NGO als Lebenswelt
Transnationale Verflechtungen im Arbeitsalltag von Entwicklungsakteuren
Der Arbeitsalltag westafrikanischer Entwicklungsakteure im Rahmen von NGO-Partnerschaften ist weitgehend unerforscht. Die Tatsache, dass viele dieser Akteure selbst an der Schwelle zu einem Phänomen stehen, das in Entwicklungsdiskursen als "Armut"...
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Produktinformationen zu „NGO als Lebenswelt “
Klappentext zu „NGO als Lebenswelt “
Der Arbeitsalltag westafrikanischer Entwicklungsakteure im Rahmen von NGO-Partnerschaften ist weitgehend unerforscht. Die Tatsache, dass viele dieser Akteure selbst an der Schwelle zu einem Phänomen stehen, das in Entwicklungsdiskursen als "Armut" bezeichnet wird, findet kaum Beachtung. Diese Ethnographie führt die paradigmatischen Veränderungen der Internationalen Zusammenarbeit mit der Analyse eines von Unsicherheit geprägten Alltags in Burkina Faso zusammen. An der Schnittstelle von Theorie und Empirie werden neue Einsichten zu den Verflechtungen von NGO-Praktiken in Westafrika mit transnationalen Ordnungen der Entwicklungspraxis gewonnen.
Großformatiges Paperback. Klappenbroschur
Lese-Probe zu „NGO als Lebenswelt “
Einleitung: Zivilgesellschaft in Burkina Faso - Linguistische und historische PerspektivenDie Holzbank, auf der ich sitze, steht auf dem kleinen Hof eines ehemaligen Chefs, nicht weit vom nördlichen Stadtrand von Zorgho, einer Provinzhauptstadt in Burkina Faso. Alle nennen ihn nur »den Alten« (»le vieux«) - vermutlich, weil er mindestens 90 Jahre alt ist. Er sitzt auf einem tiefen Baststuhl vor seiner Eingangstür, an dem ein dicker dunkelbrauner Gehstock lehnt. Direkt darunter steht ein weißer Kochtopf mit bunten Blumenmustern. Der Deckel ist geschlossen, doch vermute ich, dass Hirsebrei (sagbo) darin ist. Ein Huhn schleicht auf der Suche nach Körnern um ihn herum und ein kleiner Junge steht verschüchtert an der Eingangspforte und betrachtet uns neugierig. Eine warme Windböhe spielt mit dem Stroh auf dem Dach des Hauses.Es ist der 11. April 2015 und sengend heiß. Der Chef trägt ein beiges djelaba, von dem ich nicht sicher bin, ob es früher einmal weiß war. Seine taqiyah ist mit kleinen, braunen Karomustern verziert. Er hat ein schmales Gesicht mit einem krausen, weißen Bart und zusammengekniffenen Augen. Seit vielen Jahren ist er blind. Als meine Begleitung Bernard mich vorstellt, gehe ich auf die Knie und nehme die suchende Hand des Mannes. Ich greife wiederholt nach ihr, so wie es üblich ist, wenn man eine Respektsperson in Burkina Faso begrüßt. Dann bitte ich Bernard, sich bei ihm für seine Bereitschaft zu bedanken, mir etwas über die Zeit zu erzählen, in der er Präsident einer Association war.Alles habe mit einer Versammlung seines Wohngebiets (saka) in den frühen achtziger Jahren begonnen, als mit Besorgnis festgestellt wurde, dass zu viele Bäume gerodet worden waren. Die Männer entschieden, eine Association zu gründen, um dieses Problem zu beheben und durch ihre Zusammenarbeit etwas mehr Geld zu verdienen. Die Gruppe bestand aus siebzig Mitgliedern und es war »der Alte«, der in einem Stechen gegen seinen Konkurrenten zum Präsidenten gewählt wurde. Kurz darauf
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wendeten sich die Association-Mitglieder an eine kleine Baumschule in Zorgho, die ihnen Baumsetzlinge auf Kredit bereitstellte. Damit bauten sie gemeinsam Bohnen und Mais an und verkauften ihre Ernten. Beim Bürgermeisteramt erbaten sie außerdem die Unterstützung für den Bau eines Staudamms, um ihr Gemüse bewässern zu können. Er wurde nie gebaut.Prä- und postkoloniale Formen von Zivilgesellschaft in Burkina FasoIn der Regierungsphase (1983-1987) des sozialistischen Revolutionärs Thomas Sankara beteiligten sich die Mitglieder der Association auch an sozialen Hausbauprojekten (Schmitz 1987: 171f.), von denen noch heute Gebäude in Zorgho erhalten sind: Zum Beispiel das alte Bürgermeisteramt und eine alte Entbindungsstation, die heute eine Apotheke ist. Sankara gehörte zu einem der wichtigsten Vertreter einer solidarischen und selbstbestimmten Mobilisierung gegen 'Armut' und gab Impulse für gemeinnützige Projekte in ländlichen Regionen. Er glaubte grundsätzlich nicht an eine 'Entwicklung' Burkina Fasos mithilfe ausländischer Gelder (Skinner 1988: 444f.). Neben den Selbsthilfemaßnahmen und ihrem Beitrag zu Sankaras gemeinnützigen Projekten, ermöglichte die Association auch Unterstützungsmechanismen für Männer und Frauen, die unter besonders prekären Bedingungen lebten und sich nicht selbst versorgen konnten. Sie gingen in die Ortschaften und verteilten einen Teil ihrer Ernten an diejenigen, die Hunger litten, sowie an eingeschränkte und ältere Menschen. Als Gegenleistung habe die Gemeinschaft ihnen auf den Feldern und bei Baumaßnahmen geholfen, erinnert sich »der Alte«. Seine Association sei demnach eine lagem-n-tar-sulli und nicht nur eine song-tab-sulli gewesen.In der Sprache Mooré bedeutet song-tabsulli (deutsch »gegenseitige Hilfe« [song taaba], »Gruppe« [sulli]) übersetzt »Gruppe gegenseitiger Hilfe« und beschreibt Gemeinschaften, die reziproke Sicherheitsmechanismen für sich einführen. Dazu gehören Tätigkeiten, wie zum Beispiel der Bau von großen Speichern (
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Inhaltsverzeichnis zu „NGO als Lebenswelt “
InhaltEinleitung: Zivilgesellschaft in Burkina Faso - Linguistische und historische Perspektiven 11I. Ausgangspunkte1. Multilokale Perspektiven 31Feldforschung: Von den Anfängen und der Rückkehr 32Verflechtungen in der Arena und epistemologische Brüche 37Multilokale Feldforschung in schwer zugänglichen Feldern 41Paradigmen und Policy: Vom Wandel nichtstaatlicher Entwicklungspraxis 462. Phänomenologische Zugänge 57Lebenswelten: Zerklüftete Wahrnehmungen 58Popitz' Anthropologie der Macht: Anwendung und Kritik 61»Vom Aschenputtel zur Prinzessin«: Agency und die Kunst zu Handeln 65'Rationalitäten'? Perspektiven auf Alltag und Bürokratie 73II. Historische Perspektiven3. Biografische Narrative und Organisationsgeschichten 83Biografisch-narrative Interviews als epistemologisches Dilemma 83Michel, »Biiga Biiga Neere« (BBN) und die Waisenschule 87Zoyandé, »Zaabre Vênem« und die Landwirtschaft 102Julie, »Paga Teegre« und die Frauen von Zorgho 112Tom, »Kôbgo Bugum« und Bildungslandschaften 1244. Vergangene Lebenswege: Interpretationen 137Akteursperspektiven: Motive und Lebenswelten 138Institutionengeschichte: Gesetze, 'NGO-ing' und Konsequenzen der Professionalisierung 150III. 'Armut' und Entwicklung5. Nuancen sogenannter 'Armut': Alltagsroutinen 171'Armut' in den Kategorien naongo und fare: Eine linguistische Analyse 172Die Ökonomie der Gelegenheit und zeitökonomische Dilemmata 179Diskontinuitäten, zukunftsbezogene Investitionen und Verlustspiralen 188Soziale Dimensionen: Die Scham und das Worverlieren 1966. Entwicklung als Verflechtung 205Projektzeiten: Handlungserwartungen und Rechenschaftssysteme 212Rhetorik, Handeln und das Wesen der Bürokratie 221Staubige Ruinen: Macht, Kontrolle und Ästhetik 2307.Der NGO-Arbeitsalltag als Gratwanderung 241IV. Praktiken8. Partnerschaften 250Arbeitslöhne, Präsenzpflicht und Zeit 251Kommunikation und Machtinstrumente in einer mechanischen Partnerschaft (BBN-YV) 257Kommunikation und Zäsuren in einer dynamischen Partnerschaft (ZV-UP) 2679.
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Arbeitsalltag 275Ressourcenallokationen, 'Shrinking Spaces' und Selbstfinanzierung von NGOs in Burkina Faso 276Authentische Zeugnisse: NGO-Akteure im Dienst der Rechenschaft 285Widerstand in 'engmaschigen' Partnerschaften: Drei Fallbeispiele 29210. NGO-Akteure in Afrika als Schlüsselfiguren in transnationalen Entwicklungsprogrammen 301»Heißes und kaltes Wasser«: Gratwanderungen in NGO-Partnerschaften 305Abkürzungen 325Abbildungen 326Danksagung 327Literatur 329Internetquellen 345
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Autoren-Porträt von Melina Kalfelis
Melina C. Kalfelis ist Visiting Fellow an der Universität Bayreuth.
Bibliographische Angaben
- Autor: Melina Kalfelis
- 2020, 347 Seiten, Maße: 14,1 x 21,4 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: CAMPUS VERLAG
- ISBN-10: 3593510685
- ISBN-13: 9783593510682
- Erscheinungsdatum: 13.03.2020
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