Maggie O Dell Band 9: Fleisch
Thriller. Deutsche Erstausgabe
Es riecht noch nach verbranntem Fleisch, als FBI-Profilerin Maggie O'Dell den Tatort erreicht. Von explodierenden Lichtern ist die Rede, von einem Biest mit roten Augen Halluzinationen nach einer Drogenparty? Oder Realität? Maggie geht dem Hexenkessel auf den Grund.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Maggie O Dell Band 9: Fleisch “
Es riecht noch nach verbranntem Fleisch, als FBI-Profilerin Maggie O'Dell den Tatort erreicht. Von explodierenden Lichtern ist die Rede, von einem Biest mit roten Augen Halluzinationen nach einer Drogenparty? Oder Realität? Maggie geht dem Hexenkessel auf den Grund.
Klappentext zu „Maggie O Dell Band 9: Fleisch “
Der Geruch von verbranntem Fleisch hängt noch in Nebraskas Herbstluft, als FBI-Profilerin Maggie O Dell den Tatort erreicht. Eine grausige Szene: Teenager liegen auf dem Waldboden, weit aufgerissene Augen, Brandwunden, zwei Tote. Von explodierenden Lichtern ist die Rede, von einem Biest mit roten Augen Halluzinationen nach einer Drogenparty? Oder Realität? Maggie versucht, diesem Hexenkessel auf den Grund zu gehen. Aber sie ist nicht schnell genug: Jemand nimmt die Überlebenden ins Visier, ermordet einen nach dem anderen. Wen Maggie jetzt dringend bräuchte, sind ihr Partner R.J. Tully und Dr. Benjamin Platt vom Medical Research Institut. Doch die sind an der Ostküste in einen ähnlich verstörenden Fall verwickelt ...
Der Geruch von verbranntem Fleisch hängt noch in Nebraskas Herbstluft, als FBI-Profilerin Maggie O'Dell den Tatort erreicht. Eine grausige Szene: Teenager liegen auf dem Waldboden, weit aufgerissene Augen, Brandwunden, zwei Tote. Von explodierenden Lichtern ist die Rede, von einem Biest mit roten Augen - Halluzinationen nach einer Drogenparty? Oder Realität? Maggie versucht, diesem Hexenkessel auf den Grund zu gehen. Aber sie ist nicht schnell genug: Jemand nimmt die Überlebenden ins Visier, ermordet einen nach dem anderen. Wen Maggie jetzt dringend bräuchte, sind ihr Partner R.J. Tully und Dr. Benjamin Platt vom Medical Research Institut. Doch die sind an der Ostküste in einen ähnlich verstörenden Fall verwickelt ...
Lese-Probe zu „Maggie O Dell Band 9: Fleisch “
Fleisch von Alex Kava1. KAPITEL
Nebraska-Nationalforst Halsey, Nebraska
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Dawson Hayes blickte über das Lagerfeuer hinweg. Er erkannte die Versager sofort. Es war beinahe zu einfach, sie auszumachen.
Er hätte so tun können, als habe er eine Art Superradar, mit dem er die Leute durchschauen konnte, aber in Wahrheit erkannte er sie, weil er ... Wie ging der Spruch noch mal? Aus dem gleichen Holz geschnitzt war. Vor nicht allzu langer Zeit hätte es ihn noch dort drüben zu ihnen hingedrängt, hätte er sich gefragt, warum er eingeladen worden war, schwitzend und voller Neugier, was der Preis für diese Einladung sein würde.
Sie taten ihm nicht leid. Sie hätten nicht zu kommen brauchen. Niemand hatte sie in einen Kofferraum geworfen und hierhergeschafft. Also würde alles, was hier geschah, gewissermaßen ihre eigene Schuld sein. Der Preis, den sie zahlen mussten für den Wunsch, jemand sein zu wollen, der sie nicht waren. In den Club der Coolen wurde man nicht aufgenommen, ohne ein Opfer zu bringen. Und falls sie anders darüber dachten, dann waren sie wirklich hoffnungslose Versager.
Dawson akzeptierte wenigstens, wer er war. Oder besser gesagt: Es machte ihm nichts aus. Er unterschied sich gerne von seinen Mitschülern, und manchmal trug er auch seinen Teil dazu bei. An den Freitagen, an denen Football gespielt wurde und alle in den Schulfarben herumliefen, trug er Schwarz. Als Außenseiter wurde er wenigstens bemerkt. Trainer Hickman verdrehte jetzt sogar die Augen, sowie er ihn sah - bevor er anfing, freitags schwarze Sachen anzuziehen, hatte der Trainer sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich seinen Namen zu merken.
Zu Beginn eines jeden neuen Schuljahrs, wenn der Trainer vor dem Geschichtsunterricht die Namensliste durchgegangen war, hatte er "Dawson Hayes" gerufen und sich im Klassenzimmer umgesehen. Er schaute über Dawson hinweg und manchmal direkt in sein Gesicht. Wenn Dawson dann die Hand hob, schnellten die Augenbrauen des Trainers überrascht in die Höhe, als hätte er niemals vermutet, dass sich hinter einem so lässigen Namen wie Dawson Hayes jemand mit pickligem Gesicht und zögerlichem, dünnem Arm verbarg. Dawson machte es nichts aus. So langsam wusste man, wer er war, und es spielte keine Rolle, wie es dazu kam.
Doch Dawson war auch klar, dass er einzig und allein deshalb regelmäßig zu diesen exklusiven Versammlungen im Wald eingeladen wurde, weil Johnny Bosh mochte, was er zu der Party mitbrachte. Jetzt brannte dieses Etwas gerade ein Loch in seine Jackentasche. Er versuchte, den Gedanken daran zu verdrängen. Versuchte, nicht daran zu denken, wie er es vorhin aus dem Holster seines Vaters mitgehen ließ, während dieser geschlafen hatte, weil er keine Nachtschicht hatte. Genau - er hatte es mitgehen lassen, nur ausgeliehen, nicht geklaut. Seinen Dad würde es wahrscheinlich gar nicht mal stören, solange er nicht erfuhr, dass Dawson sich mit Johnny B. traf. Okay, das stimmte nicht. Sein Dad wäre stinksauer. Aber ermunterte er Dawson nicht dauernd dazu, Freunde zu finden und Dinge zu tun, die andere in seinem Alter auch machten? Anders ausgedrückt: Er sollte zur Abwechslung mal ein ganz normaler Teenager sein.
Und genau das war Teil des Problems: Er war einfach zu normal. Er war kein Sport-Superstar wie Johnny B. oder ein harter, tabakkauender Cowboy wie Lucas oder ein Genie wie Kyle. Doch schon den X26-Taser einfach nur zu halten, mit dem leichten leuchtend gelben Gehäuse, das perfekt in seiner Hand lag, gab Dawson eine ganz neue Identität und Selbstvertrauen. Er musste nur zielen, und wham!, schossen 50.000 Volt pure Elektrizität heraus. Und mit einem Mal war Dawson Hayes jemand. Eben noch schwach, jetzt stark. Mit diesem kleinen Stück Technik in seiner Hand konnte er alles erreichen.
Gut, vielleicht lag es nicht nur an dem Taser. Vielleicht hatte auch das Salvia ein bisschen damit zu tun. Er kaute jetzt seit etwa einer Viertelstunde darauf herum und konnte die Wirkung schon spüren. Aber das war nur einer der Höhepunkte heute Abend.
Dawson suchte die Kamera, die hinter einigen niedrig hängenden Kiefernästen verborgen war. Sie war gut versteckt, und er konnte das blinkende grüne Licht nur deshalb ausmachen, weil er Johnny vorhin geholfen hatte, sie aufzustellen. Sie hatten darauf geachtet, dass das Stativ mit den Zweigen verschmolz. Sonst wusste niemand, dass es die Kamera gab. Es hatte seine Vorteile, der geduldete Außenseiter zu sein.
Dawson blickte über den Zeltplatz, den sie in diesem abgeschiedenen Teil des Kiefernwaldes aus dem Boden gestampft hatten. Wahrscheinlich hätten sie hier am Waldrand nicht mal ein verdammtes Feuer machen dürfen. Johnny B. sagte, diese Stelle könne weder von der Straße noch vom Aussichtsturm aus gesehen werden, aber eigentlich spielte das keine Rolle. Dort würde ohnehin niemand sein. Auf der einen Seite war offenes Feld, leicht hügeliges Land mit hohem Gras, das mit einem Stacheldrahtzaun abgegrenzt war. Auf der anderen Seite begann das Gelbkiefern- Dickicht, und ein Stück entfernt schlängelte sich der Dismal River vorbei. Dawson konnte das Wasser hören, wie es leise über die Steine plätscherte.
Ihre Autos hatten sie etwa eine Viertelmeile entfernt stehen lassen, auf einem verlassenen Parkplatz, zu dem ein Feldweg durch das kniehohe Gras führte. Um in den Wald zu gelangen, hatten sie sogar über den Stacheldrahtzaun klettern müssen. Die kleine Wanderung war nur der erste Test dieser Nacht, allerdings fand Dawson, dass er ziemlich viel über die heutigen Gäste aussagte: wie sie damit zurechtkamen, über die scharfen Stacheln zu steigen, ob sie sich anschließend umdrehten, um dem Nächsten zu helfen, über den Zaun zu kommen oder drunter durch, ob sie sich selbst nach Hilfe umsahen - oder, schlimmer noch, ob sie Hilfe erwarteten.
Das war noch etwas, wodurch sich Dawson von anderen Gleichaltrigen unterschied: Er beobachtete gerne, wie Menschen aufeinander reagierten, auf ihre Umgebung, und vor allem, wie sie mit Unvorhersehbarem umgingen. Seine Generation bestand doch nur aus hirnlosen Zombies, die einander nachahmten und kopierten, gefangen in ihrer kleinen Welt. Sie beschäftigten sich bloß mit der Frage "Was ist?", nicht mit "Was wäre, wenn?". Das war es, was ihn wahrscheinlich am meisten an Johnnys Experimenten interessierte.
Heute waren nur sieben von ihnen da, und trotzdem standen sie noch in Cliquen herum. Johnny war von den Tussis umgeben, Courtney und Amanda. Sogar Nikki hatte sich heute den coolen Mädels angeschlossen. Das fand Dawson enttäuschend. Er hatte gehofft, Nikki wäre besser. Die drei Mädchen sahen aus, als hingen sie an Johnnys Lippen. Sie lachten, warfen ihr Haar zurück und neigten dann ihre Köpfe, so, wie Mädchen es taten, um ihr Interesse auszudrücken.
Alles nur Illusion. Jeder, der nur ein bisschen Verstand besaß, konnte sehen, wer hier das Sagen hatte, wer wen kontrollierte.
Doch das war in Ordnung. Johnny war gut darin, so zu tun, als wäre es sein Club, seine Party. Als würde er bestimmen, wo es langgeht. Er war Quarterback und Ballkönig, und er hatte Charme, verfügte aber auch über eine ausreichend harte Ausstrahlung, sodass niemand ihn anmachte. Es war besser, Johnnys Freund zu sein als jemand, der ihn nervte.
Dawson wusste nicht genau, warum Johnny den Taser wollte. Er hatte ihn nicht nötig. Johnny strotzte vor Selbstbewusstsein, sogar in diesen albernen Cowboystiefeln. Die Rocker-Lederjacke war ein bisschen dick aufgetragen, passte allerdings zu seinem Image. Die anderen nannten ihn Johnny B., und das war der coolste Spitzname überhaupt. Dawson hatte gehört, wie sogar Mr Bosh bei einem Footballspiel "Johnny be good" gerufen hatte, und dann hatte er gelacht, als erwarte er alles andere von seinem Sohn, als brav zu sein, und als fände er das völlig in Ordnung.
Der erste Lichtblitz kam geräuschlos. Jeder drehte sich um, aber nur kurz.
Der zweite Blitz zerbarst über ihren Köpfen. Dawson dachte zuerst, es wäre ein Gewitter, doch vor seinen Augen verschwamm er zu blauen und violetten Adern, die sich über den Baumwipfeln ausbreiteten wie Risse im Abendhimmel.
Dawson hörte die anderen "Ohh" und "Ahh" ausrufen und musste lächeln. Sie waren auf einem Trip und genossen das Feuerwerk. Bei ihm war es wohl auch schon so weit.
Früher hatte er kein Salvia genommen, aber Johnny hatte gemeint, es sei besser als alles aus dem Medizinschrank zu Hause und viel stärker als normales Gras. Johnny sagte, es sei "enorm cool", wie ein "Rock'n'Roll-Feuerwerk, das dir das Gehirn zerquetscht und dich glauben lässt, du könntest fliegen".
Das Zeug sah ja harmlos aus. Grün, von der gleichen Farbe wie normaler Salbei, mit breiten Blättern. Es hätte einfach in einem der alten Blumenbeete seiner Mutter wachsen können. Verdammt, wie er seine Mom vermisste! Dawson drückte etwas mehr von den Blättern zu einem kleinen Päckchen zusammen und steckte es in den Mund, zwischen die Zähne und die Backe, als würde er Tabak kauen. Der bittere Geschmack machte ihm nichts mehr aus.
Johnny hatte die Pflanze als "Sally D." bezeichnet und ihnen gesagt, dass die Indianer sie als Heilpflanze verwendeten. "Es macht die Nebenhöhlen frei, säubert den Darm, lindert Schmerzen und dämpft das Rauschen im Gehirn", hatte er ihnen erklärt.
Trotzdem hatte er letzte Woche auch recht aufgeregt geklungen, während er sie alle das Oxycontin schnupfen ließ, das er zu Pulver zerstoßen hatte. Er hatte nur zwei Pillen aus dem Medizinschrank seiner Mutter entwenden können, und weil sie auf ein Dutzend Leute verteilt worden waren, war nicht ganz die Wirkung eingetreten, die Johnny ihnen versprochen hatte. Aber dennoch, da war er wieder, klang wie der Moderator einer Verkaufssendung, ließ seinen Zauber wirken und brachte sie dazu, es zu versuchen, in der Hoffnung, sich gut zu fühlen und cool zu sein.
Es war noch nicht einmal eine Minute her, seit Dawson noch was genommen hatte, doch er fühlte schon die Leichtigkeit in seinem Kopf. Der Kick koppelte ihn von den anderen ab. Er sah zwar, wie sie herumstolperten und lachten und auf den Himmel deuteten, aber es war, als würde er sie von einem anderen Raum aus betrachten, aus einer anderen Zeitzone heraus, wie in Zeitlupe von einer anderen Galaxie. Oder vielleicht in einem riesigen Flachbildfernseher.
Dawson stellte sich eine Verkaufssendung vor, hörte blödsinnige Rapjingles, die von einem tiefen Bass begleitet wurden, der wummerte, wummerte, wummerte, tief in seinem Schädel. Die Äste der Bäume begannen zu schwingen. Die Stämme vermehrten sich, verdoppelten sich, verdreifachten sich.
Dann sah er die roten Augen.
Sie verbargen sich in einem Busch, hinter Kyle und Lucas, genau hinter Amanda.
Glühende Punkte, die beobachteten und hin und her zuckten.
Warum sehen die anderen dieses Wesen nicht?
Dawson öffnete den Mund, um sie zu warnen, aber es kam kein Ton heraus. Er hob seinen Arm, um zu deuten, doch er konnte seine Hand nicht erkennen, gelb und grün, beinahe fluoreszierend in dem blitzenden Stroboskoplicht, das aus den Baumwipfeln kam. Das Licht sprang und wogte, wurde zu Violett und Blau und prasselte durch die Zweige.
In dem Moment roch Dawson die Hitze. Fast, als hätte jemand ein Bügeleisen zu lange angelassen. Plötzlich wurde der Geruch stärker. Er erinnerte ihn an versengte Hotdogs an einem Lagerfeuer - schwarzes, knuspriges, verbranntes Fleisch. Ihm fiel ein, dass sie gar nichts zum Grillen mitgebracht hatten.
Als Erstes fühlte er ein Kribbeln. Elektrizität breitete sich aus. Die anderen spürten es auch. Die Ohhs und Ahhs waren verstummt. Stattdessen torkelten alle herum, die Gesichter nach oben gerichtet, die Baumwipfel absuchend.
Dawson schaute wieder zu dem Gebüsch und suchte die roten Augen. Weg.
Er drehte den Kopf. Seine Augen scannten die Gegend, seine Blicke schossen hin und her. Er vernahm ein mechanisches Klicken in seinem Kopf, als wären seine Augen zu einer Maschine geworden. Jedes Blinzeln war wie die Blende einer Kamera, auf und zu. Jede Bewegung rief ein Ticken hervor, das in seinem Schädel widerhallte. Seine Nasenflügel blähten sich auf, sogen Luft ein, die seine Lunge zu versengen schien. Einen metallischen Geschmack im Mund.
Der nächste Lichtblitz zischte vorüber und hinterließ einen Schweif aus Funken.
Dieses Mal hörte Dawson erstaunte Rufe. Und dann Schmerzensschreie.
Plötzlich kamen die glühenden roten Augen aus dem Gebüsch. Sie rasten direkt auf Dawson zu, über den Platz hinweg. Ein vermummter Wolf, gleißend, die weißen Zähne gefletscht, Lichtfunken schossen aus seinen ausgestreckten Armen.
Dawson hob seinen eigenen Arm, zielte mit dem Taser und drückte ab.
Das Wesen taumelte zurück, fiel und stürzte ins Gebüsch. Glühende Sterne stoben aus einem Bett von Kiefernnadeln heraus. Dawson wartete nicht, bis das Wesen wieder auf die Füße sprang. Er drehte sich um und rannte, zumindest seine Beine taten es. Der Rest von ihm fühlte sich an, als würde er getragen, gestoßen, in den Wald gedrängt von einer Kraft, die viel stärker war als seine eigenen Füße.
Alles, was er tun konnte, war, die Arme zu heben und das Gesicht vor den Zweigen zu schützen, die an seinen Kleidern zerrten und seine Haut aufrissen. Er konnte nichts sehen. Das Wummern in seinem Schädel übertönte jedes andere Geräusch. Die Blitze hinter ihm waren heiß und hell. Vor ihm die vollkommene Dunkelheit.
Der Stacheldrahtzaun erwischte ihn hart, und der Stromschlag riss ihn von den Beinen. Er schwankte und spürte die Stiche in seiner Haut. Er fühlte sich wie ein Fisch an der Angel, nur dass die Angel tausend Haken hatte. Der Schmerz umgab seinen ganzen Körper, durchbohrte ihn von allen Seiten.
Als Dawson Hayes auf dem Boden aufschlug, war sein T-Shirt blutdurchtränkt.
MIRA Taschenbuch Band 25611 © 2011 by S.M. Kava Originaltitel: Hotwire Übersetzung: Carla Altenkirch
Dawson Hayes blickte über das Lagerfeuer hinweg. Er erkannte die Versager sofort. Es war beinahe zu einfach, sie auszumachen.
Er hätte so tun können, als habe er eine Art Superradar, mit dem er die Leute durchschauen konnte, aber in Wahrheit erkannte er sie, weil er ... Wie ging der Spruch noch mal? Aus dem gleichen Holz geschnitzt war. Vor nicht allzu langer Zeit hätte es ihn noch dort drüben zu ihnen hingedrängt, hätte er sich gefragt, warum er eingeladen worden war, schwitzend und voller Neugier, was der Preis für diese Einladung sein würde.
Sie taten ihm nicht leid. Sie hätten nicht zu kommen brauchen. Niemand hatte sie in einen Kofferraum geworfen und hierhergeschafft. Also würde alles, was hier geschah, gewissermaßen ihre eigene Schuld sein. Der Preis, den sie zahlen mussten für den Wunsch, jemand sein zu wollen, der sie nicht waren. In den Club der Coolen wurde man nicht aufgenommen, ohne ein Opfer zu bringen. Und falls sie anders darüber dachten, dann waren sie wirklich hoffnungslose Versager.
Dawson akzeptierte wenigstens, wer er war. Oder besser gesagt: Es machte ihm nichts aus. Er unterschied sich gerne von seinen Mitschülern, und manchmal trug er auch seinen Teil dazu bei. An den Freitagen, an denen Football gespielt wurde und alle in den Schulfarben herumliefen, trug er Schwarz. Als Außenseiter wurde er wenigstens bemerkt. Trainer Hickman verdrehte jetzt sogar die Augen, sowie er ihn sah - bevor er anfing, freitags schwarze Sachen anzuziehen, hatte der Trainer sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich seinen Namen zu merken.
Zu Beginn eines jeden neuen Schuljahrs, wenn der Trainer vor dem Geschichtsunterricht die Namensliste durchgegangen war, hatte er "Dawson Hayes" gerufen und sich im Klassenzimmer umgesehen. Er schaute über Dawson hinweg und manchmal direkt in sein Gesicht. Wenn Dawson dann die Hand hob, schnellten die Augenbrauen des Trainers überrascht in die Höhe, als hätte er niemals vermutet, dass sich hinter einem so lässigen Namen wie Dawson Hayes jemand mit pickligem Gesicht und zögerlichem, dünnem Arm verbarg. Dawson machte es nichts aus. So langsam wusste man, wer er war, und es spielte keine Rolle, wie es dazu kam.
Doch Dawson war auch klar, dass er einzig und allein deshalb regelmäßig zu diesen exklusiven Versammlungen im Wald eingeladen wurde, weil Johnny Bosh mochte, was er zu der Party mitbrachte. Jetzt brannte dieses Etwas gerade ein Loch in seine Jackentasche. Er versuchte, den Gedanken daran zu verdrängen. Versuchte, nicht daran zu denken, wie er es vorhin aus dem Holster seines Vaters mitgehen ließ, während dieser geschlafen hatte, weil er keine Nachtschicht hatte. Genau - er hatte es mitgehen lassen, nur ausgeliehen, nicht geklaut. Seinen Dad würde es wahrscheinlich gar nicht mal stören, solange er nicht erfuhr, dass Dawson sich mit Johnny B. traf. Okay, das stimmte nicht. Sein Dad wäre stinksauer. Aber ermunterte er Dawson nicht dauernd dazu, Freunde zu finden und Dinge zu tun, die andere in seinem Alter auch machten? Anders ausgedrückt: Er sollte zur Abwechslung mal ein ganz normaler Teenager sein.
Und genau das war Teil des Problems: Er war einfach zu normal. Er war kein Sport-Superstar wie Johnny B. oder ein harter, tabakkauender Cowboy wie Lucas oder ein Genie wie Kyle. Doch schon den X26-Taser einfach nur zu halten, mit dem leichten leuchtend gelben Gehäuse, das perfekt in seiner Hand lag, gab Dawson eine ganz neue Identität und Selbstvertrauen. Er musste nur zielen, und wham!, schossen 50.000 Volt pure Elektrizität heraus. Und mit einem Mal war Dawson Hayes jemand. Eben noch schwach, jetzt stark. Mit diesem kleinen Stück Technik in seiner Hand konnte er alles erreichen.
Gut, vielleicht lag es nicht nur an dem Taser. Vielleicht hatte auch das Salvia ein bisschen damit zu tun. Er kaute jetzt seit etwa einer Viertelstunde darauf herum und konnte die Wirkung schon spüren. Aber das war nur einer der Höhepunkte heute Abend.
Dawson suchte die Kamera, die hinter einigen niedrig hängenden Kiefernästen verborgen war. Sie war gut versteckt, und er konnte das blinkende grüne Licht nur deshalb ausmachen, weil er Johnny vorhin geholfen hatte, sie aufzustellen. Sie hatten darauf geachtet, dass das Stativ mit den Zweigen verschmolz. Sonst wusste niemand, dass es die Kamera gab. Es hatte seine Vorteile, der geduldete Außenseiter zu sein.
Dawson blickte über den Zeltplatz, den sie in diesem abgeschiedenen Teil des Kiefernwaldes aus dem Boden gestampft hatten. Wahrscheinlich hätten sie hier am Waldrand nicht mal ein verdammtes Feuer machen dürfen. Johnny B. sagte, diese Stelle könne weder von der Straße noch vom Aussichtsturm aus gesehen werden, aber eigentlich spielte das keine Rolle. Dort würde ohnehin niemand sein. Auf der einen Seite war offenes Feld, leicht hügeliges Land mit hohem Gras, das mit einem Stacheldrahtzaun abgegrenzt war. Auf der anderen Seite begann das Gelbkiefern- Dickicht, und ein Stück entfernt schlängelte sich der Dismal River vorbei. Dawson konnte das Wasser hören, wie es leise über die Steine plätscherte.
Ihre Autos hatten sie etwa eine Viertelmeile entfernt stehen lassen, auf einem verlassenen Parkplatz, zu dem ein Feldweg durch das kniehohe Gras führte. Um in den Wald zu gelangen, hatten sie sogar über den Stacheldrahtzaun klettern müssen. Die kleine Wanderung war nur der erste Test dieser Nacht, allerdings fand Dawson, dass er ziemlich viel über die heutigen Gäste aussagte: wie sie damit zurechtkamen, über die scharfen Stacheln zu steigen, ob sie sich anschließend umdrehten, um dem Nächsten zu helfen, über den Zaun zu kommen oder drunter durch, ob sie sich selbst nach Hilfe umsahen - oder, schlimmer noch, ob sie Hilfe erwarteten.
Das war noch etwas, wodurch sich Dawson von anderen Gleichaltrigen unterschied: Er beobachtete gerne, wie Menschen aufeinander reagierten, auf ihre Umgebung, und vor allem, wie sie mit Unvorhersehbarem umgingen. Seine Generation bestand doch nur aus hirnlosen Zombies, die einander nachahmten und kopierten, gefangen in ihrer kleinen Welt. Sie beschäftigten sich bloß mit der Frage "Was ist?", nicht mit "Was wäre, wenn?". Das war es, was ihn wahrscheinlich am meisten an Johnnys Experimenten interessierte.
Heute waren nur sieben von ihnen da, und trotzdem standen sie noch in Cliquen herum. Johnny war von den Tussis umgeben, Courtney und Amanda. Sogar Nikki hatte sich heute den coolen Mädels angeschlossen. Das fand Dawson enttäuschend. Er hatte gehofft, Nikki wäre besser. Die drei Mädchen sahen aus, als hingen sie an Johnnys Lippen. Sie lachten, warfen ihr Haar zurück und neigten dann ihre Köpfe, so, wie Mädchen es taten, um ihr Interesse auszudrücken.
Alles nur Illusion. Jeder, der nur ein bisschen Verstand besaß, konnte sehen, wer hier das Sagen hatte, wer wen kontrollierte.
Doch das war in Ordnung. Johnny war gut darin, so zu tun, als wäre es sein Club, seine Party. Als würde er bestimmen, wo es langgeht. Er war Quarterback und Ballkönig, und er hatte Charme, verfügte aber auch über eine ausreichend harte Ausstrahlung, sodass niemand ihn anmachte. Es war besser, Johnnys Freund zu sein als jemand, der ihn nervte.
Dawson wusste nicht genau, warum Johnny den Taser wollte. Er hatte ihn nicht nötig. Johnny strotzte vor Selbstbewusstsein, sogar in diesen albernen Cowboystiefeln. Die Rocker-Lederjacke war ein bisschen dick aufgetragen, passte allerdings zu seinem Image. Die anderen nannten ihn Johnny B., und das war der coolste Spitzname überhaupt. Dawson hatte gehört, wie sogar Mr Bosh bei einem Footballspiel "Johnny be good" gerufen hatte, und dann hatte er gelacht, als erwarte er alles andere von seinem Sohn, als brav zu sein, und als fände er das völlig in Ordnung.
Der erste Lichtblitz kam geräuschlos. Jeder drehte sich um, aber nur kurz.
Der zweite Blitz zerbarst über ihren Köpfen. Dawson dachte zuerst, es wäre ein Gewitter, doch vor seinen Augen verschwamm er zu blauen und violetten Adern, die sich über den Baumwipfeln ausbreiteten wie Risse im Abendhimmel.
Dawson hörte die anderen "Ohh" und "Ahh" ausrufen und musste lächeln. Sie waren auf einem Trip und genossen das Feuerwerk. Bei ihm war es wohl auch schon so weit.
Früher hatte er kein Salvia genommen, aber Johnny hatte gemeint, es sei besser als alles aus dem Medizinschrank zu Hause und viel stärker als normales Gras. Johnny sagte, es sei "enorm cool", wie ein "Rock'n'Roll-Feuerwerk, das dir das Gehirn zerquetscht und dich glauben lässt, du könntest fliegen".
Das Zeug sah ja harmlos aus. Grün, von der gleichen Farbe wie normaler Salbei, mit breiten Blättern. Es hätte einfach in einem der alten Blumenbeete seiner Mutter wachsen können. Verdammt, wie er seine Mom vermisste! Dawson drückte etwas mehr von den Blättern zu einem kleinen Päckchen zusammen und steckte es in den Mund, zwischen die Zähne und die Backe, als würde er Tabak kauen. Der bittere Geschmack machte ihm nichts mehr aus.
Johnny hatte die Pflanze als "Sally D." bezeichnet und ihnen gesagt, dass die Indianer sie als Heilpflanze verwendeten. "Es macht die Nebenhöhlen frei, säubert den Darm, lindert Schmerzen und dämpft das Rauschen im Gehirn", hatte er ihnen erklärt.
Trotzdem hatte er letzte Woche auch recht aufgeregt geklungen, während er sie alle das Oxycontin schnupfen ließ, das er zu Pulver zerstoßen hatte. Er hatte nur zwei Pillen aus dem Medizinschrank seiner Mutter entwenden können, und weil sie auf ein Dutzend Leute verteilt worden waren, war nicht ganz die Wirkung eingetreten, die Johnny ihnen versprochen hatte. Aber dennoch, da war er wieder, klang wie der Moderator einer Verkaufssendung, ließ seinen Zauber wirken und brachte sie dazu, es zu versuchen, in der Hoffnung, sich gut zu fühlen und cool zu sein.
Es war noch nicht einmal eine Minute her, seit Dawson noch was genommen hatte, doch er fühlte schon die Leichtigkeit in seinem Kopf. Der Kick koppelte ihn von den anderen ab. Er sah zwar, wie sie herumstolperten und lachten und auf den Himmel deuteten, aber es war, als würde er sie von einem anderen Raum aus betrachten, aus einer anderen Zeitzone heraus, wie in Zeitlupe von einer anderen Galaxie. Oder vielleicht in einem riesigen Flachbildfernseher.
Dawson stellte sich eine Verkaufssendung vor, hörte blödsinnige Rapjingles, die von einem tiefen Bass begleitet wurden, der wummerte, wummerte, wummerte, tief in seinem Schädel. Die Äste der Bäume begannen zu schwingen. Die Stämme vermehrten sich, verdoppelten sich, verdreifachten sich.
Dann sah er die roten Augen.
Sie verbargen sich in einem Busch, hinter Kyle und Lucas, genau hinter Amanda.
Glühende Punkte, die beobachteten und hin und her zuckten.
Warum sehen die anderen dieses Wesen nicht?
Dawson öffnete den Mund, um sie zu warnen, aber es kam kein Ton heraus. Er hob seinen Arm, um zu deuten, doch er konnte seine Hand nicht erkennen, gelb und grün, beinahe fluoreszierend in dem blitzenden Stroboskoplicht, das aus den Baumwipfeln kam. Das Licht sprang und wogte, wurde zu Violett und Blau und prasselte durch die Zweige.
In dem Moment roch Dawson die Hitze. Fast, als hätte jemand ein Bügeleisen zu lange angelassen. Plötzlich wurde der Geruch stärker. Er erinnerte ihn an versengte Hotdogs an einem Lagerfeuer - schwarzes, knuspriges, verbranntes Fleisch. Ihm fiel ein, dass sie gar nichts zum Grillen mitgebracht hatten.
Als Erstes fühlte er ein Kribbeln. Elektrizität breitete sich aus. Die anderen spürten es auch. Die Ohhs und Ahhs waren verstummt. Stattdessen torkelten alle herum, die Gesichter nach oben gerichtet, die Baumwipfel absuchend.
Dawson schaute wieder zu dem Gebüsch und suchte die roten Augen. Weg.
Er drehte den Kopf. Seine Augen scannten die Gegend, seine Blicke schossen hin und her. Er vernahm ein mechanisches Klicken in seinem Kopf, als wären seine Augen zu einer Maschine geworden. Jedes Blinzeln war wie die Blende einer Kamera, auf und zu. Jede Bewegung rief ein Ticken hervor, das in seinem Schädel widerhallte. Seine Nasenflügel blähten sich auf, sogen Luft ein, die seine Lunge zu versengen schien. Einen metallischen Geschmack im Mund.
Der nächste Lichtblitz zischte vorüber und hinterließ einen Schweif aus Funken.
Dieses Mal hörte Dawson erstaunte Rufe. Und dann Schmerzensschreie.
Plötzlich kamen die glühenden roten Augen aus dem Gebüsch. Sie rasten direkt auf Dawson zu, über den Platz hinweg. Ein vermummter Wolf, gleißend, die weißen Zähne gefletscht, Lichtfunken schossen aus seinen ausgestreckten Armen.
Dawson hob seinen eigenen Arm, zielte mit dem Taser und drückte ab.
Das Wesen taumelte zurück, fiel und stürzte ins Gebüsch. Glühende Sterne stoben aus einem Bett von Kiefernnadeln heraus. Dawson wartete nicht, bis das Wesen wieder auf die Füße sprang. Er drehte sich um und rannte, zumindest seine Beine taten es. Der Rest von ihm fühlte sich an, als würde er getragen, gestoßen, in den Wald gedrängt von einer Kraft, die viel stärker war als seine eigenen Füße.
Alles, was er tun konnte, war, die Arme zu heben und das Gesicht vor den Zweigen zu schützen, die an seinen Kleidern zerrten und seine Haut aufrissen. Er konnte nichts sehen. Das Wummern in seinem Schädel übertönte jedes andere Geräusch. Die Blitze hinter ihm waren heiß und hell. Vor ihm die vollkommene Dunkelheit.
Der Stacheldrahtzaun erwischte ihn hart, und der Stromschlag riss ihn von den Beinen. Er schwankte und spürte die Stiche in seiner Haut. Er fühlte sich wie ein Fisch an der Angel, nur dass die Angel tausend Haken hatte. Der Schmerz umgab seinen ganzen Körper, durchbohrte ihn von allen Seiten.
Als Dawson Hayes auf dem Boden aufschlug, war sein T-Shirt blutdurchtränkt.
MIRA Taschenbuch Band 25611 © 2011 by S.M. Kava Originaltitel: Hotwire Übersetzung: Carla Altenkirch
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Autoren-Porträt von Alex Kava
Alex Kava wuchs in einem kleinen Ort mit weniger als 500 Einwohnern im ländlichen Nebraska auf. Sie machte ihren Universitätsabschluss in Kunst und Englisch und arbeitete über 15 Jahre in der Werbe- und Grafikdesignbranche.
Bibliographische Angaben
- Autor: Alex Kava
- 2012, Maße: 14 x 20,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Aus d. Amerikan. v. Altenkirch, Carla
- Übersetzer: Carlos Westerkamp
- Verlag: MIRA Taschenbuch
- ISBN-10: 3862783472
- ISBN-13: 9783862783472
Rezension zu „Maggie O Dell Band 9: Fleisch “
"Ein intensiver Thriller!" - Publishers Weekly"Mit jeder Seite wächst die Spannung."- Tess Gerritsen
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