Schicksal einer Nachtschwester
Elfi hat es wirklich nicht immer leicht im Leben. Als Mutter von sechs Kindern trägt sie auch noch die Last eines schwerkranken Ehemannes mit, der viel zu früh stirbt. Trotzdem findet die bemerkenswerte Frau noch die Kraft, anderen Menschen in...
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Elfi hat es wirklich nicht immer leicht im Leben. Als Mutter von sechs Kindern trägt sie auch noch die Last eines schwerkranken Ehemannes mit, der viel zu früh stirbt. Trotzdem findet die bemerkenswerte Frau noch die Kraft, anderen Menschen in ihren schwersten Stunden beizustehen: als Nachtschwester in einem Pflegeheim.
Schicksal einer Nachtschwester von Elfriede Mosenthin
Der Doktor war nicht gerade erfreut, dass ich ihn zu so später Stunde noch belästigte. »Haben Ihnen Ihre Kolleginnen nicht gesagt, dass ich erst heute Nachmittag bei Frau Kowalski war?«
Kowalski – das war Snoopines richtiger Name.
Zwar hatte man vergessen, mir das zu sagen, aber das wollte ich nicht weitergeben. Des halb sagte ich: »Doch, doch, sie haben mir schon berichtet, dass Sie da waren, aber ich möchte gern wissen, ob ich nicht irgend et was für Frau Kowalski tun kann. Sie atmet so schwer.«
Er antwortete kurz angebunden: »Frau Kowalski tut nichts weh. Das ist doch wohl die Hauptsache, und mit zweiundneunzig Jahren hat doch jeder das Recht abzutreten, oder nicht?«
»Ja, natürlich«, antwortete ich klein laut. Er hatte bereits aufgelegt und ließ mich mit meinem Kummer allein.
Ich machte mich daran, die Berichtsbücher durchzulesen.
Gegen zweiundzwanzig Uhr hörte ich lautes Geschrei aus dem oberen Stockwerk.
Wen sollte ich jetzt zu erst beruhigen – Frau Ziegler oder die Patienten, die aufgewacht waren? Ich sah mich mit dieser Situation überfordert und rief unseren Direktor an, der mir für solche Fälle seine Hilfe angeboten hatte. Alles, was er sagte, war: »Ich schicke Ihnen gleich Frau Zahn hinüber.«
Inzwischen schrie Frau Ziegler mich an: »Wo bleibst du denn so lange, du Mistvieh!«
Es gelang mir nicht, ihre Finger vom Geländer zu lösen. Sie hielt sich dar an wie mit Eisenklammern fest. Ich ließ sie einfach stehen und hoffte, dass die Haushälterin des Chefs bald kommen würde, denn meine Ge danken waren bei Snoopine.
Als Frau Zahn gekommen war, bat ich sie, Frau Ziegler etwas zu beruhigen, damit ich erst einmal in die anderen Zimmer gehen konnte. Es war überall das Gleiche – jeder fragte: »Schwester, wer schreit denn da so laut um Hilfe?« Als ich endlich überall nachgeschaut hatte, schien selbst die friedfertige Frau Zahn mit ihren Nerven am Ende zu sein, denn auch sie wurde von Frau Ziegler mit den gröbsten Worten beschimpft. Zu zweit schafften wir es schließlich unter Aufbietung aller Kräfte, die tobende Frau in ihr Zimmer und zu Bett zu bringen. Danach gab ich ihr ein für solche Fälle von ihrem Hausarzt verschriebenes Beruhigungsmittel, das, Gott sei Dank, auch rasch wirkte.
Wieder einmal wünschte ich, dass ich mich teilen könnte, denn eigentlich wollte ich ja an Snoopines Bett Wache halten. Rasch schaute ich noch nach den besonders gefährdeten Patienten. Frau Lang schlief fest und schien heute keine Lust zum Wandern zu haben, aber Herr Holz empfing mich weinend: »Meine Mama ist fort, und jemand hat mir mein Bett so nass gemacht. Was soll ich jetzt tun?«
Ich tröstete ihn und bezog schnell sein Bett neu. »Bleibst noch eine Weile bei mir?«, fragte er. »Bitte, Herr Holz, heute nicht. Ich muss noch zu einer Schwerkranken, die braucht mich ganz dringend! «
Eigenartigerweise schien er das zu verstehen und sagte weich: »Na, dann geh halt und kümmer dich um sie!«
»Ich danke Ihnen, Herr Holz, für Ihr Verständnis. «
Er lächelte schon wieder und warf mir eine Kusshand zu.
Ich riss mich los und rannte zu Snoopines Zimmer. Keine Minute zu früh! Sie erkannte mich zwar noch und griff nach meiner Hand, aber ihr Atem ging jetzt sehr schwer. Ich sah, dass es nicht mehr lange dauern würde.
Wieder musste ich den Chef belästigen, denn im Berichtsbuch fand ich keinen Eintrag, dass Snoopine mit den Sterbesakramenten versehen worden war. Ich wusste, dass sie streng katholisch war und auf die Erteilung des Sakraments Wert legte, bevor sie ihren letzten Gang antrat. Freundlich wie immer sagte er nur: »Ich komme gleich. Als Pfarrer Wilhelm kam, entschuldigte ich mich, weil ich ihn bereits das zweite Mal in dieser Nacht gestört hatte.
»Das macht gar nichts, wir wollen doch beide nicht, dass sie ohne die letzten Sakramente stirbt. Machen Sie sich darüber keine Gedanken, da für bin ich da!« Und als er wieder ging, bot er mir an: »Wenn Sie mit der Sterbenden nicht zurechtkommen, dann dürfen Sie mich jeder Zeit noch einmal rufen!«
Dann war ich alleine mit meiner Snoopine.
So oft es mir möglich war, saß ich in dieser Nacht an ihrem Bett, streichelte sie und sprach mit ihr: »Jetzt wirst du keine Schmerzen mehr haben müssen, bald wird es wunderschön werden, denn du wirst alle deine Lieben wiedersehen.«
Und leise sagte ich ihr einen Vers auf, der mir einmal in einer ähnlichen Situation wie dieser in den Sinn gekommen war:
In der langen, dunklen Nacht, sitze ich und halte Wacht.
Längst hab ich die Angst verloren vor der letzten heilgen Stund.
Wenn ein Mensch wird neugeboren, gibt es für die Angst kein Grund.
Verzerrt vor Schmerz war dieses Antlitz anzusehn, erst der Tod machte es entspannt und schön. Besiegt sind Kummer, Schmerz und Pein, und keiner ist dann mehr allein.
Auf einer schönen Blumenwiese warten alle Lieben schon, jetzt beginnt das wahre Leben, jetzt bekommt man seinen Lohn.
Gott streckt seine Hände aus vor einem großen Tor, so, nur so stell ich mir den weiten Himmel vor. Hatte sie mich verstanden?
Ich spürte jedenfalls, wie sie sich entspannte. Ihr Gesicht hellte sich auf, sie wirkte gelöst, und endlich tat sie ihren letzten Atemzug. Es ging mir so ans Herz, dass ich weinen musste.
Liebevoll richtete ich sie her. Es tat mir weh, als ich dieses letzte Mal ihre wenigen Haare ohne heftigen Widerstand kämmen konnte. Ich richtete sie so schön her wie eben möglich. Am Morgen, als die Frühschwestern ihren Dienst antraten, sahen alle sofort, dass Snoopine gestorben war, denn ich stellte grundsätzlich eine Bahre vor das Sterbezimmer, da mit sich keine der jungen Schwestern erschrecken sollte. Margit, die mich – ob wohl sie selbst zu den jüngeren Kolleginnen gehörte – schon viele Jahre kannte und um meine tiefe Zuneigung zu Snoopine wusste, nahm mich einfach in den Arm und sagte: »Jetzt sei nicht traurig, schließlich müssen wir alle einmal sterben. Außerdem hat sie nicht lange leiden müssen, und dann warst du auch bis zu letzt bei ihr!«
Ich stieß sie grob weg, aber Margit wusste, dass ich bisweilen meinen Kummer so abreagierte. »Geh nach Hause, und versuch zu schlafen«, sagte sie deshalb weich und freundlich.
Jetzt fing ich aufs Neue zu schluchzen an. Wieder nahm sie mich in ihre Arme und sagte: »Hau jetzt ab, die Dienstübergabe nehme ich dir heute ab. Du hast ja alles eingetragen, oder?«
»Ja, aber holt den Hausarzt von Frau Ziegler, die hatte heute Nacht wieder einen ihrer Wutanfälle!«
»Ach, du lieber Gott, das auch noch, dann hattest du ja wirklich eine turbulente Nacht.«
Ich nickte nur und eilte davon.
An Frühstück war heute nicht zu denken – ich brachte nichts hinunter. Auch mit Schlafen war nichts. Zwar legte ich mich hin, aber die Gedanken gingen mir wild im Kopf herum. Ich ließ die Jahre, in denen Snoopine im Pflegeheim gelegen hatte, Revue passieren. Sie hatte mir viel Freude bereitet mit ihrer drollig-frechen Art. Ich war froh, dass ich an ihrer Beerdigung teilnehmen konnte, denn an diesem Tag würde ich dienstfrei ha ben. Es war bei uns Brauch, dass alle Schwestern, wenn eben möglich, zu den Beerdigungen gingen, denn nicht selten gab es keine Angehörigen mehr.
Auch Margit war zur Beerdigung erschienen. Sie steuerte gleich auf mich zu, als sie sah, dass ich schon wieder weinte, aber ich wehrte sie ab: »Lass mich doch einfach in Frieden und meine Trauer ausleben. Du kannst das ja ohnehin nicht verstehen!«
Jetzt war es Margit, die grob wurde. »Glaub du ja nicht, dass ich die kleine Alte nicht auch lieb gehabt habe, aber ich habe schließlich noch eine Familie, die mich braucht – so wie deine Kinder, obwohl sie schon erwachsen sind und Kinder haben, dich brauchen. Wenn du dich dermaßen in die einzelnen Schicksale hineinsteigerst, wirst du eines Tages psychisch krank werden und kannst überhaupt nicht mehr arbeiten. Und das ist ja wohl das Letzte, was du möchtest.«
Ich wusste, dass sie es nicht nur gut meinte, sondern vollkommen Recht hatte. Ich durfte mir wirklich nicht alles so sehr zu Herzen nehmen. Vor allem seit dem Tod meines Mannes gab es für mich nur noch das Pflegeheim, und die Zuneigung der Alten half mir über die Leere zu Hause hinweg. So hatte ich auch nichts dagegen, an frei en Tagen zusätzlich einzuspringen, wenn Not am Mann war. Trotzdem stimmte es, was Margit mir vorgehalten hatte – ich durfte nicht übertreiben.
© Rosenheimer Verlagshaus
- Autor: Elfriede Mosenthin
- 2008, 158 Seiten, Maße: 12,1 x 19 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: ROSENHEIMER VERLAGSHAUS
- ISBN-10: 3475537648
- ISBN-13: 9783475537646
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