Mein Weg
Mit ihr führt Hugo Müller-Vogg Gespräche über ihre Motive und Prinzipien, über ihr...
Mit ihr führt Hugo Müller-Vogg Gespräche über ihre Motive und Prinzipien, über ihr Leben in der DDR und über ihre ungewöhnliche Karriere nach der Wende.
MeinWeg von Angela Merkel
(EinGespräch mit Hugo Müller-Vogg)
LESEPROBE
1
Werteund Motive
»Die eigeneIdee mehrheitsfähig zu machen - das fasziniert mich«
Sie sind als erste Frau an die Spitze einer großenVolkspartei aufgestiegen. Jetzt greifen Sie als erste Frau nach der Kanzlerschaft.Hätten Sie je davon zu träumen gewagt?
Dies spieltein meinen Träumen nie eine Rolle. Aber mit der Übernahme des Parteivorsitzeswar auch die grundsätzliche Möglichkeit der Kanzlerkandidatur verbunden. Jetztist sie Realität geworden.
Ihre Kanzlerkandidatur hat sich nicht so einfachangedeutet. Sie haben ja auch tatkräftig darauf hingearbeitet.
Wie gesagt:Wenn ich mir das Amt nicht zutrauen würde, hätte ich ja nicht Parteivorsitzendewerden dürfen.
Noch nie war in der deutschen Politik eine Frau somächtig. Staunen Sie manchmal über sich selbst?
Staunen wäredas falsche Wort. Manchmal halte ich inne - und finde es, gelinde gesagt,bemerkenswert, welche Chancen ich hatte und habe. Ich bin dann aber auch wiederganz froh, dass man sich nicht ständig bewusst ist, wann welcher Schritt welcheTragweite haben könnte. Da ginge dann doch viel Leichtigkeit und Intuitionverloren.
Sind Sie eigentlich stolz auf sich? Oder sagen Sie sich,aufgrund meiner Fähigkeiten war mit diesem Werdegang eigentlich zu rechnen?
So denke ichnicht über mich nach. Ich bin einfach mit mir im Reinen, nicht mehr und nichtweniger. Sicherlich habe ich ein paar Fähigkeiten, die zu meinem Wegbeigetragen haben. Ich weiß aber auch, dass es da immer noch etwashinzuzulernen gibt. Sonst wäre das Leben aber ja auch langweilig.
Was betrachten Sie selbst als Ihre bisher größteLeistung?
Gleich zuBeginn meiner Arbeit als Umweltministerin habe ich 1995 als Präsidentin dieKlimakonferenz in Berlin geleitet. An deren Ende stand das so genannte BerlinerMandat, aus dem dann später das Weltklima-Abkommen von Kioto hervorgegangenist. Daran waren gut 130 Staaten beteiligt. Für mich war die Berliner Konferenzauch eine erste große Begegnung mit allen möglichen Facetten dieser Welt: dieUmweltprobleme, der Reichtum, die Armut, Entwicklungsländer, Europäische Union -was auch immer. In den vierzehn Tagen der Konferenz hatte ich mir bei denTeilnehmern ein Vertrauen erworben, das dazu beigetragen hat, dass am Ende eingutes Ergebnis stand. Das empfinde ich als eine meiner besten Leistungen.
Sie sprechen von einer Ihrer Leistungen, welche anderenLeistungen würden Sie noch nennen?
Es gibtLeistungen - oder vielleicht sollten wir doch besser Erfahrungen sagen -, diewahrlich nicht rundum erfreulich, aber notwendig waren. Während derCDU-Spendenaffäre zum Beispiel habe ich etwas getan, von dem ich glaube, dasses unbedingt nötig war. Auf dem Höhepunkt der Krise habe ich einen Aufsatzgeschrieben, der Ende 1999 in der »F.A.Z.« veröffentlicht wurde ...
Die Loslösung vom Übervater Kohl ...
So nennenSie es. Für mich war es eine notwendige Standortbestimmung der Union inmitteneiner existenziellen Krise. Es war etwas, was mir im Übrigen sehr schwergefallen ist, was aber - gerade auch im Rückblick gesehen - für die Zukunft derCDU ungeheuer wichtig war. Schließlich könnte ich noch einen dritten Punktnennen, der mich gleichsam mit den Grenzen des Rechtsstaats konfrontiert hat:Das waren die Castor-Transporte in meiner Zeit als Umweltministerin. Damalshabe ich mir sehr viele Gedanken darüber gemacht, was das Gewaltmonopol desStaates bedeutet und was es heißt, Recht durchzusetzen. Diese Konfliktedurchzustehen, betrachte ich für mich als wichtige Leistungen.
Sie haben 1990 hart um die Nominierung im BundestagswahlkreisStralsund-Rügen kämpfen müssen. Wenn Sie damals unterlegen wären, wäre Ihre Karrierevielleicht schon zu Ende gewesen, bevor sie überhaupt begonnen hatte.
Das glaubeich nicht. Günther Krause hatte für mich sogar noch einen Ersatzwahlkreisbereitgehalten, Ribnitz-Damgarten. Denn kein Mensch hatte für möglich gehalten,dass ich schon die Entscheidung auf Rügen für mich gewinnen würde.
Dennoch: Das hätte ja auch schief gehen können. Was hätteAngela Merkel dann getan?
KeineAhnung, was dann gekommen wäre. Ich war zu der Zeit noch beim Bundespresseamtangestellt. Der Kontakt zur Politik wäre also geblieben. Vielleicht wäre ichauch irgendwo Landesministerin geworden. Damals gab es ja viele Möglichkeiten.Denn die Politik hat mich damals schon sehr fasziniert. Ich hätte wahrscheinlichnicht davon gelassen, auch wenn es mit einem Wahlkreis oder Mandat nicht sofortgeklappt hätte.
Was war das, was Sie an Politik so fasziniert hat?
In der DDRhabe ich es immer unglaublich bedrückend empfunden, nicht mit Menschen frei zuarbeiten, offen sprechen zu können. Das hatte mich nach der Wende gepackt.Deshalb hätte ich mir sicherlich eine Arbeit außerhalb naturwissenschaftlicher Grundlagenforschunggesucht. Dann hätte ich mich schon eher als Kommunikationschefin etwa in einemChemieunternehmen gesehen ...
Das wird sehr gut bezahlt ...
Das spieltekeine Rolle. Außerdem hatte ich auch noch eine zweite Traumidee: Ich wollteLeiterin eines Arbeitsamtes werden. Ich hatte mir gedacht, das würde ich intelligenteranstellen, mehr Kraft in die Vermittlung legen und so weiter. Wie dem auch sei:Das sind eben so die kleinen Illusionen, die man eine Zeit lang mit sich trägt.Ich habe jedenfalls immer versucht, mir neben der politischen Arbeit noch eineAlternative vorzustellen.
Also, nach dem ersten Kontakt mit der Politik gab es keinZurück zur Physik?
Ich glaube,ich war eine gute Physikerin, zwar keine überragende, die etwanobelpreisverdächtig gewesen wäre, aber eine gute. Mein Berufswunsch war durchdie Lebensumstände in der DDR geprägt worden, weil die naturwissenschaftlicheTätigkeit versprach, nahe an der Wahrheit arbeiten zu können.
Die deutsche Einheit war auch die Chance, noch mal eineandere Wahl zu treffen?
Ja. Ich warnicht unglücklich in meinem Beruf, aber es gab durch die deutsche Einheit auchin diesem Punkt eine Tür, die sich plötzlich für mich öffnete. Andere, meinMann zum Beispiel, haben gesagt, jetzt kann ich endlich naturwissenschaftlich soarbeiten, wie ich mir das immer gewünscht habe. Bei mir war das anders.
Hausfrau und Mutter war das für Sie nie eine Alternative?
Bei mir hates sich so nicht ergeben. Mein Leben hat sich einfach anders entwickelt. Aberich habe großen Respekt vor Frauen, die sich für ein Leben als Hausfrau undMutter entscheiden.
Was würde der CDU heute fehlen, wenn Sie sich damalsanders entschieden hätten?
Ganzeinfach: Ich würde der CDU fehlen.
Könnten Sie dieses Defizit etwas konkreter definieren?
Die Frage müssteneigentlich andere beantworten. Aber wenn Sie unbedingt wollen: Der CDU würdejemand fehlen, der 35 Jahre seines Lebens in einem System ohne Freiheit gelebthat und deshalb den einzigartigen Wert von Freiheit heute bei den ganzenReformbemühungen, aber auch bei internationalen Konflikten in den Mittelpunktpolitischer Entscheidungen stellt. Denn ohne Freiheit ist alles nichts. Der CDUwürde heute jemand fehlen, der auch große Lust auf Unerwartetes hat, aufBrücken zu allen Gesellschaftsgruppen, auch Lust auf Veränderung. Der CDU würdeauch jemand fehlen, der mit dazu beigetragen hat, dass uns nach 1998 einbemerkenswerter Wandel geglückt ist. 25 Jahre lang war Helmut Kohl die CDU, unddie CDU war Helmut Kohl. Er hat die Partei durch und durch geprägt, mich ja auch.Aber heute ist eine neue Zeit. Nach der verlorenen Wahl 1998 musste eine neueGeneration die Dinge in die Hand nehmen. Hinzu kam die Spendenaffäre an derJahreswende 1999/ 2000. Die Frage war, wie es mit der CDU überhaupt weitergehenkönnte. Auf der einen Seite gab es eine Gruppe von jüngeren CDU-Politikern,die schon lange dabei waren, auf der ande-
ren Seitegab es einige wenige, die keine solche Sozialisation hatten, die eigentlichQuereinsteiger waren. Dazu gehörte natürlich ich aus den neuen Bundesländern.Dass diese Volkspartei in des Wortes wahrer Bedeutung dann die Kraftaufgebracht hat, jemanden mit einer ganz anderen Herkunft zur Vorsitzenden zu wählen,wäre ohne das Desaster der Spendenaffäre nicht denkbar gewesen. Das ist undbleibt aber eine große Sache. So ist es - man könnte sagen - zu einerAmalgamierung gekommen.
Für Nichtnaturwissenschaftler: zu einer Verbindungeigentlich unterschiedlicher Elemente.
Ja, zu einerVerbindung der historisch gewachsenen CDU mit einem neuen, anderen Element. Ichglaube, dass ich es geschafft habe, diese CDU in ihrer Lage richtigwahrzunehmen, sie auch zu meiner wirklichen politischen Heimat werden zulassen. Zugleich jedoch mit dafür zu sorgen, dass die Partei, die oft als zuverschlossen beschimpft wurde, diese neue Offenheit auch aushalten konnte. Dasalles ist nun zusammengewachsen. Und dabei hat die CDU ein Gesicht bekommen,das viele ihr nicht zugetraut haben. Dabei hat sie ihre Grundprinzipien janicht verloren, sondern - ganz im Gegenteil - kann sie jetzt erst recht weiterentwickeln, und das inmitten von Globalisierung und Säkularisierung, um nurzwei Schlagworte zu nennen.
Bleiben wir noch etwas bei den Motiven, Politik zu machen:Dienst an der Gemeinschaft, zu gestalten, Macht auszuüben, im Rampenlicht zustehen. Was gab für Sie den Ausschlag?
Ganz klar -die Freude daran, etwas gestalten zu können. Es ist eine immer wiederinteressante Spannung: Man hat eine Idee, weiß aber, dass man heillos verlorenist mit dieser Idee, wenn es nicht gelingt, andere davon zu überzeugen.Möglichst viel von dieser eigenen Idee unter Mitnahme anderer Menschen zu einermehrheitsfähigen Idee zu machen - das ist etwas sehr Faszinierendes.
© Hoffmannund Campe
- Autor: Angela Merkel
- 2005, Aktualis. Ausg., 284 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 12,5 x 20,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Mitarbeit: Müller-Vogg, Hugo
- Verlag: Hoffmann und Campe
- ISBN-10: 3455095380
- ISBN-13: 9783455095388
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