Blutkind / Rachel Morgan Bd.7
Roman. Deutsche Erstausgabe. Mit Bonusmaterial 'Schmutzige Magie'
Geliebt und gefürchtet - Vampirjägerin Rachel Morgan
Ihr Name: Rachel Morgan. Ihr Job: Kopfgeldjägerin. Ihre Aufgabe: Auf den Straßen von Cincinnati Vampire, Hexen und andere finstere Kreaturen zur Strecke zu bringen. Ihr Problem:...
Ihr Name: Rachel Morgan. Ihr Job: Kopfgeldjägerin. Ihre Aufgabe: Auf den Straßen von Cincinnati Vampire, Hexen und andere finstere Kreaturen zur Strecke zu bringen. Ihr Problem:...
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Produktinformationen zu „Blutkind / Rachel Morgan Bd.7 “
Geliebt und gefürchtet - Vampirjägerin Rachel Morgan
Ihr Name: Rachel Morgan. Ihr Job: Kopfgeldjägerin. Ihre Aufgabe: Auf den Straßen von Cincinnati Vampire, Hexen und andere finstere Kreaturen zur Strecke zu bringen. Ihr Problem: Sie selbst hat eine düstere Vergangenheit ... Der Bestseller aus den USA: Mit ihrer Rachel-Morgan-Serie schreibt Kim Harrison Mystery-Thriller der neuen Generation!
Ihr Name: Rachel Morgan. Ihr Job: Kopfgeldjägerin. Ihre Aufgabe: Auf den Straßen von Cincinnati Vampire, Hexen und andere finstere Kreaturen zur Strecke zu bringen. Ihr Problem: Sie selbst hat eine düstere Vergangenheit ... Der Bestseller aus den USA: Mit ihrer Rachel-Morgan-Serie schreibt Kim Harrison Mystery-Thriller der neuen Generation!
Klappentext zu „Blutkind / Rachel Morgan Bd.7 “
Geliebt und gefürchtet - Vampirjägerin Rachel MorganIhr Name: Rachel Morgan. Ihr Job: Kopfgeldjägerin. Ihre Aufgabe: Auf den Straßen von Cincinnati Vampire, Hexen und andere finstere Kreaturen zur Strecke zu bringen. Ihr Problem: Sie selbst hat eine düstere Vergangenheit ... Der Bestseller aus den USA: Mit ihrer Rachel-Morgan-Serie schreibt Kim Harrison Mystery-Thriller der neuen Generation!
Lese-Probe zu „Blutkind / Rachel Morgan Bd.7 “
Blutkind von Kim Harrison1
Der blutige Handabdruck war verschwunden. Vom Fenster, wenn auch nicht aus meiner Erinnerung, und es machte mich wütend, dass jemand saubergemacht hatte. Als würden sie versuchen, mir das bisschen Erinnerung an die Nacht zu nehmen, in der er gestorben war. Wäre ich ehrlich zu mir selbst, müsste ich eingestehen, dass die Wut hauptsächlich projizierte Angst war. Aber ich war nicht ehrlich zu mir selbst. An den meisten Tagen war es auch besser so.
Ich unterdrückte ein Schaudern von der Dezemberkälte, die jetzt in dem verlassenen Schiff herrschte, das nicht länger auf dem Wasser lag, sondern im Trockendock. Ich stand in der winzigen Küche und starrte die milchige Plastikscheibe an, als könnte ich nur durch meinen Willen den verschmierten Fleck zurückholen. Nicht weit entfernt konnte ich einen Dieselzug hören, der über den Ohio fuhr. Fords Schuhe kratzten hart über die Metallleiter, und Sorge ließ mich die Stirn runzeln.
Das Federal Inderland Bureau hatte die Akte zu Kistens Mord offiziell geschlossen - die Inderland Security hatte nicht mal eine aufgemacht -, aber das FIB wollte mich trotzdem nicht ohne eine offizielle Begleitung auf ihr Gelände lassen. Nachdem Edden der Meinung war, ich bräuchte noch psychiatrische Beobachtung, ich aber nicht mehr zu weiteren Sitzungen kam, war das in diesem Fall der intelligente, unbeholfene Ford. Ich kam nicht mehr, seitdem ich auf der Couch eingeschlafen war und das gesamte Büro von Cincinnati mich schnarchen gehört hatte. Ich brauchte keine Beobachtung. Was ich brauchte, war etwas - irgendwas -, das mein Gedächtnis wiederherstellte. Wenn es dafür einen blutigen Handabdruck brauchte, dann sollte es wohl so sein.
... mehr
»Rachel? Warte auf mich«, rief der FIB-Psychiater, was meine Sorge in Verdruss verwandelte. Als könnte ich nicht damit umgehen? Ich bin ein großes Mädchen. Außerdem gab es gar nichts mehr zu sehen; das FIB hatte alles saubergemacht. Ford war offensichtlich schon vor mir hier gewesen - zu schließen aus der Leiter und der unverschlossenen Tür - und hatte sichergestellt, dass vor unserer Verabredung alles angemessen aufgeräumt war.
Das Klappern von Ledersohlen auf Teak trieb mich vorwärts. Ich entschränkte meine Arme und streckte eine Hand nach dem kleinen Tisch aus, um mich abzustützen, während ich aufs Wohnzimmer zuhielt. Der Boden bewegte sich nicht, was sich seltsam anfühlte. Jenseits der kurzen grauen Vorhänge vor den jetzt sauberen Fenstern sah ich schmutzig graue und leuchtend blaue Abdeckplanen von Booten im Trockendock und den Boden fast zwei Meter unter uns.
»Würdest du bitte warten?«, fragte Ford wieder und verdunkelte den Eingang, als er eintrat. »Ich kann dir nicht helfen, wenn du einen Raum weiter bist.«
»Ich warte ja«, grummelte ich, blieb stehen und zog meine Schultertasche zurecht. Obwohl er versucht hatte, es zu verstecken, hatte Ford seine Schwierigkeiten damit gehabt, die Leiter zu erklimmen. Ich fand die Vorstellung von einem Psychiater mit Höhenangst witzig, bis das Amulett um seinen Hals sich leuchtend pink verfärbt hatte und sein Gesicht vor Scham rot angelaufen war. Er war ein guter Mensch, der seine eigenen Dämonen zu beherrschen hatte. Er hatte es nicht verdient, dass ich ihn aufzog.
Fords Atmung beruhigte sich in dem kühlen Schweigen. Bleich, aber entschlossen, griff er nach dem Tisch. Sein Gesicht war weißer als sonst, was seine kurzen schwarzen Haare und seine braunen, seelenvollen Augen noch betonte. Meinen Gefühlen zuzuhören war anstrengend, und ich wusste es zu schätzen, dass er durch meinen emotionalen Dreck watete, um mir dabei zu helfen, herauszufinden, was passiert war.
Ich schenkte ihm ein dünnes Lächeln, und Ford öffnete die ersten paar Knöpfe seines Mantels, um ein schlichtes Baumwollhemd und das Amulett freizulegen, das er immer bei der Arbeit trug. Der metallene Kraftlinienzauber war eine sichtbare Darstellung der Emotionen, die er empfing. Er spürte die Gefühle, egal, ob er den Zauber trug oder nicht, aber die Leute um ihn herum hatten zumindest eine Illusion von Privatsphäre, wenn er es abnahm. Ivy, meine Mitbewohnerin und Geschäftspartnerin, hielt es für dämlich, zu versuchen, Hexenmagie mit menschlicher Psychologie zu bekämpfen, um mein Gedächtnis wiederherzustellen, aber ich war verzweifelt. Ihre Versuche, herauszufinden, wer Kisten umgebracht hatte, führten zu nichts.
Fords Erleichterung, wieder von Wänden umgeben zu sein, war fast greifbar. Als ich sah, dass er seine Umklammerung am Tisch löste, ging ich auf die enge Tür zum Wohnzimmer und dem Rest des Bootes zu. Der entfernte Geruch von Vampir und Nudeln stieg mir in die Nase - eine Einbildung, ausgelöst von Erinnerungen. Es war fünf Monate her.
Ich biss die Zähne zusammen und hielt meine Augen auf den Boden gerichtet, weil ich den zerbrochenen Türrahmen nicht sehen wollte. Auf dem Teppich waren Schmutz- spuren, die vorher nicht da gewesen waren. Flecken, die nachlässige Leute hinterlassen hatten, die Kisten nicht gekannt hatten, ihn niemals lächeln gesehen hatten, nicht wussten, wie seine Augenwinkel kleine Falten warfen, wenn es ihm gelungen war, mich zu überraschen. Eigentlich lag ein Inderlander-Tod ohne menschliche Beteiligung außerhalb der Zuständigkeiten des FIB, aber nachdem es der I. S. völlig egal war, dass mein Freund in ein Blutgeschenk verwandelt worden war, hatte sich das FIB nur für mich die Mühe gemacht.
Mord verjährte nicht, aber die Ermittlung war offiziell abgeschlossen worden. Dies war die erste Chance, die ich hatte, hier rauszukommen und zu versuchen, mein Gedächtnis aufzufrischen. Jemand hatte meine Unterlippe angeschnitten, in dem Versuch, mich an ihn zu binden. Jemand hatte meinen Freund zweimal getötet. Jemand würde in einer Hölle von Schmerz leben, wenn ich herausfand, wer er war.
Mit einem flauen Gefühl im Magen schaute ich an Ford vorbei zu dem Fenster, wo der blutige Handabdruck gewesen war. Er war hinterlassen worden wie ein spöttisches Warnschild, ohne uns irgendwelche brauchbaren Fingerabdrücke zu geben. Feigling.
Das Amulett um Fords Hals kippte zu einem wütenden Schwarz. Er suchte meinen Blick, während er die Augenbrauen hochzog, und ich zwang meine Gefühle, sich zu beruhigen. Ich konnte mich an nichts erinnern. Jenks, meine Rückendeckung und ebenfalls mein Geschäftspartner, hatte mich mit einem Trank vergessen lassen, damit ich Kistens Mörder nicht verfolgte. Ich konnte es ihm nicht übelnehmen. Der Pixie war nur zehn Zentimeter groß, und es war für ihn die einzige Möglichkeit gewesen, mich von einer Selbstmordmission abzuhalten. Ich war eine Hexe mit einer ungebundenen Vampirnarbe, und damit konnte ich mich keinem untoten Vampir entgegenstellen, egal, wie man es auch drehte und wendete.
»Bist du dir sicher, dass du dafür schon bereit bist?«, fragte Ford. Ich zwang meine Hand dazu, meinen Oberarm freizugeben. Wieder. Er pulsierte in einem längst vergangenen Schmerz, als eine Erinnerung sich bemühte, an die Oberfläche zu kommen. Angst breitete sich in mir aus. Die Erinnerung daran, dass ich auf der anderen Seite dieser Tür gestanden und versucht hatte, sie einzutreten, war alt. Es war fast die einzige Erinnerung, die ich an diese Nacht hatte.
»Ich will es wissen«, sagte ich, aber meine Stimme klang sogar in meinen eigenen Ohren unsicher. Ich hatte diese verfickte Tür eingetreten. Ich hatte den Fuß benutzt, weil mein Arm zu wehgetan hatte, um ihn zu bewegen. Ich hatte zu dieser Zeit geheult, und meine Haare hatten vor meinem Gesicht gehangen. Ich hatte die Tür eingetreten.
Eine weitere Erinnerung tauchte auf, und mein Puls raste, als etwas hinzugefügt wurde: Ich war rückwärts gefallen und gegen eine Wand geknallt. Mein Kopf war gegen eine Wand geschlagen. Ich hielt den Atem an und starrte durch das Wohnzimmer und auf die nichtssagende Wandverkleidung. Genau da. Ich erinnere mich.
Ford kam mir ungewöhnlich nah. »Du musst es nicht auf diese Art machen.«
In seinen Augen stand Mitleid. Mir gefiel nicht, dass er es meinetwegen empfand. Sein Amulett wurde silbern, als ich meinen Willen sammelte und durch den Türrahmen trat. »Doch«, sagte ich entschlossen. »Selbst wenn ich mich an nichts erinnere, könnten die FIB-Kerle etwas übersehen haben.«
Das FIB war fantastisch darin, Informationen zu sammeln, sogar besser als die I. S. Das mussten sie auch sein, weil die menschlich geführte Behörde sich darauf verlassen musste, Beweise zu finden, statt den Raum auf Gefühle zu untersuchen oder Hexenzauber zu verwenden, um festzustellen, wer das Verbrechen begangen hatte und warum. Aber jeder konnte einmal etwas übersehen, und das war einer der Gründe, warum ich hier war. Und um mein Gedächtnis wiederzufinden. Jetzt, wo ich hier war, hatte ich Angst. Mein Kopf war gegen die Wand geschlagen ... genau da drüben.
Ford kam hinter mir in den Raum und beobachtete mich, während ich das Wohnzimmer mit der niedrigen Decke scannte, das sich von einer Seite des Bootes bis zur anderen zog. Es sah völlig normal aus, mal abgesehen von der Skyline von Cincy, die durch die schmalen Fenster sichtbar war. Ich legte eine Hand auf den Bauch, als mein Magen sich verkrampfte. Ich musste das tun, egal, woran ich mich erinnerte.
»Ich meinte«, sagte Ford, »dass es noch andere Wege gibt, sich zu erinnern.«
»Wie Meditation?«, fragte ich. Es war mir immer noch peinlich, dass ich in seinem Büro eingeschlafen war. Ich spürte die Anfänge von Stress-Kopfweh und stiefelte an der Couch vorbei, auf der Kisten und ich zu Abend gegessen hatten, an dem Fernseher mit dem lausigen Empfang - nicht, dass wir je wirklich hingesehen hätten - und an der Bar vorbei. Langsam legte ich eine Hand auf die Stelle, wo mein Kopf aufgeschlagen war und rollte die Finger ein, als meine Hand anfing zu zittern. Mein Kopf war gegen die Wand geknallt. Wer hat mich gestoßen? Kisten? Sein Killer? Aber die Erinnerung war nur bruchstückhaft. Mehr gab es nicht.
Ich wandte mich ab und steckte die Hand in die Tasche, um ihr Zittern zu verbergen. Mein Atem bildete eine fast unsichtbare Wolke vor meinem Gesicht, und ich zog den Mantel enger um mich. Der Zug war schon längst vorbei. Außer wehenden Planen bewegte sich nichts vor den Fenstern. Mein Instinkt sagte mir, dass Kisten nicht in diesem Raum gestorben war. Ich musste tiefer gehen.
Ford sagte nichts, als ich in den schmalen, dunklen Flur trat, fast blind, bis meine Augen sich anpassten. Mein Puls beschleunigte sich, als ich an dem winzigen Bad vorbeikam, in dem ich die Kappen anprobiert hatte, die Kisten mir zum Geburtstag geschenkt hatte. Ich wurde langsamer, hörte auf meinen Körper und stellte fest, dass ich die Fingerspitzen aneinanderrieb, weil sie brannten.
Meine Haut kribbelte, und ich stoppte, starrte auf meine Hände und erkannte die Erinnerung von Teppich unter meinen Fingern, heiß von der Reibung. Ich hielt den Atem an, als neue Gedanken an die Oberfläche kamen, geboren aus der längst vergangenen Empfindung. Terror, Hilflosigkeit. Ich war diesen Flur entlanggeschleppt worden.
Erinnerte Panik stieg auf. Ich unterdrückte sie und zwang mich dazu, ruhig auszuatmen. Die Linien, die ich im Teppich hinterlassen hatte, waren verschwunden, als das FIB gesaugt hatte, um eventuelle Spuren zu fi nden, und sie waren aus meinem Gedächtnis getilgt durch einen Zauber. Nur mein Körper hatte sich erinnert und dadurch jetzt auch mein Bewusstsein.
Ford stand schweigend hinter mir. Er wusste, dass etwas in meinem Hirn vorging. Vor mir war die Tür zum Schlafzimmer, und meine Angst wurde stärker. Dort war es geschehen. Dort hatte Kisten gelegen, sein Körper verletzt und misshandelt, ans Bett gelehnt, seine Augen silbrig und wirklich tot. Was, wenn ich mich an alles erinnere? Hier vor Ford, und dann zusammenbreche?
»Rachel.«
Ich zuckte erschreckt zusammen, und Ford verzog das Gesicht. »Wir können es auch anders machen«, drängte er sanft. »Die Meditation hat nicht funktioniert, aber vielleicht klappt es mit Hypnose. Das verursacht weniger Stress.«
Ich schüttelte den Kopf, trat vor und griff nach der Klinke zu Kistens Zimmer. Meine Finger waren bleich und kalt. Sie sahen aus wie meine, aber gleichzeitig auch nicht. Hypnose war eine falsche Ruhe, welche die Panik fernhalten würde, bis ich mitten in der Nacht allein war. »Mir geht es gut«, sagte ich und schob die Tür auf. Mit einem tiefen Atemzug trat ich ein.
Der große Raum war kalt, weil die großen Fenster, die das Sonnenlicht hineinließen, wenig Schutz gegen die Kälte boten. Ich drückte den Arm gegen den Körper und schaute zu der Stelle, wo Kisten am Bett gelehnt hatte. Kisten. Da war nichts. Mein Herz schmerzte, weil ich ihn vermisste. Hinter mir begann Ford, seltsam gleichmäßig zu atmen, und versuchte so, meine Gefühle davon abzuhalten, ihn zu überwältigen.
Jemand hatte den Teppich an der Stelle gereinigt, an der Kisten zum zweiten Mal und damit endgültig gestorben war. Nicht, dass es viel Blut gegeben hatte. Das Fingerabdruckpulver war verschwunden, aber die einzigen Abdrücke, die sie gefunden hatten, waren von mir, Ivy und Kisten - über die Wohnung verstreut wie Wegweiser. Von seinem Mörder hatte es keine gegeben. Nicht einmal auf Kistens Leiche. Die
I. S. hatte die Leiche wahrscheinlich zwischen dem Zeitpunkt gesäubert, als ich vom Schiff gestürmt war, um einen Vampir in den Arsch zu treten, und meiner verwirrten Rückkehr zusammen mit dem FIB, nachdem ich alles vergessen hatte. Die I. S. wollte nicht, dass der Mord aufgeklärt wurde, ein Gefallen für den Vampir, dem Kistens letztes Blut als Geschenk gegeben worden war. Anscheinend kamen Inderlander- Traditionen vor Gesetzen. Genau die Leute, für die ich einmal gearbeitet hatte, vertuschten jetzt dieses Verbrechen, und das machte mich sauer.
Meine Stimmung schwankte zwischen rasender Wut und entkräftendem Herzschmerz. Ford keuchte, und ich versuchte, mich zu entspannen, und wenn auch nur für ihn. Ich blinzelte die drohenden Tränen zurück, starrte an die Decke und zählte langsam von zehn rückwärts, eine der sinnlosen Übungen, die Ford mir gezeigt hatte, um einen leichten Meditationszustand zu erreichen.
Zumindest war Kisten das Elend erspart geblieben, für das Vergnügen eines anderen ausgeblutet zu werden. Er war schnell hintereinander zweimal gestorben, wahrscheinlich beide Male, um mich vor dem Vampir zu retten, dem er geschenkt worden war. Seine Autopsie hatte auch nichts geholfen. Was auch immer ihn beim ersten Mal getötet hatte, war vom Vampirvirus geheilt worden, bevor er nochmal gestorben war. Und wenn das wahr war, was ich Jenks erzählt hatte, bevor ich mein Gedächtnis verloren hatte, dann war er beim zweiten Mal gestorben, weil er seinen Angreifer gebissen und ihr untotes Blut gemischt hatte, um sie beide umzubringen. Unglücklicherweise war Kisten noch nicht lange untot gewesen. Es hatte seinen älteren Angreifer vielleicht nur verletzt zurückgelassen. Ich wusste es einfach nicht.
Ich erreichte in meinem Kopf die Null und ging, jetzt ruhiger, zur Kommode. Darauf stand ein flacher Karton, und der Schmerz ließ mich fast zusammenklappen, als ich ihn erkannte.
»Oh, Gott«, flüsterte ich. Ich streckte die Hand aus, ballte sie zu einer Faust, nur um die Finger dann langsam wieder zu öffnen und ihn zu berühren. Es war das Spitzen-Negligé, das Kisten mir zum Geburtstag geschenkt hatte. Ich hatte vergessen, dass es hier war.
»Es tut mir leid«, sagte Ford rau. Mein Blick war von Tränen verschleiert, als ich ihn ansah, wie er in sich zusammengesunken auf der Türschwelle stand.
Ich presste die Augen zu, um die Tränen herauszudrücken, und hielt den Atem an. Mein Herz klopfte wie wild, und ich holte einmal keuchend Luft, nur um sie dann in meinem Kampf um Kontrolle wieder anzuhalten. Verdammt nochmal, er hatte mich geliebt, und ich ihn. Es war nicht fair. Es war nicht richtig. Und es war wahrscheinlich meine Schuld.
Ein sanftes Geräusch von der Schwelle verriet mir, dass Ford um Beherrschung kämpfte, und ich zwang mich, zu atmen. Ich musste mich zusammenreißen. Ich tat Ford weh. Er fühlte alles, was ich fühlte, und ich schuldete ihm eine Menge. Ford war der Grund, warum ich nicht zur Befragung zum FIB geschleppt worden war, obwohl ich ab und zu für sie arbeitete. Er war menschlich, aber sein Fluch, die Gefühle anderer spüren zu können, war besser als ein Lügendetektortest oder ein Wahrheitszauber. Er wusste, dass ich Kisten geliebt hatte und panische Angst vor dem hatte, was hier passiert war. »Bist du in Ordnung?«, fragte ich, als sein Atem sich wieder etwas beruhigte.
»Prima. Und du?«
»Einfach super«, sagte ich und umklammerte die Platte der Kommode. »Es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass es so schlimm werden würde.«
»Ich wusste, worauf ich mich einlasse, als ich zugestimmt habe, dich hier rauszubringen«, antwortete er und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, die ich für mich selbst nicht mehr weinen würde. »Ich kann ertragen, was du austeilst, Rachel.«
Ich wandte mich ab, voller Schuldgefühle. Ford blieb, wo er war, weil der Abstand ihm dabei half, mit der Überlastung fertigzuwerden. Er berührte niemals jemanden, außer aus Versehen. Es musste ein schreckliches Leben sein. Aber als ich mich von der Kommode abstieß, fühlte ich ein sanftes Ziehen an meinen Fingerspitzen, die an der Unterseite der Kommodendeckplatte lagen. Klebrig. Ich schnüffelte an meinen Fingern und roch einen leisen Hauch von Treibmittel.
Klebseide. Jemand hatte Klebseide benutzt und sie an der Unterseite der Kommode abgewischt. Ich? Kistens Mörder? Klebseide funktionierte nur bei Pixies und Fairys. Für jeden anderen war es nur irritierend, ein wenig wie Spinnweben. Jenks war nicht mitgekommen, weil es zu kalt war, aber vielleicht wusste er auch mehr, als er zugab.
Mein Herzschmerz ließ bei der Ablenkung ein wenig nach. Ich kniete mich hin, grub in meiner Tasche nach der Stiftlampe und leuchtete unter den Rand der Kommode. Ich würde darauf wetten, dass hier niemand nach Fingerabdrücken gesucht hatte. Ford kam näher. Ich schaltete die Lampe aus und stand auf. Ich wollte nicht die Gerechtigkeit des FIB: Ich wollte meine. Ivy und ich würden später nochmal kommen und selbst alles untersuchen. Die Decke nach Resten von Kohlenwasserstoffen absuchen. Und Jenks schütteln, um herauszufinden, wie lange er in dieser Nacht bei mir war.
Fords Missbilligung war fast greifbar, und ich wusste, dass sein Amulett leuchtend rot sein würde, weil er meinen Ärger fühlte. Mir war es egal. Ich war wütend, und das war besser, als in alle Einzelteile zu zerfallen. Mit neuer Entschlossenheit wandte ich mich dem Rest des Raumes zu. Ford hatte den verschmierten Fleck selbst gesehen. Das FIB würde die Akte wieder öffnen, wenn ich einen einzigen guten Abdruck fand - natürlich außer dem, den ich gerade hinterlassen hatte. Das konnte das letzte Mal sein, dass sie mich hier reinließen.
Ich lehnte mich mit verschränkten Armen gegen die Kommode und schloss die Augen in dem Versuch, mich zu erinnern. Nichts. Ich brauchte mehr. »Wo ist das Zeug?«, fragte ich, einerseits voller Erwartung und andererseits voller Angst vor dem, was in meinem Geist darauf wartete, aufzutauchen.
Ich hörte das Geräusch von raschelndem Plastik, dann gab Ford mir zögernd ein paar Beweismitteltüten und einen Stapel Fotos. »Rachel, wenn es einen verwendbaren Abdruck gibt, sollten wir gehen.«
»Das FIB hatte fünf Monate«, gab ich nervös zurück, als ich ihm die Sachen abnahm. »Jetzt bin ich dran. Und erzähl mir keinen Mist darüber, dass ich Beweismittel zerstören könnte. Die gesamte Abteilung war hier drin. Wenn es einen Abdruck gibt, gehört er wahrscheinlich einem von ihnen.«
Er seufzte, als ich mich zur Kommode umdrehte und die Plastiktüten ausbreitete, mit der beschrifteten Seite nach unten. Als Erstes griff ich nach den Fotos, und mein Blick hob sich zum Spiegelbild des Raumes hinter mir.
Ich steckte das Bild von dem verschmierten, blutigen Handabdruck auf dem Küchenfenster nach hinten, dann ordnete ich den Stapel, in dem ich ihn ein paarmal geschäftsmäßig auf die Platte fallen ließ. Vom Handabdruck empfing ich nichts außer dem Gefühl, dass er weder mir noch Kisten gehörte.
Das Bild von Kisten war Gott sei Dank nicht dabei. Ich durchquerte mit einem Foto von der Delle in der Wand den Raum. Ford schwieg, als ich die Verkleidung berührte, und ich beschloss, dass die Abwesenheit von Phantomschmerz sagte, dass ich sie nicht gemacht hatte. Hier drin hatte es noch einen anderen Kampf gegeben außer meinem. Um mich wahrscheinlich.
Ich schob das Foto hinter den Stapel. Darunter erschien eine Großaufnahme von einem Sohlenabdruck, der unter der Fensterreihe aufgenommen worden war. Mein Kopf begann zu pulsieren, und durch diese Warnung wusste ich, dass etwas da war, versteckt in meinem Geist. Mit zusammengebissenen Zähnen zwang ich mich zu den Fenstern, kniete mich hin und ließ eine Hand über den glatten Teppich gleiten. Ich hoffte auf eine Erinnerung, obwohl ich sie gleichzeitig fürchtete. Der Abdruck stammte von Lederschuhen. Nicht Kistens. Dafür waren sie zu gewöhnlich. Kisten hatte in seinem Schrank nur die neueste Mode. War der Schuh schwarz oder braun?, dachte ich und versuchte, etwas an die Oberfläche zu zwingen.
Nichts. Frustriert schloss ich die Augen. In meinen Gedanken vermischte sich der Geruch nach vampirischem Räucherwerk mit einem unbekannten Aftershave. Ich zitterte innerlich und ohne mir darüber Gedanken zu machen, was Ford wohl dachte, drückte ich meine Nase gegen den Teppich, um tief den Geruch der Fasern einzuatmen. Etwas ... irgendwas ... Bitte ...
Panik hob sich an den Rändern meines Bewusstseins, und ich zwang mich selbst, tiefer zu atmen. Während primitive Schalter in meinem Hirn sich umlegten und Gerüchen Namen gaben, war es mir egal, dass mein Hintern in die Luft stand. Moschusartige Schatten, die niemals Sonne sahen. Der süßliche Geruch von vermodertem Wasser. Das setzte sich zu Untoten zusammen. Wäre ich ein Vampir gewesen, hätte ich Kistens Killer vielleicht nur durch den Geruch fi nden können, aber ich war eine Hexe.
Angespannt atmete ich wieder ein, während ich mir das Hirn zermarterte und nichts fand. Langsam verebbte die Panik, und mein Kopfschmerz ließ nach. Ich atmete erleichtert auf. Falscher Alarm. Hier war nichts. Es war nur ein Teppich, und mein Geist hatte Gerüche erfunden, um mein Bedürfnis nach Antworten zu stillen. »Nichts«, murmelte ich in den Teppich und holte noch einmal tief Luft, bevor ich mich aufsetzte.
Terror durchzuckte mich, als ich den Geruch von Vampir witterte. Schockiert kämpfte ich mich auf die Beine und starrte auf den Teppich, als wäre ich verraten worden. Verdammt.
Kalter Schweiß überzog meine Haut, als ich mich abwandte. Ivy. Ich werde sie bitten, später hierherzukommen und am Teppich zu riechen, dachte ich, dann lachte ich fast auf. Ich unterdrückte es in einem Gurgeln und tat dann so, als müsste ich husten. Mit kalten Fingern wechselte ich zum nächsten Foto.
Oh, noch besser, dachte ich sarkastisch. Kratzspuren auf der Wandverkleidung. Ich atmete schnell, und als meine Fingerspitzen anfingen zu pulsieren, schoss mein Blick direkt zu der Wand neben dem winzigen Schrank. Fast hechelnd starrte ich, weigerte mich aber, hinüberzugehen und zu prüfen, ob meine Finger zu den Kratzern passten. Ich hatte genauso viel Angst, mich an etwas zu erinnern, wie ich es wollte. Ich hatte keine Erinnerung daran, diese Spuren hinterlassen zu haben, aber mein Körper offensichtlich schon.
Ich hatte der Angst schon öfter ins Gesicht geblickt. Ich kannte helle, leuchtende Angst, wenn der Tod auf einen zukommt und man nur reagieren kann. Ich kannte die Übelkeit erregende Mischung aus Angst und Hoffnung, wenn der Tod sich langsam anschleicht und man verzweifelt nach einem Weg sucht, zu entkommen. Ich war mit alter Angst aufgewachsen, die Art, die immer in der Nähe lauert, Tod am Horizont, so unausweichlich, dass sie ihre Macht verliert. Aber diese Panik ohne sichtbaren Grund war etwas Neues. Ich zitterte, während ich versuchte, einen Weg zu finden, damit umzugehen. Vielleicht kann ich sie ignorieren. Bei Ivy funktioniert es.
Ich räusperte mich und bemühte mich um den Eindruck von Unbekümmertheit, als ich die übrigen Bilder auf der Kommode ausbreitete, aber ich konnte niemanden täuschen.
Verschmiertes Blut - keine Tropfen, sondern verschmiert. Kistens, den FIB-Kerlen zufolge. Ein Bild von einer kaputten Schublade, die wieder geschlossen worden war. Noch ein nutzloser blutiger Handabdruck auf dem Deck, wo Kistens Mörder über die Reling gesprungen war. Nichts davon berührte mich wie die Kratzer oder der Teppich. Ich kämpfte mit dem Wunsch nach Gewissheit, hatte aber Angst, mich zu erinnern.
Langsam beruhigte sich mein Puls, und meine Schultern entspannten sich ein wenig. Ich legte die Bilder beiseite, überging die Tüten mit vom FIB aufgesaugtem Staub und Fusseln, in denen ich zwischen den Wollmäusen auch rote Haare sehen konnte. Ich beobachtete mich selbst im Spiegel, als ich den Haargummi in einer der durchsichtigen Beweismitteltüten berührte. Es war einer von meinen, und er hatte in dieser Nacht dabei geholfen, meinen Zopf geflochten zu halten. Ein dumpfes Pochen auf meiner Kopfhaut drang in mein Bewusstsein, und Ford bewegte sich unruhig.
Scheiße, der Gummi bedeutete irgendwas.
»Rede mit mir«, bat Ford. Ich drückte durch das Plastik meinen Daumen auf das Gummiband und versuchte, die Angst davon abzuhalten, wieder die Kontrolle zu übernehmen. Die Beweise wiesen auf mich als Kistens Mörder hin, daher auch das nicht wirklich versteckte Misstrauen, das ich inzwischen im FIB spürte, aber ich war es nicht gewesen. Ich war hier gewesen, aber ich hatte die Tat nicht begangen. Zumindest Ford glaubte mir. Jemand hatte schließlich die verfickten blutigen Handabdrücke hinterlassen.
»Der gehört mir«, sagte ich leise, damit meine Stimme nicht zitterte. »Ich glaube ... jemand hat meinen Zopf gelöst. « Ich fühlte mich unwirklich, als ich die Tüte umdrehte, um festzustellen, dass er im Schlafzimmer gefunden worden war, und eine Panikwelle erhob sich aus dem Nichts. Mein Herz raste, aber ich zwang mich dazu, ruhig zu atmen. Erinnerungen tröpfelten in meinen Kopf, aber nichts davon half mir weiter. Finger in meinem Haar. Mein Gesicht gegen die Wand gepresst. Kistens Mörder, der meine Haare aus dem Zopf löste. Kein Wunder, dass ich in den letzten fünf Monaten Jenks' Kinder nicht an mein Haar gelassen hatte oder dass ich ausgetickt war, als Marshal mir eine Strähne hinters Ohr geschoben hatte.
Mit einem mulmigen Gefühl ließ ich die Tüte fallen, dann wurde mir schwindlig, und mein Blickfeld verengte sich. Wenn ich in Ohnmacht fiel, würde Ford jemanden rufen, und das wäre es dann. Ich wollte es wissen. Ich musste.
Der letzte Beweis war vernichtend, und ich drehte mich um, damit ich mich mit dem Rücken an die Kommode lehnen konnte. Ich schüttelte eine kleine, intakte blaue Kugel aus einer Ecke ihrer Tüte. Die Kugel war mit einem jetzt nicht mehr wirksamen Gute-Nacht-Trank gefüllt. Es war das Einzige in meinem Arsenal, was einen untoten Vampir zu Fall bringen konnte.
Die Haare in meinem Nacken prickelten, als sich ein neuer Gedanke breitmachte und der Hauch einer Erinnerung mir das Herz zusammenpresste. Ich stieß gequält die Luft aus und senkte den Kopf. Ich weinte, fluchte. Zielte mit meiner Splat Gun und zog den Abzug. Und lachend fing er den Zauber aus der Luft.
»Er hat ihn gefangen«, flüsterte ich und schloss die Augen, damit sie nicht überliefen. »Ich habe versucht, auf ihn zu schießen, und er hat den Zauber gefangen, ohne die Kugel zu zerstören.« Mein Handgelenk klopfte vor Schmerz, und eine weitere Erinnerung tauchte auf. Dünne Finger umklammerten mein Handgelenk. Meine Hand wurde taub. Ein Knall, als meine Splat Gun auf den Boden fiel.
»Er hat meine Hand gequetscht, bis ich meine Splat Gun fallen gelassen habe. Ich glaube, dann bin ich geflohen.«
Ängstlich sah ich zu Ford und bemerkte, dass sein Amulett ein grelles Purpur angenommen hatte. Meine kleine rote Splat Gun hatte nie gefehlt. Es war nie vermerkt worden, dass sie hier gewesen war. Alle meine Zauber waren vorhanden gewesen. Jemand hatte offensichtlich die Waffe dorthin zurückgebracht, wo sie hingehörte. Ich erinnerte mich nicht einmal daran, die Gute-Nacht-Tränke angefertigt zu haben, aber das hier war klar erkenntlich einer von meinen. Es war eine gute Frage, wo die anderen sechs geblieben waren.
In einem Anfall von Wut trat ich gegen die Kommode. Die Erschütterung konnte ich bis in die Hüfte spüren, und das Möbelstück knallte gegen die Wand. Es war dämlich, aber es fühlte sich gut an.
»Ähm, Rachel?«, sagte Ford, und ich trat mit einem Grunzen noch einmal zu.
»Mir geht's prima!«, schrie ich und kämpfte die Tränen zurück. »Mir geht's einfach super!« Aber meine Lippe pulsierte, wo jemand mich gebissen hatte; mein Körper bemühte sich, dafür zu sorgen, dass mein Geist sich erinnern konnte, aber ich ließ es einfach nicht zu. War es Kisten gewesen, der mich gebissen hatte? Sein Angreifer? Ich war Gott sei Dank nicht gebunden worden. Ivy hatte es bestätigt, und sie würde es wissen.
Copyright © 2010 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
»Rachel? Warte auf mich«, rief der FIB-Psychiater, was meine Sorge in Verdruss verwandelte. Als könnte ich nicht damit umgehen? Ich bin ein großes Mädchen. Außerdem gab es gar nichts mehr zu sehen; das FIB hatte alles saubergemacht. Ford war offensichtlich schon vor mir hier gewesen - zu schließen aus der Leiter und der unverschlossenen Tür - und hatte sichergestellt, dass vor unserer Verabredung alles angemessen aufgeräumt war.
Das Klappern von Ledersohlen auf Teak trieb mich vorwärts. Ich entschränkte meine Arme und streckte eine Hand nach dem kleinen Tisch aus, um mich abzustützen, während ich aufs Wohnzimmer zuhielt. Der Boden bewegte sich nicht, was sich seltsam anfühlte. Jenseits der kurzen grauen Vorhänge vor den jetzt sauberen Fenstern sah ich schmutzig graue und leuchtend blaue Abdeckplanen von Booten im Trockendock und den Boden fast zwei Meter unter uns.
»Würdest du bitte warten?«, fragte Ford wieder und verdunkelte den Eingang, als er eintrat. »Ich kann dir nicht helfen, wenn du einen Raum weiter bist.«
»Ich warte ja«, grummelte ich, blieb stehen und zog meine Schultertasche zurecht. Obwohl er versucht hatte, es zu verstecken, hatte Ford seine Schwierigkeiten damit gehabt, die Leiter zu erklimmen. Ich fand die Vorstellung von einem Psychiater mit Höhenangst witzig, bis das Amulett um seinen Hals sich leuchtend pink verfärbt hatte und sein Gesicht vor Scham rot angelaufen war. Er war ein guter Mensch, der seine eigenen Dämonen zu beherrschen hatte. Er hatte es nicht verdient, dass ich ihn aufzog.
Fords Atmung beruhigte sich in dem kühlen Schweigen. Bleich, aber entschlossen, griff er nach dem Tisch. Sein Gesicht war weißer als sonst, was seine kurzen schwarzen Haare und seine braunen, seelenvollen Augen noch betonte. Meinen Gefühlen zuzuhören war anstrengend, und ich wusste es zu schätzen, dass er durch meinen emotionalen Dreck watete, um mir dabei zu helfen, herauszufinden, was passiert war.
Ich schenkte ihm ein dünnes Lächeln, und Ford öffnete die ersten paar Knöpfe seines Mantels, um ein schlichtes Baumwollhemd und das Amulett freizulegen, das er immer bei der Arbeit trug. Der metallene Kraftlinienzauber war eine sichtbare Darstellung der Emotionen, die er empfing. Er spürte die Gefühle, egal, ob er den Zauber trug oder nicht, aber die Leute um ihn herum hatten zumindest eine Illusion von Privatsphäre, wenn er es abnahm. Ivy, meine Mitbewohnerin und Geschäftspartnerin, hielt es für dämlich, zu versuchen, Hexenmagie mit menschlicher Psychologie zu bekämpfen, um mein Gedächtnis wiederherzustellen, aber ich war verzweifelt. Ihre Versuche, herauszufinden, wer Kisten umgebracht hatte, führten zu nichts.
Fords Erleichterung, wieder von Wänden umgeben zu sein, war fast greifbar. Als ich sah, dass er seine Umklammerung am Tisch löste, ging ich auf die enge Tür zum Wohnzimmer und dem Rest des Bootes zu. Der entfernte Geruch von Vampir und Nudeln stieg mir in die Nase - eine Einbildung, ausgelöst von Erinnerungen. Es war fünf Monate her.
Ich biss die Zähne zusammen und hielt meine Augen auf den Boden gerichtet, weil ich den zerbrochenen Türrahmen nicht sehen wollte. Auf dem Teppich waren Schmutz- spuren, die vorher nicht da gewesen waren. Flecken, die nachlässige Leute hinterlassen hatten, die Kisten nicht gekannt hatten, ihn niemals lächeln gesehen hatten, nicht wussten, wie seine Augenwinkel kleine Falten warfen, wenn es ihm gelungen war, mich zu überraschen. Eigentlich lag ein Inderlander-Tod ohne menschliche Beteiligung außerhalb der Zuständigkeiten des FIB, aber nachdem es der I. S. völlig egal war, dass mein Freund in ein Blutgeschenk verwandelt worden war, hatte sich das FIB nur für mich die Mühe gemacht.
Mord verjährte nicht, aber die Ermittlung war offiziell abgeschlossen worden. Dies war die erste Chance, die ich hatte, hier rauszukommen und zu versuchen, mein Gedächtnis aufzufrischen. Jemand hatte meine Unterlippe angeschnitten, in dem Versuch, mich an ihn zu binden. Jemand hatte meinen Freund zweimal getötet. Jemand würde in einer Hölle von Schmerz leben, wenn ich herausfand, wer er war.
Mit einem flauen Gefühl im Magen schaute ich an Ford vorbei zu dem Fenster, wo der blutige Handabdruck gewesen war. Er war hinterlassen worden wie ein spöttisches Warnschild, ohne uns irgendwelche brauchbaren Fingerabdrücke zu geben. Feigling.
Das Amulett um Fords Hals kippte zu einem wütenden Schwarz. Er suchte meinen Blick, während er die Augenbrauen hochzog, und ich zwang meine Gefühle, sich zu beruhigen. Ich konnte mich an nichts erinnern. Jenks, meine Rückendeckung und ebenfalls mein Geschäftspartner, hatte mich mit einem Trank vergessen lassen, damit ich Kistens Mörder nicht verfolgte. Ich konnte es ihm nicht übelnehmen. Der Pixie war nur zehn Zentimeter groß, und es war für ihn die einzige Möglichkeit gewesen, mich von einer Selbstmordmission abzuhalten. Ich war eine Hexe mit einer ungebundenen Vampirnarbe, und damit konnte ich mich keinem untoten Vampir entgegenstellen, egal, wie man es auch drehte und wendete.
»Bist du dir sicher, dass du dafür schon bereit bist?«, fragte Ford. Ich zwang meine Hand dazu, meinen Oberarm freizugeben. Wieder. Er pulsierte in einem längst vergangenen Schmerz, als eine Erinnerung sich bemühte, an die Oberfläche zu kommen. Angst breitete sich in mir aus. Die Erinnerung daran, dass ich auf der anderen Seite dieser Tür gestanden und versucht hatte, sie einzutreten, war alt. Es war fast die einzige Erinnerung, die ich an diese Nacht hatte.
»Ich will es wissen«, sagte ich, aber meine Stimme klang sogar in meinen eigenen Ohren unsicher. Ich hatte diese verfickte Tür eingetreten. Ich hatte den Fuß benutzt, weil mein Arm zu wehgetan hatte, um ihn zu bewegen. Ich hatte zu dieser Zeit geheult, und meine Haare hatten vor meinem Gesicht gehangen. Ich hatte die Tür eingetreten.
Eine weitere Erinnerung tauchte auf, und mein Puls raste, als etwas hinzugefügt wurde: Ich war rückwärts gefallen und gegen eine Wand geknallt. Mein Kopf war gegen eine Wand geschlagen. Ich hielt den Atem an und starrte durch das Wohnzimmer und auf die nichtssagende Wandverkleidung. Genau da. Ich erinnere mich.
Ford kam mir ungewöhnlich nah. »Du musst es nicht auf diese Art machen.«
In seinen Augen stand Mitleid. Mir gefiel nicht, dass er es meinetwegen empfand. Sein Amulett wurde silbern, als ich meinen Willen sammelte und durch den Türrahmen trat. »Doch«, sagte ich entschlossen. »Selbst wenn ich mich an nichts erinnere, könnten die FIB-Kerle etwas übersehen haben.«
Das FIB war fantastisch darin, Informationen zu sammeln, sogar besser als die I. S. Das mussten sie auch sein, weil die menschlich geführte Behörde sich darauf verlassen musste, Beweise zu finden, statt den Raum auf Gefühle zu untersuchen oder Hexenzauber zu verwenden, um festzustellen, wer das Verbrechen begangen hatte und warum. Aber jeder konnte einmal etwas übersehen, und das war einer der Gründe, warum ich hier war. Und um mein Gedächtnis wiederzufinden. Jetzt, wo ich hier war, hatte ich Angst. Mein Kopf war gegen die Wand geschlagen ... genau da drüben.
Ford kam hinter mir in den Raum und beobachtete mich, während ich das Wohnzimmer mit der niedrigen Decke scannte, das sich von einer Seite des Bootes bis zur anderen zog. Es sah völlig normal aus, mal abgesehen von der Skyline von Cincy, die durch die schmalen Fenster sichtbar war. Ich legte eine Hand auf den Bauch, als mein Magen sich verkrampfte. Ich musste das tun, egal, woran ich mich erinnerte.
»Ich meinte«, sagte Ford, »dass es noch andere Wege gibt, sich zu erinnern.«
»Wie Meditation?«, fragte ich. Es war mir immer noch peinlich, dass ich in seinem Büro eingeschlafen war. Ich spürte die Anfänge von Stress-Kopfweh und stiefelte an der Couch vorbei, auf der Kisten und ich zu Abend gegessen hatten, an dem Fernseher mit dem lausigen Empfang - nicht, dass wir je wirklich hingesehen hätten - und an der Bar vorbei. Langsam legte ich eine Hand auf die Stelle, wo mein Kopf aufgeschlagen war und rollte die Finger ein, als meine Hand anfing zu zittern. Mein Kopf war gegen die Wand geknallt. Wer hat mich gestoßen? Kisten? Sein Killer? Aber die Erinnerung war nur bruchstückhaft. Mehr gab es nicht.
Ich wandte mich ab und steckte die Hand in die Tasche, um ihr Zittern zu verbergen. Mein Atem bildete eine fast unsichtbare Wolke vor meinem Gesicht, und ich zog den Mantel enger um mich. Der Zug war schon längst vorbei. Außer wehenden Planen bewegte sich nichts vor den Fenstern. Mein Instinkt sagte mir, dass Kisten nicht in diesem Raum gestorben war. Ich musste tiefer gehen.
Ford sagte nichts, als ich in den schmalen, dunklen Flur trat, fast blind, bis meine Augen sich anpassten. Mein Puls beschleunigte sich, als ich an dem winzigen Bad vorbeikam, in dem ich die Kappen anprobiert hatte, die Kisten mir zum Geburtstag geschenkt hatte. Ich wurde langsamer, hörte auf meinen Körper und stellte fest, dass ich die Fingerspitzen aneinanderrieb, weil sie brannten.
Meine Haut kribbelte, und ich stoppte, starrte auf meine Hände und erkannte die Erinnerung von Teppich unter meinen Fingern, heiß von der Reibung. Ich hielt den Atem an, als neue Gedanken an die Oberfläche kamen, geboren aus der längst vergangenen Empfindung. Terror, Hilflosigkeit. Ich war diesen Flur entlanggeschleppt worden.
Erinnerte Panik stieg auf. Ich unterdrückte sie und zwang mich dazu, ruhig auszuatmen. Die Linien, die ich im Teppich hinterlassen hatte, waren verschwunden, als das FIB gesaugt hatte, um eventuelle Spuren zu fi nden, und sie waren aus meinem Gedächtnis getilgt durch einen Zauber. Nur mein Körper hatte sich erinnert und dadurch jetzt auch mein Bewusstsein.
Ford stand schweigend hinter mir. Er wusste, dass etwas in meinem Hirn vorging. Vor mir war die Tür zum Schlafzimmer, und meine Angst wurde stärker. Dort war es geschehen. Dort hatte Kisten gelegen, sein Körper verletzt und misshandelt, ans Bett gelehnt, seine Augen silbrig und wirklich tot. Was, wenn ich mich an alles erinnere? Hier vor Ford, und dann zusammenbreche?
»Rachel.«
Ich zuckte erschreckt zusammen, und Ford verzog das Gesicht. »Wir können es auch anders machen«, drängte er sanft. »Die Meditation hat nicht funktioniert, aber vielleicht klappt es mit Hypnose. Das verursacht weniger Stress.«
Ich schüttelte den Kopf, trat vor und griff nach der Klinke zu Kistens Zimmer. Meine Finger waren bleich und kalt. Sie sahen aus wie meine, aber gleichzeitig auch nicht. Hypnose war eine falsche Ruhe, welche die Panik fernhalten würde, bis ich mitten in der Nacht allein war. »Mir geht es gut«, sagte ich und schob die Tür auf. Mit einem tiefen Atemzug trat ich ein.
Der große Raum war kalt, weil die großen Fenster, die das Sonnenlicht hineinließen, wenig Schutz gegen die Kälte boten. Ich drückte den Arm gegen den Körper und schaute zu der Stelle, wo Kisten am Bett gelehnt hatte. Kisten. Da war nichts. Mein Herz schmerzte, weil ich ihn vermisste. Hinter mir begann Ford, seltsam gleichmäßig zu atmen, und versuchte so, meine Gefühle davon abzuhalten, ihn zu überwältigen.
Jemand hatte den Teppich an der Stelle gereinigt, an der Kisten zum zweiten Mal und damit endgültig gestorben war. Nicht, dass es viel Blut gegeben hatte. Das Fingerabdruckpulver war verschwunden, aber die einzigen Abdrücke, die sie gefunden hatten, waren von mir, Ivy und Kisten - über die Wohnung verstreut wie Wegweiser. Von seinem Mörder hatte es keine gegeben. Nicht einmal auf Kistens Leiche. Die
I. S. hatte die Leiche wahrscheinlich zwischen dem Zeitpunkt gesäubert, als ich vom Schiff gestürmt war, um einen Vampir in den Arsch zu treten, und meiner verwirrten Rückkehr zusammen mit dem FIB, nachdem ich alles vergessen hatte. Die I. S. wollte nicht, dass der Mord aufgeklärt wurde, ein Gefallen für den Vampir, dem Kistens letztes Blut als Geschenk gegeben worden war. Anscheinend kamen Inderlander- Traditionen vor Gesetzen. Genau die Leute, für die ich einmal gearbeitet hatte, vertuschten jetzt dieses Verbrechen, und das machte mich sauer.
Meine Stimmung schwankte zwischen rasender Wut und entkräftendem Herzschmerz. Ford keuchte, und ich versuchte, mich zu entspannen, und wenn auch nur für ihn. Ich blinzelte die drohenden Tränen zurück, starrte an die Decke und zählte langsam von zehn rückwärts, eine der sinnlosen Übungen, die Ford mir gezeigt hatte, um einen leichten Meditationszustand zu erreichen.
Zumindest war Kisten das Elend erspart geblieben, für das Vergnügen eines anderen ausgeblutet zu werden. Er war schnell hintereinander zweimal gestorben, wahrscheinlich beide Male, um mich vor dem Vampir zu retten, dem er geschenkt worden war. Seine Autopsie hatte auch nichts geholfen. Was auch immer ihn beim ersten Mal getötet hatte, war vom Vampirvirus geheilt worden, bevor er nochmal gestorben war. Und wenn das wahr war, was ich Jenks erzählt hatte, bevor ich mein Gedächtnis verloren hatte, dann war er beim zweiten Mal gestorben, weil er seinen Angreifer gebissen und ihr untotes Blut gemischt hatte, um sie beide umzubringen. Unglücklicherweise war Kisten noch nicht lange untot gewesen. Es hatte seinen älteren Angreifer vielleicht nur verletzt zurückgelassen. Ich wusste es einfach nicht.
Ich erreichte in meinem Kopf die Null und ging, jetzt ruhiger, zur Kommode. Darauf stand ein flacher Karton, und der Schmerz ließ mich fast zusammenklappen, als ich ihn erkannte.
»Oh, Gott«, flüsterte ich. Ich streckte die Hand aus, ballte sie zu einer Faust, nur um die Finger dann langsam wieder zu öffnen und ihn zu berühren. Es war das Spitzen-Negligé, das Kisten mir zum Geburtstag geschenkt hatte. Ich hatte vergessen, dass es hier war.
»Es tut mir leid«, sagte Ford rau. Mein Blick war von Tränen verschleiert, als ich ihn ansah, wie er in sich zusammengesunken auf der Türschwelle stand.
Ich presste die Augen zu, um die Tränen herauszudrücken, und hielt den Atem an. Mein Herz klopfte wie wild, und ich holte einmal keuchend Luft, nur um sie dann in meinem Kampf um Kontrolle wieder anzuhalten. Verdammt nochmal, er hatte mich geliebt, und ich ihn. Es war nicht fair. Es war nicht richtig. Und es war wahrscheinlich meine Schuld.
Ein sanftes Geräusch von der Schwelle verriet mir, dass Ford um Beherrschung kämpfte, und ich zwang mich, zu atmen. Ich musste mich zusammenreißen. Ich tat Ford weh. Er fühlte alles, was ich fühlte, und ich schuldete ihm eine Menge. Ford war der Grund, warum ich nicht zur Befragung zum FIB geschleppt worden war, obwohl ich ab und zu für sie arbeitete. Er war menschlich, aber sein Fluch, die Gefühle anderer spüren zu können, war besser als ein Lügendetektortest oder ein Wahrheitszauber. Er wusste, dass ich Kisten geliebt hatte und panische Angst vor dem hatte, was hier passiert war. »Bist du in Ordnung?«, fragte ich, als sein Atem sich wieder etwas beruhigte.
»Prima. Und du?«
»Einfach super«, sagte ich und umklammerte die Platte der Kommode. »Es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass es so schlimm werden würde.«
»Ich wusste, worauf ich mich einlasse, als ich zugestimmt habe, dich hier rauszubringen«, antwortete er und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, die ich für mich selbst nicht mehr weinen würde. »Ich kann ertragen, was du austeilst, Rachel.«
Ich wandte mich ab, voller Schuldgefühle. Ford blieb, wo er war, weil der Abstand ihm dabei half, mit der Überlastung fertigzuwerden. Er berührte niemals jemanden, außer aus Versehen. Es musste ein schreckliches Leben sein. Aber als ich mich von der Kommode abstieß, fühlte ich ein sanftes Ziehen an meinen Fingerspitzen, die an der Unterseite der Kommodendeckplatte lagen. Klebrig. Ich schnüffelte an meinen Fingern und roch einen leisen Hauch von Treibmittel.
Klebseide. Jemand hatte Klebseide benutzt und sie an der Unterseite der Kommode abgewischt. Ich? Kistens Mörder? Klebseide funktionierte nur bei Pixies und Fairys. Für jeden anderen war es nur irritierend, ein wenig wie Spinnweben. Jenks war nicht mitgekommen, weil es zu kalt war, aber vielleicht wusste er auch mehr, als er zugab.
Mein Herzschmerz ließ bei der Ablenkung ein wenig nach. Ich kniete mich hin, grub in meiner Tasche nach der Stiftlampe und leuchtete unter den Rand der Kommode. Ich würde darauf wetten, dass hier niemand nach Fingerabdrücken gesucht hatte. Ford kam näher. Ich schaltete die Lampe aus und stand auf. Ich wollte nicht die Gerechtigkeit des FIB: Ich wollte meine. Ivy und ich würden später nochmal kommen und selbst alles untersuchen. Die Decke nach Resten von Kohlenwasserstoffen absuchen. Und Jenks schütteln, um herauszufinden, wie lange er in dieser Nacht bei mir war.
Fords Missbilligung war fast greifbar, und ich wusste, dass sein Amulett leuchtend rot sein würde, weil er meinen Ärger fühlte. Mir war es egal. Ich war wütend, und das war besser, als in alle Einzelteile zu zerfallen. Mit neuer Entschlossenheit wandte ich mich dem Rest des Raumes zu. Ford hatte den verschmierten Fleck selbst gesehen. Das FIB würde die Akte wieder öffnen, wenn ich einen einzigen guten Abdruck fand - natürlich außer dem, den ich gerade hinterlassen hatte. Das konnte das letzte Mal sein, dass sie mich hier reinließen.
Ich lehnte mich mit verschränkten Armen gegen die Kommode und schloss die Augen in dem Versuch, mich zu erinnern. Nichts. Ich brauchte mehr. »Wo ist das Zeug?«, fragte ich, einerseits voller Erwartung und andererseits voller Angst vor dem, was in meinem Geist darauf wartete, aufzutauchen.
Ich hörte das Geräusch von raschelndem Plastik, dann gab Ford mir zögernd ein paar Beweismitteltüten und einen Stapel Fotos. »Rachel, wenn es einen verwendbaren Abdruck gibt, sollten wir gehen.«
»Das FIB hatte fünf Monate«, gab ich nervös zurück, als ich ihm die Sachen abnahm. »Jetzt bin ich dran. Und erzähl mir keinen Mist darüber, dass ich Beweismittel zerstören könnte. Die gesamte Abteilung war hier drin. Wenn es einen Abdruck gibt, gehört er wahrscheinlich einem von ihnen.«
Er seufzte, als ich mich zur Kommode umdrehte und die Plastiktüten ausbreitete, mit der beschrifteten Seite nach unten. Als Erstes griff ich nach den Fotos, und mein Blick hob sich zum Spiegelbild des Raumes hinter mir.
Ich steckte das Bild von dem verschmierten, blutigen Handabdruck auf dem Küchenfenster nach hinten, dann ordnete ich den Stapel, in dem ich ihn ein paarmal geschäftsmäßig auf die Platte fallen ließ. Vom Handabdruck empfing ich nichts außer dem Gefühl, dass er weder mir noch Kisten gehörte.
Das Bild von Kisten war Gott sei Dank nicht dabei. Ich durchquerte mit einem Foto von der Delle in der Wand den Raum. Ford schwieg, als ich die Verkleidung berührte, und ich beschloss, dass die Abwesenheit von Phantomschmerz sagte, dass ich sie nicht gemacht hatte. Hier drin hatte es noch einen anderen Kampf gegeben außer meinem. Um mich wahrscheinlich.
Ich schob das Foto hinter den Stapel. Darunter erschien eine Großaufnahme von einem Sohlenabdruck, der unter der Fensterreihe aufgenommen worden war. Mein Kopf begann zu pulsieren, und durch diese Warnung wusste ich, dass etwas da war, versteckt in meinem Geist. Mit zusammengebissenen Zähnen zwang ich mich zu den Fenstern, kniete mich hin und ließ eine Hand über den glatten Teppich gleiten. Ich hoffte auf eine Erinnerung, obwohl ich sie gleichzeitig fürchtete. Der Abdruck stammte von Lederschuhen. Nicht Kistens. Dafür waren sie zu gewöhnlich. Kisten hatte in seinem Schrank nur die neueste Mode. War der Schuh schwarz oder braun?, dachte ich und versuchte, etwas an die Oberfläche zu zwingen.
Nichts. Frustriert schloss ich die Augen. In meinen Gedanken vermischte sich der Geruch nach vampirischem Räucherwerk mit einem unbekannten Aftershave. Ich zitterte innerlich und ohne mir darüber Gedanken zu machen, was Ford wohl dachte, drückte ich meine Nase gegen den Teppich, um tief den Geruch der Fasern einzuatmen. Etwas ... irgendwas ... Bitte ...
Panik hob sich an den Rändern meines Bewusstseins, und ich zwang mich selbst, tiefer zu atmen. Während primitive Schalter in meinem Hirn sich umlegten und Gerüchen Namen gaben, war es mir egal, dass mein Hintern in die Luft stand. Moschusartige Schatten, die niemals Sonne sahen. Der süßliche Geruch von vermodertem Wasser. Das setzte sich zu Untoten zusammen. Wäre ich ein Vampir gewesen, hätte ich Kistens Killer vielleicht nur durch den Geruch fi nden können, aber ich war eine Hexe.
Angespannt atmete ich wieder ein, während ich mir das Hirn zermarterte und nichts fand. Langsam verebbte die Panik, und mein Kopfschmerz ließ nach. Ich atmete erleichtert auf. Falscher Alarm. Hier war nichts. Es war nur ein Teppich, und mein Geist hatte Gerüche erfunden, um mein Bedürfnis nach Antworten zu stillen. »Nichts«, murmelte ich in den Teppich und holte noch einmal tief Luft, bevor ich mich aufsetzte.
Terror durchzuckte mich, als ich den Geruch von Vampir witterte. Schockiert kämpfte ich mich auf die Beine und starrte auf den Teppich, als wäre ich verraten worden. Verdammt.
Kalter Schweiß überzog meine Haut, als ich mich abwandte. Ivy. Ich werde sie bitten, später hierherzukommen und am Teppich zu riechen, dachte ich, dann lachte ich fast auf. Ich unterdrückte es in einem Gurgeln und tat dann so, als müsste ich husten. Mit kalten Fingern wechselte ich zum nächsten Foto.
Oh, noch besser, dachte ich sarkastisch. Kratzspuren auf der Wandverkleidung. Ich atmete schnell, und als meine Fingerspitzen anfingen zu pulsieren, schoss mein Blick direkt zu der Wand neben dem winzigen Schrank. Fast hechelnd starrte ich, weigerte mich aber, hinüberzugehen und zu prüfen, ob meine Finger zu den Kratzern passten. Ich hatte genauso viel Angst, mich an etwas zu erinnern, wie ich es wollte. Ich hatte keine Erinnerung daran, diese Spuren hinterlassen zu haben, aber mein Körper offensichtlich schon.
Ich hatte der Angst schon öfter ins Gesicht geblickt. Ich kannte helle, leuchtende Angst, wenn der Tod auf einen zukommt und man nur reagieren kann. Ich kannte die Übelkeit erregende Mischung aus Angst und Hoffnung, wenn der Tod sich langsam anschleicht und man verzweifelt nach einem Weg sucht, zu entkommen. Ich war mit alter Angst aufgewachsen, die Art, die immer in der Nähe lauert, Tod am Horizont, so unausweichlich, dass sie ihre Macht verliert. Aber diese Panik ohne sichtbaren Grund war etwas Neues. Ich zitterte, während ich versuchte, einen Weg zu finden, damit umzugehen. Vielleicht kann ich sie ignorieren. Bei Ivy funktioniert es.
Ich räusperte mich und bemühte mich um den Eindruck von Unbekümmertheit, als ich die übrigen Bilder auf der Kommode ausbreitete, aber ich konnte niemanden täuschen.
Verschmiertes Blut - keine Tropfen, sondern verschmiert. Kistens, den FIB-Kerlen zufolge. Ein Bild von einer kaputten Schublade, die wieder geschlossen worden war. Noch ein nutzloser blutiger Handabdruck auf dem Deck, wo Kistens Mörder über die Reling gesprungen war. Nichts davon berührte mich wie die Kratzer oder der Teppich. Ich kämpfte mit dem Wunsch nach Gewissheit, hatte aber Angst, mich zu erinnern.
Langsam beruhigte sich mein Puls, und meine Schultern entspannten sich ein wenig. Ich legte die Bilder beiseite, überging die Tüten mit vom FIB aufgesaugtem Staub und Fusseln, in denen ich zwischen den Wollmäusen auch rote Haare sehen konnte. Ich beobachtete mich selbst im Spiegel, als ich den Haargummi in einer der durchsichtigen Beweismitteltüten berührte. Es war einer von meinen, und er hatte in dieser Nacht dabei geholfen, meinen Zopf geflochten zu halten. Ein dumpfes Pochen auf meiner Kopfhaut drang in mein Bewusstsein, und Ford bewegte sich unruhig.
Scheiße, der Gummi bedeutete irgendwas.
»Rede mit mir«, bat Ford. Ich drückte durch das Plastik meinen Daumen auf das Gummiband und versuchte, die Angst davon abzuhalten, wieder die Kontrolle zu übernehmen. Die Beweise wiesen auf mich als Kistens Mörder hin, daher auch das nicht wirklich versteckte Misstrauen, das ich inzwischen im FIB spürte, aber ich war es nicht gewesen. Ich war hier gewesen, aber ich hatte die Tat nicht begangen. Zumindest Ford glaubte mir. Jemand hatte schließlich die verfickten blutigen Handabdrücke hinterlassen.
»Der gehört mir«, sagte ich leise, damit meine Stimme nicht zitterte. »Ich glaube ... jemand hat meinen Zopf gelöst. « Ich fühlte mich unwirklich, als ich die Tüte umdrehte, um festzustellen, dass er im Schlafzimmer gefunden worden war, und eine Panikwelle erhob sich aus dem Nichts. Mein Herz raste, aber ich zwang mich dazu, ruhig zu atmen. Erinnerungen tröpfelten in meinen Kopf, aber nichts davon half mir weiter. Finger in meinem Haar. Mein Gesicht gegen die Wand gepresst. Kistens Mörder, der meine Haare aus dem Zopf löste. Kein Wunder, dass ich in den letzten fünf Monaten Jenks' Kinder nicht an mein Haar gelassen hatte oder dass ich ausgetickt war, als Marshal mir eine Strähne hinters Ohr geschoben hatte.
Mit einem mulmigen Gefühl ließ ich die Tüte fallen, dann wurde mir schwindlig, und mein Blickfeld verengte sich. Wenn ich in Ohnmacht fiel, würde Ford jemanden rufen, und das wäre es dann. Ich wollte es wissen. Ich musste.
Der letzte Beweis war vernichtend, und ich drehte mich um, damit ich mich mit dem Rücken an die Kommode lehnen konnte. Ich schüttelte eine kleine, intakte blaue Kugel aus einer Ecke ihrer Tüte. Die Kugel war mit einem jetzt nicht mehr wirksamen Gute-Nacht-Trank gefüllt. Es war das Einzige in meinem Arsenal, was einen untoten Vampir zu Fall bringen konnte.
Die Haare in meinem Nacken prickelten, als sich ein neuer Gedanke breitmachte und der Hauch einer Erinnerung mir das Herz zusammenpresste. Ich stieß gequält die Luft aus und senkte den Kopf. Ich weinte, fluchte. Zielte mit meiner Splat Gun und zog den Abzug. Und lachend fing er den Zauber aus der Luft.
»Er hat ihn gefangen«, flüsterte ich und schloss die Augen, damit sie nicht überliefen. »Ich habe versucht, auf ihn zu schießen, und er hat den Zauber gefangen, ohne die Kugel zu zerstören.« Mein Handgelenk klopfte vor Schmerz, und eine weitere Erinnerung tauchte auf. Dünne Finger umklammerten mein Handgelenk. Meine Hand wurde taub. Ein Knall, als meine Splat Gun auf den Boden fiel.
»Er hat meine Hand gequetscht, bis ich meine Splat Gun fallen gelassen habe. Ich glaube, dann bin ich geflohen.«
Ängstlich sah ich zu Ford und bemerkte, dass sein Amulett ein grelles Purpur angenommen hatte. Meine kleine rote Splat Gun hatte nie gefehlt. Es war nie vermerkt worden, dass sie hier gewesen war. Alle meine Zauber waren vorhanden gewesen. Jemand hatte offensichtlich die Waffe dorthin zurückgebracht, wo sie hingehörte. Ich erinnerte mich nicht einmal daran, die Gute-Nacht-Tränke angefertigt zu haben, aber das hier war klar erkenntlich einer von meinen. Es war eine gute Frage, wo die anderen sechs geblieben waren.
In einem Anfall von Wut trat ich gegen die Kommode. Die Erschütterung konnte ich bis in die Hüfte spüren, und das Möbelstück knallte gegen die Wand. Es war dämlich, aber es fühlte sich gut an.
»Ähm, Rachel?«, sagte Ford, und ich trat mit einem Grunzen noch einmal zu.
»Mir geht's prima!«, schrie ich und kämpfte die Tränen zurück. »Mir geht's einfach super!« Aber meine Lippe pulsierte, wo jemand mich gebissen hatte; mein Körper bemühte sich, dafür zu sorgen, dass mein Geist sich erinnern konnte, aber ich ließ es einfach nicht zu. War es Kisten gewesen, der mich gebissen hatte? Sein Angreifer? Ich war Gott sei Dank nicht gebunden worden. Ivy hatte es bestätigt, und sie würde es wissen.
Copyright © 2010 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Kim Harrison
Kim Harrison, geboren im Mittleren Westen der USA, wurde schon des Öfteren als Hexe bezeichnet, ist aber - soweit sie sich erinnern kann - noch nie einem Vampir begegnet. Sie hegt eine Vorliebe für Friedhöfe, Midnight Jazz und schwarze Kleidung und ist bei Neumond nicht auffindbar. Mit ihren RACHEL MORGAN-Romanen hat sie einen internationalen Bestseller gelandet.
Bibliographische Angaben
- Autor: Kim Harrison
- 2010, Deutsche Erstausgabe, 781 Seiten, Maße: 13,6 x 20,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Vanessa Lamatsch
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453533526
- ISBN-13: 9783453533523
- Erscheinungsdatum: 05.05.2010
Rezension zu „Blutkind / Rachel Morgan Bd.7 “
"Das ist wie Anne Rice auf Speed - auf dem Feld des Vampirromans ist Kim Harrison nicht zu schlagen!"
Pressezitat
"Das ist wie Anne Rice auf Speed - auf dem Feld des Vampirromans ist Kim Harrison nicht zu schlagen!" USA Today
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