Schrei, wenn die Nacht kommt
Fesselnder Thriller mit Tiefgang.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Schrei, wenn die Nacht kommt “
Fesselnder Thriller mit Tiefgang.
Ihr Wagen steht verlassen und mit laufendem Motor am Straßenrand, ihre Handtasche liegt noch auf dem Beifahrersitz. Lorraine Conner, eine ausgebuffte Detektivin, ist verschwunden, und niemand weiß, was ihr zugestoßen ist. Bis sich der Entführer meldet. Er will Geld, er will Macht, und er will berühmt werden. Und er weiß offenbar genau, wie man all das erreicht. Um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, entführt er auch noch ein Kind. Ein harter Job für Lorraines Mann, selbst FBI-Profiler, der damit vor der gefährlichsten Bewährungsprobe seiner Karriere steht.
Lese-Probe zu „Schrei, wenn die Nacht kommt “
Schrei, wenn die Nacht kommt von Lisa Gardner1
Dienstag, 0:24 Uhr
Sie hat wieder diesen Traum. Sie will ihn nicht haben. Sie kämpft mit dem Laken, wirft den Kopf hin und her, will ihr Traum-Ich daran hindern, die Stufen hinaufzugehen, die Tür zu öffnen, den düsteren Raum zu betreten.
Sie schreckt aus dem Schlaf - einen stummen Schrei auf den Lippen, mit hervorquellenden Augen - und sieht noch immer Dinge, die sie nicht sehen will. Nach und nach kehrt sie in die Wirklichkeit zurück und registriert die grau getünchten Wände, die dunklen Fenster, die leere Betthälfte neben sich.
Sie geht ins Bad, beugt ihren Kopf zum Wasserhahn und trinkt gierig das lauwarme Wasser. Draußen prasselt der Regen hernieder. In diesem November scheint es unaufhörlich zu regnen, aber vielleicht kommt ihr das in ihrem jetzigen Zustand auch nur so vor.
Sie geht in die Küche. Der Zettel liegt noch immer auf dem Tisch. Nach sieben Tagen liest sie ihn nicht mehr, aber sie bringt es auch nicht über sich, ihn wegzuwerfen.
Zeit, den Kühlschrank zu inspizieren: Joghurt, Thunfisch, Ananas, Eier. Sie nimmt die Eier und stellt fest, dass das Haltbarkeitsdatum schon zwei Wochen überschritten ist.
Ach, Mist, dann geht sie eben wieder ins Bett.
Derselbe Traum, dieselben Bilder, derselbe schaurige, markerschütternde Schrei.
Um ein Uhr steht sie endgültig auf. Sie duscht, stöbert nach sauberen Klamotten und mustert dann ihre hagere Gestalt im Spiegel.
»Wie buchstabiert man Versager? R-A-I-N-I-E.«
Dann verlässt sie das Haus und geht zum Auto.
Dienstag, 2:47 Uhr
... mehr
»Das Baby schreit«, murmelte er.
»Wach auf.«
»M-m, Schatz, du bist dran.«
»Carl, Herrgott noch mal. Es ist das Telefon, nicht das Baby, und es ist für dich. Wach auf!«
Carlton Kincaid erhielt von seiner Frau Tina einen unsanften Stoß zwischen die Rippen, dann warf sie ihm das Telefon hin, schlüpfte wieder ins Bett und zog sich die Daunendecke über den Kopf. Tina war kein Mitten-in-der-Nacht-Mensch.
Kincaid dummerweise auch nicht. Als Sergeant Detective bei der Staatspolizei von Oregon, der in Portland im Dezernat für Schwerverbrechen tätig war, sollte er eigentlich auf solche Anrufe vorbereitet sein. Sich intelligent anhören. Womöglich autoritär. Aber Kincaid hatte seit fast acht Monaten keine Nacht mehr durchgeschlafen, und das saß ihm in den Knochen. Er blickte mehr als verärgert auf das Telefon. Was konnte so dringend sein ...?
Er setzte sich auf und versuchte, munter zu klingen. »Hallo.«
Der Anrufer war einer von seinen Leuten. Er war von einem Deputy der Bezirkspolizei kontaktiert worden, nachdem dieser an einer Landstraße in Tillamook County ein herrenloses Fahrzeug gefunden hatte. Von der Fahrerin fehlte jede Spur, sowohl am Fundort des Wagens als auch an ihrer offiziellen Wohnanschrift.
»Steht das Auto auf öffentlichem oder privatem Gelände?« »Keine Ahnung.«
»Finden Sie's heraus. Falls es ein Privatgrund ist, brauchen wir die Zustimmung des Besitzers, um das Gelände abzusuchen. Danach kontaktieren Sie die Staatsanwaltschaft; wir brauchen einen Durchsuchungsbeschluss für das Auto. Wecken Sie den Staatsanwalt, und riegeln Sie den Fundort ab. Ich bin in ... « - Kincaid sah auf seine Uhr - »fünfundfünfzig Minuten dort.«
»Ja, Sir.«
Der Trooper legte auf, und Kincaid machte sich fertig. Kincaid war seit zwölf Jahren bei der Staatspolizei von Oregon, kurz OSP. Er hatte als einfacher Trooper angefangen, einige Zeit in einer Sonderkommission für Bandenkriminalität gearbeitet und war dann ins Dezernat für Schwerverbrechen gewechselt. Nebenbei hatte er sich eine wunderschöne Frau, einen großen schwarzen Hund und, vor acht Monaten, einen quirligen Jungen zugelegt. In seinem Leben verlief alles nach Plan, was bedeutete, dass seit über einem halben Jahr weder er noch seine Frau durchgeschlafen oder in Ruhe gegessen hatte.
Kinder hielten einen ganz schön auf Trab.
Seine Abteilung auch.
Draußen regnete es in Strömen. Ausgerechnet in so einer Nacht musste man ihn rausrufen! Er hatte noch zwei komplette Anziehgarnituren im Kofferraum seines Dienstwagens. Die würden heute Nacht gerade mal jeweils eine halbe Stunde reichen. Mist. Er blickte sich sehnsüchtig zum Bett um und wünschte sich, es wäre doch das Baby gewesen.
Mechanisch fing er an, Sachen aus der Kommode zu nehmen und sich anzuziehen. Er war gerade dabei, sein Hemd zuzuknöpfen, als seine Frau sich seufzend im Bett aufsetzte.
»Was Schlimmes?«, flüsterte sie.
»Keine Ahnung. Ein herrenloses Auto drüben in Bakersville.«
»Was hat das mit dir zu tun?«
»Die Fahrertür steht offen, der Motor läuft, und auf dem Beifahrersitz liegt eine Handtasche.«
Sie runzelte die Stirn. »Seltsam.«
»Ja, seltsam.«
»Ich hasse seltsame Fälle, Liebling.«
Kincaid zog seinen Sportmantel an, ging ans Bett und gab seiner Frau einen dicken Kuss auf die Wange. »Schlaf weiter, mein Schatz. Ich liebe dich.«
Dienstag, 1:14 Uhr
Sie kann nicht das Geringste sehen. Die Scheibenwischer sausen auf höchster Stufe über die Windschutzscheibe. Es bringt nichts. Der Regen lässt einfach nicht nach. Eine Kurve. Einen Tick zu spät reißt sie das Lenkrad herum und gerät prompt ins Schleudern.
Ihr Atem geht schwer. Sie hat Schluckauf. Weint sie? Schwer zu sagen, aber glücklicherweise ist sie ja allein.
Sie nimmt den Fuß vom Gas und lenkt das Auto vorsichtig in die richtige Spur zurück. Es hat Vorteile, so spät in der Nacht unterwegs zu sein. Es ist sonst niemand auf der Straße, der für ihre Fehler büßen muss.
Sie weiß, wo sie hinfährt, gesteht es sich aber nicht ein. Darüber nachzudenken hieße, eine bewusste Entscheidung zu treffen, die wiederum nur allzu deutlich machen würde, dass sie ein Problem hat. Also stellt sie einfach fest, dass sie auf den Kiesparkplatz der Toasted Lab Tavern einbiegt. Dort stehen bereits fünf, sechs Fahrzeuge, hauptsächlich Pickup-Trucks mit geräumigen Führerhäusern. Der harte Kern, denkt sie. In einer Nacht wie dieser muss man zum harten Kern gehören, um aus dem Haus zu gehen.
Was macht sie hier bloß?
Sie bleibt im Auto sitzen und umklammert das Lenkrad. Sie beginnt zu zittern. Ihr Mund füllt sich mit Speichel. In Gedanken ist sie bereits beim ersten Schluck Bier.
Einen Augenblick lang ist sie unschlüssig.
Fahr nach Hause, Rainie. Geh ins Bett, schau fern, lies ein Buch. Tu etwas, irgendetwas, nur nicht das hier.
Sie zittert stärker, ihr gesamter Körper wird von Krämpfen geschüttelt, während sie sich über das Lenkrad beugt.
Wenn sie nach Hause geht, wird sie einschlafen. Und wenn sie einschläft ...
Geh NICHT diese Stufen hinauf. Mach diese Tür NICHT auf. Schau NICHT in den düsteren Raum.
In ihr herrscht totale Finsternis. Sie möchte ein normaler Mensch sein. Sie möchte stark, psychisch gesund und voller Energie sein. Aber meistens ist da nur diese Dunkelheit in ihrem Kopf. Vor vier Wochen fing es an, als sich von den Rändern ihres Gehirns her langsam diese Finsternis breit machte. Jetzt verzehrt es sie. Sie ist in einen Abgrund gefallen und sieht kein Licht mehr.
Rainie hört ein Geräusch.
Sie reißt den Kopf hoch.
Vor ihr löst sich plötzlich eine dunkle Gestalt aus dem strömenden Regen. Sie schreit nicht, sondern greift nach ihrer Waffe.
Der betrunkene Cowboy schlurft an ihr vorbei, ahnungslos, dass es ihm beinahe an den Kragen gegangen wäre.
Rainie legt ihre Glock wieder auf den Beifahrersitz. Das Zittern hat aufgehört. Ihre Augen sind weit aufgerissen. Ihr Gesichtsausdruck ist grimmig. Eiskalt, fast irr, was noch viel, viel schlimmer ist.
Sie legt den Gang ein und verlässt den Parkplatz.
Dienstag, 3:35 Uhr
Bakersville war eine kleine Küstenstadt in Oregon, genau in der Mitte des Tillamook County, eingeschmiegt in die schattigen Mulden des hohen Küstengebirges. Der Bezirk hatte unzählige Hektar saftig grüner Milchfarmen, meilenlange Felsenstrände und, aus der Sicht eines Detectives, ein wachsendes Methamphetamin-Problem. Es war ganz nett, wenn man urige Kneipen und Käse mochte. Aber sonst gab es hier nicht viel zu tun, und das wussten die hiesigen Kids nur allzu gut.
Normalerweise hätte Kincaid fünfzig Minuten nach Bakersville gebraucht. Aber in einer Nacht wie dieser, bei einer Sichtweite von unter einem Meter, nassen Bergpässen und wild peitschendem Regen, dauerte die Fahrt eineinviertel Stunden. Als er an dem hell erleuchteten Fundort eintraf, fühlte er sich bereits im Hintertreffen.
Die gute Nachricht war, dass die Polizisten, die als Erste vor Ort gewesen waren, saubere Arbeit geleistet hatten. Drei strategisch platzierte Scheinwerfer bohrten ihre grellen Lichtkegel in den Schnürregen. Das gelbe Polizeiabsperrband sicherte einen relativ großen Bereich, an dessen Rand sich ein dichter Saum von Fahrzeugen befand.
Neben dem Geländewagen eines Deputys und dem des Sheriffs sah Kincaid einen schnittigen schwarzen SUV mit allem Schnickschnack - der musste dem Staatsanwalt gehören. Falls eine größere Suchaktion vonnöten wäre, brauchten sie noch mehr Leute. Außerdem müssten sie die Spurensicherung rufen. aber diese Entscheidungen würde er, Kincaid, treffen müssen.
Eine Stunde und vierzig Minuten nach der ersten Meldung waren sie noch immer nicht weiter gekommen: Lag hier überhaupt ein Verbrechen vor? Ja oder nein? Die meisten Steuerzahler würden wahrscheinlich meinen, dass die Polizei in solchen Situationen gleich den gesamten Apparat auffuhr: die Forensiker verständigte, die Nationalgarde anforderte, die Hubschrauber einfliegen ließ. Nun, eben diese Steuerzahler kürzten der OSP immer mehr Mittel, sodass Kincaid statt der ursprünglich vierzehn Stellen momentan noch dreieinhalb zur Verfügung standen. Im wahren Leben haftete an allen Entscheidungen der Polizei ein Preisschild. Wie man es auch drehte und wendete: dieser Tage agierte er auf Sparflamme.
Kincaid hielt hinter dem riesigen schwarzen Chevy Tahoe und stellte den Motor ab. Es ließ sich nicht vermeiden: Er musste aussteigen.
Der Regen klatschte ihm frontal ins Gesicht. Er blieb einen Augenblick stehen, um den Wasserschwall über sich ergehen zu lassen. Dann waren seine Haare klatschnass, das Wasser tropfte in den Kragen seines Regenmantels, und das Schlimmste war vorbei. Jetzt musste er sich nicht länger darüber sorgen, patschnass und schmutzig zu werden, weil es schon passiert war.
Kincaid stapfte zum Kofferraum seines Chevy Impala, holte den riesigen Plastikbehälter heraus, in dem sich sein Spurensicherungskoffer befand, und schlüpfte unter dem Absperrband hindurch.
Trooper Blaney kam in seinen schwarzen Springerstiefeln durch den aufspritzenden Schlamm heranmarschiert. Vorschriftsgemäß trug er die komplette Regenausrüstung der Polizei, einschließlich der schwarzblauen OSP-Jacke, die wie eine schlecht geratene Motorradjacke aussah. Niemand fand wirklich Gefallen an der Jacke. Kincaid hatte seine im Kofferraum verstaut, für den seltenen Fall, dass jemand von der Presse - oder ein Vorgesetzter - anwesend war.
Blaney war offensichtlich schon eine ganze Weile im Freien. Im grellen Scheinwerferlicht glänzte seine regennasse Jacke wie ein Spiegel, und unter seinem breitkrempigen Hut strömte ihm das Wasser über das kantige Gesicht und tropfte von seiner Nase. Er streckte Kincaid die Hand entgegen.
Kincaid schüttelte sie. »Trooper.«
»Sergeant.«
Hinter dem Trooper war der Bezirkssheriff mitsamt einem Deputy herangekommen. Blaney stellte sie einander vor, während sie zähneklappernd im Regen standen und ihre Arme fest an den Körper pressten, um sich zu wärmen.
Deputy Dan Mitchell war als Erster vor Ort gewesen. Er war noch jung und stammte aus einer Farmerfamilie, gab sich aber Mühe. Die Sache hatte ihm nicht gefallen - die offene Tür, die eingeschalteten Scheinwerfer, der laufende Motor. Wie in einem Hollywoodfilm. Also hatte er Sheriff Atkins angerufen, der verständlicherweise nicht begeistert gewesen war, in so einer Nacht aus dem Bett geholt zu werden.
Der Sheriff war eine Überraschung. Zum einen entpuppte er sich als eine Sie - gestatten, Sheriff Shelly Atkins. Zum anderen hatte sie einen festen Händedruck, einen direkten Blick und ganz offensichtlich keine Lust, um den heißen Brei herumzureden.
»Hören Sie«, unterbrach sie den Deputy, der voller Elan seinen Bericht herunterrasselte. »Tom wartet.« Sie zeigte mit dem Kopf auf den Staatsanwalt, der, wie Kincaid erst jetzt sah, in seinem Geländewagen saß. »Wir haben einen Durchsuchungsbeschluss für das Auto, und wir haben uns auf Anweisung Ihres Troopers erkundigt, dass wir uns hier auf öffentlichem Grund und Boden befinden. Keine Ahnung, was hier passiert ist, aber jemand hat dieses Auto überstürzt verlassen, und das macht mir Sorgen. Also fangen wir an, sonst haben wir bald nur noch einen Haufen durchweichter Polizeiberichte.«
Das leuchtete allen ein, und so bewegte sich das Grüppchen vorsichtig auf die offene Autotür zu.
Das Fahrzeug war ein weißer Toyota Camry neueren Datums mit blauen Stoffbezügen. Ganz nett, aber nicht luxuriös. Das Auto war bewusst an den Straßenrand gelenkt worden. Zu seiner Linken befand sich die kurvige Landstraße. Rechts führte ein steiler Hang hinauf in einen nebelverhangenen Wald.
Wie der Trooper schon am Telefon gesagt hatte, stand die Fahrertür weit offen, sodass sie auf dem Asphalt aufsetzte. Kincaids erster Gedanke war, dass die meisten Leute die Autotür nicht so weit öffneten. Vielleicht, wenn jemand wirklich lange Beine hatte. Oder ein Auto be- oder entlud.
Das sollte man im Hinterkopf behalten.
Kincaid konnte eine braune Lederhandtasche auf dem Beifahrersitz erkennen. »Haben Sie sich die Handtasche schon näher angeschaut?«, fragte er in die Runde.
»Ich habe sie in die Hand genommen.« Deputy Mitchell klang defensiv. »Um nach einem Ausweis zu suchen. Ich meine, es war so seltsam, das eingeschaltete Licht, der laufende Motor, die offene Tür. Irgendwo musste ich ja anfangen.«
»Haben Sie eine Geldbörse gefunden?«
»Nein, Sir. Aber im Handschuhfach waren die Kfz-Papiere. Daher weiß ich den Namen.«
»War die Handtasche leer?«
»Nein, Sir. Haufenweise Zeugs - Kosmetika, Stifte, ein PalmPilot etc. Aber keine Geldbörse. Ich habe die Handtasche wieder genauso hingelegt, wie ich sie gefunden habe. Sonst habe ich nichts angefasst - ich schwör's.«
»Bis auf das Handschuhfach«, sagte Kincaid sanft, aber er war nicht wirklich wütend. Der Deputy hatte recht - irgendwo musste man anfangen.
Der Trooper hatte den Motor ausgeschaltet, damit sie nachvollziehen konnten, wie viel Benzin noch im Tank war. Aber der Motor lief noch, als Deputy Mitchell das Fahrzeug gefunden hatte, und auf den ersten Blick schien auch mit den Reifen alles in Ordnung zu sein. Es sah also nicht danach aus, als hätte der Wagen wegen technischer Probleme angehalten.
Kincaid überprüfte die hintere Stoßstange. Keine Beulen oder Kratzer, allerdings ließ sich das bei der Nässe schwer sehen. Er unternahm einen halbherzigen Versuch, nach anderen Reifen- oder Fußspuren zu suchen. Der Regen hatte den Boden total aufgeweicht und schlammige Pfützen hinterlassen. Sheriff Atkins hatte sie zu Recht zur Eile angetrieben, aber so wie es aussah, waren sie dennoch zu spät dran.
Als Nächstes inspizierte er das Wageninnere, wobei er aufpasste, nichts anzufassen.
»Eine Frau?«, fragte er.
»Nach den Zulassungspapieren ja«, sagte Trooper Blaney. »Lorraine Conner aus Bakersville. Sheriff Atkins hat einen Deputy zu ihrer Adresse geschickt. Es war niemand zu Hause.«
»Haben wir eine Beschreibung?«
»Laut den Unterlagen des Straßenverkehrsamtes ist sie eins siebzig groß, wiegt fünfundfünfzig Kilo, braune Haare, blaue Augen.«
Kincaid musterte Sheriff Atkins.
»Ein Meter achtundsechzig«, sagte sie. »Ich wollte nichts anfassen, aber die Sitzeinstellung würde passen.«
Kincaid stimmte ihr zu. Der Sitz war ziemlich dicht am Lenkrad. Er würde natürlich auch die Spiegel und die Lenksäule überprüfen müssen, aber erst musste die Spurensicherung ihre Arbeit machen. Nach Auskunft von Blaney war der Tank noch halb voll; sie würden zur Sicherheit die umliegenden Tankstellen abklappern, aber es war eher unwahrscheinlich, dass Lorraine dort noch getankt hatte.
Kincaid richtete sich auf und blinzelte in den Regen, während sein Gehirn zu arbeiten begann.
Er hatte die ersten drei Dienstjahre als Trooper an der Küste gearbeitet. Es überraschte ihn, wie oft seine Berichte mit dem Fund eines herrenlosen Fahrzeugs begonnen hatten. Das Meer schien die Leute anzuziehen, so als hätte es ihnen zum Abschied noch etwas zu sagen. Also fuhren sie an die Küste, um sich ein letztes Mal den tollen Sonnenuntergang anzusehen. Dann verriegelten sie ihr Auto, verschwanden im Wald und pusteten sich das Gehirn raus.
Aber in all den Jahren hatte er es noch nicht erlebt, dass sich jemand von einem Fahrzeug mit eingeschaltetem Motor, laufenden Scheibenwischern und aufgeblendeten Scheinwerfern entfernt hatte.
Deputy Mitchell hatte recht. So etwas gab es nur in Hollywood. Irgendetwas stimmte nicht.
»In Ordnung«, sagte Kincaid. »Machen wir den Kofferraum auf.«
...
Übersetzung: Manuela Thurner
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2007 by
Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
»Das Baby schreit«, murmelte er.
»Wach auf.«
»M-m, Schatz, du bist dran.«
»Carl, Herrgott noch mal. Es ist das Telefon, nicht das Baby, und es ist für dich. Wach auf!«
Carlton Kincaid erhielt von seiner Frau Tina einen unsanften Stoß zwischen die Rippen, dann warf sie ihm das Telefon hin, schlüpfte wieder ins Bett und zog sich die Daunendecke über den Kopf. Tina war kein Mitten-in-der-Nacht-Mensch.
Kincaid dummerweise auch nicht. Als Sergeant Detective bei der Staatspolizei von Oregon, der in Portland im Dezernat für Schwerverbrechen tätig war, sollte er eigentlich auf solche Anrufe vorbereitet sein. Sich intelligent anhören. Womöglich autoritär. Aber Kincaid hatte seit fast acht Monaten keine Nacht mehr durchgeschlafen, und das saß ihm in den Knochen. Er blickte mehr als verärgert auf das Telefon. Was konnte so dringend sein ...?
Er setzte sich auf und versuchte, munter zu klingen. »Hallo.«
Der Anrufer war einer von seinen Leuten. Er war von einem Deputy der Bezirkspolizei kontaktiert worden, nachdem dieser an einer Landstraße in Tillamook County ein herrenloses Fahrzeug gefunden hatte. Von der Fahrerin fehlte jede Spur, sowohl am Fundort des Wagens als auch an ihrer offiziellen Wohnanschrift.
»Steht das Auto auf öffentlichem oder privatem Gelände?« »Keine Ahnung.«
»Finden Sie's heraus. Falls es ein Privatgrund ist, brauchen wir die Zustimmung des Besitzers, um das Gelände abzusuchen. Danach kontaktieren Sie die Staatsanwaltschaft; wir brauchen einen Durchsuchungsbeschluss für das Auto. Wecken Sie den Staatsanwalt, und riegeln Sie den Fundort ab. Ich bin in ... « - Kincaid sah auf seine Uhr - »fünfundfünfzig Minuten dort.«
»Ja, Sir.«
Der Trooper legte auf, und Kincaid machte sich fertig. Kincaid war seit zwölf Jahren bei der Staatspolizei von Oregon, kurz OSP. Er hatte als einfacher Trooper angefangen, einige Zeit in einer Sonderkommission für Bandenkriminalität gearbeitet und war dann ins Dezernat für Schwerverbrechen gewechselt. Nebenbei hatte er sich eine wunderschöne Frau, einen großen schwarzen Hund und, vor acht Monaten, einen quirligen Jungen zugelegt. In seinem Leben verlief alles nach Plan, was bedeutete, dass seit über einem halben Jahr weder er noch seine Frau durchgeschlafen oder in Ruhe gegessen hatte.
Kinder hielten einen ganz schön auf Trab.
Seine Abteilung auch.
Draußen regnete es in Strömen. Ausgerechnet in so einer Nacht musste man ihn rausrufen! Er hatte noch zwei komplette Anziehgarnituren im Kofferraum seines Dienstwagens. Die würden heute Nacht gerade mal jeweils eine halbe Stunde reichen. Mist. Er blickte sich sehnsüchtig zum Bett um und wünschte sich, es wäre doch das Baby gewesen.
Mechanisch fing er an, Sachen aus der Kommode zu nehmen und sich anzuziehen. Er war gerade dabei, sein Hemd zuzuknöpfen, als seine Frau sich seufzend im Bett aufsetzte.
»Was Schlimmes?«, flüsterte sie.
»Keine Ahnung. Ein herrenloses Auto drüben in Bakersville.«
»Was hat das mit dir zu tun?«
»Die Fahrertür steht offen, der Motor läuft, und auf dem Beifahrersitz liegt eine Handtasche.«
Sie runzelte die Stirn. »Seltsam.«
»Ja, seltsam.«
»Ich hasse seltsame Fälle, Liebling.«
Kincaid zog seinen Sportmantel an, ging ans Bett und gab seiner Frau einen dicken Kuss auf die Wange. »Schlaf weiter, mein Schatz. Ich liebe dich.«
Dienstag, 1:14 Uhr
Sie kann nicht das Geringste sehen. Die Scheibenwischer sausen auf höchster Stufe über die Windschutzscheibe. Es bringt nichts. Der Regen lässt einfach nicht nach. Eine Kurve. Einen Tick zu spät reißt sie das Lenkrad herum und gerät prompt ins Schleudern.
Ihr Atem geht schwer. Sie hat Schluckauf. Weint sie? Schwer zu sagen, aber glücklicherweise ist sie ja allein.
Sie nimmt den Fuß vom Gas und lenkt das Auto vorsichtig in die richtige Spur zurück. Es hat Vorteile, so spät in der Nacht unterwegs zu sein. Es ist sonst niemand auf der Straße, der für ihre Fehler büßen muss.
Sie weiß, wo sie hinfährt, gesteht es sich aber nicht ein. Darüber nachzudenken hieße, eine bewusste Entscheidung zu treffen, die wiederum nur allzu deutlich machen würde, dass sie ein Problem hat. Also stellt sie einfach fest, dass sie auf den Kiesparkplatz der Toasted Lab Tavern einbiegt. Dort stehen bereits fünf, sechs Fahrzeuge, hauptsächlich Pickup-Trucks mit geräumigen Führerhäusern. Der harte Kern, denkt sie. In einer Nacht wie dieser muss man zum harten Kern gehören, um aus dem Haus zu gehen.
Was macht sie hier bloß?
Sie bleibt im Auto sitzen und umklammert das Lenkrad. Sie beginnt zu zittern. Ihr Mund füllt sich mit Speichel. In Gedanken ist sie bereits beim ersten Schluck Bier.
Einen Augenblick lang ist sie unschlüssig.
Fahr nach Hause, Rainie. Geh ins Bett, schau fern, lies ein Buch. Tu etwas, irgendetwas, nur nicht das hier.
Sie zittert stärker, ihr gesamter Körper wird von Krämpfen geschüttelt, während sie sich über das Lenkrad beugt.
Wenn sie nach Hause geht, wird sie einschlafen. Und wenn sie einschläft ...
Geh NICHT diese Stufen hinauf. Mach diese Tür NICHT auf. Schau NICHT in den düsteren Raum.
In ihr herrscht totale Finsternis. Sie möchte ein normaler Mensch sein. Sie möchte stark, psychisch gesund und voller Energie sein. Aber meistens ist da nur diese Dunkelheit in ihrem Kopf. Vor vier Wochen fing es an, als sich von den Rändern ihres Gehirns her langsam diese Finsternis breit machte. Jetzt verzehrt es sie. Sie ist in einen Abgrund gefallen und sieht kein Licht mehr.
Rainie hört ein Geräusch.
Sie reißt den Kopf hoch.
Vor ihr löst sich plötzlich eine dunkle Gestalt aus dem strömenden Regen. Sie schreit nicht, sondern greift nach ihrer Waffe.
Der betrunkene Cowboy schlurft an ihr vorbei, ahnungslos, dass es ihm beinahe an den Kragen gegangen wäre.
Rainie legt ihre Glock wieder auf den Beifahrersitz. Das Zittern hat aufgehört. Ihre Augen sind weit aufgerissen. Ihr Gesichtsausdruck ist grimmig. Eiskalt, fast irr, was noch viel, viel schlimmer ist.
Sie legt den Gang ein und verlässt den Parkplatz.
Dienstag, 3:35 Uhr
Bakersville war eine kleine Küstenstadt in Oregon, genau in der Mitte des Tillamook County, eingeschmiegt in die schattigen Mulden des hohen Küstengebirges. Der Bezirk hatte unzählige Hektar saftig grüner Milchfarmen, meilenlange Felsenstrände und, aus der Sicht eines Detectives, ein wachsendes Methamphetamin-Problem. Es war ganz nett, wenn man urige Kneipen und Käse mochte. Aber sonst gab es hier nicht viel zu tun, und das wussten die hiesigen Kids nur allzu gut.
Normalerweise hätte Kincaid fünfzig Minuten nach Bakersville gebraucht. Aber in einer Nacht wie dieser, bei einer Sichtweite von unter einem Meter, nassen Bergpässen und wild peitschendem Regen, dauerte die Fahrt eineinviertel Stunden. Als er an dem hell erleuchteten Fundort eintraf, fühlte er sich bereits im Hintertreffen.
Die gute Nachricht war, dass die Polizisten, die als Erste vor Ort gewesen waren, saubere Arbeit geleistet hatten. Drei strategisch platzierte Scheinwerfer bohrten ihre grellen Lichtkegel in den Schnürregen. Das gelbe Polizeiabsperrband sicherte einen relativ großen Bereich, an dessen Rand sich ein dichter Saum von Fahrzeugen befand.
Neben dem Geländewagen eines Deputys und dem des Sheriffs sah Kincaid einen schnittigen schwarzen SUV mit allem Schnickschnack - der musste dem Staatsanwalt gehören. Falls eine größere Suchaktion vonnöten wäre, brauchten sie noch mehr Leute. Außerdem müssten sie die Spurensicherung rufen. aber diese Entscheidungen würde er, Kincaid, treffen müssen.
Eine Stunde und vierzig Minuten nach der ersten Meldung waren sie noch immer nicht weiter gekommen: Lag hier überhaupt ein Verbrechen vor? Ja oder nein? Die meisten Steuerzahler würden wahrscheinlich meinen, dass die Polizei in solchen Situationen gleich den gesamten Apparat auffuhr: die Forensiker verständigte, die Nationalgarde anforderte, die Hubschrauber einfliegen ließ. Nun, eben diese Steuerzahler kürzten der OSP immer mehr Mittel, sodass Kincaid statt der ursprünglich vierzehn Stellen momentan noch dreieinhalb zur Verfügung standen. Im wahren Leben haftete an allen Entscheidungen der Polizei ein Preisschild. Wie man es auch drehte und wendete: dieser Tage agierte er auf Sparflamme.
Kincaid hielt hinter dem riesigen schwarzen Chevy Tahoe und stellte den Motor ab. Es ließ sich nicht vermeiden: Er musste aussteigen.
Der Regen klatschte ihm frontal ins Gesicht. Er blieb einen Augenblick stehen, um den Wasserschwall über sich ergehen zu lassen. Dann waren seine Haare klatschnass, das Wasser tropfte in den Kragen seines Regenmantels, und das Schlimmste war vorbei. Jetzt musste er sich nicht länger darüber sorgen, patschnass und schmutzig zu werden, weil es schon passiert war.
Kincaid stapfte zum Kofferraum seines Chevy Impala, holte den riesigen Plastikbehälter heraus, in dem sich sein Spurensicherungskoffer befand, und schlüpfte unter dem Absperrband hindurch.
Trooper Blaney kam in seinen schwarzen Springerstiefeln durch den aufspritzenden Schlamm heranmarschiert. Vorschriftsgemäß trug er die komplette Regenausrüstung der Polizei, einschließlich der schwarzblauen OSP-Jacke, die wie eine schlecht geratene Motorradjacke aussah. Niemand fand wirklich Gefallen an der Jacke. Kincaid hatte seine im Kofferraum verstaut, für den seltenen Fall, dass jemand von der Presse - oder ein Vorgesetzter - anwesend war.
Blaney war offensichtlich schon eine ganze Weile im Freien. Im grellen Scheinwerferlicht glänzte seine regennasse Jacke wie ein Spiegel, und unter seinem breitkrempigen Hut strömte ihm das Wasser über das kantige Gesicht und tropfte von seiner Nase. Er streckte Kincaid die Hand entgegen.
Kincaid schüttelte sie. »Trooper.«
»Sergeant.«
Hinter dem Trooper war der Bezirkssheriff mitsamt einem Deputy herangekommen. Blaney stellte sie einander vor, während sie zähneklappernd im Regen standen und ihre Arme fest an den Körper pressten, um sich zu wärmen.
Deputy Dan Mitchell war als Erster vor Ort gewesen. Er war noch jung und stammte aus einer Farmerfamilie, gab sich aber Mühe. Die Sache hatte ihm nicht gefallen - die offene Tür, die eingeschalteten Scheinwerfer, der laufende Motor. Wie in einem Hollywoodfilm. Also hatte er Sheriff Atkins angerufen, der verständlicherweise nicht begeistert gewesen war, in so einer Nacht aus dem Bett geholt zu werden.
Der Sheriff war eine Überraschung. Zum einen entpuppte er sich als eine Sie - gestatten, Sheriff Shelly Atkins. Zum anderen hatte sie einen festen Händedruck, einen direkten Blick und ganz offensichtlich keine Lust, um den heißen Brei herumzureden.
»Hören Sie«, unterbrach sie den Deputy, der voller Elan seinen Bericht herunterrasselte. »Tom wartet.« Sie zeigte mit dem Kopf auf den Staatsanwalt, der, wie Kincaid erst jetzt sah, in seinem Geländewagen saß. »Wir haben einen Durchsuchungsbeschluss für das Auto, und wir haben uns auf Anweisung Ihres Troopers erkundigt, dass wir uns hier auf öffentlichem Grund und Boden befinden. Keine Ahnung, was hier passiert ist, aber jemand hat dieses Auto überstürzt verlassen, und das macht mir Sorgen. Also fangen wir an, sonst haben wir bald nur noch einen Haufen durchweichter Polizeiberichte.«
Das leuchtete allen ein, und so bewegte sich das Grüppchen vorsichtig auf die offene Autotür zu.
Das Fahrzeug war ein weißer Toyota Camry neueren Datums mit blauen Stoffbezügen. Ganz nett, aber nicht luxuriös. Das Auto war bewusst an den Straßenrand gelenkt worden. Zu seiner Linken befand sich die kurvige Landstraße. Rechts führte ein steiler Hang hinauf in einen nebelverhangenen Wald.
Wie der Trooper schon am Telefon gesagt hatte, stand die Fahrertür weit offen, sodass sie auf dem Asphalt aufsetzte. Kincaids erster Gedanke war, dass die meisten Leute die Autotür nicht so weit öffneten. Vielleicht, wenn jemand wirklich lange Beine hatte. Oder ein Auto be- oder entlud.
Das sollte man im Hinterkopf behalten.
Kincaid konnte eine braune Lederhandtasche auf dem Beifahrersitz erkennen. »Haben Sie sich die Handtasche schon näher angeschaut?«, fragte er in die Runde.
»Ich habe sie in die Hand genommen.« Deputy Mitchell klang defensiv. »Um nach einem Ausweis zu suchen. Ich meine, es war so seltsam, das eingeschaltete Licht, der laufende Motor, die offene Tür. Irgendwo musste ich ja anfangen.«
»Haben Sie eine Geldbörse gefunden?«
»Nein, Sir. Aber im Handschuhfach waren die Kfz-Papiere. Daher weiß ich den Namen.«
»War die Handtasche leer?«
»Nein, Sir. Haufenweise Zeugs - Kosmetika, Stifte, ein PalmPilot etc. Aber keine Geldbörse. Ich habe die Handtasche wieder genauso hingelegt, wie ich sie gefunden habe. Sonst habe ich nichts angefasst - ich schwör's.«
»Bis auf das Handschuhfach«, sagte Kincaid sanft, aber er war nicht wirklich wütend. Der Deputy hatte recht - irgendwo musste man anfangen.
Der Trooper hatte den Motor ausgeschaltet, damit sie nachvollziehen konnten, wie viel Benzin noch im Tank war. Aber der Motor lief noch, als Deputy Mitchell das Fahrzeug gefunden hatte, und auf den ersten Blick schien auch mit den Reifen alles in Ordnung zu sein. Es sah also nicht danach aus, als hätte der Wagen wegen technischer Probleme angehalten.
Kincaid überprüfte die hintere Stoßstange. Keine Beulen oder Kratzer, allerdings ließ sich das bei der Nässe schwer sehen. Er unternahm einen halbherzigen Versuch, nach anderen Reifen- oder Fußspuren zu suchen. Der Regen hatte den Boden total aufgeweicht und schlammige Pfützen hinterlassen. Sheriff Atkins hatte sie zu Recht zur Eile angetrieben, aber so wie es aussah, waren sie dennoch zu spät dran.
Als Nächstes inspizierte er das Wageninnere, wobei er aufpasste, nichts anzufassen.
»Eine Frau?«, fragte er.
»Nach den Zulassungspapieren ja«, sagte Trooper Blaney. »Lorraine Conner aus Bakersville. Sheriff Atkins hat einen Deputy zu ihrer Adresse geschickt. Es war niemand zu Hause.«
»Haben wir eine Beschreibung?«
»Laut den Unterlagen des Straßenverkehrsamtes ist sie eins siebzig groß, wiegt fünfundfünfzig Kilo, braune Haare, blaue Augen.«
Kincaid musterte Sheriff Atkins.
»Ein Meter achtundsechzig«, sagte sie. »Ich wollte nichts anfassen, aber die Sitzeinstellung würde passen.«
Kincaid stimmte ihr zu. Der Sitz war ziemlich dicht am Lenkrad. Er würde natürlich auch die Spiegel und die Lenksäule überprüfen müssen, aber erst musste die Spurensicherung ihre Arbeit machen. Nach Auskunft von Blaney war der Tank noch halb voll; sie würden zur Sicherheit die umliegenden Tankstellen abklappern, aber es war eher unwahrscheinlich, dass Lorraine dort noch getankt hatte.
Kincaid richtete sich auf und blinzelte in den Regen, während sein Gehirn zu arbeiten begann.
Er hatte die ersten drei Dienstjahre als Trooper an der Küste gearbeitet. Es überraschte ihn, wie oft seine Berichte mit dem Fund eines herrenlosen Fahrzeugs begonnen hatten. Das Meer schien die Leute anzuziehen, so als hätte es ihnen zum Abschied noch etwas zu sagen. Also fuhren sie an die Küste, um sich ein letztes Mal den tollen Sonnenuntergang anzusehen. Dann verriegelten sie ihr Auto, verschwanden im Wald und pusteten sich das Gehirn raus.
Aber in all den Jahren hatte er es noch nicht erlebt, dass sich jemand von einem Fahrzeug mit eingeschaltetem Motor, laufenden Scheibenwischern und aufgeblendeten Scheinwerfern entfernt hatte.
Deputy Mitchell hatte recht. So etwas gab es nur in Hollywood. Irgendetwas stimmte nicht.
»In Ordnung«, sagte Kincaid. »Machen wir den Kofferraum auf.«
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Übersetzung: Manuela Thurner
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2007 by
Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Autoren-Porträt von Lisa Gardner
Lisa Gardner schreibt seit Jahren Spannungsromane, die regelmäßig auf den internationalen Bestsellerlisten landen. Kritiker stellen ihre Romane in eine Reihe mit den Bestsellern von Kathy Reichs und Nora Roberts. Sie lebt mit ihrem Mann in New England.Mehr über die Autorin findet sich auf ihrer Homepage: www.LisaGardner.com
Bibliographische Angaben
- Autor: Lisa Gardner
- 2012, 1, 448 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3863652703
- ISBN-13: 9783863652708
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