Schlaf nicht, wenn es dunkel wird
Die Krankenschwester Terry Painter führt ein zurückgezogenes Leben in einer kleinen Stadt in Florida. Nicht selten fühlt sie sich einsam, und so fasst sie eines Tages den Entschluss, ihr Gartenhäuschen zu vermieten. Alison, die junge Frau, die bei ihr...
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Die Krankenschwester Terry Painter führt ein zurückgezogenes Leben in einer kleinen Stadt in Florida. Nicht selten fühlt sie sich einsam, und so fasst sie eines Tages den Entschluss, ihr Gartenhäuschen zu vermieten. Alison, die junge Frau, die bei ihr einzieht, wächst Terry sofort ans Herz, und es entsteht eine liebevolle Freundschaft zwischen den beiden Frauen.
Doch plötzlich beschleicht Terry der entsetzliche Verdacht, dass Alison etwas vor ihr verbirgt - und sie hat immer öfter das beklemmende Gefühl, in ein infames Katz-und-Maus-Spiel geraten zu sein, das ihr den Verstand zu rauben droht.
Joy Fielding, geboren 1945 in Kanada, lebt heute mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Kanada und Florida.
Die Krankenschwester Terry Painter führt ein zurückgezogenes Leben in einer kleinen Stadt in Florida. Nicht selten fühlt sie sich einsam, und so fasst sie eines Tages den Entschluss, ihr Gartenhäuschen zu vermieten. Alison, die junge Frau, die bei ihr einzieht, wächst Terry sofort ans Herz, und es entsteht eine liebevolle Freundschaft zwischen den beiden Frauen. Doch plötzlich beschleicht Terry der entsetzliche Verdacht, dass Alison etwas vor ihr verbirgt - und sie hat immer öfter das beklemmende Gefühl, in ein infames Katz-und-Maus-Spiel geraten zu sein, das ihr den Verstand zu rauben droht ...
"Wenn man dieses Buch einmal in die Hand genommen hat, gibt es kein Entrinnen mehr." -- The New York Times
"Die Handlung steckt so voller Überraschungen, dass der Leser sich bald an keine Gewissheit mehr halten kann. Die beklemmend paranoide Atmosphäre dieses Romans schlägt einen komplett in Bann!" -- Booklist
Schlaf nicht, wenn es dunkel wird von JoyFielding
LESEPROBE
Sie sagte, ihr Name sei Alison Simms.
Die Worte plätscherten zaghaft, beinahe träge über ihre Lippen, so wie Honigvon der Schneide eines Messers tropft. Ihre Stimme war leise, zögernd und einwenig mädchenhaft, obwohl sie einen festen Händedruck hatte und mir direkt indie Augen sah. Das mochte ich. Ich mochte sie, entschied ich beinahe spontan,auch wenn ich bereitwillig zugebe, dass es mit meiner Menschenkenntnis nichtbesonders weit her ist. Trotzdem war mein erster Eindruck von diesererstaunlich großen jungen Frau mit den schulterlangen rotblonden Locken, die imWohnzimmer meines kleinen Hauses vor mir stand und fest meine Hand drückte,positiv. Und der erste Eindruck ist ein bleibender Eindruck, wie meine Mutterimmer zu sagen pflegte.
»Das ist ein wirklich schönes Haus«, sagte Alison eifrig nickend, als wolltesie ihrer eigenen Einschätzung zustimmen, während ihre Blicke bewunderndzwischen dem aufgepolsterten Sofa, den beiden zierlichen Stühlen imQueen-Anne-Stil, den Raffgardinen und dem gemusterten Teppich auf dem hellenHolzboden hin und her wanderten. »Ich liebe Rosa und Malve zusammen. Es istmeine Lieblingsfarbkombination.« Sie verzog den Mund zu einem ungeheuerbreiten, leicht dümmlichen Lächeln, das ich sofort erwidern wollte. »Ich wollteimmer in Rosa und Malve heiraten.«
Ich musste lachen. Als Bemerkung gegenüber jemandem, den man gerade erst kennengelernt hatte, erschienen mir ihre Worte herrlich absurd. Sie lachte mit mir,und ich wies mit der Hand auf das Sofa. Sofort ließ sie sich tief in dieDaunenkissen sinken, sodass ihr blaues Sommerkleid fast in einem Strudel auspink- und malvenfarbenen Blumenmustern versank, und schlug ihre langenschlanken Beine übereinander, während sie ihren übrigen Körper kunstvoll um ihrKnie drapierte und sich zu mir vorbeugte. Ich hockte auf der Kante desgestreiften Stuhls direkt gegenüber und dachte, dass sie mich an einen hübschenrosa Flamingo erinnerte, einen echten, nicht eines dieser schrecklichenPlastikdinger, die in manchen Vorgärten herumstehen. »Sie sind sehr groß«,bemerkte ich wenig originell und dachte, dass sie sich das wahrscheinlich schonihr Leben lang anhörte.
»Ein Meter achtundsiebzig«, bestätigte sie höflich. »Aber ich sehe größer aus.«
»Ja, da haben Sie Recht«, stimmte ich ihr zu, obwohl mir mit meinen knapp einsdreiundsechzig Meter jeder groß vorkommt. »Darf ich Sie fragen, wie alt Siesind?«
»Achtundzwanzig.« Eine feine Röte huschte über ihre Wangen. »Aber ich sehejünger aus.«
»Ja, da haben Sie Recht«, wiederholte ich mich. »Sie haben Glück. Ich habeimmer so alt ausgesehen, wie ich bin.«
»Wie alt sind Sie denn? Das heißt, wenn Sie nichts dagegen haben «
»Was schätzen Sie denn?«
Die unvermittelte Eindringlichkeit ihres Blickes erwischte mich unvorbereitet.Sie musterte mich, als wäre ich ein exotisches Exemplar in einem Labor,eingezwängt zwischen zwei kleinen Glasplättchen unter einem unsichtbarenMikroskop. Der Blick aus ihren klaren grünen Augen bohrte sich tief in meinemüden braunen Augen, bevor er über mein Gesicht wanderte, jede verräterischeFalte registrierte und die Spuren meiner Jahre abwog. Ich mache mir keinegroßen Illusionen. Ich sah mich genauso, wie sie mich sehen musste: eineleidlich attraktive Frau mit ausgeprägten Wangenknochen, großen Brüsten, dazunoch nachlässig frisiert.
»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Vierzig?«
»Genau.« Ich lachte. »Hab ichs Ihnen nicht gesagt?«
Wir verstummten und erstarrten in der warmen Nachmittagssonne, die uns wie einScheinwerfer anstrahlte und in deren Licht kleine Staubkörnchen tanzten wiehunderte winziger Insekten. Sie lächelte, faltete ihre Hände im Schoß, wo dieFinger der einen Hand achtlos mit denen der anderen spielten. Sie trugkeinerlei Ringe und keinen Nagellack, aber ihre Nägel waren lang und gepflegt.Sie war sichtlich nervös. Sie wollte, dass ich sie mochte.
»Hatten Sie Schwierigkeiten herzufinden?«, fragte ich.
»Nein. Ihre Wegbeschreibung war klasse: die Atlanctic Avenue in östlicherRichtung, dann auf der 7th Avenue nach Süden, vorbei an der weißen Kirche,zwischen der 2nd und 3rd Street. Überhaupt kein Problem. Bis auf den Verkehr.Ich wusste gar nicht, dass Delray so belebt ist.«
»Nun, wir haben November«, erinnerte ich sie. »Langsam treffen die Zugvögelein.«
»Die Zugvögel?«
»Die Touristen«, erklärte ich. »Sie sind offensichtlich noch nicht lange inFlorida.«
Sie blickte auf ihre Sandalen. »Ich mag den Läufer. Ganz schön mutig von Ihnen,einen weißen Teppich ins Wohnzimmer zu legen.«
»Eigentlich nicht. Ich habe nur selten Besuch.«
»Ich nehme an, Sie sind beruflich ziemlich eingespannt. Ich dachte immer, dasses toll sein muss, als Krankenschwester zu arbeiten«, meinte sie. »Es istbestimmt eine sehr dankbare Aufgabe.«
Ich lachte. »Dankbar würde mir nicht unbedingt als erstes Wort einfallen.«
»Welches Wort würde Ihnen denn einfallen?«
Sie wirkte ernsthaft neugierig, was ich sowohl erfrischend als auch liebenswertfand. Schon sehr, sehr lange hatte niemand mehr echtes Interesse an mirgezeigt, und so fühlte ich mich geschmeichelt. Gleichzeitig hatte die Frageetwas so rührend Naives, dass ich sie in den Arm nehmen wollte wie eine Mutterihr Kind, ihr sagen wollte, dass alles in Ordnung war, dass sie sich nicht soanstrengen musste, weil das kleine Häuschen in meinem Garten schon ihres war.Die Entscheidung war in dem Moment gefallen, als sie über meine Schwelle trat.
»Mit welchem Wort ich den Beruf einer Krankenschwester beschreiben würde?«,wiederholte ich und grübelte über verschiedenen Möglichkeiten. »Strapaziös«,sagte ich schließlich. »Aufreibend. Aufreizend.«
»Gute Wörter.«
Ich lachte erneut, wie ich es in der kurzen Zeit, seit sie sich in meinem Hausaufhielt, anscheinend ziemlich häufig getan hatte. Ich weiß noch, dass ichdachte, es wäre nett, jemanden um mich zu haben, der mich zum Lachen bringt.»Was machen Sie beruflich?«, fragte ich.
Alison stand auf, ging zum Fenster und starrte auf die breite, von diversenArten Schatten spendender Palmen gesäumte Straße. Bettye McCoy, dritte Frau vonRichard McCoy und gut dreißig Jahre jünger als ihr Gatte, was im Süden Floridaskeine Seltenheit ist, wurde von ihren beiden kleinen weißen Hunden über denBürgersteig gezerrt. Sie trug von Kopf bis Fuß Armani in Creme und hielt in derfreien Hand eine kleine weiße Plastiktüte mit Hundekacke, eine modische Ironie,die der dritten Mrs. McCoy offenbar komplett entging. »Oh, schauen Sie dochmal? Sind die nicht einfach süß? Was sind das, Pudel?«
»Bichons«, sagte ich und trat neben sie. Ich reichte ihr knapp bis ans Kinn.»Die dummen Püppchen der Hundewelt.«
Nun war es an Alison zu lachen, und der Klang erfüllte den Raum und tanztezwischen uns wie die Staubkörnchen in der Sonne. »Aber niedlich sind sie schon.Finden Sie nicht?«
»Niedlich würde mir nicht unbedingt als Erstes einfallen«, erwiderte ich alsbewusstes Echo meiner vorherigen Bemerkung.
Sie lächelte verschwörerisch. »Was würden Ihnen denn einfallen?«
»Lassen Sie mich überlegen.« Ich fand zunehmend Gefallen an dem Spiel. »Jaulig.Nervig. Destruktiv.«
»Destruktiv? Wie kann etwas so Süßes zerstörerisch sein?«
»Vor ein paar Monaten war einer ihrer Hunde in meinem Garten und hat meinenHibiskus ausgegraben. Glauben Sie mir, das war weder süß noch niedlich.« Ichtrat vom Fenster zurück. Dabei fiel mein Blick auf die Silhouette eines Mannes,der sich inmitten der zahlreichen Schatten auf der gegenüberliegendenStraßenecke verbarg. »Wartet jemand auf Sie?«
»Auf mich? Nein. Warum?«
Ich tastete mich vorsichtig wieder nach vorn, doch wenn der Mann je existierthatte, war er samt seinem Schatten verschwunden. Ich blickte die Straßehinunter, doch es war niemand zu sehen.
»Ich dachte, ich hätte jemanden unter dem Baum da drüben stehen sehen«, sagteich und wies mit dem Kinn in die Richtung.
»Ich hab nichts gesehen.«
»Nun, es war wahrscheinlich auch nichts. Möchten Sie eine Tasse Kaffee?«
»Liebend gern.« Sie folgte mir durch den kleinen Essbereich, der im rechtenWinkel an das Wohnzimmer angrenzte, in die vorwiegend in weiß gehaltene Kücheauf der Rückseite des Hauses. »Oh, schau sich das einer an«, rief sieoffensichtlich entzückt und steuerte mit ausgestreckten Armen und eifrigflatternden Fingern auf die Regale zu, die die Wand neben der kleinenFrühstücksecke zierten. »Was ist denn das? Woher haben Sie die?«
Mein Blick streifte die fünfundsechzig Porzellanköpfe, die von den fünfHolzregalen auf uns herabblickten. »Sie heißen Kopfvasen«, erklärte ich.»Meine Mutter hat sie gesammelt. Sie stammen aus den Fünfzigerjahren,hauptsächlich aus Japan. Sie haben Löcher im Kopf, für Blumen vermutlich,obwohl nicht viele hineinpassen. Als sie auf den Markt kamen, waren siehöchstens ein paar Dollar wert.«
»Und jetzt?«
»Angeblich sind sie mittlerweile ziemlich wertvoll. Man bezeichnet sie, glaubeich, als Sammlerstücke.«
»Und wie würden Sie sie bezeichnen?« Ein listiges Lächeln umspielte ihreMundwinkel, während sie gespannt auf meine Antwort wartete.
Diesmal musste ich nicht lange überlegen. »Nippes«, sagte ich knapp.
»Ich finde sie toll«, protestierte sie. »Schauen Sie sich doch mal die Wimpernvon dieser hier an. Oh, und die Ohrringe von dieser. Und die winzigePerlenkette. Oh, und sehen Sie mal die hier. Hat sie nicht einfach einenwunderbaren Gesichtsausdruck?« Behutsam nahm sie einen der Köpfe in die Hand.Die Porzellanfigur war etwa fünfzehn Zentimeter groß mit aufgemalten gewölbtenAugenbrauen, geschürzten roten Lippen, hellbraunen Locken, die unter einempinkweißen Turban hervorquollen, und einer rosafarbenen Rose am Hals. »Sie istnicht so kunstvoll gestaltet wie einige der anderen, aber sie hat einen soüberlegenen Ausdruck, wie eine hochnäsige Matrone der besseren Gesellschaft,die auf alle herabblickt.«
»Sie sieht aus wie meine Mutter«, sagte ich.
Um ein Haar wäre ihr der Porzellankopf aus den Händen geglitten. »O mein Gott,das tut mir Leid.« Rasch stellte sie die Vase wieder auf ihren Platz zwischenzwei rehäugige Mädchen mit Haarbändern. »Ich wollte nicht «
Ich lachte. »Interessant, dass Sie die ausgewählt haben. Es war ihrLieblingsstück. Wie nehmen Sie Ihren Kaffee?«
»Mit Milch und drei Stücken Zucker?«, erwiderte sie, als ob sie sich nicht ganzsicher wäre, während ihre Augen weiter an den Porzellanköpfen hingen.
Ich goss uns beiden einen Becher Kaffee ein, den ich aufgesetzt hatte, als sieaus dem Krankenhaus angerufen und erklärt hatte, dass sie meine Anzeige amSchwarzen Brett neben einem der Schwesternzimmer entdeckt hätte und am liebstensofort vorbeikommen würde.
»Sammelt Ihre Mutter immer noch?«
»Sie ist vor fünf Jahren gestorben.«
»Das tut mir sehr Leid.«
»Mir auch. Ich vermisse sie. Deshalb habe ich es bisher auch nicht übers Herzgebracht, eine ihrer Freundinnen zu verkaufen. Wie wärs mit einem StückKürbis-Preiselbeer-Kuchen?«, wechselte ich das Thema, um nicht trübsinnig zuwerden. »Ich habe ihn erst heute Morgen gebacken.«
»Sie können backen? Jetzt bin ich echt beeindruckt. In der Küche bin ich einhoffnungsloser Fall.«
»Hat Ihre Mutter Ihnen nicht beigebracht, wie man kocht?«
»Unser Verhältnis war nicht gerade das beste.« Alison lächelte, doch es wirkteim Gegensatz zu ihrem sonstigen Lächeln eher gezwungen. »Egal, ich nehme sehrgern ein Stück Kuchen. Preiselbeeren zählen zu meinen absoluten Lieblingssachenauf dieser Welt.«
Ich musste wieder lachen. »Ich glaube nicht, dass ich schon einmal einenMenschen getroffen habe, der so leidenschaftliche Gefühle für Preiselbeerenhegt. Könnten Sie mir ein Messer anreichen?« Ich wies auf den Messerblock, deram anderen Ende der weiß gekachelten Arbeitsplatte stand. Alison zog das ersteMesser heraus, eine dreißig Zentimeter lange Monstrosität mit einer fünfZentimeter breiten, spitz zulaufenden Schneide. »Wow«, sagte ich. »Das ist einbisschen zu mörderisch, finden Sie nicht auch?«
Sie wendete das Messer langsam in der Hand und betrachtete ihr Spiegelbild inder scharfen Klinge, während sie behutsam und für einen Moment gedankenverlorenmit einem Finger über die Schneide strich. Dann bemerkte sie meinen Blick,steckte das Messer eilig zurück, zog eines der kleineren heraus und beobachteteaufmerksam, wie es mühelos durch den großen Kuchen schnitt. Jetzt war es an mirzu staunen, wie sie ihr Stück Kuchen herunterschlang, während sie mirKomplimente über Konsistenz, Leichtigkeit und Geschmack desselben machte. Sieaß hastig und konzentrierte sich wie ein Kind vollständig auf ihren Teller.
Vielleicht hätte ich argwöhnischer sein sollen oder doch zumindestvorsichtiger, vor allem nach der Erfahrung mit meiner letzten Mieterin. Dochwahrscheinlich waren es genau jene Erfahrungen, die mich so empfänglich fürAlisons mädchenhaften Charme machten. Ich wollte wirklich glauben, dass siegenau so war, wie sie sich präsentierte: eine ein wenig naive, liebenswerte,süße junge Frau.
Süß, denke ich heute.
© Goldmann Verlag
Übersetzung: Kristian Lutze
- Autor: Joy Fielding
- 2006, 8. Aufl., 351 Seiten, Maße: 11,5 x 18,2 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Kristian Lutze
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442461731
- ISBN-13: 9783442461738
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