Licht im August
Faulkners zwingende Modernität, sein multiperspektivischer, psychologischer Stil machten "Licht im August", 1932 geschrieben, bereits 1935 bei Rowohlt veröffentlicht, zu einem der wirkungsmächtigsten Romane des 20. Jahrhunderts - hierzulande vor allem nach dem Krieg, als er in einer rororo-Zeitungsausgabe einem breiten Publikum zugänglich wurde.
Der Rowohlt Verlag legt Faulkners besten und bekanntesten Roman in einer zeitgemäßen Neuübersetzung von Helmut Frielinghaus und Susanne Höbel vor, versehen mit einem Nachwort von Paul Ingendaay.
Licht im August von William Faulkner
LESEPROBE
2
BYRON BUNCHweiß dies: es war an einem Freitagvormittag vor drei Jahren. Die Männer, die inder Hobelwerkstatt arbeiteten, blickten auf und sahen den Fremden dort stehenund sie beobachten. Wie lange er bereits dort war, wußtensie nicht. Er sah aus wie ein Tramp und doch wieder nicht wie ein Tramp. SeineSchuhe waren verstaubt, seine Hose verschmutzt. Aber sie war aus anständigem Tuchund scharf gebügelt; sein Hemd war wohl schmutzig, aber es war ein weißes Hemd;er trug eine Krawatte, und über seinem reglosen Gesicht saß in finsterarrogantemWinkel ein steifkrempiger Strohhut, der noch ganz neu war. Er machte nicht denEindruck eines gewerbsmäßigen Vagabunden, der in die Lumpen seines Gewerbesgekleidet ist, aber er hatte etwas ausgesprochen Wurzelloses an sich, so alswäre er in keinem Ort und keiner Stadt beheimatet, als hätte er in keinerStraße, zwischen keinen Mauern, auf keinem Fleckchen Erde ein Zuhause. Und erschien sein Wissen darum mit einem selbstquälerischen Gefühl der Einsamkeit undnahezu stolzerfüllt, wie wenn es ein Banner wäre, mit sich herumzutragen. «Alsob er», so sagten die Männer später, «bloß für eine Weile im Unglück ist, undals ob er nicht die Absicht hat, im Unglück zu bleiben, aber sich einen Dreckdarum schert, wie er wieder herauskommt.» Er war jung. Und Byron beobachteteihn, wie er dort stand und, eine Zigarette im Mundwinkel, das finstere und verächtlichbewegungslose Gesicht an der einen Seite wegen des Rauches ein wenigzusammengekniffen, die Männer in den verschwitzten Overalls ansah. Nach einerWeile spie er die Zigarette aus, ohne sie mit der Hand zu berühren, wandte sichum und ging zum Fabrikkontor, während ihn die Männer in ihren verschossenen undarbeitsbeschmutzten Overalls mit Regungen verblüffter Empörung betrachteten.«Durch die Hobelmaschine müßte man ihn laufenlassen», sagte der Vorarbeiter. «Dann geht vielleicht die Miene von seinemGesicht ab.»
Sie wußten nicht, wer er war. Keiner von ihnen hatte ihn vorhergesehen. «Nur, wenn einer mit so einer Visage in der Öffentlichkeit herumläuft,so ist das ein bißchen gefährlich für ihn», sagte einer;«wenn er nicht aufpaßt, kann er sie irgendwospazieren tragen, wo einer ist, dem sie nicht paßt.»Mehr redeten sie gar nicht über ihn. Sie machten sich wieder an ihre Arbeitinmitten der sausenden Treibriemen und Wellen. Aber es dauerte keine zehn Minuten,bis der Fabrikdirektor, gefolgt von dem Fremden, zu ihnen kam.
«Geben Siedem Mann Arbeit», sagte der Direktor zum Vorarbeiter. «Er sagt, daß er mit einer Schippe umgehen kann. Sie können ihn anden Sägemehlhaufen stellen.»
Die anderenhatten ihre Beschäftigung nicht unterbrochen; dennoch war nicht ein Mann imArbeitsschuppen, der nicht wieder den Fremden in den beschmutzten Stadtkleidernbetrachtete, den Menschen mit der finsteren, unerträglichen Visage, dessenganze Haltung kalte und ruhige Verachtung zur Schau trug. Der Vorarbeiter sahihn ganz kurz an, sein Blick war so kühl wie der des anderen. «Will er in denKleidern arbeiten?»
«Das istseine Sache», sagte der Direktor. «Ich stelle nicht seine Kleider ein.»
«Schön, mirkann recht sein, was er an hat, wenn es Ihnen recht ist und ihm», antworteteder Vorarbeiter. «Also Mister», sagte er. «Gehen Sie dort hinüber, nehmen Siesich eine Schippe und helfen Sie den Leuten beim Fortschaffen vom Sägemehl.»
DerNeuangekommene wandte sich wortlos um. Die anderen sahen zu, wie er zumSägemehlhaufen hinunterging, verschwand, mit einer Schaufel wieder auftauchteund sich an die Arbeit machte. Der Vorarbeiter und der Direktor sprachenmiteinander an der Tür. Sie trennten sich, und der Vorarbeiter kam zurück. «Erheißt Christmas», sagte er.
«Wie heißter?» fragte einer.
«Christinas.»
«Ist er einAusländer?»
«Hast duschon einmal gehört, daß ein weißer Mann Christmas heißt?»fragte der Vorarbeiter.
«Ich habeüberhaupt noch nie davon gehört, daß einer so heißt»,antwortete der andere.
Und das wardas erstemal, daß Byron,wie er sich entsann, überhaupt daran gedacht hatte, wie der Name einesMenschen, der doch nichts anderes sein soll als eine hörbare Bezeichnung fürihn, irgendwie voraussagen kann, was er tun wird - nur müssen die anderenimstande sein, die Bedeutung rechtzeitig zu erfassen. Ihm schien, daß keiner von ihnen sich den Fremden genauer angesehen hätte,ehe sie seinen Namen hörten. Aber sobald sie den vernahmen, da war es, als lägein seinem Klang etwas, das ihnen sagen wollte, was zu erwarten war; als wäre erdazu verurteilt, ein Zeichen, das vor ihm warnte, mit sich herumzutragen, wieeine Blume ihren Duft oder eine Klapperschlange ihre Klapper. Nur hatte keinervon ihnen Verstand genug, das gewahr zu werden. Sie dachten einfach, er wäreein Ausländer, und als sie ihn im Laufe jenes Freitags weiter beobachteten, wieer in Krawatte, Strohhut und gebügelten Hosen arbeitete, sagten sie zueinander,das wäre eben die Art, wie die Männer in seinem Lande arbeiteten; anderemeinten allerdings auch: «Heute abend wird er sichetwas anderes anziehen. Wenn er morgen früh zur Arbeit kommt, wird er nichtmehr die Sonntagskleider anhaben.»
DerSamstagmorgen kam. Als die letzten kurz vor dem Ertönen der Pfeife eintrafen, sagtensie bereits: «Ist er - Wo -» Die anderen zeigten auf ihn. Der neue Mann standallein unten am Sägemehlhaufen. Seine Schaufel war neben ihm, und er stand daebenso gekleidet wie am Vortag, den arroganten Hut auf dem Kopf, und rauchteeine Zigarette. «Er war schon da, wie wir gekommen sind», sagten die ersten.«Er hat einfach so dagestanden. So, wie wenn er nicht einmal im Bett gelegenhätte.»
Er sprachmit keinem von ihnen. Und keiner von ihnen versuchte, mit ihm zu reden. Siealle aber waren sich seiner Anwesenheit bewußt,seines festen Rückens (er arbeitete recht gut, mit einer Art finsterer undbeherrschter Stetigkeit) und seiner Arme. Es wurde Mittag. Mit Ausnahme Byronshatte sich heute keiner etwas zum Essen mitgebracht; sie begannen ihreHabseligkeiten zusammenzusuchen, ehe sie gingen, um erst am Montagwiederzukommen. Byron begab sich mit seiner Essenkanne allein zum Pumpenhaus, wosie gewöhnlich ihre Mahlzeiten einnahmen, und setzte sich. Dann veranlaßte ihn etwas, aufzublicken. Nicht weit von ihmstand der Fremde an einen Pfosten gelehnt und rauchte. Byron wußte, daß er da gewesen war, alser hinkam, und es nicht einmal für der Mühe werthielt, sich zu entfernen. Oder noch schlimmer: daß ersich, Byron ignorierend, wie wenn dieser auch nur ein Pfosten wäre, absichtlichda aufgepflanzt hatte. «Machen Sie nicht Feierabend?» fragte Byron.
Der andereblies den Rauch aus. Dann blickte er Byron an. Sein Gesicht war hager, dasFleisch hatte eine gleichmäßige, tote Pergamentfarbe. Nicht die Haut: dasFleisch selbst, so als wäre der Schädel mit gelassener und unerschütterlicherRegelmäßigkeit geformt und dann in einem glühheißen Ofen gebrannt worden. «Wieviel wird für Überstunden bezahlt?» fragte er. Und da wußte Byron Bescheid. Er wußte,warum der andere in seinem Sonntagsanzug arbeitete, warum er sich weder gesternnoch heute etwas zum Essen mitgebracht hatte, und warum er nicht mit denanderen mittags gegangen war. Er wußte so gut, alshätte der Mann es ihm erzählt, daß er kein Fünfcent-Stück in der Tasche hatte und aller Wahrscheinlichkeitnach nun schon zwei bis drei Tage von Zigaretten lebte. Fast in demselbenAugenblick, in dem er dies dachte, bot ihm Byron seine eigene Kanne an; dieHandlung war ebensosehr automatischer Reflex wie derGedanke. Denn schon bevor die Handlung ganz ausgeführt war, drehte der Mann,ohne seine indolente und verächtliche Haltung zu ändern, sein Gesicht herum undsah durch den Rauch seiner Zigarette auf die dargereichte Kanne. «Ich habe keinenHunger. Behalten Sie Ihren Dreck.»
DerMontagmorgen kam, und es erwies sich, daß Byron recht hatte. Der Mann erschien in neuen Overalls zur Arbeitund hatte Essen in einem Papiersack mit. Aber er setzte sich mittags nicht mitden anderen zum Essen in das Pumpenhaus, und sein Gesicht trug noch immerdieselbe Miene zur Schau. «Laßt ihm seine Miene»,sagte der Vorarbeiter. «Simms hat sein Gesicht genauso wenig eingestellt wie seine Kleider.»
Die Zungedes Fremden hatte Simms auch nicht eingestellt,dachte Byron. Wenigstens schien Christmas so zu denken und auch dementsprechendzu handeln. Selbst als sechs Monate vergangen waren, hatte er noch immer keinemetwas zu sagen. Niemand wußte, was er außerhalb derArbeitszeit tat. Hin und wieder begegnete ihm einer seiner Arbeitskollegen nachdem Abendbrot auf dem Platz unten in der Stadt, und dann war es immer so, alshätte Christmas den anderen noch nie gesehen. Er trug dann den neuen Hut unddie geplätteten Hosen, die Zigarette saß im Mundwinkel, und der Rauch zog inverächtlichem Gekräusel über sein Gesicht. KeinMensch wußte, wo er wohnte, wo er des Nachts schlief,nur ab und zu sah einer, daß er einen Weg benutzte,der durch die Wälder am Rande der Stadt heraufkam, so als ob er vielleichtirgendwo dort draußen lebte.
Das istnicht das, was Byron jetzt weiß. Es ist bloß, was er damals wußte,was er hörte und beobachtete, als es zu seiner Kenntnis kam. Keiner von ihnen wußte damals, wo Christmas wohnte, und was er hinter demSchleier, der Schutzwand eines Negerpostens in der Fabrik, eigentlich tat. Ohneden anderen Fremden, ohne Brown, wäre es vielleicht auch niemals bekanntgeworden. Doch sobald Brown davon erzählte, fanden sich zehn, zwölf Leute, die einräumten,daß sie seit mehr als zwei Jahren Whisky von Christmaskauften und ihn zu diesem Zweck des Nachts und ohne Dritten im Wald getroffenhatten, zwei Meilen vor der Stadt, hinter einem alten Pflanzerhaus aus derKolonialzeit, in dem ein älteres Fräulein namens Burdenallein lebte. Aber auch die, die den Whisky kauften, wußtennicht, daß Christmas tatsächlich in einer baufälligenNegerhütte auf Miss Burdens Grundstück wohnte, daß er sich schon vor mehr alszwei Jahren dort untergebracht hatte.
© Rowohlt Verlag
Übersetzung:Helmut Frielinghaus und Susanne Höbel
- Autor: William Faulkner
- 2008, 2. Aufl., 480 Seiten, Maße: 14 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Helmut Frielinghaus, Susanne Höbel
- Verlag: Rowohlt, Hamburg
- ISBN-10: 3498020684
- ISBN-13: 9783498020682
- Erscheinungsdatum: 03.03.2008
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