Meisterklasse
Roman
Kat will das Familienunternehmen verlassen. Aber das ist nicht so einfach, wenn die Familie aus einer Bande berühmt-berüchtigter Meisterdiebe besteht. So rasant wie 'Ocean's 11': der US-Bestseller von Ally Carter Als Katarina Bishop drei Jahre alt...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Meisterklasse “
Kat will das Familienunternehmen verlassen. Aber das ist nicht so einfach, wenn die Familie aus einer Bande berühmt-berüchtigter Meisterdiebe besteht. So rasant wie 'Ocean's 11': der US-Bestseller von Ally Carter Als Katarina Bishop drei Jahre alt war, nahmen ihre Eltern sie mit in den Louvre - um ihn auszurauben. Zu ihrem siebten Geburtstag durfte sie mit Onkel Eddie nach Österreich reisen - um die Kronjuwelen zu stehlen. Mit fünfzehn hat sie genug von diesem Leben und fälscht sich eine Legende, die es ihr ermöglicht, ein elitäres Ostküsten-Internat zu besuchen und eine ganz normale Schülerin zu sein. Doch dieses Glück währt nur sehr kurz, denn die Familie ruft: Einem Mafia-Boss wurden fünf Gemälde von unschätzbarem Wert gestohlen, und dieser verdächtigt Kats Vater. In der Klemme zwischen Interpol und dem Mafia-Boss, braucht Kats Vater dringend Hilfe. Kat bleibt nichts anderes übrig, als die Bilder zu finden und sie wiederzubeschaffen - und nebenbei ihr eigenes Leben zurückzustehlen.
Klappentext zu „Meisterklasse “
Kat will das Familienunternehmen verlassen. Aber das ist nicht so einfach, wenn die Familie aus einer Bande berühmt-berüchtigter Meisterdiebe besteht. So rasant wie 'Ocean's 11': der US-Bestseller von Ally CarterAls Katarina Bishop drei Jahre alt war, nahmen ihre Eltern sie mit in den Louvre - um ihn auszurauben. Zu ihrem siebten Geburtstag durfte sie mit Onkel Eddie nach Österreich reisen - um die Kronjuwelen zu stehlen.
Mit fünfzehn hat sie genug von diesem Leben und fälscht sich eine Legende, die es ihr ermöglicht, ein elitäres Ostküsten-Internat zu besuchen und eine ganz normale Schülerin zu sein. Doch dieses Glück währt nur sehr kurz, denn die Familie ruft: Einem Mafia-Boss wurden fünf Gemälde von unschätzbarem Wert gestohlen, und dieser verdächtigt Kats Vater. In der Klemme zwischen Interpol und dem Mafia-Boss, braucht Kats Vater dringend Hilfe. Kat bleibt nichts anderes übrig, als die Bilder zu finden und sie wiederzubeschaffen - und nebenbei ihr eigenes Lebenzurückzustehlen.
Lese-Probe zu „Meisterklasse “
Meisterklasse von Ally Carter... mehr
Niemand wusste, wann genau es mit den Problemen im Colgan-Internat angefangen hatte. Einige Mitglieder der Ehemaligen-Vereinigung gaben der Entscheidung, auch Mädchen aufzunehmen, die Schuld daran. Andere schoben es auf neumodische liberale Ideen und einen weltweiten Verfall des Respekts vor Älteren. Doch unabhängig von der jeweiligen Theorie ließ sich nicht leugnen, dass das Leben im Colgan-Internat sich verändert hatte.
Sicher, das Gelände war nach wie vor makellos gepflegt. Drei Viertel der Abschlussklasse waren bereits auf dem besten Wege, frühzeitig an einer der Eliteuniversitäten der Ivy League angenommen zu werden. Fotos von Präsidenten, Senatoren und Konzernchefs säumten noch immer den mit dunklem Holz getäfelten Korridor vor dem Büro des Schulleiters.
Aber in der guten alten Zeit hätte niemand die Aufnahme ins Colgan einen Tag vor Unterrichtsbeginn ausgeschlagen und damit die Verwaltung gezwungen, in letzter Minute händeringend nach Ersatz zu suchen. Früher hätte es für jeden freien Platz eine ellenlange Warteliste gegeben, doch in diesem Jahr gab es aus irgendeinem Grund nur noch einen Anwärter.
Vor allem aber: Es hatte eine Zeit gegeben, in der Ehre im Colgan-Internat etwas bedeutet hatte, als Schuleigentum respektiert und der Lehrkörper verehrt worden war - und der makellose 1958er Porsche Speedster des Schulleiters niemals an einem ungewöhnlich warmen Novemberabend auf dem Brunnen im Innenhof gelandet wäre, wo Wasser aus seinen Scheinwerfern sprudelte.
Es hatte eine Zeit gegeben, da das Mädchen, das dafür verantwortlich war - just die Glückliche, die erst wenige Monate zuvor den frei gewordenen Platz ergattert hatte -, den Anstand besessen hätte, die Tat einzugestehen und still und leise die Schule zu verlassen. Unglücklicherweise jedoch war diese Ära - ähnlich wie die Zeit des Schulleiter- Porsches - zu Ende.
Zwei Tage nach Porsche-Gate, wie der Vorfall bei den Schülern bald hieß, besaß das fragliche Mädchen die Unverfrorenheit, erhobenen Hauptes im Korridor des Verwaltungsgebäudes unter den strengen Schwarzweißfoto- Blicken dreier Senatoren, zweier Präsidenten und eines Richters am Obersten Bundesgericht zu sitzen, als hätte sie nichts Unrechtes getan.
An diesem Tag liefen mehr Schüler als gewöhnlich durch den Korridor, um einen Blick auf das Mädchen zu erhaschen und hinter vorgehaltener Hand zu tuscheln.
»Das ist sie.«
»Das ist die, von der ich dir erzählt habe.«
»Was glaubst du, wie sie es gemacht hat?«
Jeder andere Schüler hätte, derart ins Rampenlicht gerückt, den Kopf eingezogen, aber aus Katarina Bishop wurde man nicht schlau. Manche sagten, sie sei deshalb in letzter Minute aufgenommen worden, weil ihr Vater, der ein unglaublich reicher europäischer Geschäftsmann sei, der Schule eine sehr großzügige Schenkung gemacht habe. Andere betrachteten ihre tadellose Haltung und ihre gelassene Art, ließen sich den Vornamen auf der Zunge zergehen und nahmen an, sie stamme aus dem russischen Zarengeschlecht - eine der letzten Romanows.
Für manche war sie eine Heldin, für andere ein Freak.
Jeder hatte eine andere Geschichte gehört, doch die Wahrheit ahnte niemand: dass Kat in Wirklichkeit zwar ihre Kindheit in ganz Europa verbracht hatte, aber keine reiche Erbin war. Dass sie tatsächlich ein Fabergé-Ei besaß, aber keine Romanow war. Kat selbst hätte noch Tausende von Gerüchten beisteuern können, doch sie schwieg, denn sie wusste, das Einzige, was ihr niemand abnehmen würde, wäre die Wahrheit.
»Katarina?«, rief die Sekretärin des Schulleiters. »Das Ehrengericht möchte Sie jetzt sehen.«
Kat erhob sich gelassen, doch als sie auf die offene Tür neben dem Büro des Schulleiters zuging, hörte sie ihre Schuhe quietschen. In ihren Händen kribbelte es, und sämtliche Nerven waren zum Zerreißen gespannt: Sie erkannte, dass sie in den vergangenen drei Monaten irgendwie zu einer Person geworden war, die quietschende Schuhe trug. Man würde sie kommen hören, ob es ihr nun gefiel oder nicht.
Kat war es gewohnt, auf den ersten Blick sämtliche Winkel eines Raums zu erfassen, aber einen Raum wie diesen hatte sie noch nie gesehen.
Der Korridor war lang und gerade, dieses Zimmer jedoch war rund. Dunkles Holz umgab sie; die Lampen an der niedrigen Decke gaben nur ein trübes Licht. Kat wäre sich wie in einer Höhle vorgekommen, wäre da nicht das eine hohe schmale Fenster gewesen, durch das ein Sonnenstrahl hereinfiel. Kat merkte, dass sie die Hände danach ausstreckte, doch da räusperte sich jemand. Ein Bleistift rollte über einen Schreibtisch, Kats Schuhe quietschten erneut und holten sie zurück in die Gegenwart.
»Sie dürfen sich setzen.«
Die Stimme kam aus dem hinteren Teil des Raums, und zunächst konnte Kat sie nicht zuordnen. Die Stimme war ihr nicht vertraut, ebenso wenig wie die Gesichter vor ihr: Die zwölf zu ihrer Rechten waren faltenfrei und jung - Schüler wie sie (oder jedenfalls ihr so ähnlich, wie das bei Colgan-Schülern möglich war). Bei den zwölf Personen zu ihrer Linken waren die Haare ein wenig dünner oder das Make-up ein wenig dicker aufgetragen. Unabhängig vom jeweiligen Alter trugen alle Angehörigen des Colgan Ehrengerichts die gleichen schwarzen Gewänder und beobachteten mit gleichermaßen ausdrucksloser Miene, wie Kat in die Mitte des runden Zimmers ging.
»Setzen Sie sich, Ms Bishop«, sagte Direktor Franklin, der in der ersten Reihe saß. Das dunkle Gewand machte ihn ausgesprochen blass. Sein Gesicht war zu pausbäckig, das Haar zu penibel frisiert. Kat vermutete, dass er die Sorte Mann war, die sich wünschte, ebenso schnell und sportlich zu sein wie ihr Auto. Und dabei musste sie trotz allem grinsen: Sie stellte sich vor, wie der Direktor selbst auf dem Brunnen im Hof hockte und Wasser spie.
Nachdem Kat sich gesetzt hatte, erhob sich der Oberstufenschüler neben dem Direktor und verkündete: »Ich bitte um Ruhe im Ehrengericht des Colgan-Internats.« Seine Stimme füllte den ganzen Raum. »Wer zu sprechen wünscht, wird angehört werden. Wer bereit ist, dem Licht zu folgen, wird sehen. Wer Gerechtigkeit sucht, wird die Wahrheit finden. Ehre für einen«, schloss der Junge, und ehe Kat recht verarbeiten konnte, was sie da gehört hatte, antworteten vierundzwanzig Stimmen im Chor: »Ehre für alle.«
Der Junge setzte sich wieder und blätterte in einem alten ledergebundenen Buch, bis der Direktor ihn ansprach:
»Jason ...«
»Oh. Natürlich.« Jason hob das schwere Buch. »Das Ehrengericht des Colgan-Internats wird über den Fall der Katarina Bishop, Schülerin im zweiten Jahr, befinden. Wir werden Beweismaterial sehen, demzufolge Ms Bishop am zehnten November vorsätzlich ... ähm ... persönliches Eigentum gestohlen hat.« Jason wählte seine Worte mit Bedacht. Ein Mädchen in der zweiten Reihe unterdrückte ein Lachen.
»Demzufolge sie, da sie die Tat um zwei Uhr morgens beging, außerdem gegen die vorgeschriebene Nachtruhe verstoßen hat. Und demzufolge Ms Bishop vorsätzlich Schuleigentum zerstört hat.« Jason ließ das Buch sinken und hielt inne - ein wenig zu dramatisch, fand Kat. Dann fügte er hinzu: »Nach dem Ehrenkodex des Colgan-Internats sind diese Vergehen durch Schulausschluss zu ahnden. Verstehen Sie die Vorwürfe, die Ihnen soeben verlesen wurden?« Kat begriff nicht sogleich, dass das Schulgericht wirklich eine Antwort von ihr erwartete. Dann sagte sie: »Ich habe es nicht getan.«
»Die Vorwürfe.« Direktor Franklin beugte sich vor. »Die Frage, Ms Bishop, lautete, ob Sie die Vorwürfe verstehen.«
»Ja.« Kat spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte.
»Ich bin bloß nicht damit einverstanden.«
»Ich -«, setzte der Direktor erneut an, doch eine Frau zu seiner Rechten berührte ihn sachte am Arm. Sie lächelte Kat an und sagte: »Herr Direktor, ich meine, mich zu erinnern, dass in Angelegenheiten wie dieser üblicherweise die gesamte Schullaufbahn eines Schülers in Betracht gezogen wird. Vielleicht sollten wir mit einer Prüfung von Ms Bishops Akte beginnen?«
»Oh.« Der Direktor sah aus, als hätte man ihm die Luft herausgelassen. »Nun, Sie haben ganz recht, Ms Connors, aber da Ms Bishop erst seit wenigen Monaten bei uns ist, haben wir keine nennenswerte Akte über sie.«
»Aber dies ist doch gewiss nicht die erste Schule, die diese junge Frau besucht?«, fragte Ms Connors, und Kat unterdrückte ein nervöses Lachen.
»Nun, das stimmt«, räumte der Direktor widerwillig ein. »Sicher. Wir haben ja auch versucht, Kontakt mit diesen Schulen aufzunehmen, aber an der Trinity gab es einen Brand, bei dem das gesamte Sekretariat und die meisten Unterlagen vernichtet wurden. Und das Institut Berne hatte letzten Sommer einen furchtbaren Computerabsturz, von daher war es ausgesprochen schwierig ... etwas zu erfahren. «
Der Direktor sah Kat an, als würden die Katastrophen ihr auf Schritt und Tritt folgen. Ms Connors hingegen schien beeindruckt zu sein. »Das sind zwei der angesehensten Schulen Europas.«
»Ja, Ma'am. Mein Vater, er ... arbeitet oft dort.«
»Was machen deine Eltern eigentlich?« Kat suchte die zweite Reihe nach dem Mädchen ab, das diese Frage gestellt hatte. Was hatten die Berufe ihrer Eltern eigentlich hiermit zu tun? Doch dann fiel Kat wieder ein, dass das Colgan die Sorte Schule war, an der Wohnort und Beruf der Eltern offenbar immer eine Rolle spielten.
»Meine Mutter starb, als ich sechs war.«
Einige Anwesende seufzten daraufhin mitleidig, aber Direktor Franklin ließ sich nicht beirren. »Und Ihr Vater?«, fragte er, nicht willens, zuzulassen, dass eine praktischerweise verstorbene Mutter Kat irgendwelche Sympathiestimmen eintrug.
»Was macht der?«
»Kunst«, sagte Kat schlicht und vorsichtig. »Er macht alles Mögliche, aber sein Fachgebiet ist Kunst.« Der Leiter des Fachbereichs Kunst merkte auf. »Sammler?« Wieder musste Kat sich das Lächeln verkneifen. »Eher ... Vertrieb.«
»Das ist ja alles höchst interessant«, fuhr Direktor Franklin dazwischen, »aber es hat nichts mit ... der vorliegenden Angelegenheit zu tun.« Kat hätte schwören können, dass er um ein Haar gesagt hätte: mit meinem Cabriolet. Darauf sagte niemand etwas. Das Einzige, was sich regte, war der Staub, der noch immer in dem schmalen Lichtstreifen tanzte. Schließlich beugte Direktor Franklin sich vor, kniff die Augen zusammen und durchbohrte Kat mit seinem Blick. »Ms Bishop, wo waren Sie am Abend des zehnten November?«, fuhr er sie an.
»In meinem Zimmer. Ich habe gelernt.«
»An einem Freitagabend? Da haben Sie gelernt?« Der Direktor warf seinen Kollegen einen empörten Blick zu, als wäre das die dreisteste Lüge, die ein Colgan-Schüler jemals vorzubringen gewagt hatte. »Na ja, das Colgan ist wirklich eine außergewöhnlich anspruchsvolle Schule. Ich muss lernen.«
»Und Sie haben niemanden gesehen?«, fragte Jason.
»Nein, ich -«
»Oh, aber jemand hat Sie gesehen, nicht wahr, Ms Bishop? «, warf Direktor Franklin mit eiskalter, schneidender Stimme ein. »Wir haben hier Kameras, die das Gelände überwachen. Wussten Sie das etwa nicht?«, fragte er und gluckste. Aber natürlich wusste Kat von den Kameras. Sie wusste vermutlich mehr über sämtliche Aspekte der Sicherheitsvorkehrungen des Colgan als der Schulleiter, doch das behielt sie im Augenblick lieber für sich. Es gab zu viele Zeugen. Zu viel stand auf dem Spiel. Außerdem nahm der Direktor jetzt mit einem triumphierenden Lächeln eine Fernbedienung und dämpfte das Licht im Raum noch mehr. Kat musste sich auf ihrem Stuhl umdrehen, denn hinter ihr glitt ein Teil der runden Wand beiseite und gab den Blick frei auf einen großen Fernsehschirm.
»Diese junge Dame weist eine verblüffende Ähnlichkeit mit Ihnen auf, finden Sie nicht, Ms Bishop?« Als Kat das körnige Schwarzweißvideo anschaute, erkannte sie selbstverständlich den Innenhof, doch die Person im schwarzen Kapuzenshirt, die da quer über den Hof rannte, hatte sie noch nie gesehen. »Das bin ich nicht.«
»Aber die Türen zum Schülerwohngebäude wurden in dieser Nacht nur ein einziges Mal geöffnet - um zwei Uhr siebenundzwanzig morgens -, und zwar mit einem Schülerausweis. Mit diesem Schülerausweis.« Kats Magen zog sich zusammen: Auf dem Bildschirm erschien das allerschlechteste Foto, das sie je gemacht hatte. »Dies ist Ihr Colgan-Schülerausweis, nicht wahr, Ms Bishop?«
»Ja, schon, aber -«
»Und das hier«, Direktor Franklin griff unter seinen Stuhl, »wurde bei einer Durchsuchung Ihrer persönlichen Habe gefunden.«
Als er das personalisierte Nummernschild - Colgan-1 - hoch hielt, schien es förmlich zu leuchten. Kat hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Mit Anschuldigungen kannte sie sich ja aus, aber ungerechtfertigte Anschuldigungen waren Neuland für sie.
»Katarina?«, fragte Ms Connors, als flehte sie Kat an, zu beweisen, dass sie sich irrten.
»Ich weiß, das sieht nach sehr vielen, sehr überzeugenden Beweisen aus«, sagte Kat und dachte fieberhaft nach. »Aber sind es nicht vielleicht zu viele Beweise? Ich meine, hätte ich wirklich meinen eigenen Ausweis benutzt, wenn ich es getan hätte?«
»Sie meinen, da es Beweise dafür gibt, dass Sie es getan haben, beweist das, dass Sie es nicht getan haben?« Selbst Ms Connors klang skeptisch.
»Na ja«, sagte Kat, »ich bin doch nicht dumm.«
Der Schulleiter lachte. »Na dann - wie hätten Sie es denn gemacht?« Er machte sich über sie lustig - warf ihr einen Köder hin -, doch Kat überlegte unwillkürlich, wie die Antwort lauten könnte: Es gab eine Abkürzung hinter Warren Hall. Dieser Weg war kürzer und dunkler und völlig frei von Kameras ... Man brauchte keinen Ausweis, um die Türen zu öffnen, wenn man genügend Kaugummi dabeihatte, um den Sensor auf dem Weg hinaus zuzukleben ... Einen solchen Streich würde man nicht ausgerechnet dann spielen, wenn das Servicepersonal am nächsten Morgen lange vor den Schülern auf sein würde ...
Direktor Franklin lächelte selbstgefällig und weidete sich an ihrem Schweigen, als wäre er wer weiß wie schlau. Aber Kat hatte bereits gelernt, dass die Leute am Colgan sich häufig irrten - zum Beispiel hatte ihr Italienischlehrer behauptet, mit ihrem Akzent würde Kat auf den Straßen Roms sofort auffallen. (Obwohl Kat bei einem besonders schwierigen Job in der Vatikanstadt schon als Franziskanernonne durchgegangen war.) Sie dachte daran, wie albern ihre Kunstgeschichtslehrerin geklungen hatte, als sie über den Anblick der Mona Lisa ins Schwärmen geraten war. (Dabei wusste Kat zufällig, dass das Original im Louvre 1862 durch eine Fälschung ersetzt worden war.) Kat hatte vieles gelernt, ehe sie sich im Colgan-Internat angemeldet hatte - und eines wusste sie genau: Das Colgan war ein Ort, an dem sie niemals darüber reden konnte.
»Ich weiß ja nicht, wie das an der Trinity oder am Institut Berne oder an sonst einer dieser europäischen Schulen gehandhabt wird, junge Dame, aber hier im Colgan-Internat befolgen wir die Regeln.« Donnernd schlug die Faust des Direktors auf den Tisch. »Wir respektieren das Eigentum anderer. Wir halten uns an den Ehrenkodex dieser Einrichtung und an die Gesetze dieses Landes.« Aber mit Ehre kannte Kat sich selbst aus. Sie war mit ihrem eigenen Satz Regeln aufgewachsen. Und die erste Regel in Katarina Bishops Familie lautete schlicht und ergreifend: Lass dich nicht erwischen.
»Katarina«, sagte Ms Connors, »haben Sie irgendetwas hinzuzufügen, was das alles erklären könnte?« Kat hätte sagen können: Das bin ich nicht, oder: Da muss ein Irrtum vorliegen. Die bittere Ironie lag darin, dass sie sich ohne weiteres mit einer Lüge hätte herausreden können - wenn sie denn wirklich etwas angestellt hätte. Aber die Wahrheit sagen? Darin war sie nicht so gut. Ihr Schülerausweis war kopiert worden. Das Nummernschild war in ihrem Zimmer platziert worden. Irgendjemand hatte sich genau wie sie gekleidet und dafür gesorgt, dass die Kameras ihn aufnahmen. Sie war hereingelegt worden. Und Kat wagte nicht auszusprechen, was sie insgeheim dachte: dass derjenige sehr, sehr gut war.
Kats Taschen waren in zwanzig Minuten gepackt. Sie hätte vielleicht noch herumgetrödelt, sich verabschiedet, doch da war niemand, von dem sie sich hätte verabschieden können. Und so fragte Kat sich nach drei Monaten auf dem Colgan unwillkürlich, ob der Tag, an dem sie vom Internat verwiesen wurde, womöglich der stolzeste Augenblick in der langen und schillernden Geschichte ihrer Familie werden würde. Sie malte sich aus, wie sie in einigen Jahren alle um Onkel Eddies Küchentisch herum sitzen und davon erzählen würden, wie die kleine Katarina einmal ein ganzes fremdes Leben gestohlen hatte und dann wieder daraus verschwunden war, ohne eine Spur zu hinterlassen.
Na ja, fast, dachte Kat, als sie ihre Taschen am ehemals makellosen Rasen vorbeitrug. Tiefe Furchen verliefen immer noch vom Rand zum verstümmelten Brunnen in der Mitte des Innenhofs: eine schlammige Erinnerung, die zweifellos bis zum Frühjahr zu sehen sein würde.
Hinter sich hörte sie Gelächter und drehte sich um. Eine Gruppe Achtklässler stand flüsternd zusammen. Schließlich war einer so mutig, sich ihr zu nähern.
»Ähm ...«, setzte er an. Er warf einen Blick zurück zu seinen Freunden und nahm seinen Mut zusammen. »Wir haben uns gefragt ... ähm ... Wie hast du das gemacht?«
Eine Stretchlimousine fuhr durchs reichverzierte Tor und hielt am Bordstein. Der Kofferraum klappte auf. Während der Fahrer nach ihren Taschen griff, sah Kat die Jungen an und warf dann einen letzten Blick auf das Colgan. »Das ist eine ausgezeichnete Frage.«
Es klingelte. Schüler eilten über den Innenhof zur nächsten Unterrichtsstunde. Als Kat auf den Rücksitz der Limousine kletterte, wurde sie unwillkürlich ein bisschen traurig oder jedenfalls so traurig, wie man sein konnte, wenn man etwas verloren hatte, was einem von Anfang an nicht rechtmäßig zugestanden hatte. Sie lehnte sich zurück und seufzte. »Tja, das war's dann wohl.«
Und das wäre es auch gewesen ... wenn nicht eine andere Stimme gesagt hätte: »Genau genommen fängt es gerade erst an.«
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Niemand wusste, wann genau es mit den Problemen im Colgan-Internat angefangen hatte. Einige Mitglieder der Ehemaligen-Vereinigung gaben der Entscheidung, auch Mädchen aufzunehmen, die Schuld daran. Andere schoben es auf neumodische liberale Ideen und einen weltweiten Verfall des Respekts vor Älteren. Doch unabhängig von der jeweiligen Theorie ließ sich nicht leugnen, dass das Leben im Colgan-Internat sich verändert hatte.
Sicher, das Gelände war nach wie vor makellos gepflegt. Drei Viertel der Abschlussklasse waren bereits auf dem besten Wege, frühzeitig an einer der Eliteuniversitäten der Ivy League angenommen zu werden. Fotos von Präsidenten, Senatoren und Konzernchefs säumten noch immer den mit dunklem Holz getäfelten Korridor vor dem Büro des Schulleiters.
Aber in der guten alten Zeit hätte niemand die Aufnahme ins Colgan einen Tag vor Unterrichtsbeginn ausgeschlagen und damit die Verwaltung gezwungen, in letzter Minute händeringend nach Ersatz zu suchen. Früher hätte es für jeden freien Platz eine ellenlange Warteliste gegeben, doch in diesem Jahr gab es aus irgendeinem Grund nur noch einen Anwärter.
Vor allem aber: Es hatte eine Zeit gegeben, in der Ehre im Colgan-Internat etwas bedeutet hatte, als Schuleigentum respektiert und der Lehrkörper verehrt worden war - und der makellose 1958er Porsche Speedster des Schulleiters niemals an einem ungewöhnlich warmen Novemberabend auf dem Brunnen im Innenhof gelandet wäre, wo Wasser aus seinen Scheinwerfern sprudelte.
Es hatte eine Zeit gegeben, da das Mädchen, das dafür verantwortlich war - just die Glückliche, die erst wenige Monate zuvor den frei gewordenen Platz ergattert hatte -, den Anstand besessen hätte, die Tat einzugestehen und still und leise die Schule zu verlassen. Unglücklicherweise jedoch war diese Ära - ähnlich wie die Zeit des Schulleiter- Porsches - zu Ende.
Zwei Tage nach Porsche-Gate, wie der Vorfall bei den Schülern bald hieß, besaß das fragliche Mädchen die Unverfrorenheit, erhobenen Hauptes im Korridor des Verwaltungsgebäudes unter den strengen Schwarzweißfoto- Blicken dreier Senatoren, zweier Präsidenten und eines Richters am Obersten Bundesgericht zu sitzen, als hätte sie nichts Unrechtes getan.
An diesem Tag liefen mehr Schüler als gewöhnlich durch den Korridor, um einen Blick auf das Mädchen zu erhaschen und hinter vorgehaltener Hand zu tuscheln.
»Das ist sie.«
»Das ist die, von der ich dir erzählt habe.«
»Was glaubst du, wie sie es gemacht hat?«
Jeder andere Schüler hätte, derart ins Rampenlicht gerückt, den Kopf eingezogen, aber aus Katarina Bishop wurde man nicht schlau. Manche sagten, sie sei deshalb in letzter Minute aufgenommen worden, weil ihr Vater, der ein unglaublich reicher europäischer Geschäftsmann sei, der Schule eine sehr großzügige Schenkung gemacht habe. Andere betrachteten ihre tadellose Haltung und ihre gelassene Art, ließen sich den Vornamen auf der Zunge zergehen und nahmen an, sie stamme aus dem russischen Zarengeschlecht - eine der letzten Romanows.
Für manche war sie eine Heldin, für andere ein Freak.
Jeder hatte eine andere Geschichte gehört, doch die Wahrheit ahnte niemand: dass Kat in Wirklichkeit zwar ihre Kindheit in ganz Europa verbracht hatte, aber keine reiche Erbin war. Dass sie tatsächlich ein Fabergé-Ei besaß, aber keine Romanow war. Kat selbst hätte noch Tausende von Gerüchten beisteuern können, doch sie schwieg, denn sie wusste, das Einzige, was ihr niemand abnehmen würde, wäre die Wahrheit.
»Katarina?«, rief die Sekretärin des Schulleiters. »Das Ehrengericht möchte Sie jetzt sehen.«
Kat erhob sich gelassen, doch als sie auf die offene Tür neben dem Büro des Schulleiters zuging, hörte sie ihre Schuhe quietschen. In ihren Händen kribbelte es, und sämtliche Nerven waren zum Zerreißen gespannt: Sie erkannte, dass sie in den vergangenen drei Monaten irgendwie zu einer Person geworden war, die quietschende Schuhe trug. Man würde sie kommen hören, ob es ihr nun gefiel oder nicht.
Kat war es gewohnt, auf den ersten Blick sämtliche Winkel eines Raums zu erfassen, aber einen Raum wie diesen hatte sie noch nie gesehen.
Der Korridor war lang und gerade, dieses Zimmer jedoch war rund. Dunkles Holz umgab sie; die Lampen an der niedrigen Decke gaben nur ein trübes Licht. Kat wäre sich wie in einer Höhle vorgekommen, wäre da nicht das eine hohe schmale Fenster gewesen, durch das ein Sonnenstrahl hereinfiel. Kat merkte, dass sie die Hände danach ausstreckte, doch da räusperte sich jemand. Ein Bleistift rollte über einen Schreibtisch, Kats Schuhe quietschten erneut und holten sie zurück in die Gegenwart.
»Sie dürfen sich setzen.«
Die Stimme kam aus dem hinteren Teil des Raums, und zunächst konnte Kat sie nicht zuordnen. Die Stimme war ihr nicht vertraut, ebenso wenig wie die Gesichter vor ihr: Die zwölf zu ihrer Rechten waren faltenfrei und jung - Schüler wie sie (oder jedenfalls ihr so ähnlich, wie das bei Colgan-Schülern möglich war). Bei den zwölf Personen zu ihrer Linken waren die Haare ein wenig dünner oder das Make-up ein wenig dicker aufgetragen. Unabhängig vom jeweiligen Alter trugen alle Angehörigen des Colgan Ehrengerichts die gleichen schwarzen Gewänder und beobachteten mit gleichermaßen ausdrucksloser Miene, wie Kat in die Mitte des runden Zimmers ging.
»Setzen Sie sich, Ms Bishop«, sagte Direktor Franklin, der in der ersten Reihe saß. Das dunkle Gewand machte ihn ausgesprochen blass. Sein Gesicht war zu pausbäckig, das Haar zu penibel frisiert. Kat vermutete, dass er die Sorte Mann war, die sich wünschte, ebenso schnell und sportlich zu sein wie ihr Auto. Und dabei musste sie trotz allem grinsen: Sie stellte sich vor, wie der Direktor selbst auf dem Brunnen im Hof hockte und Wasser spie.
Nachdem Kat sich gesetzt hatte, erhob sich der Oberstufenschüler neben dem Direktor und verkündete: »Ich bitte um Ruhe im Ehrengericht des Colgan-Internats.« Seine Stimme füllte den ganzen Raum. »Wer zu sprechen wünscht, wird angehört werden. Wer bereit ist, dem Licht zu folgen, wird sehen. Wer Gerechtigkeit sucht, wird die Wahrheit finden. Ehre für einen«, schloss der Junge, und ehe Kat recht verarbeiten konnte, was sie da gehört hatte, antworteten vierundzwanzig Stimmen im Chor: »Ehre für alle.«
Der Junge setzte sich wieder und blätterte in einem alten ledergebundenen Buch, bis der Direktor ihn ansprach:
»Jason ...«
»Oh. Natürlich.« Jason hob das schwere Buch. »Das Ehrengericht des Colgan-Internats wird über den Fall der Katarina Bishop, Schülerin im zweiten Jahr, befinden. Wir werden Beweismaterial sehen, demzufolge Ms Bishop am zehnten November vorsätzlich ... ähm ... persönliches Eigentum gestohlen hat.« Jason wählte seine Worte mit Bedacht. Ein Mädchen in der zweiten Reihe unterdrückte ein Lachen.
»Demzufolge sie, da sie die Tat um zwei Uhr morgens beging, außerdem gegen die vorgeschriebene Nachtruhe verstoßen hat. Und demzufolge Ms Bishop vorsätzlich Schuleigentum zerstört hat.« Jason ließ das Buch sinken und hielt inne - ein wenig zu dramatisch, fand Kat. Dann fügte er hinzu: »Nach dem Ehrenkodex des Colgan-Internats sind diese Vergehen durch Schulausschluss zu ahnden. Verstehen Sie die Vorwürfe, die Ihnen soeben verlesen wurden?« Kat begriff nicht sogleich, dass das Schulgericht wirklich eine Antwort von ihr erwartete. Dann sagte sie: »Ich habe es nicht getan.«
»Die Vorwürfe.« Direktor Franklin beugte sich vor. »Die Frage, Ms Bishop, lautete, ob Sie die Vorwürfe verstehen.«
»Ja.« Kat spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte.
»Ich bin bloß nicht damit einverstanden.«
»Ich -«, setzte der Direktor erneut an, doch eine Frau zu seiner Rechten berührte ihn sachte am Arm. Sie lächelte Kat an und sagte: »Herr Direktor, ich meine, mich zu erinnern, dass in Angelegenheiten wie dieser üblicherweise die gesamte Schullaufbahn eines Schülers in Betracht gezogen wird. Vielleicht sollten wir mit einer Prüfung von Ms Bishops Akte beginnen?«
»Oh.« Der Direktor sah aus, als hätte man ihm die Luft herausgelassen. »Nun, Sie haben ganz recht, Ms Connors, aber da Ms Bishop erst seit wenigen Monaten bei uns ist, haben wir keine nennenswerte Akte über sie.«
»Aber dies ist doch gewiss nicht die erste Schule, die diese junge Frau besucht?«, fragte Ms Connors, und Kat unterdrückte ein nervöses Lachen.
»Nun, das stimmt«, räumte der Direktor widerwillig ein. »Sicher. Wir haben ja auch versucht, Kontakt mit diesen Schulen aufzunehmen, aber an der Trinity gab es einen Brand, bei dem das gesamte Sekretariat und die meisten Unterlagen vernichtet wurden. Und das Institut Berne hatte letzten Sommer einen furchtbaren Computerabsturz, von daher war es ausgesprochen schwierig ... etwas zu erfahren. «
Der Direktor sah Kat an, als würden die Katastrophen ihr auf Schritt und Tritt folgen. Ms Connors hingegen schien beeindruckt zu sein. »Das sind zwei der angesehensten Schulen Europas.«
»Ja, Ma'am. Mein Vater, er ... arbeitet oft dort.«
»Was machen deine Eltern eigentlich?« Kat suchte die zweite Reihe nach dem Mädchen ab, das diese Frage gestellt hatte. Was hatten die Berufe ihrer Eltern eigentlich hiermit zu tun? Doch dann fiel Kat wieder ein, dass das Colgan die Sorte Schule war, an der Wohnort und Beruf der Eltern offenbar immer eine Rolle spielten.
»Meine Mutter starb, als ich sechs war.«
Einige Anwesende seufzten daraufhin mitleidig, aber Direktor Franklin ließ sich nicht beirren. »Und Ihr Vater?«, fragte er, nicht willens, zuzulassen, dass eine praktischerweise verstorbene Mutter Kat irgendwelche Sympathiestimmen eintrug.
»Was macht der?«
»Kunst«, sagte Kat schlicht und vorsichtig. »Er macht alles Mögliche, aber sein Fachgebiet ist Kunst.« Der Leiter des Fachbereichs Kunst merkte auf. »Sammler?« Wieder musste Kat sich das Lächeln verkneifen. »Eher ... Vertrieb.«
»Das ist ja alles höchst interessant«, fuhr Direktor Franklin dazwischen, »aber es hat nichts mit ... der vorliegenden Angelegenheit zu tun.« Kat hätte schwören können, dass er um ein Haar gesagt hätte: mit meinem Cabriolet. Darauf sagte niemand etwas. Das Einzige, was sich regte, war der Staub, der noch immer in dem schmalen Lichtstreifen tanzte. Schließlich beugte Direktor Franklin sich vor, kniff die Augen zusammen und durchbohrte Kat mit seinem Blick. »Ms Bishop, wo waren Sie am Abend des zehnten November?«, fuhr er sie an.
»In meinem Zimmer. Ich habe gelernt.«
»An einem Freitagabend? Da haben Sie gelernt?« Der Direktor warf seinen Kollegen einen empörten Blick zu, als wäre das die dreisteste Lüge, die ein Colgan-Schüler jemals vorzubringen gewagt hatte. »Na ja, das Colgan ist wirklich eine außergewöhnlich anspruchsvolle Schule. Ich muss lernen.«
»Und Sie haben niemanden gesehen?«, fragte Jason.
»Nein, ich -«
»Oh, aber jemand hat Sie gesehen, nicht wahr, Ms Bishop? «, warf Direktor Franklin mit eiskalter, schneidender Stimme ein. »Wir haben hier Kameras, die das Gelände überwachen. Wussten Sie das etwa nicht?«, fragte er und gluckste. Aber natürlich wusste Kat von den Kameras. Sie wusste vermutlich mehr über sämtliche Aspekte der Sicherheitsvorkehrungen des Colgan als der Schulleiter, doch das behielt sie im Augenblick lieber für sich. Es gab zu viele Zeugen. Zu viel stand auf dem Spiel. Außerdem nahm der Direktor jetzt mit einem triumphierenden Lächeln eine Fernbedienung und dämpfte das Licht im Raum noch mehr. Kat musste sich auf ihrem Stuhl umdrehen, denn hinter ihr glitt ein Teil der runden Wand beiseite und gab den Blick frei auf einen großen Fernsehschirm.
»Diese junge Dame weist eine verblüffende Ähnlichkeit mit Ihnen auf, finden Sie nicht, Ms Bishop?« Als Kat das körnige Schwarzweißvideo anschaute, erkannte sie selbstverständlich den Innenhof, doch die Person im schwarzen Kapuzenshirt, die da quer über den Hof rannte, hatte sie noch nie gesehen. »Das bin ich nicht.«
»Aber die Türen zum Schülerwohngebäude wurden in dieser Nacht nur ein einziges Mal geöffnet - um zwei Uhr siebenundzwanzig morgens -, und zwar mit einem Schülerausweis. Mit diesem Schülerausweis.« Kats Magen zog sich zusammen: Auf dem Bildschirm erschien das allerschlechteste Foto, das sie je gemacht hatte. »Dies ist Ihr Colgan-Schülerausweis, nicht wahr, Ms Bishop?«
»Ja, schon, aber -«
»Und das hier«, Direktor Franklin griff unter seinen Stuhl, »wurde bei einer Durchsuchung Ihrer persönlichen Habe gefunden.«
Als er das personalisierte Nummernschild - Colgan-1 - hoch hielt, schien es förmlich zu leuchten. Kat hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Mit Anschuldigungen kannte sie sich ja aus, aber ungerechtfertigte Anschuldigungen waren Neuland für sie.
»Katarina?«, fragte Ms Connors, als flehte sie Kat an, zu beweisen, dass sie sich irrten.
»Ich weiß, das sieht nach sehr vielen, sehr überzeugenden Beweisen aus«, sagte Kat und dachte fieberhaft nach. »Aber sind es nicht vielleicht zu viele Beweise? Ich meine, hätte ich wirklich meinen eigenen Ausweis benutzt, wenn ich es getan hätte?«
»Sie meinen, da es Beweise dafür gibt, dass Sie es getan haben, beweist das, dass Sie es nicht getan haben?« Selbst Ms Connors klang skeptisch.
»Na ja«, sagte Kat, »ich bin doch nicht dumm.«
Der Schulleiter lachte. »Na dann - wie hätten Sie es denn gemacht?« Er machte sich über sie lustig - warf ihr einen Köder hin -, doch Kat überlegte unwillkürlich, wie die Antwort lauten könnte: Es gab eine Abkürzung hinter Warren Hall. Dieser Weg war kürzer und dunkler und völlig frei von Kameras ... Man brauchte keinen Ausweis, um die Türen zu öffnen, wenn man genügend Kaugummi dabeihatte, um den Sensor auf dem Weg hinaus zuzukleben ... Einen solchen Streich würde man nicht ausgerechnet dann spielen, wenn das Servicepersonal am nächsten Morgen lange vor den Schülern auf sein würde ...
Direktor Franklin lächelte selbstgefällig und weidete sich an ihrem Schweigen, als wäre er wer weiß wie schlau. Aber Kat hatte bereits gelernt, dass die Leute am Colgan sich häufig irrten - zum Beispiel hatte ihr Italienischlehrer behauptet, mit ihrem Akzent würde Kat auf den Straßen Roms sofort auffallen. (Obwohl Kat bei einem besonders schwierigen Job in der Vatikanstadt schon als Franziskanernonne durchgegangen war.) Sie dachte daran, wie albern ihre Kunstgeschichtslehrerin geklungen hatte, als sie über den Anblick der Mona Lisa ins Schwärmen geraten war. (Dabei wusste Kat zufällig, dass das Original im Louvre 1862 durch eine Fälschung ersetzt worden war.) Kat hatte vieles gelernt, ehe sie sich im Colgan-Internat angemeldet hatte - und eines wusste sie genau: Das Colgan war ein Ort, an dem sie niemals darüber reden konnte.
»Ich weiß ja nicht, wie das an der Trinity oder am Institut Berne oder an sonst einer dieser europäischen Schulen gehandhabt wird, junge Dame, aber hier im Colgan-Internat befolgen wir die Regeln.« Donnernd schlug die Faust des Direktors auf den Tisch. »Wir respektieren das Eigentum anderer. Wir halten uns an den Ehrenkodex dieser Einrichtung und an die Gesetze dieses Landes.« Aber mit Ehre kannte Kat sich selbst aus. Sie war mit ihrem eigenen Satz Regeln aufgewachsen. Und die erste Regel in Katarina Bishops Familie lautete schlicht und ergreifend: Lass dich nicht erwischen.
»Katarina«, sagte Ms Connors, »haben Sie irgendetwas hinzuzufügen, was das alles erklären könnte?« Kat hätte sagen können: Das bin ich nicht, oder: Da muss ein Irrtum vorliegen. Die bittere Ironie lag darin, dass sie sich ohne weiteres mit einer Lüge hätte herausreden können - wenn sie denn wirklich etwas angestellt hätte. Aber die Wahrheit sagen? Darin war sie nicht so gut. Ihr Schülerausweis war kopiert worden. Das Nummernschild war in ihrem Zimmer platziert worden. Irgendjemand hatte sich genau wie sie gekleidet und dafür gesorgt, dass die Kameras ihn aufnahmen. Sie war hereingelegt worden. Und Kat wagte nicht auszusprechen, was sie insgeheim dachte: dass derjenige sehr, sehr gut war.
Kats Taschen waren in zwanzig Minuten gepackt. Sie hätte vielleicht noch herumgetrödelt, sich verabschiedet, doch da war niemand, von dem sie sich hätte verabschieden können. Und so fragte Kat sich nach drei Monaten auf dem Colgan unwillkürlich, ob der Tag, an dem sie vom Internat verwiesen wurde, womöglich der stolzeste Augenblick in der langen und schillernden Geschichte ihrer Familie werden würde. Sie malte sich aus, wie sie in einigen Jahren alle um Onkel Eddies Küchentisch herum sitzen und davon erzählen würden, wie die kleine Katarina einmal ein ganzes fremdes Leben gestohlen hatte und dann wieder daraus verschwunden war, ohne eine Spur zu hinterlassen.
Na ja, fast, dachte Kat, als sie ihre Taschen am ehemals makellosen Rasen vorbeitrug. Tiefe Furchen verliefen immer noch vom Rand zum verstümmelten Brunnen in der Mitte des Innenhofs: eine schlammige Erinnerung, die zweifellos bis zum Frühjahr zu sehen sein würde.
Hinter sich hörte sie Gelächter und drehte sich um. Eine Gruppe Achtklässler stand flüsternd zusammen. Schließlich war einer so mutig, sich ihr zu nähern.
»Ähm ...«, setzte er an. Er warf einen Blick zurück zu seinen Freunden und nahm seinen Mut zusammen. »Wir haben uns gefragt ... ähm ... Wie hast du das gemacht?«
Eine Stretchlimousine fuhr durchs reichverzierte Tor und hielt am Bordstein. Der Kofferraum klappte auf. Während der Fahrer nach ihren Taschen griff, sah Kat die Jungen an und warf dann einen letzten Blick auf das Colgan. »Das ist eine ausgezeichnete Frage.«
Es klingelte. Schüler eilten über den Innenhof zur nächsten Unterrichtsstunde. Als Kat auf den Rücksitz der Limousine kletterte, wurde sie unwillkürlich ein bisschen traurig oder jedenfalls so traurig, wie man sein konnte, wenn man etwas verloren hatte, was einem von Anfang an nicht rechtmäßig zugestanden hatte. Sie lehnte sich zurück und seufzte. »Tja, das war's dann wohl.«
Und das wäre es auch gewesen ... wenn nicht eine andere Stimme gesagt hätte: »Genau genommen fängt es gerade erst an.«
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
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Autoren-Porträt von Ally Carter
Ally Carter ist Autorin erfolgreicher Jugendbuchserien, deren Bände regelmäßig auf den Bestsellerlisten der 'New York Times' und von 'USA Today' erscheinen.Ally Carter lebt und arbeitet in Oklahoma.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ally Carter
- 2013, 1. Auflage., 368 Seiten, Maße: 12,5 x 18,8 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Jakubeit, Alice
- Übersetzer: Alice Jakubeit
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596190347
- ISBN-13: 9783596190348
- Erscheinungsdatum: 20.06.2013
Rezension zu „Meisterklasse “
'Meisterklasse' von Ally Carter, erzählt eine rasante Diebesgeschichte mit einer üppigen Portion Thrill, Schwung und Sexappeal. Ruth Rousselange Saarbrücker Zeitung 20110822
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