River
Roman
River mit der sanften Stimme und den aquamarinblauen Augen war ein guter Mann. Doch mit ihm endete das Glück einer großartigen Familie. Donna Milner, die spannendste Newcomerin dieses Bücherherbsts, legt einen berührenden und lebensklugen Frauenroman vor,...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „River “
River mit der sanften Stimme und den aquamarinblauen Augen war ein guter Mann. Doch mit ihm endete das Glück einer großartigen Familie. Donna Milner, die spannendste Newcomerin dieses Bücherherbsts, legt einen berührenden und lebensklugen Frauenroman vor, der von Liebe und Tod, Vergebung und Aufrichtigkeit erzählt.
Klappentext zu „River “
Wie eine Fata Morgana erschien er in der flirrenden Hitze der Straße, die hinab zu unserer Farm führte. Er kam zu Fuß, und ich beobachtete ihn aus dem Schatten unserer Veranda, seine Augen waren tief wie ein blaugrüner Ozean. Dad und meine Brüder waren nicht da, aber Mom hängte im gleißend hellen Sonnenlicht gerade unsere Betttücher auf. Irgendetwas war anders an ihr an diesem Julinachmittag. Ihr Haar war hochgesteckt, und ich glaube, sie hatte sogar einen Hauch Rouge aufgelegt. Sie erwartete ihn. Doch was sie nicht erwartet hatte, war all das Leid, das wie ein kalter Wind folgen sollte. In Natalie Wards Erinnerung ist dies der letzte Tag, an dem ihre Familie noch heil und glücklich war. Als sie 34 Jahre später einen Anruf ihres Bruders erhält, muss sie sich entscheiden, ob sie nach Hause zurückkehrt und sich den Erlebnissen dieser Zeit noch einmal stellt.
Lese-Probe zu „River “
River von Donna MilnerLESEPROBE
1
Er kam zu Fuß. Wie eine Fata Morgana erschien er zwischen den flirrenden Hitzewogen auf der Straße, die sich bis zu unserem Tor wand. Ich beobachtete ihn aus dem Schatten unserer geschlossenen Veranda heraus.
An jenem heißen Julitag im Jahr 1966 war ich vierzehn, und bis zu meinem Geburtstag waren es nur noch ein paar Wochen. Ich lehnte an der Verandatür und blinzelte in die Sonne, während aus der Wäscheschleuder hinter mir die letzten Wassertropfen abflossen. Draußen hing die Wäsche einer ganzen Woche schlaff und reglos auf den drei Wäscheleinen, die quer über den Hof gespannt waren. Betttücher, deren Weiß im gleißenden Sonnenlicht schmerzte, bildeten die Kulisse für den geordneten Aufmarsch der Textilien unserer gesamten Familie. Davor agierte Mom auf dem Trockenplatz, den Mund voller Wäscheklammern, den Rücken der Straße zugekehrt. Sie bückte sich, nahm aus dem Weidenkorb zu ihren Füßen ein feuchtes Jeanshemd, schüttelte es energisch aus und klammerte es an die Leine.
Irgendetwas an meiner Mutter war an diesem Tag anders. An Waschtagen trug sie meist ein Kopftuch, dessen Enden sie mitten auf der Stirn zusammenknotete. An diesem Nachmittag jedoch hatte sie sich ihr Haar mit Nadeln und Kämmen hochgesteckt. Nur widerspenstige blonde kleine Strähnen hatten sich um ihr Gesicht herum und im Nacken gelöst. Aber es war noch etwas anderes. Sie war zerstreut, hatte sogar gerötete Wangen. Bestimmt hatte sie einen Hauch Avon Rouge aufgelegt. Sie hatte mich schon vorher, als sie die Jeans meiner Brüder durch die Schleuder jagte, dabei ertappt, wie ich ihr Gesicht betrachtete.
»Ach, das ist nur die Hitze«, sagte sie, strich sich die Haare zurück und schob sie hinter die Ohren.
Doch während sie die letzte Ladung aufhängte, beachtete sie
... mehr
die Straße nicht, und so erblickte ich ihn vor ihr. Ich sah zu, wie er bei unserer hinteren Weide um die Biegung kam. Er stieg über das Viehgatter, ging durch die flimmernden Schatten der Pappeln, dann wieder im grellen Sonnenlicht. Er trug einen großen grünen Matchsack über der einen Schulter und über der anderen einen schwarzen Gegenstand. Als er näher kam, erkannte ich, dass es ein Gitarrenkoffer war, der im Rhythmus seiner gemächlichen Schritte gegen seinen Rücken wippte.
Hippie. Ein neues Wort in meinem Wortschatz. Ein fremdes Wort. Es stand für seltsam gekleidete junge Amerikaner, die sich den Frieden wünschten: »Make Love, Not War!« Es stand für Leute, die gegen den Vietnamkrieg demonstrierten und Blumen in die Gewehrläufe der Bereitschaftspolizisten steckten. Man munkelte, dass einige über die Grenze, die drei Kilometer südlich von unserer Farm verlief, nach Kanada kämen. Bis jetzt waren das nichts als Gerüchte. Gerüchte und die flimmernden Fernsehbilder, deren Empfang in unserem Tal zwischen den Bergen reine Glückssache war. Einen Hippie aus Fleisch und Blut hatte ich noch nicht gesehen. Bis jetzt.
»Was ist?« Moms Stimme holte mich aus meiner Trance. Sie kam herein und übergab mir den leeren Korb. Noch bevor ich antworten konnte, wandte sie sich um und blickte die Straße hinunter. Inzwischen hatte unser Hütehund Buddy den Kopf gehoben und schoss von der unteren Verandastufe los, auf der er in der Nachmittagssonne gedöst hatte. Der Border-Collie sprang über den Palisadenzaun, flitzte am Viehstall vorbei, ein einziger schwarz-weißer Wirbelwind, und bellte eine verspätete Warnung.
»Buddy!«, rief Mom ihm nach. Doch da kniete der langhaarige Fremde schon im Straßenstaub und sprach beruhigend auf den Hund ein. Einen Moment später setzte er, mit Buddy an der Seite, den Weg zum Hof hinauf fort. Als der Border-Collie ihm die Hand leckte, lächelte er uns von der anderen Seite des Zauns zu. Mom lächelte zurück, strich sich die feuchte Schürze glatt und ging die Verandastufen hinunter. Ich zögerte nur einen Augenblick, dann stellte ich den Wäschekorb ab und folgte ihr. Wir trafen ihn am Tor.
Mom hatte ihn erwartet.
Was sie nicht erwartet hatte, war all das Leid, das wie ein kalter Wind folgen sollte.
2
Ich hätte es wissen müssen. In all den Jahren hat es nie jemand laut gesagt. Aber ich konnte die unausgesprochene Frage in den Augen der anderen lesen. Wieso habe ich es nicht gewusst? Vierunddreißig Jahre später stelle ich mir immer noch diese Frage.
Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich in meine Kindheitserinnerungen zurücksinke. Bevor alles anders wurde. Zurück in die Zeit, als es unvorstellbar war, dass meine Familie nicht immer zusammen sein würde. In die Zeit, als meine Welt aus unserer Farm bestand, aus jenen hundertsechzig Hektar Land in British Columbia, die, tief in den Cascade Mountains gelegen, einem engen Tal abgetrotzt waren. Alles andere, die knapp fünf Kilometer nördlich gelegene Stadt Atwood mit ihren zweitausendfünfhundert Einwohnern, schien nur den Hintergrund für unsere heile Welt abzugeben. So kam es mir jedenfalls vor, bis ich fast fünfzehn war.
Das ist die Zeit, in der die Erinnerungen an »Danach« einsetzen.
Manchmal vergehen Wochen, Monate, sogar Jahre, und ich tue so, als wäre nichts davon geschehen. Und manchmal glaube ich es sogar.
Dennoch ist es unmöglich, diesen Sommertag des Jahres 1966 zu vergessen. Den Tag, der die Zeit, als meine Familie heil und in Ordnung war, von jener trennte, als nichts mehr so war wie zuvor.
Der Anfang jener Kette von Ereignissen, die unser ganzes Leben umkrempeln sollten, war keineswegs welterschütternd. Eine Zeit lang hatte dieser Anfang sogar etwas Schönes.
Danach sollte Mom alles, was geschah, auf die Welt schieben, die bis zu unserer kleinen Farm vordrang. Neue Highways wurden gebaut, und unsere Stadt sollte mit dem Trans-Canada Highway verbunden werden. In den East Kootenays wurden Täler geflutet und Staudämme errichtet, die eine aufstrebende Provinz – und, wie mein Vater sagte, »unseren machthungrigen Nachbarn im Süden« – mit Elektrizität versorgen sollten.
»Hier gibt es zu viele Jobs.« So brachte Mom an jenem Abend beim Essen ihre Besorgnis zum Ausdruck, weil der Farmarbeiter Jake, der bei uns gewesen war, solange ich denken konnte, ohne Vorwarnung seinen Abschied genommen hatte. »Wer wird da schon Lust haben, auf einer kleinen Milchfarm irgendwo tief in der Pampa zu arbeiten?«
»Wir schaffen das schon«, sagte Dad. »Morgan und Carl springen für ihn ein, und Natalie kann in der Molkerei helfen.« Er beugte sich vor und tätschelte Mom die Hand.
»Nein.« Mom wich zurück und stand auf, um die Kaffeekanne zu holen. »Du vergrößerst die Herde immer weiter, und meine Jungs sollen immer früher von der Schule abgehen. Zumindest einer meiner Söhne wird den Highschoolabschluss machen.« Sie unterließ es hinzuzufügen: »… und dann auf die Universität gehen.« Von diesem Traum sprach sie nicht mehr. Carl war ihre letzte Hoffnung.
Und so stellte sie den Ersten und Einzigen ein, der auf ihr Zweizeileninserat im Atwood Weekly angerufen hatte. »Er hat eine schöne Stimme«, sagte sie, als sie es uns an jenem Julimorgen mitteilte. Dann, als wäre es ihr eben noch eingefallen, fügte sie hinzu: »Er ist Amerikaner.«
Ich warf einen Blick zu meinem Vater hinüber. Seine dichten Augenbrauen hoben sich, während er ihre Worte verdaute. Meine Eltern waren gegensätzlicher Meinung über die Tatsache, dass junge Amerikaner sich der Einberufung entzogen und in Kanada Zuflucht suchten. Ich fragte mich, ob ich jetzt einen richtigen Streit zwischen meinen Eltern erleben würde. Dad war selten mit Mom böse, aber sie traf ja auch selten eine Entscheidung, ohne sich vorher mit ihm zu beraten. Schon gar nicht, wenn sie wusste, dass er eine vorgefasste Meinung über ein Thema hatte. Er sagte nichts.
© Piper Verlag
Übersetzung: Sylvia Höfer
Hippie. Ein neues Wort in meinem Wortschatz. Ein fremdes Wort. Es stand für seltsam gekleidete junge Amerikaner, die sich den Frieden wünschten: »Make Love, Not War!« Es stand für Leute, die gegen den Vietnamkrieg demonstrierten und Blumen in die Gewehrläufe der Bereitschaftspolizisten steckten. Man munkelte, dass einige über die Grenze, die drei Kilometer südlich von unserer Farm verlief, nach Kanada kämen. Bis jetzt waren das nichts als Gerüchte. Gerüchte und die flimmernden Fernsehbilder, deren Empfang in unserem Tal zwischen den Bergen reine Glückssache war. Einen Hippie aus Fleisch und Blut hatte ich noch nicht gesehen. Bis jetzt.
»Was ist?« Moms Stimme holte mich aus meiner Trance. Sie kam herein und übergab mir den leeren Korb. Noch bevor ich antworten konnte, wandte sie sich um und blickte die Straße hinunter. Inzwischen hatte unser Hütehund Buddy den Kopf gehoben und schoss von der unteren Verandastufe los, auf der er in der Nachmittagssonne gedöst hatte. Der Border-Collie sprang über den Palisadenzaun, flitzte am Viehstall vorbei, ein einziger schwarz-weißer Wirbelwind, und bellte eine verspätete Warnung.
»Buddy!«, rief Mom ihm nach. Doch da kniete der langhaarige Fremde schon im Straßenstaub und sprach beruhigend auf den Hund ein. Einen Moment später setzte er, mit Buddy an der Seite, den Weg zum Hof hinauf fort. Als der Border-Collie ihm die Hand leckte, lächelte er uns von der anderen Seite des Zauns zu. Mom lächelte zurück, strich sich die feuchte Schürze glatt und ging die Verandastufen hinunter. Ich zögerte nur einen Augenblick, dann stellte ich den Wäschekorb ab und folgte ihr. Wir trafen ihn am Tor.
Mom hatte ihn erwartet.
Was sie nicht erwartet hatte, war all das Leid, das wie ein kalter Wind folgen sollte.
2
Ich hätte es wissen müssen. In all den Jahren hat es nie jemand laut gesagt. Aber ich konnte die unausgesprochene Frage in den Augen der anderen lesen. Wieso habe ich es nicht gewusst? Vierunddreißig Jahre später stelle ich mir immer noch diese Frage.
Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich in meine Kindheitserinnerungen zurücksinke. Bevor alles anders wurde. Zurück in die Zeit, als es unvorstellbar war, dass meine Familie nicht immer zusammen sein würde. In die Zeit, als meine Welt aus unserer Farm bestand, aus jenen hundertsechzig Hektar Land in British Columbia, die, tief in den Cascade Mountains gelegen, einem engen Tal abgetrotzt waren. Alles andere, die knapp fünf Kilometer nördlich gelegene Stadt Atwood mit ihren zweitausendfünfhundert Einwohnern, schien nur den Hintergrund für unsere heile Welt abzugeben. So kam es mir jedenfalls vor, bis ich fast fünfzehn war.
Das ist die Zeit, in der die Erinnerungen an »Danach« einsetzen.
Manchmal vergehen Wochen, Monate, sogar Jahre, und ich tue so, als wäre nichts davon geschehen. Und manchmal glaube ich es sogar.
Dennoch ist es unmöglich, diesen Sommertag des Jahres 1966 zu vergessen. Den Tag, der die Zeit, als meine Familie heil und in Ordnung war, von jener trennte, als nichts mehr so war wie zuvor.
Der Anfang jener Kette von Ereignissen, die unser ganzes Leben umkrempeln sollten, war keineswegs welterschütternd. Eine Zeit lang hatte dieser Anfang sogar etwas Schönes.
Danach sollte Mom alles, was geschah, auf die Welt schieben, die bis zu unserer kleinen Farm vordrang. Neue Highways wurden gebaut, und unsere Stadt sollte mit dem Trans-Canada Highway verbunden werden. In den East Kootenays wurden Täler geflutet und Staudämme errichtet, die eine aufstrebende Provinz – und, wie mein Vater sagte, »unseren machthungrigen Nachbarn im Süden« – mit Elektrizität versorgen sollten.
»Hier gibt es zu viele Jobs.« So brachte Mom an jenem Abend beim Essen ihre Besorgnis zum Ausdruck, weil der Farmarbeiter Jake, der bei uns gewesen war, solange ich denken konnte, ohne Vorwarnung seinen Abschied genommen hatte. »Wer wird da schon Lust haben, auf einer kleinen Milchfarm irgendwo tief in der Pampa zu arbeiten?«
»Wir schaffen das schon«, sagte Dad. »Morgan und Carl springen für ihn ein, und Natalie kann in der Molkerei helfen.« Er beugte sich vor und tätschelte Mom die Hand.
»Nein.« Mom wich zurück und stand auf, um die Kaffeekanne zu holen. »Du vergrößerst die Herde immer weiter, und meine Jungs sollen immer früher von der Schule abgehen. Zumindest einer meiner Söhne wird den Highschoolabschluss machen.« Sie unterließ es hinzuzufügen: »… und dann auf die Universität gehen.« Von diesem Traum sprach sie nicht mehr. Carl war ihre letzte Hoffnung.
Und so stellte sie den Ersten und Einzigen ein, der auf ihr Zweizeileninserat im Atwood Weekly angerufen hatte. »Er hat eine schöne Stimme«, sagte sie, als sie es uns an jenem Julimorgen mitteilte. Dann, als wäre es ihr eben noch eingefallen, fügte sie hinzu: »Er ist Amerikaner.«
Ich warf einen Blick zu meinem Vater hinüber. Seine dichten Augenbrauen hoben sich, während er ihre Worte verdaute. Meine Eltern waren gegensätzlicher Meinung über die Tatsache, dass junge Amerikaner sich der Einberufung entzogen und in Kanada Zuflucht suchten. Ich fragte mich, ob ich jetzt einen richtigen Streit zwischen meinen Eltern erleben würde. Dad war selten mit Mom böse, aber sie traf ja auch selten eine Entscheidung, ohne sich vorher mit ihm zu beraten. Schon gar nicht, wenn sie wusste, dass er eine vorgefasste Meinung über ein Thema hatte. Er sagte nichts.
© Piper Verlag
Übersetzung: Sylvia Höfer
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Autoren-Porträt von Donna Milner
Donna Milner lebt mit ihrem Mann im kanadischen Bundesstaat British Columbia. Nachdem ihr erster Roman "River" ein überwältigendes internationales Echo fand und in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde, widmete sie sich ganz dem Schreiben.
Bibliographische Angaben
- Autor: Donna Milner
- 2008, 2. Aufl., 416 Seiten, Maße: 13,3 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Sylvia Höfer
- Verlag: Piper Taschenbuch
- ISBN-10: 3492051626
- ISBN-13: 9783492051620
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