Leyla
Feridun Zaimoglu wendet den Blick...
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Feridun Zaimoglu wendet den Blick zurück auf das Land, aus dem er mit seinen Eltern kam. Ein Land, erstarrt im Kalten Krieg, in dem ein strenger Glaube den Alltag durchdringt, die Familien dem Vater unterstehen, den Frauen ein bescheidener Platz zugewiesen ist - und in dem all das ins Wanken gerät.
Er lässt die heranwachsende Leyla ihren Alltag erzählen, von den Vormittagen in der Schule, den Nachmittagen im Kreise der Schwestern, die an ihrer Mitgift sticken, und dem Leben in der Kleinstadt, in der Armut herrscht und jeder sein bescheidenes Auskommen sucht. Leylas Vater hat keinen Erfolg, verliert seine Anstellung als Bahnbeamter und schlägt sich mit immer windigeren Geschäften durch. Die Brüder gehen ihrer Wege, rebellieren gegen den Vater, die Schwestern warten auf den Mann, der für sie ausgesucht wird, und hoffen auf die große Liebe. Leyla erobert sich kleine Freiheiten, die sie wieder verliert, als sie zur Frau wird. Und sie kommt einem dunklen Familiengeheimnis auf die Spur.
Erst der Umzug der Familie nach Istanbul eröffnet neue Möglichkeiten: Leyla lernt einen Mann kennen und verliebt sich, doch die beiden haben keine Zukunft in der Türkei.
Feridun Zaimoglu wendet den Blick zurück auf das Land, aus dem er mit seinen Eltern kam. Ein Land, erstarrt im Kalten Krieg, in dem ein strenger Glaube den Alltag durchdringt, die Familien dem Vater unterstehen, den Frauen ein bescheidener Platz zugewiesen ist - und in dem all das ins Wanken gerät.Er lässt die heranwachsende Leyla ihren Alltag erzählen, von den Vormittagen in der Schule, den Nachmittagen im Kreise der Schwestern, die an ihrer Mitgift sticken, und dem Leben in der Kleinstadt, in der Armut herrscht und jeder sein bescheidenes Auskommen sucht. Leylas Vater hat keinen Erfolg, verliert seine Anstellung als Bahnbeamter und schlägt sich mit immer windigeren Geschäften durch. Die Brüder gehen ihrer Wege, rebellieren gegen den Vater, die Schwestern warten auf den Mann, der für sie ausgesucht wird, und hoffen auf die große Liebe. Leyla erobert sich kleine Freiheiten, die sie wieder verliert, als sie zur Frau wird. Und sie kommt einem dunklen Familiengeheimnis auf die Spur. Erst der Umzug der Familie nach Istanbul eröffnet neue Möglichkeiten: Leyla lernt einen Mann kennen und verliebt sich, doch die beiden haben keine Zukunft in der Türkei.
Mit epischer Kraft und einer sinnenfrohen, farbenprächtigen und archaischen Sprache erzählt Feridun Zaimoglu vom Erwachsenwerden eines Mädchens, dem Zerfall einer Familie und von einer fremden Welt, aus der sich viele als Gastarbeiter nach Deutschland aufmachten.
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Leylavon Feridun Zaimoglu
LESEPROBE
Wir häkeln, nähen und stricken, wirlegen die fertigen Handarbeiten in die Mitgifttruhe, manchmal hebe ich denTruhendeckel und atme den Duft der Seifen tief ein. Ich bin vergeben undverlobt, ich darf das Haus aber nicht verlassen. Beschwere dich nicht, sagtmeine Mutter, dein Mann wird dich bald ausführen. Setz' dich hin und mehredeine Mitgift. Du bist nunmehr unser Eigentum auf Zeit. Und ich setze mich undnähe, häkele und stricke, manchmal entfährt mir ein Seufzer, dann weiß ichnicht, wieso ich so traurig bin. Der Vater spricht nicht mehr mit mir, ich darfauf sein Geheiß hin das Wohnzimmer nicht betreten. Er klingelt zweimal an derHaustür, das ist das verabredete Zeichen, ich husche dann hoch zum Damentraktund verstecke mich. Er will mich nicht sehen. Melek Hanim hat versucht, ihn davon abzubringen, die Großtantehat ihm gesagt, sie könne es nicht dulden, daß ein fremderMann sich bei ihr verhalte wie ein Hausherr. Doch alles vergeblich. Er hatmeiner Mutter bei Verstößen gegen sein Hausgesetz Schläge und Püffe versetzt.Wie ich erfuhr, spielte er sogar mit dem Gedanken, mich zu töten. Er schrie,seine Ehre sei verletzt worden, die jüngste Hündin habe die Familienehre inden Schmutz gezogen. Also füge ich mich. Häkeln, nähen, stricken. Er kann unsnicht freigeben. Meine Mutter verschließt sich unseren Fragen, ob sie ihnverlasse, ob die Verwandten sie mitnehmen. Einmal Heimat, immer Heimat, sagt sienur, meine schöne Mutter. Sie hat große Schmerzen am Rücken, doch sie putzt undkocht, sie näht, häkelt und strickt. Ihre bemehltenHände, Hände, die Laken glätten und manchmal den Vogelflug am Morgenhimmelnachzeichnen, immer dann, wenn ich sie bitte, mein Lieblingsspiel aus derKindheit vorzuführen. Ich sehe ihre flappenden Hände, die Schatten an derZimmerwand, sie läßt die Handflügel auf- undabsteigen, und dabei gibt sie Summlaute von sich, weil sie nicht pfeifen kann.Sie verlangt einen Gegengefallen, und ich schlage das Magazin auf, suche dieRubrik >Die mondäne Frau< und lese ihr die Briefe vor, die die Stadtdamenan >die sehr geehrte Frau Seelenverwandte< schreiben. Ich bin sehrangetan von Ihren Ratschlägen, heißt es da beispielsweise, aber ich fürchte,ich kann die Handcreme nach Ihrem Rezept nicht benutzen. Es liegt nicht anmeinem bösen Willen.
Ich habe die Creme dann auch tatsächlichaufgetragen, doch sie zog nicht ein, und meine Hände sahen aus, als würde ich siealle fünf Minuten in Spülwasser tauchen. Mein Mann, ein vornehmer Mensch voneinigem Standesbewußtsein, bat mich denn auch, dieHände endlich zu trocknen. Ich wies ihn auf seinen Irrtum hin. Doch er wurdeerst recht wütend und schrie mich an, lackierte Hände gehörten seines Wissensnicht zum Erscheinungsbild einer Dame. Sehr geehrte Frau Seelenverwandte, wassoll ich tun? ... Eine gute Frage, sagt meine Mutterund hält beim Saumfeststecken inne, wenn es nach ihr geht, würde sie die Cremebenutzen. Aber ihr Mann ist wütend auf sie.
Eine Creme, die nicht einzieht, istkeine Creme, sagt Yasmin.
Ipek Hanim hatBittermandelcreme aufgetragen, sage ich, und ihr Gesicht hat deshalb auchgeglänzt wie eine polierte Melonenscheibe. Wir sprechen nicht von einerherkömmlichen Frau, wir sprechen von einer richtigen Dame!
Ich schaue Seldaan, sie schaut böse zurück: Ihre Wut auf die Lustfrau des Vaters ist unermeßlich. Was hatte sie nicht IpekHanim angehimmelt, was hätte sie nicht alles dafürgegeben, neben ihr in der Glaskabine des Zelttheaters zu sitzen, neben derrauchenden schönen Frau, die sie sich damals zum Vorbild nahm? Doch dann wurdedas Unaussprechliche wahr, und Selda betete jedeNacht vor dem Einschlafen, ein Blitz solle in der Glaskabine einschlagen unddie Buhldirne in einen Haufen Asche verwandeln.
Lies den nächsten Brief, sagt meineMutter und nimmt sich den zweiten Hosensaum vor.
Sehr geehrte Frau Seelenverwandte,ich habe Sie vor einiger Zeit um Rat gefragt, doch Sie hielten es für besser,in meiner Angelegenheit zu schweigen. Ich habe mich in Geduld geübt. Jetzt aberschreibe ich Sie wieder an und hoffe, daß Sie mir diesmalantworten wollen. Zur Sache: Ich liebe einen Mann, der sich mir in ehrlicherAbsicht verschrieben hat ...
Was soll das nun wieder heißen?fragt Selda, liebt er sie?
Warte doch ab, ermahnt sie Yasmin, lies weiter.
... der sich mir in ehrlicherAbsicht verschrieben hat. Wir treffen uns heimlich, und Gott ist unser Zeuge,es kommt nicht zu unsittlichen Berührungen. Er will mich heiraten. Er sagt: Ichwürde dich heiraten, nur ich bin zwanzig Jahre älter als du ...
O Gott! entfährt es Selda.
... Und tatsächlich, FrauSeelenverwandte, ich bin dreiundzwanzig Jahre alt, und der Mann, dem ich meinHerz geschenkt habe, ist nur zwei Jahre jünger als mein Vater. Ich quäle mich sehr.Wenn Sie mir nicht antworten, so fürchte ich, bleibt mir nichts anderes übrig,als meinem Leben ein Ende zu setzen.
Sie soll sich bloß vorsehen, dieDumme, sagt Yasmin.
Was schreibt ihr also dieSeelenverwandte zurück? sagt meine Mutter. Meine liebe Verzweifelte, Ihrenersten Brief habe ich nicht erhalten! Glauben Sie mir, ich würde es mir nieverzeihen, auf ein dringendes Anliegen wie das Ihrige nicht einzugehen. ZurSache: Lassen Sie sich von Ihrem Herzen leiten! Dieser reife Herr liebt Sie,und Sie lieben ihn. Aus Ihrem Brief geht nicht hervor, ob er es nur dabeibewenden lassen will, Sie, liebe Verzweifelte, nur anzuschmachten. Ist es diesemHerrn wirklich ernst?
Ja genau! ruft Seldadazwischen, vielleicht spielt er nur mit ihr, und er braucht einen Vorwand, umnicht den letzten entscheidenden Schritt zu machen.
Lag sie weiterlesen,sagt Yasmin.
Der Antwortbrief ist an dieserStelle zu Ende, sage ich.
Diese Seelenverwandte macht es sichzu einfach, bemerkt meine Mutter, das arme Mädchen ist doch jetzt völlig durcheinander.Man soll keinen Unfrieden stiften.
Was würdest du ihr empfehlen? fragt Selda.
Sein Alter gibt den Ausschlag, sagtmeine Mutter, gehen wir das mal gemeinsam durch: sie ist dreiundzwanzig, er istdreiundvierzig. Fünf Jahre später: sie ist achtundzwanzig, er istachtundvierzig. Zehn Jahre später: sie ist dreiunddreißig, er istdreiundfünfzig.
Fünfzehn Jahre später, sagt Selda, sie: achtunddreißig, er: achtundfünfzig. Spätestensdann wird es sehr schwierig, fährt meine Mutter fort.
Was denn? frage ich.
Sie wird das Gefühl haben, mit ihremGroßvater unter einem Dach zu leben, sagt Yasmin,eine solche Verbindung steht von Anfang an unter einem schlechten Stern.
Wir hüllen uns in Schweigen. Ichhabe Metin nicht nach seinem Alter gefragt, ich habedas Wirtschaftsgymnasium abgeschlossen, und er ist Student. Kein großerAltersunterschied, denke ich, außerdem ist er einjunger Mann. Würde ich die Seelenverwandte anschreiben, und wenn ja, was würdeich wissen wollen? ... Ich kenne den Mann nicht, den ich heiraten will. Ist dasein Problem, sehr geehrte Frau Seelenverwandte? Oderwerde ich ihn im ersten Ehejahr vollständig kennenlernen?Bitte schreiben Sie mir bald - ich bin zwar nicht verzweifelt, ich bin nursehr neugierig ... In Gedanken verfasse ich den Brief Zeile für Zeile, wohlwissend, daß die Großtante mich aus dem Hause jagenwürde, wenn sie davon erführe. Sie nennt die Frauenillustrierten anatomischeMagazine oder unzüchtiges Bildwerk, auf billigen Papierstreifen würde das Kitzliche, das Verdorbene besprochen und abgebildetwerden, die Schundindustrie beschäftige dafür lichtscheue Elemente. Sie undihre Moralreden! Unter dem Sitzpolster ihres Schaukelstuhls versteckt sie dieMagazine, über die sie wettert und in denen sie heimlich blättert. Die Herrendes Hauses haben ihre Geheimnisse, Melek Hanim und Hamid Bey sind,gemessen an unseren Verhältnissen, wohlhabend. Manchmal habe ich den Verdacht, daß ihrer beider Beamtengehältergerade noch ausreichen, um die Fassade sorgenlosen Lebens aufrechtzuerhalten.Das Haus gehört der Großtante, sie, ihre Tochter und ihr Schwiegersohn lebendarin wie in einer Armeleuteherberge. Überall stößt man auf die Spuren desVerbrauchs und der Abnutzung: die Lichtschalter vergilbt, die Schmuckfalten dergekräuselten Sofaschabracke zerschlissen. Das lose Furnier an den Kanten des Eßtisches. Die abgebrochene Teekannentülle. AlterKlebstoffkitt auf den Bruchkanten der Porzellanobstschale. Der Kerzenleuchteraus geschliffenem Kristallglas, das mich die Großtante angewiesen hat, jedenTag mit Spiritus zu polieren, ist angeschlagen. Und der Porzellandrehgriff mit Schloßrosette an der Badezimmertür zerkratzt von den langenNägeln von Melek Hanim.Meine Fingernägel brechen schnell, hat sie mir gesagt, deshalb mußt du kleine Arbeiten für mich erledigen. Also gehe ichmit einem sattelseifegetränkten Schwamm über die Armlehnen des Ledersofas. Ichträufele Öl auf den Abziehstein, ziehe eine Messerklingenseite über den Stein,dann die andere Seite zurück. Oder ich beule die Dellen aus der Kupferplatteaus, die als Zierstück auf dem Bodenteppich liegt und über die man immerwieder stolpert ...
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© Kiepenheuer & Witsch
- Autor: Feridun Zaimoglu
- 2006, 4. Aufl., 528 Seiten, Maße: 13 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Kiepenheuer & Witsch
- ISBN-10: 3462036963
- ISBN-13: 9783462036961
- Erscheinungsdatum: 21.02.2006
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