Römisches Triptychon
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Römisches Triptychon von JohannesPaul II.
Leseprobe
Einführung von Joseph Cardinal Ratzinger
Die erste Tafel des »Römischen Triptychons«von Papst
Johannes Paul II. spiegelt die Erfahrung derSchöpfung
wider, ihrer Schönheit, ihrer Dynamik. Daist das Bild der bewaldeten
Hügel, aber noch stärker das Bild derWasser, die zu Tal
fließen - der »silbern glänzenden Kaskadedes Sturzbaches ,
der von oben rhythmisch herabrauscht«. Mirsind dabei ein paar
Sätze in den Sinn gekommen, die KarolWojtyla 1976 geschrieben
hatte, als er die Exerzitien für Paul VI.und die Kurie predigte.
Er erzählte da von einem Physiker, mit demer lange diskutiert
hatte und der zu guter Letzt zu ihm sagte:»Vom Standpunkt
meiner Wissenschaft und ihrer Methode ausbin ich
Atheist « Aber derselbe Mann schrieb ihm ineinem Brief:
»Jedes Mal, wenn ich mich der Majestät derNatur, der Berge
gegenüber finde, spüre ich, dass ER existiert.« Zwei Weisen, die
Natur wahrzunehmen! Die erste Tafel desTriptychons bleibt
freilich scheu an der Schwelle stehen. DerPapst spricht noch
nicht direkt von Gott. Er bittet nurgleichsam ins Unbekannte
hinein: »Lass mich die Lippen benetzen mitWasser aus der
Quelle, die Frische spüren, die Lebenspendende Frische.« Er
sucht nach der Quelle und empfängt dieWeisung: »Willst du die
Quelle finden, musst du hinaufsteigen, immerweiter, gegen
den Strom.« Die erste Zeile der Meditationhatte gesagt: »Die
Waldbucht senkt sich herab« - Wald undWasser hatten die Bewegung
des Absteigens gezeigt. Aber die Suche nach derQuelle
nötigt zum Aufsteigen, zum Gehen »gegen denStrom«.
Ich glaube, dass dies das Stichwort ist, vondem her man die
beiden folgenden Tafeln lesen muss. Sieführen uns in den Aufstieg
»gegen den Strom«. Die geistige Wanderung,die sich in
diesem Text vollzieht, führt zum »Ursprung«.Die eigentliche
Überraschung im Ankommen besteht darin, dassder »Anfang«
auch das »Ende« enthüllt. Wer den Ursprungkennen lernt,
sieht auch das Wohin und das Wozu der ganzenBewegung des
Seins, welches Werden und gerade so Dauerist: »Alles dauert
fort, immerzu werdend.« Die Quelle, die derWandernde entdeckt,
heißt zunächst »Wort« - mit dem Anfang derBibel:
»Gott sprach«, den Johannes in seinemEvangelium wieder
aufgenommen und in die unübersteiglicheFormel gefasst hat
»Im Anfang war das Wort«. Aber dann lautetdas eigentliche
Schlüsselwort, in dem die Wanderschaft derzweiten Tafel zusammengefasst
ist, doch nicht »Wort«, sondern »Vision« und
»Schauen«. Das Wort ist ein Gesicht. DasWort - die Quelle - ist
eine Schau. Die Schöpfung, das All, kommtaus einer Vision.
Und der Mensch kommt aus einer Visionheraus. Dieses Stichwort
führt dann den meditierenden Papst zuMichelangelo, zu
den Fresken der Sixtina, die ihm so sehr ansHerz gewachsen
sind. Michelangelo hat in den Bildern derWelt die Vision Gottes
gesehen, die Welt sozusagen mit demschöpferischen Blick
Gottes mitgesehen und aus diesem Mitsehenheraus die eigentliche
Vision, aus der alle Wirklichkeit stammt, inkühnen Fresken
auf die Wand geworfen. Bei Michelangelo, deruns hilft, die
Vision Gottes in den Bildern der Weltwiederzuentdecken, erscheint
exemplarisch verwirklicht, was uns allenzugedacht ist.
Über Adam und Eva, die den Menschenüberhaupt, Mann und
Frau, darstellen, sagt der Text: »Auch sieerhielten Anteil an diesem
Sehen « Aller Menschen Berufung ist es,»dieses Sehen
wiederzuerlangen«. Der Weg zur Quelle istein Weg des Sehendwerdens:
das Sehen von Gott her lernen. Dannerscheinen Anfang
und Ende. Dann wird der Mensch recht.
Anfang und Ende - der Zusammenhang vonbeidem ist dem
nach innen und oben wandernden Papst wohlgerade in der Sixtina
deutlich geworden, in der uns Michelangelodie Bilder des
Anfangs und des Endes geschenkt hat - dieVision der Schöpfung
und das gewaltige Gemälde des Letzten Gerichts.Die Betrachtung
des Jüngsten Gerichts im Epilog der zweitenTafel ist
vielleicht jenes Stück des Triptychons, dasdem Leser am meisten
zu Herzen geht. Vor den inneren Augen desPapstes steigt
wieder die Erinnerung an die beidenKonklaven im August und
im Oktober 1978 auf.
Da ich selber dabei gewesen bin, weiß ich,wie wir in den
Stunden der großen Entscheidung diesenBildern ausgesetzt,
von ihnen angefragt waren; wie sie die Größeder Verantwortung
in unsere Seele bohrten. Der Papst sprichtzu den Kardinälen
des nächsten Konklaves und sagt ihnen, essei »wichtig,
dass die Vision des Michelangelo zu ihnenspricht«. Das Wort
Conclave drängtihm den Gedanken auf an die Schlüssel - an das
Vermächtnis der Schlüssel, das dem Petrusübertragen wurde.
Diese Schlüssel in die rechten Hände zugeben, ist die ungeheure
Verantwortung solcher Tage. Das Wort Jesukommt einem in den Sinn,
der ein Wehe ausgesprochen hat über dieGesetzeslehrer: »Ihr habt
den Schlüssel zur Erkenntnis weggenommen «(Lk 11,52).
Den Schlüssel nicht wegzunehmen sondern mitihm zu öffnen,
damit man hineingehen könne durch die Tür -dazu mahnt Michelangelo.
Aber kehren wir noch einmal zur eigentlichenMitte der zweiten
Tafel zurück - zum Blick auf den »Ursprung«.Was sieht der
Mensch da? Bei Michelangelo erscheint derSchöpfer in »menschlicher
Gestalt«: Die Gottebenbildlichkeit desMenschen wird zurückgewendet,
die Menschlichkeit Gottes darauserschlossen, die
den Schöpfer darstellbar macht. Aber derBlick, den uns Christus
eröffnet hat, führt weiter und zeigt nundoch erst umgekehrt vom
Schöpfer, vom Ursprung her, wer der Menschin Wahrheit ist.
Der Schöpfer - der Ursprung - ist nichteinfach, wie es auf dem
Bild Michelangelos erscheinen möchte, »derAllmächtige als
hoheitsvoller alter Mensch«. Er ist»Communio der Personen
ein gegenseitiges Sich-Schenken undBeschenktwerden «.
Sahen wir zuerst vom Menschen her Gott, solernen wir nun von
Gott her den Menschen zu sehen:gegenseitiges Sich-Schenken
und Beschenktwerden - dazu ist der Menschbestimmt; wenn er
dazu findet, dann spiegelt er Gottes Wesen,und dann entschleiert
sich der Zusammenhang von Anfang und Ende.
Dieser gewaltige Bogen, der die eigentlicheVision des »Römischen
Triptychons« ist, wird vollends deutlich aufder dritten
Tafel, dem Aufstieg von Abraham und Isaakauf den Berg Morija,
den Berg der Opferung, der Hingabe ohneVorbehalt. Dieser
Aufstieg ist die letzte, entscheidende Phaseder Wanderung
Abrahams, die mit dem Aufbruch aus derHeimat zu Ur in Chaldäa
begonnen hatte; sie ist die wesentlichePhase im Aufsteigen
zur Höhe, »gegen den Strom«, auf die Quellehin, die zugleich
das Ziel ist. In dem unerschöpflichen Dialogzwischen Vater
und Sohn, der nur aus wenigen Worten undeinem tiefen gemeinsamen
schweigenden Tragen des Rätsels dieser Wortebesteht,
spiegelt sich alles Fragen der Geschichte,ihr Leiden, ihre
Ängste und Hoffnungen. Zuletzt zeigt sich,dass dieser Dialog
zwischen Vater und Sohn, zwischen Abrahamund Isaak, der
Dialog in Gott selber ist, das Zwiegesprächzwischen dem ewigen
Vater und seinem Sohn, dem Wort, und dassdieser ewige
Dialog zugleich die Antwort auf unserenunbeendlichen
menschlichen Dialog darstellt. Denn am Endesteht die Rettung
Isaaks, steht das Lamm - geheimnisvollesZeichen für den
Sohn, der Lamm wird und Opfer und uns so daswahre Antlitz
Gottes enthüllt: den Gott, der sich selberschenkt, der ganz
Gabe und Liebe ist, bis zum Äußersten, bisins Ende hinein (Joh
13,1). Und so wird gerade in diesemkonkretesten Ereignis der
Geschichte, das uns so weit von den großenSchauungen der
Schöpfung auf der ersten Tafel desTriptychons wegzuführen
scheint, Ursprung und Ziel des Ganzendeutlich, der Zusammenhang
von Absteigen und Aufsteigen, von Quelle,Weg
und Ziel: Der Gott wird erkennbar, der sichschenkt, der Anfang,
Weg und Ziel zugleich ist. Dieser Gottleuchtet in der
Schöpfung und Geschichte durch. Er sucht unsin unseren Leiden
und Fragen. Er zeigt uns, was Menschseinsoll: Schenkung
in Liebe, die uns Gott ähnlich macht. Im Wegdes Sohnes auf
den Berg der Opferung enthüllt sich das»Mysterium, das seit
Anbeginn der Welt verborgen war«. Dieschenkende Liebe ist
das Urgeheimnis, und im Mitlieben verstehenwir die Botschaft
der Schöpfung, finden wir den Weg.
Der Bergbach
Gottes Geist schwebte über dem Wasser
1. Staunen
Die Waldbucht senkt sich herab
im Rhythmus sprudelnder Bergbäche.
Dieser Rhythmus offenbart mir Dich,
WORT von Ewigkeit.
Wie wunderbar ist Dein Schweigen
in allem, wodurch von überallher
die geschaffene Welt zu uns spricht
die in dieser Waldbucht
hinabgleitet an jedwedem Hang
in allem, was die silbern glänzende Kaskade
des Sturzbaches mit sich führt,
der von oben rhythmisch herabrauscht,
getrieben durch den eigenen Strom
- getrieben wohin?
Was sagst du mir, Bergbach -
an welchem Punkt begegnest du mir -
mir, der auch ich vergänglich bin -
so wie du
so wie du?
(Lass mich hier innehalten -
lass mich innehalten an der Schwelle
schlichten Erstaunens.)
Der Bergbach gerät nicht in Staunen, wenn erherabrauscht
und schweigend die Wälder talwärts ziehen
im Rhythmus des Baches -
der Mensch aber: Er staunt!
Die Schwelle, die die Welt in ihmüberschreitet,
ist die Schwelle des Staunens.
(Und dieses Staunen ward einst »Adam«genannt.)
Er war allein mit seinem Staunen
inmitten von Geschöpfen, die das Staunennicht kannten
- denen es genügte, zu sein und zu vergehen.
Der Mensch auf der Woge vielfachen Staunens
teilte ihr Los der Vergänglichkeit.
Doch staunend hob er sich immer wiederhervor
aus dieser Woge, die ihn weitertrug,
so als wollte er allem Sein, das ihn umgab,verkünden:
»Halt inne! - In mir kannst du Anker werfen,
in mir liegt der Ort der Begegnung
mit dem Wort von Ewigkeit -
halt inne, das Vergehen hat einen Sinn,
hat einen Sinn einen Sinn einen Sinn!«
2. Die Quelle
Die Waldbucht senkt sich herab
im Rhythmus sprudelnder Bergbäche
Willst du die Quelle finden,
musst du hinaufsteigen, immer weiter, gegenden Strom.
Bahne dir den Weg, suche, gib nicht auf,
du weißt ja, hier muss sie sein, irgendwohier -
Quelle, wo bist du? Wo bist du, Quelle?
Stille
Bach im Walde, Wildbach du,
enthülle mir das Geheimnis
deines Anfangs!
(Stille - Warum schweigst du?
Wie sorgsam hast du es verborgen,
das Geheimnis deines Anfangs.)
Lass mich die Lippen benetzen
mit Wasser aus der Quelle,
die Frische spüren,
die Leben spendende Frische.
© Verlag Herder
- Autor: Johannes Paul II.
- 2003, 62 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 15,2 x 21,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Herder, Freiburg
- ISBN-10: 3451282445
- ISBN-13: 9783451282447
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