Reckless Band 1: Steinernes Fleisch
Band 1
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Produktinformationen zu „Reckless Band 1: Steinernes Fleisch “
Der Auftakt zur neuen Serie der Bestsellerautorin.
"Bildermächtig, virtous und von poetischem Zauber."
BADISCHE ZEITUNG
Jacob Reckless kennt sie, die Welt hinter dem Spiegel. Deswegen hat er auch immer versucht, sie vor seinem Bruder Will geheimzuhalten. Denn in jenem Reich verbergen sich tödliche Gefahren. Doch nun ist Will seinem Bruder gefolgt und wurde von Goyle angegriffen. Jetzt droht er, zu Jade zu versteinern und für Jacob gibt es nur eine Möglichkeit, seinen Bruder zu retten.
Klappentext zu „Reckless Band 1: Steinernes Fleisch “
Treten Sie ein in die Welt hinter dem Spiegel!Obwohl Jacob Reckless immer darauf geachtet hat, die Welt hinter dem Spiegel vor seinem Bruder Will geheimzuhalten, ist dieser ihm gefolgt. Doch in dem wunderbaren Reich lauern tödliche Gefahren: Will wird von einem Goyl angegriffen und beginnt, zu Jade zu versteinern. Verzweifelt will Jacob ihn retten, aber nur die Feen haben die Macht, das Steinerne Fleisch aufzuhalten. Gemeinsam mit Clara, Wills großer Liebe, und der Gestaltwandlerin Fuchs macht Jacob sich auf die gefährliche Reise.
Ein fesselndes Abenteuer in einer von den Grimmschen Märchen inspirierten Welt.
Eine besondere Botschaft von Cornelia Funke
"Für mein neues Buch "Reckless. Steinernes Fleisch" habe ich mich von den grimmschen Märchen inspirieren lassen, die mich als Kind zugleich fasziniert und zu Tode erschreckt haben. Aber die Welt, in die es euch entführen wird, erinnert auch an das Europa des neunzehnten Jahrhunderts. Es ist eine Märchenwelt, die erwachsen werden will, in der eine Kaiserin eiserne Brücken baut, aber sich von Zwergen bedienen lässt, und in der Armeen sich mit Flinten und Kanonen bekämpfen, aber manchmal auch vom Fluch einer Fee besiegt werden.
Ihr werdet Jacob Reckless begegnen, der, von allen Helden, die mich je dazu gebracht haben, ihre Geschichte zu erzählen, bei Weitem der gedankenloseste und ungeduldigste ist. Sein Nachname gibt dem Buch den Titel: Reckless – im Deutschen würden wir das wohl mit "verwegen" übersetzen. Jacob wird seinem Nachnamen in jeder Hinsicht gerecht. Ich gebe zu, ich habe selten einen meiner Helden so sehr gemocht – obwohl ich ihn zuerst nicht wirklich leiden konnte. Ich hoffe, ihr werdet es genauso lieben, ihm durch seine Abenteuer zu folgen, wie ich es geliebt habe, sie aufzuschreiben. Ich bin sehr gespannt darauf, zu erfahren, ob ihr in Jacobs Haut schlüpfen werdet oder vielleicht doch in die seines Bruders Will, den er zu retten versucht. Vielleicht streift ihr euch auch ein rotes Fell über und verwandelt euch in Fuchs. Vielleicht werdet ihr Clara, die sich in eine andere Welt verirrt, weil sie der Liebe folgt. Oder ihr werdet zu einem der Goyl, die uns in jeder Hinsicht gleichen, bis auf die Tatsache, dass ihre Haut aus Stein ist.
Ihr müsst durch einen Spiegel gehen, um in diese neue Welt zu gelangen – wie Jacob. Lasst uns ihm folgen! Lasst uns Zwerge und Einhörner treffen, lasst uns im Haus einer kinderfressenden Hexe schlafen und ein Schloss finden, das von Rosen überwachsen ist. Lasst uns von der Liebe zwischen zwei Brüdern lesen, aber auch vom Zorn. Lasst uns von Freundschaft hören, von Betrug und gebrochenen Herzen. Seien wir für eine Weile so verwegen und gedankenlos wie Jacob. Let’s be Reckless for a while!
Jacobs erstes Abenteuer (ich hoffe, dass es noch mindestens drei weitere geben wird) erscheint weltweit am 14. September 2010. Es ist für mich etwas ganz Besonderes, das meine Geschichte am selben Tag in so vielen Sprachen herauskommt – und meine erste Veranstaltung in New York wird auf dieser Website ausgestrahlt werden, sodass ihr sie weltweit zeitgleich sehen könnt. Ich freue mich schon so sehr darauf. Es wird wie eine Geburtstagsfeier für mein Buch sein – und ihr seid alle dazu eingeladen!
Für einen Geschichtenerzähler beginnt ein Buch immer erst wirklich zu leben, wenn die ersten Leser es in Händen halten. Versprecht mir – sobald ihr es gelesen habt, verratet ihr mir, wer eure Lieblingsfigur ist! In welche Haut seid ihr geschlüpft? Fell, Stein oder Menschenhaut? Ich warte auf euch hinter dem Spiegel, um das alles von euch zu erfahren!"
Lese-Probe zu „Reckless Band 1: Steinernes Fleisch “
Reckless - Steinernes Fleisch von Cornelia FunkeHINTER DEM SPIEGEL
Die Sonne stand schon tief über den Mauern der Ruine, aber Will schlief immer noch,
erschöpft von den Schmerzen, die ihn seit Tagen schüttelten.
Er richtete sich auf und deckte Will mit seinem Mantel zu. Ein Fehler, Jacob, nach all den Jahren der Vorsicht.
All die Jahre, in denen er eine ganze Welt sein Eigen genannt hatte. All die Jahre, in denen aus der fremden Welt das Zuhause geworden war. Vorbei. Schon mit fünfzehn hatte Jacob sich für Wochen hinter den Spiegel gestohlen. Mit sechzehn hatte er nicht einmal mehr die Monate gezählt und trotzdem hatte er sein Geheimnis bewahrt. Bis er es einmal zu eilig gehabt hatte. Hör auf, Jacob. Es ist nicht mehr zu ändern. Die Wunden am Hals seines Bruders waren gut verheilt, aber am linken Unterarm zeigte sich schon der Stein. Die blassgrünen Adern trieben bis hinunter zur Hand und schimmerten in Wills Haut wie polierter Marmor.
Ein Fehler nur.
Jacob lehnte sich gegen eine der verrußten Säulen und blickte hinauf zu dem Turm, in dem der Spiegel stand. Er war nie hindurchgegangen, ohne sich zu vergewissern, dass Will und seine Mutter schliefen. Aber seit ihrem Tod gab es auf der anderen Seite nur noch ein leeres Zimmer mehr, und er hatte es nicht erwarten können, die Hand wieder auf das dunkle Glas zu pressen und fortzukommen. Weit fort.
Ungeduld, Jacob. Nenne es beim Namen. Eine deiner hervorstechendsten Eigenschaften.
Er sah immer noch Wills Gesicht hinter sich im Spiegel auftauchen, verzerrt von dem dunklen Glas. »Wo willst du hin, Jacob?« Ein Nachtflug nach Boston, eine Reise nach Europa, es hatte viele Ausreden im Lauf der Jahre gegeben. Jacob war ein ebenso einfallsreicher Lügner, wie sein Vater es gewesen war. Doch diesmal hatte seine Hand sich schon auf das kühle Glas gepresst -- und natürlich hatte Will es ihm nachgetan.
Kleiner Bruder.
»Er riecht schon wie sie.«
Fuchs löste sich aus den Schatten, die die zerstörten Mauern warfen. Ihr Fell war so rot, als hätte der Herbst es ihr gefärbt, und am Hinterlauf sah man noch die Narben, die die Falle hinterlassen hatte. Fünf Jahre war es her, dass Jacob sie daraus befreit hatte, und seither wich die Füchsin ihm nicht von der Seite. Sie bewachte seinen Schlaf, warnte ihn vor Gefahren, die seine stumpfen Menschensinne nicht wahrnahmen, und gab Rat, den man besser befolgte.
Ein Fehler.
Jacob trat durch den Torbogen, in dessen verbogenen Angeln immer noch die verkohlten Reste des Schlossportals hingen. Auf der Treppe davor sammelte ein Heinzel Eicheln von den zersprungenen Stufen. Er huschte hastig davon, als Jacobs Schatten auf ihn fiel. Spitznasig und rotäugig, in Hosen und Hemden, die sie aus gestohlenen Menschenkleidern nähten - die Ruine wimmelte von ihnen.
»Schick ihn zurück! Deshalb sind wir hergekommen, oder?« Die Ungeduld in Fuchs' Stimme war nicht zu überhören.
Aber Jacob schüttelte den Kopf. »Es war falsch, ihn hierher zu bringen. Es gibt nichts auf der anderen Seite, das ihm helfen könnte.«
Jacob hatte Fuchs von der Welt erzählt, aus der er kam, aber sie wollte nicht wirklich davon hören. Ihr reichte, was sie wusste: dass es der Ort war, an den er allzu oft verschwand und mit Erinnerungen zurückkam, die ihm wie Schatten folgten.
»Und? Was glaubst du, was hier mit ihm passieren wird?« Fuchs sprach es nicht aus, doch Jacob wusste, was sie dachte. In dieser Welt erschlugen Männer ihre eigenen Söhne, sobald sie den Stein in ihrer Haut entdeckten. Er blickte hinunter aufdie roten Dächer, die sich am Fuß des Schlosshügels in der Dämmerung verloren. In Schwanstein flammten die ersten Lichter auf. Die Stadt sah von fern aus wie eines der Bilder, die man auf Lebkuchendosen druckte, aber seit ein paar Jahren durchzogen Eisenbahngleise die Hügel dahinter, und aus Fabrikschornsteinen stieg grauer Rauch in den Abendhimmel. Die Welt auf der anderen Seite des Spiegels wollte erwachsen werden. Aber das Steinerne Fleisch, das seinem Bruder wuchs, hatten nicht mechanische Webstühle oder andere moderne Errungenschaften gesät, sondern der alte Zauber, der in ihren Hügeln und Wäldern hauste.
Ein Goldrabe landete auf den zersprungenen Fliesen. Jacob scheuchte ihn fort, bevor er Will einen seiner finsteren Flüche zukrächzen konnte.
Sein Bruder stöhnte im Schlaf. Die Menschenhaut machte dem Stein nicht kampflos Platz und Jacob spürte den Schmerz wie seinen eigenen. Nur aus Liebe zu seinem Bruder war er immer wieder in die andere Welt zurückgekehrt, auch wenn seine Besuche von Jahr zu Jahr seltener geworden waren. Ihre Mutter hatte geweint und ihm mit der Fürsorge gedroht, ohne je zu ahnen, wohin er verschwand, aber Will hatte ihm die Arme um den Hals geschlungen und gefragt, was er ihm mitgebracht hatte. Heinzelschuhe, die Mütze eines Däumlings, einen Knopf aus Elfenglas, ein Stück schuppige Wassermannhaut - Will hatte Jacobs Mitbringsel unter dem Bett versteckt und die Geschichten, die er ihm dazu erzählte, schon bald für Märchen gehalten, die er nur für ihn erfand.
Nun wusste er, dass sie alle wahr waren.
Jacob zog ihm den Mantel über den entstellten Arm. Am Himmel waren schon die zwei Monde zu sehen.
»Pass auf ihn auf, Fuchs.« Er erhob sich. »Ich bin bald zurück.«
»Wo willst du hin? Jacob!« Die Füchsin sprang ihm in den Weg. »Es kann ihm niemand mehr helfen!«
»Wir werden sehen.« Er schob sie beiseite. »Sorg dafür, dass Will nicht in den Turm hinaufgeht.«
Sie blickte ihm nach, als er die Treppe hinunterstieg. Die einzigen Stiefelabdrücke auf den vermoosten Stufen waren seine eigenen. Kein Mensch kam hierher. Die Ruine galt als verflucht und Jacob hatte schon Dutzende von Geschichten über ihren Untergang ge- hört. Aber nach all den Jahren wusste er immer noch nicht, wer den Spiegel in ihrem Turm hinterlassen hatte. Ebenso wenig, wie er je herausgefunden hatte, wohin sein Vater verschwunden war. Ein Däumling sprang ihm in den Kragen. Jacob bekam ihn gerade noch zu fassen, bevor er ihm das Medaillon vom Hals riss, das er trug. An jedem anderen Tag wäre er dem kleinen Dieb auf der Stelle gefolgt. Däumlinge horteten beachtliche Schätze in den hohlen Bäumen, in denen sie hausten. Doch er hatte schon viel zu viel Zeit verloren.
Ein Fehler, Jacob.
Er würde ihn wiedergutmachen. Aber Fuchs' Worte folgten ihm, während er den steilen Hang hinunterstieg.
Es kann ihm niemand mehr helfen.
Wenn sie recht hatte, würde er schon bald keinen Bruder mehr haben. Weder in dieser noch in der anderen Welt.
Ein Fehler.
GOYL
Das Feld, über das Hentzau mit seinen Soldaten ritt, roch immer noch nach Blut.
Der Regen hatte die Gräben mit schlammigem Wasser gefüllt, und hinter den Mauern, die beide Seiten zur Deckung errichtet hatten, war der Boden bedeckt mit herrenlosen Flinten und zerschossenen Helmen. Kami'en hatte die Pferde- und Menschenleichen verbrennen lassen, bevor sie zu rotten begannen, aber die gefallenen Goyl lagen noch dort, wo sie gestorben waren. Schon in wenigen Tagen würden sie nicht mehr von den Steinen zu unterscheiden sein, die aus der zertretenen Erde ragten, und die Köpfe derer, die in vorderster Linie gekämpft hatten, waren, wie es Goylsitte war, in die Hauptfestung gebracht worden.
Noch eine Schlacht. Hentzau war sie leid, aber diese würde hoffentlich für eine Weile die letzte gewesen sein. Die Kaiserin war endlich bereit zu verhandeln und selbst Kami'enwollte Frieden. Hentzaupresste sich die Handvors Gesicht, als der Wind Asche von der Anhöhe herabwehte, auf der sie die Leichen verbrannt hatten. Sechs Jahre über der Erde, sechs Jahre ohne schützenden Fels zwischen ihm und der Sonne. Die Augen schmerzten ihm von all dem Tageslicht, und die Luft wurde mit jedem Tag kälter und machte seine Haut spröde wie Muschelkalk. Hentzaus Haut glich braunem Jaspis. Nicht die feinste Farbe, die ein Goyl haben konnte. Er war der erste Jaspisgoyl, der je in die obersten Militärränge aufgestiegen war, aber die Goyl hatten vor Kami'en auch noch nie einen König gehabt, und Hentzau gefiel seine Haut. Jaspis war eine wesentlich bessere Tarnfarbe als Onyx oder Mondstein. Kami'en hatte unweit des Schlachtfelds Quartier bezogen, im Jagdschloss eines kaiserlichen Generals, der, wie die meisten seiner Offiziere, gefallen war. Die Wachen vor dem zerstörten Tor salutierten, als Hentzau auf sie zuritt. Den Bluthund des Königs nannten sie ihn, seinen Jaspisschatten. Hentzau diente Kami'en schon, seit sie gemeinsam die anderen Anführer bekämpft hatten. Zwei Jahre hatten sie gebraucht, um sie alle zu töten, aber danach hatten die Goyl zum ersten Mal einen König gehabt.
Die Straße, die vom Tor zum Schloss hinaufführte, war gesäumt von marmorweißen Statuen, und während Hentzau an ihnen vorbeiritt, amüsierte er sich nicht zum ersten Mal darüber, dass Menschen ihre Götter und Helden durch Abbilder aus Stein verewigten, während sie seinesgleichen für ihre Haut verabscheuten. Selbst die Weichhäute mussten es zugeben. Stein war das Einzige, was blieb.
Die Fenster des Schlosses waren zugemauert, wie die Goyl es bei allen Gebäuden taten, die sie besetzten, doch erst auf der Treppe, die in die Vorratskeller hinabführte, umgab Hentzau endlich die wohltuende Dunkelheit, die man unter der Erde fand. Nur wenige Gaslampen erleuchteten die Gewölbe, die nun statt Vorräten und verstaubten Jagdtrophäen den Generalstab des Königs der Goyl beherbergten.
Kami'en. Sein Name bedeutete in ihrer Sprache nichts anderes als Stein. Sein Vater hatte eine der untersten Städte befehligt, aber Väter zählten bei ihnen nicht viel. Die Mütter zogen sie auf, und mit neun war ein Goyl erwachsen und auf sich gestellt. Die meisten erkundeten danach die Untere Welt auf der Suche nach unentdeckten Höhlen, bis selbst steinerne Haut die Hitze dort nicht länger ertrug. Doch Kami'en hatte immer nur die Obere Welt interessiert. Er hatte lange in einer der Höhlenstädte gelebt, die sie über der Oberfläche gebaut hatten, weil es in den unteren Städten zu voll wurde, und dort zwei Menschenangriffe überlebt. Danach hatte er begonnen, ihre Waffen und Kriegstechniken zu studieren, und sich in ihre Städte und Militärlager geschlichen. Mit neunzehn hatte er ihre erste Stadt erobert.
Als die Leibwachen Hentzau hereinwinkten, stand Kami'en vor der Karte, die seine Eroberungen und die Positionen seiner Gegner zeigte. Die Figuren, die ihre Truppen verkörperten, hatte er nach seiner ersten gewonnenen Schlacht anfertigen lassen. Soldaten, Kanoniere, Scharfschützen, Reiterfiguren für die Kavallerie. Die Goyl waren aus Karneol, die Kaiserlichen aus Silber, Lothringen trug Gold, die Armeen im Osten Kupfer und Albions Truppen marschierten in Elfenbein. Kami'en blickte auf sie herab, als suchte er nach einem Weg, sie alle gemeinsam zu schlagen. Er trug Schwarz, wie immer, wenn er die Uniform ablegte, und seine rote Haut schien noch mehr als sonst aus Feuer gemacht. Nie zuvor war Karneol die Hautfarbe eines Anführers gewesen. Bei den Goyl war Onyx die Farbe der Fürsten.
Kami'ens Geliebte trug wie immer Grün, Schichten aus smaragdfarbenem Samt, die sie einhüllten wie die Blätter einer Blüte. Selbst die schönste Goylfrau verblasste neben ihr wie ein Kiesel neben geschliffenem Mondstein, aber Hentzau verbot seinen Soldaten immer wieder, sie anzusehen. Nicht umsonst gab es all die Geschichten über Feen, die Männer mit einem Blick in Disteln oder hilflos zappelnde Fische verwandelten. Ihre Schönheit war Spinnengift. Das Wasser hatte sie und ihre Schwestern geboren, und Hentzau fürchtete sie ebenso sehr wie die Meere, die an den Steinen der Welt nagten.
Die Fee streifte ihn nur mit einem Blick, als er eintrat. Die Dunkle Fee. Selbst ihre eigenen Schwestern hatten sie verstoßen. Es hieß, dass sie Gedanken lesen konnte, aber Hentzau glaubte das nicht. Sie hätte ihn längst getötet für all das, was er über sie dachte.
Er kehrte ihr den Rücken zu und beugte den Kopf vor dem König. »Ihr habt mich rufen lassen.«
Kami'en griff nach einer der Silberfiguren und wog sie in der Hand. »Du musst jemanden für mich finden. Einen Menschen, dem das Steinerne Fleisch wächst.«
Hentzau warf der Fee einen raschen Blick zu.
»Wo soll ich da suchen?«, erwiderte er. »Davon gibt es inzwischen Tausende.«
Menschengoyl. Früher hatte Hentzau seine Klauen zum Töten benutzt, doch nun ließ der Zauber der Fee sie Steinernes Fleisch säen. Wie alle Feen konnte sie keine Kinder gebären, also schenkte sie Kami'en Söhne, indem jeder Klauenhieb seiner Soldaten einen seiner Feinde zum Goyl machte. Niemand kämpfte mitleidloser als ein Menschengoyl gegen seine früheren Artgenossen, aber Hentzau verabscheute sie ebenso sehr wie die Fee, deren Zauber sie erschaffen hatte.
Auf Kami'ens Mund hatte sich ein Lächeln gestohlen. Nein. Die Fee konnte Hentzaus Gedanken nicht lesen, aber sein König schon.
»Keine Sorge. Der, den du finden sollst, ist leicht von den anderen zu unterscheiden.« Kami'en stellte die silberne Figur zurück auf die Karte. »Die Haut, die ihm wächst, ist aus Jade.«
Die Wachen wechselten einen raschen Blick, aber Hentzau
verzog nur ungläubig den Mund. Die Lavamänner, die das Blut der Erde kochten, der augenlose Vogel, der alles sah - und der Goyl mit der Jadehaut, der den König, dem er diente, unbesiegbar machte ... Geschichten für Kinder, um die Dunkelheit unter der Erde mit Bildern zu füllen. »Welcher Kundschafter hat Euch das erzählt?« Hentzau strich sich über die schmerzende Haut. Schon bald würde sie durch die Kälte mehr Risse haben als zersplittertes Glas. »Lasst ihn erschießen. Der Jadegoyl ist ein Märchen. Seit wann verwechselt Ihr die mit der Wirklichkeit?«
Die Wachen senkten nervös die Köpfe. Jeden anderen Goyl hätten solche Worte das Leben gekostet, aber Kami'en zuckte nur die Schultern.
»Finde ihn! «, sagte er. »Sie hat von ihm geträumt.«
Sie. Die Fee strich über den Samt ihres Kleides. Sechs Finger an jeder Hand. Jeder für einen anderen Zauber. Hentzau spürte, wie der Zorn in ihm erwachte. Der Zorn, der ihnen allen im steinernen Fleisch nistete, wie die Hitze im Schoß der Erde. Er würde für seinen König sterben, wenn es nötig war, aber es war etwas anderes, nach den Traumgespinsten seiner Geliebten zu suchen.
»Ihr braucht keinen Jadegoyl, um unbesiegbar zu sein!« Kami'en musterte ihn wie einen Fremden.
Euer Majestät. Hentzau ertappte sich immer öfter dabei, dass er Scheu hatte, ihn beim Namen zu nennen.
»Finde ihn«, wiederholte Kami'en. »Sie sagt, es ist wichtig, und bisher hatte sie immer recht.«
Die Fee trat an seine Seite, und Hentzau malte sich aus, wie er ihr den blassen Hals zudrückte. Aber nicht einmal das brachte Trost. Sie war unsterblich und irgendwann würde sie ihm beim Sterben zusehen. Ihm und Kami'en. Und dessen Kindern und Kindeskindern. Sie alle waren ihr Spielzeug, ihr sterbliches, steinernes Spielzeug. Aber Kami'en liebte sie, mehr als die beiden Goylfrauen, die ihm drei Töchter und einen Sohn geschenkt hatten.
Weil sie ihn verhext hat!, flüsterte es in Hentzau. Doch er beugte den Kopf und legte die Faust ans Herz. »Was immer Ihr befehlt.«
»Ich habe ihn im Schwarzen Wald gesehen.« Selbst ihre Stimme klang nach Wasser.
»Der ist sechzig Quadratmeilen groß!«
Die Fee lächelte, und Hentzau spürte, wie Hass und Furcht ihm das Herz erstickten.
Ohne ein Wort löste sie die Perlenspangen, mit denen sie ihr Haar hochsteckte wie eine Menschenfrau, und fuhr mit der Hand hindurch. Schwarze Motten flatterten ihr zwischen den Fingern hervor, mit blassen Flecken auf den Flügeln, die aussahen wie Schädel. Die Wachen öffneten hastig die Türen, als sie auf sie zuschwärmten, und auch Hentzaus Soldaten, die draußen auf dem dunklen Korridor warteten, wichen zurück, als die Motten an ihnen vorbeiflogen. Sie alle wussten, dass ihre Stiche selbst durch Goylhaut drangen.
Die Fee aber steckte sich die Spangen zurück ins Haar. »Wenn sie ihn gefunden haben«, sagte sie, ohne Hentzau anzusehen, »werden sie zu dir kommen. Und du bringst ihn sofort zu mir.«
© Cecilie Dressler Verlag GmbH, Hamburg 2010
Autoren-Porträt von Cornelia Funke
Cornelia Funke wurde 1958 in Dorsten/Westfalen geboren, zog nach dem Abitur nach Hamburg und absolvierte eine Ausbildung als Diplompädagogin. Drei Jahre lang arbeitete sie als Erzieherin auf einem Bauspielplatz und studierte parallel dazu Buchillustration an der Fachhochschule für Gestaltung in Hamburg.Nach Abschluss des Studiums war Cornelia Funke zunächst ausschließlich als Illustratorin für Kinderbücher tätig - eine Arbeit, die sie dazu anregte, selbst Geschichten für junge Leserinnen und Leser zu schreiben. So wurde sie mit 28 Jahren freischaffende Autorin und Illustratorin.
Ihre freie Zeit verbringt Cornelia Funke am liebsten mit ihrer Familie. Außerdem ist sie ein großer Filmfan, reist gern und liest, so viel sie kann.
Seit Mai 2005 wohnt Cornelia Funke mit ihrer Familie in Los Angeles; zuvor lebte sie am Stadtrand von Hamburg.
2008 erhielt sie den "Roswitha-Preis" der Stadt Bad Gandersheim, den Medienpreis "Bambi", 2009 den "Jacob-Grimm-Preis" und 2015 den "Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis" sowie den Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten.
Produktdetails
Altersempfehlung: 13 - 16 Jahre, 2010, 346 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 15,8 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch, Gefunden u. erz. v. Cornelia Funke u. Lionel Wigram, Verlag: Dressler Verlag GmbH, ISBN-10: 3791504851, ISBN-13: 9783791504858, Erscheinungsdatum: 14.09.2010
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s., 25.09.2010
Das Schönste an diesem Buch sind für mich der Einband, der Schutzumschlag und die schönen, von der Autorin selbst gezeichneten, zahlreichen Illustrationen. Allerdings wollte ich eigentlich in keinem Bilderbuch blättern, sondern eine tolle Fantasy-Geschichte lesen. Ohne die großflächigen Zeichnungen und die vielen leeren Seiten nach etlichen Mini-Kapiteln bleiben geschätze 250 Seiten Handlung übrig. Womit ich auch schon beim nächsten Kritikpunkt wäre: die Handlung! Da war Frau Funke wohl der Meinung "weniger ist mehr" und mit viel Mut zur Lücke serviert sie eine düstere und lieblos, schon fast im Telegrammstil erzählte Geschichte. Die Figuren bleiben mir seltsam fremd und ich fühle mich in der Welt hinter dem Spiegel einfach nicht wohl. Kann ich leider absolut nicht weiterempfehlen und wegen der geschilderten Brutalitäten ganz besonders nicht an Kinder!
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janein75 von 105 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
K., 24.09.2010
Reckless - Steinernes Fleisch, ich mag es fast schon als trivial bezeichnen, obwohl es mir im Leseherz weh tut.
Wo ist sie hin, die Cornelia Funke aus dem Herrn der Diebe mit dem Tintenherz? Reckless ist ein Fall. Cornelia Funke hat sich für mich in ihrem Buch selbst verlaufen. Die Inhalte sind fremd und man verknüpft sie in Gedanken mit Erinnerungen an die Geschichten und Erzählungen aus denen sie stammen. Die Figuren sind grob gezeichnet, verschwommen und die Handlung rast dahin, galoppiert davon, dass man kaum eine Chance hat sie zu greifen und festzuhalten, wirken zu lassen. So bleibt nichts hängen von dieser Geschichte. Man liest das Buch herunter, wie man sich einen Kinofilm ansieht, vielleicht an einem regnerischen Nachmittag, wenn man nichts besseres zu tun hat und nur kurzweilige Ablenkung braucht.
FAZIT: Ein Fantasy - Action - Blockbuster. Gesehen -> unterhalten -> vergessen.
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janein39 von 57 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Lana, 30.04.2013
Es ist ein wunderbares Buch, ein Muss für alle Funke.Fans!! Es ist zwar relativ "kurz", aber man kann ja nicht immer so lange Schinken wie "Tintenherz" (auch wenn es das beste Buch aller Zeiten ist) lesen. Man ist direkt drin in der Geschichte, die Handlung geht rasch vorwärts und man begegnet trotzdem so vielen tollen Figuren, wobei es Spaß macht zu erraten, aus welchem Märchen oder Erzählung sie stammen. Mir hat es super toll gefallen, da es ein wunderschön geschriebenes Fantasybuch mit einer tollen Story ist und Lust auf weitere Teile macht!!
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janein42 von 68 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
H. K., 29.10.2010
Mir hat das Buch sehr gefallen. Ich verstehe die vielen negativen Kommentare nicht. Die Geschichte kommt sehr gut rüber. Vor allem finde ich es toll, wie sie die Spiegelwelt mit den uns bekannten Märchenfiguren ausschmückt. Da wird endlich mal gezeigt, dass die Figuren der Brüder Grimm nicht immer so lieb und nett sind, sondern eher unmenschlich und unheimlich. Wenn man sich nämlich die Märchen der Brüder Grimm mal genauer anschaut, merkt man schnell, wie grausam die Geschichten in Wirklichkeit sind. Da werden Wölfe stets als böse, menschenfressende Wesen dargestellt und Mord und Totschlag zieht sich wie eine roter Faden durch die Geschichten. Reckless ist nichts für Kinder, eher für Erwachsene und allemal lesenswert. Bin schon auf Band 2 gespannt.
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janein37 von 53 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Monika, 02.12.2010
Ein wundervoller Einband, der viel verspricht, aber es leider nicht hält. Eine düstere Geschichte, in die man sich schwer hineinfindet. Immer hat man das Gefühl, etwas überschlagen zu haben, weil man die Handlung nicht versteht. Vieles wird nur angedeutet und bleibt im Dunkeln. Für Kinder gar nicht zu empfehlen. Zu viele alptraumhafte Gestalten. Zu viel Böses! Die Geschichte selber ist mir zu oberflächlich. Die Personen bleiben allesamt fremd. Ich war echt enttäuscht und hatte nach der guten Kritik viel mehr erwartet.
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janein52 von 82 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Jan, 29.09.2010
Ich habe das Buch durchgelesen...nicht gelesen wie ich normalerweise Bücher lese. Lasse die Figuren und die Geschichte auf mich wirken....hier ist das leider nicht möglich, denn es ist ein Büchlein und kein Buch. Die Geschichte ist nicht mal originell, sondern von den Gebrüdern Grimm "ausgeliehen", aber für viele Leser von heute braucht man keine anspruchsvolle Geschichte. Der Einband ist wertvoller als das Buch darin.
Frau Funke hat sich damit ein Eigentor geschossen, aber das hat sie meiner Meinung nach auch schon mit der Verfilmung von Tintenherz.
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janein26 von 40 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Angelika P., 06.03.2011
Es ist normal, dass dieses Buch nicht für jeden so toll geschrieben ist, wie für mich. Es ist einfach super in eine Geschichte zu versinken und beim Lesen die Geschichte vor Augen zu sehen. Ich bin begeistert und freue mich auf weitere Bücher von Cornelia Funke. Wer schlau ist, liest dieses Buch selbst und bildet sich seine eigene Meinung. Es wäre schade, wenn jeder nur auf die Bewertungen anderer hört. Jeder sollte sich selbst eine Meinung bilden. Ich wünsche allen Lesern viel Spaß und kann von meiner Seite aus nur sagen: Es ist ein super spannendes Buch, welches man gelesen haben sollte. Viel Spaß dabei und ich bin gespannt, wie Sie es finden werden.
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janein43 von 78 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Julia M., 20.09.2010
Ich habe mir das Buch gekauft und konnte einfach nicht mehr mit dem Lesen aufhören,da es so spannend ist. Ich hoffe das das Buch auch als Film erscheinen wird, denn den würde ich sofort sehen. Einfach ein tolles Buch.
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janein