Kreslehner, G: Rabenschwestern
Kriminalroman
Schwesternhass kann tödlich sein
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Buch
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Kreslehner, G: Rabenschwestern “
Schwesternhass kann tödlich sein
Klappentext zu „Kreslehner, G: Rabenschwestern “
Kommissarin Franza Oberwieser ist eine lebenslustige und kompromisslose Frau. Sie steht zu ihren Leidenschaften wie dem Plätzchenbacken und ihrer neuen großen Liebe, dem jüngeren Schauspieler Port. Da fordert ein Fall ihre ganze Aufmerksamkeit. Gertrud Rabinsky, die beliebte Töpferladen-Besitzerin, wurde brutal ermordet. Doch erst als Hanna Umlauf vermisst gemeldet wird, erfährt Franza, dass die bekannte Fotografin Gertruds Schwester war. Zwei Frauen, zwei Fälle, zwei Schicksale. Wo ist die Verbindung? Für Franza wird die Suche nach Hanna zu einer Achterbahnfahrt: Ist die schöne Frau Opfer oder Täter?
Lese-Probe zu „Kreslehner, G: Rabenschwestern “
Rabenschwestern von Gabi Kreslehner1
Sie blickte auf die Uhr. Zwei Stunden bis zum Abflug. Genügend Zeit. Wunderbar viel Zeit. Ob sie doch ...?
Sie hatte die Fläschchen leuchten sehen, vorhin, als sie am Laden vorbeigegangen war, nur vorbei, nicht hinein, flüchtig hatten ihre Blicke die Regale gestreift, sie hatte sich nicht erlaubt stehen zu bleiben, nicht erlaubt, ihrer Sehnsucht nachzugeben. Aber nun begann ihr Herz schneller zu klopfen, sie schloss die Augen, um es intensiver zu fühlen, konzentrierter. Sie mochte es. Dieses Gefühl. Dieses Prickeln. Die beginnende Erregung. Ihr wurde heiß und zugleich kalt, sie vergaß jede Angst, mit jeder Faser ihres Herzens zog es sie in den Laden, zwischen die Regale, zwischen die Düfte, in die Stille der Glitzerfläschchen.
Kurz stand sie noch da, spannte all ihre Sinne an. Horchte. Schaute. Witterte. Streckte endlich die Hand aus.
Und liebte es. Auf der Stelle. Wie immer. Dieses Gefühl. Dieses Prickeln. Die Kühle des Flakons, die wie eine rasche Welle durch ihre Finger lief, sobald sie ihn berührte, die ihre Hände durchdrang und sich in ihre Haut brannte wie etwas von Bestand.
Darum nur tat sie es. Tat es immer wieder, nicht zu oft, aber doch ... immer wieder, wenn das Glitzern der Flakons ihr mild in die Augen funkelte, wenn das Glitzern der Flakons sachte ihr Herz berührte, wenn es sagte und flüsterte und hauchte: Ich bin eine Möglichkeit. Dann ... tat sie es.
... mehr
Schaute sich um, witterte wie ein Tier, Augen wach, Ohren hell, Herz im Sturm, sog ein, was es einzusaugen gab ... Stimmen, Bewegung in den Gängen, Blicke, die sie streiften ... gefahrgefahrgefahr ... und wenn ihr Herz sich beruhigte, wenn sein Schlag sich normalisierte, dann griff sie zu, dann schlug sie eine Bresche in die unberührten Reihen der Flakons, dann war sie Tigerin, Löwin, ein Raubtier auf der Jagd, hinter einem Duft her, einem, den sie aus ihrer Kindheit zu kennen glaubte, der ihr abhandengekommen war, gänzlich und verzweifelt abhandengekommen in den Jahren, als sie erwachsen geworden war, in den Jahren, als die Sicherheiten noch immer nicht sicher schienen und sie hineingefallen war in ein Suchen und immer noch nicht angekommen.
Später, in der Ruhe der Toilette, öffnete sie mit zitternden Fingern das Fläschchen und ließ seinen Duft verströmen und augenblicklich ... verlor es seinen Zauber, verlor es die Magie, die noch kurz zuvor ihr Herz zum Jubeln gebracht hatte. Kein Duft des Erinnerns, keiner, nie.
Die Enttäuschung war milder geworden mit der Zeit, erfahrener und abgeklärter, aber blieb niemals aus, zwängte sich in ihre Erinnerung als schaler Geschmack, als Missverständnis.
Sie ging.
Immer ging sie dann rasch, fiel ins Laufen, hatte noch kurz das Bild des Flakons vor den Augen, der im Müll gelandet war und mühsam versuchte, noch ein wenig zu glitzern, ein wenig zu sprühen, jedoch inmitten von Zigarettenkippen, angebissenen Wurstbrötchen, Apfelbutzen und geknackten Coladosen erlosch.
Manchmal stellte sie sich vor, wie es wäre, wenn jemand sie entdeckte auf einem ihrer Gespensterzüge, wenn jemand auf sie zukäme mit raschen Schritten und entschlossenen Blicken. Sie wusste, sie würde sich wehren. Endlich würde sich auszahlen, was sie gelernt hatte in den Selbstverteidigungskursen im Sportunterricht, zielsicher würde sie mit ihrem spitzen Schuh im Schritt des Angreifers landen, in den Weichteilen dort, die lediglich geschützt waren durch ein bisschen Stoff und also wehrlos ausgeliefert der Spitze eines Schuhs und seiner verheerenden Wirkung.
Lilli fragte sich, wie es sich wohl anfühlte, wenn ihr Schuh an dieser Stelle landete, sie fragte sich, ob der Schrei jenes unglücklichen Flakonwächters ihr mit der gleichen Vehemenz in die Eingeweide fahren würde wie ihm der Schmerz.
Sie wusste, spätestens dann würde sie loslaufen, trotz der Schmerzen, die sie und ihn durchzuckten. Nein, keiner sollte sie ihr entreißen, die Glitzerfläschchen, die Kühlespender, die Trophäen ihrer Unerschrockenheit.
Lilli lächelte zittrig und atmete tief durch. Und dachte an den Flakon im Müll auf der Toilette und lehnte sich zurück und starrte auf die Anzeige auf dem Bildschirm, der ihren Flug ankündigte und dass bald boarding time war und dass sie in ein paar Stunden daheim sein würde, daheim, was immer das war.
Sie lächelte ein wenig verloren, ein wenig erschrocken über die Gedanken, die manchmal in ihr flatterten wie schwarze Vögel, wie Gespenster, vage und durchscheinend wie Schatten, aber doch klar genug, dass Lilli sie als Abgrund erkannte.
Sie dachte daran, wie ihre Hand den Flakon umschlossen hatte, wie sie gespürt hatte, dass der spitze Verschluss in ihre Handfläche stach, wie die Kühle sich in eine matte Wärme verwandelte, aber die Wärme war in ihren Fingern nicht angekommen.
Auch jetzt fror sie, fröstelnd zog sie den Mantel um sich, der dunkelviolette Samt war eigentlich zu warm für die Jahreszeit, für die Wärme des frühen Septembernachmittags, aber sie fror leicht und sie liebte diesen Mantel, liebte seine geraden Linien, die in der sanften Weichheit des Samtes so mild wurden und alle Strenge verloren. Sie hatte den Mantel am Ende des Londonsommers in Soho entdeckt, im winzigen Laden eines noch unbekannten Designers, sie hatte ihr Gesicht auf den Ärmel gelegt, in den Samt, und war augenblicklich versunken in dieser Weichheit, in dieser dunkelvioletten Geborgenheit, und hatte gewusst, sie musste ihn haben, diesen Mantel, koste es, was es wolle. Es hatte dann nicht sooo viel gekostet, eine kleine Stange Geld jedoch allemal, aber das machte nichts, denn sie ahnte, sie würde ihn tragen, bis er ihr in Fetzen vom Leibe fiel.
Es gab noch dies und das in dem Laden, vor allem aber gab es den Designer himself, der, als er Lilli sah, einen eigenartig verzückten Blick bekam, dessen Hingerissenheit sie nachempfinden konnte, weil sie sie selber für den Mantel fühlte.
Ob sie bleibe, ihm Muse sei, ihre Gesichtszüge, ihr Haar, ihr Körper, ihre Beine, ohhhhh ... alles sei sooooo ... ohhhh ... ob sie bleibe ... your name, miss?
Sie lächelte ein bisschen stolz, ein bisschen verwirrt, gab vor, ihn nicht zu verstehen, sie sei Touristin und very bad in english.
Als sie den Laden endlich verließ, hatte er sie noch in ein Paar Stiefel gesteckt, dunkles Grau, weicher Velours, hohe Absätze, Overknees. Sie saßen so gut und so leicht, sie ging, als flöge sie, und als sie sich noch einmal umwandte, stand der Designer in der Tür, verneigte sich, hob die Hände wie zum Applaus und rief ihr hinterher: »Stay! Please! Stay! Come back, my dear!«
Lilli lachte und begann zu laufen und winkte ihm zu mit der Vehemenz des Glücks, manchmal sprang sie in die Höhe, ahnend, dass unter ihr die Erde sich drehte, unaufhaltsam, ein ums andere Mal, dass das Leben pochte und sie mittendrin war.
Daheim in ihrem winzigen Apartment drehte sie sich vor dem Spiegel hin und her und staunte. Dachte: Wow! Welche Eleganz! Wenn er mich so sähe in der Kanzlei, Mr Greenow, er würde sich verneigen und sagen: »My dear, you're the best!« und es ausnahmsweise auch tatsächlich meinen.
Am Abend dieses Tages wusste sie zum ersten Mal mit Gewissheit, dass sie nicht Anwältin werden würde, und eine kleine Zufriedenheit kroch in ihr hoch und Freude darüber, dass sie bald nach Hause flog.
Das Praktikum war gut gewesen. Die Stadt aber noch besser. Riesig. Laut. Glitzernd. London eben. Sie war eingetaucht in das Leben dieser Stadt, in seine Fremdheit, seine Freiheit und hatte sich wohl gefühlt. Drei Monate. Die nicht lang gewesen waren, wie kleine Stippvisiten, jeden Morgen das dunkle Schimmern des Kaffees, den sie Mr Greenow ins Büro brachte, was er ihr seufzend lächelnd dankte mit dem immergleichen Satz, »You're the best, my dear«, und dann begann der Tag.
Mr Greenow war ein Studienkollege ihres Großvaters und dieser Tatsache hatte sie das Praktikum zu verdanken, diese drei Monate in seiner Kanzlei, wo große Fälle abgewickelt wurden, wichtige Fälle, Steuerdinge, Wirtschaftsgeschichten, Mordsachen, alles eben, was Anwaltstage vielseitig und eindrucksvoll machte.
Lächelnd hatte sie an den Verhandlungen teilgenommen, hatte neben den taffen, jungen Anwälten gesessen, Männern wie Frauen, Tiger allesamt, hatte ihre sicheren Stimmen gehört und jeden Morgen jenes milde »You're the best, my dear«, und von Tag zu Tag mehr gespürt, dass all das ... nichts, aber auch gar nichts mit ihr zu tun hatte.
Es machte sie nicht traurig, im Gegenteil, es machte sie sicher, und das erstaunte sie, denn die Konsequenz war bitter, bedeutete verlorene Zeit, drei Jahre, die sich in Rauch und Grau auflösten. Verbranntes Studium, dachte sie, während sie in der Abflughalle des Londoner Flughafens saß und noch ein wenig an Mr Greenow dachte, der seinen Satz nun wieder zu jemand anderem sagen würde.
Doch, das Praktikum war gut gewesen, aber die Stadt eben noch besser, und sie würde ihrem Großvater sagen, dass es nicht ihr Ding war, in diesen Beruf einzusteigen, wirklich nicht ihr Ding, dass es etwas anderes geben würde, etwas, von dem sie allerdings noch nicht recht wusste, was es war.
Sie seufzte. Wenn sie auch wenig über ihre Zukunft wusste und wie sie sie gestalten sollte, eines wusste sie schon, nämlich, was er sagen würde, der Großvater, der alternde Anwalt, der sie sich als seine Nachfolgerin gewünscht hatte, als die, der er seine Kanzlei vererben konnte, nachdem schon seine Tochter ihn enttäuscht hatte. »Bist wie deine Mutter«, würde er sagen und diesen Ausdruck der Geringschätzung in den Augen haben, »weißt nicht, was du willst. Verrennst dich in dumme Ideen.«
Nein, dachte sie und musste grinsen, nicht in »dumme Ideen«, in gar keine vorerst. Und fühlte sich ... ein wenig ... leicht. Und fühlte sich ihrer Mutter verbunden, was sie erstaunte, denn sie waren doch ... zwei Welten.
Sie bekam Hunger und stand auf, marschierte an den Reihen der kleinen Lokale entlang, die sich in den riesigen Hallen friedlich nebeneinander erstreckten, und draußen landeten die Flieger und andere stiegen auf. Sie dachte an die Ausstellung, die sie vor ein paar Wochen gesehen hatte, die Ausstellung dieser deutschen Fotografin, Menschen auf dem Flughafen oder so ähnlich, Wartebilder oder so ähnlich. All die Fotografien hatten Lilli seltsam berührt, als würde sie manches kennen, als wäre ihr manches vertraut. Vielleicht war es die Art und Weise, wie die Kamera die Gesichter, die Augen gesehen hatte, sie ... erkannt hatte. Lilli wusste es nicht, aber sie vergaß die Bilder nicht, sie vergaß die Fotografin nicht, wie auch, sie kannte doch ihren Namen, Hanna Umlauf, fand ihn seit jeher seltsam und schön, sie kannte auch ihr Gesicht. Im Hause ihrer Großeltern hing ihr Bild an der Wand neben dem ihrer Mutter.
Das Handy läutete. Sie holte es heraus, ihre Mutter. Nein, dachte sie, nicht jetzt, ließ es wieder verschwinden in der Tasche ihres Samtmäntelchens, ich seh dich ja noch früh genug.
Das Läuten hörte auf, kurze Zeit später das Piepsen einer SMS. Lilli seufzte, überlegte, ob sie nachschauen sollte, tat es dann.
Lilli, Liebes, stand da, ich bin am Flughafen, freu mich auf dich, haben uns lang nicht gesehen! Bist du groß geworden?
Unwillkürlich musste Lilli lachen. Was für eine Frage! Ja, dachte sie dann, bin ich, bin groß geworden. Und simste zurück. Ja, bin groß geworden.
»Zwei Lachsbrötchen«, sagte sie, »und ein Wasser und den Schokoladenkuchen und einen Kaffee und den Apfel«, und genoss die erstaunten Blicke des Verkäufers und dankte Gott wieder einmal für ihren gesegneten Appetit und ihren noch gesegneteren Verdauungsapparat, der im Nu wieder loswurde, was sie ihm zuvor angedeihen ließ. Sie setzte sich, aß, trank, der Hunger legte sich.
London, Stansted. Na also. Es war so weit. Wie immer hatte sie sich widerstandslos der überwältigenden Logistik anvertraut, die alle großen Flughäfen auszeichnete. Wie immer hatte die Landkarte des Logischen sie in seinen Bann gezogen, und nachdem sie nun all ihren Dämonen gehuldigt hatte, saß sie wartend in den Sitzreihen vor dem gate, in das Samtviolett ihres Mantels geschmiegt und erkannte fröstelnd, dass nicht alles so klar war, wie es manchmal, aber eben nur manchmal, so wunderbar erschien.
Das boarding würde in einer halben Stunde beginnen und ein paar Stunden später würde sie in München sein.
»May I have the seat here?«
Copyright © List Verlag.
Schaute sich um, witterte wie ein Tier, Augen wach, Ohren hell, Herz im Sturm, sog ein, was es einzusaugen gab ... Stimmen, Bewegung in den Gängen, Blicke, die sie streiften ... gefahrgefahrgefahr ... und wenn ihr Herz sich beruhigte, wenn sein Schlag sich normalisierte, dann griff sie zu, dann schlug sie eine Bresche in die unberührten Reihen der Flakons, dann war sie Tigerin, Löwin, ein Raubtier auf der Jagd, hinter einem Duft her, einem, den sie aus ihrer Kindheit zu kennen glaubte, der ihr abhandengekommen war, gänzlich und verzweifelt abhandengekommen in den Jahren, als sie erwachsen geworden war, in den Jahren, als die Sicherheiten noch immer nicht sicher schienen und sie hineingefallen war in ein Suchen und immer noch nicht angekommen.
Später, in der Ruhe der Toilette, öffnete sie mit zitternden Fingern das Fläschchen und ließ seinen Duft verströmen und augenblicklich ... verlor es seinen Zauber, verlor es die Magie, die noch kurz zuvor ihr Herz zum Jubeln gebracht hatte. Kein Duft des Erinnerns, keiner, nie.
Die Enttäuschung war milder geworden mit der Zeit, erfahrener und abgeklärter, aber blieb niemals aus, zwängte sich in ihre Erinnerung als schaler Geschmack, als Missverständnis.
Sie ging.
Immer ging sie dann rasch, fiel ins Laufen, hatte noch kurz das Bild des Flakons vor den Augen, der im Müll gelandet war und mühsam versuchte, noch ein wenig zu glitzern, ein wenig zu sprühen, jedoch inmitten von Zigarettenkippen, angebissenen Wurstbrötchen, Apfelbutzen und geknackten Coladosen erlosch.
Manchmal stellte sie sich vor, wie es wäre, wenn jemand sie entdeckte auf einem ihrer Gespensterzüge, wenn jemand auf sie zukäme mit raschen Schritten und entschlossenen Blicken. Sie wusste, sie würde sich wehren. Endlich würde sich auszahlen, was sie gelernt hatte in den Selbstverteidigungskursen im Sportunterricht, zielsicher würde sie mit ihrem spitzen Schuh im Schritt des Angreifers landen, in den Weichteilen dort, die lediglich geschützt waren durch ein bisschen Stoff und also wehrlos ausgeliefert der Spitze eines Schuhs und seiner verheerenden Wirkung.
Lilli fragte sich, wie es sich wohl anfühlte, wenn ihr Schuh an dieser Stelle landete, sie fragte sich, ob der Schrei jenes unglücklichen Flakonwächters ihr mit der gleichen Vehemenz in die Eingeweide fahren würde wie ihm der Schmerz.
Sie wusste, spätestens dann würde sie loslaufen, trotz der Schmerzen, die sie und ihn durchzuckten. Nein, keiner sollte sie ihr entreißen, die Glitzerfläschchen, die Kühlespender, die Trophäen ihrer Unerschrockenheit.
Lilli lächelte zittrig und atmete tief durch. Und dachte an den Flakon im Müll auf der Toilette und lehnte sich zurück und starrte auf die Anzeige auf dem Bildschirm, der ihren Flug ankündigte und dass bald boarding time war und dass sie in ein paar Stunden daheim sein würde, daheim, was immer das war.
Sie lächelte ein wenig verloren, ein wenig erschrocken über die Gedanken, die manchmal in ihr flatterten wie schwarze Vögel, wie Gespenster, vage und durchscheinend wie Schatten, aber doch klar genug, dass Lilli sie als Abgrund erkannte.
Sie dachte daran, wie ihre Hand den Flakon umschlossen hatte, wie sie gespürt hatte, dass der spitze Verschluss in ihre Handfläche stach, wie die Kühle sich in eine matte Wärme verwandelte, aber die Wärme war in ihren Fingern nicht angekommen.
Auch jetzt fror sie, fröstelnd zog sie den Mantel um sich, der dunkelviolette Samt war eigentlich zu warm für die Jahreszeit, für die Wärme des frühen Septembernachmittags, aber sie fror leicht und sie liebte diesen Mantel, liebte seine geraden Linien, die in der sanften Weichheit des Samtes so mild wurden und alle Strenge verloren. Sie hatte den Mantel am Ende des Londonsommers in Soho entdeckt, im winzigen Laden eines noch unbekannten Designers, sie hatte ihr Gesicht auf den Ärmel gelegt, in den Samt, und war augenblicklich versunken in dieser Weichheit, in dieser dunkelvioletten Geborgenheit, und hatte gewusst, sie musste ihn haben, diesen Mantel, koste es, was es wolle. Es hatte dann nicht sooo viel gekostet, eine kleine Stange Geld jedoch allemal, aber das machte nichts, denn sie ahnte, sie würde ihn tragen, bis er ihr in Fetzen vom Leibe fiel.
Es gab noch dies und das in dem Laden, vor allem aber gab es den Designer himself, der, als er Lilli sah, einen eigenartig verzückten Blick bekam, dessen Hingerissenheit sie nachempfinden konnte, weil sie sie selber für den Mantel fühlte.
Ob sie bleibe, ihm Muse sei, ihre Gesichtszüge, ihr Haar, ihr Körper, ihre Beine, ohhhhh ... alles sei sooooo ... ohhhh ... ob sie bleibe ... your name, miss?
Sie lächelte ein bisschen stolz, ein bisschen verwirrt, gab vor, ihn nicht zu verstehen, sie sei Touristin und very bad in english.
Als sie den Laden endlich verließ, hatte er sie noch in ein Paar Stiefel gesteckt, dunkles Grau, weicher Velours, hohe Absätze, Overknees. Sie saßen so gut und so leicht, sie ging, als flöge sie, und als sie sich noch einmal umwandte, stand der Designer in der Tür, verneigte sich, hob die Hände wie zum Applaus und rief ihr hinterher: »Stay! Please! Stay! Come back, my dear!«
Lilli lachte und begann zu laufen und winkte ihm zu mit der Vehemenz des Glücks, manchmal sprang sie in die Höhe, ahnend, dass unter ihr die Erde sich drehte, unaufhaltsam, ein ums andere Mal, dass das Leben pochte und sie mittendrin war.
Daheim in ihrem winzigen Apartment drehte sie sich vor dem Spiegel hin und her und staunte. Dachte: Wow! Welche Eleganz! Wenn er mich so sähe in der Kanzlei, Mr Greenow, er würde sich verneigen und sagen: »My dear, you're the best!« und es ausnahmsweise auch tatsächlich meinen.
Am Abend dieses Tages wusste sie zum ersten Mal mit Gewissheit, dass sie nicht Anwältin werden würde, und eine kleine Zufriedenheit kroch in ihr hoch und Freude darüber, dass sie bald nach Hause flog.
Das Praktikum war gut gewesen. Die Stadt aber noch besser. Riesig. Laut. Glitzernd. London eben. Sie war eingetaucht in das Leben dieser Stadt, in seine Fremdheit, seine Freiheit und hatte sich wohl gefühlt. Drei Monate. Die nicht lang gewesen waren, wie kleine Stippvisiten, jeden Morgen das dunkle Schimmern des Kaffees, den sie Mr Greenow ins Büro brachte, was er ihr seufzend lächelnd dankte mit dem immergleichen Satz, »You're the best, my dear«, und dann begann der Tag.
Mr Greenow war ein Studienkollege ihres Großvaters und dieser Tatsache hatte sie das Praktikum zu verdanken, diese drei Monate in seiner Kanzlei, wo große Fälle abgewickelt wurden, wichtige Fälle, Steuerdinge, Wirtschaftsgeschichten, Mordsachen, alles eben, was Anwaltstage vielseitig und eindrucksvoll machte.
Lächelnd hatte sie an den Verhandlungen teilgenommen, hatte neben den taffen, jungen Anwälten gesessen, Männern wie Frauen, Tiger allesamt, hatte ihre sicheren Stimmen gehört und jeden Morgen jenes milde »You're the best, my dear«, und von Tag zu Tag mehr gespürt, dass all das ... nichts, aber auch gar nichts mit ihr zu tun hatte.
Es machte sie nicht traurig, im Gegenteil, es machte sie sicher, und das erstaunte sie, denn die Konsequenz war bitter, bedeutete verlorene Zeit, drei Jahre, die sich in Rauch und Grau auflösten. Verbranntes Studium, dachte sie, während sie in der Abflughalle des Londoner Flughafens saß und noch ein wenig an Mr Greenow dachte, der seinen Satz nun wieder zu jemand anderem sagen würde.
Doch, das Praktikum war gut gewesen, aber die Stadt eben noch besser, und sie würde ihrem Großvater sagen, dass es nicht ihr Ding war, in diesen Beruf einzusteigen, wirklich nicht ihr Ding, dass es etwas anderes geben würde, etwas, von dem sie allerdings noch nicht recht wusste, was es war.
Sie seufzte. Wenn sie auch wenig über ihre Zukunft wusste und wie sie sie gestalten sollte, eines wusste sie schon, nämlich, was er sagen würde, der Großvater, der alternde Anwalt, der sie sich als seine Nachfolgerin gewünscht hatte, als die, der er seine Kanzlei vererben konnte, nachdem schon seine Tochter ihn enttäuscht hatte. »Bist wie deine Mutter«, würde er sagen und diesen Ausdruck der Geringschätzung in den Augen haben, »weißt nicht, was du willst. Verrennst dich in dumme Ideen.«
Nein, dachte sie und musste grinsen, nicht in »dumme Ideen«, in gar keine vorerst. Und fühlte sich ... ein wenig ... leicht. Und fühlte sich ihrer Mutter verbunden, was sie erstaunte, denn sie waren doch ... zwei Welten.
Sie bekam Hunger und stand auf, marschierte an den Reihen der kleinen Lokale entlang, die sich in den riesigen Hallen friedlich nebeneinander erstreckten, und draußen landeten die Flieger und andere stiegen auf. Sie dachte an die Ausstellung, die sie vor ein paar Wochen gesehen hatte, die Ausstellung dieser deutschen Fotografin, Menschen auf dem Flughafen oder so ähnlich, Wartebilder oder so ähnlich. All die Fotografien hatten Lilli seltsam berührt, als würde sie manches kennen, als wäre ihr manches vertraut. Vielleicht war es die Art und Weise, wie die Kamera die Gesichter, die Augen gesehen hatte, sie ... erkannt hatte. Lilli wusste es nicht, aber sie vergaß die Bilder nicht, sie vergaß die Fotografin nicht, wie auch, sie kannte doch ihren Namen, Hanna Umlauf, fand ihn seit jeher seltsam und schön, sie kannte auch ihr Gesicht. Im Hause ihrer Großeltern hing ihr Bild an der Wand neben dem ihrer Mutter.
Das Handy läutete. Sie holte es heraus, ihre Mutter. Nein, dachte sie, nicht jetzt, ließ es wieder verschwinden in der Tasche ihres Samtmäntelchens, ich seh dich ja noch früh genug.
Das Läuten hörte auf, kurze Zeit später das Piepsen einer SMS. Lilli seufzte, überlegte, ob sie nachschauen sollte, tat es dann.
Lilli, Liebes, stand da, ich bin am Flughafen, freu mich auf dich, haben uns lang nicht gesehen! Bist du groß geworden?
Unwillkürlich musste Lilli lachen. Was für eine Frage! Ja, dachte sie dann, bin ich, bin groß geworden. Und simste zurück. Ja, bin groß geworden.
»Zwei Lachsbrötchen«, sagte sie, »und ein Wasser und den Schokoladenkuchen und einen Kaffee und den Apfel«, und genoss die erstaunten Blicke des Verkäufers und dankte Gott wieder einmal für ihren gesegneten Appetit und ihren noch gesegneteren Verdauungsapparat, der im Nu wieder loswurde, was sie ihm zuvor angedeihen ließ. Sie setzte sich, aß, trank, der Hunger legte sich.
London, Stansted. Na also. Es war so weit. Wie immer hatte sie sich widerstandslos der überwältigenden Logistik anvertraut, die alle großen Flughäfen auszeichnete. Wie immer hatte die Landkarte des Logischen sie in seinen Bann gezogen, und nachdem sie nun all ihren Dämonen gehuldigt hatte, saß sie wartend in den Sitzreihen vor dem gate, in das Samtviolett ihres Mantels geschmiegt und erkannte fröstelnd, dass nicht alles so klar war, wie es manchmal, aber eben nur manchmal, so wunderbar erschien.
Das boarding würde in einer halben Stunde beginnen und ein paar Stunden später würde sie in München sein.
»May I have the seat here?«
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Autoren-Porträt von Gabi Kreslehner
Kreslehner, GabiGabi Kreslehner wurde 1965 in Linz geboren. Sie lebt mit ihrer Familie in Oberösterreich und arbeitet als Lehrerin. Für ihr Jugendbuch Charlottes Traum erhielt sie u.a. den Österreichischen Staatspreis für Kinder- und Jugendliteratur 2010. Das Regenmädchen ist ihr erster Kriminalroman. 2014 erschien Rabenschwestern, ihr zweiter Roman mit Kommissarin Franza Oberwieser.
Bibliographische Angaben
- Autor: Gabi Kreslehner
- 2014, 416 Seiten, Maße: 12 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: List TB.
- ISBN-10: 3548611818
- ISBN-13: 9783548611815
- Erscheinungsdatum: 10.02.2014
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