Der Thron der roten Königin / Rosenkrieg Bd.2
Historischer Roman
1455: Margaret Beaufort wird noch blutjung mit Edmund Tudor verheiratet und bekommt einen Sohn: Henry. Dann beginnt mit dem Rosenkrieg ein erbitterter Kampf um die Krone - und Margaret hat von nun an nur noch einen Wunsch: Henry zum König von England zu machen.
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Produktinformationen zu „Der Thron der roten Königin / Rosenkrieg Bd.2 “
1455: Margaret Beaufort wird noch blutjung mit Edmund Tudor verheiratet und bekommt einen Sohn: Henry. Dann beginnt mit dem Rosenkrieg ein erbitterter Kampf um die Krone - und Margaret hat von nun an nur noch einen Wunsch: Henry zum König von England zu machen.
Klappentext zu „Der Thron der roten Königin / Rosenkrieg Bd.2 “
Blutrot blüht die Rose von Lancaster. Mit kaum zwölf Jahren wird Margaret Beaufort aus dem Hause Lancaster 1455 mit Edmund Tudor verheiratet. Die Familie wartet ungeduldig auf einen Thronfolger. Tatsächlich bekommt Margaret, selbst noch ein Kind, einen Sohn: Henry.
Als mit dem Rosenkrieg ein tödlicher Kampf um die Krone entbrennt, gilt Margarets ganzes Streben einem einzigen Ziel: Ihr Sohn soll König von England werden. Denn in einem ist Margaret sich sicher: Gott steht auf ihrer Seite.
Blutrot blüht die Rose von Lancaster.
Mit kaum zwölf Jahren wird Margaret Beaufort aus dem Hause Lancaster 1455 mit Edmund Tudor verheiratet. Die Familie wartet ungeduldig auf einen Thronfolger. Tatsächlich bekommt Margaret, selbst noch ein Kind, einen Sohn: Henry.
Als mit dem Rosenkrieg ein tödlicher Kampf um die Krone entbrennt, gilt Margarets ganzes Streben einem einzigen Ziel: Ihr Sohn soll König von England werden. Denn in einem ist Margaret sich sicher: Gott steht auf ihrer Seite.
Mit kaum zwölf Jahren wird Margaret Beaufort aus dem Hause Lancaster 1455 mit Edmund Tudor verheiratet. Die Familie wartet ungeduldig auf einen Thronfolger. Tatsächlich bekommt Margaret, selbst noch ein Kind, einen Sohn: Henry.
Als mit dem Rosenkrieg ein tödlicher Kampf um die Krone entbrennt, gilt Margarets ganzes Streben einem einzigen Ziel: Ihr Sohn soll König von England werden. Denn in einem ist Margaret sich sicher: Gott steht auf ihrer Seite.
Lese-Probe zu „Der Thron der roten Königin / Rosenkrieg Bd.2 “
Der Thron der roten Königin von Philippa GregoryFrühjahr 1453
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Nach der Dunkelheit drinnen blendet mich das helle Licht des Himmels. Ich kneife die Augen zusammen und höre das Anschwellen zahlloser Stimmen. Doch dieses Flüstern, das zum Grollen wird, ist nicht meine Armee, die mich ruft. Es ist nicht ihr Angriffsgeschrei, und es rührt auch nicht vom Klopfen der Schwerter auf die Schilde. Was dort knatternd vor dem Himmel weht, sind nicht meine Engel und Lilien auf Leinen gestickt, sondern verfluchte englische Standarten, triumphierend in der Maibrise. Das sind auch keine Hymnen, es sind Schreie von Menschen, die begierig sind, jemanden sterben zu sehen: mich.
Als ich über die Schwelle meines Gefängnisses auf den Marktplatz trete, ragt mein Ziel hoch vor mir auf - ein Holzstapel, an dem eine Leiter mit ein paar rohgezimmerten Sprossen lehnt. Ich flüstere: «Ein Kreuz. Kann ich ein Kreuz bekommen?» Und dann lauter: «Ein Kreuz! Ich brauche ein Kreuz!» Und irgendein Mann, ein Fremder, ein Feind, ein Engländer, einer von denen, die wir wegen ihrer unaufhörlichen Blasphemie die «Gottverfluchten » nennen, streckt mir ein grobgeschnitztes Kreuz entgegen. Ohne jeglichen Stolz schnappe ich es aus seiner dreckigen Hand. Ich halte es umklammert, als sie mich auf den Holzstapel zuschubsen und die Leiter hochschieben, als ich beim Emporklettern von den rohen Sprossen abrutsche und weiter hinaufklettere, als ich groß bin, bis zu dem wackeligen Podest, das oben auf den Scheiterhaufen gehämmert wurde. Als sie mich grob umdrehen und mir die Hände hinter dem Rücken um den Pflock binden, halte ich es noch immer.
Es geschieht alles so langsam, dass ich fast meinen könnte, die Zeit sei stehengeblieben und die Engel kämen zu mir herab. Es sind schon merkwürdigere Dinge geschehen. Sind mir die Engel etwa nicht erschienen, als ich die Schafe gehütet habe? Haben sie mich etwa nicht beim Namen gerufen? Habe ich keine Armee zur Befreiung von Orléans angeführt? Habe ich etwa nicht den Dauphin gekrönt und die Engländer vertrieben? Ich allein? Ein Mädchen aus Domrémy, geleitet von seinen Engeln?
Rundum am Boden entzünden sie das Reisig. Rauch wirbelt auf und wabert in der Brise. Dann fängt das Holz Feuer, und eine heiße Wolke umhüllt mich, ich muss husten und blinzeln, mir tränen die Augen. Schon verkohlen meine Fußsohlen. Ich trete von einem Fuß auf den anderen, wie eine Närrin, als könnte ich mir auf diese Weise Unannehmlichkeiten ersparen, und ich spähe durch den Rauch, ob nicht jemand mit Wassereimern angelaufen kommt, um zu erklären, dass der König, den ich gekrönt habe, diesem Treiben Einhalt gebietet. Oder ob die Engländer, die mich einem Soldaten abgekauft haben, jetzt nicht doch einsehen, dass sie mich nicht töten dürfen, oder dass meine Kirche erkennt, dass ich ein gutes Mädchen bin, eine gute Frau, unschuldig - außer dass ich Gott mit einer leidenschaftlichen Bestimmung gedient habe.
Kein Retter findet sich in der dichtgedrängten Menschenmenge. Der Lärm schwillt zu einem ohrenbetäubenden Kreischen an: einem Durcheinander aus gebrüllten Segen und Flüchen, Gebeten und Obszönitäten. Ich blicke nach oben in den blauen Himmel nach meinen herabsteigenden Engeln, da löst sich im Scheiterhaufen unter mir ein Stamm, und der Pfahl schwankt. Die ersten Funken fliegen hoch und versengen meine Jacke. Sie verglühen wie Feuerfliegen auf meinem Ärmel. Ein trockenes Kratzen in der Kehle von all dem Rauch bringt mich zum Husten, und ich flüstere wie ein Mädchen: «Lieber Gott, rette mich, deine Tochter! Lieber Gott, halte deine Hand über mich. Lieber Gott, verschone mich, deine Tochter ...»
Ein lauter Knall, ein Schlag gegen den Kopf. Fassungslos sitze ich auf den Dielen meines Schlafzimmers, die Hand am geprellten Ohr. Ich sehe um mich wie eine Närrin und erkenne nichts. Meine adlige Gouvernante kommt zur Tür herein. Als sie mich benommen neben dem umgekippten Gebetshocker sitzen sieht, sagt sie gereizt: «Lady Margaret, geht zu Bett. Es ist weit über Eure Schlafenszeit. Unsere Liebe Frau Mutter schätzt die Gebete ungehorsamer Mädchen nicht. Es liegt kein Verdienst in der Übertreibung. Eure Mutter wünscht, dass Ihr früh am Morgen aufsteht. Ihr könnt nicht die ganze Nacht aufbleiben und beten, das ist Torheit.»
Sie knallt die Tür zu. Ich höre, wie sie zu den Mädchen sagt, eine von ihnen müsse mich jetzt ins Bett bringen und neben mir schlafen, um sicherzustellen, dass ich mich nicht um Mitternacht zu einer neuen Gebetsrunde erhebe. Sie mögen es nicht, wenn ich mich nach dem Stundengebet richte; sie stehen zwischen mir und einem heiligen Leben und sagen, ich sei zu jung und brauche meinen Schlaf. Sie wagen sogar anzudeuten, ich spiele mich nur auf und täusche Frömmigkeit vor. Dabei weiß ich, dass Gott mich berufen hat und es meine Pflicht ist, meine höhere Pflicht, ihm zu gehorchen.
Doch selbst wenn ich die ganze Nacht beten würde, könnte ich die Vision nicht zurückholen, die eben gerade noch so hell war. Sie ist verflogen. Einen Moment lang, einen heiligen Moment, war ich dort: Ich war die Jungfrau von Orléans, die heilige Johanna von Frankreich. Ich habe begriffen, wozu ein Mädchen imstande sein kann, was eine Frau sein kann. Dann haben sie mich auf die Erde zurückgezerrt und mit mir geschimpft wie mit einem gewöhnlichen Mädchen und alles zerstört.
«Heilige Maria, leite mich, Ihr Engel, kommt zurück», flüstere ich und versuche, wieder auf den Platz zu gelangen, zu der wartenden Menschenmenge, zu diesem ergreifenden Augenblick. Aber es ist alles weg. Ich muss mich am Bettpfosten hochziehen, um wieder auf die Füße zu kommen. Mir schwindelt vom Fasten und Beten, und ich reibe das Knie, auf das ich gefallen bin. Die Haut ist wunderbar rau, ich ziehe das Nachthemd hoch und sehe mir die Knie an. Sie sind rau und rot. Die Knie einer Heiligen, Gott sei gelobt, ich habe die Knie einer Heiligen. Ich habe so viel auf harten Böden gebetet, dass die Haut meiner Knie hart geworden ist wie die Hornhaut am Finger eines englischen Bogenschützen. Ich bin noch nicht einmal zehn Jahre alt, aber ich habe die Knie einer Heiligen. Das muss etwas heißen, da mag sich meine alte adlige Gouvernante ruhig bei meiner Mutter über exzessive und theatralische Andacht beschweren. Ich habe die Knie einer Heiligen. Ich habe die Haut meiner Knie durch fortwährendes Beten abgeschürft, sie sind meine Stigmata: die Knie einer Heiligen. So Gott will, werde ich die Herausforderung annehmen und auch das Ende einer Heiligen finden.
Ich gehe ins Bett, wie mir befohlen wurde, denn Gehorsam, selbst gegenüber närrischen und ordinären Frauen, ist eine Tugend. Ich mag die Tochter eines der größten englischen Heerführer in Frankreich sein, aus der großen Familie der Beauforts und daher Thronerbin des englischen Königs Henry VI., dennoch muss ich meiner adligen Gouvernante und meiner Mutter gehorchen, als wäre ich ein ganz gewöhnliches Mädchen. Ich nehme eine hohe Stellung im Königreich ein, ich bin eine nahe Verwandte des Königs - aber zu Hause schenkt man mir schrecklich wenig Beachtung, dort muss ich tun, was mir eine dumme alte Frau vorschreibt, die die Predigt des Priesters verschläft und während des Tischgebets gezuckerte Pflaumen lutscht. Ich betrachte sie als Kreuz, das ich zu tragen habe, und schließe sie in meine Gebete ein.
Diese Gebete werden ihre unsterbliche Seele retten - ihrer wahren Verdienste zum Trotz -, denn der Zufall will es, dass meine Gebete besonders gesegnet sind. Seit ich ein kleines Mädchen war, seit ich fünf Jahre alt war, habe ich gewusst, dass ich in den Augen Gottes etwas Besonderes bin. Viele Jahre lang habe ich das für eine einmalige Gabe gehalten - manchmal habe ich die Gegenwart Gottes gespürt, manchmal den Segen Unserer Lieben Frau. Aber im letzten Jahr kam ein Veteran aus Frankreich an unsere Küchentür, der sich bettelnd zu seiner Gemeinde durchschlug. Ich war gerade dabei, den Rahm von der Milch zu schöpfen, und hörte, wie er das Milchmädchen um etwas zu essen bat, denn er sei Soldat und habe ein Wunder gesehen: Er habe das Mädchen gesehen, das sie die Jungfrau von Orléans nennen.
«Lass ihn hereinkommen!», befahl ich ihr und kletterte vom Hocker.
«Er ist dreckig», gab sie zur Antwort. «Er kommt nur bis zur Schwelle.»
Er kam zur Tür geschlurft und ließ sein Bündel fallen. «Wenn Ihr etwas Milch für mich erübrigen könntet, junge Dame», wimmerte er. «Und vielleicht einen Kanten Brot für einen alten Mann, einen Soldaten für Herrn und Vaterland...»
«Was hast du über die Jungfrau von Orléans gesagt?», unterbrach ich ihn. «Und über Wunder?»
Das Mädchen hinter mir murmelte halblaut vor sich hin, schlug die Augen gen Himmel, schnitt einen Kanten dunkles Roggenbrot ab und goss Milch in einen alten Tonbecher. Den riss er ihr fast aus der Hand und stürzte alles in einem Zug herunter, bevor er sich nach mehr umsah.
«Antworte mir», befahl ich ihm.
Die Magd bedeutete ihm, dass er mir zu gehorchen habe, und so wandte er sich mit einer Verbeugung an mich. «Ich habe unter dem Duke of Bedford in Frankreich gedient, als ich von einem Mädchen hörte, das mit den Franzosen ritt», begann er. «Einige hielten sie für eine Hexe, andere meinten, sie sei mit dem Teufel im Bunde. Aber meine Dirn...» Die Magd schnalzte mit den Fingern, und er schluckte das Wort herunter. «Eine junge Frau, die ich zufällig kannte, erzählte mir, dass dieses Mädchen, Johanna aus Domrémy, mit den Engeln gesprochen hat. Sie hatte versprochen, dass sie den französischen Prinzen gekrönt auf dem Thron Frankreichs sehen würde. Sie war nur eine Magd, ein Mädchen vom Lande, aber sie behauptete, dass die Engel zu ihr gesprochen und sie angerufen hätten, ihr Land vor uns zu retten.»
Ich war entzückt. «Engel haben zu ihr gesprochen?» Er lächelte liebenswürdig. «Ja, junge Dame. Sie war ein Mädchen, kaum älter als Ihr.»
«Aber wie ist es ihr gelungen, die Menschen zum Zuhören zu bewegen? Wie ist es ihr gelungen, den Leuten begreiflich zu machen, dass sie besonders war?»
«Oh, sie ist auf einem großen weißen Pferd geritten und hat Männerkleidung getragen, sogar eine Rüstung. Auf ihrem Banner prangten Lilien und Engel, und als sie sie zu dem französischen Prinzen brachten, hat sie ihn unter all seinen Höflingen erkannt.»
«Sie hat eine Rüstung getragen?», flüsterte ich erstaunt, als würde sich mein Leben vor mir abspulen und nicht die Geschichte eines fremden französischen Mädchens. Was könnte ich sein, wenn die Leute nur begreifen würden, dass die Engel zu mir sprechen, so wie sie zu dieser Johanna gesprochen haben?
«Sie trug eine Rüstung und führte ihre Männer in die Schlacht.» Er nickte. «Ich habe sie gesehen.»
Ich winkte das Milchmädchen heran. «Bring ihm etwas Fleisch und Dünnbier zum Trinken.» Sie lief zur Vorratskammer, und der fremde Mann und ich traten aus der Milchkammer. Vor der Hintertür ließ er sich auf einen Stein sinken. Ich wartete ab, bis sie unsanft eine flache Schale vor ihm abgesetzt und er sich das Essen in den Mund gestopft hatte. Er aß wie ein ausgehungerter Hund, ohne Würde, und als er fertig war und seinen Becher heruntergestürzt hatte, nahm ich meine Befragung wieder auf. «Wo hast du sie das erste Mal gesehen?»
«Ah», gab er von sich und fuhr sich mit dem Ärmel über den Mund. «Wir haben eine französische Stadt namens Orléans belagert und waren siegesgewiss. In jenen Tagen, vor ihr, haben wir immer gewonnen. Wir hatten Langbogen, und sie nicht; wir haben sie einfach alle niedergeschossen, es war ein Kinderspiel, wir brauchten eigentlich nur auf ihre Kehrseite zu zielen. Ich war Bogenschütze. » Dann machte er eine Pause, als schäme er sich, etwas zu weit von der Wahrheit abgekommen zu sein. «Ich war Pfeilmacher», berichtigte er sich. «Ich habe die Pfeile hergestellt. Aber unsere Bogenschützen haben jede Schlacht gewonnen.»
«Schon gut, aber was war mit Johanna?»
«Ich erzähle doch von ihr. Aber Ihr müsst verstehen, dass sie keine Chance hatten zu gewinnen. Weisere und bessere Männer als sie wussten, dass sie verloren waren. Sie haben jede Schlacht verloren.»
«Aber sie?», flüsterte ich.
«Sie hat behauptet, sie würde Stimmen hören und Engel würden zu ihr sprechen. Man hat ihr gesagt, sie solle zu dem französischen Prinzen gehen - ein Einfaltspinsel, ein Niemand. Sie solle ihn dazu bewegen, sich als König auf seinen Thron zu setzen und uns von unseren Ländereien in Frankreich zu vertreiben. Sie hat sich zum König durchgeschlagen und ihm gesagt, er müsse sich auf seinen Thron setzen und ihr gestatten, seine Armee anzuführen. Er hat gedacht, vielleicht besitzt sie die Gabe der Prophezeiung, wie sollte er das wissen - und außerdem hatte er nichts zu verlieren. Die Männer haben an sie geglaubt. Sie war nur ein Mädchen vom Lande, aber sie hat sich gekleidet wie eine Kriegerin, und ihr Banner war mit Lilien und Engeln bestickt. Sie hat einen Boten zu einer Kirche geschickt, und dort haben sie ein altes Kreuzfahrerschwert gefunden, genau an der Stelle, die sie bezeichnet hatte - es lag dort seit vielen Jahren versteckt.»
«Wirklich?»
Er lachte, dann hustete er und spuckte Schleim aus.
«Wer weiß? Vielleicht ist etwas dran. Meine Dirn..., die Frau, die ich kannte, hat Johanna für eine heilige Magd gehalten, von Gott ausersehen, Frankreich vor uns Engländern zu retten. Sie war überzeugt, sie könnte von keinem Schwert berührt werden. Sie hielt sie für einen Engel.»
«Und wie war sie?»
«Ein Mädchen, bloß ein Mädchen wie Ihr. Klein, mit strahlenden Augen, von sich überzeugt.»
Mir schwoll das Herz. «Wie ich?»
«Ganz wie Ihr.»
«Haben ihr die Leute auch dauernd gesagt, was sie zu tun habe? Haben sie ihr gesagt, sie wisse nichts?»
Er schüttelte den Kopf. «Nein, nein, sie war die Heeresführerin. Sie ist ihrer eigenen Vision von sich selbst gefolgt. Sie hat eine Armee von viertausend Mann befehligt und uns angegriffen, als wir vor Orléans lagerten. Unsere Lords konnten ihre Männer nicht bewegen, gegen sie anzutreten; ihr bloßer Anblick hat uns in Angst und Schrecken versetzt. Niemand hat das Schwert gegen sie erhoben. Wir haben alle gedacht, sie sei unschlagbar. Als wir uns nach Jargeau wandten, jagte sie uns hinterher, sie hat angegriffen, sie hat immer angegriffen. Wir hatten alle entsetzliche Angst vor ihr. Wir haben geschworen, sie sei eine Hexe.»
«Eine Hexe oder von Engeln geleitet?», verlangte ich von ihm zu wissen.
Er lächelte. «Ich habe sie in Paris gesehen. Es war nichts Böses an ihr. Sie hat ausgesehen, als hielte Gott persönlich sie auf diesem großen Pferd. Mein Lord hat sie eine Blume des Rittertums genannt. Wirklich.»
«Schön?», flüsterte ich. Ich selber bin kein schönes Mädchen, und darüber ist meine Mutter sehr enttäuscht. Ich nicht, denn ich stehe über den Eitelkeiten der Welt. Er schüttelte den Kopf und sagte genau das, was ich hören wollte. «Nein, nicht hübsch, kein hübsches kleines Ding, auch nicht mädchenhaft; aber sie hatte ein gewisses Leuchten.»
Ich nickte. In diesem Moment, so ging es mir, verstand ich ... alles. «Kämpft sie noch immer?»
«Gott sei Euch gnädig, Euch kleiner Närrin. Nein, sie ist tot. Tot - seit bald zwanzig Jahren.»
«Tot?»
«Nach Paris hat sich ihr Blatt gewendet; wir haben sie vor den Mauern der Stadt zurückgeworfen, aber es war knapp - denkt nur! Fast hätte sie Paris eingenommen! Am Ende hat ein burgundischer Soldat sie mitten im Kampf von ihrem weißen Pferd gezogen», teilte mir der Bettler knapp mit. «Und an uns verkauft. Wir haben sie hingerichtet, als Ketzerin verbrannt.»
Ich war entsetzt. «Aber du hast gesagt, sie wurde von Engeln geleitet!»
«Sie ist ihren Stimmen bis in den Tod gefolgt», versetzte
er nur. «Man hat sie untersucht. Sie war tatsächlich Jungfrau.
Sie war tatsächlich Jungfrau Johanna. Und sie hat die Wahrheit gesehen, nämlich dass wir in Frankreich besiegt werden würden. Ich glaube, jetzt sind wir verloren. Sie hat aus ihrem König einen Mann gemacht und aus ihren Soldaten eine Armee. Sie war kein gewöhnliches Mädchen. Ich glaube nicht, dass ich je wieder so eine zu sehen kriege. Sie hat längst gebrannt, bevor wir sie auf den Scheiterhaufen geschafft haben. Der Heilige Geist hat lichterloh in ihr gebrannt.» Ich holte Luft. «Ich bin wie sie», flüsterte ich ihm zu. Er sah in mein verzücktes Gesicht und lachte. «Nein, das sind doch nur alte Geschichten», sagte er. «Nichts für ein Mädchen wie Euch. Sie ist tot, und bald wird sie vergessen sein. Sie haben ihre Asche in alle Winde verstreut, damit niemand ihr einen Schrein bauen kann.»
«Aber Gott hat zu ihr gesprochen, zu einem Mädchen», flüsterte ich. «Er hat nicht zum König gesprochen und auch nicht zu einem Jungen. Er hat zu einem Mädchen gesprochen.»
Der alte Soldat nickte. «Ich bezweifele nicht, dass sie fest daran geglaubt hat», sagte er. «Ich bezweifele auch nicht, dass sie die Stimmen der Engel gehört hat. Es muss so gewesen sein. Sonst hätte sie nicht tun können, was sie getan hat.»
Von der Vordertür war der schrille Ruf meiner Gouvernante zu hören, und während ich einen Augenblick lauschte, nahm der Soldat seinen Beutel und warf ihn über die Schulter.
«Aber ist es denn wahr?», verlangte ich ernsthaft zu wissen, als er sich mit langen, ausholenden Schritten über den Stallhof zum Tor zur Straße in Bewegung setzte.
«Soldatenmärchen», sagte er gleichgültig. «Vergesst sie und vergesst Johanna, und weiß Gott, an mich wird sich auch niemand erinnern.»
Ich ließ ihn ziehen, doch weder vergaß ich Johanna, noch werde ich sie je vergessen. Ich rufe ihren Namen an, damit sie mich leitet, und schließe die Augen und versuche, sie zu sehen. Und seit jenem Tag wird jedem Soldaten, der an die Tür von Bletsoe klopft und um Essen bettelt, befohlen zu warten, denn die kleine Lady Margaret wünscht ihn zweifelsohne zu sehen. Ich frage sie immer, ob sie in Les Augustins, Les Tourelles, Orléans, in Jargeau, Beaugency, Patay oder Paris waren. Ich kenne die Orte ihrer Siege, so wie ich die Namen der benachbarten Dörfer in Bedfordshire kenne. Manche Soldaten waren bei diesen Schlachten dabei; einige haben Johanna sogar gesehen. Sie berichten alle von einem schlanken Mädchen auf einem großen Pferd, ein Banner über dem Haupt, das immer dort zu sehen war, wo der Kampf am wildesten tobte, ein Mädchen wie ein Prinz, das schwor, seinem Land Frieden und Sieg zu bringen, und das sich in den Dienst Gottes stellte. Bloß ein Mädchen, ein Mädchen wie ich: aber eine Heldin.
Copyright © 2011 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Nach der Dunkelheit drinnen blendet mich das helle Licht des Himmels. Ich kneife die Augen zusammen und höre das Anschwellen zahlloser Stimmen. Doch dieses Flüstern, das zum Grollen wird, ist nicht meine Armee, die mich ruft. Es ist nicht ihr Angriffsgeschrei, und es rührt auch nicht vom Klopfen der Schwerter auf die Schilde. Was dort knatternd vor dem Himmel weht, sind nicht meine Engel und Lilien auf Leinen gestickt, sondern verfluchte englische Standarten, triumphierend in der Maibrise. Das sind auch keine Hymnen, es sind Schreie von Menschen, die begierig sind, jemanden sterben zu sehen: mich.
Als ich über die Schwelle meines Gefängnisses auf den Marktplatz trete, ragt mein Ziel hoch vor mir auf - ein Holzstapel, an dem eine Leiter mit ein paar rohgezimmerten Sprossen lehnt. Ich flüstere: «Ein Kreuz. Kann ich ein Kreuz bekommen?» Und dann lauter: «Ein Kreuz! Ich brauche ein Kreuz!» Und irgendein Mann, ein Fremder, ein Feind, ein Engländer, einer von denen, die wir wegen ihrer unaufhörlichen Blasphemie die «Gottverfluchten » nennen, streckt mir ein grobgeschnitztes Kreuz entgegen. Ohne jeglichen Stolz schnappe ich es aus seiner dreckigen Hand. Ich halte es umklammert, als sie mich auf den Holzstapel zuschubsen und die Leiter hochschieben, als ich beim Emporklettern von den rohen Sprossen abrutsche und weiter hinaufklettere, als ich groß bin, bis zu dem wackeligen Podest, das oben auf den Scheiterhaufen gehämmert wurde. Als sie mich grob umdrehen und mir die Hände hinter dem Rücken um den Pflock binden, halte ich es noch immer.
Es geschieht alles so langsam, dass ich fast meinen könnte, die Zeit sei stehengeblieben und die Engel kämen zu mir herab. Es sind schon merkwürdigere Dinge geschehen. Sind mir die Engel etwa nicht erschienen, als ich die Schafe gehütet habe? Haben sie mich etwa nicht beim Namen gerufen? Habe ich keine Armee zur Befreiung von Orléans angeführt? Habe ich etwa nicht den Dauphin gekrönt und die Engländer vertrieben? Ich allein? Ein Mädchen aus Domrémy, geleitet von seinen Engeln?
Rundum am Boden entzünden sie das Reisig. Rauch wirbelt auf und wabert in der Brise. Dann fängt das Holz Feuer, und eine heiße Wolke umhüllt mich, ich muss husten und blinzeln, mir tränen die Augen. Schon verkohlen meine Fußsohlen. Ich trete von einem Fuß auf den anderen, wie eine Närrin, als könnte ich mir auf diese Weise Unannehmlichkeiten ersparen, und ich spähe durch den Rauch, ob nicht jemand mit Wassereimern angelaufen kommt, um zu erklären, dass der König, den ich gekrönt habe, diesem Treiben Einhalt gebietet. Oder ob die Engländer, die mich einem Soldaten abgekauft haben, jetzt nicht doch einsehen, dass sie mich nicht töten dürfen, oder dass meine Kirche erkennt, dass ich ein gutes Mädchen bin, eine gute Frau, unschuldig - außer dass ich Gott mit einer leidenschaftlichen Bestimmung gedient habe.
Kein Retter findet sich in der dichtgedrängten Menschenmenge. Der Lärm schwillt zu einem ohrenbetäubenden Kreischen an: einem Durcheinander aus gebrüllten Segen und Flüchen, Gebeten und Obszönitäten. Ich blicke nach oben in den blauen Himmel nach meinen herabsteigenden Engeln, da löst sich im Scheiterhaufen unter mir ein Stamm, und der Pfahl schwankt. Die ersten Funken fliegen hoch und versengen meine Jacke. Sie verglühen wie Feuerfliegen auf meinem Ärmel. Ein trockenes Kratzen in der Kehle von all dem Rauch bringt mich zum Husten, und ich flüstere wie ein Mädchen: «Lieber Gott, rette mich, deine Tochter! Lieber Gott, halte deine Hand über mich. Lieber Gott, verschone mich, deine Tochter ...»
Ein lauter Knall, ein Schlag gegen den Kopf. Fassungslos sitze ich auf den Dielen meines Schlafzimmers, die Hand am geprellten Ohr. Ich sehe um mich wie eine Närrin und erkenne nichts. Meine adlige Gouvernante kommt zur Tür herein. Als sie mich benommen neben dem umgekippten Gebetshocker sitzen sieht, sagt sie gereizt: «Lady Margaret, geht zu Bett. Es ist weit über Eure Schlafenszeit. Unsere Liebe Frau Mutter schätzt die Gebete ungehorsamer Mädchen nicht. Es liegt kein Verdienst in der Übertreibung. Eure Mutter wünscht, dass Ihr früh am Morgen aufsteht. Ihr könnt nicht die ganze Nacht aufbleiben und beten, das ist Torheit.»
Sie knallt die Tür zu. Ich höre, wie sie zu den Mädchen sagt, eine von ihnen müsse mich jetzt ins Bett bringen und neben mir schlafen, um sicherzustellen, dass ich mich nicht um Mitternacht zu einer neuen Gebetsrunde erhebe. Sie mögen es nicht, wenn ich mich nach dem Stundengebet richte; sie stehen zwischen mir und einem heiligen Leben und sagen, ich sei zu jung und brauche meinen Schlaf. Sie wagen sogar anzudeuten, ich spiele mich nur auf und täusche Frömmigkeit vor. Dabei weiß ich, dass Gott mich berufen hat und es meine Pflicht ist, meine höhere Pflicht, ihm zu gehorchen.
Doch selbst wenn ich die ganze Nacht beten würde, könnte ich die Vision nicht zurückholen, die eben gerade noch so hell war. Sie ist verflogen. Einen Moment lang, einen heiligen Moment, war ich dort: Ich war die Jungfrau von Orléans, die heilige Johanna von Frankreich. Ich habe begriffen, wozu ein Mädchen imstande sein kann, was eine Frau sein kann. Dann haben sie mich auf die Erde zurückgezerrt und mit mir geschimpft wie mit einem gewöhnlichen Mädchen und alles zerstört.
«Heilige Maria, leite mich, Ihr Engel, kommt zurück», flüstere ich und versuche, wieder auf den Platz zu gelangen, zu der wartenden Menschenmenge, zu diesem ergreifenden Augenblick. Aber es ist alles weg. Ich muss mich am Bettpfosten hochziehen, um wieder auf die Füße zu kommen. Mir schwindelt vom Fasten und Beten, und ich reibe das Knie, auf das ich gefallen bin. Die Haut ist wunderbar rau, ich ziehe das Nachthemd hoch und sehe mir die Knie an. Sie sind rau und rot. Die Knie einer Heiligen, Gott sei gelobt, ich habe die Knie einer Heiligen. Ich habe so viel auf harten Böden gebetet, dass die Haut meiner Knie hart geworden ist wie die Hornhaut am Finger eines englischen Bogenschützen. Ich bin noch nicht einmal zehn Jahre alt, aber ich habe die Knie einer Heiligen. Das muss etwas heißen, da mag sich meine alte adlige Gouvernante ruhig bei meiner Mutter über exzessive und theatralische Andacht beschweren. Ich habe die Knie einer Heiligen. Ich habe die Haut meiner Knie durch fortwährendes Beten abgeschürft, sie sind meine Stigmata: die Knie einer Heiligen. So Gott will, werde ich die Herausforderung annehmen und auch das Ende einer Heiligen finden.
Ich gehe ins Bett, wie mir befohlen wurde, denn Gehorsam, selbst gegenüber närrischen und ordinären Frauen, ist eine Tugend. Ich mag die Tochter eines der größten englischen Heerführer in Frankreich sein, aus der großen Familie der Beauforts und daher Thronerbin des englischen Königs Henry VI., dennoch muss ich meiner adligen Gouvernante und meiner Mutter gehorchen, als wäre ich ein ganz gewöhnliches Mädchen. Ich nehme eine hohe Stellung im Königreich ein, ich bin eine nahe Verwandte des Königs - aber zu Hause schenkt man mir schrecklich wenig Beachtung, dort muss ich tun, was mir eine dumme alte Frau vorschreibt, die die Predigt des Priesters verschläft und während des Tischgebets gezuckerte Pflaumen lutscht. Ich betrachte sie als Kreuz, das ich zu tragen habe, und schließe sie in meine Gebete ein.
Diese Gebete werden ihre unsterbliche Seele retten - ihrer wahren Verdienste zum Trotz -, denn der Zufall will es, dass meine Gebete besonders gesegnet sind. Seit ich ein kleines Mädchen war, seit ich fünf Jahre alt war, habe ich gewusst, dass ich in den Augen Gottes etwas Besonderes bin. Viele Jahre lang habe ich das für eine einmalige Gabe gehalten - manchmal habe ich die Gegenwart Gottes gespürt, manchmal den Segen Unserer Lieben Frau. Aber im letzten Jahr kam ein Veteran aus Frankreich an unsere Küchentür, der sich bettelnd zu seiner Gemeinde durchschlug. Ich war gerade dabei, den Rahm von der Milch zu schöpfen, und hörte, wie er das Milchmädchen um etwas zu essen bat, denn er sei Soldat und habe ein Wunder gesehen: Er habe das Mädchen gesehen, das sie die Jungfrau von Orléans nennen.
«Lass ihn hereinkommen!», befahl ich ihr und kletterte vom Hocker.
«Er ist dreckig», gab sie zur Antwort. «Er kommt nur bis zur Schwelle.»
Er kam zur Tür geschlurft und ließ sein Bündel fallen. «Wenn Ihr etwas Milch für mich erübrigen könntet, junge Dame», wimmerte er. «Und vielleicht einen Kanten Brot für einen alten Mann, einen Soldaten für Herrn und Vaterland...»
«Was hast du über die Jungfrau von Orléans gesagt?», unterbrach ich ihn. «Und über Wunder?»
Das Mädchen hinter mir murmelte halblaut vor sich hin, schlug die Augen gen Himmel, schnitt einen Kanten dunkles Roggenbrot ab und goss Milch in einen alten Tonbecher. Den riss er ihr fast aus der Hand und stürzte alles in einem Zug herunter, bevor er sich nach mehr umsah.
«Antworte mir», befahl ich ihm.
Die Magd bedeutete ihm, dass er mir zu gehorchen habe, und so wandte er sich mit einer Verbeugung an mich. «Ich habe unter dem Duke of Bedford in Frankreich gedient, als ich von einem Mädchen hörte, das mit den Franzosen ritt», begann er. «Einige hielten sie für eine Hexe, andere meinten, sie sei mit dem Teufel im Bunde. Aber meine Dirn...» Die Magd schnalzte mit den Fingern, und er schluckte das Wort herunter. «Eine junge Frau, die ich zufällig kannte, erzählte mir, dass dieses Mädchen, Johanna aus Domrémy, mit den Engeln gesprochen hat. Sie hatte versprochen, dass sie den französischen Prinzen gekrönt auf dem Thron Frankreichs sehen würde. Sie war nur eine Magd, ein Mädchen vom Lande, aber sie behauptete, dass die Engel zu ihr gesprochen und sie angerufen hätten, ihr Land vor uns zu retten.»
Ich war entzückt. «Engel haben zu ihr gesprochen?» Er lächelte liebenswürdig. «Ja, junge Dame. Sie war ein Mädchen, kaum älter als Ihr.»
«Aber wie ist es ihr gelungen, die Menschen zum Zuhören zu bewegen? Wie ist es ihr gelungen, den Leuten begreiflich zu machen, dass sie besonders war?»
«Oh, sie ist auf einem großen weißen Pferd geritten und hat Männerkleidung getragen, sogar eine Rüstung. Auf ihrem Banner prangten Lilien und Engel, und als sie sie zu dem französischen Prinzen brachten, hat sie ihn unter all seinen Höflingen erkannt.»
«Sie hat eine Rüstung getragen?», flüsterte ich erstaunt, als würde sich mein Leben vor mir abspulen und nicht die Geschichte eines fremden französischen Mädchens. Was könnte ich sein, wenn die Leute nur begreifen würden, dass die Engel zu mir sprechen, so wie sie zu dieser Johanna gesprochen haben?
«Sie trug eine Rüstung und führte ihre Männer in die Schlacht.» Er nickte. «Ich habe sie gesehen.»
Ich winkte das Milchmädchen heran. «Bring ihm etwas Fleisch und Dünnbier zum Trinken.» Sie lief zur Vorratskammer, und der fremde Mann und ich traten aus der Milchkammer. Vor der Hintertür ließ er sich auf einen Stein sinken. Ich wartete ab, bis sie unsanft eine flache Schale vor ihm abgesetzt und er sich das Essen in den Mund gestopft hatte. Er aß wie ein ausgehungerter Hund, ohne Würde, und als er fertig war und seinen Becher heruntergestürzt hatte, nahm ich meine Befragung wieder auf. «Wo hast du sie das erste Mal gesehen?»
«Ah», gab er von sich und fuhr sich mit dem Ärmel über den Mund. «Wir haben eine französische Stadt namens Orléans belagert und waren siegesgewiss. In jenen Tagen, vor ihr, haben wir immer gewonnen. Wir hatten Langbogen, und sie nicht; wir haben sie einfach alle niedergeschossen, es war ein Kinderspiel, wir brauchten eigentlich nur auf ihre Kehrseite zu zielen. Ich war Bogenschütze. » Dann machte er eine Pause, als schäme er sich, etwas zu weit von der Wahrheit abgekommen zu sein. «Ich war Pfeilmacher», berichtigte er sich. «Ich habe die Pfeile hergestellt. Aber unsere Bogenschützen haben jede Schlacht gewonnen.»
«Schon gut, aber was war mit Johanna?»
«Ich erzähle doch von ihr. Aber Ihr müsst verstehen, dass sie keine Chance hatten zu gewinnen. Weisere und bessere Männer als sie wussten, dass sie verloren waren. Sie haben jede Schlacht verloren.»
«Aber sie?», flüsterte ich.
«Sie hat behauptet, sie würde Stimmen hören und Engel würden zu ihr sprechen. Man hat ihr gesagt, sie solle zu dem französischen Prinzen gehen - ein Einfaltspinsel, ein Niemand. Sie solle ihn dazu bewegen, sich als König auf seinen Thron zu setzen und uns von unseren Ländereien in Frankreich zu vertreiben. Sie hat sich zum König durchgeschlagen und ihm gesagt, er müsse sich auf seinen Thron setzen und ihr gestatten, seine Armee anzuführen. Er hat gedacht, vielleicht besitzt sie die Gabe der Prophezeiung, wie sollte er das wissen - und außerdem hatte er nichts zu verlieren. Die Männer haben an sie geglaubt. Sie war nur ein Mädchen vom Lande, aber sie hat sich gekleidet wie eine Kriegerin, und ihr Banner war mit Lilien und Engeln bestickt. Sie hat einen Boten zu einer Kirche geschickt, und dort haben sie ein altes Kreuzfahrerschwert gefunden, genau an der Stelle, die sie bezeichnet hatte - es lag dort seit vielen Jahren versteckt.»
«Wirklich?»
Er lachte, dann hustete er und spuckte Schleim aus.
«Wer weiß? Vielleicht ist etwas dran. Meine Dirn..., die Frau, die ich kannte, hat Johanna für eine heilige Magd gehalten, von Gott ausersehen, Frankreich vor uns Engländern zu retten. Sie war überzeugt, sie könnte von keinem Schwert berührt werden. Sie hielt sie für einen Engel.»
«Und wie war sie?»
«Ein Mädchen, bloß ein Mädchen wie Ihr. Klein, mit strahlenden Augen, von sich überzeugt.»
Mir schwoll das Herz. «Wie ich?»
«Ganz wie Ihr.»
«Haben ihr die Leute auch dauernd gesagt, was sie zu tun habe? Haben sie ihr gesagt, sie wisse nichts?»
Er schüttelte den Kopf. «Nein, nein, sie war die Heeresführerin. Sie ist ihrer eigenen Vision von sich selbst gefolgt. Sie hat eine Armee von viertausend Mann befehligt und uns angegriffen, als wir vor Orléans lagerten. Unsere Lords konnten ihre Männer nicht bewegen, gegen sie anzutreten; ihr bloßer Anblick hat uns in Angst und Schrecken versetzt. Niemand hat das Schwert gegen sie erhoben. Wir haben alle gedacht, sie sei unschlagbar. Als wir uns nach Jargeau wandten, jagte sie uns hinterher, sie hat angegriffen, sie hat immer angegriffen. Wir hatten alle entsetzliche Angst vor ihr. Wir haben geschworen, sie sei eine Hexe.»
«Eine Hexe oder von Engeln geleitet?», verlangte ich von ihm zu wissen.
Er lächelte. «Ich habe sie in Paris gesehen. Es war nichts Böses an ihr. Sie hat ausgesehen, als hielte Gott persönlich sie auf diesem großen Pferd. Mein Lord hat sie eine Blume des Rittertums genannt. Wirklich.»
«Schön?», flüsterte ich. Ich selber bin kein schönes Mädchen, und darüber ist meine Mutter sehr enttäuscht. Ich nicht, denn ich stehe über den Eitelkeiten der Welt. Er schüttelte den Kopf und sagte genau das, was ich hören wollte. «Nein, nicht hübsch, kein hübsches kleines Ding, auch nicht mädchenhaft; aber sie hatte ein gewisses Leuchten.»
Ich nickte. In diesem Moment, so ging es mir, verstand ich ... alles. «Kämpft sie noch immer?»
«Gott sei Euch gnädig, Euch kleiner Närrin. Nein, sie ist tot. Tot - seit bald zwanzig Jahren.»
«Tot?»
«Nach Paris hat sich ihr Blatt gewendet; wir haben sie vor den Mauern der Stadt zurückgeworfen, aber es war knapp - denkt nur! Fast hätte sie Paris eingenommen! Am Ende hat ein burgundischer Soldat sie mitten im Kampf von ihrem weißen Pferd gezogen», teilte mir der Bettler knapp mit. «Und an uns verkauft. Wir haben sie hingerichtet, als Ketzerin verbrannt.»
Ich war entsetzt. «Aber du hast gesagt, sie wurde von Engeln geleitet!»
«Sie ist ihren Stimmen bis in den Tod gefolgt», versetzte
er nur. «Man hat sie untersucht. Sie war tatsächlich Jungfrau.
Sie war tatsächlich Jungfrau Johanna. Und sie hat die Wahrheit gesehen, nämlich dass wir in Frankreich besiegt werden würden. Ich glaube, jetzt sind wir verloren. Sie hat aus ihrem König einen Mann gemacht und aus ihren Soldaten eine Armee. Sie war kein gewöhnliches Mädchen. Ich glaube nicht, dass ich je wieder so eine zu sehen kriege. Sie hat längst gebrannt, bevor wir sie auf den Scheiterhaufen geschafft haben. Der Heilige Geist hat lichterloh in ihr gebrannt.» Ich holte Luft. «Ich bin wie sie», flüsterte ich ihm zu. Er sah in mein verzücktes Gesicht und lachte. «Nein, das sind doch nur alte Geschichten», sagte er. «Nichts für ein Mädchen wie Euch. Sie ist tot, und bald wird sie vergessen sein. Sie haben ihre Asche in alle Winde verstreut, damit niemand ihr einen Schrein bauen kann.»
«Aber Gott hat zu ihr gesprochen, zu einem Mädchen», flüsterte ich. «Er hat nicht zum König gesprochen und auch nicht zu einem Jungen. Er hat zu einem Mädchen gesprochen.»
Der alte Soldat nickte. «Ich bezweifele nicht, dass sie fest daran geglaubt hat», sagte er. «Ich bezweifele auch nicht, dass sie die Stimmen der Engel gehört hat. Es muss so gewesen sein. Sonst hätte sie nicht tun können, was sie getan hat.»
Von der Vordertür war der schrille Ruf meiner Gouvernante zu hören, und während ich einen Augenblick lauschte, nahm der Soldat seinen Beutel und warf ihn über die Schulter.
«Aber ist es denn wahr?», verlangte ich ernsthaft zu wissen, als er sich mit langen, ausholenden Schritten über den Stallhof zum Tor zur Straße in Bewegung setzte.
«Soldatenmärchen», sagte er gleichgültig. «Vergesst sie und vergesst Johanna, und weiß Gott, an mich wird sich auch niemand erinnern.»
Ich ließ ihn ziehen, doch weder vergaß ich Johanna, noch werde ich sie je vergessen. Ich rufe ihren Namen an, damit sie mich leitet, und schließe die Augen und versuche, sie zu sehen. Und seit jenem Tag wird jedem Soldaten, der an die Tür von Bletsoe klopft und um Essen bettelt, befohlen zu warten, denn die kleine Lady Margaret wünscht ihn zweifelsohne zu sehen. Ich frage sie immer, ob sie in Les Augustins, Les Tourelles, Orléans, in Jargeau, Beaugency, Patay oder Paris waren. Ich kenne die Orte ihrer Siege, so wie ich die Namen der benachbarten Dörfer in Bedfordshire kenne. Manche Soldaten waren bei diesen Schlachten dabei; einige haben Johanna sogar gesehen. Sie berichten alle von einem schlanken Mädchen auf einem großen Pferd, ein Banner über dem Haupt, das immer dort zu sehen war, wo der Kampf am wildesten tobte, ein Mädchen wie ein Prinz, das schwor, seinem Land Frieden und Sieg zu bringen, und das sich in den Dienst Gottes stellte. Bloß ein Mädchen, ein Mädchen wie ich: aber eine Heldin.
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Autoren-Porträt von Philippa Gregory
Philippa Gregory, geboren 1954 in Kenia, studierte Geschichte in Brighton und promovierte an der University of Edinburgh über die englische Literatur des 18. Jahrhunderts. Ihre historischen Romane sind weltweit Bestseller und wurden mit Starbesetzung verfilmt, zuletzt «Das Erbe der weißen Rose» in einer aufwändigen Produktion des US-Senders Starz. Außerdem schreibt Philippa Gregory Kinder- und Jugendbücher, Kurzgeschichten, Reiseberichte und Drehbücher und arbeitet als Journalistin für Zeitung, Radio und Fernsehen. Sie lebt mit ihrer Familie in Nordengland.
Bibliographische Angaben
- Autor: Philippa Gregory
- 2011, 480 Seiten, 1 Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 11,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Elvira Willems, Astrid Becker
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 349925672X
- ISBN-13: 9783499256721
- Erscheinungsdatum: 24.10.2011
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