Mätressen der Weltgeschichte
Liebe am Zarenhof und intrigante Gräfinnen: Unterhaltsam und kenntnisreich bringt Hermann Schreiber Licht in die amouröse Grauzone des Adels.
Sie kamen aus dem Hochadel oder aus der Gosse. Sie liebten aufrichtig oder aus...
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Produktinformationen zu „Mätressen der Weltgeschichte “
Liebe am Zarenhof und intrigante Gräfinnen: Unterhaltsam und kenntnisreich bringt Hermann Schreiber Licht in die amouröse Grauzone des Adels.
Sie kamen aus dem Hochadel oder aus der Gosse. Sie liebten aufrichtig oder aus Berechnung. Sie endeten als Herzoginnen oder auf dem Schafott: Mehr als dreißig faszinierende Frauen im Porträt: Lola Montez, Anna Mons, Marquise de Pompadour, Barbara Campanini, Magdalena Sibylla von Neitschütz und andere Mätressen.
Ein schillerndes, höchst unterhaltsames Sittengemälde, das vergangene Jahrhunderte wieder lebendig werden lässt.
Lese-Probe zu „Mätressen der Weltgeschichte “
Mätressen der Weltgeschichte von Hermann SchreiberVORWORT
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Als die Nachricht vom Tode Napoleons London erreichte, stürzte ein Minister König Georgs IV. in das Arbeitszimmer Seiner Majestät und meldete atemlos: »Ihr schlimmster Feind, Sire, ist soeben gestorben.«
»Was Sie nicht sagen!«, antwortete der König interessiert, »meine Frau ist tot?«
Nur wenige königliche Ehen verliefen so katastrophal wie die Georgs IV. mit Karoline von Braunschweig, und nur wenige Monarchen äußerten sich so unverblümt über ihr Ehe-Unglück wie dieser begabte, aber verkommene Herrscher, dessen Hauptvorzug es war, nie einem Skandal ausgewichen zu sein. Aber wir dürfen mit Sicherheit annehmen, dass es die fast stets aus dynastischen oder politischen Gründen geschlossenen Ehen regierender Fürsten gewesen sind, die in diesen scheinbar Auserwählten den Wunsch weckten, wirklich zu lieben und die geliebte Frau auch stets an der Seite zu haben, so wie es die Untertanen halten konnten.
Die Liebesheirat, die - von Leibeigenen abgesehen -- so gut wie jedem freistand, war dem vielbeneideten Monarchen unmöglich gemacht oder doch jahrhundertelang ungemein erschwert. Die Mätresse ist zunächst kein Luxus, sondern der Versuch, sich dieses bürgerliche Glück ebenfalls zu sichern. Die freien Verhältnisse mit Mätressen brachten es oft auf sechs, acht, zehn Jahre Dauer oder noch länger und hielten damit fester als so manche bürgerliche Ehe; die Bindungen an Mätressen überstanden meistens die sogenannten amours passagères, die flüchtigen Verhältnisse, und versorgten in der Regel den König mit einer viel gesünderen Nachkommenschaft als die legitimen Ehen. Es gibt in den europäischen Dynastien Fälle, dass sämtliche legitimen Kinder schwere Erb- und Degenerationsschäden aufwiesen, während die von dem gleichen Monarchen mit einer Mätresse gezeugten natürlichen Nachkommen wahre Prachtexemplare an Gesundheit und geistigen Fähigkeiten waren. In beinahe jeder Generation der europäischen Fürstenhäuser im sechzehnten, siebzehnten, achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert finden wir wasserköpfige Prinzen, die mit acht Jahren noch nicht gehen oder sprechen konnten, und in jeder Generation stehen neben ihnen natürliche Söhne, die das Jahrhundert erleuchten, wie der Maréchal de Saxe (Augusts des Starken Sohn mit der Königsmarck), der Herzog von Berwick (Jakobs II. Sohn mit Sarah Churchill), der hochbegabte und schöne Herzog von Monmouth (Karls II. Sohn mit Lucy Walters) und viele andere.
Während die legitimen Nachkommen nur zu oft begierig auf den Tod des Vaters warteten oder, wie im Fall etwa Heinrichs II. von England, diesen sogar selbst herbeiführten, blieben die natürlichen Söhne, da sie ohnedies keinen Herrschaftsanspruch hatten, meist treu an der Seite der Monarchen, und eben jener Heinrich zum Beispiel hauchte sein Leben in den Armen eines Mannes aus, den ihm eine Mätresse, ja vielleicht sogar eine einfache Londoner Straßendirne, geboren hatte und der seines Vaters treuester Freund blieb.
Lässt sich das alles noch einigermaßen erklären, weil die Könige schließlich unter Dutzenden oder Hunderten hübscher Hofdamen wählen konnten und Schönheit ohne Gesundheit stets selten war, so weicht der Boden der Verallgemeinerungen gleich unter unseren Füßen, wenn wir aus der Liaison des Monarchen selbst Gesetze oder auch nur Prinzipien abzuleiten versuchen. Denn die Mätressen wurden, zum Unterschied von den oft aufgezwungenen Gemahlinnen, in der Regel ja geliebt, und in der Liebe war und ist alles möglich.
Natürlich waren die meisten schön; aber es gab auch so hässliche, dass der betreffende König verdächtigt wurde, er lasse sich seine Mätressen von seinen Beichtvätern aussuchen. Natürlich hatten die meisten Geist, weil sie ohne diesen schon im Vorfeld der Intrigen hängengeblieben und über die ersten Nächte nicht zu einer lukrativen Dauerbindung vorgestoßen wären. Aber es gab auch manches niedliche Dummchen, das sich jahrelang in der Sympathie des Monarchen behaupten konnte, weil eben alle sechs Grübchen genau dort saßen, wo Majestät es wünschte. Es gab Mätressen, die den legitimen Gattinnen erbitterte Schlachten lieferten, aber auch sehr viele, die sie zu Freundinnen gewannen; es gab Mätressen, die regierten, und Königinnen, die dem Gatten Mätressen gestatteten, um selbst ungehindert regieren zu können.
Keine Mätresse hat ihren Monarchen je so betrogen, wie es manche Gemahlinnen trotz ihrer hohen Geburt und vornehmen Erziehung getan haben; auch hatten sie stets mehr Geschmack, selbst wenn sie sich fallen ließen, als die mannstollen Königinnen, die in der Ausschweifung dilettierten. Und sehr viel, was man ihnen anlastete, war weniger ihre Schuld als die ihrer königlichen Freunde und Gebieter, etwa wenn ein König seine Geliebte nackt porträtieren ließ und das Bild seiner Gemahlin sandte, oder wenn er sich mit seiner Königin über Schlafzimmerdetails seiner Mätressenerlebnisse unterhielt. Aber wir müssen zugeben, dass die Vielfalt des weiblichen Geschlechts selbst in der kleinen Schar dieser ungekrönten Geliebten noch so deutlich zutage tritt, dass sich ein typisches Verhalten der Mätressen nicht in dem Maße erkennen ließ wie auf der nächsttieferen Stufe der Liebe-Geld-Beziehung, im Falle der Dirnen.
Während nämlich bei der Kurtisane wie bei der Dirne die Liebe praktisch nicht in Erscheinung tritt und ihre Beziehung zum Mann also sachlich und damit konstant geschlechtsbezogen bleibt, haben die meisten Mätressen ihrem Monarchen zumindest aufrichtige Freundschaft, sehr oft aber auch echte und tiefe Neigung entgegengebracht. Einige der großen Mätressen gehören zweifellos auch zu den großen Liebenden: Fair Rosamond, Bianca Capello, Louise de la Vallière, Anna Mons, die Lubomirska und noch manche andere. Diese Liebe ist nicht typisch, aber so häufig, dass man sie nicht als Ausnahme bezeichnen kann, und sie verändert naturgemäß das Verhalten der Mätresse ganz wesentlich im Vergleich mit jenen anderen, die Luxus, Macht, Geltung und andere Sekundärwerte aus ihrer Beziehung zu gewinnen suchen. Erst als Mütter handeln sie wieder alle ähnlich: Jede, auch wenn sie materiell so desinteressiert war wie zum Beispiel die charaktervolle Romans oder die leichtfertige Nelly Gwynn, kämpft um die Legitimierung ihrer Nachkommenschaft. Sie waren bereit, als Konkubinen zu leben, sich von der Kanzel herab beleidigen, auf den Straßen und in Pamphleten schmähen zu lassen; ihre Kinder aber sollten Grafen und Herzöge mit wohlklingenden Namen werden ...
Und in diesem Augenblick, da sie etwas wollen, was sich in die einfache und uralte Mann-Frau-Beziehung nicht so ohne Weiteres einbeziehen lässt und was auch mit einem Röllchen Goldstücke aus der Privatschatulle nicht zu regeln ist, wird so manches Mätressenschicksal unversehens tragisch. Die Liebenden werden zu Müttern, denen man die Kinder wegnimmt, die Bescheidenen werden zu Fordernden, die dem König auf die Nerven fallen, die Schönen bekommen den scharfen Zug, den die Sorgen und das Nachdenken auch in das Gesicht der Frau zeichnen.
Und das ist es, was die Mätresse vom Günstling unterscheidet und über ihn erhebt: dass sie Frau bleibt, Mutter wird und ihren Kindern oft genau das opfert, was sie sich um den Preis eines lebenslangen Kampfes erwarb; dass sie in dem Augenblick, da sich ihr weiblicher Lebenskreis vollendet, sehr oft ihre Freiheit wiedergewinnt, auch innerlich unabhängig wird und in den natürlichen Rhythmus ihres Lebens zurückkehrt, während der Günstling so gut wie stets in dem Zauberkreis des Hofes und der Macht wie gebannt verharrt, aufsteigt oder untergeht, nie aber verzichtet.
Die Verurteilung der Mätresse und ihre moralische Abwertung gehören einer vergangenen Zeit an, wie die Mätresse selbst. Es interessiert uns heute nicht sonderlich, dass die Zeitgenossen über diese oder jene galante Gräfin die Nase rümpften. Nur um die Monarchen richtig zu beurteilen, die sich jene Mätressen hielten, möchten wir zum Schluss daran erinnern, dass Beziehungen dieser Art selbst von strengen und frommen Frauen wie etwa Maria Theresia von Österreich nicht als Ehebruch gewertet wurden.
Die Mätresse war eine Institution; sie war nicht nur eine private Wunschlösung für den Fürsten, sondern wurde sehr oft auch gewählt, um dem Hof mehr Glanz zu verleihen, um ihn zu einem Musenhof zu machen, wie er um eine hässliche, muffige und beschränkte Prinzessin eben auch dann nicht entstehen konnte, wenn diese Königin geworden war.
Die Mätresse, vor allem die offizielle, die Favoritin, die maitresse en titre, hatte die Funktion übernommen, den König darüber zu trösten, dass ihm eine Liebesheirat verwehrt worden war. Die Mätresse war Folge und Voraussetzung dieser dynastischen Ehen, und sie war doch etwas ganz anderes als eine zweite Frau: eine Ergänzung der ersten, eine Komplettierung und, wenn diese erste gestorben war, sehr oft jener Ersatz, der die Nachkommenschaft aus der ersten legitimen Ehe vor unliebsamer Konkurrenz aus späteren Ehen schützte.
Als Georg II. am Totenbett seiner klugen Caroline, einer geborenen Prinzessin von Ansbach saß, war die Hauptsorge der sterbenden Königin, was wohl aus ihrem geist- und hilflosen Gatten werden sollte, und sie empfahl ihm, sich recht bald wieder zu verheiraten. Georg II. aber hatte Caroline viel zu sehr geliebt: »Mich wieder verheiraten? Niemals!«, rief er entrüstet und setzte schluchzend hinzu: »Ich werde mir eben Mätressen halten.«
Es war zweifellos ein Gedanke, der in diesem Augenblick beide Gatten tröstete ...
Brouage, im April 1967 L. B.
1
GIFTMISCHEREI UND LIEBE - EIN MEDICÄISCHER AUFTAKT
Lange bevor Paris sich den Ruf erwarb, eine besonders sündige Stadt zu sein, galt Venedig als eine Art orientalischen Sündenpfuhls auf dem Boden des christlichen Europa. Während die Hafenorte des christlichen Spanien Pforten des Paradieses waren, aus denen die Seefahrer ihrer katholischen Majestäten in die eben entdeckte neue Welt segelten, hatte Venedig zu allen Zeiten eine besonders intime Verbindung mit dem Orient besessen und selbst in der Zeit der Kreuzzüge, da Europa sich zu einem heiligen Krieg geeinigt hatte, nicht ganz von dem einträglichen Handel mit Alexandrien lassen können.
Auch aus anderen Gründen war die Lagunenstadt vielen ein Dorn im Auge. Es gab dort keinen König oder Fürsten; die Häupter der Stadt wurden gewählt, nicht durch legitime Erbfolge bestimmt, und ein- bis zweimal im Jahr fanden auf verschiedenen Plätzen der Lagunenstadt sogar Sklavenmärkte statt, wo sich begüterte Venezianer Knaben und Mädchen aus der Türkei, dem Kaukasus oder Arabien für Preise kaufen konnten, die zwischen fünfzehn und achtzig Golddukaten lagen. Selbst ein Doge, der siebzigjährige Pietro Mocenigo, hatte auf diese Weise zwei junge Türkinnen erstanden, die seine alten Tage verschönten ...
Es ging also ziemlich frei zu in der alten Republik, die ihre Gäste schonte und die Atmosphäre für Händlergespräche nicht dadurch abkühlen wollte, dass die Fleischessünden allzu heftig verfolgt wurden. Skandale gab es eigentlich nur dann, wenn eine der großen Familien, eine jener Sippen, aus denen die Räte und die Dogen hervorgingen, vergaß, was sie ihrem Namen und der Republik schulde. Das war erstaunlich selten der Fall; 1482 hatte Bernardino Correr versucht, einem schönen Jüngling Gewalt anzutun. Zwei Jahre darauf hatte sich Antonio Loredano, venezianischer Gesandter in Rom, der Sodomie schuldig gemacht, und 1491 legte man dem Patrizier Marcus Balbi ein ähnliches Verbrechen an Mönchen von Santa Anna di Castello zur Last. Aber all diese Untaten waren vergessen, als 1526 der Patrizier Andrea Michiel die reiche Kurtisane Cornelia Griffo heiratete.
In manchen der Paläste, deren Stufen zum Canal Grande hinabführen, sah man schon damals das Ende der Republik kommen. Beim Licht der Wachskerzen - kein vornehmer Venezianer brannte je Talglichter - flüsterten die alten Familien vom Unheil des Sittenverfalls und beklagten den Niedergang der Serenissima, der mächtigen, glänzenden Stadt, die nun, nach der Entdeckung Amerikas, fernab von den Linien des Weltverkehrs am Ende einer langen Meeresbucht lag und nur noch nach Osten blickte.
Der schlimmste Schimpf aber stand der Lagunenstadt noch bevor: Ein Florentiner geringer Herkunft, ein Handlungsgehilfe namens Piero Buonaventuri, hatte die Tochter eines venezianischen Patriziers geschwängert, ja mehr als das: er hatte sie aus dem Palast der Eltern entführt und sich auf der Flucht mit ihr trauen lassen!
Das Mädchen hieß Bianca und war 1548 als Tochter des reichen und angesehenen Bartolomeo Capello zur Welt gekommen. Als zwanzig Jahre zuvor eine Frau die Tür eines Capello mit Pech beschmiert hatte, um ihn zu schmähen, wurde sie auf zehn Jahre aus Venedig verbannt. Als Bianca heranwuchs und immer schöner wurde, durfte ihr Vater sich die stolzesten Gedanken über den künftigen Schwiegersohn machen und von einer glückhaften Verbindung träumen, die zwei mächtige Familien zu einer Sippe zusammenschließen würde. Aber Bianca war nicht nur jung und schön, sondern auch verspielt und in den Hirngespinsten befangen, die ihr französische und spanische Ritterromane eingaben. Sie blickte oft lange, viel zu lange, aus den schmalen, hohen Fenstern des väterlichen Palastes auf die Kanäle und die Brücken hinunter, in die Gondeln und die Boote und auf das bunte Treiben der großen Handelsstadt. Sie sah die dunkelhäutigen Schiffer in grellen Seidengewändern, sie sah junge Männer mit Dolchen und Degen, sie sann ihnen allen nach in der Einsamkeit ihres hohen, kühlen Gemachs, bis der Tag kam, an dem einer auf sie zutrat.
Sie erschrak und sah sich hilfesuchend nach der Magd um, die zwei Schritte hinter ihr mit dem schweren Einkaufskorb ging. Der junge Mann war wie einer der Fremden aus dem Orient gekleidet, ganz in rosenfarbene Seide, aber er sprach das schöne Italienisch der Toscana und stellte sich als Spross der Familie Salviati vor, eines Bankhauses, dessen Namen jeder kannte, auch Bianca Capello.
Es war seltsam und ein wenig beängstigend, solch einen Traumprinzen nun lebendig neben sich zu haben. Wenn er auf sie einsprach und den Arm um sie legte, wünschte Bianca sich die stillen Stunden am hohen Fenster zurück, wo sie aus sicherer Entfernung schauen und grübeln konnte. Saß sie dann aber wieder allein in der kühlen Mädchenstube, so war es Piero Salviati, nach dem sie sich sehnte.
Es gehört zu den Wundern Venedigs, dass in dieser Stadt mit den Inselklöstern und der besten Geheimpolizei, den fürchterlichsten Kerkern und der besten Verwaltung die heimliche Liebe doch so üppig gedieh und so lange unbeachtet bleiben konnte wie in kaum einer anderen Stadt jener Zeit. In Nürnberg oder Augsburg, in Madrid oder Straßburg wären sie längst entdeckt worden, die Patrizierstochter und der verkleidete Kommis. In Venedig aber glitten sie halbe Nächte lang lautlos durch die Kanäle, und die Gondolieri, die sie fuhren, schwiegen wie das Grab, weil sie alle von den Liebenden lebten, von den späten Besuchern der Klöster und den vor Morgengrauen heimkehrenden vermummten Ehefrauen.
Als Bianca fühlte, dass sie ein Kind trug, wusste sie auch, dass sie für das nächtliche Glück würde bezahlen müssen, denn in der Stadt der elftausend Dirnen galt es als Verbrechen -nicht nur als Schande -- wenn unverheiratete junge Leute einander angehörten. Und weil es ein Verbrechen war und nicht bloß ein Missgeschick, wagte Bianca auch nicht, sich ihren Eltern zu eröffnen. Ihre Mutter, eine geborene Morosini und noch reicher als ihr Vater, hätte für Bianca ebenso wenig Verständnis gehabt wie Bartolomeo Capello, der Mann, den dieser Fehltritt seiner Tochter aufs Fürchterlichste bloßstellte.
Also flohen Piero und Bianca. Ein Onkel und eine Magd halfen ihnen, das wenige Gepäck war schnell im Boot. Man brauchte nicht weit zu fliehen in jenen Tagen, die Grenzen der Republik Venedig reichten nur wenige Meilen ins Land hinein, zumindest im Südwesten, wo Bianca und Piero ihr Heil suchten: in der Richtung, in der die Stadt Florenz lag.
Um wenigstens als Mann und Frau auftreten zu können, um nicht in jedem Gasthof scheel angesehen zu werden und ein Papier zu besitzen, hatten sie sich schon zu Beginn der Flucht, bald nachdem sie venezianisches Gebiet verlassen hatten, einem Priester vorgestellt und gebeten, dass er sie traue. Dabei hatte Bianca den richtigen Namen des Geliebten erfahren: Piero Buonaventuri, und sich sagen müssen, dass der Mann, den sie liebte, sie vom ersten Augenblick an belogen hatte.
In Venedig war man nicht untätig geblieben. Die Republik handelte schnell, wenn sie in ihrer Ehre gekränkt war. Der Hohe Rat trat zusammen und fällte ein hartes Urteil, auf das vor allem ein Verwandter Biancas, der Kardinal Grimani, Patriarch von Aquileja, hingearbeitet hatte. Die beiden Beschützer der jungen Leute, die Magd und der Onkel Pieros, wurden zu lebenslanger Haft in den Kerkern der Republik verurteilt, Piero Buonaventuri aber zum Tode. Zugleich setzte der Rat eine Kopfprämie von zweitausend Dukaten aus, tausend aus dem Staatsschatz, tausend aus dem Vermögen Bartolomeo Capellos, und diese zweitausend Goldstücke waren vielleicht die furchtbarste Gefahr für Bianca und Piero. Es war mehr Geld, als sich irgendjemand von den kleinen Leuten - ein Barkenführer, Wirt oder Maultiertreiber - in seinem ganzen Leben mit harter Arbeit verdienen konnte. Es war in jenen Zeiten des hohen Geldwertes wie ein Feengeschenk, und das wollten sich viele verdienen.
Dass die beiden Liebenden der allgemeinen Jagd entgingen, verdankten sie nur der Verschlagenheit Pieros, die Bianca in diesem Fall zum ersten Mal zugute kam. Mit Bewunderung und Grauen entdeckte sie den Abenteurer in ihrem wortgewandten Gatten, und sie begann zu ahnen, dass ihr Leben fortan unter ganz anderen Gesetzen stehen würde als ihre behütete Kindheit. Die Träume von der Ferne und vom Abenteuer waren unversehens Wirklichkeit geworden; das dunkle Treiben in den engen Kanälen, das Gebalge auf den Brücken und Plätzen, die Geheimnisse von der Riva Sciavoni, das alles war nicht mehr draußen vor dem Palast, sondern ganz nah, es griff nach ihr mit vielen Häscherarmen.
Da sich die Legende der Bianca Capello, ihrer Flucht, ja ihres ganzen Lebens bemächtigt hat, gibt es auch eine zweite, romantischere Version dieser Geschehnisse. Nach ihr habe Bianca das Vaterhaus allnächtlich durch ein kleines Gartenpförtchen verlassen, das sie einmal aufschloss, als sie unbemerkt an den Schlüssel gelangen konnte, und dann stets nur anlehnte, um im Morgengrauen unbemerkt heimkehren zu können. Eines Tages aber habe ein Bäckerjunge die angelehnte kleine Türe bemerkt und sie - damit kein Dieb in das Haus der Capellos eindringen könne - ins Schloss gedrückt. Als wenige Minuten später Bianca durch das Pförtchen in den Garten schlüpfen wollte, war es zu und rührte sich nicht, und sie musste sich noch im gleichen Augenblick zur Flucht mit Piero entschließen. In einem Heuboot versteckt seien die beiden auf dem Canale di Fusina aus der Stadt gelangt ...
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Als die Nachricht vom Tode Napoleons London erreichte, stürzte ein Minister König Georgs IV. in das Arbeitszimmer Seiner Majestät und meldete atemlos: »Ihr schlimmster Feind, Sire, ist soeben gestorben.«
»Was Sie nicht sagen!«, antwortete der König interessiert, »meine Frau ist tot?«
Nur wenige königliche Ehen verliefen so katastrophal wie die Georgs IV. mit Karoline von Braunschweig, und nur wenige Monarchen äußerten sich so unverblümt über ihr Ehe-Unglück wie dieser begabte, aber verkommene Herrscher, dessen Hauptvorzug es war, nie einem Skandal ausgewichen zu sein. Aber wir dürfen mit Sicherheit annehmen, dass es die fast stets aus dynastischen oder politischen Gründen geschlossenen Ehen regierender Fürsten gewesen sind, die in diesen scheinbar Auserwählten den Wunsch weckten, wirklich zu lieben und die geliebte Frau auch stets an der Seite zu haben, so wie es die Untertanen halten konnten.
Die Liebesheirat, die - von Leibeigenen abgesehen -- so gut wie jedem freistand, war dem vielbeneideten Monarchen unmöglich gemacht oder doch jahrhundertelang ungemein erschwert. Die Mätresse ist zunächst kein Luxus, sondern der Versuch, sich dieses bürgerliche Glück ebenfalls zu sichern. Die freien Verhältnisse mit Mätressen brachten es oft auf sechs, acht, zehn Jahre Dauer oder noch länger und hielten damit fester als so manche bürgerliche Ehe; die Bindungen an Mätressen überstanden meistens die sogenannten amours passagères, die flüchtigen Verhältnisse, und versorgten in der Regel den König mit einer viel gesünderen Nachkommenschaft als die legitimen Ehen. Es gibt in den europäischen Dynastien Fälle, dass sämtliche legitimen Kinder schwere Erb- und Degenerationsschäden aufwiesen, während die von dem gleichen Monarchen mit einer Mätresse gezeugten natürlichen Nachkommen wahre Prachtexemplare an Gesundheit und geistigen Fähigkeiten waren. In beinahe jeder Generation der europäischen Fürstenhäuser im sechzehnten, siebzehnten, achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert finden wir wasserköpfige Prinzen, die mit acht Jahren noch nicht gehen oder sprechen konnten, und in jeder Generation stehen neben ihnen natürliche Söhne, die das Jahrhundert erleuchten, wie der Maréchal de Saxe (Augusts des Starken Sohn mit der Königsmarck), der Herzog von Berwick (Jakobs II. Sohn mit Sarah Churchill), der hochbegabte und schöne Herzog von Monmouth (Karls II. Sohn mit Lucy Walters) und viele andere.
Während die legitimen Nachkommen nur zu oft begierig auf den Tod des Vaters warteten oder, wie im Fall etwa Heinrichs II. von England, diesen sogar selbst herbeiführten, blieben die natürlichen Söhne, da sie ohnedies keinen Herrschaftsanspruch hatten, meist treu an der Seite der Monarchen, und eben jener Heinrich zum Beispiel hauchte sein Leben in den Armen eines Mannes aus, den ihm eine Mätresse, ja vielleicht sogar eine einfache Londoner Straßendirne, geboren hatte und der seines Vaters treuester Freund blieb.
Lässt sich das alles noch einigermaßen erklären, weil die Könige schließlich unter Dutzenden oder Hunderten hübscher Hofdamen wählen konnten und Schönheit ohne Gesundheit stets selten war, so weicht der Boden der Verallgemeinerungen gleich unter unseren Füßen, wenn wir aus der Liaison des Monarchen selbst Gesetze oder auch nur Prinzipien abzuleiten versuchen. Denn die Mätressen wurden, zum Unterschied von den oft aufgezwungenen Gemahlinnen, in der Regel ja geliebt, und in der Liebe war und ist alles möglich.
Natürlich waren die meisten schön; aber es gab auch so hässliche, dass der betreffende König verdächtigt wurde, er lasse sich seine Mätressen von seinen Beichtvätern aussuchen. Natürlich hatten die meisten Geist, weil sie ohne diesen schon im Vorfeld der Intrigen hängengeblieben und über die ersten Nächte nicht zu einer lukrativen Dauerbindung vorgestoßen wären. Aber es gab auch manches niedliche Dummchen, das sich jahrelang in der Sympathie des Monarchen behaupten konnte, weil eben alle sechs Grübchen genau dort saßen, wo Majestät es wünschte. Es gab Mätressen, die den legitimen Gattinnen erbitterte Schlachten lieferten, aber auch sehr viele, die sie zu Freundinnen gewannen; es gab Mätressen, die regierten, und Königinnen, die dem Gatten Mätressen gestatteten, um selbst ungehindert regieren zu können.
Keine Mätresse hat ihren Monarchen je so betrogen, wie es manche Gemahlinnen trotz ihrer hohen Geburt und vornehmen Erziehung getan haben; auch hatten sie stets mehr Geschmack, selbst wenn sie sich fallen ließen, als die mannstollen Königinnen, die in der Ausschweifung dilettierten. Und sehr viel, was man ihnen anlastete, war weniger ihre Schuld als die ihrer königlichen Freunde und Gebieter, etwa wenn ein König seine Geliebte nackt porträtieren ließ und das Bild seiner Gemahlin sandte, oder wenn er sich mit seiner Königin über Schlafzimmerdetails seiner Mätressenerlebnisse unterhielt. Aber wir müssen zugeben, dass die Vielfalt des weiblichen Geschlechts selbst in der kleinen Schar dieser ungekrönten Geliebten noch so deutlich zutage tritt, dass sich ein typisches Verhalten der Mätressen nicht in dem Maße erkennen ließ wie auf der nächsttieferen Stufe der Liebe-Geld-Beziehung, im Falle der Dirnen.
Während nämlich bei der Kurtisane wie bei der Dirne die Liebe praktisch nicht in Erscheinung tritt und ihre Beziehung zum Mann also sachlich und damit konstant geschlechtsbezogen bleibt, haben die meisten Mätressen ihrem Monarchen zumindest aufrichtige Freundschaft, sehr oft aber auch echte und tiefe Neigung entgegengebracht. Einige der großen Mätressen gehören zweifellos auch zu den großen Liebenden: Fair Rosamond, Bianca Capello, Louise de la Vallière, Anna Mons, die Lubomirska und noch manche andere. Diese Liebe ist nicht typisch, aber so häufig, dass man sie nicht als Ausnahme bezeichnen kann, und sie verändert naturgemäß das Verhalten der Mätresse ganz wesentlich im Vergleich mit jenen anderen, die Luxus, Macht, Geltung und andere Sekundärwerte aus ihrer Beziehung zu gewinnen suchen. Erst als Mütter handeln sie wieder alle ähnlich: Jede, auch wenn sie materiell so desinteressiert war wie zum Beispiel die charaktervolle Romans oder die leichtfertige Nelly Gwynn, kämpft um die Legitimierung ihrer Nachkommenschaft. Sie waren bereit, als Konkubinen zu leben, sich von der Kanzel herab beleidigen, auf den Straßen und in Pamphleten schmähen zu lassen; ihre Kinder aber sollten Grafen und Herzöge mit wohlklingenden Namen werden ...
Und in diesem Augenblick, da sie etwas wollen, was sich in die einfache und uralte Mann-Frau-Beziehung nicht so ohne Weiteres einbeziehen lässt und was auch mit einem Röllchen Goldstücke aus der Privatschatulle nicht zu regeln ist, wird so manches Mätressenschicksal unversehens tragisch. Die Liebenden werden zu Müttern, denen man die Kinder wegnimmt, die Bescheidenen werden zu Fordernden, die dem König auf die Nerven fallen, die Schönen bekommen den scharfen Zug, den die Sorgen und das Nachdenken auch in das Gesicht der Frau zeichnen.
Und das ist es, was die Mätresse vom Günstling unterscheidet und über ihn erhebt: dass sie Frau bleibt, Mutter wird und ihren Kindern oft genau das opfert, was sie sich um den Preis eines lebenslangen Kampfes erwarb; dass sie in dem Augenblick, da sich ihr weiblicher Lebenskreis vollendet, sehr oft ihre Freiheit wiedergewinnt, auch innerlich unabhängig wird und in den natürlichen Rhythmus ihres Lebens zurückkehrt, während der Günstling so gut wie stets in dem Zauberkreis des Hofes und der Macht wie gebannt verharrt, aufsteigt oder untergeht, nie aber verzichtet.
Die Verurteilung der Mätresse und ihre moralische Abwertung gehören einer vergangenen Zeit an, wie die Mätresse selbst. Es interessiert uns heute nicht sonderlich, dass die Zeitgenossen über diese oder jene galante Gräfin die Nase rümpften. Nur um die Monarchen richtig zu beurteilen, die sich jene Mätressen hielten, möchten wir zum Schluss daran erinnern, dass Beziehungen dieser Art selbst von strengen und frommen Frauen wie etwa Maria Theresia von Österreich nicht als Ehebruch gewertet wurden.
Die Mätresse war eine Institution; sie war nicht nur eine private Wunschlösung für den Fürsten, sondern wurde sehr oft auch gewählt, um dem Hof mehr Glanz zu verleihen, um ihn zu einem Musenhof zu machen, wie er um eine hässliche, muffige und beschränkte Prinzessin eben auch dann nicht entstehen konnte, wenn diese Königin geworden war.
Die Mätresse, vor allem die offizielle, die Favoritin, die maitresse en titre, hatte die Funktion übernommen, den König darüber zu trösten, dass ihm eine Liebesheirat verwehrt worden war. Die Mätresse war Folge und Voraussetzung dieser dynastischen Ehen, und sie war doch etwas ganz anderes als eine zweite Frau: eine Ergänzung der ersten, eine Komplettierung und, wenn diese erste gestorben war, sehr oft jener Ersatz, der die Nachkommenschaft aus der ersten legitimen Ehe vor unliebsamer Konkurrenz aus späteren Ehen schützte.
Als Georg II. am Totenbett seiner klugen Caroline, einer geborenen Prinzessin von Ansbach saß, war die Hauptsorge der sterbenden Königin, was wohl aus ihrem geist- und hilflosen Gatten werden sollte, und sie empfahl ihm, sich recht bald wieder zu verheiraten. Georg II. aber hatte Caroline viel zu sehr geliebt: »Mich wieder verheiraten? Niemals!«, rief er entrüstet und setzte schluchzend hinzu: »Ich werde mir eben Mätressen halten.«
Es war zweifellos ein Gedanke, der in diesem Augenblick beide Gatten tröstete ...
Brouage, im April 1967 L. B.
1
GIFTMISCHEREI UND LIEBE - EIN MEDICÄISCHER AUFTAKT
Lange bevor Paris sich den Ruf erwarb, eine besonders sündige Stadt zu sein, galt Venedig als eine Art orientalischen Sündenpfuhls auf dem Boden des christlichen Europa. Während die Hafenorte des christlichen Spanien Pforten des Paradieses waren, aus denen die Seefahrer ihrer katholischen Majestäten in die eben entdeckte neue Welt segelten, hatte Venedig zu allen Zeiten eine besonders intime Verbindung mit dem Orient besessen und selbst in der Zeit der Kreuzzüge, da Europa sich zu einem heiligen Krieg geeinigt hatte, nicht ganz von dem einträglichen Handel mit Alexandrien lassen können.
Auch aus anderen Gründen war die Lagunenstadt vielen ein Dorn im Auge. Es gab dort keinen König oder Fürsten; die Häupter der Stadt wurden gewählt, nicht durch legitime Erbfolge bestimmt, und ein- bis zweimal im Jahr fanden auf verschiedenen Plätzen der Lagunenstadt sogar Sklavenmärkte statt, wo sich begüterte Venezianer Knaben und Mädchen aus der Türkei, dem Kaukasus oder Arabien für Preise kaufen konnten, die zwischen fünfzehn und achtzig Golddukaten lagen. Selbst ein Doge, der siebzigjährige Pietro Mocenigo, hatte auf diese Weise zwei junge Türkinnen erstanden, die seine alten Tage verschönten ...
Es ging also ziemlich frei zu in der alten Republik, die ihre Gäste schonte und die Atmosphäre für Händlergespräche nicht dadurch abkühlen wollte, dass die Fleischessünden allzu heftig verfolgt wurden. Skandale gab es eigentlich nur dann, wenn eine der großen Familien, eine jener Sippen, aus denen die Räte und die Dogen hervorgingen, vergaß, was sie ihrem Namen und der Republik schulde. Das war erstaunlich selten der Fall; 1482 hatte Bernardino Correr versucht, einem schönen Jüngling Gewalt anzutun. Zwei Jahre darauf hatte sich Antonio Loredano, venezianischer Gesandter in Rom, der Sodomie schuldig gemacht, und 1491 legte man dem Patrizier Marcus Balbi ein ähnliches Verbrechen an Mönchen von Santa Anna di Castello zur Last. Aber all diese Untaten waren vergessen, als 1526 der Patrizier Andrea Michiel die reiche Kurtisane Cornelia Griffo heiratete.
In manchen der Paläste, deren Stufen zum Canal Grande hinabführen, sah man schon damals das Ende der Republik kommen. Beim Licht der Wachskerzen - kein vornehmer Venezianer brannte je Talglichter - flüsterten die alten Familien vom Unheil des Sittenverfalls und beklagten den Niedergang der Serenissima, der mächtigen, glänzenden Stadt, die nun, nach der Entdeckung Amerikas, fernab von den Linien des Weltverkehrs am Ende einer langen Meeresbucht lag und nur noch nach Osten blickte.
Der schlimmste Schimpf aber stand der Lagunenstadt noch bevor: Ein Florentiner geringer Herkunft, ein Handlungsgehilfe namens Piero Buonaventuri, hatte die Tochter eines venezianischen Patriziers geschwängert, ja mehr als das: er hatte sie aus dem Palast der Eltern entführt und sich auf der Flucht mit ihr trauen lassen!
Das Mädchen hieß Bianca und war 1548 als Tochter des reichen und angesehenen Bartolomeo Capello zur Welt gekommen. Als zwanzig Jahre zuvor eine Frau die Tür eines Capello mit Pech beschmiert hatte, um ihn zu schmähen, wurde sie auf zehn Jahre aus Venedig verbannt. Als Bianca heranwuchs und immer schöner wurde, durfte ihr Vater sich die stolzesten Gedanken über den künftigen Schwiegersohn machen und von einer glückhaften Verbindung träumen, die zwei mächtige Familien zu einer Sippe zusammenschließen würde. Aber Bianca war nicht nur jung und schön, sondern auch verspielt und in den Hirngespinsten befangen, die ihr französische und spanische Ritterromane eingaben. Sie blickte oft lange, viel zu lange, aus den schmalen, hohen Fenstern des väterlichen Palastes auf die Kanäle und die Brücken hinunter, in die Gondeln und die Boote und auf das bunte Treiben der großen Handelsstadt. Sie sah die dunkelhäutigen Schiffer in grellen Seidengewändern, sie sah junge Männer mit Dolchen und Degen, sie sann ihnen allen nach in der Einsamkeit ihres hohen, kühlen Gemachs, bis der Tag kam, an dem einer auf sie zutrat.
Sie erschrak und sah sich hilfesuchend nach der Magd um, die zwei Schritte hinter ihr mit dem schweren Einkaufskorb ging. Der junge Mann war wie einer der Fremden aus dem Orient gekleidet, ganz in rosenfarbene Seide, aber er sprach das schöne Italienisch der Toscana und stellte sich als Spross der Familie Salviati vor, eines Bankhauses, dessen Namen jeder kannte, auch Bianca Capello.
Es war seltsam und ein wenig beängstigend, solch einen Traumprinzen nun lebendig neben sich zu haben. Wenn er auf sie einsprach und den Arm um sie legte, wünschte Bianca sich die stillen Stunden am hohen Fenster zurück, wo sie aus sicherer Entfernung schauen und grübeln konnte. Saß sie dann aber wieder allein in der kühlen Mädchenstube, so war es Piero Salviati, nach dem sie sich sehnte.
Es gehört zu den Wundern Venedigs, dass in dieser Stadt mit den Inselklöstern und der besten Geheimpolizei, den fürchterlichsten Kerkern und der besten Verwaltung die heimliche Liebe doch so üppig gedieh und so lange unbeachtet bleiben konnte wie in kaum einer anderen Stadt jener Zeit. In Nürnberg oder Augsburg, in Madrid oder Straßburg wären sie längst entdeckt worden, die Patrizierstochter und der verkleidete Kommis. In Venedig aber glitten sie halbe Nächte lang lautlos durch die Kanäle, und die Gondolieri, die sie fuhren, schwiegen wie das Grab, weil sie alle von den Liebenden lebten, von den späten Besuchern der Klöster und den vor Morgengrauen heimkehrenden vermummten Ehefrauen.
Als Bianca fühlte, dass sie ein Kind trug, wusste sie auch, dass sie für das nächtliche Glück würde bezahlen müssen, denn in der Stadt der elftausend Dirnen galt es als Verbrechen -nicht nur als Schande -- wenn unverheiratete junge Leute einander angehörten. Und weil es ein Verbrechen war und nicht bloß ein Missgeschick, wagte Bianca auch nicht, sich ihren Eltern zu eröffnen. Ihre Mutter, eine geborene Morosini und noch reicher als ihr Vater, hätte für Bianca ebenso wenig Verständnis gehabt wie Bartolomeo Capello, der Mann, den dieser Fehltritt seiner Tochter aufs Fürchterlichste bloßstellte.
Also flohen Piero und Bianca. Ein Onkel und eine Magd halfen ihnen, das wenige Gepäck war schnell im Boot. Man brauchte nicht weit zu fliehen in jenen Tagen, die Grenzen der Republik Venedig reichten nur wenige Meilen ins Land hinein, zumindest im Südwesten, wo Bianca und Piero ihr Heil suchten: in der Richtung, in der die Stadt Florenz lag.
Um wenigstens als Mann und Frau auftreten zu können, um nicht in jedem Gasthof scheel angesehen zu werden und ein Papier zu besitzen, hatten sie sich schon zu Beginn der Flucht, bald nachdem sie venezianisches Gebiet verlassen hatten, einem Priester vorgestellt und gebeten, dass er sie traue. Dabei hatte Bianca den richtigen Namen des Geliebten erfahren: Piero Buonaventuri, und sich sagen müssen, dass der Mann, den sie liebte, sie vom ersten Augenblick an belogen hatte.
In Venedig war man nicht untätig geblieben. Die Republik handelte schnell, wenn sie in ihrer Ehre gekränkt war. Der Hohe Rat trat zusammen und fällte ein hartes Urteil, auf das vor allem ein Verwandter Biancas, der Kardinal Grimani, Patriarch von Aquileja, hingearbeitet hatte. Die beiden Beschützer der jungen Leute, die Magd und der Onkel Pieros, wurden zu lebenslanger Haft in den Kerkern der Republik verurteilt, Piero Buonaventuri aber zum Tode. Zugleich setzte der Rat eine Kopfprämie von zweitausend Dukaten aus, tausend aus dem Staatsschatz, tausend aus dem Vermögen Bartolomeo Capellos, und diese zweitausend Goldstücke waren vielleicht die furchtbarste Gefahr für Bianca und Piero. Es war mehr Geld, als sich irgendjemand von den kleinen Leuten - ein Barkenführer, Wirt oder Maultiertreiber - in seinem ganzen Leben mit harter Arbeit verdienen konnte. Es war in jenen Zeiten des hohen Geldwertes wie ein Feengeschenk, und das wollten sich viele verdienen.
Dass die beiden Liebenden der allgemeinen Jagd entgingen, verdankten sie nur der Verschlagenheit Pieros, die Bianca in diesem Fall zum ersten Mal zugute kam. Mit Bewunderung und Grauen entdeckte sie den Abenteurer in ihrem wortgewandten Gatten, und sie begann zu ahnen, dass ihr Leben fortan unter ganz anderen Gesetzen stehen würde als ihre behütete Kindheit. Die Träume von der Ferne und vom Abenteuer waren unversehens Wirklichkeit geworden; das dunkle Treiben in den engen Kanälen, das Gebalge auf den Brücken und Plätzen, die Geheimnisse von der Riva Sciavoni, das alles war nicht mehr draußen vor dem Palast, sondern ganz nah, es griff nach ihr mit vielen Häscherarmen.
Da sich die Legende der Bianca Capello, ihrer Flucht, ja ihres ganzen Lebens bemächtigt hat, gibt es auch eine zweite, romantischere Version dieser Geschehnisse. Nach ihr habe Bianca das Vaterhaus allnächtlich durch ein kleines Gartenpförtchen verlassen, das sie einmal aufschloss, als sie unbemerkt an den Schlüssel gelangen konnte, und dann stets nur anlehnte, um im Morgengrauen unbemerkt heimkehren zu können. Eines Tages aber habe ein Bäckerjunge die angelehnte kleine Türe bemerkt und sie - damit kein Dieb in das Haus der Capellos eindringen könne - ins Schloss gedrückt. Als wenige Minuten später Bianca durch das Pförtchen in den Garten schlüpfen wollte, war es zu und rührte sich nicht, und sie musste sich noch im gleichen Augenblick zur Flucht mit Piero entschließen. In einem Heuboot versteckt seien die beiden auf dem Canale di Fusina aus der Stadt gelangt ...
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Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Bibliographische Angaben
- Autor: Hermann Schreiber
- 352 Seiten, Maße: 13 x 21 cm, Gebunden
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828945325
- ISBN-13: 9783828945326
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