichan den Aufbau der Kolonie »Neu-Helvetia« gemacht. Dazu rekrutierte er Indianeraus Mexiko. Mit ihrer Hilfe baute er Getreide an, unterhielt eine Destille,eine Hut- sowie eine Deckenfabrik und errichtete ein Fort - das heutigeSacramento. Die Indianer erwiesen sich als seine größte Stütze. Sogar eine»Armee« aus 20o Eingeborenen stellte John Sutter auf. Sie erhielten russischeUniformen und wurden auf deutsch kommandiert.
Man sieht: Die Eroberer des amerikanischen Kontinents waren keineswegsauf sich gestellt. Sie verrichteten ihr Werk mit tatkräftiger Unterstützungderer, die schon vor ihnen da waren - gedankt haben sie es ihnen schlecht.
Autobahn
Die Autobahnen waren eine Idee Hitlers
Die letzte Verteidigungslinie von unverbesserlichenAnhängern des NS-Regimes lautet regelmäßig: »Aber die Autobahnen. Immerhin daswar eine geniale Idee von Adolf Hitler.«
Nix da. Die Behauptung, Hitler habe die Idee zu einem Netzkreuzungsfreier Autostraßen während seiner Festungshaft in Landsberg 1924gehabt, entbehrt jeder Grundlage und ist eine Parteilegende. Die Wahrheit ist,daß bereits im Jahre 1909 in Berlin mit Unterstützung des kaiserlichen Hofesdie »Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße GmbH« (Avus) gegründet wurde. DreiJahre danach begann der Bau einer knapp zehn Kilometer langen Strecke in der Reichshauptstadt(seit 1971 übrigens Teil des Berliner Autobahn-Stadtrings). Infolge des ErstenWeltkriegs wurde sie erst 1921 vollendet, aber auch noch zu diesem Zeitpunktwar sie die erste kreuzungsfreie, mehrspurige Autostraße der Welt.
Es kam nun zu einer breiteren Diskussion von Autobahnprojekten,insbesondere in der 1924 gegründeten »Studiengesellschaft für denAutomobilstraßenbau« (Stufa). 1926 riefen Vertreter aus Wirtschaft undGebietskörperschaften den »Verein zur Vorbereitung der AutostraßeHansestädte-Frankfurt-Basel« (Hafraba) ins Leben. Dieser legte schon imfolgenden Jahr den Entwurf eines Autobahnnetzes vor, den die Nazis später weitgehendübernahmen. Die Hafraba übrigens propagierte auch die Bezeichnung »Autobahn«für den neuartigen Straßentyp.
Nun ging man in größerem Umfang an konkrete Projekte. Bereits1926 waren die Planungen einer Autobahn Köln-DüsseldorfRuhrgebiet aufgenommenworden; 1927 wurde die Strecke MainNeckar projektiert; 1929 erfolgte der Baueiner Autobahnumgehung von Chemnitz. Am 6. August 1932 fand die Eröffnung der20 Kilometer langen Strecke Köln-Bonn statt.
Auch in anderen Ländern war der Bau von Fernstraßen aufgenommenworden. So wurde in den USA während der 20er Jahre mit der Errichtung vonSchnellstraßen (»Highways«) begonnen. In Italien machten 1923/24 die 130Kilometer der »Autostrada« zwischen Mailand und den lombardischen Seen denAnfang. 1931 fand in Genf der Erste Internationale Autobahnkongreß statt.
Im Deutschland gründeten die Nazis, kaum an die Macht gelangt,am 27. Juni 1933 die Gesellschaft »Reichsautobahnen«, die alle Projekte - inklusivebaureifer Pläne - von der Hafraba übernahm. Nur auf Grundlage der intensivenVorarbeit der Hafraba war Hitlers propagandaträchtiger erster Spatenstich fürdas Reichsautobahnnetz bei Frankfurt am Main am 23. September 1933 möglich. DieNationalsozialisten verfolgten mit dem Projekt gleich mehrere Ziele:
· Arbeitsbeschaffung: bereits 1935 waren über 110 000 Menschenmit den Bauarbeiten beschäftigt, für einen Stundenlohn von 68 Pfennigen. Bis1944 summierten sich die Kosten des Autobahnbaus auf fast 6,5 MilliardenReichsmark. Beinahe 60% davon wurden von der »Reichsanstalt für Arbeitsvermittlungund Arbeitslosenversicherung« finanziert. Diese griff dazu auf Arbeitslosenversicherungsbeiträgezurück. Der Zeithistoriker Hans-Joachim Winkler resümiert: »Damit haben dieArbeitnehmer zu etwa einem Drittel den Bau durch ihre Anteile an den Sozialversicherungsbeiträgenfinanziert!«
· Propaganda: die in »Reichsautobahnlagem« zusammengefaßten Bauarbeiterkonnten von der Partei und der Einheitsgewerkschaft DAF (Deutsche Arbeitsfront)bestens erreicht werden. Zudem betonte schon die Bezeichnung »Reichsautobahn«den nationalen Gedanken (ein Aspekt, der in der Weimarer Republik nicht mitdem Straßenbau verknüpft worden war. So wurde die Autobahn zwischen Köln undBonn ganz ohne nationale, pompöse Feierlichkeiten eröffnet)
· militärische Zwecke: es wurden - anders als von der Hafrabaprojektiert - bevorzugt West-Ost-Verbindungen gebaut, die im Hinblick aufTruppentransporte interessanter waren als Nord-Süd-Strecken
Man sieht also: Hitler hat die Autobahnen nicht erfunden, erhat den Namen nicht geprägt, und er hat sie auch nicht als erster gebaut.
© Eichborn AG, Frankfurt am Main, September 2004
- Autor: Jörg Meidenbauer
- 2004, 400 Seiten, Maße: 16 x 22,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Eichborn
- ISBN-10: 3821839368
- ISBN-13: 9783821839363
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