MamaPapa
Wie ich nach dem Tod meiner Frau meine Familie neu erfand
Lizzie Howe wird mit 36 Jahren ermordet. Von einem Tag auf den anderen ist Jeremy allein mit den beiden Töchtern Jessica und Lucy. Er muss nun allein die Familie organisieren, zur Arbeit zurückfinden, die Kinder erziehen und ihnen bei all dem immer noch zeigen: Es lohnt sich zu leben.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „MamaPapa “
Lizzie Howe wird mit 36 Jahren ermordet. Von einem Tag auf den anderen ist Jeremy allein mit den beiden Töchtern Jessica und Lucy. Er muss nun allein die Familie organisieren, zur Arbeit zurückfinden, die Kinder erziehen und ihnen bei all dem immer noch zeigen: Es lohnt sich zu leben.
Klappentext zu „MamaPapa “
Kann das Leben jemals wieder schön werden, wenn ein Mann seine geliebte Frau verliert, zwei Kinder ihre Mutter? Von einem Tag auf den anderen ist Jeremy allein mit seinen beiden kleinen Töchtern. Er muss die Familie organisieren, zur Arbeit zurückfinden, die Kinder betreuen, versorgen, erziehen, und ihnen bei all dem immer noch zeigen, dass es sich zu leben lohnt - ein Vater, der anfangs hoffnungslos überfordert ist. Und der sich doch seine Welt Stück für Stück zurückerobert.Ein bewegendes, trauriges und doch unendlich positives Buch
Lese-Probe zu „MamaPapa “
MamaPapa - Wie ich nach dem Tod meiner Frau meine Familie neu erfand von Jeremy HoweAm Abend des 25. Juli 1992 versammelten sich die Anglistik-Studenten der Open University Summer School in einem Seminarraum der Universität York, um von ihren Dozenten willkommen geheißen zu werden und anschließend eine Vorlesung über das dichterische Schaffen von Stevie Smith zu hören.
Die Begrüßungsworte waren gesprochen, es fehlte nur die Dozentin, die die Vorlesung halten sollte - Dr. Elizabeth Howe, BA (Oxford), M. phil. (London), D. phil. (London). Sie war bereits auf dem Campus gesehen worden - kurz nach dem Mittagessen war sie eingetroffen -, und ihr Ausbleiben war daher nicht recht zu erklären, weshalb der Vorsitzende der Versammlung in Begleitung eines Hausmeisters schließlich ihr Zimmer aufsuchte und nach mehrmaligem Anklopfen eintrat.
Dort fanden sie ihren nackten, verstümmelten Leichnam. Alles war mit Blut bespritzt. Sie war zweifellos ermordet worden.
Dr. Elizabeth Howe, Lizzie, war meine Frau und die Mutter unserer beiden Kinder Jessica (sechs Jahre) und Lucy (vier Jahre).
Das hier ist unsere Geschichte.
KAPITEL 1
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Haben Sie auch das Gefühl, dass Geburts- und Jahrestage immer geballt auftreten? Meine Mutter, mein Schwiegervater, meine Cousine und mein Patensohn haben alle in der ersten Septemberwoche Geburtstag, in der gleichen Woche, in der Lizzie und ich geheiratet haben. Es handelt sich also um eine Woche, in der ich Karten und Geschenke kaufen sollte, aber da ich ein Mann bin, vergesse ich mit schöner Regelmäßigkeit die Hälfte davon. Meine Familie, die Howes, nimmt solche Tage äußerst ernst, Sie können sich daher vorstellen, wie der Frühsommer für mich aussieht: Unsere Jüngste, Lucy, wurde am 18. Mai geboren, ihre ältere Schwester Jessica am 9. Juni und ihre Mutter, Lizzie, am 28. Juni; mein gebeuteltes Bankkonto wurde gleich mehrfach gesprengt.
1992 war keine Ausnahme. Im Grunde war es noch schlimmer als sonst, weil wir beschlossen hatten, in den sauren Apfel zu beißen und die Küche in unserem kleinen, aber wunderbaren Oxforder Reihenhaus herausreißen und die Grundfl äche verdoppeln zu lassen. Die Arbeiten sollten in der Woche nach Lucys Geburtstag beginnen und zwei Wochen nach Lizzies Geburtstag beendet sein.
Lucy war vier Jahre alt und wegen ihrer Geburtstagsparty ganz aus dem Häuschen.
Solche Partys fangen immer am Samstagnachmittag um drei Uhr an, enden um fünf und durchlaufen wie der Schmerz (wobei sie nur geringfügig weniger traumatisch sind) sieben Phasen.
Phase eins: die Vorbereitung. Natürlich geht eine Woche der Planung voraus, am Morgen der Party zieht man in banger Erwartung des Wetters die Schlafzimmervorhänge zurück. Dieser Samstag sollte jedoch ein schöner Tag werden. Ähnlich wie beim traditionellen sommerlichen Zeitvertreib der Examensprüfungen sorgte die anstehende Party bei Lizzie und mir für einiges Nervenfl attern. Wir waren keineswegs die geborenen Gastgeber, nahmen die Party aber sehr ernst: Würden die Spiele (sie fi elen in meine Verantwortung) den Erwartungen entsprechen? Würde der Kuchen (Lizzies Domäne) Billigung fi nden? Würden unsere knausrigen Geschenktüten bei den Müttern ein Stirnrunzeln hervorrufen? Würden sich die Gäste gut benehmen oder, schlimmer noch, langweilen?
Nach einem entsetzlich frühen Supermarktbesuch, bei dem der Einkaufswagen vor allem mit Chipstüten vollgepackt wird, und einem entsetzlich frühen Mittagessen werden die Kinder nach oben geschickt, um sich fertig zu machen und/ oder zu spielen. Das Haus wird von mir zu Tode gestaubsaugt (weiß Gott warum angesichts des Tohuwabohus, das die Kinder und die Bauarbeiter in Kürze anrichten würden), Lizzie inspiziert meine Arbeit, während sie sich Sorgen um das Essen und den Geburtstagskuchen macht und überlegt, was die Mädchen anziehen werden. »Warum machst du dir um die Sandwiches Gedanken, wenn die Meute doch nur Kuchen und Schokokekse will?«, sage ich. Lizzie, eine Lebensmittel-Puritanerin, die gerade Karotten- und Selleriestifte schneidet, sieht mich verächtlich an. Als Konzession an Lucys Geburtstag hatte sie mir erlaubt, zwei Cola-Flaschen zu kaufen, die behandelt werden, als würden wir unsere Partygäste mit Jahrgangschampagner überschütten.
Die Sache mit dem Geburtstagskuchen gestaltet sich schon problematischer. Im vergangenen Jahr hatte sich Lucy einen Kuchen in Form eines Cottages eingebildet (nachdem wir ihr den Elefanten und auch Fabius, die Figur aus Disneys Arielle, die Meerjungfrau, ausgeredet hatten, weil das Gewünschte die Backkünste ihrer Mutter bei Weitem überstiegen hätte). Der Kuchen jedoch war zumindest in Lizzies Augen zu einer einzigen Katastrophe geworden. Als Architektin hätte sie sicherlich ihre Probleme bekommen - ihr reizend rustikales Cottage aus Löffelbiskuit wollte nicht stehen und musste mit Strebebögen aus Schokoladen-Biskuitrollen gestützt werden. Lucy war begeistert, vor allem von den Schokostützen, aber die öffentliche Enthüllung in Anwesenheit der anderen Mütter war eine grauenhafte Demütigung für Lizzie. Daher gab es dieses Jahr einen einfachen, einlagigen Biskuitboden, der wie ein Teich dekoriert und mit vier Marzipanenten verziert war, eine für jedes von Lucys Lebensjahren. Er sah mehr nach naiver Kunst als nach Neorealismus aus, und die Enten vermittelten meiner Meinung nach den Eindruck, als wollten sie sich vor der ganzen Sache ebenso drücken wie ich. Die Idee dazu war schamlos von einer Nachbarin geklaut (einer Grafi kdesignerin), die für ihren Kleinen einen handtuchgroßen Kuchen gestaltet hatte, auf dem in epischer Breite die Schatzinsel nacherzählt wurde. Dieses Kunstwerk aufzuessen war ein fast ebenso großes Sakrileg wie die Drohung der Diebe von Edvard Munchs Meisterwerk Der Schrei, das Bild zu zerstören, falls ihre Lösegeldforderung nicht erfüllt würde. Lizzie dagegen konnte es kaum erwarten, dass Lucys Freunde ihr weit weniger vollendetes Kunstwerk für immer vertilgten.
Zusammen brachten wir es auf insgesamt vier Universitätstitel, zwei davon von der Universität Oxford, und konnten uns mit einem ganzen Packen erstklassiger Noten schmücken, das Fach Kunst hatten wir allerdings schon sehr früh abgelegt, damit wir uns auf die eigentlichen Studien konzentrieren konnten - redeten wir uns ein. In Wahrheit waren wir im Zeichnen einfach Stümper. Damals hatte uns keiner gesagt, dass gute Eltern unbedingt über die Fähigkeit verfügen mussten, Kuchen zu backen oder, schlimmer noch, einen zu designen.
Während Lizzie also in ihrer eigenen Kuchenbackhölle schmorte, ging es mir bei der Vorbereitung der Spiele nicht viel besser. Meine Erfahrung sagte mir, dass sich Eselschwanz-Anheften (wie malt man einen Esel?), »Das Päckchen geht um« (unabdingbar, unter jeder Geschenkpapierlage ein kleines Präsent zu verstecken), Stopptanz und Schatzsuche nach zehn Minuten abgenutzt haben und die Gäste in einen Zustand ekstatischer Erregung versetzen, noch bevor der versprochene Festgenuss aus Chips, KitKat und E-Nummern ihren Energielevel und ihre Verdrießlichkeit in stratosphärische Höhen katapultieren. Und welche Musik spielt man zu Stopptanz? Nicht zu langsam, nicht zu schnell und wahrscheinlich nicht Lynyrd Skynyrd.
Und dann bricht die Katastrophe herein. Lucy, die meint, im Alter von vier Jahren sei es allerhöchste Zeit, endlich zu lernen, wie man auf dem Bauch die Treppe hinunterschlittert, schafft es, sich dabei am Teppichboden schlimme Abschürfungen zuzuziehen. Sie ist untröstlich, weil es höllisch brennt; wir sind untröstlich, weil es aussieht, als hätten wir ihr gewaltig eine gescheuert. Der Anblick, der mir von diesem Tag dauerhaft im Gedächtnis bleiben wird: Lucy sitzt in ihrem besten Partystaat vor dem Fernseher, hält Fabius an sich gedrückt und sieht sich mit einem dicken roten Striemen auf der Backe ein Video an.
Natürlich läuft die Party wie am Schnürchen: Fünf der noch ausstehenden Phasen - die Ankunft der Gäste, das Überreichen der Geschenke, die Spiele, der Geburtstagstee und die Ankunft der Mütter zum Einsammeln der Kleinen - werden wie ein alltägliches Ritual absolviert. Der Kuchen wird im Sturm genommen, die Kinder lieben die Spiele. Letzteres natürlich vor allem deshalb, weil der Spielemeister das Gehüpfe und Gerenne mit eiserner Knute dirigiert, sodass sich Zuchtmeister Fabio Capello daneben wie ein Waisenknabe ausnimmt. Dazu muss man wissen, dass ich der leistungsorientierteste Mensch der westlichen Welt bin und meine Berufung als englischer Nationalcoach knapp verpasst habe. Keinen kümmert es, dass die Geschenktüten mit billigstem Schund gefüllt sind, da die zehn Pence, die die Süßigkeiten in den Papiertüten wert sind, mit dem genialen Trick kaschiert werden, dass die Kinder nach dem Tee jeweils ihre eigene Tüte bemalen dürfen. Und keinem ist schlecht, bevor die Mütter eintrudeln.
Phase sieben: der Kollaps - aber natürlich erst, nachdem Lizzie und ich Industriemengen an halb gegessenen Sandwiches und abgeschleckten Schokoladen-Keksstäbchen entsorgt und das Trümmerfeld, das unser Wohnzimmer war, wieder auf Vordermann gebracht haben.
Und dann dürfen wir uns auf etwas freuen - weil Lizzie und ich so hart gearbeitet haben (ich in meinem Job bei der BBC, wo ich noch mehrere Urlaubstage abzufeiern habe, Lizzie bei den letzten Korrekturen an ihrem bald erscheinenden Buch) und weil unsere Osterferien wegen meiner Arbeit und meiner Mandelentzündung total in die Hose gegangen sind, sagen wir den Kindern, dass wir am nächsten Tag früh aufstehen und für drei Tage ans Meer fahren werden.
Wegen meiner paranoiden Angst vor Staus waren wir schon im Morgengrauen auf den Beinen, packten den Wagen voll und fuhren nach Swanage, wo wir ein (für unsere Verhältnisse) teures Hotel gebucht hatten, das oben auf einer Klippe lag und über eine Treppe direkt mit einem Sandstrand verbunden war. Da ständig die Sonne schien und wir den Großteil des Tages am Strand verbrachten und Sandburgen bauten, um die aufl aufende Flut zu stoppen (etwas, was Väter lieben und wobei ihnen Kinder manchmal helfen), hatten Jessica und Lucy einen Heidenspaß. Genau wie ich. Ich war nicht mehr in Swanage gewesen, seit ich im Alter von vier Jahren mit meinen Eltern dort Urlaub gemacht hatte - den besten Urlaub meines Lebens. Wir waren damals von der Waterloo Station erster Klasse in einem Zug mit Dampfl okomotive gefahren, ich hatte meine nagelneue Schuluniform getragen, wir hatten in einem Hotel übernachtet (für mich das erste Mal). Und die Insel Purbeck mit ihren Sandstränden, hohen Klippen, den Schiffsausfl ügen zu den Tilly-WhimHöhlen und zu der auf einem Felsen aufragenden Burgruine Corfe Castle waren mir wie das Ferienparadies schlechthin erschienen. Als ich mit Lizzie, Jessica und Lucy nun erneut in Swanage eintraf, kam mir das alles vor, als wäre es erst ein Jahr her.
Dort suchten wir einen National-Trust-Laden auf, wo Jessica, Lucy und ich heimlich für Mama eine hübsche weißblaue Geburtstagstasse mit aufgemalter Katze erstanden. Wir hatten uns soeben ein Kätzchen angeschafft, weil wir hofften, es würde die Mäuse verschrecken, vor denen es in unserem Haus nur so wimmelte; die Mädchen waren daher ganz versessen auf Katzen. Und nun saßen Lizzie und ich in einem Teegarten mit Blick auf das Corfe Castle, während die Mädchen spielten. Wir plauderten darüber, wie groß sie geworden waren, ich teilte ihr mit, wie vertraut mir Swanage vorkam, welchen Eindruck es bei mir als Vierjährigem hinterlassen hatte, und fragte mich, was bei unseren beiden Töchtern davon bleiben würde, vor allem bei Lucy, die im gleichen Alter war wie ich damals. Auf der Heimfahrt kam noch einmal die dramatische Burgruine ins Blickfeld, und ich bat die Mädchen, sich umzudrehen und sich von ihr durch die Heckscheibe zu verabschieden. Bewusst wollte ich ihnen einen Film fürs Leben schaffen, so ähnlich wie der SwanageAufenthalt, der für mich eine Art Super-8-Film meiner unglaublich glücklichen Kindheit war. Wenn ich das, was uns als Nächstes zustoßen sollte, zusammensetze und zu verstehen versuche, dann war es dieser Augenblick, der sich mir unauslöschlich eingeprägt hat.
Was uns natürlich als Allernächstes zustieß, das waren die Handwerker, die uns einen wunderbaren Vorwand lieferten, Jessicas Geburtstag drei Wochen später nicht zu Hause zu feiern - zum Henker mit den Kosten, ihre Party sollte auf einem Bauernhof stattfi nden.
Es hätte nicht besser laufen können - die extravaganten Ausgaben (vergessen Sie nicht den bereits erwähnten puritanischen Zug der Howes) ließen sich durch den demolierten Zustand des Hauses entschuldigen, und abgesehen von der Rechnung mussten wir uns nur um das Wetter sorgen sowie um die Frage, ob das alles Jessicas eskalierender Vorfreude gerecht werden würde.
Das Wetter war so lala - ein für Oxfordshire typischer bewölkter Tag, der mit Regenschauern drohte, aber nachdem das Dutzend Kinder und ein paar unbeugsame Mütter versammelt waren, hätte es ohne Weiteres schütten können: Jessica würde sich auf jeden Fall köstlich amüsieren. Wir begannen mit einer Schatzsuche auf dem Hof, bei der die Kinder zu den Kühen, Hühnern, Schafen, Schweinen und Hofhunden geführt wurden. Darauf folgte eine Fahrt auf einem von einem Traktor gezogenen Heuanhänger, was wenig aufregend klingen mag, aber wenn man sich mit Leibeskräften festhalten muss, während der Traktor mit fünfzehn Stundenkilometern unmöglich steile Hänge hinauf- und wieder hinunterröhrt, ist das für Sechsjährige das Abenteuer ihres Lebens, vor allem dann, wenn der Hofhund mit ausgeprägtem Sinn für seine Gastgeberpfl ichten beschlossen hatte, die gesamte Fahrt über neben Jessica zu sitzen. Die Kinder waren danach viel zu aufgeregt, um über das Geburtstagspicknick in der Scheune herzufallen - und viel zu abgelenkt, weil sie auf Heuballen herumspringen und Verstecken spielen konnten. Und auf den Einladungskarten hatte unverhohlen »keine Geschenktüten« gestanden - damit waren Lizzie und ich, nachdem wir bei Lucys Party mit unseren Do-it-yourself-Tüten so triumphiert hatten, für diesmal davon befreit.
Auf der Fahrt nach Hause seufzte Jessica müde: »Das war die beste Party überhaupt!«
»Was war das Beste daran?«
»Alles.«
»Mama, wann kann ich meine Party auf dem Bauernhof haben?«
»Vielleicht nächstes Jahr, Luce.«
»Nicht früher?«
»Eigentlich nicht, Liebling, nein. Du hattest doch gerade erst Geburtstag.«
»Ach ja, hab ich vergessen.«
Zwei geschafft, blieb noch einer. Am Wochenende vor Lizzies Geburtstag unternahmen wir mit zwei Freunden vom College eine Familien-Bootsfahrt. Es war äußerst idyllisch. Ich hatte einen teuren Geburtstagskuchen in einer Blechdose gekauft (ein Kuchen in einem Karton, so meine Überlegung, wäre für eine Bootsfahrt weniger geeignet), mir aber nie im Leben träumen lassen, dass wir dafür einen Büchsenöffner brauchen würden. Während John (unser Freund vom College) und ich beim Picknick mit einem Taschenmesser verzweifelt die Dose traktierten, erklärten Lizzie und Helen den Mädchen den Unterschied zwischen Bläss- und gemeinen Teichhühnern und warfen den Enten auf dem Fluss die wenigen Krümel zu, die wir der Dose entlocken konnten. Der Geburtstag lag auch in der Woche vor der Veröffentlichung des Buches. Lizzie hatte ihre Doktorarbeit zu einem erzählenden Sachbuch umgearbeitet; es ging um den Einfl uss, den das erstmalige Auftreten von Schauspielerinnen im englischen Theater zur Zeit der Restauration unter Charles II. auf die Gesellschaft hatte. Doktormutter und Ersatzpatin für unsere beiden Töchter war der akademische Superstar Inga-Stina Ewbank, und zu Lizzies Geburtstag wollten wir sie und ihren Mann Roger zum Abendessen einladen. Da wir nicht kochen konnten (die Renovierung der Küche, Sie erinnern sich, aber ich sollte bekennen, dass Lizzie keine besonders gute Köchin war und ich mich in der Küche gotterbärmlich anstellte), gingen wir mit ihnen aus. Es war einer dieser perfekten Sommerabende - es gab einen Geburtstag und ein Ereignis zu feiern, das unser Leben verändern und Lizzies ins Stocken geratener akademischer Karriere neuen Schwung verleihen würde. Lizzie war die Einzige in unserem Bekannten- und Verwandtenkreis, die ein Buch geschrieben hatte, das wirklich verlegt wurde. Sie war erleichtert, es fertiggestellt zu haben, und ich war sehr stolz auf sie. Für die Howes - für Jeremy, Lizzie, Jessica und Lucy - konnte es nicht mehr besser kommen.
Wer also waren die Howes? Lizzie wurde 1958 in Bradford on Avon in Wiltshire geboren. Ihre Schwester Louise folgte 1961. Die Eltern, Ethel und Mirko Milicevic, Maka und Deda genannt (Serbisch für Großmutter und Großvater), hatten in Belgrad geheiratet, wo Maka - direkt nach ihrer Schulausbildung in Westbury Wilts und ohne jemals zuvor eine Auslandsreise unternommen zu haben - im diplomatischen Dienst arbeitete. Da es ihr dort nicht gefi el (nach ihrer Heirat mit einem »Einheimischen« wurde ihre Sicherheitsermächtigung herabgestuft; tatsächlich wurde sie zur Sekretärin degradiert) und er als Angehöriger der Mittelschicht so seine Probleme in Titos kommunistischem Staat hatte, gingen sie nach England. Der Beamte, der Deda ein sechsmonatiges Auslandsvisum ausstellte, sagte ihm, wenn er nicht zurückkomme, könne er sich als toten Mann betrachten. Da Deda nichts anderes vorhatte, als für immer in England zu bleiben, ignorierte er das Visum und kehrte erst wieder nach Jugoslawien zurück, als besagter Beamte fünfzehn Jahre später starb. Nur widerstrebend besorgte Makas Vater eine Arbeit für Deda. Da die Nachfrage nach in Serbien ausgebildeten Rechtsanwälten in Großbritannien gering war, putzte er die Böden in der Bowyers-Wurstfabrik in der Nähe von Bradford on Avon. Nach einigen Monaten meinte sein Vorarbeiter zu ihm, wenn er sich gut anstelle, könne er es in fünf Jahren vielleicht zum Vorarbeiter bringen. Als ich Lizzie kennenlernte, hatten sie und ihre Schwester eine Privatschule in Bath besucht, sie hatten ein tolles Haus, und Deda war Finanzvorstand der Firma, die die Firma aufgekauft hatte, die Bowyers aufgekauft hatte.
Ich wurde 1956 als das mittlere von drei Kindern, Jonathan, Jeremy und Philippa, in Bexleyheath in Kent geboren - so nannte sich der Ort, der im Grunde nur ein völlig anonymer Vorort von London war. Mein Vater, der im Spätherbst 1991 in Folge von so ziemlich allem verstarb, hatte im West End einen kleinen Stoffhandel, der unter Heaths Drei-TageWoche pleite ging, sodass wir fast die ganzen Siebziger hindurch in Armut lebten. Was insofern nicht einer gewissen Ironie entbehrte, als er sein Leben lang ein treuer Anhänger des Parlamentsmitglieds unseres Wahlkreises war, eines gewissen Edward Heath. Dass meine Mutter ihn verließ, machte es nicht unbedingt besser (er war ein netter Mann, aber ein Workaholic, der nie da war und nie viel redete - ich konnte sie verstehen). Vier Jahre lang lebten wir getrennt, er bei seiner Mutter in Teddington, wir in Bromley bei ihrer Mutter in einem weitläufi gen Haus, in dem wir ungestört toben konnten, weil wir keine Möbel besaßen. Das Haus gehörte zum größten Teil meiner Tante, Mutters Schwester, die immer damit drohte, selbst einzuziehen, weshalb die Hälfte der Räume unbewohnt blieb.
Übersetzung: Karl-Heinz Ebnet
Copyright © 2012 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
Haben Sie auch das Gefühl, dass Geburts- und Jahrestage immer geballt auftreten? Meine Mutter, mein Schwiegervater, meine Cousine und mein Patensohn haben alle in der ersten Septemberwoche Geburtstag, in der gleichen Woche, in der Lizzie und ich geheiratet haben. Es handelt sich also um eine Woche, in der ich Karten und Geschenke kaufen sollte, aber da ich ein Mann bin, vergesse ich mit schöner Regelmäßigkeit die Hälfte davon. Meine Familie, die Howes, nimmt solche Tage äußerst ernst, Sie können sich daher vorstellen, wie der Frühsommer für mich aussieht: Unsere Jüngste, Lucy, wurde am 18. Mai geboren, ihre ältere Schwester Jessica am 9. Juni und ihre Mutter, Lizzie, am 28. Juni; mein gebeuteltes Bankkonto wurde gleich mehrfach gesprengt.
1992 war keine Ausnahme. Im Grunde war es noch schlimmer als sonst, weil wir beschlossen hatten, in den sauren Apfel zu beißen und die Küche in unserem kleinen, aber wunderbaren Oxforder Reihenhaus herausreißen und die Grundfl äche verdoppeln zu lassen. Die Arbeiten sollten in der Woche nach Lucys Geburtstag beginnen und zwei Wochen nach Lizzies Geburtstag beendet sein.
Lucy war vier Jahre alt und wegen ihrer Geburtstagsparty ganz aus dem Häuschen.
Solche Partys fangen immer am Samstagnachmittag um drei Uhr an, enden um fünf und durchlaufen wie der Schmerz (wobei sie nur geringfügig weniger traumatisch sind) sieben Phasen.
Phase eins: die Vorbereitung. Natürlich geht eine Woche der Planung voraus, am Morgen der Party zieht man in banger Erwartung des Wetters die Schlafzimmervorhänge zurück. Dieser Samstag sollte jedoch ein schöner Tag werden. Ähnlich wie beim traditionellen sommerlichen Zeitvertreib der Examensprüfungen sorgte die anstehende Party bei Lizzie und mir für einiges Nervenfl attern. Wir waren keineswegs die geborenen Gastgeber, nahmen die Party aber sehr ernst: Würden die Spiele (sie fi elen in meine Verantwortung) den Erwartungen entsprechen? Würde der Kuchen (Lizzies Domäne) Billigung fi nden? Würden unsere knausrigen Geschenktüten bei den Müttern ein Stirnrunzeln hervorrufen? Würden sich die Gäste gut benehmen oder, schlimmer noch, langweilen?
Nach einem entsetzlich frühen Supermarktbesuch, bei dem der Einkaufswagen vor allem mit Chipstüten vollgepackt wird, und einem entsetzlich frühen Mittagessen werden die Kinder nach oben geschickt, um sich fertig zu machen und/ oder zu spielen. Das Haus wird von mir zu Tode gestaubsaugt (weiß Gott warum angesichts des Tohuwabohus, das die Kinder und die Bauarbeiter in Kürze anrichten würden), Lizzie inspiziert meine Arbeit, während sie sich Sorgen um das Essen und den Geburtstagskuchen macht und überlegt, was die Mädchen anziehen werden. »Warum machst du dir um die Sandwiches Gedanken, wenn die Meute doch nur Kuchen und Schokokekse will?«, sage ich. Lizzie, eine Lebensmittel-Puritanerin, die gerade Karotten- und Selleriestifte schneidet, sieht mich verächtlich an. Als Konzession an Lucys Geburtstag hatte sie mir erlaubt, zwei Cola-Flaschen zu kaufen, die behandelt werden, als würden wir unsere Partygäste mit Jahrgangschampagner überschütten.
Die Sache mit dem Geburtstagskuchen gestaltet sich schon problematischer. Im vergangenen Jahr hatte sich Lucy einen Kuchen in Form eines Cottages eingebildet (nachdem wir ihr den Elefanten und auch Fabius, die Figur aus Disneys Arielle, die Meerjungfrau, ausgeredet hatten, weil das Gewünschte die Backkünste ihrer Mutter bei Weitem überstiegen hätte). Der Kuchen jedoch war zumindest in Lizzies Augen zu einer einzigen Katastrophe geworden. Als Architektin hätte sie sicherlich ihre Probleme bekommen - ihr reizend rustikales Cottage aus Löffelbiskuit wollte nicht stehen und musste mit Strebebögen aus Schokoladen-Biskuitrollen gestützt werden. Lucy war begeistert, vor allem von den Schokostützen, aber die öffentliche Enthüllung in Anwesenheit der anderen Mütter war eine grauenhafte Demütigung für Lizzie. Daher gab es dieses Jahr einen einfachen, einlagigen Biskuitboden, der wie ein Teich dekoriert und mit vier Marzipanenten verziert war, eine für jedes von Lucys Lebensjahren. Er sah mehr nach naiver Kunst als nach Neorealismus aus, und die Enten vermittelten meiner Meinung nach den Eindruck, als wollten sie sich vor der ganzen Sache ebenso drücken wie ich. Die Idee dazu war schamlos von einer Nachbarin geklaut (einer Grafi kdesignerin), die für ihren Kleinen einen handtuchgroßen Kuchen gestaltet hatte, auf dem in epischer Breite die Schatzinsel nacherzählt wurde. Dieses Kunstwerk aufzuessen war ein fast ebenso großes Sakrileg wie die Drohung der Diebe von Edvard Munchs Meisterwerk Der Schrei, das Bild zu zerstören, falls ihre Lösegeldforderung nicht erfüllt würde. Lizzie dagegen konnte es kaum erwarten, dass Lucys Freunde ihr weit weniger vollendetes Kunstwerk für immer vertilgten.
Zusammen brachten wir es auf insgesamt vier Universitätstitel, zwei davon von der Universität Oxford, und konnten uns mit einem ganzen Packen erstklassiger Noten schmücken, das Fach Kunst hatten wir allerdings schon sehr früh abgelegt, damit wir uns auf die eigentlichen Studien konzentrieren konnten - redeten wir uns ein. In Wahrheit waren wir im Zeichnen einfach Stümper. Damals hatte uns keiner gesagt, dass gute Eltern unbedingt über die Fähigkeit verfügen mussten, Kuchen zu backen oder, schlimmer noch, einen zu designen.
Während Lizzie also in ihrer eigenen Kuchenbackhölle schmorte, ging es mir bei der Vorbereitung der Spiele nicht viel besser. Meine Erfahrung sagte mir, dass sich Eselschwanz-Anheften (wie malt man einen Esel?), »Das Päckchen geht um« (unabdingbar, unter jeder Geschenkpapierlage ein kleines Präsent zu verstecken), Stopptanz und Schatzsuche nach zehn Minuten abgenutzt haben und die Gäste in einen Zustand ekstatischer Erregung versetzen, noch bevor der versprochene Festgenuss aus Chips, KitKat und E-Nummern ihren Energielevel und ihre Verdrießlichkeit in stratosphärische Höhen katapultieren. Und welche Musik spielt man zu Stopptanz? Nicht zu langsam, nicht zu schnell und wahrscheinlich nicht Lynyrd Skynyrd.
Und dann bricht die Katastrophe herein. Lucy, die meint, im Alter von vier Jahren sei es allerhöchste Zeit, endlich zu lernen, wie man auf dem Bauch die Treppe hinunterschlittert, schafft es, sich dabei am Teppichboden schlimme Abschürfungen zuzuziehen. Sie ist untröstlich, weil es höllisch brennt; wir sind untröstlich, weil es aussieht, als hätten wir ihr gewaltig eine gescheuert. Der Anblick, der mir von diesem Tag dauerhaft im Gedächtnis bleiben wird: Lucy sitzt in ihrem besten Partystaat vor dem Fernseher, hält Fabius an sich gedrückt und sieht sich mit einem dicken roten Striemen auf der Backe ein Video an.
Natürlich läuft die Party wie am Schnürchen: Fünf der noch ausstehenden Phasen - die Ankunft der Gäste, das Überreichen der Geschenke, die Spiele, der Geburtstagstee und die Ankunft der Mütter zum Einsammeln der Kleinen - werden wie ein alltägliches Ritual absolviert. Der Kuchen wird im Sturm genommen, die Kinder lieben die Spiele. Letzteres natürlich vor allem deshalb, weil der Spielemeister das Gehüpfe und Gerenne mit eiserner Knute dirigiert, sodass sich Zuchtmeister Fabio Capello daneben wie ein Waisenknabe ausnimmt. Dazu muss man wissen, dass ich der leistungsorientierteste Mensch der westlichen Welt bin und meine Berufung als englischer Nationalcoach knapp verpasst habe. Keinen kümmert es, dass die Geschenktüten mit billigstem Schund gefüllt sind, da die zehn Pence, die die Süßigkeiten in den Papiertüten wert sind, mit dem genialen Trick kaschiert werden, dass die Kinder nach dem Tee jeweils ihre eigene Tüte bemalen dürfen. Und keinem ist schlecht, bevor die Mütter eintrudeln.
Phase sieben: der Kollaps - aber natürlich erst, nachdem Lizzie und ich Industriemengen an halb gegessenen Sandwiches und abgeschleckten Schokoladen-Keksstäbchen entsorgt und das Trümmerfeld, das unser Wohnzimmer war, wieder auf Vordermann gebracht haben.
Und dann dürfen wir uns auf etwas freuen - weil Lizzie und ich so hart gearbeitet haben (ich in meinem Job bei der BBC, wo ich noch mehrere Urlaubstage abzufeiern habe, Lizzie bei den letzten Korrekturen an ihrem bald erscheinenden Buch) und weil unsere Osterferien wegen meiner Arbeit und meiner Mandelentzündung total in die Hose gegangen sind, sagen wir den Kindern, dass wir am nächsten Tag früh aufstehen und für drei Tage ans Meer fahren werden.
Wegen meiner paranoiden Angst vor Staus waren wir schon im Morgengrauen auf den Beinen, packten den Wagen voll und fuhren nach Swanage, wo wir ein (für unsere Verhältnisse) teures Hotel gebucht hatten, das oben auf einer Klippe lag und über eine Treppe direkt mit einem Sandstrand verbunden war. Da ständig die Sonne schien und wir den Großteil des Tages am Strand verbrachten und Sandburgen bauten, um die aufl aufende Flut zu stoppen (etwas, was Väter lieben und wobei ihnen Kinder manchmal helfen), hatten Jessica und Lucy einen Heidenspaß. Genau wie ich. Ich war nicht mehr in Swanage gewesen, seit ich im Alter von vier Jahren mit meinen Eltern dort Urlaub gemacht hatte - den besten Urlaub meines Lebens. Wir waren damals von der Waterloo Station erster Klasse in einem Zug mit Dampfl okomotive gefahren, ich hatte meine nagelneue Schuluniform getragen, wir hatten in einem Hotel übernachtet (für mich das erste Mal). Und die Insel Purbeck mit ihren Sandstränden, hohen Klippen, den Schiffsausfl ügen zu den Tilly-WhimHöhlen und zu der auf einem Felsen aufragenden Burgruine Corfe Castle waren mir wie das Ferienparadies schlechthin erschienen. Als ich mit Lizzie, Jessica und Lucy nun erneut in Swanage eintraf, kam mir das alles vor, als wäre es erst ein Jahr her.
Dort suchten wir einen National-Trust-Laden auf, wo Jessica, Lucy und ich heimlich für Mama eine hübsche weißblaue Geburtstagstasse mit aufgemalter Katze erstanden. Wir hatten uns soeben ein Kätzchen angeschafft, weil wir hofften, es würde die Mäuse verschrecken, vor denen es in unserem Haus nur so wimmelte; die Mädchen waren daher ganz versessen auf Katzen. Und nun saßen Lizzie und ich in einem Teegarten mit Blick auf das Corfe Castle, während die Mädchen spielten. Wir plauderten darüber, wie groß sie geworden waren, ich teilte ihr mit, wie vertraut mir Swanage vorkam, welchen Eindruck es bei mir als Vierjährigem hinterlassen hatte, und fragte mich, was bei unseren beiden Töchtern davon bleiben würde, vor allem bei Lucy, die im gleichen Alter war wie ich damals. Auf der Heimfahrt kam noch einmal die dramatische Burgruine ins Blickfeld, und ich bat die Mädchen, sich umzudrehen und sich von ihr durch die Heckscheibe zu verabschieden. Bewusst wollte ich ihnen einen Film fürs Leben schaffen, so ähnlich wie der SwanageAufenthalt, der für mich eine Art Super-8-Film meiner unglaublich glücklichen Kindheit war. Wenn ich das, was uns als Nächstes zustoßen sollte, zusammensetze und zu verstehen versuche, dann war es dieser Augenblick, der sich mir unauslöschlich eingeprägt hat.
Was uns natürlich als Allernächstes zustieß, das waren die Handwerker, die uns einen wunderbaren Vorwand lieferten, Jessicas Geburtstag drei Wochen später nicht zu Hause zu feiern - zum Henker mit den Kosten, ihre Party sollte auf einem Bauernhof stattfi nden.
Es hätte nicht besser laufen können - die extravaganten Ausgaben (vergessen Sie nicht den bereits erwähnten puritanischen Zug der Howes) ließen sich durch den demolierten Zustand des Hauses entschuldigen, und abgesehen von der Rechnung mussten wir uns nur um das Wetter sorgen sowie um die Frage, ob das alles Jessicas eskalierender Vorfreude gerecht werden würde.
Das Wetter war so lala - ein für Oxfordshire typischer bewölkter Tag, der mit Regenschauern drohte, aber nachdem das Dutzend Kinder und ein paar unbeugsame Mütter versammelt waren, hätte es ohne Weiteres schütten können: Jessica würde sich auf jeden Fall köstlich amüsieren. Wir begannen mit einer Schatzsuche auf dem Hof, bei der die Kinder zu den Kühen, Hühnern, Schafen, Schweinen und Hofhunden geführt wurden. Darauf folgte eine Fahrt auf einem von einem Traktor gezogenen Heuanhänger, was wenig aufregend klingen mag, aber wenn man sich mit Leibeskräften festhalten muss, während der Traktor mit fünfzehn Stundenkilometern unmöglich steile Hänge hinauf- und wieder hinunterröhrt, ist das für Sechsjährige das Abenteuer ihres Lebens, vor allem dann, wenn der Hofhund mit ausgeprägtem Sinn für seine Gastgeberpfl ichten beschlossen hatte, die gesamte Fahrt über neben Jessica zu sitzen. Die Kinder waren danach viel zu aufgeregt, um über das Geburtstagspicknick in der Scheune herzufallen - und viel zu abgelenkt, weil sie auf Heuballen herumspringen und Verstecken spielen konnten. Und auf den Einladungskarten hatte unverhohlen »keine Geschenktüten« gestanden - damit waren Lizzie und ich, nachdem wir bei Lucys Party mit unseren Do-it-yourself-Tüten so triumphiert hatten, für diesmal davon befreit.
Auf der Fahrt nach Hause seufzte Jessica müde: »Das war die beste Party überhaupt!«
»Was war das Beste daran?«
»Alles.«
»Mama, wann kann ich meine Party auf dem Bauernhof haben?«
»Vielleicht nächstes Jahr, Luce.«
»Nicht früher?«
»Eigentlich nicht, Liebling, nein. Du hattest doch gerade erst Geburtstag.«
»Ach ja, hab ich vergessen.«
Zwei geschafft, blieb noch einer. Am Wochenende vor Lizzies Geburtstag unternahmen wir mit zwei Freunden vom College eine Familien-Bootsfahrt. Es war äußerst idyllisch. Ich hatte einen teuren Geburtstagskuchen in einer Blechdose gekauft (ein Kuchen in einem Karton, so meine Überlegung, wäre für eine Bootsfahrt weniger geeignet), mir aber nie im Leben träumen lassen, dass wir dafür einen Büchsenöffner brauchen würden. Während John (unser Freund vom College) und ich beim Picknick mit einem Taschenmesser verzweifelt die Dose traktierten, erklärten Lizzie und Helen den Mädchen den Unterschied zwischen Bläss- und gemeinen Teichhühnern und warfen den Enten auf dem Fluss die wenigen Krümel zu, die wir der Dose entlocken konnten. Der Geburtstag lag auch in der Woche vor der Veröffentlichung des Buches. Lizzie hatte ihre Doktorarbeit zu einem erzählenden Sachbuch umgearbeitet; es ging um den Einfl uss, den das erstmalige Auftreten von Schauspielerinnen im englischen Theater zur Zeit der Restauration unter Charles II. auf die Gesellschaft hatte. Doktormutter und Ersatzpatin für unsere beiden Töchter war der akademische Superstar Inga-Stina Ewbank, und zu Lizzies Geburtstag wollten wir sie und ihren Mann Roger zum Abendessen einladen. Da wir nicht kochen konnten (die Renovierung der Küche, Sie erinnern sich, aber ich sollte bekennen, dass Lizzie keine besonders gute Köchin war und ich mich in der Küche gotterbärmlich anstellte), gingen wir mit ihnen aus. Es war einer dieser perfekten Sommerabende - es gab einen Geburtstag und ein Ereignis zu feiern, das unser Leben verändern und Lizzies ins Stocken geratener akademischer Karriere neuen Schwung verleihen würde. Lizzie war die Einzige in unserem Bekannten- und Verwandtenkreis, die ein Buch geschrieben hatte, das wirklich verlegt wurde. Sie war erleichtert, es fertiggestellt zu haben, und ich war sehr stolz auf sie. Für die Howes - für Jeremy, Lizzie, Jessica und Lucy - konnte es nicht mehr besser kommen.
Wer also waren die Howes? Lizzie wurde 1958 in Bradford on Avon in Wiltshire geboren. Ihre Schwester Louise folgte 1961. Die Eltern, Ethel und Mirko Milicevic, Maka und Deda genannt (Serbisch für Großmutter und Großvater), hatten in Belgrad geheiratet, wo Maka - direkt nach ihrer Schulausbildung in Westbury Wilts und ohne jemals zuvor eine Auslandsreise unternommen zu haben - im diplomatischen Dienst arbeitete. Da es ihr dort nicht gefi el (nach ihrer Heirat mit einem »Einheimischen« wurde ihre Sicherheitsermächtigung herabgestuft; tatsächlich wurde sie zur Sekretärin degradiert) und er als Angehöriger der Mittelschicht so seine Probleme in Titos kommunistischem Staat hatte, gingen sie nach England. Der Beamte, der Deda ein sechsmonatiges Auslandsvisum ausstellte, sagte ihm, wenn er nicht zurückkomme, könne er sich als toten Mann betrachten. Da Deda nichts anderes vorhatte, als für immer in England zu bleiben, ignorierte er das Visum und kehrte erst wieder nach Jugoslawien zurück, als besagter Beamte fünfzehn Jahre später starb. Nur widerstrebend besorgte Makas Vater eine Arbeit für Deda. Da die Nachfrage nach in Serbien ausgebildeten Rechtsanwälten in Großbritannien gering war, putzte er die Böden in der Bowyers-Wurstfabrik in der Nähe von Bradford on Avon. Nach einigen Monaten meinte sein Vorarbeiter zu ihm, wenn er sich gut anstelle, könne er es in fünf Jahren vielleicht zum Vorarbeiter bringen. Als ich Lizzie kennenlernte, hatten sie und ihre Schwester eine Privatschule in Bath besucht, sie hatten ein tolles Haus, und Deda war Finanzvorstand der Firma, die die Firma aufgekauft hatte, die Bowyers aufgekauft hatte.
Ich wurde 1956 als das mittlere von drei Kindern, Jonathan, Jeremy und Philippa, in Bexleyheath in Kent geboren - so nannte sich der Ort, der im Grunde nur ein völlig anonymer Vorort von London war. Mein Vater, der im Spätherbst 1991 in Folge von so ziemlich allem verstarb, hatte im West End einen kleinen Stoffhandel, der unter Heaths Drei-TageWoche pleite ging, sodass wir fast die ganzen Siebziger hindurch in Armut lebten. Was insofern nicht einer gewissen Ironie entbehrte, als er sein Leben lang ein treuer Anhänger des Parlamentsmitglieds unseres Wahlkreises war, eines gewissen Edward Heath. Dass meine Mutter ihn verließ, machte es nicht unbedingt besser (er war ein netter Mann, aber ein Workaholic, der nie da war und nie viel redete - ich konnte sie verstehen). Vier Jahre lang lebten wir getrennt, er bei seiner Mutter in Teddington, wir in Bromley bei ihrer Mutter in einem weitläufi gen Haus, in dem wir ungestört toben konnten, weil wir keine Möbel besaßen. Das Haus gehörte zum größten Teil meiner Tante, Mutters Schwester, die immer damit drohte, selbst einzuziehen, weshalb die Hälfte der Räume unbewohnt blieb.
Übersetzung: Karl-Heinz Ebnet
Copyright © 2012 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
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Bibliographische Angaben
- Autor: Jeremy Howe
- 2012, 1. Aufl., 301 Seiten, Maße: 12,5 x 18,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Ebnet, Karl-Heinz
- Übersetzer: Karl-Heinz Ebnet
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404606604
- ISBN-13: 9783404606603
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